Dunkle Schatten über der Copa

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Dunkle Schatten über der Copa
THEMA
BRASILIEN
Dunkle Schatten
über der Copa
Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft möchte sich Brasilien von
seiner besten Seite zeigen. Doch
Geldverschwendung, soziale
Missstände und die Räumung von
Armenvierteln sorgen im fünftgrößten Land der Welt für Ernüchterung
und Proteste. Von Franz Helm SVD
oben Das Geld, das in den
Ausbau der Stadien floss,
fehlt anderswo. Die Städte
ersticken im Verkehr.
links Der Steyler Pater
Ozanan Carrara kritisiert
die Ausgaben für die WM:
„Es ist eine Schande!“
rechte Seite Graffiti in einer
Favela in Rio, die wegen der
Fußball-WM geschliffen
wurde.
I
n der größten Stadt Brasiliens, São Paulo, wird am
12. Juni 2014 mit dem Spiel
Kroatien gegen den Gastgeber
Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft eröffnet. Die Copa, wie
die Fußball-WM in Brasilien
kurz genannt wird, steht dann
wochenlang im Fokus der Weltöffentlichkeit. Seit Jahren beschäftigt dieses Großereignis
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nicht nur die Fußball-Nationalteams, sondern auch die Bevölkerung Brasiliens. Viele liegen
als begeisterte Fußball-Fans im
Copa-Fieber, andere protestieren vehement gegen Misswirtschaft und Korruption. Kaum
jemanden in Brasilien lässt die
WM kalt.
Präsident Luiz Inácio Lula da
Silva holte die WM ins Land, als
Brasilien eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und
eine Verringerung der sozialen
Unterschiede in der Bevölkerung erlebte. Die Arbeiterpartei
war an die Regierung gekommen
und setzte sich nicht nur für
Wirtschaftsreformen, sondern
auch für eine Umverteilung ein.
Der Hunger wurde wirksam bekämpft, der Mindestlohn angehoben, Strom- und Internetversorgung bis in abgelegene Gebiete im Landesinneren ermöglicht.
Die Regierung wollte demonstrieren, dass sie nun dazu bereit
Fotos: Franz Helm SVD, flickr catcomm.cc, Miguel Schincariol/
AFP/picturedesk.com, Jugend Eine Welt
sei, als wichtiger Akteur auf
Weltebene mitzuspielen.
Landesweite Proteste
Spätestens im Sommer 2013,
während des Fußball-Konföderations-Cups der „Generalprobe“ für die WM, ist diese Aufbruchsstimmung einer Ernüchterung gewichen. Landesweit
gingen hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen
die horrenden Kosten der Infrastruktur für die Fußball-WM zu
protestieren und Verbesserungen im Bildungsbereich, im
Gesundheitswesen und beim
öffentlichen Transport einzufordern. „Queremos uma saúde
padrão FIFA“, forderten die
Menschen auf den Straßen Brasiliens. „Wir wollen ein Gesundheitswesen mit FIFA-Qualität!“
Unter den Protestierenden war
auch Pater Anselmo Ribeiro
SVD, der Provinzial der Steyler
Missionare in Belo Horizonte.
Die Auflagen der FIFA hatten dazu geführt, dass bestehende Fußballstadien großzügig renoviert und einige Stadien komplett neu gebaut wurden. Diese
Sportstätten kamen weit teurer
als jene, die in London oder Südafrika für die Weltmeisterschaften gebaut wurden. Statt den
2007 veranschlagten 1,1 Milliarden Dollar wurden schon über
drei Milliarden ausgegeben.
Die Armee besetzt Favelas
„Zusammen mit den Infrastrukturmaßnahmen sind wir jetzt bei
11 Milliarden“, berichtet mir Pater Ozanan Carrara SVD, ein
Steyler Missionar, der EthikProfessor in Volta Redonda nahe
Rio de Janeiro ist. „Und diese
Infrastruktur kommt oft nur den
Gästen der Copa und der Oberschicht in unserem Land zugute.
Es ist eine Schande!“ Als Beispiel
nennt er Rio de Janeiro. Dort erstickt die „ Baixada Fluminense“,
der nördliche Stadtrand der Millionenstadt unweit des internationalen Flughafens Galeão, tagtäglich im Stau. Nun wurde vom
Flughafen weg extra für die Fußball-WM eine Bus-Schnellverbindung mit eigener Fahrspur
gebaut. Sie führt zu einer der
schicksten Gegenden der Stadt,
nach Barra da Tijuca, wo viele
Touristen wohnen werden. Am
Transportproblem der Baixada
ändert das rein gar nichts. Hinzu
kommt noch, dass armselige
Wohngebiete wie die Favela
Maré unweit des Flughafens
Galeão von einer der Armee und
einer „Befriedungspolizei“ besetzt wurden, um die Bevölkerung in Schach zu halten und die
Sicherheit der WM-Besucher zu
garantieren.
Für den Um- und Neubau der
Stadien und die Infrastruktur
wurden nach Angaben von
NGOs 250.000 Leute umgesiedelt. Eine ganze Reihe von Bür-
gerinitiativen hat
sich landesweit gebildet, um diesen Menschen zu
ihrem Recht zu verhelfen. Weitere direkt Betroffene sind jene
Menschen, die vom Verkauf ihrer Produkte in Fußballstadien
leben. An ihrer Stelle werden
offizielle Ausstatter und Sponsoren der FIFA das Geschäft
machen. Für zusätzlichen Ärger
sorgte der Verdacht, dass die
Überteuerung der WM-Baustellen durch Schmiergeldzahlungen und Korruption verursacht
wurde. Der Zeitdruck bei der
Fertigstellung ließ keine zeitaufwändigen Untersuchungen
zu. So versuchte die Regierung
vorerst einmal, durch kurzfristige Verbesserungen den Volkszorn zu besänftigen. Auf vielen
Bussen steht nun „Ônibus novo“
– „Neuer Bus“. Und in vielen
Städten wurden die Tickets
billiger. Aber das ändert nichts
an der Tatsache, dass das >
JUNI 2014 | sg
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BRASILIEN
Gesundheitssystem des Landes
weiter im Argen liegt und Geld
für notwendige Reformen fehlt.
Ein Geschäft für die FIFA
Die „Verbesserungen“ gibt es in
den Stadien. Bei einem Besuch
in Belo Horizonte im Jänner
2014 besuchte ich ein Spiel im
Stadion „Mineirão“. Dort lernte
ich den Architekten Wilson Martins und seinen Sohn Lukas
kennen, der die Spieler beim
Einlaufen ins Stadion begleiten
durfte. Beide sind glühende Fans
von Cruzeiro, einem der großen
Vereine im Bundesstaat Minas
Gerais. Zu meiner Überraschung
sagte Wilson: „Ich bin gegen
diese WM in Brasilien!“ Und er
begründete es auch gleich: „Die
neue ‚FIFA-Qualität‘ hat zu einer
Verteuerung der Eintrittspreise
geführt. Schau, die teuren Plätze
dort, da sitzt niemand. Die kann
sich kaum wer leisten. Keine
70.000 Leute gehen mehr hier
rein, früher war für 130.000 Zuschauer Platz! Jetzt gibt es nur
noch Sitzplätze. Aber die braucht
es nicht. Richtige Fans schauen
ein Spiel im Stehen an!“ Stolz
war Wilson darauf, dass der
FIFA abgetrotzt wurde, dass bei
den sechs WM-Spielen im Mineirão das typische Gericht „Feijão Tropeiro“ verkauft werden
darf. „Die Touristen wollen doch
etwas Landestypisches kennen
lernen. Dass die FIFA das nicht
versteht!“ Aber das sei eben das
Problem, meinte Wilson. „Die
Copa ist ein großes Geschäft für
die FIFA und ihre Sponsoren,
und die brasilianische Bevölkerung wird zur Kassa gebeten!“
Alles wieder paletti?
Wegen der negativen Stimmung
sogar unter den Fußballfans
befürchtet die Regierung, dass es
bei der WM zu massiven Protesten kommen könnte. Für diese
steht viel auf dem Spiel, denn im
Herbst 2014 ist Präsidentenwahl. Eilig wurden gesetzliche
Maßnahmen ergriffen: Demonstrationen in der Nähe der Stadi-
en sind verboten, die Polizei erhält Sonderbefugnisse, das Militär wird eingeschaltet. „Manche
meinen, das ‚Allgemeine Gesetz
zur WM‘ kommt dem Gesetz nahe, das 1964 die Militärdiktatur
in Brasilien erließ“, meint Pater
Carrara. „Es ist unverständlich
für mich, dass Präsidentin Dilma
Rousseff so ein Gesetz erlassen
kann. Sie war doch selbst Opfer
der Militärdiktatur!“
Präsident Lula da Silva hat
die Fußball-WM und die Olympischen Spiele (2016) nach Brasilien geholt, um zu zeigen, dass
das Land auf der großen Weltbühne angekommen ist. Wenn
Brasilien Fußballweltmeister
wird und als erste Nation sechs
WM-Titel hat, dann ist vielleicht
doch wieder alles paletti im
Land des Samba und des Fußballs. Ich bin gespannt, ob auch
im Juni noch gilt, was ich in Belo
Horizonte von einem TV-Kommentator gehört habe: „Karneval
und Fußball, das funktioniert
immer in Brasilien!“
„Die Copa ist ein großes Geschäft für
die FIFA und ihren Sponsoren und
die brasilianische Bevölkerung wird
zur Kassa gebeten!“
oben Wilson (mit Sohn Lukas) ist gegen die WM.
rechts Schon im Vorfeld der WM gab es Proteste,
Hunderttausende gingen auf die Straßen.
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Straßen ohne Kanalisation,
Gewalt und Drogenbanden
– der Stadtrand von
Aracaju ist eine jener
Gegenden, wo das Geld
fehlt, das stattdessen in
die WM fließt. In der Pfarre
der Steyler Missionare
sind es in erster Linie die
Frauen, die sich für den
Aufbau von Basisgemeinden einsetzen.
Von Franz Helm SVD
Armut und Gewalt prägen die Siedlung am Stadtrand von Aracaju.
Hinaus gehen an den Rand
F
rüher haben wir aus Angst
vor Schusswechseln unter
dem Bett geschlafen“, erzählt Kátia, Koordinatorin für
Liturgie in einer Basisgemeinde.
„Heute gehen wir in der Nacht
von Haus zu Haus und machen
Familienbesuche!“ Das Klima
der Gewalt hat sich nicht geändert in der riesigen Siedlung am
Stadtrand von Aracaju. Immer
noch finden Schusswechsel zwischen Drogenbanden statt. Aber
diese Frauen der Pfarre Santa
Cruz, die seit drei Jahren von
den Steyler Missionaren betreut
wird, haben die Angst überwunden. Ausnahmslos Frauen sind
es, die in den neun Basisgemein-
den für die Liturgie verantwortlich sind. Frauen, die nicht nur
Gottesdienste vorbereiten und
leiten, sondern auch zu Missionarinnen geworden sind. Sie
setzen sich für ein friedliches
Miteinander der Bewohner des
Viertels und für den Aufbau
christlicher Gemeinden ein.
Unbekannte Gegend
Fast endlos reihen sich hier,
kaum sechs Kilometer von den
Sandstränden der Landeshauptstadt Aracaju entfernt, ebenerdige Häuser aneinander. Die
Bewohner sind in den letzten
Jahren aus dem Landesinnern
zugezogen, auf der Flucht vor
Fotos: Franz Helm SVD, Jugend Eine Welt
Dürre und Elend und auf der Suche nach einem besseren Leben.
Google-Maps hat die Gegend
erst vor einem Jahr hinzugefügt,
und das Navigationsgerät im
Auto erkennt nach wie vor die
Straßen nicht. „Siehst du, wir
existieren gar nicht für die Welt“,
kommentiert Pater Francisco
Hanuszewicz SVD, ein polnischer Steyler Missionar, der hier
Pfarrer ist. Er hat sich entschieden, das Leben der Menschen
hier am Stadtrand zu teilen.
Aracaju ist reich an Erdölund Erdgasvorkommen, nach denen vor der Küste gebohrt wird.
Von diesem Reichtum sehen
die Bewohner hier an der >
JUNI 2014 | sg