Kuba - luth. Landeskirche in Braunschweig

Transcription

Kuba - luth. Landeskirche in Braunschweig
Frauen in Kuba: Gesichter
des Wandels
Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich alles
anders ist? Ein Besuch bei den jungen Frauen
Kubas, die mit Fidel Castro großgeworden
sind und jetzt vor einer Zukunft ohne ihn
stehen.
Mehr bei BRIGITTE

WEBLOG: Yoani Sánchez über ihr Leben auf
Kuba

FORUM: Politik und Tagesgeschehen

Das Kuba-Quiz

Reisen: Kuba, Insel der Träume
Yuneiko sitzt am Treffpunkt der
Homosexuellen Havannas und redet über
erotische Experimente. Ihr knappes Top ist weiß,
der Rand um ihre Lippen schwarz, die Röhrenjeans
wirft Falten über ihren mageren Beinen. Yuneiko ist
30. Samstagnacht an der Ecke Calle G und La
Rampa kennt und küsst sie alle. Und wen sie nicht
kennt, so wie uns, von dem will sie erst mal die
sexuellen Vorlieben und Wünsche wissen. Hier, im
schwachen Licht von Kubas Hauptstadt, das nur
aus Autoscheinwerfern, Essensbuden und Bars
kommt, hat sich ein Fenster aufgetan. Geächtet
waren die Homosexuellen in Kuba, die Szene traf
1
sich versteckt. Seit Mariela Espín Castro, Direktorin
des Nationalen Instituts für Sexualerziehung und
Tochter des Präsidenten Raúl Castro, sich in den
letzten Jahren für ihre Rechte einsetzt, trauen sie
sich auf die Straße. Hier tragen sie ihre Sexualität
wie die Insignie einer neuen Freiheit vor sich her.
Und noch mehr Fenster sollen aufgehen. Raúl
Castro, der am 24. Februar zum offiziellen
Präsidenten Kubas wurde, redet viel vom
Wandel. Er hat einiges umgesetzt, was unter
seinem Bruder Fidel Castro als undenkbar
galt: Kubaner dürfen jetzt zum Beispiel Computer,
Handys und DVD-Spieler besitzen, und sie dürfen
in Hotels und an Strände gehen, die früher
Touristen vorbehalten waren. Die Einheitslöhne
sollen abgeschafft und Arbeit soll künftig nach
Leistung bezahlt werden. Im Fernsehen laufen die
US-Serien "Grey's Anatomy" und "Lost".
Portionsweise wird Kritik zugelassen, etwa in Form
von Leserbriefen in der Parteizeitung "Granma".
Aber spüren die Kubaner den Wandel auch?
Darüber möchte Yuneiko nicht reden. Sie hat es auf
einmal eilig, steht auf, zieht das Top über dem
Tattoo auf ihrem Bauch glatt und sagt zum
Abschied, samstags sei sie immer hier und offen
für sexuelle Fantasien. Aber so ein Gespräch sei
ihr zu heikel. Die eben noch so sorglose Yuneiko
wirkt jetzt verunsichert.
Mit jedem Fenster eröffnen sich Freiheiten, und
viele junge Kubaner leben sie auch aus. Aber noch
ist eine Mauer dazwischen, die sich niemand
einzureißen traut. Yuneiko gehört der Generation
an, die Fidel Castro und Raúl Castro überleben wird
und vor der großen Frage steht, was dann kommt.
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Die berühmten Gesichter der Karibikinsel gehören
bisher männlichen Revolutionären und den
Musikern vom Buena Vista Social Club. Wir haben
junge Frauen getroffen, die die Gesichter des
Wandels werden könnten.
Auf der nächsten Seite: Viele Ideen, viele
Mauern - Iliam Suárez

 Iliam, 30, möchte Filme drehen. Ideen hat sie
genug, Geld nicht. Sie hofft auf mehr Freiheiten,
denn sie will in Kuba bleiben und arbeiten.
 In einem kleinen Haus an einer von
Schlaglöchern zerfurchten Straße im
Wohnviertel Marianao arbeitet Iliam Suárez an
einem Film mit dem Titel "Desconectados", die
Unverbundenen. Iliam ist 30, und bisher
arbeitet sie vor allem mit ihrem Kopf. "In dem
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Film geht es darum, wie müde wir alle
sind", sagt sie leise aus ihrem gefleckten
grünen Sessel. Neben ihr wirbelt ein rostiger
Ventilator die schwüle Luft auf. In Iliams
schwarzen Haaren schimmert ein Rest von
Grünfärbung, im Nasenflügel sitzt ein kleiner
silberner Knopf, zwischen den Vorderzähnen
wird eine schmale Lücke sichtbar, wenn sie
lacht.
 Sie hätte es leicht haben können. Ihr
hübsches Gesicht war beim Fernsehen gefragt,
sie spielte in Filmen mit, wurde auf der Straße
erkannt. Irgendwann wollte sie nicht mehr,
wollte sich nicht auf den fünf kubanischen
Fernsehkanälen mit den Gesichtern der
Revolution recyceln lassen, "bis einen keiner
mehr sehen kann". Sie konzentrierte sich aufs
Theater, aber da hat die alte Generation das
Sagen. Jetzt arbeitet sie ab und zu als freie
Schauspielerin, bewohnt ihr Kinderzimmer im
Haus ihrer Eltern, hat den Kopf voller Ideen,
aber kein Geld, sie umzusetzen. Sie bräuchte
Zugang zu ausländischer Filmförderung, aber
der scheitert schon daran, dass sie so gut wie
nie im Internet ist. Kaum jemand kann sich
einen Computer leisten, und es gibt nur
wenige Internetcafés. Surfen ist sehr teuer und
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langsam, und manche regimekritische Seite
öffnet sich gar nicht. "Da ist eine Mauer, die
ich noch nicht durchbrechen kann", sagt Iliam.
Sie hat sich ihr Fenster selbst gesucht, sie
kriegt es nur noch nicht auf.
 Für ihren Film will sie Menschen
befragen, was sich ihrer Ansicht nach
ändern müsste in Kuba, möchte "durch alle
Schichten der Müdigkeit gehen". Aus dieser
Dokumentation will sie einen Spielfilm
entwickeln, an dessen Ende - plötzlich springt
sie auf, reckt den Finger in die Luft und lacht
spöttisch - "ich versuche, auf all das eine
Antwort zu geben".
 Raúl Castros Antworten sind für sie
keine. Seine Reformen bestehen bisher vor
allem aus ein paar mehr Waren in den Läden die Iliam sich nicht leisten kann. Wenn sie am
Theater arbeitet, verdient sie rund 24
konvertible Pesos im Monat. Das entspricht
einem Menü in einem Hotelrestaurant, acht
Dosen Tunfisch oder 24 Handy-Nachrichten.
Raúl Castro hat kürzlich gesagt, dass im
Staatshaushalt auch in absehbarer Zukunft
wohl kein Geld dafür da sein wird, um die
Gehälter zu erhöhen. Die Kaufkraft ist unter
anderem deshalb so niedrig, weil es zwei
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parallele Währungen gibt. Die staatlichen
Gehälter werden in kubanischen Pesos bezahlt.
Doch so gut wie alles, was nicht frisch vom
Bauern kommt, kostet konvertible Pesos. Die
sind an den US-Dollar gebunden und rund 24mal mehr wert.
 Auf der nächsten Seite: Maribel
Apanachy, die Fortschrittliche

 Maribel, 38, ist ein Überlebenstyp. Sie hat gelernt,
sich zu nehmen, was sie braucht - und sich durchs
System zu mogeln, wo es nötig ist.
 Maribel Apanachy hat seit fünf Jahren ein
Handy, "von einem deutschen Freund". Ein
Auto hat sie gerade verkauft, es war ein Polski
Fiat, 25 Jahre alt, und sie hat 3500 Dollar dafür
bekommen. Woher sie das hatte, wo doch
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kaum jemand ein eigenes Auto besitzt? Die
Frage wischt sie mit einem vagen "Business"
beiseite. Sie beherrscht, was Iliam nicht
interessiert: "improvisar y inventar",
improvisieren und erfinden. Das entscheidet im
Dschungel der kubanischen Widersprüche über
Haben und Nichthaben.
 Außerdem hat sie, was ihr harte Währung
bringt: Freunde in den USA, Mexiko, Europa Maribel Apanachy ist schon viel gereist, und sie
hat sich noch nie durch Verbote von den
Touristen fernhalten lassen. Sie stellt eine
Platte mit Langusten auf den Tisch ihres
überdachten Balkons im Stadtteil Playa, dazu
gibt es Reis und Kochbananen. Maribel ist 38
und überlässt es nicht mehr dem System und
der Zeit, wann sich in ihrem Leben etwas
tut. Sie hat gelernt, oben zu
schwimmen. Der Vater ihrer zwölfjährigen
Tochter zahlt keinen Peso, auch um ihre alte
Mutter kümmert sie sich allein. Und wenn es
sein muss, hintergeht sie das System - denn
"das System will es nicht anders".
 Die Ketten und Ohrringe aus Plastikperlen und
Muscheln, die Maribel immer passend zum TShirt trägt, bastelt sie selbst. Tütenweise trägt
sie sie zum Strand und verkauft sie an
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Touristen, wenn gerade keine Polizei da
ist. Kleine Privatunternehmen sind nach
wie vor streng limitiert und nur unter
Auflagen erlaubt. Wer beispielsweise ein
Zimmer für Touristen vermieten will, muss es
anmelden und pro Monat 250 Dollar dafür
bezahlen. Viele vermieten unter der Hand.
 "Ja, wir haben jetzt mehr Freiheiten", sagt
Maribel. Viele davon hat sie sich zwar schon
vorher rausgenommen, aber für sie sind das
Zeichen, dass sich wirklich etwas verändert.
"Raúl ist sehr schlau, weil er Schritt für Schritt
vorgeht." Sie glaubt an den Wandel, aber
andererseits fürchtet sie, dass er zu spät
kommt. Zu spät, weil viele Menschen
aufgegeben haben. "Sie sind paralysiert." Zu
spät auch, weil sie nicht weiß, ob sie für kleine
Schritte noch die Geduld hat. Sie hat einen
großen Traum: "Morgens aufzuwachen und das
Meer zu sehen." Sie spart auf ein Haus am
Strand und ein besseres Leben für ihre Tochter.
Bis die 18 ist, gibt sie dem System noch Zeit.
Wenn Kuba bis dahin keine größeren Schritte
gemacht hat, "dann bin ich weg". Maribel hält
sich ihr Fenster immer einen Spalt weit offen.
 Auf der nächsten Seite: Rosa Diaz
fürchtet den Wandel
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
 Rosa, 37, fürchtet den Wandel. Sie sagt, sie ist
zufrieden mit dem, was sie hat. In ihrer Hütte bei
Pinar del Río betreibt sie ein Nagelstudio.
 Richtung Havanna-Zentrum geht es durch
einen Tunnel, dann beginnt die Uferstraße
Malecón, die am Meer verläuft, bis in den alten
Stadtkern. Fischer stehen wie aufgefädelt an
der Mauer und werfen ihre Angeln Richtung
Norden, Richtung Florida, ins ungestörte Blau
des Wassers. Boote gibt es hier nicht, es sei
denn, sie fahren Patrouille. Der Verkehr fließt
ohne Eile dahin. Nichts geht schnell auf
Kuba, aber alles geht irgendwie. In den
wenigen hellen Cafés im Zentrum sitzen
Touristen, Kubaner sitzen überall, wo ein
bisschen Schatten ist.
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 Im Supermarkt gibt es Wasser, Säfte, Kaffee
und Rum, Mayonnaise, Schokolade und Essen
in Dosen für konvertible Pesos. Für kubanische
Pesos finden wir rosafarbenes Klopapier, von
der Zeit gebleichte Haarspangen und
Bauarbeiterhelme aus China. Die Parteizeitung
"Granma" hat jeder Straßenhändler. Andere
erlaubte Schriften wie die Frauenzeitschrift
"Mujeres" soll es geben, in Kiosken oder
Buchläden sind sie allerdings nicht zu finden.
In Alt-Havanna gibt es einen Benetton-Laden,
Handys und Computer-Zubehör liegen
vereinzelt in dunklen Schaufenstern. Der
Konsum hat gerade mal eine Zehenspitze
auf diese Insel gesetzt.
 150 Kilometer weiter westlich nicht mal das.
Links und rechts der Landstraßen um die Stadt
Pinar del Río liegen Palmenhaine, Tabakfelder,
braches Land und einfache Holzhütten. Die von
Rosa Diaz ist weiß gestrichen. Rosa ist 37
und lebt in einem Raum mit ihrem Sohn
Daniel. Sie hat einen kleinen roten Fernseher,
zwei Kochplatten und eine große Hoffnung:
dass wieder jemand kommt wie Fidel. Dass
alles bleibt, wie es ist. Sie teilt diese Hoffnung
mit ihren Nachbarinnen, die oft bei ihr
vorbeikommen, weil Rosa ihnen für drei
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kubanische Pesos die Fingernägel macht. Für
vier malt sie die Nägel auch an. Sie teilt diese
Hoffnung auch mit allen Leuten in der Gegend,
die mit uns sprechen.
 Es wäre einfach zu sagen: Auf dem Land haben
die Menschen mehr Angst vor Veränderungen.
Aber so einfach ist es nicht. Auch Studenten in
Havanna denken wie Rosa. Eine
Medizinstudentin erzählt uns, sie habe fast
weinen müssen, als Raúl die Reformen bekannt
gab, und sie hoffe, dass die großen Ideen der
Revolution erhalten bleiben. Ob diese
Menschen wirklich zufrieden sind oder ob sie
romantisch verklären, was bisher als
unveränderlich galt, ist schwer zu
sagen. Vielleicht haben sie sich wirklich
eingerichtet in einem Leben, das uns klein
und arm erscheint - und der Wandel wirkt wie
eine große Bedrohung für sie. Vielleicht steht
Kuba vor Konflikten zwischen diesen Menschen
und den anderen, denen die Veränderungen
nicht schnell genug gehen können. Es ist nicht
leicht einzuschätzen, welche Rolle die Angst
spielt.
 Auf der nächsten Seite: Yoani Sánchez
kämpft für die Freiheit
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 Ein bisschen klarer sieht eine, die zwei Jahre in
Zürich gelebt hat, die schon ausgebürgert war
und freiwillig zurückkam, eine, die sagt, sie
esse kaum, sie besitze wenig, sie könne auf
alles verzichten, nur auf eines nicht: zu sagen,
was sie denkt. Yoani Sánchez ist 32. Sie hat
sich ihr Fenster in die Freiheit selbst aus
der Mauer der Verbote geschlagen. Mit
ihrem Mann, dem Journalisten Reinaldo
Escobar, gründete sie vor fast vier Jahren
"Consensus", eine Internet- Plattform, auf der
ihr Weblog "Generation Y" erscheint. "Y" steht
für die vielen Y-Vornamen in dieser Generation.
Sie erzählt darin aus ihrem Alltag. Von der
Langeweile ihres Sohnes Teo, der die Hälfte
seiner Schulzeit vom Erziehungsfernsehen
unterrichtet wird, weil wegen der schlechten
Gehälter keiner mehr Lehrer werden will. Von
den Bezugsscheinen für rationierte
Lebensmittel, die die Kubaner immer noch
bekommen. Vom Schwarzmarkt, ohne den kein
Tag vergeht.
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
 Yoani, 32, ist Kubas stiller Star. Einen Preis, den sie
in Spanien für ihr Weblog bekam, konnte sie nicht
abholen: Ihr Visum wurde verzögert, bis es zu spät
war.
 Von ihrem Wohnzimmer im zwölften Stock
eines Plattenbaus kann Yoani über die Dächer
von Havannas Stadtteil Nuevo Vedado
blicken. "Die wichtigste Veränderung",
sagt sie, "ist, dass die Menschen
Meinungen äußern, die sie vor zwei
Jahren nie laut gesagt hätten. Meinungen,
die sich auch gegen das System richten. Sie
reden mit etwas weniger Angst - aber dieser
Wandel geht nur langsam vorwärts." Manchmal
habe auch sie Angst. "Davor, was ein großer
Staat mit mir kleinem Individuum machen
kann." Sie glaubt, dass ihr Telefon abgehört
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wird - das dauernd klingelt, seit sie für ihr
Weblog den spanischen Ortega-y-GassetJournalistenpreis gewonnen hat und das "Time
Magazine" sie auf jene Liste gehoben hat, die
in Holz gerahmt in der Ecke ihres
Wohnzimmers hängt: die der 100
einflussreichsten Menschen 2008.
 In den USA, wo die kubanische Exilgemeinde
am größten ist, hat Yoanis Blog die meisten
Leser. Die Texte sind nur kurz. Wo wenige
Stunden Internet einen Monatslohn fressen, ist
Bloggen Luxus. Der einzige Luxus, den Yoani
sich leistet. Sie weiß von anderen Bloggern,
"aber wir sind alle voneinander
abgeschnitten". Es gibt wenige Gruppen, die
ihre Meinungen austauschen, und noch ist jede
für sich.Es gibt überall Forderungen und
Wünsche, aber niemanden, der sie
bündelt. Yoani will dieser Jemand nicht sein,
sie betont immer wieder, sie sei unpolitisch.
Von Politik zu reden sei "hässlich" in ihrer
Generation. Wen sie sich denn an der Spitze
des Staates wünschen würde? "Bloß keinen
Charismatiker! Einen, der zuhört und umsetzt,
was die Menschen wirklich wollen."
 Yoani schreibt in ihrem Blog auch von
dem leeren Stuhl, den sie an jedem
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Weihnachten für ihren Freund Alfonso an den
Tisch stellt. Adolfo Fernández Saínz, ein
Journalist, wurde vor fünf Jahren
festgenommen, zeitgleich mit 74 anderen
Regimekritikern, und wegen seiner Texte zu 15
Jahren Haft verurteilt. Die Frauen und Mütter
der Inhaftierten, darunter Alfonsos Frau Julia
Nunez Pacheco, treffen sich jeden Sonntag
beim Gottesdienst in der Santa Rita an der
Avenida Cinco. Danach marschieren sie auf
dem Platz vor der Kirche auf und ab, ganz in
Weiß gekleidet, rosafarbene Gladiolen und
Kuba-Fähnchen in der Hand - die "Damas de
Blanco".
 Auf der nächsten Seite: "Damas de
blanco" - gefährlicher Protest

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 Die "Damas de blanco" marschieren jeden Sonntag
vor der Kirche Santa Rita - für ihre Männer und
Söhne, die im Gefängnis sitzen, weil sie als
Regimekritiker gelten.
 Wir treffen sie vor der Kirche. Julia ist 60. Sie
streicht sich mit beiden Händen über das
Gesicht. "Make-up", sagt sie. "Die Reformen
sind nichts als Make-up." Da stehen sie
zusammen, 15 Frauen, einig darin, dass sie
dem Staat erst dann glauben, dass sich
wirklich etwas ändern soll, wenn ihre Männer
wieder nach Hause kommen. Dass das bald
passieren wird, glauben sie nicht.
 "Chicas", ruft eine Frau, die sich aus einem
vorbeifahrenden Auto lehnt, und schickt ein
paar Durchhalteparolen hinterher. Niemand
steigt aus, niemand stellt sich dazu - und auch
wir sollten lieber gleich wieder gehen, denn sie
seien unter ständiger Beobachtung, meinen
sie. Ein Mann steht daneben und macht
Fotos. Hier wird die Angst zum ersten Mal
sichtbar für mich. Solidarität mit den
"Damas de Blanco" ist nicht gewünscht, und
durch die Dauerbeobachtung wird sie
abgeschreckt.
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
 Yari, 24, und Nono, 32, machen Hiphop-Musik - ihr
Weg, ihre Meinung zu sagen. Ihr Top und die Jeans
hat Nono (rechts) selbst gestaltet, auch die Graffiti
an dieser Wand sind von ihr.
 Aber es gibt Solidarität.Wir finden sie im
Hinterhof eines der vor sich hin bröckelnden
ehemals stattlichen Wohnhäuser im Stadtteil
Vedado. "Venceremos", wir werden siegen,
steht auf einem Aufkleber an der Tür, daneben
das grimmig entschlossene Gesicht von Che
Guevara. Dahinter tut sich ein dunkler Raum
auf, rechts die Kochecke, links der Kühlschrank,
rund und retro wie so vieles in Havanna.
Dahinter das Sofa, auf das Nono und Yari sich
vor der Hitze geflüchtet haben.
 Nono ist 32, hat immer noch den
durchtrainierten Körper der Ballerina, die sie
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mal war, lange Rastazöpfe und ein
schüchternes Lachen. Sie wurde vor ein paar
Jahren zur Graffiti- und Performance-Künstlerin.
Yari ist 24, hat die krausen Haare straff
zusammengebunden und Entschlossenheit im
Blick. Sie schmiss ihren Job am Flughafen und
wurde DJane. Niemand fand das gut, ihre
Familien nicht und die Jungs nicht, in
deren Domäne sie sich vorwagten:
HipHop.
 Die beiden gehören zur achtköpfigen
Frauengruppe "Omega Kilay". "Für die
Regierung ist das, was wir machen,
imperialistische Musik", sagt Yari. "Die
haben Angst vor unseren Texten." Sie schaltet
die kleine Anlage an, dann hören wir die
Mädels singen, von der Unterdrückung der
Frauen, von ihrem Stolz, von den "Damas de
Blanco": "Treat me like a queen and not like a
beast. These are my words, we are still human
beings. I have my name, my pride, don't
wanna be a slave all the time..."
 HipHop und Zusammenhalten, das ist ihr
Fenster. Und nicht nur ihres, die weibliche
Hiphop-Szene auf Kuba wächst. Dort können
die Frauen Rebellinnen sein und sich den Frust
von der Seele texten. Für "Omega Kilay" geht
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es langsam voran. Sie haben Auftritte in
kleinen Locations im ganzen Land, irgendwie
haben sie auch in einem Hinterhofstudio eine
CD zusammengeschustert. Aber auch sie sind
voneinander abgeschnitten. Denn fünf der acht
Frauen leben inzwischen in Kalifornien. Sie sind
emigriert, wie so viele. Zigtausende Menschen
verlassen jedes Jahr die Insel.
 Die Frauen, die wir getroffen haben,
wollen bleiben. Sie hoffen, dass die
wirtschaftlichen auch politische Freiheiten mit
sich bringen. Sie alle wünschen sich, dass es
wirklich Schritt für Schritt weitergeht und die
ersten Reformen nicht das alte System in einer
etwas anderen Verpackung erhalten sollen. Sie
haben aber noch einen anderen Grund zu
bleiben: "Als ich in Europa war, habe ich mich
erst richtig in mein Land verliebt", so drückt
Maribel Apanachy aus, was sie alle empfinden.
Und es ist keine blinde Liebe, sie haben
Vergleiche. Iliam war für drei Monate in Wien,
Nana in Dänemark, Maribel war mehrmals in
Ungarn. Sie hätten wegbleiben können, aber
sie kamen zurück. Es war ihnen in jeder
Hinsicht zu kalt anderswo. Sie wollen in Kuba
leben, aber in einem anderen Kuba.
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 Von der Ecke Calle G und La Rampa Richtung
Meer geht es bergab. Die Promenade ist
samstagnachts voller Jugendlicher, die mit
Gitarren und scheppernden Mini- Anlagen im
Dunkeln sitzen. Die lichtlosen Straßenlaternen
ragen geisterhaft über ihnen in den
Nachthimmel. Nur für die Ampeln reicht der
Strom. Die Ampel ein paar Ecken weiter
allerdings hat einen Defekt. Rot heißt auch bei
ihr Stopp. Wenn es weitergeht, dann
leuchtet sie rot und grün. Gleichzeitig.
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Kuba auf eigene Faust
Touristenghetto à la Varadero? Muss nicht
sein. Wer Kuba auf eigene Faust bereist, wird
reich belohnt - mit herzlichen Menschen,
paradiesischer Natur und liebevoll gemixten
Mojitos. BRIGITTE.de-Redakteurin Susanne
Arndt war drei Wochen lang unterwegs und
hat die besten Tipps mitgebracht.

Kuba-Weblog: Generation Y

Frauen in Kuba: Gesichter des Wandels
Der alte Chevy-Motor röhrt, die mächtige rote
Rückbank wiegt uns sanft im Takt der Bodenwellen.
"Quieres un cigarro?", bieten die Frauen, die hinten
sitzen, dem Fahrer Zigaretten an. Hinten, das ist
da, wo einst der Laderaum war. Heute sind dort
zwei winzige Holzbänke für Tramper eingebaut,
denn Tramper bedeuten extra Cash für unseren
Fahrer Paolo.
Mein Freund und ich haben Paolo heute morgen am
Busbahnhof von Cienfuegos kennen gelernt: Er bot
an, uns die 300 Kilometer nach Batabanó zu fahren
- für 50 Dollar, genauso viel, wie uns die zwei
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Tickets für den Bus gekostet hätten. Jetzt sind wir
auf dem Weg zum Fähranleger in Batabanó, wo wir
zur sagenumwobenen Pirateninsel "Isla de la
Juventud" übersetzen wollen.
Die Magie des Dollars
Paolo ist einer der neureichen Kubaner, die
Touristen ihre Dienste anbieten, um an die
begehrten US-Dollars zu kommen - illegal zwar,
denn er darf keine Devisen am Staat vorbei
verdienen, aber es lohnt sich. Seit der Einführung
der amerikanischen Währung im Jahre 1993 gibt es
vieles nur noch mit "devisas" zu kaufen.
Luxusgüter wie Kosmetika und Pflegeprodukte
sowieso, aber eben auch nützliche Dinge wie
Baumaterial und Benzin. Der Kraftstoff ist knapp,
seit der ferne Bruder hinter dem Ural seine
Zuwendungen eingestellt hat - und deshalb
müssen die Bauern auch wieder ihre Ochsen vor
die Pflüge spannen.
Armut ja, Elend nein
Immer wieder begegnen wir Fahrradfahrer auf der
"autopista", der Autobahn, die sich quer durch das
Land zieht: Eine tote Ziege auf dem Gepäckträger,
geräucherte Schinken an der Lenkstange, eine
Hochzeitstorte auf dem selbstgezimmerten
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Anhänger - so ist hier mancher Kubaner unterwegs.
Es herrscht wenig Verkehr, denn für Autos ist kaum
Geld da, und wenn das Geld da ist, fehlen die
Autos.
Die Kubaner sind nicht reich, nein, aber Elend ist
nirgendwo zu sehen - anders als in anderen
lateinamerikanischen Ländern, wo Ghettos und
zugrundegerichtete Menschen zum Straßenbild
gehören.
Bei Iraida auf der Isla de la Juventud
Gut drauf und immer hilfsbereit: Unsere Vermieterin Iraida
mit ihrem Mann
Wie jeden Abend taucht die Abendsonne die
kegelförmigen Marmorberge rund um Nueva
Gerona in warmes Licht. In dem Maße wie der
Himmel errötet, scheint das kleine Städtchen zu
erwachen. Hier oben auf dem Dach unseres "Casa
Particular", in dem wir uns eingemietet haben,
lassen wir uns einlullen - von der Musik, die aus
den Häusern dringt, dem Hämmern und Sägen,
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dem Grunzen der Schweine, von den Stimmen der
Menschen und Fernseher, dem
erbarmungswürdigen Krächzen der Hähne ... da
entlässt die Glocke der benachbarten Abendschule
die SchülerInnen in den Feierabend. Es ist 19 Uhr Zeit für uns, beklommen die Wendeltreppe zur
Terrasse hinabzusteigen. Denn dort wartet die
allabendliche Mastkur auf uns.
Der Tisch, neben dem ein russischer Kühlschrank
lautstark seine Dienste tut, biegt sich unter Tellern
mit Gurken- und Krautsalat, Reis, schwarzen
Bohnen, Fleisch, Früchten, Malanga und Yuka. Es
hilft nichts: Auch wenn wir jeden Abend Unmengen
stehen lassen und immer wieder betonen, dass es
zwar köstlich aber viel zu viel war - es gibt keine
Gnade. Ob die kubanische Regierung den
Betreibern der Privatpensionen auferlegt, den
ausländischen Gästen Überfluss zu demonstrieren,
wissen wir nicht. Die Kubaner jedenfalls geben sich
mit einem Teller Reis und Bohnen zufrieden.
Da kommt auch schon Iraida anmarschiert,
freudestrahlend Törtchen und Eis balancierend: Wie
jeden Tag hat sie eine "Überraschung" für uns zum
Nachtisch aufgetrieben. Kuchen oder Erdbeereis
zum kleinen schwarzen Kaffee - oder eben beides.
Denn so viel ist sogar bis nach Kuba
24
durchgedrungen: Deutsche essen gern Kuchen
zum Kaffee ...
Kurzinfo Isla de la Juventud
Die für Kuba typischen Königspalmen spenden beim
Wandern Schatten. Hier halten sich leider auch die Moskitos
am liebsten auf...
Robert Louis Stevenson ließ sich von den
Aktivitäten der Piraten auf der "Isla" zu seinem
Roman "Die Schatzinsel" inspirieren. Wer hier nach
Schätzen sucht, muss auch nicht weit gehen: Zu
Fuß kann man von Nueva Gerona aus den Norden
der Insel entdecken - die Zuckerrohr-Felder, die
Haine aus den für Kuba typischen Königspalmen,
idyllisch anmutende Agrar-Gemeinschaften und die
tropisch bewachsenen Marmorhügel. Oder Sie
fahren ein paar Kilometer - am besten mit dem
Fahrrad oder vielromantischer mit dem
Pferdewagen, den man für zehn Dollar am Tag
samt Kutscher mieten kann. Auf dem Weg zum
"Playa Paradiso" sollten Sie unbedingt das Museum
"Presidio Modelo" anschauen: Ein gigantisches
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Gefängnis aus der Batista-Ära, in dem einst auch
Castro und seine Genossen einsaßen.
Der südliche Teil der Insel ist Naturschutzgebiet.
Diesen kann man nur im Rahmen einer
organisierten Tour besuchen: Um die Höhle "Cueva
de Punta del Este" anzuschauen, die unter
Archäologen als Sixtinische Kapelle der karibischen
Indianer gehandelt wird. Und um am einsamen
Strand die sanften Wellen zu genießen.
Hinkommen: Mit der Fähre (6 Stunden) oder dem
Schnellboot "Kometa", 2 Stunden mehrmals täglich
von Surgidero de Batabanó. Wahlweise mit dem
Aerotaxi täglich ab Havanna und Varadero.
Wohnen:
"Villa Felicidad"
Iraida Hernandez
Calle 36 zwischen ("entre") 35 und 37, Nr. 3504
Nueva Gerona
Tel. (61 für die Insel) -2 10 47
Iraida vermietet ein großzügiges Doppelzimmer.
Nueva Gerona liegt im Norden der Isla und ist ein
guter Ausgangspunkt.
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Kurzinfo Trinidad
Tageserwachen in der einstigen Stadt der Zuckerbarone
1988 wurde die ehemalige Zuckerhauptstadt
Trinidad zum Weltkulturerbe erklärt. Entsprechend
restauriert sind die anderswo verfallenden
Kolonialbauten der einstigen Zuckerbarone. Ein
beschauliches Städtchen zwischen Hügeln
und Meer - mit Kopfsteinpflaster, Pferdewagen und
vielen amerikanischen Straßenkreuzern.
Zahlreiche Paladares (Privatrestaurants), Casa
Particulares (Privatpensionen), ein Internet-Café
und ein Dollar-Supermarkt machen dem müden
Urlauber das Leben leicht. Die zahllosen Son- und
Salsa-Bands, die hier zu Hause sind, spielen
überwiegend für Touristen. Sehr schön ist das nahe
gelegene Valle de los Ingenios (Tal der
Zuckerrohrmühlen). Tagestouren mit Taxi oder Bus
zum Playa Ancón (vier Kilometer palmenloser
Strand mit guten Tauchmöglichkeiten) sind
möglich. Hier gibt es auch ein paar wenig
einladende Hotels.
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Wohnen:
Belkis und Rolanda
Calle José Marti Nr. 331
Tel. (419 für Trinidad) -4398
Schöne Zimmer und ein Innenhof voller Pflanzen
und Vögel. Das Essen ist gut, die Leute sind nett.
Sehr zentral gelegen.
Kurzinfo Cienfuegos
Abendstimmung an der Bucht: Blick vom Palacio de Ferrer
auf den Parque José Martí
Sehr viel weitläufiger als Trinidad ist Cienfuegos,
auch "Perle des Südens" genannt: Breite
Prachtstraßen statt enger Gassen, große Plätze
und mehrstöckige Gebäude. Die kolonialen und
neoklassizistischen Gebäude sind auch hier relativ
gut erhalten. Die Stadt liegt in einer schönen
Bucht, auf der Landzunge "Punta Gorda" haben
einst spanische und französische Aristokraten
residiert.
Wohnen: Nach dem zweifelhaften Genuss von
sechsbeinigen "Gewürzen" in der Suppe, möchten
28
wir Ihnen unsere Unterkunft nicht empfehlen ... Die
schönsten Casa Particulares liegen - allerdings
etwas abgelegen - in Punta Gorda. Dafür gibt es
ganz im Süden der Landzunge exzellente Mojitos,
die sich besonders bei
Sonnenuntergang genießen lassen (Insektenschutz
mitbringen!).
Kurzinfo Havanna
Zeugen einstigen Reichtums: Villa im Vedado
Die vielen Sehenswürdigkeiten und Museen der
Karibikmetropole sind an einem Tag nicht zu
bewältigen. Touristen bewegen sich vor allem in La
Habana Vieja (Altstadt), Habana Centro und dem
Vedado. Ein Klassiker ist natürlich auch der
Malecón, Havannas berühmte Strandpromenade,
die entgegen gängiger Klischees weniger
karibischen als sozialistischen Charme versprüht.
Hier steht auch das seinerzeit glamouröse Hotel
Riviera, das US-Gangster Meyer Lansky in den 50er
Jahren im Las Vegas-Stil erbauen ließ.
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Wohnen: Am entspanntesten ist es im Vedado,
dem einstigen Residenzviertel Havannas, wo sich
nach 1898 vor allem Amerikaner niederließen. Wen
es nicht stört, dass sich der Putz von den einst
prächtigen Villen schält und die Wurzeln der
Urwaldriesen die Gehwegplatten sprengen, kann
sich hier gut von der Hektik der Altstadt ausruhen.
Tipp:
Francisco Rodríguez Sánchez
Calle 17, zwischen C und D, Nr. 558
Vedado
Tel. (7 für Havanna) -32 5003
Eine der wenigen restaurierten Villen im Vedado,
mit einem Schatten spendenden Baum im
Hinterhof.
Kurzinfo Viñales
Das Tabakanbaugebiet rund um Viñales
ist wunderschön: Bizarre Kalksteinkegel
("mogotes"), ähnlich wie in Südchina, erheben sich
in der fruchtbaren Gegend. Wie überall in der
Provinz Piñar del Rio gibt es Palmenhaine, Tabakund Malanga-Felder, dazwischen kleine Bauernund Trockenhäuser, in denen die Tabakblätter
getrocknet werden.
30
Die Attraktion der Villa Odalys sind die Bewohner: Odalys'
Vater Tonio (links) wird Sie mit enthusiastisch gemixten
Mojitos beglücken
Man kann einfach vom Ort aus loslaufen, sich
treiben lassen oder eine der zahlreichen Höhlen
besuchen. Fahrräder und Mopeds gibt es auch zu
mieten. Auch ein Strandausflug zur Cayo Jutías,
einer winzigen Insel nördlich von Viñales, lohnt
sich. Am weißen Sandstrand kann man wunderbar
alleine sein und das türkisblaue Meer genießen.
Die Insel ist durch einen Damm mit dem Festland
verbunden. Viñales selbst ist nicht viel mehr als
eine Dorfstraße.
Wohnen:
Villa Odalys
Carretera Cementerio Nr. 24 A
Viñales
Reise-Infos Kuba
Reisezeit: Die angenehmste Reisezeit ist von
November bis April. In der Trockenzeit herrschen
tagsüber durchschnittlich 27 Grad, abends kann es
31
im kubanischen Winter etwas kühl werden. In den
Weihnachtsferien ist allerdings Hochsaison - die
Preise steigen und viele Orte sind überfüllt.
Einreise: Europäische Touristen benötigen neben
dem Reisepass mit noch mindestens 6-monatiger
Gültigkeit eine "Touristenkarte". Sie ist in
Reisebüros erhältlich. Viele Reisebüros knüpfen
den Verkauf der Karten an eine Hotelbuchung suchen Sie sich eines aus, das davon absieht. Die
Immigrationsbehörden in Kuba können jedoch
Ärger machen, wenn Sie auf der Touristenkarte
kein staatliches Hotel als Reiseziel angegeben
haben. Tragen Sie einfach ein beliebiges ein, das
Sie in Ihrem Reiseführer finden. Und dann geht's
mit dem Taxi zum nächsten Casa Particular ...
Sprache: Wer auf eigene Faust durch Kuba reist,
sollte unbedingt etwas Spanisch können. Kaum
jemand spricht Englisch, ein paar wenige, die in
der ehemaligen DDR gelebt haben, sprechen
Deutsch.
Geld: Es gibt drei Währungen - den Peso, den Peso
Convertible und den US-Dollar. Generell bezahlen
Touristen mit US Dollars oder dem gleichwertigen
Peso Convertible. Einzige Ausnahme: Eis, Pizzen
und Säfte an Straßenstränden. Es gibt noch keine
32
Bankautomaten, die Gebühren für Traveller
Cheques sind recht hoch. Am besten viel Bargeld,
wenig Traveller Cheques (keine amerikanischen!)
und eine Kreditkarte (dito) mitnehmen: Durch die
omnipräsenten Zivilpolizisten ist es sehr
unwahrscheinlich, bestohlen zu werden.
Wohnen: In jeder Hinsicht zu empfehlen sind die
"Casa Particulares" (Privatpensionen), die mit
einem blauen Dreieck an der Tür gekennzeichnet
sind. Verpflegung als auch Unterkunft sind hier in
der Regel besser und günstiger als in den
staatlichen Hotels und Restaurants. Für die
Kubaner ist die Zimmervermietung sowohl Chance
als auch Risiko. Unabhängig von der Nachfrage
müssen sie hohe Steuern bezahlen - andererseits
bietet die Vermietung Zugang zu den begehrten
Devisen.
Rumkommen: Am praktischsten aber auch
teuersten ist es, ein Auto zu mieten, da der
öffentliche Nah- und Fernverkehr nicht sehr gut
ausgebaut ist. Stellen Sie sich aber darauf ein,
dass statt der anderswo üblichen Wegweiser
Propaganda-Schilder die Straßen säumen. Für
kubanische Arbeiter gibt es Trucks, die aber keine
Ausländer mitnehmen, viele Einheimische
trampen. Wer sich gegen einen Mietwagen
33
entscheidet, kann aber überall Taxen, Privatautos,
Pferdewagen, Fahrräder oder Mopeds mieten - für
Abstecher an die Strände oder ins Umland.
Strände: Wer vor allem wegen der Strände nach
Kuba reist, sollte eine Pauschalreise buchen. Die
schönsten, nämlich palmengesäumten Strände
sind meist in der Hand von Hotelketten, die für
Individualtouristen sehr teuer sind (ab 110 US $
aufwärts). Die Strände, die für Kubaner zugänglich
sind, sind oft weniger schön. Dennoch gibt es
einige schöne unbewohnte Strände für Tages- oder
Campingtrips.
Orientierung: Die Kuba-Karte
von www.lonelyplanet.com bietet einen ersten
Überblick über die Insel. Der englischsprachige
Reiseführer "Cuba" von Lonely Planet ist sehr zu
empfehlen. Wer lieber an einer organisierten Reise
teilnimmt, wird beim
Spezialreiseveranstalter www.cubastartravel.comfü
ndig.
34
Mit dem Fahrrad durch
Kuba
Der Rum ist lecker, die Natur paradiesisch,
der Abhängefaktor top und das
Fortbewegungsmittel sportlich: Harriet Wolff
war mit dem Fahrrad auf Kuba unterwegs.
Die Verkehrslage auf der A4 ist
entspannt. Alle paar Minuten rauscht hupend ein
bonbonfarbener Oldtimer, ein klappriger
Lastwagen oder ein mehr oder weniger luxuriöser
Touristenbus an uns vorbei. Ansonsten teilen wir
uns die holprige Autobahn, die durch die Tropen in
Richtung Las Terrazas führt, ganz legal mit
winkenden und johlenden Schulkindern und ein
paar Bauern auf Ochsen- oder Pferdekarren. Dazu
säumen sozialistische Losungen wie "Immer bis
zum Sieg" die Strecke, schwungvoll aufgemalt an
35
Brücken, die auch schon mal ins Nichts führen.
Vieles ist hier unvollendet - auch Castros in die
Jahre gekommene Revolution. Fahrräder haben auf
Kuba mittlerweile Seltenheitswert, obwohl das
Regime noch in den neunziger Jahren unzählige
verschenken ließ.
Übrig geblieben ist ein breites Grinsen der Kubaner
für uns locos, Wahnsinnige, die sich freiwillig auf
ihrer Insel abstrampeln. Wobei "abstrampeln" das
falsche Wort ist - dazu ist die Tour viel zu
entspannt, wir Teilnehmer auch, und 45 Kilometer
sind unser moderates Tageshöchstpensum.
Außerdem wird schön gemütlich das Gepäck im
Bus hinterhergefahren, selbst schattenfreie
Bergfahrten schrecken deshalb keinen so wirklich.
Entspannter kann eine Radtour nicht sein: mit Stränden
zum Chill-out, Cocktailbars direkt neben der Strecke,
applaudierenden Kubanern am Straßenrand, Rum und jeder
Menge zum Gucken
Yunior aus Havanna, einer der beiden Reiseleiter,
hütet uns wie seinen Augapfel. Und lässt sich von
36
17 Menschen, die im Eigentempo radeln oder
fotografieren, nicht aus der Ruhe
bringen. "¡Despacio, despacio!" ist sein Motto,
während er uns auf seinem Rennrad überholt.
Schön locker und langsam! Am besten also laufen
lassen, immer nur laufen lassen - während der
Reise wird mir mehr und mehr klar, dass dieser Rat
hier nicht nur fürs Rad wichtig ist. Für
Kontrollfreaks jeder Art ist Kuba die falsche
Destination. Auf der kurvigen Bergabfahrt in der
tropisch überwucherten Sierra del Escambray hin
zu unserer Mittagspause wünsche ich mir jedoch
sehnlichst mein olles Rad von daheim her, schön
mit Rücktritt. Meine Hand ist schon ganz
verkrampft vom Bedienen der Vorderradbremse
des 21-Gang- Touringrads.
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Kuba auf eigene Faust
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Frauen in Kuba: Gesichter des Wandels
Bilder-Rätsel: Finden Sie die Fehler?
Reise: Aktuelle Themen auf einen Blick
Die "Dschungelbuch"- Kulisse rings um mich herum
nehme ich trotzdem mit allen Sinnen wahr. So
muss das Paradies aussehen: Miniatur- Wasserfälle
rauschen in Palmenhainen, die in allen Grüntönen
37
leuchten. Strahlend rote und apricotfarbene
Hibiskusblüten fallen in Kaskaden den Hang hinab,
es duftet würzig und süß zugleich. Hoch über mir in
der flirrenden Luft kreisen schwarze Truthahngeier,
ihre roten Köpfchen blinken in der Sonne. Und jetzt
treibt mich auch noch ein warmer Rückenwind
unserer Mittagspause entgegen.
Wir sind zu Gast bei Familie Perez, in deren
lauschigem Bauerngarten zwei kugelrunde
schwarz-rosa Schweinchen ihr Leben fristen. Das
dritte ist für uns bestimmt: Es gibt lechón,
gegrilltes Spanferkel. Zwischen unseren geparkten
Rädern picken Hühner, an Stacheldraht
aufgehängte Wäsche flattert in der Brise. "Mi
amor", ruft Monica zu Yunior, "mi amor, schäl mal
die Süßkartoffeln." Monica kocht mit Verve in der
separaten Küchenhütte, aufgetischt wird das mit
Gewürzen und Gemüsen gefüllte Spanferkel in
einem spartanischen, blitzblanken Holzhäuschen.
Zum Schluss gibt es den vorgesüßten, extra
starken Café Cubano, der einen weiterradeln lässt,
statt, was hier überhaupt nicht verkehrt wäre, eine
schön lange Siesta einzuschieben.

Auf der nächsten Seite: Karibische
Traumstrände und ganz viel Rum
38
Siesta ist übrigens eines der wenigen
Klischees über Kuba, das stimmt. Es gibt eine
ganze Reihe von Klischees in einer ganzen Reihe
von Reiseführern, die nicht stimmen. Meistens
laufen sie darauf hinaus: Der Kubaner ist arm wie
eine Kirchenmaus, immer gut drauf und macht
ständig fantastische Musik. Gut, das mit der Musik
kommt manchmal schon hin. In einer Bar zu sitzen
und zu erleben, wie die Familie am Nebentisch
spontan Instrumente auspackt und anfängt zu
musizieren, ist großartig. Permanente Fröhlichkeit
jedoch ist nirgendwo zu spüren und wäre ein
Wunder in der ökonomischen Dauerkrise. Die aber
hat manch geschäftstüchtigem Kubaner zu viel
Geld verholfen. So oder so gilt: Es wird gern einen
Gang heruntergeschaltet, man lässt sich nicht
hetzen.
Im Tal von Viñales würde ich am liebsten vom
Sattel absteigen, mich auf einen sillon setzen,
einen der Schaukelstühle, die auf jeder Terrasse
der kleinen Holzhäuser stehen, und gucken, wer da
so des Weges kommt. Welcher Cowboy hoch zu
Ross seinen breitkrempigen Lederhut vor mir zieht,
welche Pferdekutschen vorbeiklappern und was es
hier in Kubas Westen noch für
Fortbewegungsmittel gibt, die in unseren Breiten
nicht mehr durch den Alltag ziehen.
39
Im Garten einer Bauernfamilie wird die Gruppe bewirtet,
während die Hühner sich die Räder anschauen
Oder ich würde am Strand Cayo Jutia mehr als nur
einen faulen Nachmittag verbringen. Gäbe es bei
der Stiftung Warentest internationale
Strände im Test, Cayo Jutia an der Nordküste
hätte garantiert den "Sehr gut"-Stempel. Hier
stimmt nicht nur die Sandfarbe (Schneeweiß),
sondern auch der Cocktail-Abhängfaktor. Der
Strand heißt nach den vom Aussterben bedrohten
Nagern, den Jutias, die jedoch mit Ratten nicht
näher verwandt sind. Sie gehören zur großen
Familie Stachelschwein und verstecken sich
wahrscheinlich vor uns kleiner Horde, die da
entlangrast; entlang an Pinien und Palmen, ein für
mich ungewohnter Baum-Mix.
40
Die Strände sind tatsächlich oft menschenleer
Vom Meer weht eine salzige Brise, auf dem Asphalt
glitzert der Sand, noch eine scharfe Linkskurve an
einem Leuchtturm, und ich radle fast in die
glasklare karibische Badewanne hinein. 25 Grad
Wassertemperatur und das im sogenannten Winter.
"Wahnsinn", sagt Frauke, die Tierärztin, "Wahnsinn,
wie türkis." Wir fotografieren uns gegenseitig, wie
wir hingebungsvoll mit dem Rad im knöcheltiefen
Wasser stehen. Und dann gibt es nur noch eins:
Gleich ins Wasser oder erst einen Drink? Den gibt
es an der Bar, die krachend laut alte Charts spielt.
Lautstärkemuffel sollten besser nicht nach Kuba
fahren, Abstinenzler auch nicht. Rum steht überall
rum, er ist billig, und er hilft in kleinen Dosen gut
über Reisehürden hinweg.

Auf der nächsten Seite: Havanna!
41
Mit dem Fahrrad durch
Kuba
Auf dem Rad sind fast nur Touristen unterwegs
Apropos Hürden: Auf dem Rückweg nach Havanna
macht Joaquín, der ganz sicher zuverlässigste
Busfahrer Kubas, fast eine Vollbremsung auf der
Autobahn. Nicht, dass irgendetwas im Wege
gestanden hätte, aber unser Reiseleiter Yunior
möchte Zwiebeln kaufen und am Rand sitzen
illegal zwei Männer mit frischen Stauden. Gerade
hatte er uns erklärt, wie schwierig die Versorgung
mit Lebensmitteln und anderen Gütern ist. Noch
schwieriger machen es die zwei Währungen des
Landes. Wer viel von der Devisenwährung besitzt,
dem Peso Convertible, hat die teure Auswahl. Wer
mit dem Peso Nacional einkauft, zahlt viel weniger,
das Angebot ist aber dürftig. Yunior zeigt uns auch
seine libreta, einen staatlichen Bezugsschein für
subventionierte Lebensmittel, den jeder Kubaner
bekommt. "Davon kann aber keiner von uns
überleben." Selbst Yunior, der als Reiseleiter in
Devisen bezahlt wird, muss gucken, wie er mit
42
seiner Familie halbwegs über die Runden kommt.
Er hofft, wie viele Kubaner, auf ein Ende des seit
fast 50 Jahren geltenden US-Embargos.
Bauten aus der Kolonialzeit sieht man bei der Fahrt über die
Insel überall. Spuren der Revolution auch: die Gruppe vor
der Plaza de la Revolución in Havanna und ein Wandbild
von Ernesto Che Guevara.
Mit einem Berg Zwiebeln an Bord erreichen wir
schließlich Havanna. Wir lassen die Räder stehen
und schlendern durch die Altstadt, ganze
Straßenzüge sonnengelber, hellblauer und
mintgrüner Häuser im Kolonialstil sind bereits als
Weltkulturerbe restauriert worden. Es gibt
Edelboutiquen, luxuriöse Straßencafés und nur
eine Ecke weiter eine gähnend leere Bar, die außer
50 Flaschen Havana Club nichts im Angebot hat.
Yunior lotst uns zum Hotel Ambos Mundos, wo
Hemingway im fünften Stock mit Blick über den
Hafen seinen Roman "Wem die Stunde schlägt"
schrieb. "Das Meer kann nicht weit sein", denke ich
nach einem Piña Colada und mache mich auf die
Suche nach der Malecón, der berühmten
Uferpromenade Havannas, verlaufe mich jedoch im
Gassengewirr der Altstadt. Ein altes Mütterchen
geleitet mich zurück zum Hotel, möchte dafür aber
mein Kleid mit goldenen Lurexfäden. Ich spendiere
43
stattdessen Taschentücher, was angesichts der
grassierenden Papierknappheit auch willkommen
ist.
Am nächsten Morgen die letzte Radetappe quer
durch die lebhaft wuselige Stadt. Ein bisschen
wehmütig betrachte ich unseren Reisebus mit den
abgerockten lilafarbenen Vorhängen, der uns zur
überdimensionierten Plaza de la Revolución bringt,
dem Regierungszentrum von Havanna. Ich
versuche ein Gruppenfoto vor einer riesigen
Kubafahne zu schießen. Aus unerfindlichen
Gründen darf genau hier nicht fotografiert werden,
doch die Security vor Ort drückt ein Auge zu und
verabschiedet uns mit Daumen nach oben. Wir
stürzen uns im Fahrrad-Gänsemarsch in den
Verkehr. An einer Ampel halten neben mir ein von
Cha-Cha-Cha-Rhythmen vibrierender, pinkfarbener
Cadillac ohne Scheiben, daneben ein
niegelnagelneuer Mercedes mit Autotelefon.
Gegenüber an der Ecke repariert ein alter Mann
Einwegfeuerzeuge. Auf seinem verwaschenen TShirt steht: "Miami Vice". Man darf gespannt sein.
Die Radreise "Kuba - Perle der Karibik" wird
veranstaltet von Wikinger Reisen, Tel. 02331/90 47
43, Fax 02331/90 47 04. Die 16-tägige Reise kostet
ab 2298 Euro, inklusive Flug und Verpflegung.
Mehr Informationen unter www.wikinger.de
44
Im Nationalpark auf Kuba:
Schnecken statt Sozialismus
Die herrlichsten Strände, die sonnigsten
Menschen: Kubas Attraktionen sind schon viel
gepriesen worden. Cornelia Gerlach hat im
größten Nationalpark auf Kuba eine weitere
entdeckt: eine Schnecke, die es sonst nirgends
gibt.

Startseite
In diesem Artikel:
 Reise-Infos Kuba
45
Durchhalteparolen von Fidel Castro und Hugo Chávez an der
Straße nach Baracoa
Foto: Sven Creutz
Die Polymita ist leuchtend gelb und elegant geschwungen und nur
im Osten Kubas zu finden
Foto: Sven Creutz
Polymita ist leuchtend gelb und elegant geschwungen,
mit einem dunklen Strich, der die perfekte Windung
ihres Hauses betont. Die schönste Schnecke der Welt
soll sie sein. Und es gibt sie nur im Osten von Kuba.
Während andere kommen, um Zigarren zu rauchen oder
an einem der herrlichen Strände sonnenzubaden, will
ich im Alexander-von-Humboldt-Nationalpark, keine
tausend Kilometer östlich von Havanna, wandern gehen
in der Hoffnung, eine kleine gelbe Schnecke zu treffen.
Baracoa, von wo aus derNationalpark verwaltet wird,
ist eine kleine Stadt am Meer. Bis zur Revolution kamen
die Menschen nur auf dem Seeweg hierher. Dann
schlugen die Brigaden Straßen in den Urwald.
Mittlerweile bröckelt der Aphalt, die Pfützen in den
46
Schlaglöchern sind knietief. Die Landschaft ist grün und
saftig, vom tropischen Regen begünstigt. Lianen
hängen wie Geisterfäden über den Wegesrand.
Vom internationalen Flughafen in Holguín nach
Baracoa sind es Luftlinie 200 Kilometer. Mit dem Auto
braucht man dafür fast einen Tag. Das letzte Stück der
Strecke geht durch die einsame Natur
des Nationalparks . Dann kreuzen plötzlich Hühner die
Straße, ein Schwein zuckelt gemächlich am Straßenrand
entlang. Kleine Häuser säumen den Weg, fast jedes hat
zwei Schaukelstühle auf der Veranda und ein Gärtchen.
Eine Mutter sitzt mit ihrem Säugling an einem selbst
gezimmerten Stand und bietet Süßigkeiten feil:
Zuckertüten aus Palmstroh, die mit geraspelter
Kokosnuss und Papaya-Stücken gefüllt sind.
"Baracoa heißt Natur". Mit diesem Slogan wirbt die
Stadt für sich selbst. Baracoa gilt als die grünste Stadt
Kubas. Die üppige Vegetation der Gebirgskette Sierra
del Purial ist bis weit in die Stadt hinein zu sehen. Das
Umland beherbergt eines der besterhaltenen
Ökosysteme der Insel: den Alexander-von-HumboldtNationalpark. Die Unesco hat die 70 000 Hektar Urwald
im Jahr 2001 zum Weltnaturerbe erklärt, weil die
karibische Tier- und Pflanzenwelt hier einzigartig ist,
deutlich größer als die der Galápagos-Inseln zum
Beispiel.
Aber bevor ich Polymita suchen kann, muss ich meinen
Reiseleiter für die kommenden Tage finden. Der Weg zu
47
ihm führt mich durch die kleinen Straßen der Stadt zu
einem gelb getünchten Haus. Neben der Haustür hängt
ein Schild: "Fachmann Naturreiseführer Flora und
Fauna", steht dort tatsächlich auf Deutsch geschrieben.
Dr. Alberto García hat in der DDR Forstwirtschaft
studiert. "Ich bin der Opa vom Nationalpark", stellt er
sich breit lachend vor. Dann küsst er seine junge Frau seine sechste, wird er mir später erzählen -, zieht seine
dicken ledernen Wanderstiefel an, nimmt den Hut und
sagt: "Auf geht's."
Auf der Fahrt zum Park passieren wir Schilder mit
sozialistischen Durchhalteparolen: "Viva!" und "Genug
geredet, es ist alles gesagt. Jetzt gilt es, hart zu
arbeiten". Raúl, unser junger Fahrer, grinst. Von denen,
die mit ihm Abitur gemacht haben, sind viele im
Ausland. Nur fünf der alten Freunde sind ihm geblieben.
Die anderen schreiben E-Mails. "Die arbeiten viel und
leben wenig", sagt er, "und wir arbeiten wenig und
leben viel."
Drei Wanderungen machen wir in den kommenden
Tagen. Am Fuße des El Yunque, des Tafelberges, der
schon Christoph Kolumbus imponierte. Ins Yumuri-Tal,
eine Stunde östlich von Baracoa. Und zu einer Insel an
der Mündung des Rio Toa. Wandern? Raúl schüttelt
verständnislos den Kopf. Nein, sagt er, aus freien
Stücken zu Fuß gingen doch nur die
verrückten Touristen . Er werde den Wald an einem
48
schattigen Platz genießen. "Aber wenn ihr eine
Schnecke findet, bringt sie mit." Seine Freunde seien
völlig versessen auf die Polymita. Aber die sind doch
geschützt? Raúl zuckt mit den Schultern und bleibt
zurück, während wir durch eine traumhaft schöne
Landschaft laufen.
Mehr bei
BRIGITTE-woman.de
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Diana Nyad: Schwimmend zum Lebenstraum
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Businesspläne für Kubas Tänzer

Kuba-Quiz: Wie gut kennen Sie die Insel?
Manchmal würde ich mich am liebsten auf der Stelle
hinsetzen und malen. Den Fluss, die von Vulkanen in
der Urzeit an die Oberfläche gespuckten und von den
tosenden Wassermassen geschliffenen Steine.
Kletterpflanzen ranken sich die Klippen herunter,
Königspalmen schicken ihre Kronen in den Himmel, und
leuchtend rote Bromelien sitzen wie fette Untermieter
an den Weiden, deren schützendes Dach uns Schatten
spendet. Wir baden in einem Fluss mit bunten runden
Kieseln in zarten Farben, gerahmt von hohen
Kreideklippen. Die Sonne fällt ins Tal, das Wasser
glitzert türkis wie im Bilderbuch eines
Abenteuerreisenden.

Auf der nächsten Seite: Die Natur ist ein Grund zum
Bleiben
49
 Reise-Infos Kuba
Entdeckertour: Alberto García (re.) zeigt Autorin Cornelia Gerlach
(li.) und zwei Begleiterinnen das seltene Schnecken- Exemplar
Foto: PR
Immer wieder bleibt Alberto García stehen, bückt sich,
um die kleinen Blattschneiderameisen zu zeigen, oder
hebt den Stock in den Busch , wo gerade ein
Smaragdkolibri um eine Blüte schwirrt. Er erzählt von
den Bienenelfen, einer farbenprächtigen Kolibriart, die
sich vom Pollen der Königspalme ernährt, und den
Schnurrbartfledermäusen, die in den Bergwäldern des
Nationalparks zu Hause sind. Er lauscht dem
Waldsänger und dem Vielfarbigen Todi mit dem
feuerroten Schnabel und dem grasgrünen Federkleid
und findet eine wunderschön schillernde Eidechse im
Laub, die dort wie ein Minikrokodil auf ihre Beute lauert.
"Anolis baracoae", sagt er spontan, "endemisch" - das
heißt: nur hier zu finden, sonst nirgends auf der Welt.
50
Wenn man ihn fragt, warum er nicht, wie so viele, das
Land verlassen hat, dann sagt er: "Ist die Natur nicht
einwunderbarer Grund zu bleiben?"
Sogar hier draußen, fernab der Straßen, leben
Menschen. Einmal stehen wir vor einer Schule mitten im
Wald. "Die Natur zu lieben heißt, das Leben zu lieben",
steht unter dem Giebel. Die Lehrerin winkt uns herein.
Sechs Kinder werden hier unterrichtet, die kleinen
subtrahieren gerade, die großen üben Brüche, eins sitzt
am Computer. Als wir weitergehen, erzählt Alberto
García von seiner Kindheit. Sein Vater war Köhler, der
Sohn musste früh mit ran. Dass er studieren konnte, hat
er der Revolution zu verdanken. "Viele träumen von
schnellen Autos und übersehen, wie wertvoll es ist, dass
auf Kuba jedes Kind zur Schule geht und gesund
aufwächst."
Am Ende des ersten Tages haben wir vieles gesehen,
aber von der kleinen Schnecke, dem Wahrzeichen von
Baracoa, keine Spur.
Dabei ist Polymita bloß eine von 1800 bis 2000
Tierarten, die nur hier vorkommen und sonst nirgends
auf der Welt. Manche, wie der Schlitzrüssler, der mit
seiner langen Nase aussieht wie eine zu groß geratene
Spitzmaus, sind anderswo schlicht ausgestorben.
Als Kolumbus 1492 bei Baracoa an Land ging, war Kuba
zu 90 Prozent von Wald bedeckt. "Ich gestehe, beim
Anblick dieser blühenden Gärten und grünen Wälder
51
und am Gesang der Vögel eine so innige Freude
empfunden zu haben, dass ich es nicht fertigbrachte,
mich loszureißen und meinen Weg fortzusetzen",
schrieb der Entdecker in sein Tagebuch. "Diese Insel ist
wohl die schönste, die Menschenaugen je gesehen."
Doch die Zuckerbarone rodeten die Wälder und legten
Monokulturen an. 1910 war nur noch die Hälfte der Insel
bewaldet, 1959 bloß noch etwa 14 Prozent. Bis Fidel
Castro an die Macht kam. Die Revolutionäre liebten den
Wald, er hatte sie versteckt und ihnen geholfen, das
Regime zu besiegen. Heute wächst er auf einem Drittel
der Fläche von Kuba, es gibt mehr als 80
Naturschutzgebiete.
Am zweiten Tag, bei der Wanderung ins Yumuri-Tal,
begleitet uns Manuel. Er ist Waldarbeiter. Die
Wanderwege sind zwar geebnet, aber die wuchernde
Pflanzenwelt versucht sie sich immer wieder
zurückzuerobern. Mit seiner Machete schlägt Manuel die
frischen Triebe ab und macht für uns den Weg frei. Sein
Haar ist grau, die Füße sind vom Barfußlaufen breit und
verhornt. "Schuhe sind Luxus", sagt er. Nicht mal für
sonntags hat er welche. Aber er klagt nicht. Einmal
bückt er sich, sein Gesicht leuchtet zufrieden. Manuel
macht die Hand auf. Darin: Polymita, gelb mit schwarz
geschwungener Linie. Wunderschön. Aber man darf sie
nicht verkaufen, geschweige denn, sie sich schenken
lassen.
52
Manuel lenkt unsere Aufmerksamkeit schnell wieder auf
andere Dinge, auf eine Lichtung zum Beispiel, mitten im
Wald, auf der mit Stöcken ein Rund abgesteckt ist. Eine
Hahnenkampf-Arena. Am Wochenende verwetten die
Männer hier ihr Geld. "Ein Kubaner, der nicht spielt, ist
kein Mann", heißt es, daran hat auch die Revolution
nichts geändert.
Zurück in Baracoa, schlendere ich am Malecón, der
Promenade am Meer , entlang, wo im Abendlicht eng
umschlungen ein Pärchen von der Brandung geduscht
wird. Baracoa an der Bahía de Miel, der Honigbucht, hat
den Charme einer stolzen, geliebten Stadt, deren
Bewohner das Leben genießen. Baracoa hat alles, was
wir uns unter Kuba vorstellen: bunte, von hohen
Säulengängen überwölbte koloniale Bauten, Musik auf
den Plätzen und in den vielen Bars und gigantische
Straßenkreuzer, deren Kofferräume wie Walfischmäuler
den ganzen Hausstand ihrer Besitzer schlucken können.
Zwei Mojitos, und die Welt wird locker und heiter, es ist
das Jetzt, das zählt, Musik sickert wie ein Virus in meine
Beine, und mein Kopf schwebt genüsslich in den
Wolken.
Am dritten Tag meiner Reise fahren wir mit dem Boot
auf eine kleine Insel in der Mündung des Rio Toa. In
einem himmelblauen Haus am Strand lebt der alte
Rafael Jiminez mit seiner Familie. Er ist Kokosbauer.
Seine Füße biegen sich um den Stamm der Palme, als er
flink wie ein Eichhörnchen hinaufsteigt. Die faltigen
53
Armen sind hart wie Eisen. Er zieht sich mit einem
Klimmzug hoch und krabbelt zwischen die Palmblätter.
Frei hängend schwebt der 91-Jährige über dem Strand.
Bald ist er in der Baumkrone verschwunden, nur
gelegentlich fällt ein trockenes Blatt. Dann hört man
das Surren der Machete. Schon saust die erste
Kokosnuss zu Boden, ein Huhn flüchtet. Mehr Nüsse
fallen.
Rafaels Sohn ist Schulleiter. Einmal im Monat kommt er
mit den Kindern zum Strand. Sie sammeln den Müll, den
das Meer anspült. Hinter dem Haus liegt ihre Beute:
Fischkisten, Badelatschen, Konservendosen und alte
Netze. Rafaels Frau hat einen alten Tampen zum
Trocknen an die Hauswand gehängt. "Die äußeren
Fasern sind brüchig", sagt sie, "aber guck her", sie dreht
das Tau auf, und innen kommt festes Garn zum
Vorschein. Damit häkelt sie. Taschen, Körbe, Hüte.
"Wollen wir tauschen?", frage ich, mehr aus Jux, und
halte meinen Sonnenhut in die Luft. "Maria", ruft
Rafaels Frau laut über den Hof nach ihrer Tochter,
"komm gucken." Einen Moment später hat Maria
meinen Hut auf dem Kopf und ich ihren, und wir tanzen
vergnügt zwischen den Bänken.
Rafael lässt es sich nicht nehmen, uns wieder zurück
zum Festland zu rudern. An den meisten anderen Orten
der Welt würden Motorboote verkehren, aber die
knappen Ressourcen auf Kuba schenken uns Momente
54
von vollkommener Schönheit: Das Plätschern der Ruder,
der Schrei einer Möwe, die üppig grünen Berge des
Nationalparks unter dem Himmel.
Rafaels Kahn ist leck, durch die Planken rinnt das
Wasser. Er rudert eine Weile, dann muss er schöpfen.
Einen Moment später hängt er sich wieder an die Ruder
und fängt laut an zu singen: "Ave Maria, Halleluja, / Ich
habe eine schöne Frau an Bord / und diese Reise gefällt
mir." Alberto García fällt ein. Die Männer singen um die
Wette.

Auf der nächsten Seite: Die Reise-Infos
Reise-Infos Kuba
Schöne Aussichten vom Hotel "Castillo" in Baracoa über die alte
Seefahrerstadt im Osten von Kuba
Foto: Sven Creutz
55
Sabine Müller:
Businesspläne für Kubas
Tänzer
Die Deutsche Sabine Müller war geschockt
über den Hungerlohn, den Profi-Tänzer auf
Kuba für ihre Salsa-Kurse bekamen. Als
Unternehmensberaterin zeigt sie ihnen, wie
man sich selbständig macht - in Kuba nach
50 Jahren Kommunismus etwas ganz Neues.
Sabine Müller, 43, ist Unternehmensberaterin und lebt in
München und Havanna
Foto: www.joanna.nottebrock.de
Im Winter 2011 steht die Unternehmensberaterin
Sabine Müller am Fenster ihres Münchner Büros.
Das Grau der Fassaden geht ins Grau des Himmels
56
über, am Straßenrand liegt ein Streifen
Schneematsch wie ein Gedankenstrich: "Salsa
tanzen müsste man", überlegt sie - bucht einen
Flug nach Kuba und einen Tanzkurz dazu. Sabine
Müller, 43, verliebt sich sofort in das Land. Vier
Monate später fliegt sie noch einmal nach Kuba
und stellt fest, dass die Profi-Tänzer dort, trotz
Spitzenausbildung, unter armseligen Umständen
arbeiten. Dass sie nur einen staatlichen
Mindestlohn von 20 Dollar im Monat bekommen.
Dabei zahlen die Touristen gut, das Geld aber
kassiert der Staat.
Sabine Müller beschließt, den Tanzlehrern zu
helfen, sich selbständig zu machen. Und die
Geschichte meint es gut mit diesem Plan: Unter
Fidel Castros Bruder Raúl wird den Kubanern 2011
erstmals erlaubt, selbst ein kleines Geschäft zu
führen. In dieser historischen Stunde ist sie als
Unternehmensberaterin die richtige Frau am
richtigen Ort. Im kommunistischen Kuba sind
Begriffe wie Konkurrenz oder Angebot und
Nachfrage Fremdwörter, und Basiswissen ist alles:
Was ist ein Businessplan? Wie mache ich Marketing
und PR? Wie funktioniert Kundenakquise?
Sabine Müller sitzt in einem Salon in der Altstadt
von Havanna und antwortet geduldig. Die Wände
sind mintgrün getüncht, der Kronleuchter hat
seinen Geist aufgegeben. Im Halbdunkel hat sich
eine Gruppe Salsa-Lehrer versammelt. Sie tragen
blaue T-Shirts mit dem Schriftzug "Baila Habana" "Tanze Havanna". Bisher lebten sie im Hier und
Jetzt, heute sprechen sie über Altersvorsorge; auch
57
das gehört zum Businessplan, es wird in die
Zukunft investiert.
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Kubanische Bloggerin Yoani Sanchez: In 80
Tagen um die Welt
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Lina Thomsgård: Die Frauen-Finderin
Leila Janah: Mit Mikroarbeit gegen Armut
BRIGITTE COmmunity: Die Welt wird weiblich
Dreimal im Jahr ist Müller auf Kuba und coacht ihre
Tanzlehrer, die sie in einem Verbund organisiert
hat. In Deutschland berät sie weiter
mittelständische Unternehmen und
Existenzgründer, außerdem pflegt sie die
Internetplattform, die Menschen aus aller Welt
einlädt, Tanzstunden auf Kubas Dachterrassen zu
buchen, kümmert sich um Social Media und
Werbung für "Baila Habana". So hat die
Deutsche die wohl erste Organisation auf
Kuba etabliert, die aus privater Hand
finanziert wird. Müller selbst verdient nichts - bis
auf zehn Prozent für die Verwaltung. Ihr Traum:
dass ihre Tänzer bald ohne sie auskommen.
Adahina zum Beispiel. Die 32-Jährige verdient in
einer Stunde jetzt so viel wie vorher im Monat. Mit
dem Gehalt kann sie die Familie versorgen. Und in
der vom "machismo" geprägten Gesellschaft einen
Kontrapunkt setzen. Mit Mutter und Schwester lebt
sie in einer Wohnung, in der es nun wieder fließend
Wasser gibt. Und Hoffnung.
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Artikel vom 11.06.2013
Text: Jenni Roth
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Eine Insel der Träume,
kurz vor dem Erwachen
Kuba hat einen ganz besonderen Zauber.
Doch lange wird er nicht mehr zu spüren
sein, die Ära Castro geht zu Ende. Fahren Sie
jetzt hin!
In diesem Artikel:
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Im Sattel: Susanne Fischer und Gregor Lengler
Der Hotelbalkon ist mein Logenplatz. Rund um
den Ausguck im dritten Stock eines Kolonialpalasts
inszenieren die Habañeros, die Bürger Havannas,
das schönste Theaterstück der Stadt. Türen und
Fenster stehen offen, keine Gardinen stören, laut
und bunt und ungeniert lädt Havanna ein, dem
Leben seiner Menschen zuzusehen. Unter
meinem Balkon werden Mayonnaise-Brötchen und
hausgemachte Limonade verkauft, sitzt eine dicke
Frau im Klappstuhl vor ihrer Tür, knutscht ein
Liebespaar, pfeift ein Arbeiter einer Schönheit
hinterher. Fünf Polizisten tauchen auf, scheuchen
alle beiseite, der Beamte in der Mitte trägt schwer
an einem Sack, im Laufschritt eilen die fünf durch
die Stadt: Geldtransport auf Kubanisch.
Im Rest der Welt ist ein sozialistisches Regime nach
dem anderen zusammengefallen - auf Kuba hat die
Revolution überlebt. Und das liegt vor allem an
Castro. Seit 1959 ist er an der Macht, länger als
jeder andere Staats- und Regierungschef, seit 46
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Jahren prägt er die Insel. Unter seiner Führung
wurde der Landbesitz neu verteilt, wurden Fabriken
verstaatlicht, wurden kostenlose medizinische
Grundversorgung, Schulen und Universitäten
eingeführt. Nur ihm, sagen mir auf Kuba die
verschiedensten Menschen, vertrauen sie, er allein
könne Kubas Unabhängigkeit garantieren. Fidel
Castro ist 79 Jahre alt. Was wird, was soll bleiben
vom sozialistischen Kuba nach dem Abgang des
letzten Helden der Revolution? Man kann auf Kuba
durchaus Urlaub machen, ohne sich mit dieser
Frage zu beschäftigen. Kann guten, billigen Mojito
in den Bars von Havanna genießen, Salsa tanzen,
viel nackte Haut bewundern und sich in Trinidad
am Spiel der Spätnachmittagssonne auf den
farbigen Fassaden der Kolonialhäuser erfreuen.
Oder einen Strandurlaub in den berühmten
Touristenorten Varadero oder Guardalavaca
verbringen. Aber hätte ich so das wahre Gesicht
Kubas gesehen? Wovon die Kubaner träumen,
erfuhr ich, als ich zu ihnen ging: in ihre Städte, ihre
Häuser, hinaus aufs Land.
Das Zimmer gegenüber meines Hotelbalkons dient
als Schlaf-, Wohn- und Badezimmer. Eine Frau
wäscht ihr Baby, zwei Mädchen liegen bäuchlings
auf dem Bett und sehen fern. Als sie mich
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entdecken, kommen sie heraus, kichern verlegen
und rufen mir dann zu: "Hola, tienes bolí? Jabón?"
Dies ist nicht meine erste Reise nach Kuba, ich
habe tatsächlich einen Beutel mit Kugelschreibern
und Seifen zum Verschenken mitgebracht.
Havannas Altstadt: glücklich, wer in einem restaurierten
Haus wohnen kann
Am Tisch sitzt ein Mann im Unterhemd, er isst
und liest. Über allen Köpfen schläft in einer
niedrigen Koje ein nackter Mann, ein
Deckenventilator weht die Laken hin und her. Viele
der hohen Altbauten in Havanna sind durch
Zwischendecken zweigeteilt; Wohnraum ist knapp
in der Hauptstadt und begehrt.
Vor dem Capitol, einst Sitz des kubanischen
Parlaments, stieg ich in einen kanariengelben Ford
Cabriolet. Gemächlich ließ Raul seinen Oldtimer
über die Uferstraße gleiten, vorbei an
Schmuckverkäufern, Liebespaaren und Fischern auf
der einen und maroden Häusern auf der anderen
Seite. Manche Ecken Havannas, und das ist nicht
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übertrieben, erinnerten mich an Beirut nach dem
Bürgerkrieg. Fassaden, nicht zerschossen von
Kugeln, sondern von Salzwasser und Jahren
zernagt. Besonders entlang der Uferstraße Malecón
führen die Häuser einen verloren scheinenden
Kampf gegen die Zeit. "Vamos bien", wir kommen
gut voran, beschwor ein Plakat mit einem Porträt
Fidel Castros. "Venceremos", versicherte ein
Wandgemälde, wir werden siegen. "Ewig siegreich,
ja", sagte Raul, mein Fahrer – und lächelte plötzlich
verschmitzt: "Eines haben auch die Helden unserer
Revolution noch nicht besiegt: den Tod." Was
passiert, wenn Castro nicht mehr lebt? Rauls fein
geschnittenes Gesicht hellte sich auf: Kapitalismus.
Seine große Hoffnung. Nicht für sich, "ich bin 55,
zu alt, der Kapitalismus will junge Menschen. Aber
für meine Kinder ist es hoffentlich nicht zu spät".
Der Sozialismus sei eine schöne Idee, nur leider
funktioniere sie nicht. "Wie kann ein Staat
überleben, in dem es lohnender ist, Kofferträger zu
sein als Hochschulprofessor?" Diese Unterhaltung,
sagte er, könne ihn seinen Job und seine Freiheit
kosten. Medizinische Versorgung und Bildung
mögen frei sein auf Kuba, die Meinung ist es nicht.
Versonnen blickte Raul aufs blaue, aufgewühlte
Meer. "Wenn ich ein Schiff da draußen sehe, denke
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ich manchmal: Nimm mich mit, egal wohin. Außer
Kuba habe ich nichts gesehen von der Welt."
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Auf der Dachterrasse zur Rechten färbt eine
Frau einer anderen die Haare rot und schwatzt
dabei über die Straße hinweg mit der Nachbarin.
Von unten mischt sich eine dritte Frau ins
Gespräch. Das dreht sich, wie so oft auf Kuba, ums
tägliche Nichts: darum, was es alles nicht gibt und
wie man es trotzdem beschaffen kann. Die Frau
unten wedelt mit einem Büchlein – ihrer Libreta,
dem staatlichen Bezugsscheinheft. Damit können
Kubaner billig Zucker, Mehl, Kaffee, Speiseöl und
Seife kaufen – so zumindest die Theorie. Oft aber,
und wohl auch heute, sind die Regale der
subventionierten Libreta-Läden leer. Dann bleiben
nur Geschäfte wie die in der herausgeputzten
Einkaufsstraße Calle Obispo, wo es fast alles gibt,
aber nur für den teuren "peso convertible", die
Währung für Touristen.
Sebastian Martín hatte Glück, er war schon einmal
in Deutschland, in den 80er Jahren, als Ingenieur in
der DDR. Vielleicht hat er deshalb einen milderen
Blick auf Kuba. In seiner Drei-Zimmer-Wohnung im
Zentrum Havannas feierte er mit Freunden und
Familie den fünften Geburtstag seiner Tochter. Um
uns herum laute Musik, die älteren Kinder
vergnügten sich mit Karaoke-Singen. Er saß im
einzigen Sessel und erklärte seine Sicht der Welt.
"Natürlich funkioniert hier vieles nicht. Aber
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müssen wir deshalb gleich alles ändern?" Für die
Zeit nach Castro wünsche er sich "einen Mittelweg
– ein bisschen von unserem System behalten, ein
bisschen vom anderen System dazu. Aber wie soll
das gehen, wenn die USA und die Exilkubaner nur
auf Castros Tod warten, um hier endlich alles
wieder umzudrehen?"
Abgefahren: Straßenkreuzer in Havannas Altstadt
Ob Castro regiert oder nicht, scheint in den
Bergen Zentralkubas ziemlich egal. Drei Stunden
durch fast unberührte Natur brauchte ich mit dem
Pferd, bis ich die erste Bauernhütte erreichte,
einfachstes Landleben, Lichtjahre von der
Großstadt Havanna entfernt. Auf Sandwegen
vorbei an einem See galoppierte mein Pferd mit
mir über die Hügel. Als wir beide schweißgebadet
waren, machten wir an der Hütte einer
Bauernfamilie Halt. Keine Straße weit und breit, nur
Weiden mit Kühen, ein winziger Gemüsegarten,
viel braches Land. Die Bäuerin servierte Kaffee und
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hausgemachten Käse. Wir saßen auf einer Bank
vor der Hütte, die junge Bäuerin wollte wissen, ob
es mir schmeckte, lächelte. Noch keine Sorgenfalte
zeichnete sich ab auf ihrem Gesicht. In ihren hellen
Shorts und dem Träger-T-Shirt sah sie aus, als
würde sie gerade an einem der Strände Kubas ein
Picknick machen. Aber der Alltag ist hart. Mit ihrem
Mann arbeitet sie von morgens, wenn die Sonne
aufgeht, bis abends, wenn sie untergeht. Das
bringt ihnen gerade genug ein, um zu überleben.
Was erhofft sie sich von der Zukunft? "Es wird
schon irgendwie weitergehen."
Das Geschrei fliegender Händler weht herbei, SonMusik wie aus dem "Buena Vista Social Club", der
Tiraden-Singsang eines streitenden Ehepaars. Nur
das klassische Großstadtgeräusch fehlt: Autolärm.
Für eine Zwei-Millionen-Metropole sind die Straßen
erstaunlich leer. Havanna fährt Bus, Fahrrad,
Moped oder geht zu Fuß. Autos dürfen Kubaner
privat nur mit Ausnahmegenehmigung kaufen.
Weshalb jeder, der auf verschlungenen Wegen
jemals an ein Auto gelangt, es bis ins OldtimerAlter fährt und dann noch seinen Kindern vererbt.
Ich kann mich nicht satt sehen an den liebevoll
gepflegten Chevrolets und Cadillacs aus den
fünfziger Jahren unten auf der Straße.
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In Baracoa scheint die Zeit auf ganz eigene Art
stehen geblieben zu sein. Ein verschlafenes
Provinznest im äußersten Osten Kubas, ein
melancholisches Paradies. Auch im Paradies,
eingebettet in eine Hügellandschaft satten
tropischen Grüns, hingen an allen Ecken PolitPlakate, sagte der Kellner bei der Bestellung selbst
so simpler Dinge wie Mineralwasser: "Haben wir
nicht." In Baracoa aber machte das nichts. Ein
Samstagabend im Parque Céspedes vor der Kirche
entschädigte für alle Abendessen aus Reis und
Bohnen. Bravourös führten die Bewohner Baracoas
die Kunst vor, sich ohne einen Peso in der Tasche
stundenlang und aufs Beste zu amüsieren.
Gelegentlich kaufte einer in den umliegenden Bars
ein Kaltgetränk, die meisten aber saßen auf den
Parkbänken und guckten und redeten oder
flanierten im Kreis. Einige tanzten zu Musik, die aus
einem Lokal um die Ecke herübertönte, junge
Mädchen trugen mit beneidenswertem Körperstolz
selbst geschneiderte hautenge Kleider zur Schau.
Eine sinnliche Heiterkeit lag über dem Platz, die
Lust machte, viele Samstage zu bleiben. Baracoa
hat auch den schönsten Strand der Insel. Eine
endlose palmenbesäumte Bucht: die Playa
Maguana. Nur ein einziges kleines Hotel mit vier
Zimmern steht am Strand. Kein Wunder, dass
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Edgar Fernandez das Heimweh plagt, obwohl sich
für ihn der Traum vieler Kubaner erfüllt hat. In einer
Hütte in einem Bananenfeld bei Baracoa geboren,
hat er es bis nach Florida geschafft, vor elf Jahren
auf einem Floß übers Meers. In Tampa arbeitet er
nun auf dem Bau, 45 Stunden die Woche zu 11,50
Dollar. Genug, um seiner Familie in Havanna ein
Haus zu "organisieren" - Immobilienkauf ist offiziell
verboten. Und gerade genug, um alle drei Jahre für
drei Wochen nach Hause zu kommen, nach
Baracoa, wo seine Mutter noch in derselben Hütte
unter Bananen lebt. "Ich will nicht weg", sagte die
alte Frau, "ist es nicht schön hier?" Zwei Hühner
liefen gackernd durchs Wohnzimmer, hinterm Haus
wälzte sich ein Schwein im Dreck, und zwischen
Palmen schimmerte der nur hundert Meter
entfernte Atlantik. Barfuß, nur mit einer kurzen
Hose bekleidet, saß Edgar in einem wackeligen
Holzstuhl, neben ihm sein heute 20-jähriger Sohn,
den er damals nicht mitnehmen konnte auf die
gefährliche Fahrt übers Meer.
Edgar war mir in der "Casa Colonial" aufgefallen,
einem der wenigen Privatrestaurants Baracoas. Er
sah mit seiner Baseballkappe und seinen NikeTurnschuhen irgendwie nicht kubanisch aus, aber
auch nicht wie ein normaler Tourist. In der
Nachbarschaft kennt ihn jeder: Edgar, der es bis
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nach Amerika geschafft hat. Seine Seele aber blieb
auf Kuba zurück. "Ich rate jedem ab, der in die USA
will. Weil die Menschen hier nichts von der Welt
kennen, wissen sie nicht, was sie verlieren, wenn
sie gehen." Er sei damals fortgegangen, ohne
nachzudenken. "Ich habe ja auch nichts von der
Welt gewusst." Er pflückte eine lycheeähnliche
Frucht vom Baum, schälte sie und schob sie in den
Mund. "Das Leben drüben ist teuer, und der
Mensch ist nichts wert. Ich vermisse die kleinen
Momente, die hier jeden Tag zu
etwasBesonderem machen."
Kleine Momente eines Theaterstücks. Wie aus
dem Nichts tauchen auf einem
maroden Balkon schräg über meinem Kopf zwei
Mädchen in Balletttrikots auf und tanzen.
Federleicht erheben sie sich auf die Fußspitzen,
drehen, recken, verbeugen sich und verschwinden
wieder im Inneren des großen alten Hauses.
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Bücher
Übersichtlich und informativ: der ADAC-Reiseführer
"Kuba" (9,90 Euro); brandneu: "Kuba" aus der
Reihe "Merian live" (10,95 Euro). Viele
Hintergrundinfos: Sympathiemagazin "Kuba
verstehen" (Studienkreis für Tourismus, Tel. 081
77/17 83, www.sympathiemagazin.de, 3,60 Euro).
"Das tägliche Nichts", entzückender Roman von
Zoé Valdés über den sozialistischen Alltag der Insel
(btb bei Goldmann, 7,50 Euro). "Enduring Cuba",
humorvolle Reisebeschreibung von Zoë Brân, die
dem Kuba-Touristen manches "Ja, genau!" entlockt
(nur auf Englisch, Lonely Planet, ca. 14 Euro).
Info
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