Nr. 78-1 - Bundesregierung
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Nr. 78-1 - Bundesregierung
BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG Nr. 78-1 vom 1. Juli 2009 Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, zum Bericht zur Deutschen Islam-Konferenz vor dem Deutschen Bundestag am 1. Juli 2009 in Berlin: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich heute mit dem Bericht zur Deutschen Islam-Konferenz 2006 bis 2009 befasst. Die Bundeskanzlerin hat zu Beginn dieser Legislaturperiode in ihrer Regierungserklärung im November 2005 angekündigt, dass die Bekämpfung von Defiziten bei der Integration von Mitbürgern, die aus unterschiedlichen Teilen der Welt und aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu uns gekommen sind und mit uns leben, einer der Schwerpunkte dieser Legislaturperiode sein wird. In diesem Zusammenhang hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Kollegin Böhmer, den Nationalen Integrationsplan und den Integrationsgipfel als Dialogprozess entwickelt. Seit 2006 haben wir uns im Rahmen unserer Integrationspolitik mit diesen besonderen Beziehungen und der Tatsache auseinandergesetzt, dass der Islam ein Teil unseres Landes geworden ist. Damals haben wir angenommen, dass etwa 3,5 Millionen Muslime in unserem Land leben; heute wissen wir, dass es über vier Millionen sind. Sie haben einen Anspruch darauf – dieser Anspruch ist von vielen Seiten formuliert worden –, zum Beispiel hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften so behan- Bulletin Nr. 78-1 vom 1. Juli 2009 / BMI – z. Bericht zur Deutschen Islam-Konferenz vor BT -2- delt zu werden, wie es der gewachsenen Tradition in unserem Staatskirchenrecht und unserem Verfassungsrecht entspricht. Das betrifft auch den Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Darauf haben sie einen Anspruch. Wir haben gesagt, dass wir diesen Prozess beginnen und als ständigen Dialogprozess fortführen müssen. Wir müssen miteinander darüber diskutieren, was dieser Anspruch bedeutet. Unser freiheitlich ausgerichteter und weltanschaulich neutraler Rechtsstaat erteilt keine religiöse Unterweisung, sondern bietet nach Artikel sieben unseres Grundgesetzes Religionsunterricht in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kirchen und Religionsgemeinschaften an. Die Muslime sagen aber, sie seien nicht in einer Kirche zusammengeschlossen. Deswegen mussten wir zu dieser Frage einen Dialog beginnen. Wir sind in diesem Dialog weit gekommen. 15 Vertreter der Vielfalt muslimischen Lebens in unserem Land – das waren Vertreter der Verbände, die einen Teil der Muslime in unserem Land repräsentieren, aber auch Einzelpersönlichkeiten, die sich in der öffentlichen, demokratisch-pluralistischen Debatte hervorgetan haben – haben wir ebenso wie Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen in diese IslamKonferenz berufen. In diesen drei Jahren haben wir nicht nur in den Plenarkonferenzen, sondern vor allem in drei Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis intensiv gearbeitet und eine Fülle sehr konkreter Ergebnisse erzielt, die wir im Einzelnen in diesem Bericht darlegen, der Ihnen zur Verfügung gestellt werden kann. In der Plenarkonferenz der vergangenen Woche haben wir für diese Legislaturperiode in gewisser Hinsicht Bilanz gezogen. Natürlich ist im Zusammenhang mit dieser letzten Plenarkonferenz auch gesagt worden, dass es noch immer keine einheitliche Meinung der Muslime und der Verbände gibt. Die soll es auch gar nicht geben. Wir sind ein pluralistisch verfasstes Land. Wir haben die Vielfalt des Islam stärker wahrgenommen. Auch die Muslime haben sich stärker damit auseinandergesetzt und sie akzeptiert. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Integration. Wir haben Empfehlungen für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen entwickelt. Der Präsident der Kultusministerkonferenz und der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder haben an allen Beratungen teilgenommen. Die Länder Bulletin Nr. 78-1 vom 1. Juli 2009 / BMI – z. Bericht zur Deutschen Islam-Konferenz vor BT -3- sind dabei – diesbezüglich besteht völliges Einvernehmen –, diese Empfehlungen umzusetzen. In einer Reihe von Bundesländern gibt es bereits entsprechende Ansätze. Wir arbeiten daran – das haben wir in der vergangenen Woche noch einmal gemeinsam empfohlen –, dass in den Hochschulen in Deutschland islamische Theologie auch auf wissenschaftlicher Ebene gelehrt wird, um Religionslehrer auszubilden, aber auch, um Theologie zu betreiben. Auch das wird sicherlich ein wichtiger Schritt in den nächsten Jahren sein. Wir haben für die Kommunen praktische Handreichungen, zum Beispiel zu Fragen des Baus von Moscheen und zu Begräbnisriten, entwickelt. Wir haben gemeinsame Empfehlungen für die Lösung möglicher Konflikte im schulischen Alltag – hinsichtlich des Sportunterrichts für Mädchen bis hin zu vielen anderen Fragen – einvernehmlich erarbeitet. Wir haben einen Gesprächskreis eingesetzt, in dem die Vertreter der Muslime gemeinsam mit den Sicherheitsorganen zusammenwirken, um unserer gemeinsamen Verantwortung für die Friedlichkeit und die Toleranz unserer Freiheitsordnung gerecht zu werden. Wir haben nicht alles erreicht; aber wir haben die Wahrnehmung der Muslime in unserem Land ein Stück weit verändert. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie willkommen sind, wenn sie sich in unserer freiheitlichen Ordnung engagieren. Wir haben die öffentliche Meinung der Nichtmuslime in unserem Lande ein Stück weit dahin gehend entwickelt, dass wir Muslime nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfinden – immer unter der Voraussetzung, dass sich alle an Recht und Gesetz halten. Wir alle – Bund, Länder und Kommunen sowie alle Muslime mit ihren ganz unterschiedlichen Positionen – waren uns bei allen Unterschieden im Einzelnen einig, dass sich die Arbeit der vergangenen drei Jahre gelohnt hat und dass es wichtig ist, sie fortzusetzen. Deswegen sind wir nicht am Ende der Bemühungen; aber wir sind auf einem guten Weg. * * * * *