06-15 Neophyten

Transcription

06-15 Neophyten
Foto: Steffen Hauser
Aggressive
Neophyten NATUR
Einwanderer
A
n Goldrute, Essigbaum und Co.
scheiden sich die Geister. Sowohl bezüglich ihrer ökologischen Bedeutung als auch im
Vokabular. «Neuankömmlinge» sind sie
für alle, die diese Pflanzen als Bereicherung der hiesigen Flora empfinden. Botaniker und Ökologen melden hingegen bei
einigen Arten Bedenken an und sprechen
politisch korrekt von invasiven Neophyten, wenn sie sich sehr stark zu Lasten anderer Pflanzenarten ausbreiten.
Nicht selten ist jedoch mit beinahe rassistischem Unterton die Rede von aggressiven Eindringlingen wenn nicht gar von
unerwünschten Fremden, die es zu
bekämpfen und zu vertilgen gelte. Der
weit überwiegende Anteil neu nachgewiesener Pflanzen aus fremden Erdteilen
gliedert sich jedoch unspektakulär in
unserer Pflanzenwelt ein, sodass eine
pauschal negative Bewertung dieser Neophyten nicht zulässig ist.
Invasive Neophyten
stellen keine
Ansprüche an ihren
Lebensraum und
kennen bei uns
keine Feinde.
Deshalb verdrängen
die Einwanderer
die einheimische
Pflanzenwelt und überwuchern in überwältigendem Tempo
ganze Landstriche.
porten und im Feriengepäck reisten in
den letzten Jahrzehnten auch viele Pflanzenarten als blinde Passagiere mit. Insgesamt erreichten Europa im Laufe der
letzten 500 Jahre auf dem einen oder
anderen Weg rund 12 000 neue Pflanzenarten. Die allermeisten von ihnen sind
den hiesigen Klima- beziehungsweise
Bodenverhältnissen nicht angepasst und
verkümmern. Nur 400 Arten – also etwa
3 Prozent – konnten sich dauernd und
mehrheitlich derart problemlos in die
europäischen Lebensgemeinschaften integrieren, dass sie kaum mehr als fremd
empfunden werden. Nicht wenige Neophyten stehen bei uns gar auf den Roten
Listen der gefährdeten Arten oder sind
geschützt.
Text: Esther Krummenacher
Schön,
aber gnadenlos wuchernd
Blut-Weiderich: Bei uns eine einheimische
Pflanze, in Amerika ein invasiver Neophyt.
Als Neophyten (griechisch neo = neu,
phytos = Pflanze) gelten alle Pflanzen,
die beabsichtigt oder zufällig von einer
Region der Erde in eine andere, weit entfernte gebracht werden. Dieser Pflanzentransfer begann im 15. Jahrhundert mit
der Entdeckung Amerikas. Dank intensiven Kontakten zwischen Europa und
der Neuen Welt nahm der Austausch
im 17. und 18. Jahrhundert immer grössere Ausmasse an. Der rege Güteraustausch auch von land- und forstwirtschaftlichen Produkten bescherte uns
seither hochwillkommene und bewusst
eingeführte Arten wie Kartoffeln aus
Südamerika, Mais aus Mittelamerika
oder Douglasien aus Nordamerika.
Nicht alles ist jedoch so willkommen:
In weltumspannenden Frachtgütertrans-
Foto: Stefan Bauer
12 000 neue Pflanzen
eingeführt
Jedoch längst nicht alle der eingeführten
Pflanzen sind so problemlos. Einige gebietsfremde (allochthone) Pflanzenarten
dringen am neuen Standort in einheimische (indigene, autochthone) Pflanzengemeinschaften ein und stören oder zerstören sie. Für diese Pflanzen hat sich
der Begriff invasive Neophyten (invasive
alien species oder IAS plants) eingebürgert. Das IAS-Phänomen tritt weltweit
auf und die Schäden sind drastisch. So
kosten Neopyhten zum Beispiel die USA
jährlich die astronomische Summe von
138 Milliarden Dollar. Pikanterweise ist
eines der dort gefürchteten Unkräuter
der in unseren Riedwiesen heimische
Blut-Weiderich.
Im ganzen Tropenbereich ist die
Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes)
eine der gefürchtetsten Pflanzen. Ursprünglich stammt sie aus Südamerika,
gelangte um etwa 1850 ihrer schönen
Blüten wegen in den Botanischen Garten
Java, von dort aus in die GewässerNatürlich | 5-2005 7
Japanischer Knöterich:
Überwuchert ganze Landstriche
und ist kaum zu töten.
Umgang mit Neophyten
Auf jeden Fall ist Vorbeugen besser als
einmal etablierte Bestände bekämpfen zu müssen. Im Garten gilt deshalb:
phyten der Schwarzen (siehe Seiten 14
und 15) und der Watch-Liste zu Gunsten
einheimischer, standortgerechter Arten.
• Beseitigen Sie kleine Bestände
rechtzeitig. Massnahmen wie Jäten,
Schneiden, Ausgraben müssen meist
wiederholt und eventuell über meh-
Foto: Agentur Blickwinkel / J. Flohe
• Verzichten Sie auf problematische Neo-
rere Jahre angewendet und die
Bestände kontrolliert werden.
• Deponieren oder kompostieren Sie
Pflanzenmaterial keinesfalls wild,
sondern sammeln Sie alles sorgfältig
und vernichten es (Kehrichtabfuhr).
Im Freiland kann man unter Beizug von
Fachpersonen wie Naturschutzvereine,
lokale Naturschutzkommissionen,
kantonale Fachstellen:
• Neopyhtenherde bekämpfen solange
sie noch klein sind.
• Etablierte grössere Bestände reduzieren und weitere Ausdehnung verhindern.
systeme der Tropen Asiens, 1880 nach
Afrika und 4 Jahre später in die USA.
Heute verstopfen ihre schwimmenden
Pflanzenteppiche in den Tropen riesige
Sumpf- und Wassergebiete, sie blockieren
Schifffahrtswege und Kraftwerksturbinen, überwuchern Reisfelder, behindern
die Fischerei sowie die Malariabekämpfung. Nicht umsonst erlassen besonders
Inseln und isolierte Landmassen rigorose
Einfuhr- und Quarantänebestimmungen
für Pflanzen und Tiere (neu auftretende
Tiere = Neozooen).
Angriff mit Brille
und Schutzkleidung
Im grenzenlosen Europa gibt es derartige,
mindestens teilweise funktionierende Verbreitungssperren nicht mehr. Vorsichtsmassnahmen wären dennoch angebracht,
da auch in Europa verschiedene Regionen
8 Natürlich | 5-2005
massive Neophytenprobleme haben. In
Osteuropa und Skandinavien zum Beispiel
überwucherte der aus dem Kaukasus stammende Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) ganze Talschaften. Sie mussten gar zu Sperrzonen erklärt werden. Tourismus oder landwirtschaftliche Nutzung
ist nicht mehr möglich, da bei blossem
Hautkontakt mit der Pflanze ihr Gift in Verbindung mit dem Sonnenlicht schwere Verbrennungen und langwierige allergische
Hautreaktionen auslöst.
«Tragen Sie lange Schutzkleider und
eine Brille, damit weder Haut noch Augen
in Kontakt mit dem Saft kommen, der
sehr schmerzhafte und nachhaltige Verätzungen hervorrufen kann.» Diese Anweisung betrifft nicht einen Notfalleinsatz in
einer Chemiefabrik, sondern Vorsichtsmassnahmen bei der Bekämpfung von
Riesenbärenklau. Es ist von Vorteil, sich
diese Weisungen gut einzuprägen, denn
seit rund 50 Jahren kommt der Riesenbärenklau auch in der Schweiz vor. Ausgewildert aus Gärten, vereinigt er Eigenschaften, welche den schlechten Ruf der
Neopyhten zementieren: er ist invasiv
und verursacht gesundheitliche Schäden.
grüner Hysteriker, wenn nicht gar Umweltrassisten gestellt.
Seit 3 Jahren horcht jedoch auch die
breitere Öffentlichkeit beim Stichwort
Neophyten auf. Ermöglicht hat das der
Einmarsch des eigentlich in Nordamerika
heimischen Traubenkrauts (Ambrosia
artemisiifolia). Diese Art hat direkte
gesundheitliche Auswirkungen auf grössere Bevölkerungskreise. Aus der kanadischen Provinz Quebec ist bekannt, dass
Ambrosiapollen bei rund 10 Prozent der
Bevölkerung heftige Allergien (Asthma,
Atemnot) auslösen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Ambrosia nach Europa
eingeschleppt und die Samen mit land-
Sommerflieder: Hat sich gut eingelebt und bietet
Schmetterlingen einen reich gedeckten Tisch,
Raupen sucht man darauf aber vergeblich.
Aufgepasst:
Aggressive Allergieauslöser
Von obigen Schreckensszenarien ist die
Schweiz noch weitgehend verschont geblieben. Solange sich die Auswirkungen
der Neophyten eher schleichend im
Bereich der natürlichen Lebensräume
bemerkbar machten, waren sie nur für
Ökologen und Botaniker ein Thema. Mit
ihren Bedenken gegen rund 20 problematische Pflanzenarten wurden sie mehrheitlich belächelt und in den Dunstkreis
Foto: Hans Reinhard / Okapia
Wirkung bis zum Erlöschen der
Neophyten NATUR
wirtschaftlichen Fahrzeugen, durch verunreinigtes Saatgut und in Vogelfutter
weiterverbreitet.
Seit etwa 20 Jahren häufen sich Allergiemeldungen in Frankreich, Österreich
und Norditalien. 2001 wurden in mehreren
Sonnenblumenfeldern der Region Genf
tausende von Ambrosiapflanzen festgestellt. Wie viele Personen ausgehend von
diesen Herden in den Kontakt mit
Ambrosiapollen kommen, kann nur geschätzt werden. Eine Pflanze produziert
mehrere Millionen Pollen, der Westwind
verfrachtet sie problemlos über 200 Kilometer und 5 Pollenkörner pro Kubikmeter
Luft genügen für eine allergische Reaktion.
Unklar ist, wie empfindliche Personen diesem Phänomen begegnen können, wenn
die Pflanzenbestände weiter zunehmen.
Foto: Agentur Blickwinkel / H. Schmiodbauer
Götterbaum: Ist ein charakteristischer Stadtbaum,
der eigentlich in China und Korea heimisch ist.
Nur etwa 20 Problemarten
Noch handelt es sich bei uns um eine
überschaubare Anzahl Arten, die Probleme bereiten. Unter den heute etwa 400
wild wachsenden Neophyten sind es nur
rund 20. Analog den Roten Listen, in welchen die seltenen und geschützten Pflanzen aufgeführt sind, werden sie in den
so genannten Schwarzen Listen erfasst
(siehe auch Kasten auf Seiten 14/15). Für
den Umgang mit Schwarze-Liste-Arten
fordern Spezialisten, die Bestände dieser
Arten sollen reduziert und ihre Ausbreitung verhindert werden, da sie sich
massenhaft vermehren, grossflächig in
bestehende Lebensräume eindringen oder
standorttypische, zum Teil seltene Pflanzenbestände in Bachauen oder Magerwiesen (siehe auch Natürlich 4-2005
«Trockenwiesen») innert weniger Jahre
verdrängen.
Dadurch können sie auch für Insekten
zu einem Problem werden, weil mit jeder
Pflanzenart, die verschwindet, auch unzählige Tierarten wie Schmetterlinge oder
Bienen ihre Futterpflanzen oder Pollenund Nektarlieferanten verlieren.
Achtung
vor Verallgemeinerung
Als Gegenbeispiel könnte man nun den
Sommerflieder (Buddleja davidii) als
Schmetterlingsbaum par excellence anführen. Beweist er nicht gerade den ökologischen Wert der Neophyten? Nein,
denn da diese Pflanzenarten aus Sicht der
Evolution erst sehr kurze Zeit bei uns
wachsen, sind sie nicht oder noch sehr
wenig in das hiesige Lebensraumgefüge
eingepasst. Sie stehen weitgehend ausserhalb der über Jahrhunderte eingespielten
Nahrungsketten. Ihre Blüten werden nur
selten oder höchstens von Allerweltsarten besucht, die Samen und Blätter
werden nicht gefressen. So auch bei der
Buddleja. Die Blüten locken zwar die erwachsenen Falter an, Schmetterlingsraupen oder -eier wird man darauf aber
vergeblich suchen.
Aufgrund der unerwünschten Eigenschaften von Riesenbärenklau oder Ambrosia alle Arten, die nicht seit eh und je
zwischen Boden- und Genfersee heimisch
waren, à priori als unerwünschte Fremdlinge in einen Topf zu werfen, ist jedoch
unzulässig. Viele zugewanderte Arten
haben eine Standortnische gefunden,
sind in den ökologischen Kreislauf integriert und geniessen gar den Titel altbewährter Heilkräuter. So stammen Kamille
und Malve, die in fast jeder Hausapotheke zu finden sind, ursprünglich aus
dem Mittelmeerraum. Eine Bewertung
der Neophyten muss daher sehr differenziert erfolgen und nur bei einigen wenigen Arten (Schwarze Liste) sind gezielte
Massnahmen zu ihrer Eindämmung angezeigt. Sie sind ökologisch gegenüber
einheimischen Stauden, Sträuchern und
Bäumen immer die schlechtere Variante,
obwohl sie uns Menschen in die Augen
stechen durch ihre spektakulären Blüten,
die riesigen Blätter oder das schnelle
Wachstum.
14 weitere Neophyten stehen auf der
Beobachtungsliste, weil sie das Potenzial
haben Schäden zu verursachen oder
Schäden aus benachbarten Ländern bereits bekannt sind. Als Schäden gelten dabei wiederum nicht nur die oben erwähnte Minderung der Artenvielfalt zum
Beispiel in Schutzgebieten, sondern auch
ökonomisch besser quantifizierbare Einbussen in der Land- und Forstwirtschaft
oder gesundheitliche Folgen (Beispiele:
Topinambur, Kirschlorbeer).
Kennt weder Feind
noch Freund
Noch ist nicht geklärt, welche Faktoren
den Ausschlag geben, ob eine neue Art
sich unspektakulär ins bestehende Pflanzengefüge eingliedert oder ob sie verdrängende Massenvorkommen bildet und
weshalb sich eine fremde Art jahrzehntelang ruhig verhält, bevor sie sich plötzlich
explosionsartig ausbreitet. Da Neuankömmlinge in der über Jahrtausende
gewachsenen Vegetation weder Freunde
noch Feinde kennen, können sie sich
ungehindert und aggressiv ohne Rücksichtnahme ausbreiten. Es gibt weder
für sie angepasste Krankheitserreger wie
zum Beispiel Pilze noch Konkurrenten
um Licht und Platz, die in der ursprünglichen Heimat die betreffenden Pflanzenarten in Schach halten.
Natürlich | 5-2005 9
Fotos: Esther Krummenacher
Kanadische und Spätblühende
Goldrute: Ursprünglich im 17. Jahrhundert als Zierpflanze in Europa
eingeführt, fühlt sie sich hier sehr
wohl und dominiert einen Standort
sehr schnell.
Von der Kanadischen Goldrute (Solidago canadensis) ernähren sich in Nordamerika, ihrer ursprünglichen Heimat,
etwa 290 Frassinsektenarten – in Europa
hingegen ist es keine einzige. In den Ursprungsländern Ostasiens verhindern
starke Konkurrenzpflanzen, dass sich
Reinbestände von Japanischem Knöterich
(Reynoutria japonica) bilden. Bei uns
hingegen kann keine Stauden- oder
Baumart mit seinem täglichen Höhenwachstum von bis 30 Zentimetern mithalten und die Art überwächst spielend
Aufforstungen ebenso wie Riedwiesen.
Anders die Auswirkungen der Falschen
Akazie oder Robinie (Robinia pseudoacacia), die aus Nordamerika stammt. Imker
pflanzen sie gerne als Bienenweide, den
Gartenbauern ist sie ein beliebter Zierbaum
und Bodenaufbereiter, da anspruchslos,
schnell wachsend und selbstdüngend. Weil
ihr Holz fast unverwüstlich ist, sind die
Erfahrungen damit zum Beispiel für Weide10 Natürlich | 5-2005
pfähle oder witterungsexponierte Bauteile
positiv. Der Grund für seine Dauerhaftigkeit: in unseren Breiten fehlen die angepassten Holzpilze, die Robinienholz angreifen
könnten. Eigentlich durchaus positiv, nur:
Robinien produzieren extrem starke Wurzelbrut und reichern zudem Stickstoff im
Boden an, das heisst sie düngen ihn. Natürliche Waldgesellschaften oder Magerwiesen sind gegen sie somit konkurrenzlos.
Unzählige Wurzelsprösslinge
Die bei uns häufigsten Problemarten
Goldruten, Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera) und Japanische Knötericharten verbreiten sich auch erfolgreich
mit Sprösslingen oder Wurzelbrut. Ihre
Spross- und Wurzelteile haben ein Potenzial zur Bewurzelung, von dem nur träumen kann, wer schon mühsam versucht
hat Geranien-Stecklinge zu ziehen. Dadurch ist das Verschleppungsrisiko gross.
Während der ersten Vegetationsperiode
bilden Goldruten einen oberirdisch kaum
sichtbaren Keimling und unterirdisch bereits bis 100 Wurzelausläufer. Ein Jahr
später können es bei ungestörtem Wachstum über 700 sein, die den Boden als
dichtes Netz durchziehen – ausgehend
von einer einzigen Pflanze.
An den Standort stellen Neophyten
meist keine speziellen Bedingungen,
sondern nutzen offene, vegetationslose
Stellen in sämtlichen Lebensraumtypen.
Baustellen, Schuttplätze, Industriebrachen, Bahnareale oder Hafenanlagen sind
ihre bevorzugten Standorte. Von hier
aus haben viele Arten ihren Siegeszug gestartet, indem sie Bahndämme, Strassenund Uferböschungen als Verbindungselemente für eine schnelle Weiterverbreitung der Samen im Fahrtwind von Zug
und Auto nutzten.
Japanische Knötericharten und Drüsiges Springkraut nutzen eher Bäche und
Flüsse, um ihre Samen, Spross- und
Wurzelteile in ganzen Gewässersystemen
zu verbreiten. Haben sie einmal Fuss gefasst, destabilisieren sie die einheimische
böschungssichernde Ufervegetation und
können in der entstandenen Lücke Fuss
fassen. Das geht soweit, dass vielerorts
Flüsse und Bäche kilometerweit ausschliesslich von Neophyten statt der erhofften Auenvegetation gesäumt sind.
Goldrute:
Vom Park in die Natur
Viele der heute ökologisch problematischen Arten wie Goldruten (Solidago
canadensis und Solidago serotina), Essigbaum (Rhus typhina), Tobinambur (Helianthus tuberosus), Japanische Knöteriche oder Riesenbärenklau wurden ursprünglich als Garten- und Zierpflanzen
eingeführt. Da sie mit dem hiesigen
Klima keine Probleme haben, schafften
sie problemlos den Sprung über den Gartenzaun und wilderten aus in Offenland
und Wälder. Vor allem in Naturschutzgebieten ist diese Entwicklung, hauptsächlich bezüglich der optisch sehr ansprechenden Goldruten in extensiv genutzten Riedgebieten schon lange
erkannt. Nur die zwei Goldrutenarten
Echte Goldrute (Solidago virga-aurea)
und Alpen-Goldrute (Solidago alpestris)
sind bei uns heimisch. Die über 100 anderen Goldrutenarten stammen mehr-
Neophyten NATUR
heitlich aus Nordamerika. Dort besiedeln die ursprünglichen Präriepflanzen heute Brach- und Ruderalflächen,
Strassenränder, Bahndämme und Ähnliches. Erstmals gelangten diese Goldrutenarten Anfang des 17. Jahrhunderts
in botanische Gärten nach Europa. Die
leuchtend gelben Blütenstände gefielen
anscheinend sehr, denn bald waren Späte
und Kanadische Goldrute auch in Parkanlagen und Privatgärten zu bewundern.
Von diesen Standorten aus starteten die
Neuankömmlinge ihren Eroberungszug
in die umgebenden Naturflächen.
sind im Wald auch Schlag- und Verjüngungsflächen, die sich innert 2 bis 3 Jahren in eigentliche Knöterichdickichte
verwandeln können. Gehölze, die in einer Naturverjüngung spontan aufkommen sollten, ertrinken darin genauso wie
aufwändige Anpflanzungen, denn die
schnellwüchsigen, gross- und dichtblättrigen Exoten sind eine übermächtige
Konkurrenz um Licht und Platz.
In den letzten Jahren wächst in
Hecken und Wäldern auch vermehrt der
Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus).
Heute ist die Art noch auf der WatchListe zu finden. Wie sich diese ersten Vorkommen weiterentwickeln, ist noch nicht
absehbar. Welche weiteren Überraschungen das ständig wachsende Angebot an Zierpflanzen birgt, ist generell
nicht abzuschätzen.
Neophyten
überwachsen Sturmlücken
In vielen Auenwäldern, Bachböschungen
und Riedgebieten überwuchert das Drüsige Springkraut zusammen mit Japanischem Knöterich und der Goldrute bestehende Pflanzenbestände. Unter dem
gelben Goldrutenmeer mit den pinkfarbenen und weissen Tupfern des Springkrauts ist der Schatten dann bald so dicht,
dass keine andere Pflanze mehr keimen
Foto: Agentur Blickwinkel / H. Schmidbauer
Kirschloorbeer: Steht in vielen
Gärten und Parkanlagen und unter
Beobachtung der Botaniker.
kann. Sie verbreiteten sich vielfach über
Gewässer. Das deshalb, weil früher Hausabfälle – aber auch gezupftes Unkraut –
an Bachböschungen deponiert wurde.
Heute sind wir im Umgang mit Gewässern stärker sensibilisiert, Grüngut
wird meist kompostiert oder geordnet deponiert. Vermehrt finden sich jedoch
Grüngutdeponien im Wald. Diese bergen
die Gefahr neuer Neophyten-Herde, die
sich längs der Waldwege und in Windwurfflächen rasch ausbreiten. Betroffen
Drüsiges Springkraut: Bildet wahre Monokulturen.
Fremdenhass
im Schutzgebiet?
Eine der heiklen Fragen rund um neu
eingewanderte Problempflanzen lautet
stets: «Welchen Schaden richten sie an?»
In Naturschutzgebieten wird der Schaden
daran gemessen, wie selten die von Neophyten verdrängten Pflanzengesellschaften und Arten sind. Zu berücksichtigen ist dabei wiederum, dass mit jeder
Pflanzenart, die verschwindet, auch eine
grosse Zahl von Tieren wie Insekten
ihre Lebensgrundlage verlieren. Im Gegensatz dazu profitieren von den Goldruten Honigbienen, Schwebefliegen und
andere Zweiflügler. Die Zahl der verdrängten, seltenen Pflanzen- und Tierarten beträgt jedoch ein Vielfaches. In
Franken und Rappen lässt sich dieser
ökologische Schaden schlecht beziffern.
Besser sind die Einbussen in der Landwirtschaft oder im Tourismus abschätzbar. Grundsätzlich gilt es immer Aufwand, Effizienz und ökologische Folgen
möglicher Gegenstrategien abzuwägen
und gegen jede Problemart möglichst
gezielte Massnahmen anzuwenden.
Foto: Thomas Vogel
Eindämmen, aber wie?
Grundsätzlich dürfen die ergriffenen
Massnahmen selbst nicht unnötigen
Schaden anrichten. Bereits vorhandene
Bestände einzudämmen ist angesichts
der Konkurrenzstärke vieler Neophyten
schneller gesagt als getan, erfolgt aber
Natürlich | 5-2005 11
Neophyten NATUR
am besten so früh wie möglich, wenn die
Bestände noch klein sind. Dann kann
auch eine aufwändigere Massnahme mit
vertretbarem Aufwand noch durchgeführt werden. Bei 10 Riesenbärenklaustöcken zum Beispiel lassen sich, mit der
nötigen Vorsicht, noch die Jungpflanzen
ausstechen oder die Vegetationspunkte
mit dem Spaten durchtrennen. In bereits
grossräumig überwucherten Flächen ist
hingegen guter Rat teuer.
Beim Drüsigen Springkraut, einer
einjährigen Art, gilt es hauptsächlich
die Samenproduktion zu verhindern: die
Pflanze muss vorher gemäht oder besser
ausgerissen werden. Optimaler Schnittzeitpunkt ist bei Blütebeginn noch vor
der Fruchtbildung. Bei früherem Schnitt
können neue Pflanzen nachkeimen oder
junge Exemplare bleiben stehen und
wachsen aus. (Massnahmen gegen einige
häufige Arten siehe Tabelle Seiten 14/15.)
An Japanknöterichen scheitern bisher
alle Vernichtungsversuche, die mit vernünftigem Aufwand und ohne Gifteinsatz
auskommen. Schnitt und Ausgraben tragen nur zur Weiterverbreitung bei, da
der kleinste Wurzelteil wieder austreiben
kann. Selbst Herbizide wirken nur bei
hartnäckiger, zum Teil jahrelanger Wiederholung. Das zeigen deutlich wissenschaftliche Versuche mit Totalherbiziden:
Bei mehrfach besprühten Stöcken teilten
sich Rhizome, die nicht stark genug geschädigt wurden, und bildeten umso mehr
oberirdische Sprossen. Eigentlich bewundernswert zäh, diese fremden Zuwanderer.
gen. Angesichts knapper Geldmittel
und ständig wachsender Neophytenflächen wagt nämlich momentan niemand Prognosen zu längerfristigen Bestandesentwicklungen und deren ökologischen Auswirkungen. Mindestens ist
das Phänomen erkannt, Strategien zur
Eindämmung werden entwickelt und teilweise bereits umgesetzt. Vorbeugen ist
und bleibt jedoch der beste Weg. Mit dem
konsequenten Verzicht auf problematische Arten im eigenen Garten leistet jeder
einen Beitrag.
■
Beharrlichkeit bringt Erfolg
Bei der Goldrutenbekämpfung in Schutzgebieten besteht langjährige Erfahrung.
Zweimaliger Schnitt über mehrere Jahre
(Ende Mai und Mitte August) schwächt
die Goldrute. Problematisch an diesem
Schnittregime ist, dass sämtliche anderen
noch vorhandenen Pflanzen ebenfalls
mitgeschnitten werden. Bewährt, aber
sehr aufwändig ist das sorgfältige Rupfen
bei regenfeuchtem Boden knapp vor der
Blüte. Dann lassen sich die Stängel samt
Rhizomteilen von über einem halben
Meter ausreissen.
In einem Riedgebiet galt es vor 5 Jahren erstmals ein ganzes Goldrutenmeer
in lange vernachlässigten Flächen vom
Rand her zu jäten. Viele Helfer haben dort
anfangs wohl am Erfolg gezweifelt. Beim
Foto: Esther Krummenacher
Falsche Akazie:
Verändert rasch
und nachhaltig
die Vegetation
zu ihren Gunsten.
Folgeeinsatz ein Jahr später war jedoch
bereits eine gewisse Goldrutenabnahme
sichtbar, und das Jäten fiel schon leichter.
Im dritten Jahr dann das erste Erfolgserlebnis: Wo früher im Goldrutenschatten ein einziges kümmerliches Exemplar
der Gefleckten Orchis stand, blühten fast
80 Exemplare von vier verschiedenen
Orchideenarten.
Diese Erfahrung dokumentiert, dass
– wenn überhaupt – bei invasiven Neophyten nur wiederholte Einsätze und
sorgfältige Nachkontrollen Erfolge zei-
Schwarze Liste siehe Seiten 14/15
Literatur / Internet / Auskunftsstellen
Auskünfte zu Problemarten erteilen die meisten
kantonalen Naturschutzfachstellen. Einen guten
Überblick über Arten und mögliche Massnahmen
bieten z. B. die Merkblätter der Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich, die in Zusammenarbeit mit
dem Zürcher Vogelschutz erarbeitet wurden:
– Fachstelle Naturschutz, Neumühlequai 10,
8090 Zürich, [email protected]
– Baur et al.: «Biodiversität in der Schweiz»,
Haupt Verlag, 2004. ISBN 3-258-06800-3
– www.naturschutz.zh.ch
– www.zvs.ch/dossier/dossier_fs.htm?/dossier/
problempflanzen
– www.cps-skew.ch/deutsch/neoph_zusamm.pdf
– www.cps-skew.ch/deutsch/infoblaetter_
invasive.htm
– www.cps-skew.ch/deutsch/schwarze_liste.htm
(schwarze Liste)
– www.crsf.ch/deu/download/download.htm
Buch zum Thema
Das im Jahr 2003 erschienene Buch
mitteleuropäischen
«Biologische Invasionen: Neophyten und
Lebensräumen. Es
Neozoen in Mitteleuropa» stellt erstmals und
liefert den aktuellen
umfassend das Phänomen der biologischen
Kenntnisstand zur Her-
Invasionen für Mitteleuropa, mit Schwer-
kunft und Einführung
punkt Deutschland, dar. Zahlreiche Beispiele
der jeweiligen Arten, zu
zeigen sowohl die Ursachen und Folgen der
ihrem aktuellen Vor-
Ausbreitung fremder Arten auf wie auch die
kommen, ihren
damit verbundenen Risiken und Chancen.
Erfolgsmerkmalen, den
Das Buch richtet sich vor allem an Leser mit
von ihnen verursachten
ausgeprägtem Interesse an den Themen
Problemen und zu den
Biologie, Ökologie, Naturschutz und Land-
Möglichkeiten einer
schaftsplanung sowie Gartenbau, Agrar-
Gegensteuerung.
und Forstwissenschaft.
Nach einer Einführung in die biologischen Inva-
Ingo Kowarik: «Biologische Invasionen:
sionen weltweit und dem Einfluss des Men-
Neophyten und Neozoen Mitteleuropas»,
schen auf dieses Phänomen bietet das Buch
Fr. 112.–. Verlag Eugen Ulmer, 2003
eine umfassende Übersicht über Neophyten in
ISBN 3-8001-3924-3
Natürlich | 5-2005 13
NATUR Neophyten
Finger weg von diesen Pflanzen
Schwarze Liste gemäss SKEW Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen,
Domaine de Changins, CP 254, 1260 Nyon 1
Wissenschaftliche
Namen
Deutsche
Namen
Ailanthus altissima
Ailanthus glandulosa
Ailanthus cacodendron
Ailanthus perequina
Gegenmassnahmen
Gefahren *
Götterbaum
Sämlinge jäten,
wiederholt schneiden
V
Ambrosia artemisiifolia
Ambrosia elatior
Aufrechte Ambrosie
Aufrechtes Traubenkraut
Wermutblättrige Ambrosie
vor Blüte jäten
(Allergiegefahr,
Handschuhe, evtl Maske)
G, U
Artemisia verlotiorum
Artemisia setengensis
Verlot'scher Beifuss
Ostasiatischer Beifuss
Buddleja davidii
Buddleja variabilis
Sommerflieder
Schmetterlingsstrauch
Blütenstände vor Samenbildung
schneiden,
Jungpflanzen jäten
V
Elodea nuttalli
Nuttalls Wasserpest
Schmalblättrige Wasserpest
Aquarien nie in
offene Gewässer entleeren
V
Heracléum
mantegazziánum
Riesenbärenklau
Mantegazzis Bärenklau
Schutzbekleidung, Brille!
Sprosspunkt mit Spaten
möglichst tief abstechen,
Jungpflanzen ausstechen
G, V
Impatiens glandulifera
Impatiens roylei
Drüsiges Springkraut
vor der Blüte jäten,
wenn gemäht wird,
auf Nachblüten kontrollieren
V
Lonicera japonica
Japanisches Geissblatt
Sämlinge jäten
V
Ludwigia grandiflora
Grossblütiges Heusenkraut
Sämlinge jäten
V
Lysichiton americanus
Amerikanischer Stinktierkohl
Scheinkalla
Riesenaronstab
ausreissen
V
14 Natürlich | 5-2005
V, U
Neophyten NATUR
Erklärungen zu den Tabellen:
* Gefahren: D = Destabilisiert Böden, fördert Erosion
U = Unkraut kultivierter Flächen
G = Gesundheitsschädigend
V = Verdrängt einheimische Arten
Wissenschaftliche
Namen
Gegenmassnahmen
Gefahren *
Polygonum polystachyum Himalaya-Knöterich
Vieljähriger Knöterich
keine Verschleppung
durch Pflanzenteile
V
Prunus serotina
Padus serotina
Herbstkirsche
Sämlinge jäten
V
Reynoutria japonica
Fallopia japonica
Polygonum cuspidatum
Japanischer
Staudenknöterich
Fachperson zuziehen,
keinesfalls ausgraben
(Verschleppungsgefahr!),
evtl. mähen
V, D
Deutsche
Namen
Reynoutria sachalinensis Sachalin-Knöterich
+ R. X bohemica
+ Bastardknöterich
V, D
Rhus typhina
Rhus hinta
Essigbaum
wiederholt schneiden,
Wurzeln ausgraben
Robinia pseudoacacia
Falsche Akazie
Scheinakazie
Robinie
fällen regt Wurzelbrut an. Daher vorgängig
V
im 1. und evtl. 2. Jahr saftführenden Stammbereich zu 90 Prozent durchtrennen,
vor der Blüte ringeln, geschwächten Baum
im 3. Jahr zu 100 Prozent ringeln, dann fällen
Rubus armeniacus
Rubus procerus
Armenische Brombeere
Gartenbrombeere
Himalaya-Brombeere
aushacken
V
Senecio inaequidens
Senecio reclinatus
Senecio harveianus
Schmalblättriges Greiskraut
Südafrikanisches Greiskraut
ausreissen
V, U
Solidago canadensis s.l.
Kanadische Goldrute
grössere Flächen 2x mähen vor der Blüte
bzw. im September kleine Herde
vom Rand her jäten vor der Blüte.
G, U
Solidago gigantea
Solidago serotina
Spätblühende Goldrute
G, V
V
Natürlich | 5-2005 15