Geschlechterrollenkritische Didaktik in Geographie und
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Geschlechterrollenkritische Didaktik in Geographie und
Proseminararbeit zur LV 290143-1: Geschlechterrollenkritische Didaktik in Geographie und Wirtschaftskunde Leitung: Mag.a Dr.in Ingrid Schwarz Name: Reinhard Holzer Mat. Nr.: 9302247 A 190 313 456 Wintersemester 2015/16 1 Inhalt 1.Einleitung.............................................................................................................................................. 3 3.Unterrichtsplanung zum Thema: „Bilder im Kopf“............................................................................... 5 3.1 Anbindung an den Lehrplan: ......................................................................................................... 5 3.2 Lernziele, Kompetenzorientierung, Vermittlungsinteressen ........................................................ 5 3.2.1 Lernziele ................................................................................................................................. 5 3.2.2 Didaktische Vermittlungsinteressen: ..................................................................................... 6 3.2.3 Kompetenzorientierung: ........................................................................................................ 6 3.2.4 Orientierung am Beutelsbacher Konsens zur Politischen Bildung ......................................... 7 3.3 Erwartungen und Befürchtungen .................................................................................................. 7 3.4 Abfolge und Begründung der ausgewählten Inhalte, Sozialformen und Methoden .................... 7 3.4.1 Einstiegs-Methoden ............................................................................................................... 8 3.4.2 Die unterdrückte Mehrheit: Majorité Opprimée ................................................................... 9 3.4.2b Kritik: Bedienung rassistischer Stereotype: „Feminismus nur für Weiße“......................... 10 3.4.3 Geschlechterrollen 1: Nur ein Spiel für echte Männer?....................................................... 13 3.4.4 Geschlechterrollen 2: “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” ................................................................................................................................................ 15 3.4.5 Kritik an der Genderforschung: „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ .................................... 17 3.4.5b Kritik an der Kritik bzw. Klarstellungen: Biologistische Grenzziehungen ........................... 19 3.5 Planungsmatrix ............................................................................................................................ 21 4. Ausgewählte Artikel .......................................................................................................................... 33 4.1 Majorité Opprimée ...................................................................................................................... 33 4.2"Oppressed Majority": Feminismus nur für Weiße ...................................................................... 33 4.3 Nur ein Spiel für echte Männer? ................................................................................................. 35 4.4 “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” ............................... 38 4.5 „Genderforschung: Schlecht, schlechter, Geschlecht“ ............................................................... 41 4.6 Biologistische Grenzziehungen .................................................................................................... 48 5. Informationsblatt: Wichtige Fachbegriffe ......................................................................................... 51 6. Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 53 6.1 Schulbücher ................................................................................................................................. 53 6.2 Internetquellen:........................................................................................................................... 53 2 1.Einleitung Die vorliegende Arbeit stellt die Abschlussarbeit des Proseminars „Geschlechterrollenkritische Didaktik in Geographie und Wirtschaftskunde“ dar. Vorgabe war, zum Einen eine geschlechterrollenkritische Analyse eines gesamten Schulbuches der Sekundarstufe 1, zumindest aber eines Kapitels daraus durchzuführen. Aufgrund der Bedeutsamkeit der Lehrund Lernmittel für die geschlechtsspezifische Sozialisation von SchülerInnen sollte der Verfasser dieser Arbeit ebenso wie seine KollegInnen im Zuge der Durchführung seine Sensibilität schärfen und auf die symbolische Repräsentation sowie die soziale Konstruktion der Geschlechter achten. Die dadurch vermittelten männlichen und weiblichen Rollenbilder sollten aufgedeckt werden und es sollte beachtet werden, ob eine geschlechterdifferenzierte Sprache zur Verwendung kommt. Dabei wurde (siehe Kapitel 2) ein Mittelweg gewählt, der nach Möglichkeit die Präzision einer Detailanalyse mit der Vollständigkeit einer Übersichtsanalyse zusammenführen sollte; zusätzlich wurde auch noch ein themenspezifischer Schulbuchvergleich durchgeführt. Zum Anderen sollte unter Fokus auf geschlechterrollenkritische Didaktik ein Unterrichtsbeispiel bzw. eine Unterrichtseinheit für die Sekundarstufe 2 zu einem der Themen „Reproduktive Rechte“, „Arbeitsrechte“ oder „Bilder im Kopf“ entwickelt werden. Hier wurde das Thema „Bilder im Kopf“ ausgewählt (siehe Kap. 3-5), weil es dem Verfasser als das hierzulande momentan kontroverseste mit dem größten „Bewusstseinsmobilisierungspotential“ erschien. Als Inspiration dazu diente unter anderem die (insbesondere in punkto Quellenauswahl) hervorragende Proseminararbeit des Kollegen David Kerbl (vgl. Kerbl 2014: 46-56). Der Verfasser der vorliegenden Proseminararbeit hielt es nach Lektüre dieser ansonsten vorzüglichen Arbeit nämlich für geboten, zwei von Kerbls herangezogenen Quellen Gegenstandpunkte (siehe 3.4.2b und 3.4.5b) entgegenzustellen und damit Reflexionsmöglichkeiten für die SchülerInnen zu erweitern, wofür entsprechende Methoden herangezogen und Aufgabenstellungen ausgearbeitet wurden. Aufgrund der dem Thema „Bilder im Kopf“ zugemessenen Bedeutung blieb es allerdings nicht bei einer Unterrichtseinheit - vielmehr wurde ein ganzer Unterrichtsblock konzipiert, um die wesentlichsten geschlechterspezifischen Aspekte des Themas in einer Art und Weise abhandeln zu können, die bei den SchülerInnen jene intensiven Bewusstseinsprozesse ermöglicht, um im Rahmen der individuellen 3 Sozialisation internalisierte Geschlechterrollenstereotype abbauen zu können; insbesondere solche die der betreffenden Person selbst oder anderen Menschen, speziell Minderheitengruppen, schaden. Der Block wurde in Form von Modulen konzipiert, um je nach der Verfügbarkeit von Doppel- oder vielleicht nur Einzelstunden in der Anwendung flexibel zu sein (Angegeben ist in der Regel die Mindestzeit pro Sequenz, die qualitatives Arbeiten ermöglicht – sie kann nach Bedarf ausgedehnt werden). Trotz explizit geschlechterrollenkritischer Ausrichtung wurde auf eine multiperspektivische Darstellung geachtet, die traditionelle Rollenbilder zwar hinterfragen, aber (abgesehen von den mit Gewalt verbundenen) nicht abwerten soll. Schließlich sollen SchülerInnen grundsätzlich nicht indoktriniert werden (siehe 3.2.4), sondern sich vielmehr auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse eine eigene Meinung bilden können. 4 3.Unterrichtsplanung zum Thema: „Bilder im Kopf“ 3.1 Anbindung an den Lehrplan: Siehe aktueller OSt-Lehrplan, Bildungsbereiche (BMBF 2016): Siehe aktueller USt-Lehrplan: Lehrstoff 7. Klasse: 3.2 Lernziele, Kompetenzorientierung, Vermittlungsinteressen 3.2.1 Lernziele Förderung gleichberechtigten und partnerschaftlichen Miteinanders und der gegenseitigen Akzeptanz und Toleranz der Geschlechter. Bewusstmachung noch bestehender ungleicher Chancen für Mädchen und Jungen sowie von (insbesondere geschlechtsspezifischen) Minderheiten im beruflichen und im privaten Bereich (vgl. Schwarz 2015), nicht zuletzt durch Thematisierung unterschiedlicher Einstellungen und Verhaltensweisen von Mädchen und Burschen sowie Lehrerinnen und Lehrern. Förderung einer Einstellung der Akzeptanz der Differenz und der Gleichwertigkeit männlicher und weiblicher (und „dritter“) Identitäten bei den SchülerInnen Fördern eines Bewusstseins dafür, dass vorherrschende Rollenbilder von Weiblichkeit und Männlichkeit nicht angeboren, sondern anerzogen sind. 5 Fördern eines Verständnisses von männlichem und weiblichem Verhalten als im Zuge der Sozialisation gesellschaftlich angeeignete und damit veränderbare Verhaltensweisen („soziales Geschlecht“). Empowerment von SchülerInnen gegenüber in Zusammenhang mit dem sozialen Geschlecht stehenden Unterdrückungsformen. Erweiterung des Horizonts bzw. des Selbstvertrauens in Bezug auf wissenschaftliche und berufliche Karrieren. Kritische Auseinandersetzung mit Vorurteilen, Klischees und Stereotypen. Schaffung eines Bewusstseins der Problematik (insbesondere geschlechter-) stereotypischer Zuweisungen durch Sensibilisierung der SchülerInnen. Sichtbarmachung von kulturellen und gesellschaftlichen Leistungen von Frauen und Mädchen und deren gleichwertige Einbeziehung. Kritische Reflexion gesellschaftlicher Mechanismen (hier insbesondere in Zusammenhang mit Fragen des sozialen Geschlechts). 3.2.2 Didaktische Vermittlungsinteressen: Bei der Gestaltung dieses Blocks standen (wie an den Lernzielen erkennbar und auch aus der Konzeption ersichtlich sein sollte) insbesondere das Kritisch-Emanzipatorische sowie das Praktische (an der Lebenswelt der SchülerInnen orientierte) Vermittlungsinteresse im Vordergrund. Ein technisches Vermittlungsinteresse liegt aber auch vor, weil es für erweitertes Verständnis unerlässlich ist, die wichtigsten Grundbegriffe zu erläutern, um Missverständnissen zumindest so weit wie möglich vorzubeugen. Für die SchülerInnen wurde zu diesem Behufe zwecks Übersichtlichkeit ein Informationsblatt erstellt (siehe 5.). 3.2.3 Kompetenzorientierung: Der Block „Bilder im Kopf“ steht ganz im Zeichen der Förderung von „Genderkompetenz“, die im Oberstufen-Lehrplan als Teil der Gesellschaftskompetenz betrachtet wird; jedenfalls werden im Rahmen des Blocks geschlechtsspezifische Unterschiede in verschiedenen sozioökonomischen und soziokulturellen Systemen analysiert. Insbesondere durch die SchülerInnenorientierung wird aber auch die Orientierungskompetenz gestärkt: Es ist ausdrückliche Intention, dass die SchülerInnen erworbenes Wissen und gewonnene Einsichten privat wie beruflich nutzen und in die Öffentlichkeit einbringen können. Weil auch Einsicht in das Wirkungsgefüge der Gesellschaft gegeben wird, wird die Synthesekompetenz ebenfalls gestärkt (siehe folgende Zitate; BMBF: 2016). 6 3.2.4 Orientierung am Beutelsbacher Konsens zur Politischen Bildung (=Vorbemerkung zu 3.4 bzw. Klarstellung): Zur gebotenen Vorgehensweise im Rahmen der Politischen Bildung gehört grundsätzlich ein Verzicht auf jegliche Indoktrinierung. Daher ist auch der Block „Bilder im Kopf“ unter besonderer Bedachtnahme auf den Beutelsbacher Konsens konzipiert worden. Es gelten also in allen Sequenzen grundsätzlich dessen drei Prinzipien Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot [Bei allem, was in der Gesellschaft kontroversiell ist, ist diese Kontroversialität auch im Unterricht darzustellen] und SchülerInnenorientierung. 3.3 Erwartungen und Befürchtungen Aufgrund der Konzeption des Blocks mit seinen höchst kontroversen Inhalten ist zu erwarten, dass auch die SchülerInnen insbesondere die Thematiken Feminismus und Rassismus, wahrscheinlich aber auch die Thematik Sexuelle Minderheiten teilweise sehr gegensätzlich sehen und dies möglicherweise auch entsprechend offensiv artikulieren. Hier ist nötigenfalls mit Nachdruck auf den grundsätzlich gebotenen Respekt gegenüber Anderen und deren Meinung zu bestehen. 3.4 Abfolge und Begründung der ausgewählten Inhalte, Sozialformen und Methoden Die Methoden sind gemäß der „Methodenkiste“ der Bundeszentrale für politische Bildung (Scholz/BPB: 2010) konzipiert oder daran angelehnt, wobei anstelle von „Fish-Bowl“ der Begriff „Aquarium“ präferiert und daher verwendet wird. Die Zeitangaben der Planungsmatrix sind generell Orientierungswerte und sollten idealerweise je nach Interessen 7 und Engagement der SchülerInnen, in pragmatischer Hinsicht aber auch an die Schulstunden angepasst werden. 3.4.1 Einstiegs-Methoden Der Einstieg soll im Sinne der SchülerInnenorientierung und des Praktischen Vermittlungsinteresses an den persönlichen Erfahrungen der SchülerInnen anknüpfen. Der Themeneinstieg erfolgt also über Persönliche Betroffenheit und thematisiert Formen von Diskriminierung anhand von Benachteiligungserfahrungen aufgrund des Geschlechts innerund außerhalb der Schule: Modul 1: Einstieg Vermittlungsinteresse: Praktisch Kompetenzen: Genderkompetenz Zeit (ca.) Thema / Inhalt Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 2min Benachteiligungserfahrungen aufgrund des Geschlechts in der Schule Reflexion in Einzelarbeit 10 min Sammlung und Reflexion Plenum 2min Benachteiligungserfahrungen aufgrund des Geschlechts außerhalb der Schule Reflexion in Einzelarbeit 15 min Sammlung und Reflexion Rotierendes Partnergespräch oder Plenum Zunächst äußern sich die Mädchen dazu, dann die Burschen. 5-10 min Feminismus: Positionslinie Pole: Absolut sinnvoll/unnötig S argumentieren ihre Position. Zunächst äußern sich die Burschen dazu, dann die Mädchen In Sequenz 4 hätte ein Rotierendes PartnerInnengespräch den Vorteil, dass alle selbst ihre Erfahrungen mitteilen könnten; Nachteil gegenüber der Sammlung im Plenum wäre allerdings, dass (sofern man nicht mehr Zeit dafür veranschlagt) nicht jeweils alle zuhören könnten. Die Methode Position-Beziehen entlang der Positionslinie (Sequenz 5) wurde zum Einen gewählt, damit die SchülerInnen ihre Position zum Thema Feminismus reflektieren und auch argumentieren können bzw. dies „trainieren“. Zum Anderen wird die Positionslinie im Rahmen des Blocks durch mehrmalige Anwendung allen veranschaulichen, ob und in welcher Weise sich die jeweiligen Einstellungen verändert haben. Je nach Verfügbarkeit von Zeit (ob Doppelstunden oder ein Block möglich sind oder nicht) kann die Dauer der Sequenzen 2, 4 und 5 notfalls verringert, gegebenenfalls aber auch verlängert werden. 8 3.4.2 Die unterdrückte Mehrheit: Majorité Opprimée Nach der Thematisierung persönlicher Erfahrungen der SchülerInnen zum Thema geschlechterspezifischer Benachteiligung sollen sie nun mit der Sichtweise der französischen Schauspielerin und Regisseurin Eléonore Pourriat konfrontiert werden. Ihr Kurzfilm Majorité Opprimée wurde ausgewählt, weil er deutlich zum Ausdruck bringt, dass unsere Gesellschaft in vieler Hinsicht noch sehr stark vom patriarchalischen Erbe geprägt ist – wobei der Filmtitel darauf hinweist, dass es hierbei demographisch gesehen eine Mehrheit ist, die unterdrückt wird. In diesem Film wird nämlich eine Spiegelung dieser uns wohlbekannten Verhältnisse vorgenommen, womit offenbar auch ein Nerv getroffen wurde. Im Internet wurde dieser Kurzfilm nämlich zum „viralen Hit“, indem er innerhalb kürzester Zeit millionenfach angesehen wurde - was wohl auch daran liegt, dass er durch seine Drastik wohl niemanden unberührt lässt. Diese Tatsache erfordert aber auch, die SchülerInnen in Bezug auf die Darstellung (Nacktheit, Gewalt) im Vorhinein vorzuwarnen. Schließlich ist es nicht das Ziel, die SchülerInnen zu verstören. Einzelne SchülerInnen können daher notfalls auch ohne alle Szenen gesehen zu haben darüber mitdiskutieren, wenn dies ihrer Aufgeschlossenheit zuträglich ist. Dem Publikum sollte mit diesem Film zunächst das höchst berechtigte feministische Anliegen nahe gebracht werden, dass sich jede Frau ohne sexuelle Belästigung und natürlich auch angstfrei in allen öffentlichen Räumen frei bewegen können soll. Diese Thematik ist in der Regel für SchülerInnen auch in ihrem Alltag höchst relevant. Es ist ja traurig genug, dass eine solche Sicherheit bei gleichzeitiger Bewegungsfreiheit, die für alle Menschen selbstverständliches Recht sein sollte, faktisch vielerorts eben nicht gegeben ist. Majorité Opprimée soll den SchülerInnen aber auch die Macht von Rollenbildern bewusst machen – indem sie selbst beurteilen, inwiefern das Verhalten des Protagonisten als „weiblich“ zu betrachten ist und/oder zumindest betrachtet wird. Und, analog dazu, ob das Verhalten der im Film gezeigten Frauen schockiert – und zwar obwohl, oder gerade eben weil sich viele Männer im realen Leben in ganz ähnlicher Weise verhalten. Dass der Film auf einen Teil der SchülerInnen also auch verstörend wirken kann, ist hier im Sinne des Lerneffekts beabsichtigt. Entscheidend ist, dass respektvoll und so ausführlich als nötig darüber gesprochen werden kann. 9 Modul 2a: Unterdrückte Mehrheit Vermittlungsinteresse: Praktisch und Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt/Medien 10min Youtube-Clip „Majorité Opprimée“ 10 min Plakate ca. 15 min Sozialformen und Methoden Beobachtung: In welcher Weise wird über die und mit der Hauptperson gesprochen? Schreibgespräch (1, Was hat mich schockiert 2, Was hat mir an diesem Rollenwechsel gefallen bzw. 3, missfallen.) Besprechung der Ergebnisse des Schreibgesprächs/der Eindrücke des Films. Reflexion und Argumentation Ablauf Tätigkeiten L/S Aquarium je 6 SchülerInnen halten auf einem Plakat ihre Eindrücke fest: Jede/r schreibt jeweils einen Eindruck auf und gibt das Plakat an den/die Nachbar/in weiter. Fragen L an S: Inwiefern ist 1, das Verhalten des Protagonisten als „weiblich“? 2, das Verhalten der Frauen als „männlich“ einzustufen? Als Methode für Sequenz 2 wurde Schreibgespräch gewählt, damit alle SchülerInnen sich gegenüber einer Reflexion im Plenum weniger beeinflusst durch allzu starke Emotionen dazu äußern können; die drei Fragen sind so gestellt, dass Begeisterte wie Ablehnende gleichermaßen sich in ihrem Sinne äußern können. Die Methode Aquarium ermöglicht es in Sequenz 3, die Ergebnisse zusammenzuführen, sich auszutauschen und die Eindrücke im Gespräch zu reflektieren, wobei im Aquarium eben (nach den GruppensprecherInnen) jede/r Schüler/in die Gelegenheit hat, sich zu äußern. Theoretisch könnte man nun auch noch eine Positionslinien-Sequenz zum Feminismus einschieben. Dem Verfasser erscheint es aber (sofern dem keine zeitliche Einschränkung entgegensteht) sinnvoller, direkt mit dem folgenden Artikel anzuschließen: 3.4.2b Kritik: Bedienung rassistischer Stereotype: „Feminismus nur für Weiße“ Eléonore Pourriat, die Majorité Opprimée auf Basis eigener Erfahrungen konzipiert hat (vgl. Cocozza: 2014) hat sich im Sinne des von ihr beabsichtigten maximalen emotionalen Effekts darauf konzentriert, bei Männern jene äußerst unangenehmen Gefühle entstehen zu lassen, die viele Frauen – und oft sogar regelmäßig - durchleben müssen. Weil Pourriat somit die französischen Männer als „Hauptzielgruppe“ anvisiert, hat sie als Opfer einen „typisch französischen“ Mann auserkoren, während die Täterinnen, wie sich bei genauerer Betrachtung zeigt, allesamt schwarzhaarig und tendenziell eher dunkelhäutig sind. Dadurch setzte sich die Regisseurin neben der von ihr erwarteten Kritik von patriarchalischer Seite jedoch auch der Kritik aus, rassistische Stereotype zu bedienen. Ob und inwiefern diese Kritik zu Recht geübt wird, sollen die SchülerInnen während und nach der Lektüre des Artikels Feminismus nur für Weiße? von Mohamed Amjahid erwägen und beurteilen. Insbesondere wenn, wovon heute 10 auszugehen ist, muslimische SchülerInnen Teil der Klasse sind, ist diese Problematik unbedingt zu thematisieren. Aber auch falls dies nicht der Fall sein sollte, ist es gerade in Zeiten der „Flüchtlingskrise“ dermaßen aktuell, dass es aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit dennoch geboten ist. Auch sollte es nicht Ziel geschlechterrollenkritischer Didaktik sein, die Benachteiligung einer (Mehrheits-)Gruppe von Menschen zu beenden, dafür aber eine andere (Minderheits-)Gruppe pauschal abzuwerten. Wenn aber, womit gegenwärtig zu rechnen wäre, von SchülerInnen die Ereignisse von Köln zu Silvester 2015/16 angeführt würden, dann ist aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit im Zuge der Besprechung ausdrücklich klarzustellen, dass und warum weder eine Pauschaleinstufung aller Flüchtlinge/Asylwerber/Muslime als potentielle Sexualverbrecher angemessen und akzeptabel wäre; genausowenig allerdings ist akzeptabel, dass man Angst vor Sexualverbrechen bagatellisiert und delegitimiert1. Eine solche Bagatellisierung ginge nämlich auf Kosten vergangener wie zukünftiger Opfer sexueller Gewalt. Und andererseits ist dennoch (in diesem Konzept in Sequenz 4 und 5) darauf hinzuweisen, dass von manchen Medien und insbesondere von Teilen der politischen Rechten Angst von Frauen vor sexuellen Übergriffen eben auch instrumentalisiert wird wenn beispielsweise das Team Stronach anlässlich des Frauentags vor dem Parlament Pfeffersprays verteilt, oder wenn sich im Rahmen einer Demonstration vorgebliche Frauenfreunde als rechtsradikale Islamfeinde herausstellen, denen die Töchter in der Bundeshymne (begleitend von einem aggressiven Unterton) „wurscht“ sind (ORF-„Report“: 2016). 1 Beispielsweise, wie der Verfasser dieser Arbeit an der Uni von einer Kollegin im Rahmen eines Seminars hören durfte, als (antimuslimischen) „rassistischen Exzess“! 11 Modul 2b: Feminismus nur für Weiße? Vermittlungsinteresse: Technisch (Fachbegriffe), Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt/Medien Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 15 min Rassistischer Feminismus ? Artikel: Feminismus nur für Weiße Einzelarbeit S: Lesen und Beantworten der Leitfragen 10-15 min Ecke 1: “nicht rassistisch“ Ecke 2: „ein bisschen rassistisch“ Ecke 3: „ziemlich rassistisch“ Ecke 4: absolut rassistisch „In der Ecke stehen“ mit Argumentation und evtl. Positionswechsel 10-15 min Thematisierung des Begriffs Intersektionalität Plenum 8 min Evtl. Betrachtung des Beitrags „Die neuen Frauen-Freunde“ (Video) Präsentation der Ergebnisse 10 min Thematisierung der Instrumentalisierung (weiblicher) Ängste vor sexueller Gewalt Plenum L erklärt Begriff. S können auch über persönliche Benachteiligungserfahrungen berichten Leitfrage(n) zu „Feminismus nur für Weiße“: Beurteile und argumentiere, ob und inwiefern du Amjahids Argumentation, dass der Film rassistisch sei, teilst oder nicht teilst. Liegt deiner Meinung nach eine kulturelle Zuschreibung von Gewalt vor? Hätte Pourriat zumindest eine weiße Gangsterin im Film unterbringen sollen? Ist Feminismus deiner Meinung nach weißdominiert oder universell? Danach (sofern dem keine schwerwiegenden gruppenbezogenen zwischenmenschlichen Probleme in der Klasse entgegenstehen; in diesem Fall würde im Plenum diskutiert) wird die Methode „In der Ecke stehen“ eingesetzt: In Ecke 1 positionieren sich alle, die Majorité Opprimée trotz der Lektüre von Amjahid für nicht rassistisch halten. Analog dazu folgen in Ecke 2: „ein bisschen rassistisch“, in Ecke 3: „ziemlich rassistisch“ sowie in Ecke 4: absolut rassistisch. In der Folge argumentieren SchülerInnen aus den vier Ecken abwechselnd ihre Position. Falls SchülerInnen (Gegen-)Argumente ihrer KlassenkollegInnen überzeugend finden, haben sie auch die Möglichkeit, die Ecke zu wechseln. Darin liegt in diesem Fall auch 12 der Vorteil gegenüber einer weiteren Positionslinie (insbesondere bei einer hohen Anzahl von SchülerInnen). Von der Lehrperson ist bei diesem heiklen Thema in besonderem Maße darauf zu achten, dass respektvoll diskutiert wird und Gegenmeinungen oder Positionswechsel nicht verächtlich gemacht werden. In der folgenden Sequenz 3 erfolgt im Plenum eine Thematisierung des Begriffs Intersektionalität, der in Feminismus nur für Weiße zwar angeschnitten, aber nicht ausreichend behandelt wird. SchülerInnen dürfen und sollen ihre persönlichen (Benachteiligungs-) diesbezüglichen Erfahrungen mitteilen, wodurch der Begriff auch „lebensnäher“ und den SchülerInnen leichter abrufbar bleiben würde. Allerdings soll sich aber auch niemand „outen“ (und damit Wunden aufreißen) müssen, der dies nicht möchte. Um den Aktualitätsbezug der gesamten Thematik zu verdeutlichen und gleichzeitig Politische Bildung, Orientierungs- und Synthesekompetenz zu stärken, wird empfohlen, im Anschluss daran zunächst den Beitrag aus dem ORF-Report vom 08.03.2016 anzusehen und danach unter Beachtung des Beutelsbacher Konsenses die Instrumentalisierung (weiblicher) Ängste vor sexueller Gewalt zu thematisieren. Da die SchülerInnen aber nicht überwältigt werden sollen und dürfen, ist es selbstverständlich, dass sie auch dann ihre Standpunkte zu dieser Thematik äußern können und sollen, wenn sie der Meinung sein sollten, dass eine derartige Instrumentalisierung (siehe oben) legitim sei. 3.4.3 Geschlechterrollen 1: Nur ein Spiel für echte Männer? In weiterer Folge soll die Beleuchtung beider Geschlechterrollen vertieft werden. Zunächst soll es in Modul 3 um die Frage gehen, was „echte Männer“ (angeblich) auszeichnet. Der dazu herangezogene Artikel Nur ein Spiel für echte Männer (siehe 4.3; Landerl: 2006) ist zwar in Teilen seiner Aussage nicht mehr auf dem allerletzten Stand, eignet sich aber dennoch oder gerade deshalb hervorragend zur Thematisierung von gängigen Männerrollenzuschreibungen im Unterricht. Er wurde nicht nur deshalb ausgewählt, weil er exemplarisch aufzeigt, welch teils widerwärtige Handlungsweisen ein solches (Miss-) Verständnis der Männerrolle nicht selten mit sich bringt; sondern insbesondere auch deshalb, weil er in jeder Hinsicht unangebrachte bzw. unzulässige Rollenzuschreibungen und Ausgrenzungsmechanismen gegenüber sexuellen Minderheiten erörtert. Weil er auch vor sozialen Zuschreibungen nur so strotzt, eignet er sich gut für eine Sensibilisierung der SchülerInnen, die insgesamt eine kritischere Sichtweise auf Medieninhalte und somit eine Stärkung ihrer Medienkompetenz mit sich bringen soll. Ziel der Thematisierung im Unterricht ist selbstverständlich nicht eine „Verteufelung“ alles Männlichen - jedoch gilt es ein 13 Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Männlichkeit zumindest in postheroischen Gesellschaften heutzutage eben nicht mehr durch Ausübung von Gewalt oder Ausgrenzung Schwächerer bewiesen werden muss und soll; sondern etwa auf familiärer wie gesellschaftlicher Übernahme von Verantwortung und notfalls auch Schutz basieren kann. Aufgrund des gewählten Artikels könnte dazu eine spannende Diskussion entstehen; am Ende sollte insbesondere für die jungen Männer klar sein, dass Männer auch in kriegslosen Zeiten nach wie vor nicht „unnötig“ sind oder in nächster Zukunft werden. Modul 3: Männlichkeit, Homosexualität, Initiationsriten und Ausgrenzungsmechanismen (bzw. Mechanismen der In- und Exklusion) Vermittlungsinteresse: Technisch (Fachbegriffe), Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt/Medien Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 10 min Artikel: Nur ein Spiel für echte Männer? Einzelarbeit Arbeitsauftrag an S: Identifiziere und markiere fünf Zuschreibungen, die Du in diesem Artikel findest. Plenum Sammlung (und gegebenenfalls Ergänzung) der entdeckten Zuschreibungen. Aquarium (nur notfalls Diskussion im Plenum) Einteilung der Klasse in 5 Gruppen mit spezifischen Fragestellungen (siehe unten), danach Zusammenführen und Reflexion der Punkte im Aquarium 5 min mind. 30-40 min Zuschreibungen, Ausgrenzungsmechanismen, Initiationsriten, Männlichkeit Anm.: bei Zeitmangel würde es notfalls reichen, bis incl. den Absatz „Männlichkeitsrituale“ (siehe 4.3) zu lesen. Nach der Lektüre des Artikels und Erfüllung des Arbeitsauftrags erfolgt entweder eine Diskussion der folgenden Leitfragen im Plenum oder (was empfohlen wird) nach Methode Aquarium, wobei die Klasse in fünf Gruppen geteilt würde, die zunächst intern ihre jeweilige Fragestellung diskutierten: 1, Sind diese Zuschreibungen nachvollziehbar? Sind sie problematisch? Wenn ja, inwiefern? 2, Differenziert insbesondere zu den Absätzen 4 und 5 (betreffend Wiener Derby und Aussagen des Ex- Nationalteamchefs Otto Baric) zwischen Ängsten, Vorurteilen Zuschreibungen und Beschimpfungen. 3, Ausgrenzungsmechanismen am Beispiel Homosexualität im Fußball. Ist ein Outing möglich und sinnvoll? Vergleich der Situation im Fußball mit der Politik und dem Showbusiness. Außerdem: Warum „nerven“ Outings manche Menschen? 4, Zweck und Problematik von Initiationsriten. 14 5, Wodurch äußert sich Männlichkeit? Danach würde jeweils ein/e Sprecher/in im „Aquarium“ Platz nehmen, welche/r von GruppenkollegInnen unterstützt oder abgelöst werden könnte. Der Vorteil der Methode besteht darin, dass zunächst innerhalb der Gruppen mit größerer Beteiligung diskutiert werden kann, in der Folge aber alle an den Erkenntnissen teilhaben und bei Bedarf bzw. auf eigenen Wunsch nochmals mitreden können. Aufgrund der Brisanz und Komplexität der Themen ist die veranschlagte Dauer von ca. 30-40 min Minuten eher als Minimum zu betrachten, um nicht die gebotene Qualität der Auseinandersetzung zu vernachlässigen. 3.4.4 Geschlechterrollen 2: “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” Nach den Männern zugeschriebenen Rollen sollen wiederum weibliche Geschlechterrollenzuschreibungen kritisch beleuchtet werden. Dazu wurde ein Artikel aus dem britischen Guardian ausgewählt, der aber für eine siebente Klasse AHS nicht zuletzt aufgrund der Verfügbarkeit elektronischer Wörterbücher kein Problem darstellen sollte. Die Lehrperson steht nötigenfalls ebenfalls als Übersetzer/in zur Verfügung. Es handelt sich um ein Interview mit Geena Davis, einer der beiden Hauptdarstellerinnen des Films Thelma und Louise, die sich seit einem Jahrzehnt im Rahmen eines von ihr gegründeten Institutes mit den Rollen von Frauen in Medien generell und insbesondere in Hollywood-Filmen auseinandersetzt. Die Thematisierung dieses Interviews soll das Selbstbewusstseins aller SchülerInnen stärken und sie ermutigen, ihren eigenen privaten und beruflichen Neigungen und Träumen notfalls auch gegen (genderbezogene) gesellschaftliche Widerstände nachzugehen. Gleichzeitig soll beleuchtet werden, wie Geschlechterrollen (re-) produziert werden. Und, um kritisch-emanzipatorischen Ansprüchen möglichst vollständig gerecht zu werden, soll nicht zuletzt auch thematisiert werden, ob und inwiefern jede/r Einzelne als Konsument/in selbst an der Geschlechterrollenreproduktion mitwirkt. SchülerInnen, die über die ökonomischen Mechanismen Bescheid wissen, können am Ende selbst entscheiden, ob sie/er mittels Bezahlung von Eintritten oder Kaufs von DVDs dazu beisteuern möchte - die Mitwirkung an TV-Quotenmessungen ist ja bedauerlicherweise einer Minderheit vorbehalten, wodurch ein etwaiges Nicht-Einschalten aller Anderen folgenlos bliebe. Es sollen aber weitere mediale und politische Einwirkungsmöglichkeiten der SchülerInnen zur Sprache kommen, wobei man gespannt sein darf, wieviel davon die SchülerInnen auch ohne die Lehrperson bereits im Zuge der Lektüre und der Thematisierung in der Gruppe herausarbeiten. 15 Modul 4: Reproduktion von Rollenbildern und ihre Problematik Vermittlungsinteresse: Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 15 min Artikel: “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” Einzelarbeit S: Lesen des Artikels unter Bedachtnahme auf die 5 Leitfragen (siehe unten) 30 min Reproduktion von Geschlechterrollenbildern; Möglichkeiten der Einflussnahme; Selbst-Ermächtigung Gruppenpuzzle 5 Leitfragen werden zunächst in der Stammgruppe diskutiert, dann in der ExpertInnengruppe ausgetauscht. Zuletzt erfolgt ein Austausch im Plenum. Leitfragen/Diskussionsaufgaben: 1, Warum hat sich das Frauen zu Männer Verhältnis in Hollywood-Filmen sich seit 1946 nicht verändert? 2, Welche Rollen werden Frauen zugeschrieben? Welche Altersgruppen sind bevorzugt? Wer hat Interesse daran? Ist dies gesellschaftlich und/oder individuell wünschenswert? 3, Welche Rollen werden Männern in Hollywood-Filmen zugeschrieben? Welche Altersgruppen sind bevorzugt? Wer hat Interesse daran? Ist dies gesellschaftlich und/oder individuell wünschenswert? 4, Wer ist dafür verantwortlich, dass so wenige Frauen (und noch weniger farbige Frauen) hinter der Kamera stehen und dass Frauen auch in Hollywood schlechter bezahlt werden als Männer? [Anm.: Die 37-jährige Maggie Gyllenhaal wurde kürzlich als „zu alt“ eingestuft, um das Gegenüber eines 55-jährigen Mannes zu verkörpern (vgl. The Guardian: 2015).] 5, Welche Rolle spielt der Feminismus in der Gesellschaft generell und speziell in Bezug auf die Filmindustrie? Sollte er eine größere oder eine kleinere Rolle spielen? Die hier vorgeschlagene Methode Gruppenpuzzle bietet im Vergleich zu anderen Methoden den Vorteil, dass viele SchülerInnen an Austausch bzw. Weitergabe der Ergebnisse beteiligt sind. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass die Ergebnisse auch in recht knapper Form präsentiert werden können, wodurch die Methode nicht allzu zeitaufwändig sein sollte. Großes Augenmerk ist aber auf die letzte Phase zu legen, bei der in der Klasse über die Ergebnisse gesprochen wird. 16 3.4.5 Kritik an der Genderforschung: „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ Das fünfte Modul beschäftigt sich mit der Genderforschung, die in der Regel sehr polarisiert. Der Sinn des „Genderns“ hat sich selbst vielen StudentInnen noch nicht erschlossen. Sie tun es zwar zumeist, nicht zuletzt weil es von den meisten (auch männlichen) Lehrenden an den Unis gefordert wird, aber vielfach nicht aus Überzeugung (vgl. etwa die Aussage der Studentin Nadja Fuchs im ORF-„Report“ vom 08.03.2016, die geschlechtergerechte Sprache als ein „falsches Symbol der Frauenpolitik“ kritisiert). Es ist davon auszugehen, dass neben der (auch von Nadja Fuchs als Mitgrund genannten) Umständlichkeit des Genderns auch die jeweilige Sozialisation der SchülerInnen durch die Familie sowie die Medien zur Persistenz einer solchen traditionellen Einstellung entscheidend beitrugen. Nicht unterschätzen sollte man dabei jedoch das Faktum, dass akademische Genderdiskurse für die breite Masse vielfach nicht nachvollziehbar sind. Oft werden sie medial noch dazu in derart verkürzter Form abgehandelt, dass sie auch von nicht allzu voreingenommenen Nicht-Eingeweihten vielfach als geradezu schwachsinnig empfunden werden. Zur Ablehnung trägt oftmals auch bei, dass nicht wenige Proponentinnen mit allen Arten von Vorwürfen an Andersdenkende schnell zur Hand sind. All dies thematisierte Harald Martenstein in seinem 2013 in der Zeit erschienenen Artikel „Schlecht, schlechter, Geschlecht“, indem er diese wunden Punkte der Genderforschung ansprach und damit insbesondere für LeserInnen ohne Fachkenntnis äußerst überzeugend wirkte, wodurch er auch wiederum in Fachkreisen für beträchtliches Aufsehen gesorgt hat. Eine eingehende (und keinesfalls rein apologetische!) Auseinandersetzung mit Martensteins Thesen ist daher aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit nicht nur für zukünftige Gender-StudentInnen relevant, sondern für die gesamte Gesellschaft und deren zukünftige Entwicklung. Daher sollen diese Thesen in Modul 5 begutachtet werden. Martensteins Artikel ist insgesamt von beträchtlicher Länge; bei Zeitmangel könnten auch nur Teile davon verwendet werden. Bei jedem Absatz lohnen aber Lektüre und Reflexion. Falls der gesamte Artikel bearbeitet würde, würde im Zuge dessen auch die angeblich immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne der SchülerInnen trainiert werden. Nach Lektüre sowie der Reflexion wird es sehr spannend, an welcher Stelle sich die Mehrzahl der SchülerInnen an der Positionslinie einordnet. Es sollte jedenfalls nicht verwundern, wenn viele SchülerInnen nach Lektüre des Martenstein-Artikels keine allzu hohe Meinung von der Genderforschung haben. 17 Modul 5a: Kritik an der Genderforschung Vermittlungsinteresse: Technisch, Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt/Medien Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 40 min Artikel: „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ Einzelarbeit S: Lesen, incl. Erwägung und kurze Beantwortung (meist reicht ja/nein) der Leitfragen (siehe unten) 10 min Hirschbrunft; Testosteron; Gender; Genderforschung; Gleichstellungsbeauftragte Positionslinie Pole: S ordnen sich ein und begründen ihre Positionierung. Genderforschung ist eine höchst notwendige Wissenschaft bzw. eine Antiwissenschaft, die nicht länger gefördert werden sollte Leitfragen: (zumeist reicht ja/nein als Antwort; ansonsten reicht ein Wort) Welchen Zweck erfüllt die Seeszene (Absatz 1)? Sollen Fotos von der Hirschbrunft aus der Werbebroschüre von Naturparks entfernt werden? Sind Geschlechter „natürlich“, oder ein soziales Konstrukt? Was sagen uns die Ergebnisse eines Marathonlaufs darüber? Sollte es mehr männliche Lehrer (insbesondere an Grund- bzw. Volksschulen) geben? Bedeutet der Ruf danach eine Abwertung von Frauen? Hat die angeblich negative Einstellung männlicher Jugendlicher zum Lernen etwas mit einer männlichen Rollenfestlegung und/oder der Verschiedenartigkeit ihrer Behandlung von Geburt an zu tun? Wie stellt Martenstein Geschlechterforschung dar? Wie GeschlechterforscherInnen? Sollten mehr Frauen ProfessorInnen werden? Überzeugen dich Martensteins Beispiele wissenschaftlicher Studien? Überzeugt dich Bruce Reimer? Uta Brandes? Camille Paglia? Haben Sonderlinge und Eigenbrötler (fast) immer einen Penis? Soll überall in der Gesellschaft ein Verhältnis von 50:50 herrschen? Wie stellt Martenstein die Gleichstellungsbeauftragte Maybritt Hugo dar? Ist biologische Forschung ein Herrschaftsinstrument der Männer? Ist Genderforschung eine „Antiwissenschaft“? 18 3.4.5b Kritik an der Kritik bzw. Klarstellungen: Biologistische Grenzziehungen Gerade weil Martensteins Argumentation auf den ersten Blick so überzeugend wirkt, gilt es sie im Sinne der Genderkompetenz aber zu dekonstruieren: Wo beruht sie auf Fakten, und wo spricht sie einfach nur Klischees an, die so tief in vielen von uns verankert sind, dass wir sie unhinterfragt als Realität betrachten - und wahrscheinlich gerade deshalb vielfach Martenstein auch zustimmen? Um die „Gültigkeit“ dieser Klischees an der Realität zu messen, sollten die SchülerInnen auch erfahren, wie GenderforscherInnen ihre Tätigkeit argumentieren. Daher wurde ein in der taz erschienener Artikel von Sabine Hark und Paul Irene Villa gewählt, weil er dies in auch für SchülerInnen verständlicher Weise prägnant zum Ausdruck bringt. Es ist auch hier (ähnlich wie in 3.4.4) nicht Ziel, dass am Ende alle SchülerInnen der Meinung sind, dass Martenstein ein „röhrender Hirsch“ sei, der „nicht nur sexistische, sondern auch rassistische Abwertungen und Diskriminierungen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit schleichend zuspitzt“, wie es ihm die Genderforscherinnen Isabel Collien, Inga Nüthen, Heike Pantelmann und Ulla Bock in ihrem Artikel „Geschlechterforschungspolemik im Sommerloch“ vorwerfen (vgl. Collien et al. 2013). Ziel ist vielmehr, dass sich jede/r auf Basis von Fachwissen sowie der zu diesem Behufe gewählten multiperspektivischen Bearbeitung selbst seine/ihre eigene Meinung darüber bilden kann, in welchen Punkten Martenstein weiterhin zugestimmt werden kann und in welchen Punkten vielleicht doch besser nicht. Dies geschieht in Sequenz 2. Schließlich soll erneut die Methode Position beziehen/Positionslinie zum Einsatz kommen. Etwaige Positionsveränderungen wie auch Nichtveränderung sollen „gerechtfertigt“ werden, wobei man (wenn noch Zeit bleibt) die Argumentation nochmals intensivieren und die Motivation von überzeugten GenderforschungsbefürworterInnen wie –gegnerInnen steigern kann, indem man aus der Positionslinie eine „Streitlinie“ macht. Der Verfasser dieser Arbeit geht davon aus, dass sich einige Positionen entlang der Linie nach Reflexion von Biologistische Grenzziehungen beträchtlich verschoben haben werden – und falls doch nicht, darf man auf die Begründung gespannt sein. Wie auch immer – eine Bewusstseinsbildung in Bezug auf Genderforschung und eigene wie fremde Bilder im Kopf sollte erfolgt sein. 19 Modul 5b: Kritik an der Kritik an der Genderforschung Vermittlungsinteresse: Technisch, Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 15 min Artikel: Biologistische Grenzziehungen Einzelarbeit S: Lesen 5-10 min Einzelarbeit S: individuelles Überdenken der Beantwortung der Leitfragen zu Martenstein 15 min Positionslinie bzw. Streitlinie Pole: Genderforschung ist eine höchst notwendige Wissenschaft vs. eine Antiwissenschaft, die nicht länger gefördert werden sollte Da der gesamte Block einiges an Zeit in Anspruch genommen haben wird, wird empfohlen, die SchülerInnen ein Abschlussfazit ziehen zu lassen sowie um ihr Feedback (+/-; schriftlich auf „Feedback-Zetteln“) zu ersuchen. Schulstufe: 7. Klasse AHS Thema des Blocks: „Bilder im Kopf“ Abschluss: Feedback Zeit Thema / Medien Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 5 min Feedback-Zettelchen Einzelarbeit S ziehen Abschluss-Fazit zum Block und geben Feedback 20 3.5 Planungsmatrix Schulstufe: 7. Klasse AHS Thema des Blocks: „Bilder im Kopf“ Zeit Thema / Inhalt/Medien Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S 2 min Benachteiligungserfahrungen aufgrund des Geschlechts in der Schule Reflexion in Einzelarbeit 10 min Sammlung und Reflexion Plenum 2 min Benachteiligungserfahrungen aufgrund des Geschlechts außerhalb der Schule Reflexion in Einzelarbeit 15 min Sammlung und Reflexion Rotierendes Partnergespräch oder Plenum Zunächst äußern sich die Mädchen dazu, dann die Burschen. 5-10 min Feminismus: Positionslinie Pole: Absolut sinnvoll/unnötig S argumentieren ihre Position. Kompetenzen und Vermittlungsinteressen Modul 1: Einstieg Vermittlungsinteresse: Praktisch Kompetenzen: Genderkompetenz Zunächst äußern sich die Burschen dazu, dann die Mädchen 21 Zeit Thema / Inhalt/Medien 10 min Youtube-Clip „Majorité Opprimée“ 10 min Plakate Sozialformen und Methoden Ablauf Tätigkeiten L/S Beobachtung: In welcher Weise wird über die und mit der Hauptperson gesprochen? Schreibgespräch (1, Was hat mich schockiert 2, Was hat mir an diesem Rollenwechsel gefallen bzw. 3, missfallen.) je 6 SchülerInnen halten auf einem Plakat ihre Eindrücke fest: Jede/r schreibt Kompetenzen und Vermittlungsinteressen Modul 2: Unterdrückte Mehrheit (a) Vermittlungsinteresse: Technisch (Fachbegriffe), Praktisch und Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz jeweils einen Eindruck auf und gibt das Plakat an den/die Nachbar/in weiter. ca. 15 min Besprechung der Ergebnisse des Schreibgesprächs/der Eindrücke des Films. Reflexion und Argumentation Aquarium Fragen L an S: Inwiefern ist 1, das Verhalten des Protagonisten als „weiblich“? 2, das Verhalten der Frauen als „männlich“ einzustufen? 15 min Rassistischer Feminismus? Artikel: Feminismus nur für Weiße Einzelarbeit S: Lesen und Beantworten der Leitfragen 10-15 min Ecke 1: “nicht rassistisch“ Ecke 2: „ein bisschen rassistisch“ Ecke 3: „ziemlich rassistisch“ Ecke 4: absolut rassistisch „In der Ecke stehen“ mit Argumentation und evtl. Positionswechsel 10-15 min Thematisierung des Begriffs Intersektionalität Plenum 8 min Evtl. Betrachtung des Beitrags „Die neuen Frauen-Freunde“ (Video; ORF-„Report“) Präsentation der Ergebnisse 10 min Thematisierung der Instrumentalisierung (weiblicher) Ängste vor sexueller Gewalt Plenum L erklärt Begriff. S können auch über persönliche Benachteiligungserfahrungen berichten. 22 Modul 2: Feminismus nur für Weiße? (b) Vermittlungsinteresse: Technisch (Fachbegriffe), Praktisch und Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Zeit Thema / Inhalt/Medien 10 min Artikel: Nur ein Spiel für echte Männer? 5 min Sozialformen und Methoden Einzelarbeit Plenum mind. 30-40 min Zuschreibungen, Ausgrenzungsmechanismen, Initiationsriten, Männlichkeit Aquarium (nur notfalls Diskussion im Plenum) 15 min Artikel: “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” Einzelarbeit 30 min Reproduktion von Geschlechterrollenbildern; Möglichkeiten der Einflussnahme; SelbstErmächtigung Gruppenpuzzle Ablauf Tätigkeiten L/S Kompetenzen und Vermittlungsinteressen Arbeitsauftrag an S: Identifiziere und Modul 3: Männlichkeit, Homosexualität, markiere fünf Zuschreibungen, die Du in Initiationsriten und Ausgrenzungsmechanismen diesem Artikel findest. (bzw. Mechanismen der In- und Exklusion) Vermittlungsinteresse: Technisch (Fachbegriffe), Sammlung (und gegebenenfalls Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Ergänzung) der entdeckten Kompetenzen: Medienkompetenz, Zuschreibungen. Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Einteilung der Klasse in 5 Gruppen mit spezifischen Fragestellungen (siehe unten), danach Zusammenführen und Reflexion der Punkte im Aquarium Modul 4: Reproduktion von Rollenbildern und ihre Problematik Vermittlungsinteresse: Praktisch, KritischEmanzipatorisch 5 Leitfragen werden zunächst in der Kompetenzen: Medienkompetenz, Stammgruppe diskutiert, dann in der Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, ExpertInnengruppe ausgetauscht. Zuletzt Synthesekompetenz erfolgt ein Austausch im Plenum. S: Lesen des Artikels unter Bedachtnahme auf die 5 Leitfragen (siehe unten) 23 Zeit Thema / Inhalt/Medien Sozialformen und Methoden Unge kürzt: 40 min Artikel: „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ Einzelarbeit 10 min Hirschbrunft; Testosteron; Gender; Genderforschung; Gleichstellungsbeauftragte Positionslinie Pole: 15 min Artikel: Biologistische Grenzziehungen Einzelarbeit Einzelarbeit 15 min Positionslinie bzw. Streitlinie Kompetenzen und Vermittlungsinteressen Modul 5: Kritik an der Genderforschung und Kritik an der Kritik Vermittlungsinteresse: Technisch, Praktisch, Kritisch-Emanzipatorisch Kompetenzen: Medienkompetenz, Gesellschaftskompetenz, Orientierungskompetenz, Synthesekompetenz Genderforschung ist eine höchst notwendige Wissenschaft bzw. eine Antiwissenschaft, die nicht länger gefördert werden sollte 5-10 min 5 min Ablauf Tätigkeiten L/S S: individuelles Überdenken der Beantwortung der Leitfragen zu Martenstein Pole: Genderforschung ist eine höchst notwendige Wissenschaft bzw. eine Antiwissenschaft, die nicht länger gefördert werden sollte Feedback-Zettelchen Einzelarbeit S ziehen Abschluss-Fazit zum Block und Abschluss: Feedback geben Feedback 24 4. Ausgewählte Artikel 4.1 Majorité Opprimée (https://www.youtube.com/watch?v=V4UWxlVvT1A, 09.03.2016.) 4.2"Oppressed Majority": Feminismus nur für Weiße Ein Kurzfilm kehrt die Geschlechterrollen um und macht Männer zum Opfer von Frauen. Die User applaudieren millionenfach, obwohl der Film einen rassistischen Haken hat. Von Mohamed Amjahid , 14. Februar 2014 Ein Mann, der wegen seiner kurzen Hosen von seiner Frau getadelt und von einer halbnackten Frau sexuell belästigt wird. Der von einer Polizistin nicht ernst genommen wird, als er eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen möchte. Wo es das gibt? Im Kurzfilm Majorité Oprimée (Unterdrückte Mehrheit) wird mit umgekehrten Geschlechterrollen auf Missstände in unseren Gesellschaften mit ungewohnten Bildern hingewiesen: Gewalt gegen Frauen findet täglich und überall statt. Die französische Filmemacherin Eléonore Pourriat hat die traditionellen Rollen von Männern und Frauen umgekehrt. Sie zeigt Männer, die nur über ihren Körper definiert werden, und Frauen, die gewalttätig sind und darüber Witze machen. Unterdrückte Mehrheit ist ein Internethit. Viral verbreitet sich das Video im Netz, mehr als 5,8 Millionen Klicks hat es allein auf YouTube. Und es zeigt Wirkung: User, die sich noch nie mit dem Thema Sexismus auseinandergesetzt haben, denken öffentlich und ernsthaft in ihren Kommentaren über das Problem nach. Die meisten der Nutzer jubeln über den Film, darunter sind viele Feministinnen. Doch hat der Film einen großen Haken – einen rassistischen Haken. Erstes Beispiel: Nachdem Pierre, die Hauptfigur im Kurzfilm, sein Kind in den Kindergarten gebracht hat, schließt er an einer Gasse sein Fahrrad ab, um ins Büro zu gehen. Eine Frau hockt pinkelnd im Weg. Eine sehr unangenehme und auch bedrohliche Situation: Die pinkelnde Frau gehört zu einer weiblichen Gang, die Pierre erst verbal beleidigt und dann vergewaltigt. "Du machst mich geil!", schreit ihm eine junge Frau zu, dann hält sie ihm ein Messer an den Hals. Was dabei auffällt: Die Mädchen haben alle schwarze Haare, sprechen ein migrantisches Französisch, wie in den Vorstädten von Paris und Marseille, sie heißen Samia und nicht Christine. Die unterschwellige Message: Achtung liebe Frauen, Araber sind Sexisten. Sie pinkeln auf der Straße. Sie werden Euch in einer Gasse festhalten, ausziehen, begrapschen und vergewaltigen. Es ist aber nicht nur die Darstellung als Gewalttäter, die Araber diskriminiert. In einer anderen Szene spricht Pierre mit dem Kindergärtner Nissar. Er trägt neuerdings ein Kopftuch. Pierre hakt nach: "Ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber fühlen Sie sich nicht eingeschlossen? Zuerst mussten Sie Ihren Schnäuzer dann ihren Bart abrasieren, nun müssen Sie das tragen!" Nissar zuckt mit den Schultern, es sei nun mal so und er unterwerfe sich dem Gesetz Gottes. Was für ein Klischee: Natürlich werden Frauen und Mädchen auch gezwungen, das Kopftuch zu tragen und ihnen sollte geholfen werden. Dies ist aber kein Grund, alle kopftuchtragenden Frauen als naive, unselbstständige und verletzbare Opfer darzustellen. 33 Weißdominierter Feminismus Es sind diese zwei Schlüsselszenen, denen Regisseurin Eléonore Pourriat einen prominenten Platz in ihrem Kurzfilm zukommen lässt und die viel erzählen über die Vorurteile eines weißdominierten Feminismus, der nie die Sensibilität aufbringen konnte auch in anderen Kategorien zu denken. Denn Intersektionalität ist ein langes Fremdwort. Allerdings als Konzept wichtig, wenn wir um Diskriminierung und Machtverhältnisse streiten. Intersektionalität meint, dass jeder Mensch wie auf einer Kreuzung betrachtet werden kann. Viele Wege und Straßen führen auf die Verkehrsinsel in der Mitte, die seine Persönlichkeit, seine Handlungsspielräume und seine verletzbaren Stellen ausmacht. Es reicht nicht, nur in der Kategorie Gender zu denken. Rasse, Klasse, Gesundheit und eben Machtverhältnisse spielen immer auch eine Rolle. In Frankreich, der Entstehungsort des Films, wird über Rassismus derzeit ganz anders diskutiert als in Deutschland. So spielt die Frage zwar keine Rolle, ob Menschen mit nichturfranzösischer Abstammung tatsächlich Franzosen sind. Der Rassismus bei unseren Nachbarn nimmt aber zu und wird salonfähig. So gehen etwa Hunderttausende Menschen auf die Straße, getrieben von Homophobie, Rassismus und Angst vor dem "Fremden". Und der rechtspopulistische Front National könnte bei den bevorstehenden Europawahlen stärkste Kraft werden. Nicht alle Araber sind Verbrecher Das Gefährliche an der Diskussion wie auch an dem Film: Die kulturelle Zuschreibung von Problemen wie Sicherheit, Arbeitslosigkeit und eben sexueller Gewalt. Das ist nicht nur bedenklich, sondern von Vorgestern. In Deutschland hat Thilo Sarrazin solche Thesen verbreitet, eine Debatte ausgelöst und viel Geld gemacht. Filme wie Unterdrückte Mehrheit reproduzieren seine Thesen in Europa und tragen sie in unseren Alltag, in diesem Fall auf Facebook-Profile, Tweets und in die Medien. Und niemandem fällt auf, dass es diesen rassistischen Haken gibt. Es hätte nicht viel gebraucht, dass dieser Artikel nicht hätte geschrieben werden müssen: In der Mädchenclique wenigstens eine weiße Gangsterin untergebracht, in einer anderen, kurzen Szene wenigstens eine emanzipierte Frau mit Kopftuch: schon hätten wir das Problem nicht. Bei Filmen geht es auch um Bilder, die Nachrichten und Ideen transportieren, das ist mehr als nur symbolisch. Aber muss in einem zehnminütigen Video zum Thema Sexismus an Rassismus gedacht werden? Selbstverständlich! Viel Aufwand, viele Gedanken und kreative Energie steckt hinter Unterdrückte Mehrheit, wie Regisseurin Pourriat dem Guardian verraten hat. Da wäre eine kleine Geste der Differenzierung nicht zu viel verlangt. (Amjahid 2014) http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-02/film-unterdrueckte-mehrheitfeminismus-rassismus/komplettansicht, 03.03.2016. 34 4.3 Nur ein Spiel für echte Männer? Von Peter Landerl Anderswo darf man sich als Homosexueller bekennen - im Fußball ist es noch ein Tabu Der Fußball hat seit Anfang der 1990er Jahre eine erstaunliche Entwicklung genommen. Wurde er in den 1980er Jahren noch mit ungustiösen, grölenden Bierbäuchen und Gewaltexzessen in Verbindung gebracht und als Sport für Proleten bezeichnet - die Zuschauerzahlen waren in den meisten europäischen Ligen stark rückläufig -, so änderte sich das, als der Fußball als Medienprodukt entdeckt wurde und eine entsprechende Vermarktung einsetzte. Statt der rührigen, oft auch eitlen Vereinsmeier übernahmen in den großen europäischen Ligen ehrgeizige Manager die Führungspositionen in den Klubs. Diese konnten die TVEinnahmen unverhältnismäßig steigern, renovierten die Stadien oder bauten - wie etwa in Deutschland - mit Hilfe von Star-Architekten spektakuläre Fußballtempel, die auch Erlebniswelten des Konsums sind. Dabei eliminierten sie gleich auch die billigen Stehplätze: Der zahlungskräftige Fan ist der bessere Fan, so heißt die Philosophie. Fußball wurde auch für die gehobene Mittelschicht gesellschaftsfähig. Der tumb stammelnde Fußballer der 1980er Jahre mit der dämlichen Vokuhila -Frisur (vorne kurz, hinten lang), dem nach dem Karriereende oft ein Dasein als Tankstellenpächter oder Trafikant blühte, hatte sich in einen smarten, fein gekleideten, rhetorisch beschlagenen Ballkünstler gewandelt. Ihm ist bewusst, dass er durch seine Gestik und sein Outfit eine bestimmte (Werbe)Zielgruppe anspricht. Alles schön, neu und modern? Der Fußball als gesellschaftlicher Vorreiter und Trendsetter? Leider nicht. Während es in der Kunst kaum Probleme bereitet, sich als Homosexueller zu outen, es selbst in der Politik möglich ist, homosexuell zu sein, ist - obwohl statistisch unmöglich - in ganz Europa kein homosexueller Fußballprofi zu finden. Es gibt sie, aber keiner von ihnen wagt es, sich zu outen. Der Fußball hat ein Problem mit der Homosexualität. Bei Wiener Derbys schallt nicht selten "schwuler SCR" und "schwule Austria" von der West zur Osttribüne und wieder zurück. Auch in Deutschland sind homophobe Sprechchöre nicht unbekannt: "Arbeitslos und homosexuell, das ist der Vfl (Bochum)." Die Spieler geben sich ebenfalls schwulenfeindlich oder möchten sich zu diesem "heißen Eisen" nicht äußern. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können" sagte Paul Steiner, ehemaliger Verteidiger beim 1. FC Köln, bei einer Fernsehdiskussion zum Thema Homosexualität im Fußball. Michael Schütz, ein früherer Spieler von Fortuna Düsseldorf, ist ähnlicher Meinung: "Man würde gegen so einen nicht richtig rangehen, weil die gewisse Furcht vor Aids da wäre." Aber auch die Trainer, die doch eine Vorbildfunktion haben sollten, sind oft ähnlicher Meinung. Offen homophob zeigte sich der frühere Trainer der österreichischen Fußballnationalmannschaft, Otto Baric. Der Schweizer Zeitung "Blick" erzählte er im Jahr 2004 (als er Trainer der kroatischen Nationalmannschaft war): "Meine Spieler müssen echte Kerle sein. Also können Homosexuelle bei mir nicht spielen, höchstens gegen mich." In einem Gespräch mit der kroatischen Zeitung "Jutarnji List" äußerte er sich ähnlich: "Ich weiß, dass 35 es in meiner Mannschaft keine Homosexuellen gibt. Ich erkenne einen Schwulen innerhalb von zehn Minuten, und ich möchte sie nicht in meinem Team haben." Gegenreaktionen auf die Aussagen von Baric blieben aus. Die Sensibilität der Verbände und Vereine ist auf diesem Gebiet nicht vorhanden. Anfragen bei der österreichischen Bundesliga, dem ÖFB und dem DFB ergaben, dass das Thema Homophobie nicht wirklich ernst genommen wird. Es gibt keine Projekte zum Thema Homosexualität im Fußball. Outing oder nicht? Wozu Ignoranz und die Ablehnung homosexueller Fußballer führen können, zeigt das tragische Beispiel des 1961 geborenen Justin Fashanu, der unter anderem bei Nottingham Forest spielte und in der englischen Liga der erste farbige Spieler war, der über eine Million Pfund Ablöse erzielte. Verletzungen und sein "anderer" Lebensstil führten zu vielen Vereinswechseln und einer Karriere, die unter seinen spielerischen Möglichkeiten blieb. Nach dem Ende seiner Laufbahn outete sich Fashanu 1990 im Boulevardblatt "Sun". Er trat in zahlreichen Fernsehsendungen auf, hielt dem öffentlichen Druck aber nicht stand und erhängte sich 1998. Wäre die Zeit reif für ein Outing? Tatjana Eggeling, Wissenschafterin am Institut für Kulturanthropologie und europäische Ethnologie der Universität Göttingen, meint, dass man darauf wohl warten müsse, weil der Sport einer der konservativsten Bereiche unserer Gesellschaft sei. "In verschiedener Hinsicht wäre es allerdings wichtig und ein klares Zeichen: Einmal um deutlich zu machen, dass Männerfußball nicht allein das ist, wofür er gemeinhin gehalten wird, nämlich eine Sache heterosexueller Männer, sondern dass die Spieler ganz verschiedene Lebensweisen haben, die einem qualitativ hohen Spiel nicht entgegenstehen. Und auch deshalb, weil in einer Gesellschaft, die sich als demokratisch, tolerant und humanistisch begreift, die Anerkennung von Homosexualität in allen Lebensbereichen selbstverständlich sein sollte." "Fußballer sind heterosexuell, Fußballerinnen Lesben." So lautet das gängige Vorurteil, zugleich Essenz zahlreicher homophober Witze. Warum wird der Fußball als typisch männlicher Sport gesehen, während das bei ähnlichen Teamballsportarten, etwa Handball, nicht der Fall ist? Tatjana Eggeling meint dazu: "Da er lange Zeit fast nur von Männern gespielt wurde, wurde angenommen, dass es eben eine männliche Angelegenheit ist. Das ändert sich in Deutschland gerade. Fußball wird jedoch von fußballspielenden Männern meist als Männersport gesehen. Frauenfußball ist in dieser Sicht kein echter Fußball." Gibt es eine Angst vor einer Feminisierung des Fußballs? "Angst vor einer Feminisierung wohl nicht. Doch wird ja weithin angenommen, dass zum Fußball auf dem Platz auch typisch männliche Verhaltensweisen originär gehören. Andererseits zeigen die Frauenfußballteams, dass es auch ohne diese attraktiven Fußball geben kann, der zu spielen und zu sehen Spaß macht. Männlichkeitsrituale Dass Fußball nur von "echten, harten Kerlen" gespielt werden kann, soll bei nicht wenigen Teams durch Initiationsriten gesichert werden. Im Sommer 2002 kam die Nachwuchsakademie des GAK in die Schlagzeilen, da ein Nachwuchsspieler in einem Interview mit dem "Kurier" das Männlichkeitsritual des "Pasterns" publik gemacht hatte. Dabei wurde jungen Spielern von Jahrgangsälteren zuerst der Hintern mit schwarzer Schuhcreme eingerieben, anschließend wurde ihnen der Stiel einer Klobürste anal eingeführt. Hatte man die Prozedur überstanden, durfte man beim nächsten Mal zuschauen oder mitmachen. 36 Kein Wunder, dass homosexuelle Amateur-Sportler eigene Vereine gründen. So wird etwa bei Klubs mit reizvollen Namen wie Abseitz Stuttgart oder SSV Vorspiel Berlin Fußball gespielt. Im Sommer 2005 fand in Kopenhagen sogar eine Fußball-Weltmeisterschaft für Schwule und Lesben statt, an der an die 700 Spieler teilnahmen. Siegreich waren Paris PAEC bei den Männern und PAN Fodbold bei den Frauen. Aber erhöhen solche Veranstaltungen nicht die Distanz zwischen homosexuellen und heterosexuellen Sportlern? Tatjana Eggeling: "Die Veranstaltungen sind nicht der einzig mögliche Ort für Homosexuelle, Sport zu treiben, aber diejenigen, die es dort tun, tun es begründet. Hier geht es keineswegs nur darum - im Sinne von gegen etwas - Sport nicht im heterosexuellen Kontext zu treiben, wo es noch Diskriminierung gibt. Es geht auch darum, es in Zusammenhängen zu tun, in denen sich die Aktiven besonders aufgehoben, angenommen, zu Hause fühlen. Sport treiben, weil es gut tut und Spaß macht und damit zugleich auch ein homopolitisches Zeichen geben." Ein Zeichen gegen die Tabuisierung der Homosexualität im Profifußball will auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) beim Weltmeisterschaftsfinale am 9. Juli in Berlin setzen. Geplant ist, eine Informationsveranstaltung durchzuführen. Landesverbandssprecher Dirk Alex: "Von Akzeptanz der Homosexualität ist der Fußball weit entfernt. Die Leute müssen begreifen, dass keine Werte über Bord geworfen werden, wenn man schwul oder lesbisch ist." Ein bisschen Farbe in die deutsche Bundesliga bringen neben Corny Littmann, dem schwulen Präsidenten vom FC St. Pauli, einige schwule Fanclubs, etwa die 2001 gegründeten Hertha Junxx, die über 60 eingeschriebene Mitglieder, aber kaum mehr als ein Dutzend aktive Fans haben. Oder die Stuttgarter Junxx, die Rainbow-Borussen, die Karlsruher Wildpark-Junxx und die Dynamo-Junxxs aus Dresden. Sie sind aber Kämpfer auf einsamem Felde. Vielleicht bedarf es der Fiktion, um die realen Verhältnisse zu verändern. So handelt die Filmkomödie "Männer wie wir" von dem schwulen (Amateur)Fußballtormann Ecki, der nach einem Fehler in einem entscheidenden Spiel zum Sündenbock gestempelt wird und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich outet, was zum Vereinsausschluss führt. Daraufhin fordert er Revanche und organisiert ein schwules Fußballteam. Auch in "Abblocken", einem Kriminalroman von Dan Kavanagh (ein Pseudonym von Julian Barnes), spielt ein schwuler Fußballtormann die Hauptrolle. Und schließlich geht es auch in der englischen TV-Serie "Footballer's Wives" um schwule Spieler und eine lesbische Präsidentin, die ein Zwangsouting verhindern will. Auch die Ablichtung der englischen Fußball-Ikone David Beckham im Schwulenmagazin "Attitude" mag das Tor zu einem natürlicheren Umgang des Fußballs mit Schwulsein ein Stück weit geöffnet haben. Solange aber die Verbände und Clubs das Problem nicht wahrhaben wollen und keine Aktionen gegen Homophobie setzen, werden die schwulen Fußballprofis weiterhin dazu gezwungen sein, ihren Klubkollegen und der Öffentlichkeit ein heterosexuelles Leben vorzulügen. Peter Landerl, geboren 1974, ist Literaturwissenschafter und arbeitet derzeit als Lektor in Straßburg. http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/116602_Nur-ein-Spiel-fuer-echteMaenner.html, 09.03.2016. 37 4.4 “The more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life” “If we see women doing brave things, it impacts us greatly” Geena Davis The Oscar winner Geena Davis has spent more than two decades campaigning for gender equality in the entertainment industry. Geena Davis talks about why so little has changed on screen since Thelma & Louise and why this matters in the real world. It has been 25 years since Geena Davis held hands with Susan Sarandon and hurtled over a cliff in Thelma & Louise. The film – a trailblazing feminist road movie and box-office smash to boot – was hailed a turning point for women in film. And for Davis, at least, it was; for the past quarter of a century she has been trying to convince others of the lessons the film taught her: that society is losing out because there are too few women on our screens. “This is my passion. It’s what I do all day,” she laughs. And she’s not exaggerating – almost a decade ago she created the Geena Davis Institute for Gender in Media to address the gender imbalance in TV programmes and films aimed at children, while she regularly tries to convince studio heads to include more female roles. It has been 25 years since Thelma & Louise came out. What has changed since then? Really, the most significant thing is what hasn’t changed. The way people reacted was overwhelming – wanted to tell me what it meant to them and their friends. In the press they said: “Now we will see more buddy movies or road movies starring women.” After A League of Their Own, it was the same thing.” Neither prediction turned out to be true. After that, I started paying attention. Every few years there would be a new successful movie starring women and it would be the same – “This will change everything.” But nothing has changed. The Hunger Games came out and the numbers have not moved. The male-to-female character ratio in films is the same as in 1946.2 2 Research Facts Males outnumber females 3 to 1 in family films. In contrast, females comprise just over 50% of the population in the United States. Even more staggering is the fact that this ratio, as seen in family films, is the same as it was in 1946. Females are almost four times as likely as males to be shown in sexy attire. Further, females are nearly twice as likely as males to be shown with a diminutive waistline. Generally unrealistic figures are more likely to be seen on females than males. Females are also underrepresented behind the camera. Across 1,565 content creators, only 7% of directors, 13% of writers, and 20% of producers are female. This translates to 4.8 males working behind-the-scenes to every one female. From 2006 to 2009, not one female character was depicted in G-rated family films in the field of medical science, as a business leader, in law, or politics. In these films, 80.5% of all working characters are male and 19.5% are female, which is a contrast to real world statistics, where women comprise 50% of the workforce. (http://seejane.org/research-informs-empowers/, 04.03.16.) 38 Abb. 9: Susan Sarandon and Geena Davis in Thelma & Louise. Photograph: MGM/Everett / Rex Features What impact did that have on your own career? I had always wanted to avoid being just the girlfriend or the wife. My motivation was always to have challenging roles to play – either being dead [in Beetlejuice], or in love with a fly [The Fly]. But Thelma & Louise changed my life. For the first time I realised how rare it is for women to come out of the cinema and feel excited and empowered by the female characters they saw. I was already a feminist – I had always wanted to empower women and girls – but Thelma & Louise was an awakening about how powerful media images could be. And also how negative they are; how women are being completely left out of entertainment media. But why does it matter? From the very beginning, we train children to have unconscious gender bias. Even in kids’ movies there are fewer female characters. And the female characters that are there are very often valued for their looks, and don’t have the same kind of aspirations and goals and dreams [as the male characters]. In the 21st century, there is no reason to show the world bereft of female presence. But our motto is: if you see it, you can be it. There are so few role models in many fields in real life – in science, technology, engineering and maths (Stem) careers, for instance – that we have to see them on screen because that inspires people to think they can do it. Is that reflected in the research? When we studied the occupations of female characters on television, there was one that was really well represented: forensic scientist, because of CSI. And, in real life, the number of women wanting to enter that profession has skyrocketed. In a month or two, we will release research to show that, after Brave and the Hunger Games, the number of women and girls taking up archery has also shot up. Until we show that women take up half the space, and do half the interesting things in the world, it’s going to be hard to make progress. 39 Abb. 10: Szenenbild aus Brave: Mädchen beim Bogenschießen (Photograph: Pixar/AP) ‘After Brave and The Hunger Games, the number of women and girls taking up archery has also shot up.’ Our research [commissioned in conjunction with J Walter Thompson] shows that the more TV a girl watches, the fewer options she thinks she has in life. She doesn’t see all the great options that are presented to men and boys; male self-esteem goes up when they watch TV. People can be inspired or limited by what they see. If they see women doing brave things, such as leaving their abusive husbands, it impacts us greatly. But are things changing? Disney has shown that you can have blockbuster movies with female leads. And witness Star Wars: in The Force Awakens, the lead character is female, so if there was ever a time to retire the idea that men and boys don’t want to watch women and girls … You can’t say that again. Does Hollywood have a specific problem? People are unaware of the extent of their bias – it’s unconscious. Whether it’s about diversity or women, people think they are operating in an egalitarian way. But it’s also because the people making the decisions are, for the most part, white males. And you pick up stories about people who look like you, you cast people who look like you. Our research showed that when you have a female writer, producer or director, the percentage of women on screen goes up. Did it become more difficult to find characters you wanted to play? Yes, that’s why I have a long downtime between jobs. The kind of parts I want dwindled dramatically after I turned 40 – I didn’t escape the fate of actresses in Hollywood. The pay disparity was not something I noticed. But now there is so much more awareness about it that I would definitely pay attention to it. What about #OscarsSoWhite? How does that shake up the debate? There are so few opportunities for women of colour that they barely register in the research [into the numbers of women in film and TV]. We are doing a bad job with women and a horrible job with women of colour. There are female actors nominated for the Oscars because we divide by gender – if it were one category for best performance, we would have a really hard time. But the Oscars are emblematic of a deep-seated problem – really, it’s about the product being put out by Hollywood. Most profoundly, it’s what is made that needs to change. http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2016/feb/29/geena-davis-tv-girl-gender-equalitythelma-louise-women, 09.03.2016. 40 4.5 „Genderforschung: Schlecht, schlechter, Geschlecht“ Die Genderforschung behauptet, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau kulturell konstruiert sind. Unser Autor ist sich da nicht so sicher. Von Harald Martenstein, 6. Juni 2013, ZEITmagazin Nr. 24/2013 Als ich mich auf diese Geschichte vorbereitete, lag ich an einem See in Brandenburg und wollte in aller Gemütlichkeit die Einführung in die Gender Studies von Franziska Schößler lesen. Zufällig war Herrentag, so heißt in Brandenburg der Vatertag. Außer mir waren ein Dutzend junger Männer da, Zwanzigjährige. Sie tranken Bier. Sie brüllten, ununterbrochen. Sie warfen sich gegenseitig ins Wasser. Sie ließen die Motoren ihrer Autos aufheulen. Das fanden sie toll. Ich klappte das Buch wieder zu. Warum sind junge Männer manchmal so? Warum sind junge Frauen meistens anders? Die meisten Leute, die nicht im Universitätsbetrieb stecken, können sich unter den Wörtern "Gender", "Gender Mainstreaming" und "Gender Studies" nicht viel vorstellen. Letzteres ist wahrscheinlich der am schnellsten wachsende Wissenschaftszweig in Deutschland. 2011 gab es 173 Genderprofessuren an deutschen Unis und Fachhochschulen, die fast ausschließlich mit Frauen besetzt werden. Die Förderung dieses Faches gehört zu den erklärten bildungspolitischen Zielen der Bundesregierung, SPD und Grüne sind auch dafür. Die Slawisten zum Beispiel, mit etwa 100 Professoren, sind von den Genderstudies bereits locker überholt worden. Die Paläontologie, die für die Klimaforschung und die Erdölindustrie recht nützlich ist, hat seit 1997 bei uns 21 Lehrstühle verloren. In der gleichen Zeit wurden 30 neue Genderprofessuren eingerichtet. "Gender Mainstreaming" bedeutet, dass alle Geschlechter in sämtlichen Bereichen gleichgestellt werden, Männer, Frauen, auch Gruppen wie Homosexuelle oder Intersexuelle. Das ist ein gutes und richtiges Ziel. Manchmal wird über dieses Ziel allerdings hinausgeschossen: Bei dem Versuch, Gender Mainstreaming im Nationalpark Eifel durchzusetzen, gelangten Genderforscherinnen zu der Forderung, Fotos von der Hirschbrunft müssten aus der Werbebroschüre des Naturparks entfernt werden. Die Bilder der Hirsche würden stereotype Geschlechterrollen fördern. Das führte zu Erheiterung in der Presse und war natürlich Wasser auf die Mühlen der Sexisten. Die Naturschützer fanden es auch nicht gut. Das Wort "Gender" könnte man vielleicht mit "soziales Geschlecht" übersetzen. Das biologische Geschlecht heißt "Sex". Genderforscher glauben, dass "Männer" und "Frauen" nicht eine Idee der Natur sind, sondern eine Art Konvention, ungefähr wie die Mode oder der Herrentag. Klar, einige Leute haben einen Penis, andere spazieren mit einer Vagina durchs Leben. Das lässt sich wohl nicht wegdiskutieren. Aber abgesehen davon sind wir gleich, besser gesagt, wir könnten gleich sein, wenn die Gesellschaft uns ließe. Bei Franziska Schößler, deren Buch 2008 erschienen ist, liest sich das so: "Es sind vor allem kulturelle Akte, die einen Mann zum Mann machen." Das ist eine mutige These. Spielen nicht auch das Hormon Testosteron und die Evolution bei der Mannwerdung eine ziemlich große Rolle? Man hört so etwas oft, wenn man mit Wissenschaftlern redet, die keine Genderforscher sind. In den folgenden Tagen habe ich dann noch zwei weitere Einführungen in die Genderforschung gelesen. Irritierenderweise tauchte das Wort "Hormon" nur zwei- oder dreimal am Rande auf, das Wort "Evolution" überhaupt nicht. Mehr noch, sogar hinter die Existenz des Penis – in diesem Punkt bin ich mir bis dahin völlig sicher gewesen – muss im Licht der Genderforschung zumindest ein Fragezeichen 41 gesetzt werden. "Anatomie ist ein soziales Konstrukt", sagt Judith Butler, eine der Ahnfrauen der Genderforschung. Es sei Willkür, wenn Menschen nach ihren Geschlechtsteilen sortiert werden, genauso gut könne man die Größe nehmen oder die Haarfarbe. Die seien genauso wichtig oder unwichtig. Das Feindbild der meisten Genderforscherinnen sind die Naturwissenschaften. Da ähneln sie den Kreationisten, die Darwin für einen Agenten des Satans und die Bibel für ein historisches Nachschlagewerk halten. "Naturwissenschaften reproduzieren herrschende Normen." – "Naturwissenschaften konstruieren Wissen, das den gesellschaftlichen Systemen zuarbeitet." – "Der Objektivitätsanspruch der Wissenschaft ist ein verdeckter männlicher Habitus." – "Naturwissenschaft und Medizin haben eine ähnliche Funktion, wie die Theologie sie einst hatte". Von solchen Sätzen wimmelt es in den Einführungen. Irgendwie scheint Genderforschung eine Antiwissenschaft zu sein, eine Wissenschaft, die nichts herausfinden, sondern mit aller Kraft etwas widerlegen will. Aber wenn Wissenschaft immer interessengeleitet ist, was vermutlich stimmt, dann gilt dies wohl auch für die Genderforschung. Ich fahre zu Hannelore Faulstich-Wieland, Genderforscherin, Pädagogin und Gleichstellungsbeauftragte an der Hamburger Uni. In einem Interview hat sie mal gesagt, dass es gesellschaftliche Gründe habe, wenn Männer im Marathonlauf schneller sind als Frauen. Sie ist sehr nett. Und sie hat zwei Söhne. Menschen mit Kindern tendieren meist zu der Ansicht, dass es natürliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt. Aber sie tickt nicht so. Eines ihrer Forschungsgebiete: "Männer und Grundschule". In der Schule läuft es für die Mädchen meist besser als für die Jungen. Es gibt mehr männliche Schulabbrecher, mehr Sitzenbleiber, weniger Abiturienten. Entwicklungsstörungen aller Art, ADS, Asperger, das sind typische Probleme von Jungs. Seit Mädchen den gleichen Zugang zu Bildung haben, merkt man, wie schwach die Jungen sind, im Durchschnitt. Wegen ihrer besseren Noten dominieren inzwischen junge Frauen das Medizinstudium. Viele meinen, dass es mehr männliche Lehrer an der Grundschule geben sollte, weil Männer ein Rollenmodell sein und mit der Aggressivität schwieriger Jungs besser umgehen könnten. Faulstich-Wieland hält Erzieher dagegen für gefährlich. Die Gefahr bestehe darin, dass "Jungen auf ein Stereotyp von Männlichkeit programmiert werden". Das gleiche Argument, das schon gegen die röhrenden Hirsche in der Eifel sprach! Außerdem enthalte der Ruf nach mehr Lehrern die Unterstellung, Lehrerinnen leisteten keine gute Arbeit. Dies sei eine Abwertung von Frauen. Das aggressivere Verhalten der Jungs sei anerzogen. Folglich müsse es aberzogen werden. Jungs hätten eine negative Einstellung zum Lernen, was damit zusammenhänge, dass sie schon früh auf eine männliche Rolle festgelegt würden. Schon Babys würden ja verschieden behandelt, daher komme die Verschiedenheit von Mädchen und Jungs. Ist das alles wirklich nur Ideologie? Wer mit Genderforscherinnen ins Gespräch kommen will, darf sich nicht daran stören, dass das Wort "männlich" durchgängig negativ besetzt ist. Muss man die Jungs einfach dazu bringen, sich wie Mädchen zu verhalten – ist das die Lösung? Und kann es wirklich sein, dass viele Mütter ihren Söhnen schon als Babys beibringen, schwierige Raufbolde zu werden? Was ist denn mit den Müttern los? Als ich versuche, ein paar wissenschaftliche Studien über 42 Jungs aus meinem Gedächtnis hervorzukramen, sagt Hannelore Faulstich-Wieland: "Naturwissenschaft ist eine Konstruktion." Erst als wir uns schon getrennt haben, fällt mir ein, dass es ja eigentlich eine Abwertung der Männer darstellt, wenn es heißt, mehr Frauen sollten Professorinnen werden. Leisten Professoren keine gute Arbeit? Jedenfalls ist der Fachbereich Pädagogik fest in weiblicher Hand, im Studentencafé sitzen fast nur Frauen, alle in Gruppen, plaudernd. Die beiden einzigen Studenten hocken allein in der Ecke und befassen sich mit ihrem Laptop. Wenn diese beiden Studenten Ingenieur oder Informatiker werden wollten, wäre die Lage umgekehrt. Sie hätten fast nur männliche Kommilitonen und beinahe ausschließlich männliche Professoren. Die Universitäten suchen händeringend Männer, die Grund- und Hauptschullehrer werden möchten. Gleichzeitig versuchen sie, mehr Frauen in die Naturwissenschaften zu locken. Bei den Ingenieuren sind in Deutschland nur 9 Prozent der Professoren weiblich, in den Geisteswissenschaften sind es 30. Robert Plomin hat das Aufwachsen von 3000 zweieiigen Zwillingen beobachtet, Jungen und Mädchen, die in derselben Familie aufwuchsen. Im Alter von zwei Jahren war der Wortschatz der Mädchen bereits deutlich größer. Die Neurowissenschaftlerin Doreen Kimura hat einen Zusammenhang zwischen Testosteronspiegel, Berufswahl und räumlichem Vorstellungsvermögen nachgewiesen – bei Männern und Frauen. Den höchsten Testosteronspiegel haben übrigens Schauspieler, Bauarbeiter und Langzeitarbeitslose, den niedrigsten haben Geistliche. Der Osloer Kinderpsychiater und Verhaltensforscher Trond Diseth hat neun Monate alten Babys in einem nur von Kameras überwachten Raum Spielzeug zur Auswahl angeboten, Jungs krochen auf Autos zu, Mädchen auf Puppen. Der Evolutionsbiologe Simon Baron-Cohen, ein Vetter des Filmemachers Sascha Baron-Cohen, hat die Reaktionen von Neugeborenen erforscht, da kann die Gesellschaft noch nichts angerichtet haben: Mädchen reagieren stärker auf Gesichter, Jungen auf mechanische Geräte. Richard Lippa hat 200.000 Menschen in 53 Ländern nach ihren Traumberufen gefragt, Männer nannten häufiger "Ingenieur", Frauen häufiger soziale Berufe. Die Ergebnisse waren in so unterschiedlichen Ländern wie Norwegen, den USA und Saudi-Arabien erstaunlich ähnlich. Wenn es wirklich einen starken kulturellen Einfluss auf die Berufswahl gäbe, sagt Lippa, dann müssten die Ergebnisse je nach kulturellem Kontext schwanken. Der Hirnforscher Turhan Canli, ein Amerikaner, hat festgestellt, dass Frauen emotionale Ereignisse meist in beiden Hirnhälften speichern, Männer nur in einer. An einen Ehestreit oder den ersten Kuss können sich Männer deshalb im Durchschnitt nicht so gut erinnern wie Frauen. Wenn auf Fotos Gesichter zu sehen sind, traurige oder fröhliche, dann entschlüsseln Männer die Emotionen der abgebildeten Personen im Durchschnitt schlechter. Mein Lieblingsexperiment hat Anne Campbell an der Universität Durham veranstaltet: Männer und Frauen wurden zu einem Test eingeladen. Dann teilte man ihnen mit, dass sie schmerzhafte Elektroschocks erdulden müssten. Es dauere noch ein paar Minuten. Die Frauen warteten gemeinsam, in Gruppen. Die Männer warteten lieber alleine. Die Wissenschaft ist sich einig: Geschlechterunterschiede sind zum Teil sicher anerzogen. Vieles hängt aber auch mit der Evolution und mit den Hormonen zusammen. Ist das alles wirklich nur Ideologie? Gibt es eine Art Weltverschwörung, gegen die Genderforschung? Und wenn ja: Wo bleiben eigentlich die Gegenstudien? Genderprofessorinnen gibt es doch reichlich. 43 Im Grunde ist die Genderdebatte nur eine Variante der uralten Diskussion über das, was ein Individuum zu einem Individuum macht, die Umwelt oder das Erbe. Was ist genetisch determiniert, was ist von den Eltern anerzogen, was geht auf den Einfluss der Gesellschaft zurück? An der Berliner Charité wird medizinische Genderforschung betrieben, zur Frage, warum Frauen und Männer für Krankheiten unterschiedlich anfällig sind. Im Regelfall aber ist diese Wissenschaft eher theoretischer Natur. Das hängt stark mit John Money zusammen, einem amerikanischen Sexualforscher, der die Gendertheorie in den fünfziger Jahren miterfunden hat. Um seine These zu beweisen – Geschlecht ist nur erlernt –, hat Money den zweijährigen Bruce Reimer 1966 von seinem männlichen Genital befreit und als Mädchen aufwachsen lassen. Der Penis des Kindes war bei der Beschneidung verletzt worden, deshalb ließen sich die Kastration und die Herstellung von Schamlippen wohl als eine Art "Therapie" darstellen. Eine Ethikkommission wurde offenbar nicht konsultiert. Alice Schwarzer hat dieses nicht sehr menschenfreundliche Experiment als eine der wenigen Forschungen zum Geschlechterverhältnis gewürdigt, die "nicht manipulieren", sondern "aufklären". Der erwachsene Reimer ließ die Umwandlung rückgängig machen und erschoss sich. Seitdem muss die Theorie ohne Beweisversuche auskommen. Geschadet hat das ihrer Verbreitung nicht wirklich. Uta Brandes ist Professorin für Gender und Design in Köln, seit 1995. Eine ihrer früheren Studentinnen heißt Gesche Joost und gehört jetzt zum "Kompetenzteam" des SPDKanzlerkandidaten Peer Steinbrück. In den neunziger Jahren hat die SPD-Ministerin Anke Brunn jeder Hochschule in Nordrhein-Westfalen eine neue Professorenstelle versprochen, vorausgesetzt, es handelte sich um eine Genderprofessur. Das führte zu einem Boom. Wir reden über Stehlampen. Uta Brandes hat einmal erklärt: "Alles, was aufrecht steht, ist eher männlich." Sie sagt, dass sie auch Kirchtürme zu phallisch findet, so ein Kirchturm penetriere das Dorf geradezu. Ich sage, dass man die Kirchenuhr im Dorf halt schlecht sehen kann, wenn man sie in einer Höhle unterbringt. Sie lacht. 1960 wurde ja auch die erste nicht phallische Stehlampe entworfen, die bogenförmige Arco von Castiglioni. Es geht also. Ein Kirchbogen statt eines Kirchturms, warum nicht. Uta Brandes hat unter anderem das Verhalten an Fahrkartenautomaten erforscht, sie ist also keine Theoretikerin. Männer haben an Automaten weniger Angst vor Misserfolgen, Methode "Trial and Error". Frauen überlegen länger, bevor sie einen Knopf drücken. Die Ergebnisse lassen einen irgendwie an Peer Steinbrück und Angela Merkel denken. Brandes befasst sich auch damit, wie man ein alltagstaugliches Statussymbol für mächtige Frauen gestalten könnte. Eine große, höhlenartige Handtasche wäre eine Möglichkeit. Sie hat außerdem vorgeschlagen, dass die englischen Wörter teacher und professor, die für Männer und Frauen gelten, eine weibliche Form bekommen, teacheress und professoress. "Frauen müssen in der Sprache sichtbar sein", sagt sie. Aber die Engländer lassen sich in ihre Sprache natürlich ungern von einer deutschen Professorin hineinreden. In Deutschland könnte man es durchsetzen, denke ich. Die Inder haben ja auch ein eigenes Englisch. Zum Abschied sage ich: "Na, zur Fortpflanzung wird man die Männer und dieses ganze phallische Zeugs jedenfalls weiterhin brauchen." Uta Brandes lacht und sagt: "Wer weiß, wie lange noch." Mit den Auswirkungen des Teufelszeugs Testosteron hat sich besonders intensiv die kanadische Psychologin Susan Pinker befasst, ihr Buch Das Geschlechter-Paradox wurde in viele Sprachen übersetzt. Testosteron macht Menschen risikofreudiger und kräftiger, Männer haben meistens mehr davon. Leider macht es auch kurzlebiger, weil es das Immunsystem 44 schwächt. Postoperative Infektionen verlaufen bei 70 Prozent der Männer tödlich, aber nur bei 26 Prozent der Frauen, daran sind weder die Ärzte schuld noch die Gesellschaft. Warum haben relativ viele Jungs Probleme in der Schule? Oft hängt es – das verdammte Testosteron! – mit mangelnder Disziplin zusammen. Mädchen halten sich, im Durchschnitt, eher an die Regeln. Andererseits könnte man eine lange Liste von spektakulären Schulversagern zusammenstellen, die später sehr hübsche Karrieren zustande gebracht haben, darunter Charles Darwin. Ab einem gewissen Punkt der Biografie ist das Testosteron wieder nützlich, bei manchen zumindest. In Wirklichkeit ist die Biologie längst weiter Frauen und Männer haben im Durchschnitt den gleichen Intelligenzquotienten. Aber am oberen und am unteren Ende der Skala finden sich mehr Männer, sie sind extremer, oder, wie Pinker einen Kollegen zitiert: "Bei den Männern gibt es mehr Genies und mehr Idioten." Noch schöner hat es die Kulturhistorikerin Camille Paglia gesagt: "Ein weiblicher Mozart fehlt, weil es auch keinen weiblichen Jack the Ripper gibt." Extremes Verhalten und obsessive Fixierung auf eine bestimmte Sache – so was ist eher ein Männerding. Der Typ, der Amok läuft, um sich für eine Kränkung zu rächen: fast immer ein Mann. Der Mensch, der eine 90-Stunden-Woche nach der anderen herunterschrubbt, weil er Chef werden will, und am Ziel tot umfällt: wahrscheinlich ein Mann. Ein extremer Einzelgänger und Hypochonder, der Klavier spielt und sonst fast nichts tut: Glenn Gould. Ein Mensch, der in jeder freien Minute Wörterlisten auswendig lernt, nur weil er, völlig sinnlos, Scrabble-Weltmeister werden will: Joel Wapnick. Wer sich einen Sonderling oder einen Eigenbrötler mal genauer anschaut, entdeckt fast immer einen Penis. Das Geschlechter-Paradox besteht darin, dass sich in freien Gesellschaften mit ausgeprägten Frauenrechten nicht weniger, sondern mehr Frauen für angeblich typische Frauenberufe entscheiden, soziale oder kreative Berufe. Wenn Frauen die Wahl haben, tun sie eben nicht das Gleiche wie die Männer. Sie werden, ohne Druck, im Durchschnitt lieber Ärztin, Lehrerin oder Journalistin als Statikerin, Ingenieurin, Schachprofi oder Patentanwältin. Über Individuen sagen solche Statistiken natürlich nichts aus, es kann auch hervorragende, glückliche Notarinnen geben und Physik-Nobelpreisträgerinnen. Wer aber glaubt, dass wir alle dem gleichen Normgeschlecht angehören und deshalb überall in der Gesellschaft ein Verhältnis von 50 zu 50 herrschen muss, der kann dies, laut Susan Pinker, nur mit staatlichen Zwangsmaßnahmen erreichen. Weder Hannelore Faulstich-Wieland noch Uta Brandes kannten ihre Kollegin Susan Pinker. Ich bin dann, um von der Theorie in die Praxis zu wechseln, nach Braunschweig gefahren. Maybritt Hugo, Jahrgang 1960, arbeitet dort seit 1992 als städtische Gleichstellungsbeauftragte. Vorher hat sie Politik und Germanistik studiert und war Fraktionsgeschäftsführerin bei den Grünen. In Behörden und Kommunen gibt es inzwischen etwa 1900 Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragte. Der Posten muss weiblich besetzt werden, dazu existiert ein Gerichtsurteil. Die Beauftragte ist nur dem Oberbürgermeister unterstellt, sonst niemandem, sie hat Zutritt zu fast allen Gremien, darf ohne Genehmigung der Betroffenen alle Personalakten einsehen, ohne Rücksprache die Presse kontaktieren, bei jeder Einstellung mitreden. Eine ihrer Aufgaben ist es, den Anteil der Frauen im Personal – vor allem im Führungspersonal – zu steigern und die sich selbst rekrutierenden Männerlobbys aufzubrechen. 45 Maybritt Hugo hat bei der Braunschweiger Feuerwehr etwas Wichtiges erreicht. Beim Eignungstest sind die Bewerberinnen fast immer durchgefallen. Das lag unter anderem an den Klimmzügen. Frauen fallen Klimmzüge schwerer als Männern. Außerdem wurde von allen Bewerbern eine abgeschlossene handwerkliche Ausbildung verlangt. Inzwischen dürfen Bewerber, um ihre Kraft unter Beweis zu stellen, einen schweren Kanister eine Treppe hochtragen, und die Feuerwehr akzeptiert auch eine Ausbildung im Gesundheitswesen. Seitdem steigt die Zahl der Feuerwehrfrauen. Ich frage, wie eine Gleichstellungsbeauftragte mit Bereichen umgeht, in denen die Männer benachteiligt sind. Obdachlosigkeit zum Beispiel. 70 bis 80 Prozent der Obdachlosen sind Männer. Maybritt Hugo antwortet sehr freundlich, dass die Statistik ein falsches Bild ergebe. Frauen seien genauso von Obdachlosigkeit betroffen. Sie würden dann eben bei Freundinnen oder Verwandten unterschlüpfen. Obwohl sie es nicht ausspricht, es klingt schon ein bisschen so, als seien obdachlose Männer selber schuld. Warum sind Männer nicht einfach ein bisschen kommunikativer, sozialer – weiblicher eben? Dann frage ich, ob es schon einen Fall sexueller Belästigung eines Mannes durch eine Frau gegeben hat, in Braunschweig. Tatsächlich, so etwas gab es. Ein Mann hat sich beschwert. Er wurde nicht angegrapscht, aber, nach seiner Darstellung, von einer Chefin immer wieder verbal angemacht und auch herabgesetzt. Und, wie ging der Fall aus? Sie weiß es nicht genau. "Ich glaube, er hat seinen Job einfach weitergemacht." Das war bei Frauen früher auch üblich, heute wehren sich zum Glück viele und gehen zur Gleichstellungsbeauftragten. Kurze Geschichte der Genderforschung: 1976 In West-Berlin findet die erste Sommeruniversität für Frauen statt – Männer sind dabei nicht zugelassen. Sie trägt die Frauenbewegung in die Hochschulen, die sich aus Sicht von Feministinnen fast nur für Männer interessieren. In verschiedenen Fächern entsteht Frauenforschung als Wissenschaft von Frauen an Frauen. Anfang der achtziger Jahre kritisieren feministische Sprachwissenschaftlerinnen, dass männliche Bezeichnungen Frauen und ihre Leistungen ausblenden. Behörden und Ämter geben später Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache heraus, die aus Studenten "Studierende" und aus Mannschaften "Teams" machen sollen. 1987 Die Soziologin Raewyn Connell sorgt mit ihrem Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" für Diskussionen. Die Frauenforschung geht in die Geschlechterforschung über: Auch Männer, Macht und Männlichkeit werden untersucht, da sich Gleichberechtigung ohne Veränderung von Männern nicht durchsetzen kann. 1990 Judith Butler verkündet: »Die Grenzen zwischen den Geschlechtern sind nur sozial konstruiert.« Die amerikanische Philosophin stößt die Entstehung der Queer Studies an. Sie untersuchen Schwule, Lesben, Transsexuelle und jegliche Form von sexuellem Begehren, das »quer« zur Norm steht. Seit den neunziger Jahren gehen Genderforscher verstärkt der Frage nach, welche Bedeutung das Geschlecht im Berufsleben hat. Die Wissenschaftler kritisieren die ungleichen Karrierechancen von Männern und Frauen und liefern Impulse für die Gleichstellungspolitik und Quotendiskussionen. 46 2010 Die Fachgesellschaft Geschlechterstudien wird gegründet. Die Wissenschaft bleibt interdisziplinär: Weit über hundert Professuren für Genderforschung sind über Fächer wie Pädagogik, Jura, Sprachwissenschaft und Physik verstreut. Inzwischen habe auch ich, wie die Genderforschung, eine Theorie. Ich glaube, ich weiß, warum selbst bestens belegbare Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Geschlechterforschung von vielen Genderfrauen abgelehnt oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden. "Natur" war, jahrtausendelang, ein Totschlagargument der Männer. Frauen konnten angeblich dieses nicht und jenes nicht, sie galten als eitel, dumm, schwach, hysterisch, zänkisch, schwatzhaft und charakterlich fragwürdig. Das alles kam im Gewande der wissenschaftlichen Erkenntnis daher. So wie man auch für wissenschaftlich belegt hielt, dass man Mörder an ihren Augenbrauen und Vergewaltiger an ihren Ohrläppchen erkennen könne. Immer hingen die angeblichen Defizite der Frauen mit ihrer angeblichen Biologie zusammen, und meistens ging es dabei darum, die Macht der Männer ideologisch zu begründen. Wenn früher von Unterschieden zwischen Männern und Frauen die Rede war, dann lief es immer darauf hinaus, dass Frauen die Schlechteren sind und Männer die Besseren. Die Genderfrauen ziehen daraus den Schluss, dass biologische Forschung insgesamt ein Herrschaftsinstrument der Männer sein muss. Deshalb sagen sie: Es gibt keine Unterschiede, basta. Warum? Weil es einfach keine geben darf. Genderforschung ist wirklich eine Antiwissenschaft. Sie beruht auf einem unbeweisbaren Glauben, der nicht in Zweifel gezogen werden darf. In Wirklichkeit ist die Biologie längst weiter. Sie kann zeigen, dass Männer und Frauen in vielen Bereichen gleich sind, in anderen verschieden. Sonst wäre die Evolution ja sinnlos gewesen – wozu zwei Mal das gleiche Modell entwickeln? Beide Geschlechter haben Stärken und Schwächen, die sich ergänzen, und ganz sicher ist keines "besser" als das andere. Wenn ein Mann und eine Frau zusammen in Urlaub fahren wollen, wird in 80 Prozent der Fälle sie noch schnell das Gespräch mit einem schwierigen Handwerker führen, während er den Kofferraum belädt. Das ist nicht sexistisch, das ist klug. http://www.zeit.de/2013/24/genderforschung-kulturelle-unterschiede/komplettansicht, 03.03.2016. 47 4.6 Biologistische Grenzziehungen Sabine Hark, Paul Irene Villa, (14.03.2013) Die Unterstellungen sind bekannt: Genderstudies sind unwissenschaftlich. Das „ZeitMagazin“ versucht diese Debatte neu zu entfachen – eine Replik. Abb. 11: Zwillingsbabies Bild: imago/Chromorange Es sind nicht die Hormone allein, die die Zukunft bestimmen. Wir haben wieder eine „Gender-Debatte“. Die Wochenzeitung Die Zeit meint derzeit mit der Diskreditierung der Genderstudies als „Glaube“, gar „Antiwissenschaft“ Auflage machen zu können. In den Weiten der Social Media empören sich aufgebrachte Menschen auf meist wenig zivilisierte Weise über die angebliche Gehirnwäsche durch Gender, die vermeintliche Verschwendung aberwitziger Summen öffentlicher (Steuer-!)Gelder für Gender, über die angebliche Profilierungssüchtigkeit der „Genderfrauen“ – so der Kolumnist Harald Martenstein, ansonsten bekannt für sein Engagement zur Rettung der Berliner Gaslaternen, im Zeit-Magazin – und über den Untergang von Bildung, Kultur und Abendland durch Gender. Was aber ist das, dieses ominöse Gender? Die Genderstudies liefern auf diese Frage nicht keine, aber keine eindeutige Antwort. Gender meint zunächst eine Grenzziehung, die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Diese Grenzziehung halten wir im Alltag und seit der modernen Verwissenschaftlichung der Welt für biologisch gegeben. Dieser Annahme folgen durchaus Teile der Genderstudies, etwa wenn sie beforschen, welche Männer und welche Frauen mit welchen Optionen arbeiten, wie sie ihre Freizeit verbringen, welchen – geschlechtsspezifischen – Krankheitsrisiken sie jeweils wie begegnen oder wie sie in den Medien dargestellt und wie sie sozialisiert werden. Und sie tun dies durchaus auch mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden. Nun ist, aller Meinung zum Trotz, Wissenschaftlichkeit allerdings mehr als naturwissenschaftliche Methode. Die forschende Auseinandersetzung mit allen Bereichen der Welt – Menschen inklusive – bringt es mit sich, dass man sich dabei mit von Menschen (mindestens mit-)erzeugten Phänomenen auseinandersetzen muss. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gender gilt dies im besonderen Maße. 48 Zugleich ist kaum eine Leitdifferenz der Gegenwart derart eng geknüpft an ein biologisches, genauer: biologistisches Verständnis. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts halten wir das Geschlecht für eine unverrückbare, universale und unhintergehbare Naturtatsache, die an einem bestimmten physikalischen Ort der menschlichen Körper angesiedelt sei. Selbst wenn dies stimmte, so ist es doch höchst interessant und erkenntnisreich, sich mit der Geschichte dieser Tatsache zu befassen. Genau das tun einige in den Genderstudies. Anders als davon auszugehen, dass es Männer und Frauen (qua Genetik, Gebärmutter, Anatomie oder Hirnwindung) an und für sich „gibt“, erforschen sie die historisch konstituierte, kulturell geregelte und subjektiv interpretierte Bedeutung des Geschlechtsunterschieds. Historische Arbeiten im Feld der Genderstudies stellen etwa fest, dass diese Universaltatsache der biologischen Geschlechterdifferenz sich je nach geschichtlicher Konstellation recht unterschiedlich ausnimmt. „Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstocks“, schrieb der preußische Mediziner Rudolf Virchow 1848. Und die holländische Gesundheits- und Hormonforscherin Nelly Oudshoorn zeichnete nach, wie sich die Idee der „Geschlechtshormone“ allmählich im Kontext alltagsweltlicher Deutungen verselbständigte – und zwar entgegen vielfachen klinischen Evidenzen. Ein Verdienst der Genderstudies Dass wir von vielen kruden Vorstellungen zur Geschlechterdifferenz heute weit entfernt sind, ist nicht zuletzt ein Verdienst der Genderstudies. Denn diese haben Argumentationen, die Biologie als Schicksal setzen, und die lange auch das (natur- wie sozial- und kultur)wissenschaftliche Wissen beherrschten, hinterfragt und herausgefordert. Was gerade durch wissenschaftshistorische Arbeiten in diesem Feld klar wurde, ist, dass die Grenzziehung zwischen Natur und Kultur mitnichten so offen zutage liegt. Diese erkenntnistheoretisch völlig triviale Einsicht stellt allerdings für viele Journalisten und Kommentatorinnen außerhalb der Wissenschaft offenbar eine schwer zu schluckende Kröte dar. Es ist indes eine Einsicht, die NaturwissenschaftlerInnen und GeschlechterforscherInnen teilen. Jedenfalls ist es von der Position etwa des Cambridger Neurowissenschaftlers Simon Baron Cohen, der die alte Natur-versus- Kultur-Debatte in Bezug auf Geschlecht als geradezu absurd simplistisch bezeichnet und dafür plädiert, die Interaktion zwischen beidem in den Blick zu nehmen, nicht weit bis zum Plädoyer der in Berkeley lehrenden Philosophin Judith Butler, die Geschlechterdifferenz als jenen Ort zu verstehen, an dem die Frage nach dem Verhältnis des Biologischen zum Kulturellen gestellt werden müsse. Denn die psychischen, somatischen und sozialen Dimensionen der Geschlechterdifferenz ließen sich niemals gänzlich ineinander überführen, sie seien aber ebenso wenig als voneinander geschieden zu verstehen. Ohne Antwort Das Programm, das die Genderstudies daher nüchtern wie vorurteilsfrei verfolgen, besteht folglich genau darin, am Ort der Geschlechterdifferenz die Frage nach dem Verhältnis des 49 Biologischen zum Kulturellen zu stellen. Und zwar sie immer wieder zu stellen, da sie, wie Butler sagt, zwar gestellt werden muss, aber, streng genommen, nie beantwortet werden kann. Nimmt man also ernst, dass simplistische Natur/Kultur-Debatten in einem falschen Binarismus verfangen sind, so folgt daraus durchaus, dass es Materialitäten (etwa Strukturen des Gehirns, Anatomie, Hormone) geben kann, die bei Männern und Frauen häufiger oder seltener vorkommen. Es folgt daraus allerdings ebenso logisch, dass diese Materialitäten mit sozialen Umständen und Erfahrungen interagieren: So sind Hormone auch von UV-Licht oder der Diät abhängig, sie reagieren auf Angst oder Lust, sie treten je nach Alter einer Person unterschiedlich auf. Und umgekehrt: Hormone beeinflussen Angst und Lust, sie machen Hunger oder müde. Doch Hormone machen ebenso wenig wie bestimmte Hirnstrukturen oder Chromosomensätze Frauen und Männer. Zellen erkennen Testosteron nicht Was es also bedeutet, individuell und gesellschaftlich eine „Frau“ oder ein „Mann“ zu sein, das wird nicht durch eine biologische Essenz festgelegt. Die Berliner Genetikerin Heidemarie Neitzel beschreibt, dass die Untersuchung des Hormonspiegels nicht unbedingt Eindeutiges ergibt. Es gebe Beispiele, wo Androgene wie Testosteron in männlicher Dosierung vorhanden seien, aber von den Zellen nicht erkannt würden. Solche Befunde aber belegen nichts anderes, als dass die „Wahrheit des Geschlechts“ seit jeher keine nackte, sondern eine höchst bekleidete Wahrheit ist. Es sind solche Erkenntnisse – Erkenntnisse, die den Alltagsverstand, der zwei und nur zwei eindeutige Geschlechter kennt, erschüttern –, von denen Martenstein und Konsorten nichts wissen wollen. Wie gesagt, wir reden hier von wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten, die spätestens seit Kants Kritik der reinen Vernunft zum Grundwissen moderner Wissenschaften gehören. Bleibt zu fragen, warum es dagegen derzeit erneut eine medial geschürte Abwehr gibt? Es ist erst rund hundert Jahre her, dass deutsche Wissenschaftler wie Rudolf Virchow sich mit dem Rekurs auf die Natur gegen das Recht von Frauen, zu studieren, stellten. Statusangst der Professorenschaft Virchow, Max Planck und Kollegen fürchteten einen möglicherweise sogar irreversiblen Eingriff in die Naturgesetze, sollten Frauen als Gleiche in die Akademie einziehen. Es sei dahingestellt, inwieweit sie dies für eine wissenschaftlich fundierte Aussage hielten oder ob sie sich nur taktisch des wirkmächtigen Diskurses einer naturalisierten Geschlechterdifferenz bedienten, um sowohl eine gesellschaftlich prestigereiche Position zu verteidigen als auch die in der deutschen Professorenschaft damals weit verbreitete Statusangst, die sich als Angst vor der Feminisierung ihres Berufes äußerte, zu bekämpfen. To allow women to be like men would be to risk men becoming like women – so hat die US-amerikanische Historikerin Joan Scott dies für einen anderen Kontext bilanziert. Spricht aus der Diskreditierung der Genderstudies, inklusive der „Genderfrauen“, nichts als die Angst vor Uneindeutigkeit? Die Kultur, das „Volk“, das Abendland, die Wissenschaft, ja selbst die Natur sind bislang nicht untergegangen an der wachsenden Einsicht darin, dass Gender wesentlich mehr und anderes ist als Eierstöcke oder Hoden. Daran wird sich auch 50 zukünftig wenig ändern, selbst wenn die Genderstudies derart wichtig und einflussreich würden, wie ihnen unterstellt wird. http://www.taz.de/!5065401/, 05.03.2016. Paula-Irene Villa Jahrgang 68, ist Professorin für Soziologie und Gender Studies an der LMU München. Ihre Schwerpunkte sind Diskurstheorie und Körpersoziologie. Als Standardwerk gilt „Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper“ 4. Auflage, 2011. Sabine Hark Jahrgang 63, ist Professorin der Soziologie und Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. Sie gilt als Mitbegründerin der Queer Theory in Deutschland. Ihr bekanntestes Buch: „Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus“ (2005). 5. Informationsblatt: Wichtige Fachbegriffe Siehe folgende Seite. 51 (Wichtige) Fachbegriffe im Rahmen des Themenblocks Geschlechterrollenkritik Diskriminierung: Benachteiligung von Personen oder Gruppen, z.B. aufgrund des Geschlechts oder der Ethnie (Ethnie: wissenschaftlich exakterer Ausdruck für Volksgruppe). Drittes Geschlecht: Eine soziale Kategorie für Personen mit unbestimmtem Geschlecht sowie für Personen die sich nicht in Mann oder Frau einteilen lassen wollen. Feminismus: Bezeichnung für eine sowohl akademische als auch politische Bewegung von Frauen, die für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen sowie gegen Sexismus auftritt. Gender: Das soziale Geschlecht bzw. Geschlecht in seiner gesellschaftlichen Einordnung (gegenüberstehend dem Begriff Sex, worunter das biologische Geschlecht zu verstehen ist). Genderforschung bzw. Gender Studies: erforscht die historisch konstituierte, kulturell geregelte und subjektiv interpretierte Bedeutung des vermeintlichen oder tatsächlichen Unterschieds zwischen den Geschlechtern bzw. das Verhältnis des Biologischen zum Kulturellen Geschlecht. Gender Mainstreaming: In allen Politikbereichen und auf allen gesellschaftlichen Ebenen sollen die Auswirkungen aller Entscheidungen auf beide Geschlechter im Sinne der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und/oder Gleichstellung beurteilt werden. Heteronormativ(ität): Heterosexualität als Norm ansehend bzw. postulierend. Betrachtet Heterosexualität (Sexualität zwischen Mann und Frau) als in der Natur des Menschen verankert und alle anderen Formen von Sexualität als unnatürlich. Homosexualität: Gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten, Begehren oder eine darauf aufbauende Identität. Intersektionalität: Es ist oft nicht ausreichend, nur in einer Kategorie der Benachteiligung zu denken. Neben dem Geschlecht spielen oftmals auch Rasse, Klasse, Gesundheit sowie Machtverhältnisse eine Rolle. Klischee: unbedacht übernommene Redewendung bzw. Sprachbild. Queer: bezeichnet Personen (sowie als Adjektiv allgemein auch Dinge und Handlungen), die von der Norm abweichen. In Bezug auf Personen ursprünglich negativ konnotiert, wurde später aber zu einer durchaus mit Stolz verwendeten Selbstbezeichnung. wurde so zum Sammelbecken für nicht heteronormative Personen. Stereotyp: Kategorisierung von Personen anhand bestimmter Merkmale (z.B.: Haut, Haare, Geschlecht, Alter). Vorurteil: Vorsicht, hat unterschiedliche Bedeutungen: vorwiegend versteht man darunter 1, eine (oft wenig reflektierte) negative Meinung oder Haltung (in unserem Zusammenhang) gegenüber bestimmten Personengruppen. Meist mit Diskriminierung verbunden. 2, ein vorläufiges Zwischenergebnis während der Entwicklung eines Urteils. (verwendete Quellen: Heinsohn & Kemper: 2012; UN: 2016; Wikipedia: [März] 2016.) 52 6. Quellen- und Literaturverzeichnis 6.1 Schulbücher Böckle, Roland; Hitz, Harald; Kuschnigg, Wolfgang; Lidauer, Rainer; Neubauer, Erwin; Sonnenberg, Christian (1997): Horizonte 2 (2. Auflage 1997), Ed. Hölzel, Wien. Zeugner, Klaus und Marianne (2015): Faszination Erde 3 (2., ergänzte Auflage 2015), Ed. Hölzel, Wien. In der Vorbereitung herangezogene Literatur: Ott, Christine (2013): Geschlechtsidentität(en) im Mathebuch. Was die Sprache in Bildungsmedien über ihre Gesellschaft verrät. In: Schulpädagogik heute. Lernen und Geschlecht, S. 1 – 11. Köln. Preinsberger, Alexandra; Weisskircher, Elisabeth (1997): Mathematikschulbücher – eine aktuelle Untersuchung. In: Schule Weiblich, Schule Männlich. Zum Geschlechterverhältnis im Bildungswesen, S. 132 – 143. Innsbruck. Schwarz, Ingrid (2005): Geschlechterrollenkritische Didaktik diesseits und jenseits der Grenze. In: Reif Elisabeth, Schwarz Ingrid (ed.): Zwischen Konflikt und Annäherung. Ein interdisziplinäres Friedensprojekt zum Thema „Interkulturelle Kommunikation“ mit Tschechien, S. 46 – 67. Wien. 6.2 Internetquellen: Amjahid, Mohamed (2014): "Oppressed Majority": Feminismus nur für Weiße. In: Die Zeit http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-02/film-unterdrueckte-mehrheitfeminismus-rassismus/komplettansicht, 03.03.2016. BMBF (2016): https://www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp_neu_ahs_06_11858.pdf?4dzgm2, 09.03.2016. Cocozza, Paul (2014): Oppressed Majority: the film about a world run by women that went viral. In: The Guardian http://www.theguardian.com/lifeandstyle/womensblog/2014/feb/11/oppressed-majority-film-women-eleonore-pourriat, 03.03.2016. Collien, Isabel; Nüthen, Inga; Pantelmann, Heike; Bock, Ulla (2013): Geschlechterforschungspolemik im Sommerloch oder ich röhre also bin ich http://www.zefg.fu-berlin.de/replik_martenstein/index.html, 09.03.2016. 53 Hark, Sabine; Villa, Paul Irene (2013): Biologistische Grenzziehungen. In: taz http://www.taz.de/!5065401/,09.03.2016. Heinsohn, Kirsten; Kemper, Claudia(2012): Geschlechtergeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte http://docupedia.de/zg/Geschlechtergeschichte?oldid=106423, 05.03.2016. Kerbl, David (2014): Proseminararbeit Geschlechterrollenkritische Didaktik in GW. http://suedwindnoesued.at/files/unterrichtsbeispiele_geschlechterrollenkritdidaktik_kerbl_david.pdf, 09.03.2016. Landerl, Peter (2006): Nur ein Spiel für echte Männer? In: Wiener Zeitung http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/116602_Nur-ein-Spiel-fuer-echte-Maenner.html, 09.03.2016. Majorité Opprimée (2010): https://www.youtube.com/watch?v=V4UWxlVvT1A, 09.03.2016. Martenstein, Harald (2013): Schlecht, schlechter, Geschlecht. In: Die Zeit http://www.zeit.de/2013/24/genderforschung-kulturelle-unterschiede/komplettansicht, 09.03.2016. ORF-„Report“ (2016): (Anm.: Beiträge) „Feministische Lebensentwürfe“; „Die neuen Frauen-Freunde“ http://tvthek.orf.at/program/Report/11523134, 09.03.2016. Scholz, Lothar/ BPB (2010): Methodenkiste www.bpb.de/system/files/pdf/WY0L8M.pdf, 13.03.2016. Schwarz, Ingrid (2015): Informationen zur LV „Geschlechterrollenkritische Didaktik in Geographie und Wirtschaftskunde“ im Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien http://online.univie.ac.at/vlvz?kapitel=2906&semester=W2015#2906_16, 09.03.2016. Seejane (2016): http://seejane.org/research-informs-empowers/, 09.03.2016. The Guardian (2015): http://www.theguardian.com/film/2015/may/21/maggie-gyllenhaal-tooold-hollywood, 09.03.2016. The Guardian (2016): Interview mit Geena Davis http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2016/feb/29/geena-davis-tv-girl-gender-equalitythelma-louise-women, 09.03.2016. 54 UN (2016):http://www.un.org/womenwatch/osagi/gendermainstreaming.htm, 09.03.2016. Zusätzlich zur Vorbereitung herangezogene Internetquellen: Lüpke-Narberhaus, Frauke (2010): Gender-Pädagogik: Cowboy mit pinkfarbenem Turnschuh. In: Die Zeit http://www.zeit.de/2010/23/Gender-Paedagogik/komplettansicht, 05.03.2016. Vinken, Barbara (2011): Kleines Schwarzes oder Burka? http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2011/kleines-schwarzes-oder-burka-11491, 05.03.2016. 55