Aachener Zeitung vom 20. Juli 2011
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Aachener Zeitung vom 20. Juli 2011
spezial Mittwoch, 20. Juli 2011 · Nummer 166 Seite CDE glosse Das Thema: „VorfahrT für sicheres fahren – JugenD übernimmT VeranTworTung“ auch ganz ohne Verkehrsschilder bleibt Chaos aus ▶▶CHRiStian SommER, RoLF miELKE Von Ampeln und Schildern D Bewussteres miteinander aller Verkehrsteilnehmer führt in der niederländischen Stadt Drachten zu weniger Unfällen. Auch für Eschweiler denkbar? Eschweiler. Freitag, 13:20 Uhr: Schulschluss. Hunderte Schülerinnen und Schüler stürmen aus dem Schulgebäude und starten erleichtert in ihr Wochenende. Die Straßen sind voll von Autos, ein Großteil wird von der Schule abgeholt oder die Schüler fahren selbstständig nach Hause: Das reinste Chaos! Die Autos schneiden sich haarscharf, hilflose Fahranfänger stehen auf der Kreuzung und inmitten dieses Chaos´ bahnen sich auch noch die Fahrradfahrer ihren Weg durch die Menge. Die Straße ist voll und jeder ist achtsam, um keinen Unfall zu verursachen, denn hier vor der Schulkreuzung im Ort regeln keine Ampeln oder Verkehrsschilder das Geschehen, sondern Konzentration und Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer sind gefragt. Erst am Ende der Straße beginnt wieder der geregelte Verkehrsablauf durch Schilder und Ampeln. Für viele eine Stresssituation, doch wie würde wohl der Verkehr in der Stadt vorangehen, wenn in der gesamten Stadt Ampeln und Verkehrszeichen abgeschafft wür- Schüler recherchieren zur Verkehrssicherheit Das Projekt „Vorfahrt für sicheres Fahren – Jugend übernimmt Verantwortung“ leistet einen Beitrag zur Verkehrserziehung in den Schulen und transportiert die Themen Verkehrssicherheit und partnerschaftliches Miteinander im Straßenverkehr in den Unterricht. Es ist eine Gemeinschaftsaktion des Deutschen Verkehrssicherheitsrats e.V., der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, der Initiative „Kavalier der Straße“ – Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tageszeitungen und des Aachener IZOP-Instituts. Redaktionell begleitet wird es von zehn Tageszeitungen. Heute veröffentlichen wir Beiträge der Bischöflichen Liebfrauenschule Eschweiler. Die Jahrgangsstufe 8 beschäftigt sich mit Scooter-Tuning, die 10 EF mit dem Projekt „Stadt ohne Verkehrsschilder“. den? Denn genau diese Verkehrsregelung ist das Aushängeschild der Stadt Drachten in den Niederlanden. Gähnende Leere herrscht an Kreuzungen oder Straßen, was Ampeln und Verkehrsschilder betrifft. Das Konzept des Ganzen habe sich bereits in den ersten Wochen bewährt: „Alle nehmen Rücksicht aufeinander’’ , so der Bürgermeister der Kleinstadt. Unfälle habe es noch keine gegeben. Gemeinsam genutzter Raum Die Idee des sogenannten Shared Space (zu deutsch: gemeinsam genutzter Raum) besteht darin, dass die Verkehrsteilnehmer während des Fahrens auf der Straße verunsichert sind und daher aufeinander mehr Rücksicht nehmen. Das Konzept überzeugte die Bürger von Drachten sofort. So sitzt der ein oder andere mit schwitzigen Händen am Steuer, sie haben Augenkontakt zu den Leuten und das Gefühl der Rücksicht und der Verantwortung ergreift jeden. Die Gefahren schießen einem nur so durch den Kopf, berichtet eine Autofahrerin: „Was, wenn ein Kind die Straße überquert?’’ Automatisch verhielten sich die Bürger vorsichtiger und keiner konnte sich mehr auf die Ampeln an den Straßenecken verlassen. Weniger arbeit für die Polizei Nicht nur für die Bürger ist dieses Verkehrsprinzip eine Erleichterung, sondern auch für die Polizei. Auffahrunfälle an der Ampel, weil Ins Abseits gestellt: In Deutschland beteiligt sich die 13 000 Einwohner zählende Gemeinde Bohmte an dem EUProjekt „Shared Space“ (etwa: „gemeinsam genutzter Raum“), in den Niederlanden ist es Drachten. Foto: dpa man sich auf deren Anzeige einfach verlassen hat, standen auf der Tagesordnung. Doch durch das neue Konzept habe diese Verkehrsursache deutlich abgenommen, weil alle vorsichtig fahren und der Verkehr sogar flüssiger rollt als zuvor. Man fühlt sich verantwortungsbewusster und wie ein Mitglied einer Gemeinschaft, so die Bürger. Jeder trägt die Verantwortung nun noch bewusster, was dieses Projekt alles in allem zu einem großen Erfolg macht. nachgefragT „Es kommt auf die lokal sinnvolle umsetzung an“ ▶▶RuDi BERtRam Bertram: Nein, bislang habe ich noch nichts davon gehört. Bürgermeister der Stadt Eschweiler Halten Sie es für möglich, dieses Projekt auch in Eschweiler zu realisieren, zumindest teilweise? Bertram: Ich denke, es ist notwendig, etwas an der vorliegenden Situation zu ändern, da für mich, genau wie für jeden anderen Autofahrer, der aktuelle Schilderwald unüberschaubar ist. Die Idee der Haben Sie bereits von dem Projekt in Drachten gehört, bei dem die Verkehrsschilder aus dem Straßenverkehr genommen wurden? Niederländer wäre hier, aufgrund des anderslautenden Gesetzes, nur unter dem Titel eines Pilotprojektes umzusetzen. Des Weiteren denke ich, dass es nicht förderlich wäre, alle Schilder zu entfernen. Ein großer Teil jedoch könnte durch gegenseitige Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer, hierzu zähle ich auch Fahrradfahrer sowie Fußgänger, ersetzt werden. Können Sie ein Fazit zu diesem Thema ziehen? Bertram: Ich halte das Beispiel Drachten für ein sehr interessantes Projekt, welches tatsächlich einen positiven Effekt auf den alltäglichen Verkehr haben kann. Abschließend kann man sagen, dass es sich um ein stimmiges Konzept handelt, bei dem es hauptsächlich auf die lokal sinnvolle Umsetzung ankommt. mofa und image aufpolieren Viele Jugendliche wollen laut, schnell und cool sein. Gefahr wird verkannt. Eschweiler. Laut, schnell und cool, pubertierende Jugendliche und ihre Mofas, die nicht nur 25 km/h fahren, sondern locker die vierfache Geschwindigkeit erreichen können. Scootertuning heißt das neue Hobby der deutschen Jugendlichen – riskant und aufwendig. Rechtfertigt wird die Versuchung der Geschwindigkeit mit dem Leitspruch „Scootertuning is not a crime“. Die Frage lautet: „Ist es eine Straftat oder nicht?“ Gesetzlich gesehen, ist das Tunen an sich keine Straftat, aber das Verändern des Motors des Rollers ist sehr wohl eine Straftat. Mit 15 Jahren darf man Mofa fahren, mit 16 Motorroller. Sie dürfen 25 und 45 km/h schnell sein, aber in der Realität sieht es doch ganz anders aus. Durch Entfernen der Drosselung schafft jeder Roller locker 70 km/h, durch Veränderung des Motors schafft er sogar Geschwindigkeiten um die 100 Stundenkilometer. Das coole Image und der Gruppenzwang sind vielen Jugendlichen wichtiger als Sicherheit im Straßenverkehr. Spiegel, Heckteile, Helmablagen, Unterbodenbeleuchtung und Trittbleche sind noch das kleinste Übel des Tunings und gehören zur Grundausstattung jedes Tuners. Sportauspuff, größere Vergaser und Kurbelwellen sind die ausschlaggebenden Veränderungen, Illegales Tuning kann sehr teuer werden Die Strafen für illegales Tuning kennen viele überhaupt nicht. Wird jemand erwischt, wird das Fahrzeug stillgelegt, dem Fahrer drohen eine Geldstrafe oder Sozialstunden und zusätzlich gegebenenfalls Gebühren und Auslagen für Ämter, Sachverständige und Gericht. Ein Objekt der Tuning-Begierde: Viele Jugendliche wollen ihren Roller laut und schnell haben, um bei ihren Altersgenossen cool zu wirken. Gefahren und mögliche Strafen werden dabei in den Hintergrund gedrängt. außerdem drohen Fahrverbot, Fahrerlaubnisentzug und eine mindestens sechsmonatige Sperre zur Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis. In Ausnahmefällen kann auch eine Freiheitsstrafe verhängt werden. Bei Mehrfachtätern kann das Fahrzeug eingezogen werden. Der Fahrer bekommt mindestens drei Punkte in Flensburg, eventuell muss er eine Nachschulung machen, auch die Probezeit kann sich verlängern. Und: Das zurückgebaute Fahrzeug muss wieder zum TÜV. Wir empfehlen: Den Roller im Originalzustand lassen und keine Strafe riskieren. die aus dem lahmen Moped einen schnellen Scooter machen. Alle Teile sind legal im deutschen Fachhandel erhältlich, dürfen jedoch nicht im deutschen Straßenverkehr verwendet werden. Der Reiz des Tunings liegt auf der Hand: Man will sein Image aufpolieren und einfach schneller sein als ein Fahrrad. Ganz nach ihrem Motto „Scootertuning is not a crime“ heizen die Jugendlichen mit rund 80 Sachen über die deutschen Straßen. Die Zahlen der Unfälle von Autos und Motorrädern sind rückläufig, die von Mofas und Motorrollern steigen jedoch immer mehr an. Wie zum Beispiel im Landkreis Rottweil. Dort rasten zwei Jugendliche mit getunten Rollern in den Gegenverkehr und wurden von einem Lkw zerquetscht. Das Makabre: Auf dem Helm der Opfer stand der Leitspruch der Szene „Scootertuning is not a crime“. Mitgearbeitet haben: Sandro Ervens, Daniel Nier, Ariane Allius, Julia Leger, Stefan Sarensers, Gina Eckstein, Marc Kaulen, Anne Rossow, Sarah Berger, Stephanie Kinderreich, Rita Stolbinoikova, Sarah Leger (Scootertuning). Charlotte Büchter, Nathalie Camen, Anke Creutz, Jerome Dunkel, Nina Friebe, Annkathrin Haake, Saskia Martinett, Melanie Meisenberg, Robert Mielke, Alexander Radler, Ronja Reichert, Clara Schaffrath, Christian Sommer, Katharina Wallrath, Hannah Ziemons (Stadt ohne Verkehrsschilder). iese nervtötenden Ampeln, die immer genau dann rot werden, wenn man gerade dabei ist, Fahrt aufzunehmen. Und nicht nur eine, nein! Die gründen eine ganze Gewerkschaft, nur damit ich zu spät zum Tennis komme und Liegestützen machen muss. Nichtsdestotrotz habe ich mir ein neues Cabrio zugelegt, um den Ampeln zu zeigen, dass es mir egal ist, wie oft sie auf „rot“ springen: Ich bleibe leidenschaftlicher Autofahrer! Diese Aussage wird jedoch einer harten Prüfung unterzogen, wenn ich sehe, wie an der Ampel die Fußgänger mit einem Affenzahn an mir vorbeirasen. Und dann immer diese unverschämten Straßenschilder, die meinen, mich blenden zu müssen, nur weil ich mein Fernlicht austesten wollte. Nicht nur, dass sie mich blenden, sie lästern auch noch über mich. Dieses Stoppschild direkt vor meiner Tür grinst mich schon immer schief an. Nun ja, wenigstens ändern Schilder nicht ihre Farbe. Führende Theoretiker fragen sich: ,,Wie sähe eine Stadt ohne Straßenschilder aus?“ Eine zunächst wahnwitzige Idee könnte mich nun einmal die Woche vor Strafliegestützen bewahren, zumal das Abschaffen der Straßenschilder vermutlich in einer Reihe stände mit anderen wichtigen geschichtlichen Ereignissen, wie der ersten Mondlandung und dem Fall der Berliner Mauer. Vielleicht könnte es schon bald in ganz Deutschland weder Ampeln noch Schilder, noch Bürgersteige geben. Wäre ja wohl auch nicht konfuser als bisher, oder? experTenraT ▶▶RaLF EnGELS TÜV-Experte, Aachen Vor dem Tunen beraten lassen Wie viele Roller sind angemeldet und wie viele werden eingezogen, weil sie illegal getunt sind? Engels: Die genauen Zahlen liegen mir nicht vor, jedoch gehören die Roller zu einer der beliebtesten Zweiradgruppen. Wie viel Prozent der Roller sind illegal getunt? Engels: Es gibt keine genauen Werte dazu, aber in der Region Aachen werden jährlich mehrere hundert Fahrzeuge wegen Tuningmaßnahmen überprüft. Würden weniger Leute tunen, wenn das Geschwindigkeitslimit erhöht würde und welche Erhöhung wäre angemessen? Engels: Eine Erhöhung des Geschwindigkeitslimits würde sicherlich dazu führen, dass weniger Roller verändert werden. Warum wird Scootertuning immer beliebter? Engels: Es gibt mehrere Gründe für Scootertuning: Einerseits ist es der Reiz, schneller zu fahren als andere, andererseits der Wunsch, das eigene Fahrzeug durch Umbaumaßnahmen individuell zu gestalten und sich von der Allgemeinheit abzuheben. Wie kann man legal tunen? Engels: Es gibt die Möglichkeit, zu uns zu kommen und sich über dieses Thema zu informieren. Wir versuchen dann, die Wünsche des Kunden, falls möglich, zu erfüllen. Damit kann man später auch Problemen aus dem Weg gehen und sich illegales Tuning ersparen. Natürlich beraten auch die Zweirad-Fachbetriebe in Tuningfragen rund um den Roller.