Zwiebeln, Maler und Scarlett Johanssons Gesicht – „Das Mädchen

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Zwiebeln, Maler und Scarlett Johanssons Gesicht – „Das Mädchen
Zwiebeln, Maler und Scarlett Johanssons Gesicht – „Das Mädchen mit dem
Perlenohrring“
Es ist wieder einer jener Anfänge – jener meisterlichen Anfänge –, die dem Zuschauer mit nur
einem Bild auf der Stelle erfühlen lassen, was es mit der Geschichte, die er sich gerade
erzählen lässt, auf sich hat: Griet schneidet Zwiebeln. Sehen tun wir die Köchin noch nicht,
nur die Zwiebel, in einer wunderschön ausgeleuchteten Großaufnahme, wie sie geschält und
geschnitten wird. Das Messer gleitet in Eleganz, in schwungvollen, schon lange
verinnerlichten Bewegungen, mit absoluter Präzision durch das saftige Fruchtfleisch. Wie soll
man dieses erste Bild von Peter Webbers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ begreifen?
Gar nicht. Wer im Kino das Denken anfängt, in der Hoffnung darauf, die Dinge besser zu
verstehen, der versteht alles – außer Kino. Diese geniale, einfache Zwiebel, die geschält und
geschnitten wird, sie bringt vielleicht das ganze Wesen dieses geheimnisvollen Mediums auf
den Punkt. In dem Moment nämlich, wenn wir sie im Kinosaal riechen können, wenn der
Geruch einer Zwiebel – den wir alle kennen – in uns geschaffen wird, durch die Bilder auf der
Leinwand, und dann, schließlich, wenn sie uns in den Augen brennt und wir trotzdem weiter
sehen wollen – dann, und nur dann, erfahren wir Kino. Es geht um eine Form der
Unmittelbarkeit, die nur die Bilder haben, und wo Sprache versagt, weil man sie erst
abstrahieren muss, d.h. geistig verarbeiten. Das ist die Schönheit des Bildes, dass es nichts
anderes sein kann, als das, was es ist. Diese Kunst ist heute das Kino, gestern war es die
Malerei. Und um die von Johannes Vermeer, des niederländischen Malers, geht es in diesem
Film – vornehmlich um sein wohl berühmtestes Gemälde, eben jenes geheimnisvolle schöne
„Mädchen mit dem Perlenohrring“.
Es ist Peter Webbers Leinwand-Debüt – und was für eines. Eine Geschichte in puristischer
Einfachheit erzählt, in intensiven, perfektionistisch-unprätentiösen Bildern eingefangen: Die
schöne Griet (Scarlett Johansson) kommt als Magd in das Hause der Familie Vermeer. Als
sich der Maler, gespielt von Colin Firth, immer obsessiver zu ihr hingezogen fühlt, gefährdet
das nicht nur das Familienwohl des Künstlers, sondern in erster Linie auch Griets Stellung als
Magd. Die Lage spitzt sich zu, als er von seinem lustmolchigen Gönner Van Ruijven (Tom
Wilkinson) den Auftrag bekommt, Griet zu malen – was der extrem eifersüchtigen und
zerbrechlichen Ehefrau ganz und gar nicht gefällt, besonders, als der Maler auf die Idee
kommt, Griet die geliebten Perlenohrringe seiner Frau tragen zu lassen.
Wenn man sich an Sofia Coppolas ruhiges Meisterwerk „Lost in Translation“ erinnert, dann
scheint Scarlett Johansson ein klares Faible zu haben, für Liebesgeschichten, bei denen
kleinste Berührungen zu den intimsten Momenten gehören, die die beiden Liebenden
austauschen – vielleicht sind es eben die stärksten. Und ist die Phase, bevor ein Paar
zusammenkommt, nicht sowieso die spannendste? Gefangen zwischen unerträglicher
Ungewissheit, überbordender Sehnsucht, höchsten Hoffnungen – gibt es nicht hier die
schönsten Blickkontakte, die immer alles sagen, und noch öfter nichts? Scarlett Johansson
weiß ihre verführerische Attraktivität geschickt einzusetzen; weiß, dass sie umso intensiver
ist, wenn sie in letzter Sekunde verwehrt wird, und sie, bis zum Ende, ein fast unberührbares
Objekt der Sehnsucht bleibt. Es ist ihr volles Gesicht, ihre vollen Lippen, diese großen Augen
– fast unwirklich wirkt es auf den Filmplakaten, diese personifizierte Weiblichkeit. Es ist ein
haptisches Leinwand-Gesicht, man möchte es anfassen, fühlen, man möchte Vermeer sein, es
abbilden, und ein Meisterwerk daraus machen. Man müsste sie zählen, die unzähligen
Großaufnahmen ihres Gesichtes, mit denen die Macher diese Geschichte erzählen – der Film
feiert regelrecht Scarlett Johanssons Gesicht, er nährt sich aus dem Mysterium, das er darum
aufbaut. Es geht auch fast weniger um die Person, die hinter diesem Gesicht steht, und das,
was sie von sich gibt – Scarlett Johanssons Dialogsätze lassen sich an zwei Händen abzählen
–; es geht um dieses extrem sinnliche, reine, natürliche, kaum geschminkte Gesicht, um die
reine Oberfläche. Wir sollen keine konstruierten, psychologischen, d.h. abstrakten, Gebilde
dahinter interpretieren, wir sollen es ansehen und auf uns wirken lassen – wir sollen es fühlen.
Das ist Kino. Vielleicht ist Scarlett Johansson selbst eine Zwiebel, eine einfache, natürliche
Zwiebel: Man sieht sie an, lässt sie auf sich wirken, dann fangen die Augen langsam an zu
brennen, sie tränen – und doch sieht man sie weiter an…
– „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist ein angenehm ruhig erzählter, ein warmherzig
und einfühlsamer, ein sinnlicher Film – ein Film für die Sinne. Ein ganz besonderes
Filmereignis.