Kuba - luth. Landeskirche in Braunschweig
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Kuba - luth. Landeskirche in Braunschweig
Frauen in Kuba: Gesichter des Wandels Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich alles anders ist? Ein Besuch bei den jungen Frauen Kubas, die mit Fidel Castro großgeworden sind und jetzt vor einer Zukunft ohne ihn stehen. Mehr bei BRIGITTE WEBLOG: Yoani Sánchez über ihr Leben auf Kuba FORUM: Politik und Tagesgeschehen Das Kuba-Quiz Reisen: Kuba, Insel der Träume Yuneiko sitzt am Treffpunkt der Homosexuellen Havannas und redet über erotische Experimente. Ihr knappes Top ist weiß, der Rand um ihre Lippen schwarz, die Röhrenjeans wirft Falten über ihren mageren Beinen. Yuneiko ist 30. Samstagnacht an der Ecke Calle G und La Rampa kennt und küsst sie alle. Und wen sie nicht kennt, so wie uns, von dem will sie erst mal die sexuellen Vorlieben und Wünsche wissen. Hier, im schwachen Licht von Kubas Hauptstadt, das nur aus Autoscheinwerfern, Essensbuden und Bars kommt, hat sich ein Fenster aufgetan. Geächtet waren die Homosexuellen in Kuba, die Szene traf 1 sich versteckt. Seit Mariela Espín Castro, Direktorin des Nationalen Instituts für Sexualerziehung und Tochter des Präsidenten Raúl Castro, sich in den letzten Jahren für ihre Rechte einsetzt, trauen sie sich auf die Straße. Hier tragen sie ihre Sexualität wie die Insignie einer neuen Freiheit vor sich her. Und noch mehr Fenster sollen aufgehen. Raúl Castro, der am 24. Februar zum offiziellen Präsidenten Kubas wurde, redet viel vom Wandel. Er hat einiges umgesetzt, was unter seinem Bruder Fidel Castro als undenkbar galt: Kubaner dürfen jetzt zum Beispiel Computer, Handys und DVD-Spieler besitzen, und sie dürfen in Hotels und an Strände gehen, die früher Touristen vorbehalten waren. Die Einheitslöhne sollen abgeschafft und Arbeit soll künftig nach Leistung bezahlt werden. Im Fernsehen laufen die US-Serien "Grey's Anatomy" und "Lost". Portionsweise wird Kritik zugelassen, etwa in Form von Leserbriefen in der Parteizeitung "Granma". Aber spüren die Kubaner den Wandel auch? Darüber möchte Yuneiko nicht reden. Sie hat es auf einmal eilig, steht auf, zieht das Top über dem Tattoo auf ihrem Bauch glatt und sagt zum Abschied, samstags sei sie immer hier und offen für sexuelle Fantasien. Aber so ein Gespräch sei ihr zu heikel. Die eben noch so sorglose Yuneiko wirkt jetzt verunsichert. Mit jedem Fenster eröffnen sich Freiheiten, und viele junge Kubaner leben sie auch aus. Aber noch ist eine Mauer dazwischen, die sich niemand einzureißen traut. Yuneiko gehört der Generation an, die Fidel Castro und Raúl Castro überleben wird und vor der großen Frage steht, was dann kommt. 2 Die berühmten Gesichter der Karibikinsel gehören bisher männlichen Revolutionären und den Musikern vom Buena Vista Social Club. Wir haben junge Frauen getroffen, die die Gesichter des Wandels werden könnten. Auf der nächsten Seite: Viele Ideen, viele Mauern - Iliam Suárez Iliam, 30, möchte Filme drehen. Ideen hat sie genug, Geld nicht. Sie hofft auf mehr Freiheiten, denn sie will in Kuba bleiben und arbeiten. In einem kleinen Haus an einer von Schlaglöchern zerfurchten Straße im Wohnviertel Marianao arbeitet Iliam Suárez an einem Film mit dem Titel "Desconectados", die Unverbundenen. Iliam ist 30, und bisher arbeitet sie vor allem mit ihrem Kopf. "In dem 3 Film geht es darum, wie müde wir alle sind", sagt sie leise aus ihrem gefleckten grünen Sessel. Neben ihr wirbelt ein rostiger Ventilator die schwüle Luft auf. In Iliams schwarzen Haaren schimmert ein Rest von Grünfärbung, im Nasenflügel sitzt ein kleiner silberner Knopf, zwischen den Vorderzähnen wird eine schmale Lücke sichtbar, wenn sie lacht. Sie hätte es leicht haben können. Ihr hübsches Gesicht war beim Fernsehen gefragt, sie spielte in Filmen mit, wurde auf der Straße erkannt. Irgendwann wollte sie nicht mehr, wollte sich nicht auf den fünf kubanischen Fernsehkanälen mit den Gesichtern der Revolution recyceln lassen, "bis einen keiner mehr sehen kann". Sie konzentrierte sich aufs Theater, aber da hat die alte Generation das Sagen. Jetzt arbeitet sie ab und zu als freie Schauspielerin, bewohnt ihr Kinderzimmer im Haus ihrer Eltern, hat den Kopf voller Ideen, aber kein Geld, sie umzusetzen. Sie bräuchte Zugang zu ausländischer Filmförderung, aber der scheitert schon daran, dass sie so gut wie nie im Internet ist. Kaum jemand kann sich einen Computer leisten, und es gibt nur wenige Internetcafés. Surfen ist sehr teuer und 4 langsam, und manche regimekritische Seite öffnet sich gar nicht. "Da ist eine Mauer, die ich noch nicht durchbrechen kann", sagt Iliam. Sie hat sich ihr Fenster selbst gesucht, sie kriegt es nur noch nicht auf. Für ihren Film will sie Menschen befragen, was sich ihrer Ansicht nach ändern müsste in Kuba, möchte "durch alle Schichten der Müdigkeit gehen". Aus dieser Dokumentation will sie einen Spielfilm entwickeln, an dessen Ende - plötzlich springt sie auf, reckt den Finger in die Luft und lacht spöttisch - "ich versuche, auf all das eine Antwort zu geben". Raúl Castros Antworten sind für sie keine. Seine Reformen bestehen bisher vor allem aus ein paar mehr Waren in den Läden die Iliam sich nicht leisten kann. Wenn sie am Theater arbeitet, verdient sie rund 24 konvertible Pesos im Monat. Das entspricht einem Menü in einem Hotelrestaurant, acht Dosen Tunfisch oder 24 Handy-Nachrichten. Raúl Castro hat kürzlich gesagt, dass im Staatshaushalt auch in absehbarer Zukunft wohl kein Geld dafür da sein wird, um die Gehälter zu erhöhen. Die Kaufkraft ist unter anderem deshalb so niedrig, weil es zwei 5 parallele Währungen gibt. Die staatlichen Gehälter werden in kubanischen Pesos bezahlt. Doch so gut wie alles, was nicht frisch vom Bauern kommt, kostet konvertible Pesos. Die sind an den US-Dollar gebunden und rund 24mal mehr wert. Auf der nächsten Seite: Maribel Apanachy, die Fortschrittliche Maribel, 38, ist ein Überlebenstyp. Sie hat gelernt, sich zu nehmen, was sie braucht - und sich durchs System zu mogeln, wo es nötig ist. Maribel Apanachy hat seit fünf Jahren ein Handy, "von einem deutschen Freund". Ein Auto hat sie gerade verkauft, es war ein Polski Fiat, 25 Jahre alt, und sie hat 3500 Dollar dafür bekommen. Woher sie das hatte, wo doch 6 kaum jemand ein eigenes Auto besitzt? Die Frage wischt sie mit einem vagen "Business" beiseite. Sie beherrscht, was Iliam nicht interessiert: "improvisar y inventar", improvisieren und erfinden. Das entscheidet im Dschungel der kubanischen Widersprüche über Haben und Nichthaben. Außerdem hat sie, was ihr harte Währung bringt: Freunde in den USA, Mexiko, Europa Maribel Apanachy ist schon viel gereist, und sie hat sich noch nie durch Verbote von den Touristen fernhalten lassen. Sie stellt eine Platte mit Langusten auf den Tisch ihres überdachten Balkons im Stadtteil Playa, dazu gibt es Reis und Kochbananen. Maribel ist 38 und überlässt es nicht mehr dem System und der Zeit, wann sich in ihrem Leben etwas tut. Sie hat gelernt, oben zu schwimmen. Der Vater ihrer zwölfjährigen Tochter zahlt keinen Peso, auch um ihre alte Mutter kümmert sie sich allein. Und wenn es sein muss, hintergeht sie das System - denn "das System will es nicht anders". Die Ketten und Ohrringe aus Plastikperlen und Muscheln, die Maribel immer passend zum TShirt trägt, bastelt sie selbst. Tütenweise trägt sie sie zum Strand und verkauft sie an 7 Touristen, wenn gerade keine Polizei da ist. Kleine Privatunternehmen sind nach wie vor streng limitiert und nur unter Auflagen erlaubt. Wer beispielsweise ein Zimmer für Touristen vermieten will, muss es anmelden und pro Monat 250 Dollar dafür bezahlen. Viele vermieten unter der Hand. "Ja, wir haben jetzt mehr Freiheiten", sagt Maribel. Viele davon hat sie sich zwar schon vorher rausgenommen, aber für sie sind das Zeichen, dass sich wirklich etwas verändert. "Raúl ist sehr schlau, weil er Schritt für Schritt vorgeht." Sie glaubt an den Wandel, aber andererseits fürchtet sie, dass er zu spät kommt. Zu spät, weil viele Menschen aufgegeben haben. "Sie sind paralysiert." Zu spät auch, weil sie nicht weiß, ob sie für kleine Schritte noch die Geduld hat. Sie hat einen großen Traum: "Morgens aufzuwachen und das Meer zu sehen." Sie spart auf ein Haus am Strand und ein besseres Leben für ihre Tochter. Bis die 18 ist, gibt sie dem System noch Zeit. Wenn Kuba bis dahin keine größeren Schritte gemacht hat, "dann bin ich weg". Maribel hält sich ihr Fenster immer einen Spalt weit offen. Auf der nächsten Seite: Rosa Diaz fürchtet den Wandel 8 Rosa, 37, fürchtet den Wandel. Sie sagt, sie ist zufrieden mit dem, was sie hat. In ihrer Hütte bei Pinar del Río betreibt sie ein Nagelstudio. Richtung Havanna-Zentrum geht es durch einen Tunnel, dann beginnt die Uferstraße Malecón, die am Meer verläuft, bis in den alten Stadtkern. Fischer stehen wie aufgefädelt an der Mauer und werfen ihre Angeln Richtung Norden, Richtung Florida, ins ungestörte Blau des Wassers. Boote gibt es hier nicht, es sei denn, sie fahren Patrouille. Der Verkehr fließt ohne Eile dahin. Nichts geht schnell auf Kuba, aber alles geht irgendwie. In den wenigen hellen Cafés im Zentrum sitzen Touristen, Kubaner sitzen überall, wo ein bisschen Schatten ist. 9 Im Supermarkt gibt es Wasser, Säfte, Kaffee und Rum, Mayonnaise, Schokolade und Essen in Dosen für konvertible Pesos. Für kubanische Pesos finden wir rosafarbenes Klopapier, von der Zeit gebleichte Haarspangen und Bauarbeiterhelme aus China. Die Parteizeitung "Granma" hat jeder Straßenhändler. Andere erlaubte Schriften wie die Frauenzeitschrift "Mujeres" soll es geben, in Kiosken oder Buchläden sind sie allerdings nicht zu finden. In Alt-Havanna gibt es einen Benetton-Laden, Handys und Computer-Zubehör liegen vereinzelt in dunklen Schaufenstern. Der Konsum hat gerade mal eine Zehenspitze auf diese Insel gesetzt. 150 Kilometer weiter westlich nicht mal das. Links und rechts der Landstraßen um die Stadt Pinar del Río liegen Palmenhaine, Tabakfelder, braches Land und einfache Holzhütten. Die von Rosa Diaz ist weiß gestrichen. Rosa ist 37 und lebt in einem Raum mit ihrem Sohn Daniel. Sie hat einen kleinen roten Fernseher, zwei Kochplatten und eine große Hoffnung: dass wieder jemand kommt wie Fidel. Dass alles bleibt, wie es ist. Sie teilt diese Hoffnung mit ihren Nachbarinnen, die oft bei ihr vorbeikommen, weil Rosa ihnen für drei 10 kubanische Pesos die Fingernägel macht. Für vier malt sie die Nägel auch an. Sie teilt diese Hoffnung auch mit allen Leuten in der Gegend, die mit uns sprechen. Es wäre einfach zu sagen: Auf dem Land haben die Menschen mehr Angst vor Veränderungen. Aber so einfach ist es nicht. Auch Studenten in Havanna denken wie Rosa. Eine Medizinstudentin erzählt uns, sie habe fast weinen müssen, als Raúl die Reformen bekannt gab, und sie hoffe, dass die großen Ideen der Revolution erhalten bleiben. Ob diese Menschen wirklich zufrieden sind oder ob sie romantisch verklären, was bisher als unveränderlich galt, ist schwer zu sagen. Vielleicht haben sie sich wirklich eingerichtet in einem Leben, das uns klein und arm erscheint - und der Wandel wirkt wie eine große Bedrohung für sie. Vielleicht steht Kuba vor Konflikten zwischen diesen Menschen und den anderen, denen die Veränderungen nicht schnell genug gehen können. Es ist nicht leicht einzuschätzen, welche Rolle die Angst spielt. Auf der nächsten Seite: Yoani Sánchez kämpft für die Freiheit 11 Ein bisschen klarer sieht eine, die zwei Jahre in Zürich gelebt hat, die schon ausgebürgert war und freiwillig zurückkam, eine, die sagt, sie esse kaum, sie besitze wenig, sie könne auf alles verzichten, nur auf eines nicht: zu sagen, was sie denkt. Yoani Sánchez ist 32. Sie hat sich ihr Fenster in die Freiheit selbst aus der Mauer der Verbote geschlagen. Mit ihrem Mann, dem Journalisten Reinaldo Escobar, gründete sie vor fast vier Jahren "Consensus", eine Internet- Plattform, auf der ihr Weblog "Generation Y" erscheint. "Y" steht für die vielen Y-Vornamen in dieser Generation. Sie erzählt darin aus ihrem Alltag. Von der Langeweile ihres Sohnes Teo, der die Hälfte seiner Schulzeit vom Erziehungsfernsehen unterrichtet wird, weil wegen der schlechten Gehälter keiner mehr Lehrer werden will. Von den Bezugsscheinen für rationierte Lebensmittel, die die Kubaner immer noch bekommen. Vom Schwarzmarkt, ohne den kein Tag vergeht. 12 Yoani, 32, ist Kubas stiller Star. Einen Preis, den sie in Spanien für ihr Weblog bekam, konnte sie nicht abholen: Ihr Visum wurde verzögert, bis es zu spät war. Von ihrem Wohnzimmer im zwölften Stock eines Plattenbaus kann Yoani über die Dächer von Havannas Stadtteil Nuevo Vedado blicken. "Die wichtigste Veränderung", sagt sie, "ist, dass die Menschen Meinungen äußern, die sie vor zwei Jahren nie laut gesagt hätten. Meinungen, die sich auch gegen das System richten. Sie reden mit etwas weniger Angst - aber dieser Wandel geht nur langsam vorwärts." Manchmal habe auch sie Angst. "Davor, was ein großer Staat mit mir kleinem Individuum machen kann." Sie glaubt, dass ihr Telefon abgehört 13 wird - das dauernd klingelt, seit sie für ihr Weblog den spanischen Ortega-y-GassetJournalistenpreis gewonnen hat und das "Time Magazine" sie auf jene Liste gehoben hat, die in Holz gerahmt in der Ecke ihres Wohnzimmers hängt: die der 100 einflussreichsten Menschen 2008. In den USA, wo die kubanische Exilgemeinde am größten ist, hat Yoanis Blog die meisten Leser. Die Texte sind nur kurz. Wo wenige Stunden Internet einen Monatslohn fressen, ist Bloggen Luxus. Der einzige Luxus, den Yoani sich leistet. Sie weiß von anderen Bloggern, "aber wir sind alle voneinander abgeschnitten". Es gibt wenige Gruppen, die ihre Meinungen austauschen, und noch ist jede für sich.Es gibt überall Forderungen und Wünsche, aber niemanden, der sie bündelt. Yoani will dieser Jemand nicht sein, sie betont immer wieder, sie sei unpolitisch. Von Politik zu reden sei "hässlich" in ihrer Generation. Wen sie sich denn an der Spitze des Staates wünschen würde? "Bloß keinen Charismatiker! Einen, der zuhört und umsetzt, was die Menschen wirklich wollen." Yoani schreibt in ihrem Blog auch von dem leeren Stuhl, den sie an jedem 14 Weihnachten für ihren Freund Alfonso an den Tisch stellt. Adolfo Fernández Saínz, ein Journalist, wurde vor fünf Jahren festgenommen, zeitgleich mit 74 anderen Regimekritikern, und wegen seiner Texte zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Frauen und Mütter der Inhaftierten, darunter Alfonsos Frau Julia Nunez Pacheco, treffen sich jeden Sonntag beim Gottesdienst in der Santa Rita an der Avenida Cinco. Danach marschieren sie auf dem Platz vor der Kirche auf und ab, ganz in Weiß gekleidet, rosafarbene Gladiolen und Kuba-Fähnchen in der Hand - die "Damas de Blanco". Auf der nächsten Seite: "Damas de blanco" - gefährlicher Protest 15 Die "Damas de blanco" marschieren jeden Sonntag vor der Kirche Santa Rita - für ihre Männer und Söhne, die im Gefängnis sitzen, weil sie als Regimekritiker gelten. Wir treffen sie vor der Kirche. Julia ist 60. Sie streicht sich mit beiden Händen über das Gesicht. "Make-up", sagt sie. "Die Reformen sind nichts als Make-up." Da stehen sie zusammen, 15 Frauen, einig darin, dass sie dem Staat erst dann glauben, dass sich wirklich etwas ändern soll, wenn ihre Männer wieder nach Hause kommen. Dass das bald passieren wird, glauben sie nicht. "Chicas", ruft eine Frau, die sich aus einem vorbeifahrenden Auto lehnt, und schickt ein paar Durchhalteparolen hinterher. Niemand steigt aus, niemand stellt sich dazu - und auch wir sollten lieber gleich wieder gehen, denn sie seien unter ständiger Beobachtung, meinen sie. Ein Mann steht daneben und macht Fotos. Hier wird die Angst zum ersten Mal sichtbar für mich. Solidarität mit den "Damas de Blanco" ist nicht gewünscht, und durch die Dauerbeobachtung wird sie abgeschreckt. 16 Yari, 24, und Nono, 32, machen Hiphop-Musik - ihr Weg, ihre Meinung zu sagen. Ihr Top und die Jeans hat Nono (rechts) selbst gestaltet, auch die Graffiti an dieser Wand sind von ihr. Aber es gibt Solidarität.Wir finden sie im Hinterhof eines der vor sich hin bröckelnden ehemals stattlichen Wohnhäuser im Stadtteil Vedado. "Venceremos", wir werden siegen, steht auf einem Aufkleber an der Tür, daneben das grimmig entschlossene Gesicht von Che Guevara. Dahinter tut sich ein dunkler Raum auf, rechts die Kochecke, links der Kühlschrank, rund und retro wie so vieles in Havanna. Dahinter das Sofa, auf das Nono und Yari sich vor der Hitze geflüchtet haben. Nono ist 32, hat immer noch den durchtrainierten Körper der Ballerina, die sie 17 mal war, lange Rastazöpfe und ein schüchternes Lachen. Sie wurde vor ein paar Jahren zur Graffiti- und Performance-Künstlerin. Yari ist 24, hat die krausen Haare straff zusammengebunden und Entschlossenheit im Blick. Sie schmiss ihren Job am Flughafen und wurde DJane. Niemand fand das gut, ihre Familien nicht und die Jungs nicht, in deren Domäne sie sich vorwagten: HipHop. Die beiden gehören zur achtköpfigen Frauengruppe "Omega Kilay". "Für die Regierung ist das, was wir machen, imperialistische Musik", sagt Yari. "Die haben Angst vor unseren Texten." Sie schaltet die kleine Anlage an, dann hören wir die Mädels singen, von der Unterdrückung der Frauen, von ihrem Stolz, von den "Damas de Blanco": "Treat me like a queen and not like a beast. These are my words, we are still human beings. I have my name, my pride, don't wanna be a slave all the time..." HipHop und Zusammenhalten, das ist ihr Fenster. Und nicht nur ihres, die weibliche Hiphop-Szene auf Kuba wächst. Dort können die Frauen Rebellinnen sein und sich den Frust von der Seele texten. Für "Omega Kilay" geht 18 es langsam voran. Sie haben Auftritte in kleinen Locations im ganzen Land, irgendwie haben sie auch in einem Hinterhofstudio eine CD zusammengeschustert. Aber auch sie sind voneinander abgeschnitten. Denn fünf der acht Frauen leben inzwischen in Kalifornien. Sie sind emigriert, wie so viele. Zigtausende Menschen verlassen jedes Jahr die Insel. Die Frauen, die wir getroffen haben, wollen bleiben. Sie hoffen, dass die wirtschaftlichen auch politische Freiheiten mit sich bringen. Sie alle wünschen sich, dass es wirklich Schritt für Schritt weitergeht und die ersten Reformen nicht das alte System in einer etwas anderen Verpackung erhalten sollen. Sie haben aber noch einen anderen Grund zu bleiben: "Als ich in Europa war, habe ich mich erst richtig in mein Land verliebt", so drückt Maribel Apanachy aus, was sie alle empfinden. Und es ist keine blinde Liebe, sie haben Vergleiche. Iliam war für drei Monate in Wien, Nana in Dänemark, Maribel war mehrmals in Ungarn. Sie hätten wegbleiben können, aber sie kamen zurück. Es war ihnen in jeder Hinsicht zu kalt anderswo. Sie wollen in Kuba leben, aber in einem anderen Kuba. 19 Von der Ecke Calle G und La Rampa Richtung Meer geht es bergab. Die Promenade ist samstagnachts voller Jugendlicher, die mit Gitarren und scheppernden Mini- Anlagen im Dunkeln sitzen. Die lichtlosen Straßenlaternen ragen geisterhaft über ihnen in den Nachthimmel. Nur für die Ampeln reicht der Strom. Die Ampel ein paar Ecken weiter allerdings hat einen Defekt. Rot heißt auch bei ihr Stopp. Wenn es weitergeht, dann leuchtet sie rot und grün. Gleichzeitig. 20 Kuba auf eigene Faust Touristenghetto à la Varadero? Muss nicht sein. Wer Kuba auf eigene Faust bereist, wird reich belohnt - mit herzlichen Menschen, paradiesischer Natur und liebevoll gemixten Mojitos. BRIGITTE.de-Redakteurin Susanne Arndt war drei Wochen lang unterwegs und hat die besten Tipps mitgebracht. Kuba-Weblog: Generation Y Frauen in Kuba: Gesichter des Wandels Der alte Chevy-Motor röhrt, die mächtige rote Rückbank wiegt uns sanft im Takt der Bodenwellen. "Quieres un cigarro?", bieten die Frauen, die hinten sitzen, dem Fahrer Zigaretten an. Hinten, das ist da, wo einst der Laderaum war. Heute sind dort zwei winzige Holzbänke für Tramper eingebaut, denn Tramper bedeuten extra Cash für unseren Fahrer Paolo. Mein Freund und ich haben Paolo heute morgen am Busbahnhof von Cienfuegos kennen gelernt: Er bot an, uns die 300 Kilometer nach Batabanó zu fahren - für 50 Dollar, genauso viel, wie uns die zwei 21 Tickets für den Bus gekostet hätten. Jetzt sind wir auf dem Weg zum Fähranleger in Batabanó, wo wir zur sagenumwobenen Pirateninsel "Isla de la Juventud" übersetzen wollen. Die Magie des Dollars Paolo ist einer der neureichen Kubaner, die Touristen ihre Dienste anbieten, um an die begehrten US-Dollars zu kommen - illegal zwar, denn er darf keine Devisen am Staat vorbei verdienen, aber es lohnt sich. Seit der Einführung der amerikanischen Währung im Jahre 1993 gibt es vieles nur noch mit "devisas" zu kaufen. Luxusgüter wie Kosmetika und Pflegeprodukte sowieso, aber eben auch nützliche Dinge wie Baumaterial und Benzin. Der Kraftstoff ist knapp, seit der ferne Bruder hinter dem Ural seine Zuwendungen eingestellt hat - und deshalb müssen die Bauern auch wieder ihre Ochsen vor die Pflüge spannen. Armut ja, Elend nein Immer wieder begegnen wir Fahrradfahrer auf der "autopista", der Autobahn, die sich quer durch das Land zieht: Eine tote Ziege auf dem Gepäckträger, geräucherte Schinken an der Lenkstange, eine Hochzeitstorte auf dem selbstgezimmerten 22 Anhänger - so ist hier mancher Kubaner unterwegs. Es herrscht wenig Verkehr, denn für Autos ist kaum Geld da, und wenn das Geld da ist, fehlen die Autos. Die Kubaner sind nicht reich, nein, aber Elend ist nirgendwo zu sehen - anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern, wo Ghettos und zugrundegerichtete Menschen zum Straßenbild gehören. Bei Iraida auf der Isla de la Juventud Gut drauf und immer hilfsbereit: Unsere Vermieterin Iraida mit ihrem Mann Wie jeden Abend taucht die Abendsonne die kegelförmigen Marmorberge rund um Nueva Gerona in warmes Licht. In dem Maße wie der Himmel errötet, scheint das kleine Städtchen zu erwachen. Hier oben auf dem Dach unseres "Casa Particular", in dem wir uns eingemietet haben, lassen wir uns einlullen - von der Musik, die aus den Häusern dringt, dem Hämmern und Sägen, 23 dem Grunzen der Schweine, von den Stimmen der Menschen und Fernseher, dem erbarmungswürdigen Krächzen der Hähne ... da entlässt die Glocke der benachbarten Abendschule die SchülerInnen in den Feierabend. Es ist 19 Uhr Zeit für uns, beklommen die Wendeltreppe zur Terrasse hinabzusteigen. Denn dort wartet die allabendliche Mastkur auf uns. Der Tisch, neben dem ein russischer Kühlschrank lautstark seine Dienste tut, biegt sich unter Tellern mit Gurken- und Krautsalat, Reis, schwarzen Bohnen, Fleisch, Früchten, Malanga und Yuka. Es hilft nichts: Auch wenn wir jeden Abend Unmengen stehen lassen und immer wieder betonen, dass es zwar köstlich aber viel zu viel war - es gibt keine Gnade. Ob die kubanische Regierung den Betreibern der Privatpensionen auferlegt, den ausländischen Gästen Überfluss zu demonstrieren, wissen wir nicht. Die Kubaner jedenfalls geben sich mit einem Teller Reis und Bohnen zufrieden. Da kommt auch schon Iraida anmarschiert, freudestrahlend Törtchen und Eis balancierend: Wie jeden Tag hat sie eine "Überraschung" für uns zum Nachtisch aufgetrieben. Kuchen oder Erdbeereis zum kleinen schwarzen Kaffee - oder eben beides. Denn so viel ist sogar bis nach Kuba 24 durchgedrungen: Deutsche essen gern Kuchen zum Kaffee ... Kurzinfo Isla de la Juventud Die für Kuba typischen Königspalmen spenden beim Wandern Schatten. Hier halten sich leider auch die Moskitos am liebsten auf... Robert Louis Stevenson ließ sich von den Aktivitäten der Piraten auf der "Isla" zu seinem Roman "Die Schatzinsel" inspirieren. Wer hier nach Schätzen sucht, muss auch nicht weit gehen: Zu Fuß kann man von Nueva Gerona aus den Norden der Insel entdecken - die Zuckerrohr-Felder, die Haine aus den für Kuba typischen Königspalmen, idyllisch anmutende Agrar-Gemeinschaften und die tropisch bewachsenen Marmorhügel. Oder Sie fahren ein paar Kilometer - am besten mit dem Fahrrad oder vielromantischer mit dem Pferdewagen, den man für zehn Dollar am Tag samt Kutscher mieten kann. Auf dem Weg zum "Playa Paradiso" sollten Sie unbedingt das Museum "Presidio Modelo" anschauen: Ein gigantisches 25 Gefängnis aus der Batista-Ära, in dem einst auch Castro und seine Genossen einsaßen. Der südliche Teil der Insel ist Naturschutzgebiet. Diesen kann man nur im Rahmen einer organisierten Tour besuchen: Um die Höhle "Cueva de Punta del Este" anzuschauen, die unter Archäologen als Sixtinische Kapelle der karibischen Indianer gehandelt wird. Und um am einsamen Strand die sanften Wellen zu genießen. Hinkommen: Mit der Fähre (6 Stunden) oder dem Schnellboot "Kometa", 2 Stunden mehrmals täglich von Surgidero de Batabanó. Wahlweise mit dem Aerotaxi täglich ab Havanna und Varadero. Wohnen: "Villa Felicidad" Iraida Hernandez Calle 36 zwischen ("entre") 35 und 37, Nr. 3504 Nueva Gerona Tel. (61 für die Insel) -2 10 47 Iraida vermietet ein großzügiges Doppelzimmer. Nueva Gerona liegt im Norden der Isla und ist ein guter Ausgangspunkt. 26 Kurzinfo Trinidad Tageserwachen in der einstigen Stadt der Zuckerbarone 1988 wurde die ehemalige Zuckerhauptstadt Trinidad zum Weltkulturerbe erklärt. Entsprechend restauriert sind die anderswo verfallenden Kolonialbauten der einstigen Zuckerbarone. Ein beschauliches Städtchen zwischen Hügeln und Meer - mit Kopfsteinpflaster, Pferdewagen und vielen amerikanischen Straßenkreuzern. Zahlreiche Paladares (Privatrestaurants), Casa Particulares (Privatpensionen), ein Internet-Café und ein Dollar-Supermarkt machen dem müden Urlauber das Leben leicht. Die zahllosen Son- und Salsa-Bands, die hier zu Hause sind, spielen überwiegend für Touristen. Sehr schön ist das nahe gelegene Valle de los Ingenios (Tal der Zuckerrohrmühlen). Tagestouren mit Taxi oder Bus zum Playa Ancón (vier Kilometer palmenloser Strand mit guten Tauchmöglichkeiten) sind möglich. Hier gibt es auch ein paar wenig einladende Hotels. 27 Wohnen: Belkis und Rolanda Calle José Marti Nr. 331 Tel. (419 für Trinidad) -4398 Schöne Zimmer und ein Innenhof voller Pflanzen und Vögel. Das Essen ist gut, die Leute sind nett. Sehr zentral gelegen. Kurzinfo Cienfuegos Abendstimmung an der Bucht: Blick vom Palacio de Ferrer auf den Parque José Martí Sehr viel weitläufiger als Trinidad ist Cienfuegos, auch "Perle des Südens" genannt: Breite Prachtstraßen statt enger Gassen, große Plätze und mehrstöckige Gebäude. Die kolonialen und neoklassizistischen Gebäude sind auch hier relativ gut erhalten. Die Stadt liegt in einer schönen Bucht, auf der Landzunge "Punta Gorda" haben einst spanische und französische Aristokraten residiert. Wohnen: Nach dem zweifelhaften Genuss von sechsbeinigen "Gewürzen" in der Suppe, möchten 28 wir Ihnen unsere Unterkunft nicht empfehlen ... Die schönsten Casa Particulares liegen - allerdings etwas abgelegen - in Punta Gorda. Dafür gibt es ganz im Süden der Landzunge exzellente Mojitos, die sich besonders bei Sonnenuntergang genießen lassen (Insektenschutz mitbringen!). Kurzinfo Havanna Zeugen einstigen Reichtums: Villa im Vedado Die vielen Sehenswürdigkeiten und Museen der Karibikmetropole sind an einem Tag nicht zu bewältigen. Touristen bewegen sich vor allem in La Habana Vieja (Altstadt), Habana Centro und dem Vedado. Ein Klassiker ist natürlich auch der Malecón, Havannas berühmte Strandpromenade, die entgegen gängiger Klischees weniger karibischen als sozialistischen Charme versprüht. Hier steht auch das seinerzeit glamouröse Hotel Riviera, das US-Gangster Meyer Lansky in den 50er Jahren im Las Vegas-Stil erbauen ließ. 29 Wohnen: Am entspanntesten ist es im Vedado, dem einstigen Residenzviertel Havannas, wo sich nach 1898 vor allem Amerikaner niederließen. Wen es nicht stört, dass sich der Putz von den einst prächtigen Villen schält und die Wurzeln der Urwaldriesen die Gehwegplatten sprengen, kann sich hier gut von der Hektik der Altstadt ausruhen. Tipp: Francisco Rodríguez Sánchez Calle 17, zwischen C und D, Nr. 558 Vedado Tel. (7 für Havanna) -32 5003 Eine der wenigen restaurierten Villen im Vedado, mit einem Schatten spendenden Baum im Hinterhof. Kurzinfo Viñales Das Tabakanbaugebiet rund um Viñales ist wunderschön: Bizarre Kalksteinkegel ("mogotes"), ähnlich wie in Südchina, erheben sich in der fruchtbaren Gegend. Wie überall in der Provinz Piñar del Rio gibt es Palmenhaine, Tabakund Malanga-Felder, dazwischen kleine Bauernund Trockenhäuser, in denen die Tabakblätter getrocknet werden. 30 Die Attraktion der Villa Odalys sind die Bewohner: Odalys' Vater Tonio (links) wird Sie mit enthusiastisch gemixten Mojitos beglücken Man kann einfach vom Ort aus loslaufen, sich treiben lassen oder eine der zahlreichen Höhlen besuchen. Fahrräder und Mopeds gibt es auch zu mieten. Auch ein Strandausflug zur Cayo Jutías, einer winzigen Insel nördlich von Viñales, lohnt sich. Am weißen Sandstrand kann man wunderbar alleine sein und das türkisblaue Meer genießen. Die Insel ist durch einen Damm mit dem Festland verbunden. Viñales selbst ist nicht viel mehr als eine Dorfstraße. Wohnen: Villa Odalys Carretera Cementerio Nr. 24 A Viñales Reise-Infos Kuba Reisezeit: Die angenehmste Reisezeit ist von November bis April. In der Trockenzeit herrschen tagsüber durchschnittlich 27 Grad, abends kann es 31 im kubanischen Winter etwas kühl werden. In den Weihnachtsferien ist allerdings Hochsaison - die Preise steigen und viele Orte sind überfüllt. Einreise: Europäische Touristen benötigen neben dem Reisepass mit noch mindestens 6-monatiger Gültigkeit eine "Touristenkarte". Sie ist in Reisebüros erhältlich. Viele Reisebüros knüpfen den Verkauf der Karten an eine Hotelbuchung suchen Sie sich eines aus, das davon absieht. Die Immigrationsbehörden in Kuba können jedoch Ärger machen, wenn Sie auf der Touristenkarte kein staatliches Hotel als Reiseziel angegeben haben. Tragen Sie einfach ein beliebiges ein, das Sie in Ihrem Reiseführer finden. Und dann geht's mit dem Taxi zum nächsten Casa Particular ... Sprache: Wer auf eigene Faust durch Kuba reist, sollte unbedingt etwas Spanisch können. Kaum jemand spricht Englisch, ein paar wenige, die in der ehemaligen DDR gelebt haben, sprechen Deutsch. Geld: Es gibt drei Währungen - den Peso, den Peso Convertible und den US-Dollar. Generell bezahlen Touristen mit US Dollars oder dem gleichwertigen Peso Convertible. Einzige Ausnahme: Eis, Pizzen und Säfte an Straßenstränden. Es gibt noch keine 32 Bankautomaten, die Gebühren für Traveller Cheques sind recht hoch. Am besten viel Bargeld, wenig Traveller Cheques (keine amerikanischen!) und eine Kreditkarte (dito) mitnehmen: Durch die omnipräsenten Zivilpolizisten ist es sehr unwahrscheinlich, bestohlen zu werden. Wohnen: In jeder Hinsicht zu empfehlen sind die "Casa Particulares" (Privatpensionen), die mit einem blauen Dreieck an der Tür gekennzeichnet sind. Verpflegung als auch Unterkunft sind hier in der Regel besser und günstiger als in den staatlichen Hotels und Restaurants. Für die Kubaner ist die Zimmervermietung sowohl Chance als auch Risiko. Unabhängig von der Nachfrage müssen sie hohe Steuern bezahlen - andererseits bietet die Vermietung Zugang zu den begehrten Devisen. Rumkommen: Am praktischsten aber auch teuersten ist es, ein Auto zu mieten, da der öffentliche Nah- und Fernverkehr nicht sehr gut ausgebaut ist. Stellen Sie sich aber darauf ein, dass statt der anderswo üblichen Wegweiser Propaganda-Schilder die Straßen säumen. Für kubanische Arbeiter gibt es Trucks, die aber keine Ausländer mitnehmen, viele Einheimische trampen. Wer sich gegen einen Mietwagen 33 entscheidet, kann aber überall Taxen, Privatautos, Pferdewagen, Fahrräder oder Mopeds mieten - für Abstecher an die Strände oder ins Umland. Strände: Wer vor allem wegen der Strände nach Kuba reist, sollte eine Pauschalreise buchen. Die schönsten, nämlich palmengesäumten Strände sind meist in der Hand von Hotelketten, die für Individualtouristen sehr teuer sind (ab 110 US $ aufwärts). Die Strände, die für Kubaner zugänglich sind, sind oft weniger schön. Dennoch gibt es einige schöne unbewohnte Strände für Tages- oder Campingtrips. Orientierung: Die Kuba-Karte von www.lonelyplanet.com bietet einen ersten Überblick über die Insel. Der englischsprachige Reiseführer "Cuba" von Lonely Planet ist sehr zu empfehlen. Wer lieber an einer organisierten Reise teilnimmt, wird beim Spezialreiseveranstalter www.cubastartravel.comfü ndig. 34 Mit dem Fahrrad durch Kuba Der Rum ist lecker, die Natur paradiesisch, der Abhängefaktor top und das Fortbewegungsmittel sportlich: Harriet Wolff war mit dem Fahrrad auf Kuba unterwegs. Die Verkehrslage auf der A4 ist entspannt. Alle paar Minuten rauscht hupend ein bonbonfarbener Oldtimer, ein klappriger Lastwagen oder ein mehr oder weniger luxuriöser Touristenbus an uns vorbei. Ansonsten teilen wir uns die holprige Autobahn, die durch die Tropen in Richtung Las Terrazas führt, ganz legal mit winkenden und johlenden Schulkindern und ein paar Bauern auf Ochsen- oder Pferdekarren. Dazu säumen sozialistische Losungen wie "Immer bis zum Sieg" die Strecke, schwungvoll aufgemalt an 35 Brücken, die auch schon mal ins Nichts führen. Vieles ist hier unvollendet - auch Castros in die Jahre gekommene Revolution. Fahrräder haben auf Kuba mittlerweile Seltenheitswert, obwohl das Regime noch in den neunziger Jahren unzählige verschenken ließ. Übrig geblieben ist ein breites Grinsen der Kubaner für uns locos, Wahnsinnige, die sich freiwillig auf ihrer Insel abstrampeln. Wobei "abstrampeln" das falsche Wort ist - dazu ist die Tour viel zu entspannt, wir Teilnehmer auch, und 45 Kilometer sind unser moderates Tageshöchstpensum. Außerdem wird schön gemütlich das Gepäck im Bus hinterhergefahren, selbst schattenfreie Bergfahrten schrecken deshalb keinen so wirklich. Entspannter kann eine Radtour nicht sein: mit Stränden zum Chill-out, Cocktailbars direkt neben der Strecke, applaudierenden Kubanern am Straßenrand, Rum und jeder Menge zum Gucken Yunior aus Havanna, einer der beiden Reiseleiter, hütet uns wie seinen Augapfel. Und lässt sich von 36 17 Menschen, die im Eigentempo radeln oder fotografieren, nicht aus der Ruhe bringen. "¡Despacio, despacio!" ist sein Motto, während er uns auf seinem Rennrad überholt. Schön locker und langsam! Am besten also laufen lassen, immer nur laufen lassen - während der Reise wird mir mehr und mehr klar, dass dieser Rat hier nicht nur fürs Rad wichtig ist. Für Kontrollfreaks jeder Art ist Kuba die falsche Destination. Auf der kurvigen Bergabfahrt in der tropisch überwucherten Sierra del Escambray hin zu unserer Mittagspause wünsche ich mir jedoch sehnlichst mein olles Rad von daheim her, schön mit Rücktritt. Meine Hand ist schon ganz verkrampft vom Bedienen der Vorderradbremse des 21-Gang- Touringrads. Mehr bei BRIGITTE Kuba auf eigene Faust Frauen in Kuba: Gesichter des Wandels Bilder-Rätsel: Finden Sie die Fehler? Reise: Aktuelle Themen auf einen Blick Die "Dschungelbuch"- Kulisse rings um mich herum nehme ich trotzdem mit allen Sinnen wahr. So muss das Paradies aussehen: Miniatur- Wasserfälle rauschen in Palmenhainen, die in allen Grüntönen 37 leuchten. Strahlend rote und apricotfarbene Hibiskusblüten fallen in Kaskaden den Hang hinab, es duftet würzig und süß zugleich. Hoch über mir in der flirrenden Luft kreisen schwarze Truthahngeier, ihre roten Köpfchen blinken in der Sonne. Und jetzt treibt mich auch noch ein warmer Rückenwind unserer Mittagspause entgegen. Wir sind zu Gast bei Familie Perez, in deren lauschigem Bauerngarten zwei kugelrunde schwarz-rosa Schweinchen ihr Leben fristen. Das dritte ist für uns bestimmt: Es gibt lechón, gegrilltes Spanferkel. Zwischen unseren geparkten Rädern picken Hühner, an Stacheldraht aufgehängte Wäsche flattert in der Brise. "Mi amor", ruft Monica zu Yunior, "mi amor, schäl mal die Süßkartoffeln." Monica kocht mit Verve in der separaten Küchenhütte, aufgetischt wird das mit Gewürzen und Gemüsen gefüllte Spanferkel in einem spartanischen, blitzblanken Holzhäuschen. Zum Schluss gibt es den vorgesüßten, extra starken Café Cubano, der einen weiterradeln lässt, statt, was hier überhaupt nicht verkehrt wäre, eine schön lange Siesta einzuschieben. Auf der nächsten Seite: Karibische Traumstrände und ganz viel Rum 38 Siesta ist übrigens eines der wenigen Klischees über Kuba, das stimmt. Es gibt eine ganze Reihe von Klischees in einer ganzen Reihe von Reiseführern, die nicht stimmen. Meistens laufen sie darauf hinaus: Der Kubaner ist arm wie eine Kirchenmaus, immer gut drauf und macht ständig fantastische Musik. Gut, das mit der Musik kommt manchmal schon hin. In einer Bar zu sitzen und zu erleben, wie die Familie am Nebentisch spontan Instrumente auspackt und anfängt zu musizieren, ist großartig. Permanente Fröhlichkeit jedoch ist nirgendwo zu spüren und wäre ein Wunder in der ökonomischen Dauerkrise. Die aber hat manch geschäftstüchtigem Kubaner zu viel Geld verholfen. So oder so gilt: Es wird gern einen Gang heruntergeschaltet, man lässt sich nicht hetzen. Im Tal von Viñales würde ich am liebsten vom Sattel absteigen, mich auf einen sillon setzen, einen der Schaukelstühle, die auf jeder Terrasse der kleinen Holzhäuser stehen, und gucken, wer da so des Weges kommt. Welcher Cowboy hoch zu Ross seinen breitkrempigen Lederhut vor mir zieht, welche Pferdekutschen vorbeiklappern und was es hier in Kubas Westen noch für Fortbewegungsmittel gibt, die in unseren Breiten nicht mehr durch den Alltag ziehen. 39 Im Garten einer Bauernfamilie wird die Gruppe bewirtet, während die Hühner sich die Räder anschauen Oder ich würde am Strand Cayo Jutia mehr als nur einen faulen Nachmittag verbringen. Gäbe es bei der Stiftung Warentest internationale Strände im Test, Cayo Jutia an der Nordküste hätte garantiert den "Sehr gut"-Stempel. Hier stimmt nicht nur die Sandfarbe (Schneeweiß), sondern auch der Cocktail-Abhängfaktor. Der Strand heißt nach den vom Aussterben bedrohten Nagern, den Jutias, die jedoch mit Ratten nicht näher verwandt sind. Sie gehören zur großen Familie Stachelschwein und verstecken sich wahrscheinlich vor uns kleiner Horde, die da entlangrast; entlang an Pinien und Palmen, ein für mich ungewohnter Baum-Mix. 40 Die Strände sind tatsächlich oft menschenleer Vom Meer weht eine salzige Brise, auf dem Asphalt glitzert der Sand, noch eine scharfe Linkskurve an einem Leuchtturm, und ich radle fast in die glasklare karibische Badewanne hinein. 25 Grad Wassertemperatur und das im sogenannten Winter. "Wahnsinn", sagt Frauke, die Tierärztin, "Wahnsinn, wie türkis." Wir fotografieren uns gegenseitig, wie wir hingebungsvoll mit dem Rad im knöcheltiefen Wasser stehen. Und dann gibt es nur noch eins: Gleich ins Wasser oder erst einen Drink? Den gibt es an der Bar, die krachend laut alte Charts spielt. Lautstärkemuffel sollten besser nicht nach Kuba fahren, Abstinenzler auch nicht. Rum steht überall rum, er ist billig, und er hilft in kleinen Dosen gut über Reisehürden hinweg. Auf der nächsten Seite: Havanna! 41 Mit dem Fahrrad durch Kuba Auf dem Rad sind fast nur Touristen unterwegs Apropos Hürden: Auf dem Rückweg nach Havanna macht Joaquín, der ganz sicher zuverlässigste Busfahrer Kubas, fast eine Vollbremsung auf der Autobahn. Nicht, dass irgendetwas im Wege gestanden hätte, aber unser Reiseleiter Yunior möchte Zwiebeln kaufen und am Rand sitzen illegal zwei Männer mit frischen Stauden. Gerade hatte er uns erklärt, wie schwierig die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern ist. Noch schwieriger machen es die zwei Währungen des Landes. Wer viel von der Devisenwährung besitzt, dem Peso Convertible, hat die teure Auswahl. Wer mit dem Peso Nacional einkauft, zahlt viel weniger, das Angebot ist aber dürftig. Yunior zeigt uns auch seine libreta, einen staatlichen Bezugsschein für subventionierte Lebensmittel, den jeder Kubaner bekommt. "Davon kann aber keiner von uns überleben." Selbst Yunior, der als Reiseleiter in Devisen bezahlt wird, muss gucken, wie er mit 42 seiner Familie halbwegs über die Runden kommt. Er hofft, wie viele Kubaner, auf ein Ende des seit fast 50 Jahren geltenden US-Embargos. Bauten aus der Kolonialzeit sieht man bei der Fahrt über die Insel überall. Spuren der Revolution auch: die Gruppe vor der Plaza de la Revolución in Havanna und ein Wandbild von Ernesto Che Guevara. Mit einem Berg Zwiebeln an Bord erreichen wir schließlich Havanna. Wir lassen die Räder stehen und schlendern durch die Altstadt, ganze Straßenzüge sonnengelber, hellblauer und mintgrüner Häuser im Kolonialstil sind bereits als Weltkulturerbe restauriert worden. Es gibt Edelboutiquen, luxuriöse Straßencafés und nur eine Ecke weiter eine gähnend leere Bar, die außer 50 Flaschen Havana Club nichts im Angebot hat. Yunior lotst uns zum Hotel Ambos Mundos, wo Hemingway im fünften Stock mit Blick über den Hafen seinen Roman "Wem die Stunde schlägt" schrieb. "Das Meer kann nicht weit sein", denke ich nach einem Piña Colada und mache mich auf die Suche nach der Malecón, der berühmten Uferpromenade Havannas, verlaufe mich jedoch im Gassengewirr der Altstadt. Ein altes Mütterchen geleitet mich zurück zum Hotel, möchte dafür aber mein Kleid mit goldenen Lurexfäden. Ich spendiere 43 stattdessen Taschentücher, was angesichts der grassierenden Papierknappheit auch willkommen ist. Am nächsten Morgen die letzte Radetappe quer durch die lebhaft wuselige Stadt. Ein bisschen wehmütig betrachte ich unseren Reisebus mit den abgerockten lilafarbenen Vorhängen, der uns zur überdimensionierten Plaza de la Revolución bringt, dem Regierungszentrum von Havanna. Ich versuche ein Gruppenfoto vor einer riesigen Kubafahne zu schießen. Aus unerfindlichen Gründen darf genau hier nicht fotografiert werden, doch die Security vor Ort drückt ein Auge zu und verabschiedet uns mit Daumen nach oben. Wir stürzen uns im Fahrrad-Gänsemarsch in den Verkehr. An einer Ampel halten neben mir ein von Cha-Cha-Cha-Rhythmen vibrierender, pinkfarbener Cadillac ohne Scheiben, daneben ein niegelnagelneuer Mercedes mit Autotelefon. Gegenüber an der Ecke repariert ein alter Mann Einwegfeuerzeuge. Auf seinem verwaschenen TShirt steht: "Miami Vice". Man darf gespannt sein. Die Radreise "Kuba - Perle der Karibik" wird veranstaltet von Wikinger Reisen, Tel. 02331/90 47 43, Fax 02331/90 47 04. Die 16-tägige Reise kostet ab 2298 Euro, inklusive Flug und Verpflegung. Mehr Informationen unter www.wikinger.de 44 Im Nationalpark auf Kuba: Schnecken statt Sozialismus Die herrlichsten Strände, die sonnigsten Menschen: Kubas Attraktionen sind schon viel gepriesen worden. Cornelia Gerlach hat im größten Nationalpark auf Kuba eine weitere entdeckt: eine Schnecke, die es sonst nirgends gibt. Startseite In diesem Artikel: Reise-Infos Kuba 45 Durchhalteparolen von Fidel Castro und Hugo Chávez an der Straße nach Baracoa Foto: Sven Creutz Die Polymita ist leuchtend gelb und elegant geschwungen und nur im Osten Kubas zu finden Foto: Sven Creutz Polymita ist leuchtend gelb und elegant geschwungen, mit einem dunklen Strich, der die perfekte Windung ihres Hauses betont. Die schönste Schnecke der Welt soll sie sein. Und es gibt sie nur im Osten von Kuba. Während andere kommen, um Zigarren zu rauchen oder an einem der herrlichen Strände sonnenzubaden, will ich im Alexander-von-Humboldt-Nationalpark, keine tausend Kilometer östlich von Havanna, wandern gehen in der Hoffnung, eine kleine gelbe Schnecke zu treffen. Baracoa, von wo aus derNationalpark verwaltet wird, ist eine kleine Stadt am Meer. Bis zur Revolution kamen die Menschen nur auf dem Seeweg hierher. Dann schlugen die Brigaden Straßen in den Urwald. Mittlerweile bröckelt der Aphalt, die Pfützen in den 46 Schlaglöchern sind knietief. Die Landschaft ist grün und saftig, vom tropischen Regen begünstigt. Lianen hängen wie Geisterfäden über den Wegesrand. Vom internationalen Flughafen in Holguín nach Baracoa sind es Luftlinie 200 Kilometer. Mit dem Auto braucht man dafür fast einen Tag. Das letzte Stück der Strecke geht durch die einsame Natur des Nationalparks . Dann kreuzen plötzlich Hühner die Straße, ein Schwein zuckelt gemächlich am Straßenrand entlang. Kleine Häuser säumen den Weg, fast jedes hat zwei Schaukelstühle auf der Veranda und ein Gärtchen. Eine Mutter sitzt mit ihrem Säugling an einem selbst gezimmerten Stand und bietet Süßigkeiten feil: Zuckertüten aus Palmstroh, die mit geraspelter Kokosnuss und Papaya-Stücken gefüllt sind. "Baracoa heißt Natur". Mit diesem Slogan wirbt die Stadt für sich selbst. Baracoa gilt als die grünste Stadt Kubas. Die üppige Vegetation der Gebirgskette Sierra del Purial ist bis weit in die Stadt hinein zu sehen. Das Umland beherbergt eines der besterhaltenen Ökosysteme der Insel: den Alexander-von-HumboldtNationalpark. Die Unesco hat die 70 000 Hektar Urwald im Jahr 2001 zum Weltnaturerbe erklärt, weil die karibische Tier- und Pflanzenwelt hier einzigartig ist, deutlich größer als die der Galápagos-Inseln zum Beispiel. Aber bevor ich Polymita suchen kann, muss ich meinen Reiseleiter für die kommenden Tage finden. Der Weg zu 47 ihm führt mich durch die kleinen Straßen der Stadt zu einem gelb getünchten Haus. Neben der Haustür hängt ein Schild: "Fachmann Naturreiseführer Flora und Fauna", steht dort tatsächlich auf Deutsch geschrieben. Dr. Alberto García hat in der DDR Forstwirtschaft studiert. "Ich bin der Opa vom Nationalpark", stellt er sich breit lachend vor. Dann küsst er seine junge Frau seine sechste, wird er mir später erzählen -, zieht seine dicken ledernen Wanderstiefel an, nimmt den Hut und sagt: "Auf geht's." Auf der Fahrt zum Park passieren wir Schilder mit sozialistischen Durchhalteparolen: "Viva!" und "Genug geredet, es ist alles gesagt. Jetzt gilt es, hart zu arbeiten". Raúl, unser junger Fahrer, grinst. Von denen, die mit ihm Abitur gemacht haben, sind viele im Ausland. Nur fünf der alten Freunde sind ihm geblieben. Die anderen schreiben E-Mails. "Die arbeiten viel und leben wenig", sagt er, "und wir arbeiten wenig und leben viel." Drei Wanderungen machen wir in den kommenden Tagen. Am Fuße des El Yunque, des Tafelberges, der schon Christoph Kolumbus imponierte. Ins Yumuri-Tal, eine Stunde östlich von Baracoa. Und zu einer Insel an der Mündung des Rio Toa. Wandern? Raúl schüttelt verständnislos den Kopf. Nein, sagt er, aus freien Stücken zu Fuß gingen doch nur die verrückten Touristen . Er werde den Wald an einem 48 schattigen Platz genießen. "Aber wenn ihr eine Schnecke findet, bringt sie mit." Seine Freunde seien völlig versessen auf die Polymita. Aber die sind doch geschützt? Raúl zuckt mit den Schultern und bleibt zurück, während wir durch eine traumhaft schöne Landschaft laufen. Mehr bei BRIGITTE-woman.de Diana Nyad: Schwimmend zum Lebenstraum Businesspläne für Kubas Tänzer Kuba-Quiz: Wie gut kennen Sie die Insel? Manchmal würde ich mich am liebsten auf der Stelle hinsetzen und malen. Den Fluss, die von Vulkanen in der Urzeit an die Oberfläche gespuckten und von den tosenden Wassermassen geschliffenen Steine. Kletterpflanzen ranken sich die Klippen herunter, Königspalmen schicken ihre Kronen in den Himmel, und leuchtend rote Bromelien sitzen wie fette Untermieter an den Weiden, deren schützendes Dach uns Schatten spendet. Wir baden in einem Fluss mit bunten runden Kieseln in zarten Farben, gerahmt von hohen Kreideklippen. Die Sonne fällt ins Tal, das Wasser glitzert türkis wie im Bilderbuch eines Abenteuerreisenden. Auf der nächsten Seite: Die Natur ist ein Grund zum Bleiben 49 Reise-Infos Kuba Entdeckertour: Alberto García (re.) zeigt Autorin Cornelia Gerlach (li.) und zwei Begleiterinnen das seltene Schnecken- Exemplar Foto: PR Immer wieder bleibt Alberto García stehen, bückt sich, um die kleinen Blattschneiderameisen zu zeigen, oder hebt den Stock in den Busch , wo gerade ein Smaragdkolibri um eine Blüte schwirrt. Er erzählt von den Bienenelfen, einer farbenprächtigen Kolibriart, die sich vom Pollen der Königspalme ernährt, und den Schnurrbartfledermäusen, die in den Bergwäldern des Nationalparks zu Hause sind. Er lauscht dem Waldsänger und dem Vielfarbigen Todi mit dem feuerroten Schnabel und dem grasgrünen Federkleid und findet eine wunderschön schillernde Eidechse im Laub, die dort wie ein Minikrokodil auf ihre Beute lauert. "Anolis baracoae", sagt er spontan, "endemisch" - das heißt: nur hier zu finden, sonst nirgends auf der Welt. 50 Wenn man ihn fragt, warum er nicht, wie so viele, das Land verlassen hat, dann sagt er: "Ist die Natur nicht einwunderbarer Grund zu bleiben?" Sogar hier draußen, fernab der Straßen, leben Menschen. Einmal stehen wir vor einer Schule mitten im Wald. "Die Natur zu lieben heißt, das Leben zu lieben", steht unter dem Giebel. Die Lehrerin winkt uns herein. Sechs Kinder werden hier unterrichtet, die kleinen subtrahieren gerade, die großen üben Brüche, eins sitzt am Computer. Als wir weitergehen, erzählt Alberto García von seiner Kindheit. Sein Vater war Köhler, der Sohn musste früh mit ran. Dass er studieren konnte, hat er der Revolution zu verdanken. "Viele träumen von schnellen Autos und übersehen, wie wertvoll es ist, dass auf Kuba jedes Kind zur Schule geht und gesund aufwächst." Am Ende des ersten Tages haben wir vieles gesehen, aber von der kleinen Schnecke, dem Wahrzeichen von Baracoa, keine Spur. Dabei ist Polymita bloß eine von 1800 bis 2000 Tierarten, die nur hier vorkommen und sonst nirgends auf der Welt. Manche, wie der Schlitzrüssler, der mit seiner langen Nase aussieht wie eine zu groß geratene Spitzmaus, sind anderswo schlicht ausgestorben. Als Kolumbus 1492 bei Baracoa an Land ging, war Kuba zu 90 Prozent von Wald bedeckt. "Ich gestehe, beim Anblick dieser blühenden Gärten und grünen Wälder 51 und am Gesang der Vögel eine so innige Freude empfunden zu haben, dass ich es nicht fertigbrachte, mich loszureißen und meinen Weg fortzusetzen", schrieb der Entdecker in sein Tagebuch. "Diese Insel ist wohl die schönste, die Menschenaugen je gesehen." Doch die Zuckerbarone rodeten die Wälder und legten Monokulturen an. 1910 war nur noch die Hälfte der Insel bewaldet, 1959 bloß noch etwa 14 Prozent. Bis Fidel Castro an die Macht kam. Die Revolutionäre liebten den Wald, er hatte sie versteckt und ihnen geholfen, das Regime zu besiegen. Heute wächst er auf einem Drittel der Fläche von Kuba, es gibt mehr als 80 Naturschutzgebiete. Am zweiten Tag, bei der Wanderung ins Yumuri-Tal, begleitet uns Manuel. Er ist Waldarbeiter. Die Wanderwege sind zwar geebnet, aber die wuchernde Pflanzenwelt versucht sie sich immer wieder zurückzuerobern. Mit seiner Machete schlägt Manuel die frischen Triebe ab und macht für uns den Weg frei. Sein Haar ist grau, die Füße sind vom Barfußlaufen breit und verhornt. "Schuhe sind Luxus", sagt er. Nicht mal für sonntags hat er welche. Aber er klagt nicht. Einmal bückt er sich, sein Gesicht leuchtet zufrieden. Manuel macht die Hand auf. Darin: Polymita, gelb mit schwarz geschwungener Linie. Wunderschön. Aber man darf sie nicht verkaufen, geschweige denn, sie sich schenken lassen. 52 Manuel lenkt unsere Aufmerksamkeit schnell wieder auf andere Dinge, auf eine Lichtung zum Beispiel, mitten im Wald, auf der mit Stöcken ein Rund abgesteckt ist. Eine Hahnenkampf-Arena. Am Wochenende verwetten die Männer hier ihr Geld. "Ein Kubaner, der nicht spielt, ist kein Mann", heißt es, daran hat auch die Revolution nichts geändert. Zurück in Baracoa, schlendere ich am Malecón, der Promenade am Meer , entlang, wo im Abendlicht eng umschlungen ein Pärchen von der Brandung geduscht wird. Baracoa an der Bahía de Miel, der Honigbucht, hat den Charme einer stolzen, geliebten Stadt, deren Bewohner das Leben genießen. Baracoa hat alles, was wir uns unter Kuba vorstellen: bunte, von hohen Säulengängen überwölbte koloniale Bauten, Musik auf den Plätzen und in den vielen Bars und gigantische Straßenkreuzer, deren Kofferräume wie Walfischmäuler den ganzen Hausstand ihrer Besitzer schlucken können. Zwei Mojitos, und die Welt wird locker und heiter, es ist das Jetzt, das zählt, Musik sickert wie ein Virus in meine Beine, und mein Kopf schwebt genüsslich in den Wolken. Am dritten Tag meiner Reise fahren wir mit dem Boot auf eine kleine Insel in der Mündung des Rio Toa. In einem himmelblauen Haus am Strand lebt der alte Rafael Jiminez mit seiner Familie. Er ist Kokosbauer. Seine Füße biegen sich um den Stamm der Palme, als er flink wie ein Eichhörnchen hinaufsteigt. Die faltigen 53 Armen sind hart wie Eisen. Er zieht sich mit einem Klimmzug hoch und krabbelt zwischen die Palmblätter. Frei hängend schwebt der 91-Jährige über dem Strand. Bald ist er in der Baumkrone verschwunden, nur gelegentlich fällt ein trockenes Blatt. Dann hört man das Surren der Machete. Schon saust die erste Kokosnuss zu Boden, ein Huhn flüchtet. Mehr Nüsse fallen. Rafaels Sohn ist Schulleiter. Einmal im Monat kommt er mit den Kindern zum Strand. Sie sammeln den Müll, den das Meer anspült. Hinter dem Haus liegt ihre Beute: Fischkisten, Badelatschen, Konservendosen und alte Netze. Rafaels Frau hat einen alten Tampen zum Trocknen an die Hauswand gehängt. "Die äußeren Fasern sind brüchig", sagt sie, "aber guck her", sie dreht das Tau auf, und innen kommt festes Garn zum Vorschein. Damit häkelt sie. Taschen, Körbe, Hüte. "Wollen wir tauschen?", frage ich, mehr aus Jux, und halte meinen Sonnenhut in die Luft. "Maria", ruft Rafaels Frau laut über den Hof nach ihrer Tochter, "komm gucken." Einen Moment später hat Maria meinen Hut auf dem Kopf und ich ihren, und wir tanzen vergnügt zwischen den Bänken. Rafael lässt es sich nicht nehmen, uns wieder zurück zum Festland zu rudern. An den meisten anderen Orten der Welt würden Motorboote verkehren, aber die knappen Ressourcen auf Kuba schenken uns Momente 54 von vollkommener Schönheit: Das Plätschern der Ruder, der Schrei einer Möwe, die üppig grünen Berge des Nationalparks unter dem Himmel. Rafaels Kahn ist leck, durch die Planken rinnt das Wasser. Er rudert eine Weile, dann muss er schöpfen. Einen Moment später hängt er sich wieder an die Ruder und fängt laut an zu singen: "Ave Maria, Halleluja, / Ich habe eine schöne Frau an Bord / und diese Reise gefällt mir." Alberto García fällt ein. Die Männer singen um die Wette. Auf der nächsten Seite: Die Reise-Infos Reise-Infos Kuba Schöne Aussichten vom Hotel "Castillo" in Baracoa über die alte Seefahrerstadt im Osten von Kuba Foto: Sven Creutz 55 Sabine Müller: Businesspläne für Kubas Tänzer Die Deutsche Sabine Müller war geschockt über den Hungerlohn, den Profi-Tänzer auf Kuba für ihre Salsa-Kurse bekamen. Als Unternehmensberaterin zeigt sie ihnen, wie man sich selbständig macht - in Kuba nach 50 Jahren Kommunismus etwas ganz Neues. Sabine Müller, 43, ist Unternehmensberaterin und lebt in München und Havanna Foto: www.joanna.nottebrock.de Im Winter 2011 steht die Unternehmensberaterin Sabine Müller am Fenster ihres Münchner Büros. Das Grau der Fassaden geht ins Grau des Himmels 56 über, am Straßenrand liegt ein Streifen Schneematsch wie ein Gedankenstrich: "Salsa tanzen müsste man", überlegt sie - bucht einen Flug nach Kuba und einen Tanzkurz dazu. Sabine Müller, 43, verliebt sich sofort in das Land. Vier Monate später fliegt sie noch einmal nach Kuba und stellt fest, dass die Profi-Tänzer dort, trotz Spitzenausbildung, unter armseligen Umständen arbeiten. Dass sie nur einen staatlichen Mindestlohn von 20 Dollar im Monat bekommen. Dabei zahlen die Touristen gut, das Geld aber kassiert der Staat. Sabine Müller beschließt, den Tanzlehrern zu helfen, sich selbständig zu machen. Und die Geschichte meint es gut mit diesem Plan: Unter Fidel Castros Bruder Raúl wird den Kubanern 2011 erstmals erlaubt, selbst ein kleines Geschäft zu führen. In dieser historischen Stunde ist sie als Unternehmensberaterin die richtige Frau am richtigen Ort. Im kommunistischen Kuba sind Begriffe wie Konkurrenz oder Angebot und Nachfrage Fremdwörter, und Basiswissen ist alles: Was ist ein Businessplan? Wie mache ich Marketing und PR? Wie funktioniert Kundenakquise? Sabine Müller sitzt in einem Salon in der Altstadt von Havanna und antwortet geduldig. Die Wände sind mintgrün getüncht, der Kronleuchter hat seinen Geist aufgegeben. Im Halbdunkel hat sich eine Gruppe Salsa-Lehrer versammelt. Sie tragen blaue T-Shirts mit dem Schriftzug "Baila Habana" "Tanze Havanna". Bisher lebten sie im Hier und Jetzt, heute sprechen sie über Altersvorsorge; auch 57 das gehört zum Businessplan, es wird in die Zukunft investiert. Mehr bei BRIGITTE Kubanische Bloggerin Yoani Sanchez: In 80 Tagen um die Welt Lina Thomsgård: Die Frauen-Finderin Leila Janah: Mit Mikroarbeit gegen Armut BRIGITTE COmmunity: Die Welt wird weiblich Dreimal im Jahr ist Müller auf Kuba und coacht ihre Tanzlehrer, die sie in einem Verbund organisiert hat. In Deutschland berät sie weiter mittelständische Unternehmen und Existenzgründer, außerdem pflegt sie die Internetplattform, die Menschen aus aller Welt einlädt, Tanzstunden auf Kubas Dachterrassen zu buchen, kümmert sich um Social Media und Werbung für "Baila Habana". So hat die Deutsche die wohl erste Organisation auf Kuba etabliert, die aus privater Hand finanziert wird. Müller selbst verdient nichts - bis auf zehn Prozent für die Verwaltung. Ihr Traum: dass ihre Tänzer bald ohne sie auskommen. Adahina zum Beispiel. Die 32-Jährige verdient in einer Stunde jetzt so viel wie vorher im Monat. Mit dem Gehalt kann sie die Familie versorgen. Und in der vom "machismo" geprägten Gesellschaft einen Kontrapunkt setzen. Mit Mutter und Schwester lebt sie in einer Wohnung, in der es nun wieder fließend Wasser gibt. Und Hoffnung. 58 Artikel vom 11.06.2013 Text: Jenni Roth 59 Eine Insel der Träume, kurz vor dem Erwachen Kuba hat einen ganz besonderen Zauber. Doch lange wird er nicht mehr zu spüren sein, die Ära Castro geht zu Ende. Fahren Sie jetzt hin! In diesem Artikel: Reiseservice Fotostrecke starten 60 Im Sattel: Susanne Fischer und Gregor Lengler Der Hotelbalkon ist mein Logenplatz. Rund um den Ausguck im dritten Stock eines Kolonialpalasts inszenieren die Habañeros, die Bürger Havannas, das schönste Theaterstück der Stadt. Türen und Fenster stehen offen, keine Gardinen stören, laut und bunt und ungeniert lädt Havanna ein, dem Leben seiner Menschen zuzusehen. Unter meinem Balkon werden Mayonnaise-Brötchen und hausgemachte Limonade verkauft, sitzt eine dicke Frau im Klappstuhl vor ihrer Tür, knutscht ein Liebespaar, pfeift ein Arbeiter einer Schönheit hinterher. Fünf Polizisten tauchen auf, scheuchen alle beiseite, der Beamte in der Mitte trägt schwer an einem Sack, im Laufschritt eilen die fünf durch die Stadt: Geldtransport auf Kubanisch. Im Rest der Welt ist ein sozialistisches Regime nach dem anderen zusammengefallen - auf Kuba hat die Revolution überlebt. Und das liegt vor allem an Castro. Seit 1959 ist er an der Macht, länger als jeder andere Staats- und Regierungschef, seit 46 61 Jahren prägt er die Insel. Unter seiner Führung wurde der Landbesitz neu verteilt, wurden Fabriken verstaatlicht, wurden kostenlose medizinische Grundversorgung, Schulen und Universitäten eingeführt. Nur ihm, sagen mir auf Kuba die verschiedensten Menschen, vertrauen sie, er allein könne Kubas Unabhängigkeit garantieren. Fidel Castro ist 79 Jahre alt. Was wird, was soll bleiben vom sozialistischen Kuba nach dem Abgang des letzten Helden der Revolution? Man kann auf Kuba durchaus Urlaub machen, ohne sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Kann guten, billigen Mojito in den Bars von Havanna genießen, Salsa tanzen, viel nackte Haut bewundern und sich in Trinidad am Spiel der Spätnachmittagssonne auf den farbigen Fassaden der Kolonialhäuser erfreuen. Oder einen Strandurlaub in den berühmten Touristenorten Varadero oder Guardalavaca verbringen. Aber hätte ich so das wahre Gesicht Kubas gesehen? Wovon die Kubaner träumen, erfuhr ich, als ich zu ihnen ging: in ihre Städte, ihre Häuser, hinaus aufs Land. Das Zimmer gegenüber meines Hotelbalkons dient als Schlaf-, Wohn- und Badezimmer. Eine Frau wäscht ihr Baby, zwei Mädchen liegen bäuchlings auf dem Bett und sehen fern. Als sie mich 62 entdecken, kommen sie heraus, kichern verlegen und rufen mir dann zu: "Hola, tienes bolí? Jabón?" Dies ist nicht meine erste Reise nach Kuba, ich habe tatsächlich einen Beutel mit Kugelschreibern und Seifen zum Verschenken mitgebracht. Havannas Altstadt: glücklich, wer in einem restaurierten Haus wohnen kann Am Tisch sitzt ein Mann im Unterhemd, er isst und liest. Über allen Köpfen schläft in einer niedrigen Koje ein nackter Mann, ein Deckenventilator weht die Laken hin und her. Viele der hohen Altbauten in Havanna sind durch Zwischendecken zweigeteilt; Wohnraum ist knapp in der Hauptstadt und begehrt. Vor dem Capitol, einst Sitz des kubanischen Parlaments, stieg ich in einen kanariengelben Ford Cabriolet. Gemächlich ließ Raul seinen Oldtimer über die Uferstraße gleiten, vorbei an Schmuckverkäufern, Liebespaaren und Fischern auf der einen und maroden Häusern auf der anderen Seite. Manche Ecken Havannas, und das ist nicht 63 übertrieben, erinnerten mich an Beirut nach dem Bürgerkrieg. Fassaden, nicht zerschossen von Kugeln, sondern von Salzwasser und Jahren zernagt. Besonders entlang der Uferstraße Malecón führen die Häuser einen verloren scheinenden Kampf gegen die Zeit. "Vamos bien", wir kommen gut voran, beschwor ein Plakat mit einem Porträt Fidel Castros. "Venceremos", versicherte ein Wandgemälde, wir werden siegen. "Ewig siegreich, ja", sagte Raul, mein Fahrer – und lächelte plötzlich verschmitzt: "Eines haben auch die Helden unserer Revolution noch nicht besiegt: den Tod." Was passiert, wenn Castro nicht mehr lebt? Rauls fein geschnittenes Gesicht hellte sich auf: Kapitalismus. Seine große Hoffnung. Nicht für sich, "ich bin 55, zu alt, der Kapitalismus will junge Menschen. Aber für meine Kinder ist es hoffentlich nicht zu spät". Der Sozialismus sei eine schöne Idee, nur leider funktioniere sie nicht. "Wie kann ein Staat überleben, in dem es lohnender ist, Kofferträger zu sein als Hochschulprofessor?" Diese Unterhaltung, sagte er, könne ihn seinen Job und seine Freiheit kosten. Medizinische Versorgung und Bildung mögen frei sein auf Kuba, die Meinung ist es nicht. Versonnen blickte Raul aufs blaue, aufgewühlte Meer. "Wenn ich ein Schiff da draußen sehe, denke 64 ich manchmal: Nimm mich mit, egal wohin. Außer Kuba habe ich nichts gesehen von der Welt." 65 Auf der Dachterrasse zur Rechten färbt eine Frau einer anderen die Haare rot und schwatzt dabei über die Straße hinweg mit der Nachbarin. Von unten mischt sich eine dritte Frau ins Gespräch. Das dreht sich, wie so oft auf Kuba, ums tägliche Nichts: darum, was es alles nicht gibt und wie man es trotzdem beschaffen kann. Die Frau unten wedelt mit einem Büchlein – ihrer Libreta, dem staatlichen Bezugsscheinheft. Damit können Kubaner billig Zucker, Mehl, Kaffee, Speiseöl und Seife kaufen – so zumindest die Theorie. Oft aber, und wohl auch heute, sind die Regale der subventionierten Libreta-Läden leer. Dann bleiben nur Geschäfte wie die in der herausgeputzten Einkaufsstraße Calle Obispo, wo es fast alles gibt, aber nur für den teuren "peso convertible", die Währung für Touristen. Sebastian Martín hatte Glück, er war schon einmal in Deutschland, in den 80er Jahren, als Ingenieur in der DDR. Vielleicht hat er deshalb einen milderen Blick auf Kuba. In seiner Drei-Zimmer-Wohnung im Zentrum Havannas feierte er mit Freunden und Familie den fünften Geburtstag seiner Tochter. Um uns herum laute Musik, die älteren Kinder vergnügten sich mit Karaoke-Singen. Er saß im einzigen Sessel und erklärte seine Sicht der Welt. "Natürlich funkioniert hier vieles nicht. Aber 66 müssen wir deshalb gleich alles ändern?" Für die Zeit nach Castro wünsche er sich "einen Mittelweg – ein bisschen von unserem System behalten, ein bisschen vom anderen System dazu. Aber wie soll das gehen, wenn die USA und die Exilkubaner nur auf Castros Tod warten, um hier endlich alles wieder umzudrehen?" Abgefahren: Straßenkreuzer in Havannas Altstadt Ob Castro regiert oder nicht, scheint in den Bergen Zentralkubas ziemlich egal. Drei Stunden durch fast unberührte Natur brauchte ich mit dem Pferd, bis ich die erste Bauernhütte erreichte, einfachstes Landleben, Lichtjahre von der Großstadt Havanna entfernt. Auf Sandwegen vorbei an einem See galoppierte mein Pferd mit mir über die Hügel. Als wir beide schweißgebadet waren, machten wir an der Hütte einer Bauernfamilie Halt. Keine Straße weit und breit, nur Weiden mit Kühen, ein winziger Gemüsegarten, viel braches Land. Die Bäuerin servierte Kaffee und 67 hausgemachten Käse. Wir saßen auf einer Bank vor der Hütte, die junge Bäuerin wollte wissen, ob es mir schmeckte, lächelte. Noch keine Sorgenfalte zeichnete sich ab auf ihrem Gesicht. In ihren hellen Shorts und dem Träger-T-Shirt sah sie aus, als würde sie gerade an einem der Strände Kubas ein Picknick machen. Aber der Alltag ist hart. Mit ihrem Mann arbeitet sie von morgens, wenn die Sonne aufgeht, bis abends, wenn sie untergeht. Das bringt ihnen gerade genug ein, um zu überleben. Was erhofft sie sich von der Zukunft? "Es wird schon irgendwie weitergehen." Das Geschrei fliegender Händler weht herbei, SonMusik wie aus dem "Buena Vista Social Club", der Tiraden-Singsang eines streitenden Ehepaars. Nur das klassische Großstadtgeräusch fehlt: Autolärm. Für eine Zwei-Millionen-Metropole sind die Straßen erstaunlich leer. Havanna fährt Bus, Fahrrad, Moped oder geht zu Fuß. Autos dürfen Kubaner privat nur mit Ausnahmegenehmigung kaufen. Weshalb jeder, der auf verschlungenen Wegen jemals an ein Auto gelangt, es bis ins OldtimerAlter fährt und dann noch seinen Kindern vererbt. Ich kann mich nicht satt sehen an den liebevoll gepflegten Chevrolets und Cadillacs aus den fünfziger Jahren unten auf der Straße. 68 In Baracoa scheint die Zeit auf ganz eigene Art stehen geblieben zu sein. Ein verschlafenes Provinznest im äußersten Osten Kubas, ein melancholisches Paradies. Auch im Paradies, eingebettet in eine Hügellandschaft satten tropischen Grüns, hingen an allen Ecken PolitPlakate, sagte der Kellner bei der Bestellung selbst so simpler Dinge wie Mineralwasser: "Haben wir nicht." In Baracoa aber machte das nichts. Ein Samstagabend im Parque Céspedes vor der Kirche entschädigte für alle Abendessen aus Reis und Bohnen. Bravourös führten die Bewohner Baracoas die Kunst vor, sich ohne einen Peso in der Tasche stundenlang und aufs Beste zu amüsieren. Gelegentlich kaufte einer in den umliegenden Bars ein Kaltgetränk, die meisten aber saßen auf den Parkbänken und guckten und redeten oder flanierten im Kreis. Einige tanzten zu Musik, die aus einem Lokal um die Ecke herübertönte, junge Mädchen trugen mit beneidenswertem Körperstolz selbst geschneiderte hautenge Kleider zur Schau. Eine sinnliche Heiterkeit lag über dem Platz, die Lust machte, viele Samstage zu bleiben. Baracoa hat auch den schönsten Strand der Insel. Eine endlose palmenbesäumte Bucht: die Playa Maguana. Nur ein einziges kleines Hotel mit vier Zimmern steht am Strand. Kein Wunder, dass 69 Edgar Fernandez das Heimweh plagt, obwohl sich für ihn der Traum vieler Kubaner erfüllt hat. In einer Hütte in einem Bananenfeld bei Baracoa geboren, hat er es bis nach Florida geschafft, vor elf Jahren auf einem Floß übers Meers. In Tampa arbeitet er nun auf dem Bau, 45 Stunden die Woche zu 11,50 Dollar. Genug, um seiner Familie in Havanna ein Haus zu "organisieren" - Immobilienkauf ist offiziell verboten. Und gerade genug, um alle drei Jahre für drei Wochen nach Hause zu kommen, nach Baracoa, wo seine Mutter noch in derselben Hütte unter Bananen lebt. "Ich will nicht weg", sagte die alte Frau, "ist es nicht schön hier?" Zwei Hühner liefen gackernd durchs Wohnzimmer, hinterm Haus wälzte sich ein Schwein im Dreck, und zwischen Palmen schimmerte der nur hundert Meter entfernte Atlantik. Barfuß, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, saß Edgar in einem wackeligen Holzstuhl, neben ihm sein heute 20-jähriger Sohn, den er damals nicht mitnehmen konnte auf die gefährliche Fahrt übers Meer. Edgar war mir in der "Casa Colonial" aufgefallen, einem der wenigen Privatrestaurants Baracoas. Er sah mit seiner Baseballkappe und seinen NikeTurnschuhen irgendwie nicht kubanisch aus, aber auch nicht wie ein normaler Tourist. In der Nachbarschaft kennt ihn jeder: Edgar, der es bis 70 nach Amerika geschafft hat. Seine Seele aber blieb auf Kuba zurück. "Ich rate jedem ab, der in die USA will. Weil die Menschen hier nichts von der Welt kennen, wissen sie nicht, was sie verlieren, wenn sie gehen." Er sei damals fortgegangen, ohne nachzudenken. "Ich habe ja auch nichts von der Welt gewusst." Er pflückte eine lycheeähnliche Frucht vom Baum, schälte sie und schob sie in den Mund. "Das Leben drüben ist teuer, und der Mensch ist nichts wert. Ich vermisse die kleinen Momente, die hier jeden Tag zu etwasBesonderem machen." Kleine Momente eines Theaterstücks. Wie aus dem Nichts tauchen auf einem maroden Balkon schräg über meinem Kopf zwei Mädchen in Balletttrikots auf und tanzen. Federleicht erheben sie sich auf die Fußspitzen, drehen, recken, verbeugen sich und verschwinden wieder im Inneren des großen alten Hauses. 71 Bücher Übersichtlich und informativ: der ADAC-Reiseführer "Kuba" (9,90 Euro); brandneu: "Kuba" aus der Reihe "Merian live" (10,95 Euro). Viele Hintergrundinfos: Sympathiemagazin "Kuba verstehen" (Studienkreis für Tourismus, Tel. 081 77/17 83, www.sympathiemagazin.de, 3,60 Euro). "Das tägliche Nichts", entzückender Roman von Zoé Valdés über den sozialistischen Alltag der Insel (btb bei Goldmann, 7,50 Euro). "Enduring Cuba", humorvolle Reisebeschreibung von Zoë Brân, die dem Kuba-Touristen manches "Ja, genau!" entlockt (nur auf Englisch, Lonely Planet, ca. 14 Euro). Info 72