2.6 Klimatisch bedingt treten neue Pflanzenarten auf *
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2.6 Klimatisch bedingt treten neue Pflanzenarten auf *
2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme 2.6 Klimatisch bedingt treten neue Pflanzenarten auf * Jana Lübbert, Silje Berger & Gian-Reto Walther Climate change favours introduction of new plant species: One of the observed ecological responses to recent climate change are geographical range shifts of plants and animals. Indigenous species may expand their ranges into neighbouring areas. However, also introduced species may naturalise and expand their ranges. In the last 30 years an increasing number of exotic species originating from warmer regions have been recorded to spread in Central Europe, apparently profiting from increasing temperatures. Human transports allow the spread of species over long distances, both, on purpose (e.g. ornamentals) and accidentally. The invasion of cold-sensitive non-indigenous species may particularly be facilitated by climate change. A benign climate no longer limits survival and reproduction by harsh winter conditions to the same extent as decades ago. D ie ökologischen Auswirkungen der Klimaerwärmung treten immer deutlicher zu Tage und werden durch eine steigende Zahl so genannter ökologischer »Fingerabdrücke« der Klimaänderung belegt (Walther et al. 2001, Parmesan & Yohe 2003, Root et al. 2003). Über den ganzen Globus verteilt reagieren bereits zahlreiche Arten und Ökosysteme auf die derzeitige Klimaänderung (Walther et al. 2002). Vor allem in der wärmeren Periode seit den 1970er Jahren nimmt die Zahl diesbezüglicher Beobachtungen stetig zu (Parmesan 2006). Insbesondere für thermophile bzw. kälteempfindliche Pflanzenarten werden durch die Klimaerwärmung neue klimatisch günstige Bedingungen geschaffen und diese Arten somit in ihrer Ausbreitung begünstigt (Walther 2000). Dazu zählen auch wärmeliebende Neophyten. Die jüngsten Meldungen über die Ausbreitung gebietsfremder wärmeliebender Arten werden vermehrt in Zusammenhang mit der Klimaentwicklung gebracht. Einige Fallbeispiele werden hier erläutert, die einen klimatisch begünstigten Ausbreitungsprozess verdeutlichen. Meerfenchel – ein Zuwanderer aus benachbarten Gebieten Einige Arten wandern von alleine in neue Gebiete ein, überschreiten politische Grenzen und können sich, begünstigt durch die klimatischen Bedingungen, einen neuen, erweiterten Lebensraum erschließen. Areal modellierungen liefern erste Hinweise einer klimatisch bedingten Arealerweiterung aus dem deutschen Küstenraum. Diese prognostizieren für einige Küstenarten mit einem südlicheren Verbreitungsgebiet eine Ausdehnung ihrer Areale (Metzing 2005). Besonders erwähnenswert ist Crithmum maritimum, der Meerfenchel, eine mediterran-westatlantisch verbreitete Art (Abb. 2.6-1). Nach Crawford & Palin (1981) korreliert die Verbreitungsgrenze der Art in Großbritannien mit der Januarmitteltemperatur, wo diese Art nur südwestlich der 4,4°C–Januarisotherme vorkommt. Abb. 2.6-1: Das aktuelle Verbreitungsgebiet sowie Einzelvorkommen von Crithmum maritimum mit der 3 °C- und der 4,4 °C-Januarisotherme (basierend auf Klimadaten aus dem Zeitraum 1970–2000) und dem modellierten Areal nach Metzing (2005) für ein »best-guess« Szenario: +1,5 K und +8% Niederschlag im Winter. * Stand 2008 2.6 Lübbert et al. Die Art vermag jedoch auch etwas kältere Winterbedingungen zu ertragen (Metzing 2005). Die bisherige Arealgestaltung lässt vermuten, dass die Art einen euatlantischen Temperaturengang mit relativ wintermilden Temperaturen bevorzugt (Kremer & Wagner 2000). Das lange Zeit östlichste Vorkommen dieser Art war in den Niederlanden auf den Westfriesischen Inseln verzeichnet. Seit 2000 konnte sich der Meerfenchel auch in geschützten Bereichen der Küstenbauwerke von Helgoland etablieren, was einen Erstnachweis für Deutschland darstellt (Kremer & Wagner 2000). Die Küstenschutzbauwerke von Helgoland erweisen sich als geeignete Habitate, in denen der Meerfenchel gedeihen kann, so dass sich das rezente Vorkommen in den letzten Jahren noch um einige Jungpflanzen erweitern konnte (Lübbert, unpubl. Daten). Nach Metzing (2005) wird die Art durch die prognostizierte Erwärmung begünstigt und die Ansiedlung auf Helgoland kann möglicherweise als Indiz für die Arealausdehnung betrachtet werden (Abb. 2.6-1). Die Art konnte wahrscheinlich ihr westeuropäisches Areal auf natürliche Weise nach Osten erweitern (Kremer & Wagner 2000) und erreicht auf Helgoland ihre derzeitige nordöstlichste Verbreitungsgrenze. Die Insel auf offener See weist durch den warmen Golfstrom im Winter ein viel milderes Klima als die Festlandsküste auf und ist von vielen frostempfindlichen mediterranen Pflanzenarten geprägt. Da auch an der deutschen Nordseeküste potenzielle Lebensräume, wie Küstenschutzbauwerke vorhanden sind, könnte bei weiter steigenden Temperaturen eine weitere Ausdehnung des Areals möglich werden (Metzing 2005). Lorbeer-Kirsche – ein Neuzugang aus dem erweiterten Europa In den letzten Jahrzehnten kommt es vermehrt zu Meldungen über die Ausbreitung kälteempfindlicher Exoten, die aus verschiedenen Kontinenten stammen. Allen gemein ist die Herkunft aus südlicheren bzw. wärmeren Gebieten. Ergebnisse über die Ausbreitung von kälteempfindlichen exotischen Arten liegen am Beispiel von Prunus laurocerasus, der Lorbeer-Kirsche vor. Prunus laurocerasus ist eine immergrüne Art, die ursprünglich aus dem Balkan und der Küstenregion am Schwarzen und Kaspischen Meer stammt. In Mitteleuropa wird der Strauch bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts kultiviert und häufig als Zierpflanze gepflanzt (Abb. 2.6-2). Untersuchungen ergaben, dass erst in den letzten 15 Jahren vermehrt verwilderte Vorkommen in Deutschland und den angrenzenden Gebieten gemeldet wurden. Diese Beobachtung von Vorkommen außerhalb der geschützten Gärten, deckt sich mit dem potentiellen Verbreitungsgebiet (Abb.2.6-3, links), das anhand von bioklimatisch limitierenden Parametern aus dem Heimatgebiet abgeleitet wurde (Söhlke 2006). Neben den Wintertemperaturen ist bei der Lorbeer-Kirsche auch die Länge der Vegetationsperiode ein entscheidender Parameter für die Reproduktionsfähigkeit und limitierend für die nördliche Verbreitung (Söhlke 2006, Berger et al. 2007). Die Überlappung des potenziellen Verbreitungsgebiets mit den beobachteten verwilderten Vorkommen in Mitteleuropa deutet daraufhin, dass die Verwilderung ein Resultat der wärmeren Klimabedingungen v.a. in den 1990er Jahren ist. Abb. 2.6-2: Blütenstand der Lorbeer-Kirsche (Prunus laurocerasus) (Foto: S. Berger). 2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme Hanfpalme – neue Arten kennen (fast) keine Grenzen erweiterung, s. Abb.2.6-3, rechts (Berger et al. 2007). Bei einer fortschreitenden Erwärmung können auch Die ursprünglich aus Südostasien stammende Hanfpal- nördlich der Alpen die Bedingungen für die Palme günsme, Trachycarpus fortunei, ist eine der am meisten kul- tiger werden. Erste subspontane Vorkommen in Gärten tivierten Palmenarten und wurde bereits im frühen 19. sind auch für Deutschland bekannt (Abb.2.6-3, rechts). Jahrhundert aus China nach Mitteleuropa eingeführt (Walther et al. 2007). Zunächst auf Gartenstandorte Beifußblättrige Ambrosie – beschränkt, konnten verwilderte Vorkommen der Art in eine Pflanzenart mit Nebenwirkungen den 1950er Jahren außerhalb der Gärten nur in beson- Eine weitere Art, die derzeit immer wieder im Gespräch ders wintermilden, geschützten Lagen am Alpensüdfuß ist und sich stark ausbreitet, ist Ambrosia artemisiifoüberleben. Erst seit den 1970er Jahren wurden Vorkom- lia, die einjährige Beifußblättrige Ambrosie oder auch men verwilderter Palmensämlinge auch in den Wäldern Traubenkraut genannt. Von August bis September proam Alpensüdrand dokumentiert, die inzwischen aus- duziert die Pflanze eine große Menge hoch allergener dauernde fertile Bestände bilden konnten (Walther et Pollen, die mit dem Wind über weite Strecken verbreial. 2007) (Abb. 2.6-4). Seit den 1970er Jahren blieben tet werden und bei Menschen schwere Allergien und ungünstige Klimabedingungen weitgehend aus, und es Asthma auslösen können (Bohren et al. 2006). Die aus Nordamerika stammende Art, wurde einst stellte sich eine wärmere Periode ein, mit ähnlichen Bedingungen wie im Heimatgebiet, was ein dauerhaftes unbeabsichtigt nach Europa eingeschleppt. Erste NachAufkommen und eine Etablierung der Hanfpalme in der weise in Europa sind bereits aus den 1860er Jahren Südschweiz ermöglicht hat. Diese aktuelle Expansion bekannt (Bohren et al. 2006). Lange Zeit unbeachtet der Palme in der Schweiz und weltweit deckt sich mit konnte sich der Neophyt in den vergangenen Jahren, dem derzeitigen Klimawandel. Es besteht ein Zusam- vermehrt nach 1990, in süd- und südosteuropäischen menhang zwischen den Temperaturbedingungen des käl- Ländern massiv ausbreiten (Alberternst et al. 2006). testen Monats, der Länge der Vegetationsperiode und der Seit einigen Jahren nehmen die Vorkommen auch in Verbreitung der Hanfpalme (Walther et al. 2007). Die Ländern mit kühlerem Klima zu, wie in Deutschland. nördlichsten subspontanen Vorkommen der Hanfpalme Im süddeutschen Raum konnten vermehrt Massenbekorrelieren mit der Verbreitungsgrenze des potentiellen stände beobachtet werden. Als Ruderalpflanze besiedelt Areals basierend auf Klimadaten aus dem Heimatgebiet die Art überwiegend offene Stellen und Straßenränder in China und sprechen für eine klimatisch bedingte Areal (Alberternst et al. 2006). Abb.2.6-3: Links: Aktuelles und potenzielles Verbreitungsgebiet von Prunus laurocerasus in Europa. Rechts: Die Vorkommen von Trachycarpus fortunei in Europa sowie dem potenziellen Areal (aus Berger et al. 2007, verändert). 2.6 Lübbert et al. Ambrosia artemisiifolia hat nach Bohren et al. (2006) ein hohes Ausbreitungspotential, das besonders durch den Menschen gefördert wird. Die schnellere Ausbreitungsrate in den letzten Jahren ist auf die landwirtschaftlichen Praktiken sowie die Verbreitung durch den Menschen z.B. mittels Vogelfutter zurückzuführen. Eine weitere Rolle spielt die globale Erwärmung, die das Wachstum und die Ausbreitung der Art zusätzlich begünstigt (Bohren et al. 2006). Schlussbetrachtung Die steigende Anzahl an Beobachtungen bzw. Fallstudien über die Ausbreitung und anschließende erfolgreiche Etablierung gebietsfremder Arten in der wärmeren Periode der letzten Jahrzehnte ist auffällig (vgl. Berger & Walther 2007). Von der Erwärmung profitieren nicht nur indigene Pflanzenarten, sondern auch zahlreiche gebietsfremde Arten bzw. Exoten, die sich im Zuge des aktuellen Klimawandels zunehmend außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsareals ausbreiten können (Dukes & Mooney 1999, Walther 2000). Die Arten stammen ursprünglich aus wärmeren Regionen und sind auf unterschiedlichstem Wege nach Deutschland gelangt. Dieser Prozess wird begünstigt durch die Globalisierung und dem dadurch bedingten verstärkten Transfer zwischen den Kontinenten sowie dem Handel mit exotischen Zierpflanzen. Dadurch gelangen Organismen in Gebiete, die sie zuvor nicht auf natürlichem Weg erreichen konnten, indem beabsichtigt oder unbeabsichtigt räumliche Ausbreitungsbarrieren überwunden oder beseitigt wurden (Kowarik 2003). Die Konsequenz der Ausbreitung eingeführter Arten ist umstrittener als die »natürliche« Arealerweiterung von Arten aus benachbarten Gebieten (vgl. Crithmum maritimum). Die Einwanderung und verstärkte Ausbreitung von Neophyten kann eine starke Veränderung der Ökosysteme bewirken (Dukes & Mooney 1999). Aus globaler Sicht, wird die absichtliche Einfuhr und/ oder das unbeabsichtigte Einschleppen gebietsfremder Arten heute als bedeutender Gefährdungsfaktor für die biologische Vielfalt angesehen (Kowarik 2003, Klingenstein et al. 2005). Neben den erwähnten biogeographischen und ökologischen Folgen, kann dies auch evolutionäre, ökonomische und soziale Konsequenzen, sowie gesundheitliche Risiken mit sich bringen (Kowarik 2003). Letzteres lässt sich am Beispiel von Ambrosia artemisiifolia zeigen. Neben der effektiven massenhaften Ausbreitung dieser Art könnte auch eine klimatisch bedingte Verlängerung der Wachstums- und Reproduktions-Periode zu einer verstärkten gesundheitlichen Belastung führen. Auch wenn die Zuwanderungen neuer Arten in einigen Fällen negative Konsequenzen für Mensch und/ oder Umwelt mit sich bringen, trifft dies bei weitem nicht auf alle neuen Pflanzenarten zu. Eine differenzierte Betrachtung ist im Einzelfalle erforderlich, da je nach Art und betroffenem Lebensraum die Auswirkungen stark variieren (Kowarik 2003). Abb. 2.6-4: Verwilderte Palmenpopulation (Trachycarpus fortunei) in einem sommergrünen Laubwald bei Locarno (Schweiz) (Foto: G.-R. Walther). 2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme In Mitteleuropa sind gebietsfremde Arten weit weniger an der Gefährdung der einheimischen Artenvielfalt beteiligt als in anderen Regionen (Kowarik 2003, Klingenstein et al. 2005). Das gemäßigte Klima Mitteleuropas schließt bislang viele subtropische und tropische Arten aus, was sich jedoch mit der prognostizierten Klimaerwärmung ändern kann. Bei anhaltender Klimaerwärmung ist davon auszugehen, dass vermehrt neue Pflanzenarten auftreten bzw. sich weiter ausbreiten. Aufgrund einer möglichen tiefgreifenden Umschichtung bestehender Lebensgemeinschaften als Folge des anhaltenden Klimawandels ist es aber auch möglich, dass sich Neophyten in neue Artgefüge einpassen, die Artenvielfalt bereichern und in neuen Lebensgemeinschaften wichtige ökologische Funktionen übernehmen können (vgl. Williams 1997). Die hier aus einer Vielzahl von Studien ausgewählten Fallbeispiele machen deutlich, dass anthropogene Einflüsse und nicht zuletzt der aktuelle Klimawandel thermophile bzw. kälteempfindliche Arten in ihrer Ausbreitung begünstigen. Durch die veränderten klimatischen Bedingungen sind gebietsfremde Pflanzenarten unterschiedlichster Herkunft in der Lage neue Areale zu erschließen, da nicht nur geographische sondern auch physiologische Barrieren beseitigt wurden. Die Auswirkungen müssen im Einzelfall und habitatspezifisch analysiert werden. Das Spektrum der Maßnahmen kann von rigorosen Bekämpfungsmaßnahmen bis hin zur weitgehenden Akzeptanz im Sinne einer Bereicherung der einheimischen Flora bzw. Fauna reichen. Literatur ALBERTERNST, B., S. NAWRATH & F. KLINGENSTEIN (2006): Biologie, Verbreitung und Einschleppungswege von Ambrosia artemisiifolia in Deutschland und Bewertung aus Naturschutzsicht. Nachrichtenblatt des Deutschen Pflanzenschutzdienstes 58(11), 279-285. BERGER, S., G. 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