Predigt am 1
Transcription
Predigt am 1
Predigt am 1. Sonntag vor der Passionszeit 2. März 2014 Kirche Weiningen Pfr. Kristian Joób Lesung: Jes 52,13-53,12: Der leidende Knecht Gottes Predigttext: Lk 18,31-43 Jesus nahm die Zwölf beiseite und sagte zu ihnen: "Wir gehen jetzt nach Jerusalem hinauf. Dort wird sich alles erfüllen, was bei den Profeten über den Menschensohn steht. Er wird den Heiden übergeben werden, die Gott nicht kennen; er wird verspottet, misshandelt und angespuckt werden; man wir ihn auspeitschen und schließlich töten. Doch drei Tage danach wird er auferstehen." Die Jünger begriffen von all dem nichts. Der Sinn dieser Worte war ihnen verborgen; sie verstanden nicht, was damit gemeint war. Als Jesus in die Nähe von Jericho kam, saß dort ein Blinder am Straßenrand und bettelte. Er hörte, wie eine große Menschenmenge vorüber zog, und erkundigte sich, was das zu bedeuten habe. "Jesus von Nazaret kommt vorbei", erklärte man ihm. Da rief er: "Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!" Die Leute, die vor Jesus hergingen, fuhren ihn an, er solle still sein. Doch er schrie nur umso lauter: "Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!" Jesus blieb stehen und ließ ihn zu sich holen. Als der Blinde vor ihm stand, fragte ihn Jesus: "Was möchtest du von mir?" - "Herr", antwortete er, "Ich möchte sehen können!" Da sagte Jesus zu ihm: "Du sollst sehen können! Dein Glaube hat dir geholfen." Im selben Augenblick konnte der Mann sehen. Er folgte Jesus nach und lobte und pries Gott. Und auch die ganze Volksmenge, die seine Heilung miterlebt hatte, gab Gott die Ehre. Liebe Gemeinde Wann hatten Sie das letzte Mal das Gefühl, dass Sie jemanden nicht verstanden haben? Wo hatten Sie Mühe, einen nahen Menschen zu begreifen? Die Männer schielen jetzt vielleicht auf ihre Frauen: War es erst heute Morgen, dass sie einem unverständlich vorkam? Eine Frau wird für den Mann wohl immer mit Fragezeichen versehen bleiben. Den Frauen geht es wahrscheinlich nicht anders: Sie haben wohl auch das Gefühl, dass sie gewisse Sachen des Mannes nie richtig nachvollziehen können, auch wenn sie es versuchen. – Oft ist es das Gleiche, das wir einfach nicht verstehen. Immer wieder scheitern wir am gleichen Punkt. Ähnlich ist es den Jüngern Jesu ergangen. Jesus erzählt ihnen etwas. Und sie verstehen nur Bahnhof. Es ist das dritte Mal, dass es Jesus ihnen sagt. Und sie kapieren es nicht. Worum geht’s eigentlich? Jesus möchte die Jünger in ein Geheimnis einweihen: in das Geheimnis seines Leben, seiner Sendung. Er muss nach Jerusalem gehen: Dort muss er leiden und sterben. Jesus kündigt das an, damit die Jünger es wissen und nicht erschrecken, wenn es passiert: Es ist nicht zufällig, dass es geschehen wird. Jesus geht bewusst den Weg ins Leiden und in den Tod. Es ist schon speziell! Gott selber hat ihn darum auf die Erde geschickt, damit er, der Sohn, diesen Weg geht. Es ist ein Muss, göttliches Muss. Jesus weißt das. Und so geht er diesen Weg ganz bewusst, er ist dem himmlischen Vater gehorsam. Dass der Messias diesen schweren Weg gehen muss, das ist nichts Neues. Es ist schon lang so vorherbestimmt. Schon die Profeten im Alten Testament – viele Jahrhunderte vor Jesus – haben das gewusst und diesen Leidensweg vorhergesagt. Sie haben es in der Lesung gehört: die Profezeiung des Profeten Jesaja. Jesus möchte jetzt, dass seine engsten Begleiter auch diesen Aspekt seiner Mission wahrnehmen, verstehen und auch akzeptieren. Jesus möchte die Augen seiner nächsten Freunde auftun, damit sie ihn richtig sehen: Er ist das Lamm Gottes, das sich aus Liebe aufopfert, das sein Leben für die Menschen hergibt, um sie von Schuld zu befreien und ihnen das Heil zu schenken. Doch es ist wie manchmal in einer Ehe: die Jünger sind unfähig Jesus zu verstehen – auch als er es zum dritten Mal sagt. Wie soll man das auch verstehen: Ein Gott, der will, dass sein Sohn leidet und stirbt? Wenn er der Messias ist, der Retter, müsst er doch mächtig und kraftvoll sein, müsste er doch seine Feinde besiegen und triumfieren! Aber doch nicht leiden! Diese Vorstellung vom Messias als starker und herrlicher König war damals stark verbreitet. Dazu passen Leiden und Sterben nicht. Darum ist es für die Jünger befremdend, was Jesus da ankündigt. Von ihrer Vorstellung her können die sie Jesus schlicht nicht verstehen. So bleiben gerade die nächsten Menschen blind für Jesus: für seinen Weg und seine Mission. Nach dieser Szene mit diesen unverständlichen Jüngern ergibt sich eine ganz andere Begegnung: Als Jesus unterwegs ist nach Jerusalem, stößt er bei Jericho auf einen Blinden. Blinde hatten damals ja keine IV-Rente. Sie waren darum aufs Betteln angewiesen. Sie mussten dort sein, wo es viele Menschen gab, damit sie sie um Almosen bitten konnten. Eine solche Stelle war der Einfallsweg zu einer Stadt. Und dort sitzt der Blinde in unserer Geschichte. Jesus ist am Kommen, aber niemand denkt daran, dies dem Bettler zu erzählen. Er muss selber danach fragen. Als man ihm sagt, wer es ist, macht es Klick beim Bettler. Jesus: das ist nicht irgendeiner, auch nicht ein einfacher Profet. Das ist der Messias, der verheißen ist. Der Blinde hat sicher schon von Jesus gehört. Er hat wohl mitbekommen, dass Jesus viel Gutes getan hat. Dass er das gemacht hat, was sonst niemand machen kann: Menschen heilen, ihnen Heil bringen – innerlich und äußerlich. Wenn Jesus so etwas macht, dann muss er also der verheißene Messias sein. Und wenn er der Messias ist, dann muss er doch auch ihm helfen und ihn heilen können. Und so packt der Blinde diese einmalige Chance und schreit um Erbarmen und Hilfe! Die Leute wollen ihm zum Schweigen bringen. Doch er lässt sich von niemandem davon abbringen. Der Messias ist ja gerade für Menschen wie ihn gekommen! Da muss er ihm begegnen, egal was die Menschen von ihm halten. Er kann doch das Heil nicht einfach an sich vorbeigehen lassen. Wie sonderbar: Er, der äußerlich Blinde, "sieht", wer Jesus ist. Er versteht, wofür er gekommen ist. Der Blinde ruft: „Jesus Davids Sohn“. Das ist eine Umschreibung für den verheißenen Messias. In der Bibel heißt, dass er der Sohn Davids ist, das heißt sein Nachkomme. Das ist nicht nur biologisch gemeint: Der Nachkomme ist zugleich der Erbe und Vollender. Der Sohn, der Nachkomme Davids wird das, was David nicht geschafft hat, erreichen: Er wird ein ewiges Friedensreich aufrichten, es Reich von Gott, wo Menschen Heil und Heilung finden. „Jesus, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ – Und da passiert das Wunderbare. Jesus hört das Schreien des Blinden. Er wendet sich ihm zu. Er darf zu ihm kommen und ihm seine Bitte sagen. Und siehe da: Er, der Jesus blind vertraut hat, er kann sehen. Sein verwegenes Vertrauen, seine starke Hoffnung wird belohnt. Doch er bekommt nicht nur das Augenlicht, nein auch eine neue Sicht auf Jesus. Er nimmt ihn jetzt wahr als den, der er wirklich ist. Er erlebt das Heil an seiner eigenen Person. Das Heil, das Jesus allen bringen will, das Heil, wofür nach Jerusalem unterwegs ist. Wow! Der ehemals Blinde ist überwältigt. Er kann nicht anders, als Gott loben und ihm danken - zusammen mit allen Leuten rundherum, die Zeugen sind vom Heil, das Jesus bringt. Liebe Gemeinde, am nächsten Mittwoch fängt die Passionszeit an. Es ist die Zeit im Kirchenjahr, wo wir traditionell ans Leiden und Sterben Jesu denken. Auch uns will Jesus erzählen, dass er den Leidensweg bewusst geht. Das Thema ist den meisten von uns bekannt: Die Kinowelt hat uns das Leiden und den Tod Jesu auf unterschiedliche Arten nahe gebracht: Vom „The Life of Brian“ über „The Passion of Christ“ bis hin zum „The Making of Jesus Christ“, dem Schweizer Film über Jesus aus dem letzten Jahr. Die meisten wissen, dass Jesus leiden und sterben musste. Das Thema ist gut bekannt – und doch befremdet es viele Menschen. Das Leiden und der Tod Jesu sind heute nicht einfacher zu verstehen als vor 2000 Jahren. Viele Menschen – außerhalb und innerhalb der Kirche – haben Mühe damit. Hat Gott diesen Weg wirklich gewollt? Warum ist es notwendig, dass Jesus stirbt? Für viele passt das Opfer Jesu überhaupt nicht in die Vorstellung eines liebevollen Gottes. Liebe müsste ohne das bewusste Aufopfern auskommen! Es gibt Menschen, die sich wehren: Warum sollte Jesus für mich leiden und sterben? Das brauche ich doch gar nicht! Es reicht, wenn Gott für mich ist, mir hilft. Der Weg Jesu hat zu allen Zeiten immer wieder Unverständnis geweckt. Der Apostel Paulus hat schon damals geschrieben: "Wir verkünden Christus, den gekreuzigten Messias. Für die Juden ist diese Botschaft ein Ärgernis, für die anderen Völker völliger Unsinn." (1 Kor 1,22) Der Leidensweg passt gar nicht in die menschlichen Vorstellungen von Gott und wie Religion sein könnte. Ich denke: Solange wir es nur von unseren Vorstellungen und Erwartungen her verstehen wollen, werden wir scheitern so wie die Jünger. Ich glaube: Auch als Christen können wir die Passion nicht von außen verstehen. Aber kann man das Anstößige überhaupt verstehen? Und wenn ja, wie? Ich meine: Der blinde Mann am Wegrand hat es uns vorgemacht: Es braucht eine existenzielle Begegnung mit Jesus. Man muss vom Betrachter zum Betroffenen werden. Bei einer äußerlichen Betrachtung sieht man das Wesentliche nicht. Antoine de Saint-Exupéry schreibt im Buch "Der kleine Prinz" den bekannten Satz: "Man sieht nur mit dem Herzen gut." Was heißt das im Bezug auf uns und Jesus? Der eine Schritt könnte sein: Sich selber sehen, wie man ist: Die meisten von uns haben kein großes körperliches Gebrechen, wie der Blinde. Aber wir alle sind vom Leben ein Stückweit gezeichnet: Wir tragen unterschiedliche Erfahrungen mit uns: auch die von Scheitern, Verletzungen, Schuld mit uns. Wir kommen an unsere Grenzen, wir kämpfen mit Defiziten, mit Leiden, mit Ungerechtigkeiten. Wir stellen Fragen nach Sinn, nach dem Wesentlichen im Leben. Und wir sehnen uns nach Harmonie, nach tiefer Geborgenheit, nach Erfüllung, nach Heil. Diese Sicht auf uns selber macht offen, macht suchend. Und dann der zweite Schritt: Erkennen und staunen: Da ist ja jemand, der mir geben will, was ich zu tiefst brauche. Der genau dafür gekommen ist, um mich in meinen größten Bedürfnissen zu begegnen. Um mir die innersten Sehnsüchte zu stillen. „Jesus, Davids Sohn, hab Erbarmen mit mir!“ - Mein Bedürfnis und seine Hilfe – das passt ja wunderbar – wie ein Handschuh auf die Hand. Wenn ich mich persönlich auf Jesus einlassen, im Beten, Rufen und Schreien, im Wünschen, Hoffen und Sich-Sehnen, dann können mir die Augen aufgehen für Jesus. Wenn ich betroffen zu diesem Jesus gehe, dann merke ich, wer er ist: mehr als eine geschichtliche Gestalt, eine beeindruckende Persönlichkeit, eine moralische Instanz, ein großartiger Märtyrer. Wer Jesus so persönlich begegnet, der wird seinen Weg eher verstehen: Dass er den Weg ins Leiden und in den Tod aus Liebe geht – aus Liebe zu jedem Mensch. Dass Liebe auch Opfer bedeutet. (Ehepartner, Väter und Mütter wissen das genau.) Und das Opfer Jesu dem zu Gute kommt, der sich ihm anvertraut. Liebe Gemeinde, ich wünsche Ihnen, dass Sie verstehen – Ihre Angehörigen und Freunde natürlich! Aber auch Jesus und seinen Weg. Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Augen für ihn aufgehen - immer wieder neu. Machen Sie es wie der Blinde: Redet Sie mit Jesus, rufen Sie ihn an! Sagen Sie ihm, was schwierig ist, wo ihre Not ist! Und ich bin zuversichtlich: Sie werden sein Heil und seine Liebe erleben. Amen