Kolumbien - Missionszentrale der Franziskaner
Transcription
Kolumbien - Missionszentrale der Franziskaner
Kolumbien Zwischen Krieg, Menschenrechtsverletzungen und neuen spirituellen Erfahrungen Bogotá, 23. Oktober 2007: Es ist kühl, und es regnet. Bogotá liegt auf 2.640 Meter Höhe. Ich fahre unter dem Eindruck 'Die Schatten des Todes' nach Kolumbien: Cali- Kartell und Pablo Escobar, Drogen, Entführungen, Mord und Anschläge. Vor dem Flughafen wartet Fray Omar Fernandez OFM auf mich. Auf der Fahrt vom Flughafen in die sieben Millionen Einwohner zählende Stadt Bogotá sprechen wir über das wohl wichtigste Thema hier, den seit über 40 Jahren herrschenden bewaffneten Konflikt. Beteiligt sind die Drogenmafia, die Guerillagruppen FARC und ELN, paramilitärische Einheiten, die kolumbianische Polizei, das Militär und die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Strukturen dieses Konflikts sind kaum durchschaubar. Fest steht, dass die linksgerichteten Guerillagruppen gegen die kolumbianischen Streitkräfte kämpfen. Die rechtsgerichteten Paramilitärs werden von Teilen der kolumbianischen Armee geduldet, wenn nicht sogar unterstützt. Sie stehen im Konflikt mit den Guerillagruppen. Beide Parteien, Rebellen und Paramilitärs, verüben Anschläge auf die Zivilbevölkerung. Die Binnenflüchtlinge werden auf bis zu vier Millionen Menschen geschätzt. Die USA unterstützen die kolumbianische Regierung mit Waffen, Hubschraubern, Piloten und Ausbildern unter dem Vorwand, den Drogenanbau und die Drogenkriminalität zu bekämpfen. Sie bezeichnen die Guerillagruppen als "Drogenterroristen", um so deren kriminellen Charakter in den Vordergrund zu stellen und ihnen jede politische Motivation abzusprechen. In Kolumbien gibt es zwei Franziskanerprovinzen: Santa Fe mit Sitz in Bogotá und San Pablo Apóstol mit Sitz in Santa Rosa de Cabal. Die Provinz San Pablo Apóstol hat sich in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von der Provinz Santa Fe losgelöst. Einer der damaligen 'Rebellen' ist der jetzige Provinzial Fray Edgar Santos OFM. Die Brüder der Provinz San Pablo Apóstol wollten radikaler, franziskanischer leben – direkt mit und unter den Armen. So haben die Gemeinschaften kein Eigentum. Sie leben in gemieteten Häusern und Wohnungen. Es gibt keine Autos und auch keinen Luxus wie Warmwassererhitzer. In fast allen Gemeinschaften kann man sich nur mit Kaltwasser duschen – wie die Armen in ihrem Umfeld. Alle Gemeinschaften leben mit und unter den Armen in den Brennpunkten der Dörfer und Städte. Ohne Eigentum und damit auch keine eigenen, Geld einbringenden Einrichtungen wie z. B. Schulen kann sich die Provinz bald nicht mehr finanzieren. Schon seit längerem fordert die Generalleitung der Franziskaner in Rom und auch die Missionszentrale der Franziskaner die OFM-Provinz auf, sich für die Zukunft abzusichern. Nun hat sich San Pablo Apóstol in eine Fabrik in Medellín eingekauft und ist inzwischen 1 Mitbesitzer einer Blumenpräparierfabrik. Dort werden Rosen präpariert, um sie nach Japan zu verkaufen, wo sie als Bastelmaterial verwendet werden. Weltweit gibt es nur noch drei weitere solcher Fabriken: eine in Kolumbien, eine in Kanada und eine in Kenia. Die Fabrik in Medellín hält sich an soziale Grundsätze, ist äußerst profitabel und zahlt ihren Angestellten ordentliche Gehälter. Die Verarbeitung der Blumen erfolgt unter Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, was den Franziskanern sehr wichtig ist. Allerdings verfügen die Brüder nun zum ersten Mal über Besitz – was Diskussionen nach sich zog. Fahrt mit Fray Omar ins Büro der Interfranziskanischen Kommission für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die im Moment die verschiedensten sozialen Bewegungen Kolumbiens in einer Koalition ('Coalición de Movimentos Sociales de Colombia') aus Gruppen im Einsatz für den Frieden und im Kampf gegen Militarismus, Neoliberalismus und Freihandel koordiniert. Die Koalition organisiert Protestveranstaltungen und will politische und soziale Veränderungen herbeiführen Mitglieder sind u. a. die kolumbianische Indigenenorganisationen ONIC und HUELLAS AFRICANAS ('Afrikanische Spuren'), eine Vereinigung von Afrokolumbianern. Ein Projekt, das so viele Organisationen und Interessengruppen zusammenbringt und auch zusammenhält, ist einmalig und gerade in dieser Form auch in Kolumbien ein Novum. Es geht um die Veränderung der Gesellschaft und darum, den Friedensprozess mitzugestalten. Diese Arbeit der Interfranziskanischen Kommission ist eines der Herzstücke der Provinz und ein politischer Beitrag der Franziskaner. Fahrt zur Gemeinschaft von Fray Omar. In dieser Fraternität ist Fray Omar der einzige Franziskaner. Sonst wohnen dort nur Laien. Vorübergehend werden auch Familien mit Kindern aufgenommen. Die Fraternität ist ein neues Modell der OFM-Provinz, franziskanisch zu leben. Derzeit wohnen vier junge Männer mit Fray Omar in einer Art franziskanischer Wohngemeinschaft zusammen. Fray Omar kocht Spaghetti für uns. Nichts erinnert an einen Konvent. Zwei bis drei Leute schlafen in einem Zimmer in Etagenbetten. Ich bin der einzige, der ein eigenes Zimmer hat. Bogotá, 26.Oktober 2007: Aufbruch nach Ciudad Bolívar ganz im Süden von Bogotá, dem ärmsten und gefährlichsten Teil der Stadt (mehr als eine Millionen Einwohner). Hier wohnen viele Binnenflüchtlinge und Migranten. Den Stadtteil haben die paramilitärischen Einheiten in ihrer Gewalt. Gestern noch wurden drei Jugendliche um sieben Uhr abends auf offener Straße hingerichtet. Cali, 27. Oktober 2007: Mit der Franziskanerin Schwester Alba Stella geht's zum Verein 'Paz y Bien' im Stadtteil Agua Blanca, der vor allem von Binnenflüchtlingen bewohnt wird. Der Verein kümmert sich in erster Linie um Mädchen und Frauen vor und nach einer Schwangerschaft und um Kleinkinder. Weitere Schwerpunkte von Paz y Bien sind die Arbeit mit Jugendbanden, Suppenküchen, 2 Second-Hand-Läden und Kleinkredite. Der Gründer des Mikrofinanzgedankens und Nobelpreisträger von 2006, Muhammad Yunus aus Bangladesh, besuchte den Verein, als er auf der ganzen Welt Projekte besichtigte, die mit Mikrokrediten arbeiten. Ich treffe mit einer Familie zusammen, die sich auch an dem Mikrokreditprogramm beteiligt. Es läuft gut. Es gibt tolle Ideen. Mit Hilfe dieser Kleinkredite betreiben viele Familien kleine Läden, vermieten stundenweise Waschmaschinen oder kutschieren in selbstgebauten Rikschas die Menschen zur Bushaltestelle. Cali, 28. Oktober 2007: Heute ist Wahltag für die Stadtparlamente. Draußen patrouilliert das Militär, und die Menschen warten darauf, wählen zu können. Aber alles ist und bleibt ruhig. Die Franziskanerbrüder gehen wählen. Besuch des Projektes BIOTAU. Eine Bewegung der Basisgemeinden stellt Salben aus Koka und Marihuana gegen Arthritis, Rheumatismus und sonstige Schmerzen her. Die Menschen sind begeistert bei der Arbeit. Buenaventura, 29. Oktober 2007: Buenaventura an der Pazifikküste: Ich fühle mich nach Afrika versetzt. Der Taxifahrer fragt, wieweit wir in den Stadtteil San Francisco de Asís hineinfahren wollen. Seine Frage hat einen Grund: Hinter der Kirche fängt das Gebiet der FARC-Guerilla an. Der Stadtteil San Francisco de Asís ist gefährlich. Buenaventura ist eine Hafenstadt mit ca. 300.000 Einwohnern. Es regnet täglich. Der Hafen ist für die Einwohner mehr Fluch als Segen. Er zieht mit geradezu magischer Kraft die Gewaltakteure im kolumbianischen Konflikt an. So ist Buenaventura in den letzten Jahren zur Stadt mit der höchsten Gewaltrate im ganzen Land geworden. Der Erzbischof der Stadt, Hector Epalza, der zum kleinen progressiven Flügel der kolumbianischen Bischofskonferenz gehört, schreibt, dass die Drogenhändler in dem Bestreben, ihre Schmuggel-Korridore zu kontrollieren, einen offenen Krieg in der Hafenstadt entfesselt haben. Sie bedienen sich dabei zahlreicher "Gruppen außerhalb des Gesetzes", die die Stadt in Sektoren aufgeteilt haben, in denen sie ihrerseits den Drogenhandel eskortieren und sich gleichzeitig untereinander bekämpfen, Schutzgelder erheben und die kleinen Händler erpressen. In den Kaufhäusern der Innenstadt verlangen sie 'Kriegssteuern' auf die dort gehandelten Produkte. Aus der Analyse des Bischofs geht weiterhin hervor, dass er mit "Gruppen außerhalb des Gesetzes" sowohl aktive als auch entwaffnete paramilitärische Verbände, aber ebenso die Stadtmilizen der FARC-Guerilla meint. Auch Polizei und Militär kommen nach dem Urteil des Kirchenmannes nicht ohne schwere Anschuldigungen davon. Ihnen attestiert er "Menschenrechtsverletzungen unter Ausnutzung ihrer Autorität". Dies alles bildet jenes undurchdringliche Gewaltgeflecht, das die Mordrate in Buenaventura in den letzten Jahren ansteigen ließ. Der Leiter des Leichenschauhauses von Buenaventura bestätigt, dass er Monat für Monat die Leichen von 40 bis 50 Menschen auf seinem Seziertisch hat, die alle durch Schussverletzungen, meistens aus kürzerer Entfernung, ums Leben gekommen sind. Diese hätten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer drei Gemeinsamkeiten: Sie seien jung, männlich und schwarz. 3 Buenaventura ist von rechtsstaatlichen Entwicklungen und gewaltfreien demokratischen Prinzipien weit entfernt. Die Bemühungen der Stadtverwaltung, wenigstens die Grundbedürfnisse in den Bereichen Wohnung, Erziehung und Gesundheit zu sichern, werden von der Realität des Alltags ad absurdum geführt. Lediglich 45 Prozent der städtischen Bevölkerung haben Zugang zu ärztlicher Behandlung. 65 Prozent aller Wohnungen, in denen im Schnitt acht bis 13 Menschen wohnen, verfügen über keinen Wasseranschluss. Und während die Lebenserwartung landesweit bei 62 Jahren liegt, beträgt sie in Buenaventura 51 Jahre. Trotz bestehender Schulpflicht nimmt in der gesamten Pazifikregion knapp die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter nicht am Unterricht teil. Die Analphabetenrate bei den über 15-Jährigen liegt infolgedessen bei 22 Prozent, der landesweite Durchschnitt hingegen bei neun Prozent. Angesichts dieser desolaten Lebenssituation ist für viele Jugendliche die Versuchung groß, sich mit der Waffe soziale Geltung zu verschaffen. Die Gewalt in den Familien trägt das ihre dazu bei, sich schon im Kindesalter an gewaltsame Konfliktlösungen zu gewöhnen. Durch die kontinuierliche Stärkung der Zivilgesellschaft und die Beseitigung beziehungsweise Verringerung der Armut könnte dieser Teufelskreis durchbrochen werden, was freilich angesichts des vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodells eher unwahrscheinlich ist. Wir laufen zur Kirche der Franziskaner. Wie es bei den 'Afros', wie sich die Afrokolumbianer nennen, so ist, zieht sich alles in die Länge. Es gibt eine Tanzvorstellung. Wir laufen an der Schule San Francisco de Asís vorbei. Sie ist vor kurzem von einer Granate beschädigt worden – aus Versehen. Einige Jugendliche, die der FARC angehören, wollten die Granate eigentlich an einem Regierungsgebäude hochgehen lassen, aber da passierte das „Malheur“. Buenaventura, 30. Oktober 2007: Besuch der afrokolumbianischen Kulturorganisation HUELLAS AFRICANAS. Ich lerne den Schriftsteller Alfredo Vanín kennen. Er will die Bevölkerung wieder zum Lesen bewegen und zum Erhalt ihrer Kultur ermuntern. Danach Fahrt zum Hafen, von dort mit einem Boot zur Insel Pianguita in der Bahia de Buenaventura. Wir entscheiden uns spontan, über Nacht zu bleiben. Wir baden im Pazifik und genießen die Insel, die von den Einwohnern 'Paradies auf Erden' genannt wird. Es ist superschön und relax. Insel Pinguita, Buenaventura, Buga, Santa Rosa de Cabal, 31. Oktober 2007: Aufwachen auf der Pazifikinsel und Frühstück mit Meeresblick. Danach waten wir zum Boot und genießen die unruhige und nasse Rückfahrt nach Buenaventura. Schnell die nassen Kleider vom Leib und auf zum Busbahnhof. Dort geht es mit Fray Edgar über Buga zum Sitz der Provinz. 4 Santa Rosa de Cabal, 1. November 2007: Im Landwirtschaftsinstitut 'Veracruz' werden uns neue Wege in der Landwirtschaft und im Tourismus vorgestellt. Dann schauen wir uns ein Internat an, in dem Mädchen wohnen, deren Familien gewaltsam vertrieben wurden. Einige von ihnen mussten mit ansehen, wie ihre Eltern umgebracht wurden, andere wurden vergewaltigt. Ein überaus gutes Projekt der Franziskanerinnen 'Missionarinnen Mariens'. Medellín, 3. November 2007: In den 80er Jahren litt das öffentliche Leben der Stadt unter der Drogenmafia des Medellín-Kartells, das eine führende Rolle im weltweiten Handel mit Kokain einnahm. Das Medellín-Kartell war neben dem Cali-Kartell Anfang der 80er bis Mitte der 90er Jahre der größte Kokain-Exporteur weltweit. Mit dem Namen der Stadt Medellín verbindet sich aber auch die II. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats von 1968, auf der die katholische Kirche Lateinamerikas eine historische Wende vollzog und sich zur Option für die Armen bekannte. Fahrt in das Stadtviertel Kommune 13, wo die Franziskaner in Medellín wohnen. Hier gibt es keine Straßen, nur Gassen und Treppen. Das Viertel war bis vor zwei Jahren eine sehr gefährliche Gegend, in die sich nicht einmal die Polizei oder die Streitkräfte hineintrauten. Medellín, 4. November 2007: Aus Sicherheitsgründen treffen wir uns mit den Rechtsberatern des Anwaltkollektivs 'Corporación Jurídica Libertad' in einer Hotelbar. Die Zielgruppen von 'Corporación Jurídica Libertad' sind Binnenflüchtlinge und die indigene und afrokolumbianische Bevölkerung als die am meisten unterdrückten Gruppen des Landes. Das Anwaltkollektiv kooperiert vor allem mit Basisbewegungen wie Gewerkschaften oder Stadtteilorganisationen, aber auch mit der OFM-Provinz San Pablo Apóstol. Angesichts der Gefahr, in der die Anwälte wegen ihrer Einsätze gegen Gewalt und Unterdrückung schweben, wird das Büro von Corporación Jurídica Libertad seit 2001 ständig von internationalen Friedensbrigaden geschützt. Die 'Peace Brigades International' schreiben im Juli 2007: "PBI möchte seine Besorgnis zum Ausdruck bringen bezüglich des hohen Risikos, dem die Mitglieder der Anwaltsvereinigung durch eine Morddrohung und die Einleitung eines Gerichtsprozesses gegen einen Anwalt ausgesetzt sind." Am 25. Mai 2007 hatte die Corporación Jurídica Libertad an der Pförtnerloge ihres Gebäudes einen Brief erhalten, in dem die Menschenrechtsanwälte mit dem Tod bedroht wurden, sollten sie nicht die Vertretung einiger ihrer Fälle niederlegen. Das Schreiben riet dem Juristen: "Beschmutzen Sie nicht Ihre Lebensläufe und Ihr Gewissen und vor allem: Bringen Sie uns nicht dazu, unsere Hände mit Ihrem Blut zu beschmutzen." 5 Unter anderem hatte die Anwaltsvereinigung die gerichtliche Vertretung von Opfern des Stadtviertels Kommune 13 aus Medellín im Strafprozess gegen den Kopf des paramilitärischen Verbandes, Diego Nutivara Murillo Befarano alias Don Berna, übernommen. Bogotá, 6.November 2007: Meine Reise war anstrengend. Es gab viele Eindrücke zu verarbeiten. Die Reise war aber auch gut. Die Unterstützung der Missionszentrale der Franziskaner kommt an. Ich konnte die positive Entwicklung in den Projekten sehen. Auch kleine, konkrete Maßnahmen, wie sie von den Franziskaner/innen durchgeführt werden, können große Veränderungen bedeuten. Mein Bild von Kolumbien hat sich verändert. Nicht hinter jeder Ecke lauert die Guerilla oder das Militär und ich habe auch keine Angst verspürt. Im Gegenteil. Ich bin überall herzlich empfangen worden. Auch wenn man merkt, dass die Menschen in Kolumbien überall mit dem Trauma des andauernden gewaltsamen Konfliktes leben, habe ich mich wohl gefühlt und konnte die Herzlichkeit der Menschen erfahren. Emanuel Graef Projektreferent Mexiko, Mittelamerika, Südamerika (Andenländer) Missionszentrale der Franziskaner 6