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Messung der Publikumsagenda mittels Nutzungsstatistiken
von Suchmaschinenanfragen
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
1
Einleitung
Im Jahr 1970 – zwei Jahre bevor die „Chapel Hill“-Studie (vgl. McCombs & Shaw 1972)
veröffentlicht wurde – lag in Deutschland die Reichweite des Hörfunks bei 67 Prozent, die
der Tageszeitung bei 70 Prozent und die des Fernsehens bei 72 Prozent (van Eimeren &
Ridder 2005, 495).1 In der Ära des Massenpublikums dominierten das Fernsehen, das Radio
und die Tageszeitung die Medienagenda und bestimmten im Zusammenspiel mit interpersonaler Kommunikation die Publikumsagenda. Inzwischen zeichnet sich das Ende der Ära
des Massenpublikums ab. Immer mehr Bürger bewegen sich in einer „multiaxialen Informationsumwelt“ (vgl. ausführlich Delli Carpini & Williams 2001, 173), in der die klassischen Massenmedien nach und nach an Bedeutung verlieren. Laut der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2010 nutzt in Deutschland die Generation der digital
natives (14- bis 29-Jährige) das Internet bereits an einem durchschnittlichen Tag genau so
lange wie das Radio und das Fernsehen (vgl. Ridder & Engel 2010, 527). 41 Prozent der
digital natives lesen mittels Internet aktuelle Nachrichten; in der Gesamtbevölkerung beträgt dieser Anteil nur 22 Prozent (vgl. Ridder & Engel 2010, 531).
Delli Carpini und Williams (2001, 173) haben frühzeitig vermutet, dass die veränderte
Informationsumwelt der Bürger im Zeitalter des Internets auch Folgen für den Journalismus
haben wird: „The new media environment presents a challenge to mainstream journalists in
their roles of agenda setter and issue framer.“ In der modernen multiaxialen Informationsumwelt speist sich die Publikumsagenda nicht mehr allein aus traditionell verbreiteten
Nachrichten wie noch vor vierzig Jahren (Brundidge & Rice 2009, 148): „(...) the Internet
with its attendant destruction of normal news cycles and rise of news blogs and online
newspapers has created novel opportunities for non-mainstream political actors to contribute to the setting and framing of the public agenda.“ Auch wenn die Zahlen der
ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2010 auf den ersten Blick zu belegen
scheinen, dass ein Großteil der täglichen Internetnutzung primär dem persönlichen Austausch dient (z.B. E-Mail, Instant Messaging in Chats, Foren oder Online Communitys), ist
es dennoch plausibel anzunehmen, dass auch aktuelle Nachrichten über diese Anwendungen verbreitet werden (Donsbach 2009, 194): „Junge Menschen nutzen immer häufiger
Blogs, Chaträume oder Netzwerke wie Facebook oder MySpace, um »Nachrichten« bzw.
das, was sie für Nachrichten halten, zu bekommen.“ Trotz der zunehmenden Verbreitung
des Internets gibt es aktuell keine empirisch gesicherten Hinweise darauf, dass die zentrale
Rolle der Journalisten beim Setzen der Medienagenda ernsthaft in Frage gestellt wäre
1
Dieser Beitrag ist die vollständig überarbeitete und erweiterte Fassung einer Forschungsnotiz, die im International Journal of Public Opinion Research erschienen ist (vgl. Scharkow & Vogelgesang 2011).
O. Jandura et al. (Hrsg.), Methoden der Journalismusforschung, DOI 10.1007/978-3-531-93131-9 _17,
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
300
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
(Redden & Witschge 2010, 183): „Journalists and editors still ultimately decide what
makes a ‘good’ news story, who gets to speak, and what gets said.“ Die derzeitige Zusammensetzung der Medienrepertoires der Onliner und insbesondere der digital natives lässt
jedoch vermuten, dass ihre Agenda in der Zukunft stärker durch Internetquellen geprägt
sein wird.
Aus der Perspektive der mikroanalytischen Journalismusforschung lässt sich die Publikumsagenda als Maßstab dafür heranziehen, ob die zu einem gewissen Grad für die Entstehung journalistischer Berichterstattung handlungsleitenden Publikumserwartungen (z.B.
unterstellte Themeninteressen) mit den faktischen Themenprioritäten des Publikums übereinstimmen. Die Publikumserwartungen der Journalisten sind Teil ihres Publikumsbilds,
welches sich aus unterschiedlichen Quellen speist (Scholl 2004, 520): „So bilden sich die
Kommunikatoren (nicht nur Journalisten) ihr Publikumsbild entweder durch Informationen
über die Reichweite ihres Mediums, mit Hilfe von Reaktionen aus dem Publikum, anhand
von Publikumsbildern der Kollegen oder auf Basis von Umfrageergebnissen.“ Bislang
waren Umfrageergebnisse in der Agenda-Setting-Forschung das einzige Mittel der Wahl,
um empirisch gesicherte Aussagen über die Themenprioritäten des Publikums zu treffen.
Mit dem vorliegenden Beitrag möchten wir ein neues Verfahren zur Messung der Publikumsagenda vorstellen: Nutzungsstatistiken von Suchmaschinenanfragen. Der Beginn der
akademischen Nutzung von Google-Daten lässt sich auf das Jahr 2007 datieren, als Rech
(2007) seine Studie über die Entdeckung von Software-Engineering-Trends veröffentlichte.
Nutzungsstatistiken werden seitdem beispielsweise eingesetzt, um die wirtschaftlichen
Lage in Wahlkämpfen zu analysieren (vgl. Constant & Zimmermann 2008), kollektives
Interesse an Ländern zu untersuchen (vgl. Pascha 2008) oder um Grippewellen2 (vgl.
Freifeld et al. 2008, Ginsberg 2008, Nougairède et al. 2010), Produktumsätze (vgl. Choi &
Varian 2009a, Goel et al. 2010), Zwangsvollstreckungen (vgl. Webb 2009), Arbeitslosenquoten (vgl. Asiktas & Zimmermann 2009, Choi & Varian 2009b, D’Amuri, F. &
Marcucci, J. 2010), öffentliches Interesse an wissenschaftlichen Ergebnissen (vgl. BaramTsabari & Segev 2009, Segev & Baram-Tsabari 2010) oder Reiseverhalten (vgl. Költringer
& Wöber 2009) vorherzusagen.
Die Nutzung von Suchmaschinen gehört für über 80 Prozent der deutschen InternetNutzer, die mindestens einmal in der Woche online sind, zum Nutzungsalltag (van Eimeren
& Frees 2010, 338). Die Ausgangsthese dieses Beitrags lautet, dass die Nutzung von
Suchmaschinen für die Agenda-Setting-Forschung bzw. für die Messung der Publikumsagenda nutzbar gemacht werden kann. Wir begreifen im Anschluss an Granka (2010, 6) das
Stellen einer Suchmaschinenanfrage als eine Manifestation interessengeleiteten Verhaltens:
„(…) online search queries may be a strong behavioral indicator of what issues and topics
are the most compelling, interesting, or important“. Die Protokollierung der Anfragen durch
die Suchmaschinensoftware kommt einer non-reaktiven Verhaltensmessung gleich. Wertet
man die Daten der Messprotokolle nach einzelnen Suchbegriffen im Längsschnitt aus, erhält man Datenreihen, mit denen sich das Volumen begriffsspezifischer Suchen im Längsschnitt beschreiben lässt. Nachfolgend geht es darum, an einem Fallbeispiel zur Bundestagswahl 2005 das Potential der Nutzungsstatistiken von Suchmaschinenanfragen wie
Google Insights For Search (GIFS)3 für die Agenda-Setting-Forschung zu illustrieren und
weitere Forschung dieser Art anzuregen. Im zweiten Abschnitt betten wir das Stellen von
2
3
http://www.google.org/flutrends/
http://www.google.com/insights/search/
Messung der Publikumsagenda
301
Suchmaschinenanfragen in den theoretischen Kontext der Agenda-Setting-Forschung ein
und erläutern, welche Verhaltensformen in der Agenda-Setting-Forschung bislang untersucht worden sind. Im dritten Abschnitt erläutern wir im Anschluss an das need for orientation-Konzept (vgl. Weaver 1980; Matthes 2006) unseren theoretischen Vorschlag, bestimmte Formen von Suchmaschinenanfragen konzeptionell den sogenannten fortgesetzten
Publikumsreaktionen im Agenda-Setting-Prozess zuzurechnen. Im vierten Abschnitt arbeiten wir die messtheoretischen Unterschiede zwischen einer reaktiven Erhebung der Publikumsagenda mittels Befragung und einer non-reaktiven Erhebung mittels Nutzungsstatistiken von Suchmaschinenanfragen heraus. Im fünften Abschnitt beschreiben wir die Untersuchungsanlage und die Ergebnisse einer single issue-Fallstudie. Zweck der Fallstudie ist
es, die Ergebnisse des klassischen Befragungsverfahrens zur Messung der Publikumsagenda mit den Nutzungsstatistiken von GIFS zu vergleichen – und zwar am Beispiel der Kandidatur von Paul Kirchhof im Bundestagswahlkampf 2005. Im sechsten und letzten Abschnitt diskutieren wir abschließend die Validität und Reliabilität der Messung der Publikumsagenda mittels Nutzungsstatistiken von Suchmaschinenanfragen.
2
Verhaltensreaktionen auf Agenda-Setting-Effekte
Wie bereits einleitend erwähnt, gehen wir davon aus, dass das Stellen einer Suchmaschinenanfrage eine Manifestation interessengeleiteten Verhaltens ist. Theoretisch ist es vorstellbar, dass Suchmaschinenanfragen durch Agenda-Setting-Effekte ausgelöste Verhaltensreaktionen sind. Verhaltensreaktionen waren zumindest theoretisch von jeher ein Teil des
Agenda-Setting-Modells: Bereits Becker, McCombs und McLeod (1975, 39) unterschieden
zwischen ersten Publikumsreaktionen (cognitions) und fortgesetzten Publikumsreaktionen
(behavioral responses). Auch wenn der kommunikationswissenschaftliche Fortschritt der
Agenda-Setting-Forschung vor allem darin bestand, das aus der Persuasionsforschung
stammende Paradigma minimaler Medienwirkungen durch die Untersuchung kognitiver
Medienwirkungen relativiert zu haben, sollte der Stellenwert von Verhaltensreaktionen
nicht aus den Augen verloren werden (Dearing & Rogers 1996, 97): „Usually, an end goal
of an agenda-setting process is individual level behavior change: smoking cessation, recycling, condome use and safer sex, and designated driving.“ Dearing und Rogers (1996, 82 f.)
verweisen in diesem Zusammenhang auf die Agenda-Setting-Studie von Gellert et al.
(1992), in der ein positiver Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über an HIV
erkrankte US-Stars und der Anzahl durchgeführter HIV-Tests in der Bevölkerung nachgewiesen werden konnte. McCombs (2004, 129 ff.) zählt in seiner Überblicksmonographie
u.a. folgende Studien auf, in denen durch Agenda-Setting-Effekte ausgelöste Verhaltensreaktionen in der politischen Kommunikationsforschung untersucht worden sind:
y
y
Mit der „Federal Budget Deficit Issue“-Studie hatte Weaver (1991) empirisch zeigen
können, dass die wahrgenommene Wichtigkeit des Haushaltsthemas und das themenspezifische politische Verhalten (Schreiben von Protestbriefen, Teilnahme an Unterschriftenaktionen oder Veranstaltungen, Wählen) zusammenhängen.
Roberts (1992) untersuchte den texanischen Gouverneurs-Wahlkampf des Jahres 1990
und fand einen empirischen Zusammenhang zwischen Themenwahrnehmung und
Wahlverhalten.
302
y
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
Im Rahmen des „Vanishing Voter“-Projekts hatten sowohl Stevenson, Böhme und
Nickel (2001) als auch Patterson (2002) den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2000 untersucht und empirische Belege für einen Zusammenhang zwischen der Themenberichterstattung und Gesprächen über den Wahlkampf gefunden.
McCombs (2004, 131f.) berichtet darüber hinaus über eine experimentelle Agenda-SettingStudie von Ogawa (2001): Rezipienten, die für ein Experiment speziell aufbereitete Zeitungsartikel über Themen gelesen hatten und denen diese Themen persönlich am wenigsten
wichtig erschienen, gaben unabhängig von der Art und Weise der redaktionellen Aufbereitung in Anschluss an, mehr über diese Themen erfahren zu wollen.
Willnats (1997, 52) zog mit Blick auf die zitierten empirischen Studien eine nüchterne
Bilanz, die unserer Ansicht nach auch heute noch Bestand hat: „However, none of these
studies was able to provide an explanation of how exactly issue salience might influence
these observed behavioral consequences“.
3
Suchmaschinenanfragen als Verhaltensreaktionen auf Agenda-Setting-Effekte
Anders als in klassischen Rezeptionssituationen wie etwa beim Fernsehen oder beim Lesen
einer Tageszeitung haben die Nutzer von Online-Nachrichten noch während der Nachrichtenrezeption die Möglichkeit, eigeninitiativ weitere themenspezifische Informationen zu
Ereignisorten, Sachfragen oder Akteuren im WWW zu suchen. Im Gegensatz zu den herkömmlich in der Agenda-Setting-Forschung untersuchten Publikumsreaktionen wie beispielsweise Gesprächen über Medienthemen oder Wahlverhalten zeichnen sich Suchmaschinenanfragen durch ihre Unmittelbarkeit im Anschluss an die Medienrezeption aus. Laut
Murata (2008, 63) ziehen beispielsweise Medienberichte über Katastrophen überdurchschnittlich viele Suchmaschinenanfragen unmittelbar nach sich.
Problematisch an der oben genannten experimentellen Studie von Ogawa (2001) ist
die geringe externe Validität des experimentellen Designs, da im Anschluss an die Rezeption des Stimulusmaterials nur berichtete Verhaltensintentionen erfasst worden sind und
nicht das Verhalten der Probanden selbst. Im Gegensatz zu den von Ogawa (2001) erfassten
Verhaltensintentionen sind Suchmaschinenanfragen tatsächliche Verhaltensmanifestationen. Wir meinen, dass in Suchmaschinenanfragen durch Agenda-Setting-Effekte ausgelöste
Verhaltensreaktionen zum Ausdruck kommen können, die sich theoretisch einem Bedürfnis
zuordnen lassen, das Weaver (1980) als need for orientation bezeichnet hat. Im Anschluss
an die Klassifikation von Matthes (2006) ist es möglich, Suchmaschinenanfragen theoretisch nach unterschiedlichen Bedürfnissen zu unterscheiden:
y
y
y
Fakten: Wo genau liegt Meseberg, der Ort der Klausurtagung der Berliner Koalition?
Themen: Worum geht es beim Streit um „Stuttgart 21“?
Bewertungen (von Journalisten): Wie lautet der Medientenor zu den provokanten
Äußerungen von Thilo Sarrazin über Zuwanderer?
Mit dem Internet stehen der Agenda-Setting-Forschung relativ neue und aus unserer Sicht
vielversprechende Methoden der nicht-reaktiven Messung zur Verfügung. Jede Online-
Messung der Publikumsagenda
303
Kommunikation folgt einem spezifischen technischen Protokoll (HTTP: World Wide Web,
SMTP: Email, NNTP: Usenet). Mit jedem dieser Protokolle ist prinzipiell die Möglichkeit
verbunden, sogenannte Log-Files zu speichern und anschließend zu analysieren. Der wissenschaftliche Einsatz von Statistiken über die Nutzung von Suchmaschinenanfragen hing
bis vor kurzem maßgeblich von der Zugänglichkeit zu diesen Daten ab. Die wenigen publizierten Studien über Daten dieser Art erregten zumeist großes öffentliches Aufsehen, da
ihre empirischen Ergebnisse zumeist belegten, dass es sich bei den häufigsten Suchanfragen
um pornografische Inhalte oder illegale Downloads handelte (vgl. Silverstein et al. 1999).
Kommunikationswissenschaftlich einschlägiger als die Studie von Silverstein et al.
war die Untersuchung von Anschlusskommunikation in Mailbox-Systemen (electronic
bulletin boards, kurz: EBB) von Roberts, Wanta & Dzwo (2002). Die Untersuchungsanlage
dieser Studie sah sowohl eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung der New York Times, von
Associated Press, Reuters, Time Magazine und CNN als auch von den politischen Diskussionseinträgen im EBB von AOL (Today’s News) vor. Die Autoren konnten zeigen, dass es
bei drei von vier analysierten Themen (Einwanderung, Gesundheitssystem, Steuern, Abtreibung) signifikante positive Korrelationen zwischen der Medienberichterstattung und den
Online-Diskussionen über diese Themen gab. Das Fazit von Roberts, Wanta & Dzwo
(2002, 464) lautete daher: „[m]edia coverage apparently can provide individuals with information to use in their Internet discussions“.
Explizite Bezüge zwischen Suchmaschinenanfragen und den theoretischen Konzepten
der Agenda-Setting-Forschung sind erstmalig von Granka (2009, 2010) hergestellt worden.
Sie geht davon aus, dass sich die persönlich wahrgenommene Wichtigkeit der Themen in
den Medien im Volumen von Suchmaschinenanfragen zu genau diesen Themen widerspiegelt. Granka (2009) argumentiert, dass sich in einer themenspezifischen Suchmaschinenanfrage die Themenbekanntheit (awareness) abbilde: Wird mittels einer Suchmaschine nach
einem Thema gesucht, kann implizit vorausgesetzt werden, dass das Thema bekannt ist und
dass das Publikum mehr über dieses Thema erfahren möchte (vgl. auch Ripberger 2010).
Die wahrgenommene Wichtigkeit eines Themas (perceived issue salience), so Granka
(2009), komme indirekt in den Abweichungen vom durchschnittlichen Suchvolumen nach
diesem Thema zum Ausdruck. Die zentrale These von Granka (2009, 2010) lautet, dass das
Volumen von themenspezifischen Suchmaschinenanfragen eine Funktion der Nachrichtenberichterstattung sei.
Granka (2009) verglich die Themen- und Kandidatenberichterstattung der USNetworks ABC, CBS und NBC mit entsprechenden Google-Suchanfragen in den USA für
einen Zeitraum von 92 Tagen vor der US-Präsidentschaftswahl 2008. Der Vergleich zwischen TV-Berichtertstattung und Google-Suchanfragen ist für folgende Begriffe durchgeführt worden (Granka 2009, 2): „Iraq“, „War“, Economy“, „Unemployment“, „Health Care“, „Taxes“, „Education“, „Joe the Plumber“, „Tina Fey“, „Saturday Night Live“, „Obama“, „Biden“, „McCain“ und „Palin“. Regressionsanalysen zeigten, dass das Suchvolumen
von „Education“, „Healthcare“ und „Economy“ stärker von entsprechender Fernsehnachrichtenberichterstattung abhängt als das Suchvolumen von „Iraq“, „Taxes“ und „War“; die
Berichterstattung über „Unemployment“ hatte keinen Einfluss auf das entsprechende Suchvolumen (Granka 2009, 2). Das Volumen der Suche nach den oben genannten Personen
hing ebenfalls signifikant mit der Fernsehnachrichtenberichterstattung zusammen (Granka
2009, 2); das galt insbesondere für die Begriffe „Tina Fey“ (Imitatorin von Sarah Palin)
und „Joe the Plumber“ (US-amerikanischer Installateur namens Samuel Joseph Wurzelba-
304
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
cher, der infolge eines von ABC aufgezeichneten Interviews mit Barack Obama bekannt
geworden ist).
In einer breit angelegten Nachfolgestudie hat Granka (2010) im Vergleich zur Studie
aus dem Jahr 2009 die Zahl der untersuchten Begriffe erhöht und thematisch erweitert: Zur
Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Medienberichterstattung (inhaltsanalytisch
untersucht wurden in LexisNexis archivierte Fernseh- und Radionachrichtentranskripte,
Tageszeitungen und Web-Publikationen) und Google-Suchverhalten sind neben ausgewählten Suchbegriffen aus der politischen Nachrichtenberichterstattung (z.B. Politikernamen
und Themen) auch Begriffe aus der Boulevard- (z.B. „Michael Jackson“ oder „Tiger
Woods“) oder Katastrophenberichterstattung (z.B. „Tsunami“ oder „Haiti Earthquake“)
untersucht worden. Das zentrale empirische Ergebnis dieser Studie lautet (Granka 2010, 2425): „Clearly, there are unique correlations between search queries and news coverage, as
news coverage must be one of the key triggers that prompt an individual to search about the
given event (in order to perform a search about a given topic, an individual first needs to
hear something about it).“
Im Gegensatz zu den Studien von Granka (2009, 2010) untersuchen wir keine Intermedia-Effekte zwischen Medien- und Publikumsagenda, sondern interessieren uns für die
methodische Frage, mit welchem Validitäts- und Reliabilitätsgrad sich die Publikumsagenda mittels Nutzungsstatistiken von Suchmaschinenanfragen erheben lässt. Unsere Arbeitshypothese lautet, dass die mittels Befragung erhobene Wichtigkeitseinschätzung eines
Themas mit dem themenspezifischen Suchvolumen positiv korreliert ist.
4
Messung der Publikumsagenda mittels Google Insights for Search
Im August 2008 startete die weltgrößte Suchmaschine Google ihren Dienst GIFS als Weiterentwicklung von Google Trends. GIFS aggregiert alle Suchanfragen, die über Google
Search und andere Dienste gestellt werden. Google stellt entsprechende Suchvolumenmuster in Form von normalisierten relativen Häufigkeiten zur Verfügung. Die Daten dieser
Suchanfragen können nach verschiedenen Kriterien sowohl im Längsschnitt als auch internationalem Querschnitt kostenlos für Sekundäranalysen zusammengestellt und in Form von
Grafiken und Tabellen heruntergeladen werden. Außerdem erlaubt GIFS einen Vergleich
von verschiedenen Begriffen anhand ihrer relativen Suchhäufigkeit.
Die Publikumsagenda wird üblicherweise mit Hilfe repräsentativer Bevölkerungsumfragen gemessen. Die Messung der Themenwichtigkeit erfolgt entweder mit Blick auf die
invidual issue salience, die perceived issue salience oder die community issue salience
(Rössler 1997, 88-91). Messtheoretisch gesehen sind alle genannten Formen von Themenwichtigkeit latente, nicht beobachtbare Variablen. Die individual issue salience wird im
deutschsprachigen Raum üblicherweise mittels der Frage „Welche drei Themen, über die in
Zeitungen, im Radio oder im Fernsehen in diesen Tagen berichtet wurde, interessieren Sie
besonders?“ messbar gemacht. Die Messung der individual issue salience ist insofern reaktiv, weil die Befragten fremdinitiativ (d.h. nach Präsentation des Fragestimulus) damit beginnen, ihre Themenwichtigkeiten zu berichten.
Im Gegensatz zur reaktiven Messung mittels Befragungsverfahren erlaubt der Einsatz
von GIFS die nicht-reaktive Messung der Themenwichtigkeit. Nicht-reaktive Messverfahren lassen sich der Methode der Beobachtung zuordnen. Beobachtungsverfahren kommen
Messung der Publikumsagenda
305
in der Kommunikationswissenschaft selten zum Einsatz, weil aus forschungsökonomischen
Gründen in der Regel nur sehr wenige Beobachtungseinheiten untersucht werden können
und damit die empirischen Ergebnisse nur schwer verallgemeinerbar sind.4 Einen möglichen Ausweg aus diesem forschungsökonomischen Dilemma eröffnen apparative Messungen. Apparative Messungen wie sie z.B. bei der deutschen Fernseh- oder schweizerischen
Radioreichweitenforschung zum Einsatz kommen, ermöglichen die automatisierte Untersuchung sehr vieler Beobachtungseinheiten. Die Beobachtungsdaten der apparativen
Reichweitenforschung eignen sich jedoch nicht für die Agenda-Setting-Forschung, da aus
dem reinen Nutzungsverhalten nicht auf die Themenwichtigkeit geschlossen werden kann.
GIFS-Daten zeichnen sich durch für die Forschung vorteilhafte Messeigenschaften aus. Im
Gegensatz zur Beantwortung von Interviewfragen werden Suchmaschinenanfragen frei von
sozialer Erwünschtheit gestellt. Zudem finden Suchmaschinenanfragen in einer natürlichen
Feldsituation statt. Diese Feldsituation kann mit Hilfe von GIFS nicht-teilnehmend beobachtet werden.
5
Fallstudie
Wir illustrieren im Rahmen einer single-issue-Studie den Einsatz von GIFS am Beispiel des
Bundestagswahlkampfs 2005 – genauer: Wir fokussieren unser Fallbeispiel auf die Person
Paul Kirchhof bzw. auf das von ihm vorgeschlagene und mit seiner Person zu dieser Zeit
untrennbar verbundene steuerpolitische Thema (vgl. Brettschneider, Neller & Anderson
2006; Holtz-Bacha 2006; Schmitt-Beck & Faas 2006). Um die Validität der GIFSBeobachtungsdaten zu prüfen, haben wir diese mit aggregierten Befragungsdaten verglichen.
Unsere Entscheidung, den möglichen Einsatz von GIFS am Beispiel des Finanzexperten Paul Kirchhof zu illustrieren, hat vor allem pragmatische Gründe: Die Person Kirchhof
trat nur für kurze Zeit, nämlich vom 16. August 2005 (Tag der Berufung des Steuerexperten
Paul Kirchhof in das Kompetenzteam von Union-Kanzlerkandidatin Angela Merkel) bis zur
Bundestagswahl am 18. September 2005 sowie sporadisch noch in der Zeit der Wahlnachlese massenmedial sichtbar in Erscheinung. Zudem ist ein Eigenname sowohl in offenen
Antworten von Befragten als auch in Google-Suchanfragen relativ leicht zu finden, auch
wenn Rechtschreib- und Transkriptionsfehler unvermeidbare Fehlerquellen bleiben.
4
Vgl. auch den Überblick von Quandt in diesem Band. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die medienpsychologischen Studien von Ravaja (2004) oder Unz & Schwab (2005) sowie die Agenda-Setting-Beobachtungsstudie von Kepplinger & Martin (1986).
306
Abbildung 1:
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
Screenshot von Google Insights for Search
Bei der Abfrage der GIFS-Daten wurde die Suche sowohl räumlich als auch zeitlich eingegrenzt. Da nur Suchanfragen aus Deutschland relevant sind, wurden auch nur diese abgefragt, wobei Google hierfür die IP-Adressen der Nutzer heranzieht. Als zeitlicher Rahmen
wurden die Monate August und September 2005 vorgegeben, von denen wir nachträglich
die ersten zwei Wochen entfernt haben, da in diesem Zeitraum keine Daten vorlagen. Die
Suchanfrage bestand aus den beiden Begriffen ‚kirchhof + kirchhoff’, die in diesem Fall
durch ein Boole’sches ODER verknüpft sind. Dadurch ist gewährleistet, dass auch falsch
geschriebene Anfragen berücksichtigt werden. Auch wenn die technischen Abfragemöglichkeiten für diese Fallstudie ausreichend waren, muss man sich bei der Nutzung von GIFS
mit einem rudimentären Abfrageinterface begnügen, das keine Trunkierungen (z.B.
,kirchho*’) oder komplexe Verknüpfungen bietet, wie sie bei der Freitextrecherche üblich
sind (vgl. Hollanders & Vliegenthart 2008). Bei thematisch komplexeren Konstrukten ist es
daher nötig, mehrere Anfragen nachträglich zu aggregieren, um tatsächlich valide zu messen. Neben einem grafischen Output bietet GIFS (vgl. Abbildung 1) auch die Möglichkeit,
die Daten in Form kommaseparierter Werte herunterzuladen. Tagesdaten sind allerdings
nur für Abfragezeiträume bis zu acht Wochen zu bekommen, für größere Zeiträume liegen
momentan nur Wochen- oder Monatsdaten vor.
Die Umfragedaten für die Fallstudie stammen aus telefonischen Befragungen von Forsa, bei denen werktäglich 500 Personen interviewt wurden. Die Stichprobe basiert auf dem
ADM-Verfahren für telefonische Befragungen (vgl. Gabler & Häder 2002) und ist repräsentativ für Wahlberechtigte ab 18 Jahren. Da die Befragungen nicht am Wochenende
durchgeführt wurden, fehlen im Gegensatz zu den GIFS-Daten die entsprechenden Befragungsdaten für Samstag und Sonntag. Als Indikator für Themensalienz verwenden wir die
Antworten auf die offene Frage „Welche drei Themen, über die in den Zeitungen, im Radio
oder im Fernsehen in diesen Tagen berichtet wurden, interessieren Sie besonders?“ Diese
Messung der Publikumsagenda
307
Antworten wurden von zwei Codiererinnen hinsichtlich der Nennung Paul Kirchhofs analysiert, so dass für jeden Tag die aggregierten Häufigkeiten zur Verfügung stehen.5 Alternativ
böte sich für diese Codierung auch die Verwendung einer diktionärbasierten Analysesoftware an – insbesondere für Eigennamen oder spezifische Themen (vgl. Scharkow 2010).
Als erster Schritt einer Analyse des Zusammenhangs von Suchanfragen und per Befragung ermittelter Publikumsagenda bietet sich eine Inspektion der beiden Zeitreihen an,
die in Abbildung 2 dargestellt sind. Obwohl in absoluten Zahlen das Thema Paul Kirchhof
nur für eine kleine Minderheit von Befragten von Interesse war, kann man deutlich den
Verlauf der Themenkarriere erkennen:
x
x
Befragungsdaten (vgl. Abbildung 2, rechte y-Achse): Kirchhof taucht kurz nach seiner
Nominierung als Finanzexperte im Kompetenzteam von Angela Merkel am 16. August 2005 erstmals in der öffentlichen Wahrnehmung auf. Das größte Interesse unter
den Befragten mit knapp drei Prozent aller Nennungen erfährt er, nachdem zuerst inhaltliche Differenzen mit Angela Merkel (22.08.) und später mit Edmund Stoiber und
Peter Müller (30.08.) in den Medien thematisiert werden. Kurz vor der Wahl am 18.
September zeigen die Befragten nochmals gesteigertes Interesse an der Person Kirchhof, danach sinkt es rapide.
GIFS-Daten (vgl. Abbildung 2, linke y-Achse): Hier zeigt sich ein ähnliches Bild. Die
Suchanfragen steigen sofort nach der Nominierung Kirchhofs an (16.08.). Ein zweites
Mal zeigt sich deutlich gesteigertes Interesse unmittelbar im Anschluss an die Fernsehdebatte zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel (04.09.), in deren Rahmen
die Steuerpläne und gesellschaftspolitischen Ansichten Kirchhof kontrovers diskutiert
wurden. Ein dritter Anstieg in den Suchanfragen lässt sich nach der Ankündigung erkennen, dass Friedrich Merz und Paul Kirchhof als Tandemlösung für Finanzpolitik
der CDU/CSU auftreten sollten (13.09.).
Zusätzlich zur grafischen Analyse der beiden Zeitreihen haben wir eine einfache SpearmanKorrelation berechnet, die mit rS = ,49 (p < ,01) für Aggregatdaten moderat ausfällt, jedoch
einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Datenreihen anzeigt. Beide Indikatoren
teilen einen gewissen Anteil gemeinsamer Varianz. Weiterführende Detailanalysen zeigen,
dass beide Zeitreihen einem AR(1)-Prozess folgen, was bei der Modellierung eines vollständigen Agenda-Setting-Prozesses genau genommen berücksichtigt werden muss (vgl.
Weeks & Southwell 2010). Aufgrund des relativ kurzen Untersuchungszeitraums und der
Problematik fehlender Werte bei den Forsa-Daten an den Wochenenden haben wir darauf
verzichtet, ARIMA-Modelle mit Kreuzkorrelationen oder Transferfunktionen zu berechnen,
wie dies etwa Krause und Fretwurst (2007) mit ähnlichen Daten tun.
5
Unser Dank gilt an dieser Stelle Prof. Manfred Güllner (forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH) für die Bereitstellung der Rohdaten sowie Ana Ivanova und Christiane Waas für die Codierung der offenen Antworten.
308
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
4,0
90
80
3,0
70
60
2,0
50
40
30
1,0
20
10
GIFS
6
26.09.05
19.09.05
12.09.05
05.09.05
29.08.05
0,0
22.08.05
0
Themeninteresse der Befragten (%)
Google-Suchanfragen und Forsa-Befragungsdaten zum Thema „Kirchhof“
im Bundestagswahlkampf 2005
100
15.08.05
Suchanfragen (relative Häufigkeiten)
Abbildung 2:
Forsa-Befragungsdaten
Zusammenfassung und Diskussion
Mit dem vorliegenden Beitrag haben wir anhand einer Fallstudie beschrieben, wie es mit
Hilfe des Google-Dienstes GIFS möglich ist, aggregierte Statistiken zu Google-Suchanfragen für die Messung der Publikumsagenda nutzbar zu machen. GIFS-Daten zeichnen
sich durch zahlreiche forschungspraktische Vorteile gegenüber klassischen Befragungsdaten aus: Sie sind kostenlos, stehen jedem Forscher zur Verfügung, weisen keine fehlenden
Werte aufgrund von Wochenendtagen auf und stehen für Auswertungen noch schneller zur
Verfügung als telefonische Befragungsdaten.6
Auch wenn auf den ersten Blick die forschungspraktischen Vorteile der GIFS-Daten
für die Agenda-Setting-Forschung zu bestechen scheinen, sind mit Blick auf die Validität
und Reliabilität noch sehr viele Fragen offen:
1.
6
Bislang ist empirisch ungeklärt, wie viele Personen hinter den relativen Häufigkeiten
von GIFS stehen. Die absolute Anzahl von Suchanfragen (z.B. nach Paul Kirchhof)
wird derzeit von Google nicht ausgewiesen. Prinzipiell ist es jedoch möglich, zur Bestimmung der Zahl absoluter Suchanfragen andere Dienste wie etwa das KeywordTool von Google Adwords heranzuziehen. Solange nur die Kovariation zwischen Zeitreihen untersucht wird, ist das Fehlen absoluter Zahlenwerte zumindest aus statistischer Sicht kein Problem.
Mit Google Echtzeit (http://www.google.de/realtime) steht inzwischen ein weiterer Suchdienst zur Verfügung,
der Nachrichten sozialer Netzwerke wie Twitter oder Facebook durchsucht und die Zahl der Suchanfragen in
Form aggregierter Statistiken ausweist.
Messung der Publikumsagenda
2.
3.
4.
5.
6.
7.
309
Das Zustandekommen der GIFS-Daten ist zum Teil intransparent, weil nicht dokumentiert ist, wie etwa mit wiederholten Anfragen desselben Ursprungs umgegangen
wird und wie die Aggregationsregeln definiert sind.
Die von Google automatisch vorgenommene Normalisierung der Suchhäufigkeiten
erschwert komparative Forschungsbemühungen. Da die Normalisierung der Daten
immer auf Basis des Untersuchungszeitraumes stattfindet, ist es nicht ohne weiteres
möglich, Tagesdaten über längere Zeiträume zu sammeln. Eine nachträgliche Fusionierung längerer Zeitreihen ist zumindest denkbar, indem sich überschneidende
Zweimonatszeitreihen genutzt werden. Geografische Vergleiche sind wiederum dadurch erschwert, dass die GIFS-Daten immer nur je Region normalisiert ausgewiesen
werden.
Eine Suchanfrage muss mit der theoretischen Konzeption des Themenbegriffs korrespondieren (vgl. Eichhorn 1996).
Da sich die Onliner und Offliner in Alter, Bildung und Sozioökonomie bislang noch
unterscheiden (vgl. Gerhards & Mende 2009), stellt sich die Frage, welche Inferenzschlüsse anhand von GIFS-Daten eigentlich getätigt werden dürfen.
Bislang kaum erforscht ist die Frage, mit welchen Motiven und unter welchen Bedingungen es überhaupt zu Suchmaschinenanfragen als fortgesetzte Publikumsreaktion
kommt. Ob die Suche nach Paul Kirchhof mit Hilfe von Google politisch unmotivierte
Neugier oder Ausdruck starken politischen Interesses ist, muss an dieser Stelle offen
gelassen werden.
Wie bei jeder Aggregatanalyse stellt sich auch bei der Auswertung von GIFS-Daten
das Problem des ökologischen Fehlschlusses (vgl. Robinson 1950). Die im Rahmen
der Fallstudie ermittelte Korrelation könnte einen anderen Wert annehmen, würde sie
aus Individualdaten berechnet werden (vgl. Erbring 1990). Bei der Interpretation der
Kovariation zwischen GIFS- und Befragungsdaten sollte daher im Hinterkopf behalten
werden, dass diese nicht unbedingt auf intra-individuelle Salienzveränderungen zurückgeführt werden kann.
Es steht außer Zweifel, dass die Messung der Publikumsagenda mittels GIFS einer umfassenden theoretischen Einbettung in die Agenda-Setting-Forschung bedarf. Verhaltensreaktionen im Agenda-Setting-Prozess sind bislang erst wenig erforscht (vgl. Huck et al. 2009).
Bemühungen für eine grundsätzliche theoretische Einbettung von GIFS als einer möglichen
Verhaltensreaktion in die Agenda-Setting-Forschung finden sich mittlerweile – wie oben
beschrieben – bei Granka (2009, 2010). Wir meinen, dass es über die theoretische Argumentation von Granka hinaus plausibel ist, davon auszugehen, dass der Zusammenhang
zwischen Themensalienz und fortgesetzter Publikumsreaktion zum einen gar nicht zeitstabil
ist (und somit nicht hinreichend mit Hilfe eines einzigen Korrelationskoeffizienten beschrieben werden kann) und dass zum anderen die Stärke des Zusammenhangs von themenund personenspezifischen Randbedingungen moderiert wird. Zudem haben wir in Abschnitt
3 vorgeschlagen, im Anschluss an Weaver (1980) und Matthes (2006) themenspezifische
Suchanfragen als fortgesetzte Publikumsreaktionen zu konzeptualisieren.
Die Studien von Granka (2009, 2010) haben gezeigt, dass die themenspezifische Berichterstattung der Offline- und Online-Medienagenden mit der Häufigkeit von entsprechenden Google-Suchanfragen positiv korreliert ist. Diese positive Korrelation erlaubt es,
den im Rahmen der Fallstudie ermittelten Zusammenhang zwischen den Befragungs- und
310
Jens Vogelgesang und Michael Scharkow
den GIFS-Zeitreihen als substantiellen empirischen Beitrag zum besseren Verständnis von
Agenda-Setting-Prozessen zu interpretieren.
Trotz des noch ausstehenden theoretischen Anschlusses und der offenen methodischen
Fragen ist das empirische Potential der GIFS-Daten für uns augenscheinlich. Vorausgesetzt
ein Thema ist überhaupt mit Hilfe einer Google-Suche identifizierbar, kann dessen Wichtigkeit für eine Vielzahl von Ländern bzw. zurückliegende Zeitabschnitte untersucht werden. Kombiniert man GIFS-Daten mit Online-Mediendaten wie sie beispielsweise von
Google News zur Verfügung gestellt werden, wäre es prinzipiell möglich, vollautomatisierte Agenda-Setting-Studien durchzuführen. Die präsentierte Fallstudie erlaubt zudem jedem
Journalisten ohne ein Umfrageinstitut beauftragen zu müssen, sich der aktuellen Themeninteressen des Publikums zu versichern.
Coleman et al. (2009) gehen davon aus, dass das Internet die größte Herausforderung
in der künftigen Agenda-Setting-Forschung sein wird. Die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft stellt sich dieser Herausforderung bereist schon seit längerer Zeit (vgl.
Rußmann 2007; Arens et al. 2010; Bulkow & Schweiger 2010; Urban 2010). Zu den speziellen methodischen Herausforderungen zählen in diesem Zusammenhang die OnlineInhaltsanalyse von Themen (vgl. Welker & Wünsch 2010), die Erfassung der InternetNutzung in all ihren Facetten innerhalb eines Medienrepertoires (vgl. Hasebrink &
Domeyer 2010) oder die Untersuchung der Folgen von Agenda-Setting-Effekten wie beispielsweise Online-Kommunikation über Medieninhalte (z.B. Haas, Keyling & Brosius
2010). Die Nutzung von Google-Suchstatistiken zur Messung der Publikumsagenda ist
unserer Ansicht nach eine vielversprechende Möglichkeit, die von Willnat (1997) beklagte
theoretische Lücke beim Verstehen des Zusammenhangs zwischen Themensalienz und
fortgesetzter Publikumsreaktion zu schließen. Auf diese Weise könnte zugleich ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet werden, die methodischen Herausforderungen der AgendaSetting-Forschung im Internetzeitalter zu bewältigen.
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