Shigeru Ban und Tamedia - Blumer

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Shigeru Ban und Tamedia - Blumer
BAUWERK
SHIGERU BAN – JAPANS BESTER
Mitten in Zürich ein Gebäude aus Holz. Darf man das? «Passt nicht», sagen die einen. «Zu wenig urban», warnen die andern.
Weil alle glauben, dass alle so denken, versucht es niemand. Doch dann kommt plötzlich einer von draussen, von sehr weit draussen.
Er heisst Shigeru Ban, führt Architekturbüros in ...
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... Tokio, New York und Paris und zählt zu den Stararchitekten der Welt. Shigeru Ban schlägt also
dem Medienkonzern Tamedia in Zürich einen Holzbau vor, überzeugt den Bauherrn, dann die Baubehörden
und schliesslich sogar die Feuerpolizei. Und jetzt ist es da – das Wunder von Zürich. Text Urs Thaler
Das Verlagshaus Tamedia hat seinen Stammsitz mitten in Zürich. Das Areal, auf dem sich die
vielen Gebäude des Unternehmens befinden,
bildet ein Dreieck, das von der Werdstrasse,
Stauffacherstrasse und der Sihl umschlossen
wird. An der Nordspitze des Areals befinden
sich drei Gebäude, die ursprünglich einmal
Wohnhäuser waren. Doch aus den Wohnungen sind längst Büros geworden – verwinkelte
und eher kleine Büros allerdings, die den heutigen Bedürfnissen eines Medienhauses nicht
mehr genügten. Also entschieden die Verantwortlichen der Tamedia, die drei Gebäude abzu­brechen. Drei Ziele peilte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino mit dem Neubau an:
erstens attraktive Arbeitsplätze schaffen, wo
sich die Mitarbeitenden wohlfühlen; zweitens
ein nachhaltiges Konzept für das neue Gebäude entwickeln, welches das gesamte Areal
aufwertet; und drittens trotz hoher qualitativer Anforderungen den Neubau mit vernünftigem Mitteleinsatz realisieren. War’s das?
Nein, natürlich nicht. Supino hatte noch ein
wei­teres Ziel: Er wollte den Architekten Shigeru Ban erstmals in der Schweiz bauen lassen. Dem Zürcher Verleger war ein Haus aufgefallen, das der Japaner in New York auf
Long Island gebaut hatte – das Sagaponac
House. Es gehört in die Reihe der so genannten Furniture Houses, die Shigeru Ban bislang
vor allem in Japan gebaut hat. Der Architekt
hatte bei den häufigen Erdbeben in seinem
Heimatland festgestellt, dass immer wieder
Menschen durch umstürzende Möbelstücke
schwer verletzt oder gar getötet wurden. Also
machte er die Möbel zu konstruktiven Elementen des Hauses und verankerte sie fest in
die tragenden Wände. Damit war die Gefahr
herumfliegender Schränke und Gestelle gebannt. Man sieht: Der Japaner ist ein praktisch veranlagter Mensch.
ANDERS ALS DIE ANDEREN
Und Shigeru Ban ist wie viele Japaner auch
ein zurückhaltender Mann, ruhig, höflich, bescheiden. Er ist einer, der aus den kleinen Er-
fahrungen des Lebens Grosses entstehen lassen kann. Ban erzählt aus seiner Kindheit in
Tokio: «Meine Eltern bauten ihr Haus mehrmals um, und so kam es mir vor, als wäre
ständig ein Schreiner im Haus. Als Kind habe
ich dann die Holzabfälle gesammelt, um daraus etwas zu basteln, eine Spielzeugeisenbahn oder ein Haus.» Diese simplen Erfahrungen lehrten den Japaner, dass sich auch mit
Reststoffen und Abfällen etwas Sinnvolles
machen lässt – sofern man kreativ genug ist.
Bans Architektur ist ohne Zweifel kreativ und
ungewöhnlich. Sie zeichnet sich durch eine
unprätentiöse Nachhaltigkeit aus, die sich bei
ihm ganz ungezwungen einstellt. Sie wirkt so,
als sei sie schon immer da gewesen, aber irgendwann bei vielen Menschen einfach vergessen gegangen. Doch Shigeru Ban holt das
Vergessene und Verlorene wieder hervor, indem er auf ungewöhnliche Baumaterialien
wie Lehm, Karton, Papier und Textilien setzt.
Oder auf unterschätzte Baumaterialien wie
Holz, das er dann jedoch wagemutiger einsetzt als alle andern Architekten.
Fast alle Architekturkritiker und Journalisten
halten den Japaner für einen umweltbewussten Architekten, der mit der Verwendung von
Papier und Karton für temporäre Bauten und
von Holz für langlebige Gebäude eine «grüne
Strategie» verfolge. Shigeru Ban lächelt nur
über solche Interpretationen. Er verspürt als
Architekt keinerlei politische Sendung. «Ich
habe einfach Interesse an unbehandelten,
kostengünstigen Materialien», sagt er. Und
Holz liebe er für seine Schönheit: «Es riecht
so wunderbar. Als ich ein Kind war, wollte ich
Schreiner werden.»
EIN STARKES DUO
Christoph Zimmer, der bei Tamedia Projektleiter für den Neubau verantwortlich ist, erzählt, dass der Medienkonzern dem Japaner
keinerlei Vorgaben über die Baumaterialien
gemacht habe: «Es ist nicht so, dass wir uns
explizit einen Holzbau gewünscht haben.» Solange Ban innerhalb des Budgets blieb, hätte
er auch einen Bau aus Backstein, Beton, Glas
oder Stahl vorschlagen können. Doch rasch
zeigte sich, worauf der Japaner hinauswollte.
Denn bereits bei der ersten Präsentation seines Entwurfes brachte er einen Schweizer
mit – Hermann Blumer aus Herisau. Mit diesem
erfahrenen ETH-Ingenieur hatte der Japaner
schon Holzbauprojekte verwirklicht, die unter
Baufachleuten schlicht als unrealisierbar galten. So etwa im französischen Metz.
Zahlen und Fakten zum Tamedia-Holzhaus
Siebengeschossiges Bürogebäude mit rund 440 Arbeitsplätzen für Verlag und Redaktion
(inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8)
Nutzfläche: 10 255 m 2 (Bruttogeschossfläche inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8)
Baukosten: rund 50 Mio. Franken (inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8)
Bauzeit: Februar 2011 bis Mai 2013
Verbaute Holzmenge: 3600 Fichten mit einem Gesamtgewicht von 2800 Tonnen
(diese Holzmenge wächst in den Schweizer Wäldern in einem Tag nach)
Tragwerk aus 1400 vorgefertigten Holzbauelementen, die in Rahmenbauweise erstellt
und zusammengesteckt wurden (von hinten nach vorn und nicht von unten nach oben)
Jeder der insgesamt acht Holzrahmen wiegt 18 Tonnen und hat fast 25 Meter hohe Stützen,
die vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss durchlaufen.
Fast ausschliesslich Holz-Holz-Verbindungen ohne Metallverstärkungen
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1 – 3 Das neue Tamedia-Holzhaus in Zürich. Die filigrane Tragstruktur aus hellem Fichtenholz ist von aussen gut sichtbar.
Aus der Nähe zeigt sich, dass die Holzelemente fast Möbelqualität besitzen – so perfekt sind sie bearbeitet.
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Dort errichtete Ban mit dem Centre Pompidou
einen spektakulären Museumsbau, obwohl englische und französische Ingenieure dringend
abrieten, das Gebäude so zu überdachen, wie
es der Japaner vorschlug. Diesem schwebte
nämlich eine höchst ungewöhnlich geflochtene und gewölbte Holzdachkonstruktion aus
hexagonalen Mustern vor. Also suchte sich
Shigeru Ban einen erfahrenen Holzbauspezialis ten, der die Machbarkeit des kühnen Entwurfes überprüfen und garantieren konnte,
und fand ihn in Herisau mit Hermann Blumer.
Klar, dass der japanische Architekt den Ingenieur, der aus einer Holzbaufamilie entstammt,
auch beim Tamedia-Bau wieder dabeihaben
wollte. Denn mit seinem ersten Projekt in der
Schweiz wollte Shigeru Ban ebenfalls ein Holzbauwerk der Spitzenklasse realisieren.
Shigeru Ban
Der japanische Architekt Shigeru Ban (56) wuchs in Tokio auf. Er studierte in den
USA Architektur. Am Southern California Institute of Architecture kam er in Berührung mit grossen Architekten wie Frank Gehry, Eric Owen Moss und Thom Mayne.
Beim Weiterstudium an der Cooper Union School of Architecture war es vor allem
John Hejduk, der für den damals jungen Japaner wichtig wurde. Zurück in Tokio
gründete Shigeru Ban sein eigenes Architekturbüro. Seine Entwürfe und Bauten
zeichnen sich aus durch eine geglückte Verbindung traditioneller japanischer Bauweise mit der modernen westlichen Architektur sowie durch die Verwendung von ungewöhnlichen Baustoffen. Ban hat heute Büros
in Tokio, New York und Paris. Nach der Errichtung des Tamedia-Gebäudes in Zürich folgt
bereits der nächste Bau, der noch grösser
sein wird: der neue Hauptsitz der SwatchGruppe in Biel. shigerubanarchitects.com
4 – 5 Centre Pompidou in Metz. Die komplexe Dachkonstruktion hat Shigeru Ban einem
chinesischen Hut nachgebildet.
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6 – 7 Golfclub Nine Bridges in Südkorea. Drei dominante Materialien hat Shigeru Ban bei diesem Bau zusammengeführt: Bruchsteine,
Glas und im Innern Holzsäulen, die sich nach oben wie Baumkronen verbreitern und in die Dachkonstruktion übergehen.
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Blumer-Lehmann – Holzbau vom Feinsten
Wenn irgendwo in der Welt Holzbauten der Superlative errichtet werden, ist oft die Ostschweizer
Holzbaufirma mit von der Partie. Sie zählt international zu den angesehensten Unternehmen
der Holzbaubranche. So hat sie beispielsweise in Südkorea die grösste hölzerne Achterbahn
der Welt gebaut und das Golfclubhaus Nine Bridges. Im norwegischen Kristiansand konstruierten die Gossauer Firma am Kilden Performing Arts Centre ein riesiges wellenförmiges Dach.
Das Unternehmen Blumer-Lehmann beschäftigt rund 200 Personen,
davon 20 Lehrlinge. Zur Holzbaufabrik gehört ein Säge- und Holzwerk, in dem jährlich 100 000 Kubikmeter Rundholz verarbeitet werden.
Ein weiterer Betrieb stellt Silobauten her. Reststoffe werden über ein
Partnerwerk zu Heizpellets verarbeitet. Schliesslich sorgt das betriebs
eigene Kraftwerk Zündholz, für Wärme und Strom, der den Bedarf
von 1200 Haushalten abdeckt. Das Unternehmen erzielt einen Umsatz
von 60 bis 70 Mio. Franken pro Jahr. blumer-lehmann.ch
Im Rückblick findet es Christoph Zimmer noch
immer verblüffend, wie nah schon der erste
Konstruktionsentwurf des Japaners beim nun
realisierten Projekt lag: «Zwar gab es da und
dort Änderungen, aber es betraf immer nur
Details und nie etwas ganz Grundsätzliches,»
sagt der Tamedia-Projektleiter. «Das spricht
für die Genialität von Shigeru Bans Arbeit.»
Für diese erstaunliche Präzision gibt es noch
einen weiteren Grund. Der Stararchitekt legt
bei jedem Projekt immer grossen Wert auf
einen engen Austausch mit den Ingenieuren
und den Holzbaufachleuten. Er ist keiner, der
sich nur um den schönen Schein und um die
Ästhetik eines Gebäudes sorgt – ebenso sehr
liegt ihm die technisch-handwerkliche Perfektion am Herzen.
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Katharina Lehmann kann dies bestätigen. Sie
und ihre Holzbauer arbeiten gerne mit dem Japaner. «Die Zusammenarbeit mit Shigeru Ban
ist sehr angenehm, denn er sagt uns klar, welche seiner Vorstellungen sakrosankt sind und
wo er Kompromisse eingehen kann.» Ihr Unternehmen, die Holzbaufirma Blumer-Lehmann
aus dem sanktgallischen Gossau, zählt zu den
international führenden Betrieben für Holzbauten, die den Rahmen des Konventionellen
sprengen. Mit Shigeru Ban haben die Ostschweizer auch das mehrfach ausgezeichnete
Golfclubgebäude Nine Bridges im südkoreanischen Yeoju gebaut. Ein in jeder Hinsicht
beeindruckender Bau mit einer fantastischen
Raumwirkung. Steht man im Atrium des Club-
hauses, glaubt man fast, in einem Märchenwald zu stehen. Wie in einer Allee stehen da
links und rechts elegante Holzsäulen, die sich
nach oben zu einer Art Baumkrone verbreitern und nahtlos in eine geflochtene, schwebende Holzdachkonstruktion übergehen.
Auch für das Tamedia-Gebäude brauchte der
Japaner die besten Holzbaufachleute. Bei diesem Bau dreht sich alles um eine filigrane
Holzkonstruktion, die das ganze Gebäude trägt
und hält (siehe Box «Zahlen und Fakten zum
Tamedia-Holzhaus»). Auch nach Vollendung
des Bauwerks soll die hölzerne Tragstruktur
hinter einer transparenten Glas-Aluminium-Haut sichtbar bleiben. Von aussen zeigt
sich die Holzstruktur diskret und zurückhaltend, nach innen jedoch entfaltet sie ihre
ganze unbändige Kraft. Wer von den alten,
konventionellen Gebäuden des TamediaAreals in den Neubau hinüberwechselt, spürt
den Unterschied beim Betreten des «Holzhauses» fast physisch – von der harmonisch geformten Holzstruktur in den Grossraumbüros
geht eine unglaubliche Energie aus. Und ein
unglaublich feiner und intensiver Duft von
Fichtenholz. Shigeru Ban hat schon recht:
Holz riecht gut.
ENDE UND NEUBEGINN
Im Juni 2013 beziehen die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Tamedia die Arbeitsplätze
im neuen Gebäude. Das Ziel, das Verwaltungsratspräsident Pietro Supino beim Projektstart
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formuliert hatte, wird mit Sicherheit übertroffen werden – im neuen Holzhaus dürften sich
die Mitarbeitenden mehr als nur wohlfühlen.
Es wird ein Privileg sein, in den neuen hellen
Räumen mit traumhafter Aussicht auf Sihl und
Stadt arbeiten zu dürfen.
Und Shigeru Ban wird wohl bald ein letztes
Mal vor Fertigstellung durch die Räume schreiten. Wie immer wird er da und dort stehen
bleiben, um nochmals ein Detail anzuschauen
oder um eine Nachbesserung anzumahnen.
Ist er zufrieden mit seinem ersten Projekt, das
er in der Schweiz realisiert hat? «Oh, ja. Die
Schweiz ist vielleicht der beste Ort auf der
Welt, um zu bauen: freundliche Behörden,
qualitätsbewusste Kunden.» Und dann lässt
Shigeru Ban mit einem feinen Lächeln noch den
Nachsatz folgen: «Nur in Japan ist es noch
besser.»
Mag sein. Doch bis auf Weiteres wird Shigeru
Ban weiterhin häufig in der Schweiz anzutref­fen sein. Denn es gibt neue Arbeit. Im Zürcher Museum Rietberg wartet ein kleiner Auftrag. Und in Biel steht ein ganz grosser Brocken an – der neue Hauptsitz der SwatchGruppe. Die Familie Hayek kennt und schätzt
Japans Star­architekten schon seit Langem,
hat dieser doch 2007 in Tokio mit dem Nicolas
G. Hayek Center ein beeindruckendes 13-stöckiges Gebäude für den Uhrenkonzern geschaffen. In Biel jedoch wird alles noch grösser,
breiter, auffälliger – und wieder mit Holz.
Gut so. Denn mit diesem Baustoff bringt Japans
bester «Holzkopf» ein schönes Stück Nach­haltigkeit in die Schweizer Städte zurück.
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