Amerika hat gewählt: ein zweiter Anlauf für Obama

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Amerika hat gewählt: ein zweiter Anlauf für Obama
Aktueller Kommentar
Amerika hat gewählt: ein zweiter Anlauf für Obama
7. November 2012
Die US-Wahlen haben erneut für einen spannenden Krimi für politisch Interessierte gesorgt. Um es kurz
zu fassen: Alles bleibt gleich, und deshalb wird alles anders werden. Warum? Weil zweite Amtszeiten
anders sind als erste, und weil Amerika sich ändert.
Wie hat Amerika gewählt? Präsident Obama ist mit einem deutlichen Vorsprung an Wahlmännerstimmen und
einem leichten Vorsprung bei den Stimmen (50% zu 48) wiedergewählt worden. So klar, wie das Ergebnis am
Ende geworden ist, ist die Lage nicht gewesen. Zwar hat Obama in der Wahlnacht nahezu alle wichtigen „swing
states“ gewinnen können, aber die Ergebnisse waren knapp: 50% der Stimmen in den alles entscheidenden
Staaten Florida und Ohio sowie in Colorado, 51% in Virginia, 52% in Staaten wie Iowa, Nevada, New Hampshire,
Pennsylvania und Wisconsin und 53% in New Mexico. Obama erzielte überwältigende Mehrheiten unter den
afroamerikanischen (93%) und hispanischen Wählern (71%), solide Mehrheiten bei Frauen (55%) und jungen
Wählern bis 45 Jahre, aber nur 39% bei den weißen Wählern. Amerika bleibt parteipolitisch stark polarisiert, aber
Präsident Obama hat es geschafft, sich die Wiederwahl trotz der nach wie vor schwierigen Wirtschaftslage und
nur solider Zustimmungswerte zu sichern.
In den Kongresswahlen kam es ebenfalls nicht zu wesentlichen Veränderungen. Im Senat, in dem 33 der
insgesamt 100 Sitze zur Wiederwahl anstanden, darunter 21 von Demokraten und acht von Republikanern
gehaltene Sitze, galt es bis zum frühen Herbst als ausgemacht, dass die Republikaner die Mehrheit erobern
würden. Dazu wird es wohl nicht kommen. Den letzten Hochrechnungen zufolge dürften die Demokraten zu den
51 Sitzen sogar zwei Sitze hinzugewinnen, während die Republikaner 45 Sitze erhalten dürften und es weiterhin
bei zwei unabhängigen Kandidaten bleiben sollte. Die demokratische Mehrheit im Senat ist somit sogar gefestigt
worden, aber nicht groß genug, um mit qualifizierter Mehrheit die Republikaner dominieren zu können. 60 Sitze
wären notwendig gewesen, um Prozessblockaden zu verhindern.
Im Repräsentantenhaus zeichnet sich keine gravierende Verschiebung ab. Die Republikaner hielten mit 240 zu
190 Sitzen (bei 5 Vakanzen) ohnehin eine starke Mehrheit und werden diese mit geringen Sitzverlusten wohl
verteidigen. Die Demokraten hätten in den Präsidentschaftswahlen einen viel größeren Vorsprung haben müssen,
um das Repräsentantenhaus zurückerobern zu können. Auch bei den Gouverneurswahlen bleibt parteipolitisch
alles beim Alten. Die Republikaner dürften ein Amt in North Carolina hinzugewinnen und damit ihre Mehrheit in
den Hauptstädten der Einzelstaaten festigen.
Was folgt aus diesen Wahlen? Erstens, es gelang dem republikanischen Kandidaten trotz zugesprochener
Kompetenzvorteile in Wirtschaftsfragen nicht, das Rennen in wichtigen Staaten für sich zu gewinnen, zum Teil
sicherlich auch deshalb, weil in den meisten „swing states“ die Wirtschaftslage besser als im Landesdurchschnitt
ist. Zweitens, Präsident Obama kann nun argumentieren, dass die Wähler ihm den Auftrag erteilt haben, seine
Finanz-, Wirtschafts- und Außenpolitik fortzusetzen und einem fälligen Kompromiss mit den Republikanern vor
allem in den zentralen Haushaltsfragen seinen Stempel aufzudrücken. Zugleich hat er nun mehr Spielraum bei
der Kompromissfindung als zuvor, da er auch schwierige Entscheidungen ohne Rücksicht auf
Wiederwahlgesichtspunkte treffen kann. Drittens, die Republikaner beginnen bereits zu argumentieren, das
Repräsentantenhaus vertrete das amerikanische Volk und wolle keine Steuererhöhungen, aber auch sie wissen,
dass die Wahlen alles andere als ein klares Mandat für ihre Politik gewesen sind. Trotz allem ist der ideologisch
konservative Flügel unter den Abgeordneten nochmals gestärkt worden.
Was könnten die wichtigsten Themen der nächsten vier Jahre der Innenpolitik werden? Da sind zum einen die
weitere wirtschaftliche Erholung und die öffentliche Infrastruktur zu nennen. Hier bleibt viel zu tun. Zweitens
könnte sich bei den Republikanern die Bereitschaft erhöhen, die Einwanderungspolitik mit den Demokraten neu
zu regeln. Ohne den wachsenden hispanischen Stimmenanteil werden wohl Wahlen zukünftig noch schwieriger
zu gewinnen sein. Drittens besteht überparteilicher Konsens, die Chancen der inländischen Energiegewinnung,
v.a. durch Schiefergas und -öl, voranzubringen. In der Außenpolitik könnte Obama nun stärker aktiv werden und
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zum Beispiel nicht nur mit den Pazifikanrainern, sondern auch mit den Europäern ein Freihandelsabkommen
anstreben. Auch dies trifft auf breite Unterstützung in beiden Parteien.
Am wichtigsten sind natürlich die finanzpolitischen Aufgaben. Nach den Wahlen ist vor den
Haushaltsverhandlungen. Eine Lösung für die Schuldenobergrenze und das „fiscal cliff“ , das die US-Wirtschaft in
eine Rezession im ersten Halbjahr 2013 stürzen könnte, da Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen im
Gesamtvolumen von USD 600 Mrd. (4% des BIP) einsetzen würden, wäre am besten noch vor Weihnachten mit
dem alten Kongress zu erzielen. Die Republikaner könnten argumentieren, dass die Zahlungsfähigkeit der USA
sichergestellt wurde und Kürzungen im Verteidigungsetat von über USD 50 Mrd. vermieden werden konnten,
während die Demokraten hervorheben könnten, dass nun endlich automatische Kürzungen bei wichtigen
Bundesprogrammen und Steuererhöhungen für die Mittelschicht vom Tisch sind. Gleichwohl könnte es dabei zu
Ausgabenkürzungen und Einnahmeerhöhungen kommen, die die wirtschafts- und finanzpolitischen Leitplanken
für die nächste Zeit klar regeln und die aufgestauten Investitionen und Konsumausgaben befördern könnten.
Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass nur eine Zwischenlösung zustande kommt, mit der man die
Ausgabenkürzungen mit dem Rasenmäher und die Zahlungsunfähigkeit vermeidet. In dem Fall bekommt der
neue Kongress mit den alten Führungskräften zum Jahresanfang die alte Hausaufgabe wieder auf den Tisch, die
mittelfristigen Leitplanken für die Haushaltskonsolidierung durch Ausgaben- und Einnahmenpolitik zu vereinbaren.
Die Demokraten dürften verminderten zukünftigen Staatsausgaben in der Renten- und Gesundheitspolitik dann
zustimmen, wenn sich die Republikaner bei den Staatseinnahmen bewegen. Der Schlüssel zum Erfolg dürfte in
einer umfassenden Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer liegen, durch die Ausnahmetatbestände,
Steuerbefreiungen und Fehlanreize beseitigt werden und zweistellige Milliarden an zusätzlichen Einnahmen pro
Jahr erzielt werden. Möglicherweise muss das amerikanische politische System erst einmal über die Klippe
springen und Steuersätze auf die höheren Niveaus von 2000 zurückschnappen lassen, um dann, befeuert von
den negativen Marktreaktionen und Rezessionsängsten, im zweiten Schritt die überfälligen
Konsolidierungsentscheidungen zu treffen. Dazu würden dann paradoxerweise auch wieder Steuersenkungen für
die Mittelschicht zählen, obwohl man in vielen Steuerfeldern nur zum Status quo ante vom Dezember 2012
zurückkehren würde. Es wäre zu wünschen, dass die US-Politik dem Rest der Welt diesen Umweg erspart.
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