Überwintern mit Senioren und Aussteigern im warmen Süden der USA
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Überwintern mit Senioren und Aussteigern im warmen Süden der USA
Überwintern mit Senioren und Aussteigern im warmen Süden der USA Text und Fotos: Heidy und Bruce Alexander Herbst für Herbst wiederholt sich in Nordamerika dasselbe Spektakel. Sobald sich die Blätter verfärben und die Zugvögel Richtung Süden losfliegen, folgt ihnen ein Massenexodus von «Snowbirds». Es handelt sich hier nicht etwa um exotische Schneegänse, sondern um winterscheue, meist ältere Menschen, die sich lieber Margarita trinkend in der südlichen Sonne räkeln, als im heimischen Kanada oder den nördlichen USA die Hauseinfahrt freizuschaufeln. Mit Wohnmobilen machen sie sich auf den Weg in den Süden, um an der Wärme die Schneeschmelze abzuwarten. D er Weg ins Paradies ist weit und will verdient sein. Für die meisten führt er über Tausende von Kilometern quer durch die Vereinigten Staaten – eine Reise von mehreren Tagen oder Wochen. Die Sommertouristen haben sich längst verzogen, die Campingplätze sind geschlossen und haben bereits Spinnweben angesetzt. Gestoppt wird höchstens mal an der Zapfsäule oder bei McDonalds. Das Highlight eines monotonen Reisetages ist ein längerer Halt bei der Supermarktkette Walmart, wo die Vagabunden der Strasse gratis auf dem hinteren Teil des Parkplatzes übernachten dürfen. «Boondocking», kostenloses Campieren, ist das Ah und Oh eines jeden Snowbirds. 60 GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2011 Die Rechnung geht auf für Gast und Gastgeber. Die meisten Walmart-Läden sind rund um die Uhr geöffnet und wohlig warm beheizt, während es draussen im Wohnmobil zu allen Löchern reinzieht. Der mehrstündige Shoppingbummel resultiert meistens in einer Ansammlung unglaublicher Schnäppchen. Ware, die man eigentlich gar nicht bräuchte, aber dennoch gekauft hat. Die ultimativsten «Boondocking»-Adressen sind aber unbestritten diejenigen von motorhomefreundlichen Casinos. Billige Verpflegung, ein paar warme Stunden Entertainment und eine erleichterte Brieftasche inklusive. Die meisten der Kanadier und Nordstaatler, die es sich zeitlich leisten können, drei bis sechs Monate in den Süden zu fahren, sind Rentner oder Aussteiger. Die Pensionierung gilt jedoch nicht etwa als Abstellgleis, sondern als Hauptbahnhof mit Zügen, die in alle Himmelsrichtungen fahren. Aufspringen kann jeder, es braucht nur etwas Mut und Abenteuergeist. Wer bereit ist, seinen Gürtel enger zu schnallen und näher an der Natur zu leben, scheidet bereits Mitte 50 aus dem Berufsleben aus, um zum vollberuflichen Nomaden zu werden. Das Eigenheim wird gegen ein Haus auf Rädern eingetauscht und das Tüpfchen auf dem i ist eine Mitgliedschaft im «S.K.I.-Club». Letzterer hat nicht etwa mit Wintersport zu tun – man will sich ja für immer vom Schnee verabschieden –, sondern steht als Abkürzung für «Spending Kids Inheritance», auf gut Deutsch: «Wir verprassen die Erbschaft unserer Kinder.» Die Zahl der Mitglieder steigt jährlich, zum Jammer der jüngeren Generation. nordamerika wohnerin feiert gerade bei bester Gesundheit ihren 100. Geburtstag. Ein «Vier-für-dreiNächte-Deal» lässt alle Zweifel schwinden, wir tauchen ein in den Jungbrunnen der Snowbirds. Ferienlager für reife Kinder. Wie auch bei den Als Snowbirds unterwegs. Während unserer Reisen durch Nordamerika haben auch mein Mann Bruce und ich drei Winter wie Snowbirds gelebt. Wohlverstanden: Wir sind weder Millionäre noch Pensionäre, sondern ganz einfach Selbstverwirklicher. Obwohl man es eigentlich gar nicht glauben will, kann man in den USA immer noch fast gratis überwintern, vorausgesetzt, man hat die nötige Infrastruktur: ein Wohnmobil zum Preis eines europäischen PW, einen Führerausweis, die nötigen Insiderkenntnisse und viel Zeit. Viele interessante Reisebekanntschaften gibt es automatisch dazu. Wer im Winter die USA mit einem Wohnmobil bereist, wird stets nach dem wärmsten Plätzchen suchen. Das ist in unserem Fall Südkalifornien, unweit der mexikanischen Grenze. Es ist Anfang Januar, und wir haben die letzten paar Wochen wandernd und radelnd in der einsamen Wüste verbracht. Zuerst hat uns das Geheul der Kojoten fasziniert, aber nachdem uns die Viecher nachts die Wanderstöcke und Schuhe zerkaut haben, ist die Romantik zu Ende. Wir sind bereit für ein wenig Zivilisation und Luxus und machen uns auf zu einem riesigen RV-Park (Recreational Vehicle Camping) mit dem verlockenden Namen «Fountain of Youth». Der «Jungbrunnen» ist vermutlich eines dieser berühmt-berüchtigten Senioren- An die Wärme. Im Winter zieht es viele Senioren aus dem Norden mit dem Wohnmobil an die Sonne Südkaliforniens (links). Mobil. Auch im Alter noch spritzig unterwegs (oben). Heruntergekommen. Unterkunft der einfachen Sorte in Slab City (unten). Riesig. Der «Fountain of Youth»-Camping ist wie eine kleine Stadt mit vielen Aktivitäten (ganz unten). camps. Und tatsächlich: Der Park verfügt über eine nicht zu überbietende Infrastruktur mit Thermalbädern und einer Riesenvielfalt an Aktivitäten – von anonymen Alkoholiker-Meetings bis zu Wasservolleyball ist von morgens bis abends für Unterhaltung gesorgt. Im Übernachtungspreis ist jeglicher Zeitvertreib inbegriffen, denn alles wird von kreativen Gästen selbst organisiert. Wir sind gespannt, als «Mittelalterliche» jedoch auch etwas gehemmt, in die Welt der Snowbirds einzutauchen. Das Durchschnittsalter liegt bei 70, die älteste Be- meisten andern Snowbird-Tummelplätzen herrscht im «Fountain of Youth» die 55+-Regel. Jüngere Besucher sind zwar willkommen, aber der Besitz von Grundeigentum ist ausschliesslich über 55-Jährigen vorbehalten. Damit werden Grundstückspekulation und Kindergeschrei praktisch ausgeschlossen. Die Einfahrt der Siedlung, die im Winter auf rund 2000 Seelen anwächst, ist pompös und mit Palmen bestückt. Zwei Flaggen deuten darauf hin, dass hier amerikanische, wie auch kanadische Wintermuffel hausen. Beide Fahnen sind gleich gross, aber die amerikanische hängt ein kleines bisschen höher. Die Tagestemperaturen sind herrlich, aber nachts wird es unangenehm kühl. Also nichts wie ab ins Thermalbad, wo wir den Sternenhimmel wohlig warm und ohne Kojotengeheul geniessen können. Die friedvolle Stille dauert gerade zwei Minuten an, bis wir als Newcomer entdeckt werden. Nordamerikaner sind ja bekanntlich sehr gesprächig, und in kürzester Zeit lernen wir spärlich bekleidete Toms, Dicks und Harrys von Alaska bis Wyoming kennen. Wir erhalten spontane Einladungen zum Hufeisenwerfen, Squaredancing, Wüstengolf, Tennis und Boccia und erfahren, dass es in Whitehorse minus 40 Grad kalt ist und «der grosse weisse Norden» unter einer Schneedecke von mehreren Metern liegt. Bei all der Aufregung vergessen wir, dass wir uns in einem Thermalbad befinden und verlassen den Pool erst nach über einer Stunde mit einem halben Kreislaufkollaps. 61 Am nächsten Morgen machen wir uns auf zum luxuriösen Tennisplatz. Ken, ein 67-jähriger, gut aussehender Tennislehrer, gibt zweimal pro Woche kostenlose Lektionen, was uns gerade gelegen kommt. In der übrigen Zeit bereitet er sich auf einen Triathlon vor, den er für seinen 70. Geburtstag geplant hat. Er ist stets für etwas Neues zu haben, was auch seine Berufsbiografie beweist: Primarschullehrer, Milchfarmer und Restaurantbesitzer waren seine Stationen. Unsere humorvollen Spielpartner sind Max, ein 74-jähriger Exingenieur aus Österreich, und Buddy, ein 73-jähriger Exbriefträger aus Moosejaw im kanadischen Saskatchewan. Beide haben hier im Alter von 72 Jahren Tennis spielen gelernt, Buddy nach mehreren Herzinfarkten und mit beidseitiger Knieprothese. Technisch haben uns die beiden etwas voraus, aber konditionell sind wir ihnen klar überlegen. Im Nu sind drei Stunden vorbei. Buddy hat noch nicht genug, er will noch zwei Stunden lang Tischtennis spielen, gefolgt vom nachmittäglichen Billard, um dann am Abend zum Shuffleboard überzugehen. Schliesslich hat er neue Knie und deshalb wieder den Drive eines Teenagers. Beim Apéro unterhalten wir uns mit Max. Der europäische Snowbird fliegt jeden Winter sechs Monate ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo er zusammen mit seiner Frau in einem Wohnmobil herumkurvt. Die ersten paar Wochen wird jeweils gefischt, was das Zeug hält, für den Reiseproviant. Max liebt es, sich «vom Land» zu ernähren, und das kann man nirgendwo besser als in Amerika. Mit Frischfleisch ist er jeweils auf der Reise gut versorgt, denn das liegt buchstäblich auf der Strasse. Mal ist es ein Reh, dann wieder ein Hase oder was auch immer die Jagd nach «Roadkill» so ergibt. Auf meine Frage, ob er sich denn dabei noch nie eine Lebensmittelvergiftung zugezogen habe, meint er gelassen: «Ach nein, wenn man die Tiere frühmorgens findet, ist das absolut unbedenklich. Bei den Temperaturen, die im Winter über Nacht herrschen, sind sie meistens noch gefroren.» 62 GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2011 Während sich Max dem Tennisspiel hingibt, grast seine Frau die abgeernteten Gemüsefelder ab. «Gleaning» nennt man diesen ganz legalen Zeitvertreib. Die mexikanischen Feldarbeiter ernten nur gerade Ware erster Klasse, den Rest lässt man einfach verrotten. Wenn man sich gut mit dem jeweiligen Plantagenbesitzer versteht, kann man sich ohne Weiteres dieses Grünzeug selbst pflücken. Wir entscheiden uns, einen ganzen Monat hierzubleiben, denn die Raten für Langzeiturlauber sind unschlagbar. Pro Tag bezahlen wir alles inklusive knappe 10 Dollar für zwei Personen. Mit einem Elektrizitäts-, Wasser- und Abwasseranschluss wäre es fast doppelt so teuer. Aber da wir sowieso Tag und Nacht beschäftigt sind, brauchen wir all den Schnickschnack gar nicht. Unser Plätzchen an der Sonne ist günstiger als die horrenden Heizkosten im kalten Norden. Durchs Sperrgebiet. Jetzt wo wir länger hierbleiben, müssen wir uns nach weiteren Betätigungen umsehen. Eigentlich möchten wir das Wandern in der Wüste wieder aufnehmen, aber wir getrauen uns nicht an die ChocolateMountains heran. Diese Bergkette, die bei jedem Sonnenuntergang in eine schokoladebraune Farbe getaucht wird, ist Sperrgebiet der US-Army. Jammerschade, denn dieses herrlich wilde Gebiet aus Bergen und Canyons lässt jedes Wanderherz höher schlagen. Obwohl wir nicht die Volksmarschtypen sind, entscheiden wir uns zu einem Ausflug mit der Wandergruppe des Camps. Diese wird vom Endsechziger Duncan McLennan, einem etwas schrägen, pensionierten Hochschulrektor aus Nova Scotia, Kanada, geleitet. Die übrigen Teilnehmer sind zwischen 55 und 75 Jahre alt und sehen ziemlich harmlos aus. Zu unserem Erstaunen führt die Wanderung genau ins verbotene Snowbird-Tummelplatz. Hier wird es niemandem langweilig. Aktivitäten bis zum Abwinken, z.B. im Schwimmbad, auf dem Tennisplatz oder in der tollen Natur (diese Seite). Armeeterritorium. Duncan zuckt lässig die Schulter und ignoriert das Warnschild, das jegliches Betreten streng verbietet. «Was solls, die Luftwaffe bombardiert die Gegend nur gerade alle paar Monate, und das wird sicher nicht gerade heute sein. Kontrollen gibt es nur ab und zu, bis jetzt ist es bei verbalen Verwarnungen geblieben.» Unsere Hightech-Nordic-Walking-Stöcke sind Duncan überhaupt nicht geheuer. Er besteht auf einen stabilen Wanderstock für uns, mit dem man die Geröllhalden hinunter «surfen» kann. Ohne zu zögern, steuert er eine Ansammlung von riesigen Ocotillo-Kakteen an und packt ein Taschenmesser mit Säge und dicke Gartenhandschuhe aus seinem Rucksack. Dann beginnt er wie wild an einem langen, schlanken Kaktusarm herumzusäbeln. Abgetrennt wird das Stück Kaktus entrindet und voilà, unser Wüstenwanderstock ist fertig. An diesem Tag lehrt uns Duncan buchstäblich das Fürchten. Als weit jüngere und bergerprobte Schweizer haben wir einen Altersspa- nordamerika ziergang erwartet, der nun aber eher an eine Kamikaze-Aktion erinnert. Auf allen Vieren klettern wir an schiefrigen Berghängen hoch und folgen bröckelnden Graten, die rechts und links im tiefen Abgrund enden. Tapfer beissen wir die Zähne zusammen und beschliessen, beim nächsten Mal auch Gartenhandschuhe mitzubringen. Die Finger sind aufgeschürft, aber wir bestehen die Feuerprobe, und finden in Duncan einen Freund fürs Leben. Das Grüppchen der waghalsigen Wanderer wächst im Laufe der kommenden Wochen stetig an, und da wir noch viele Berge erklimmen und Canyons entdecken wollen, entschliessen wir uns, zwei weitere Monate im «Fountain of Youth» zu verbringen. Späte Jugend. Bei einem unserer abendlichen Sonnenuntergangsbäder treffen wir Dennis Sullivan aus Oregon, der sich nach unseren sportlichen Aktivitäten des Tages erkundigt. Nun ja, wir haben nicht viel zu berichten, ganz im Gegensatz zu unserem Gesprächspartner, der nach sechs Stunden Training auch jetzt noch im Pool Wasserjogging betreibt und munter vor sich hin strampelt. Dennis ist Zehnkämpfer und bereitet sich auf einen Halbmarathon vor. In ein paar Monaten soll er die USA Durchs Sperrgebiet. Duncan präpariert einen stabilen Wanderstock, bevor es auf die nicht ganz harmlose Wanderung geht (diese Seite). Patriotisch. Auch die Autoren Heidy und Bruce zeigen Flagge: Switzerland! (unten). sogar an einer internationalen Altersolympiade vertreten und zwar in den Disziplinen 100-Meter-Sprint, Weitsprung, Kugelstossen, Hochsprung, 400 Meter, 110 Meter Hürden, Diskuswerfen, Stabhochsprung, Speerwerfen, 1500-Meter-Lauf. Dennis gestählter Körper hat die Behändigkeit eines Teenagers, und wir fragen verwirrt nach seinem Alter. Mit stolzem Lächeln verkündet der immer noch strampelnde Athlet: «80! It’s never too late to get young.» Dennis hat erst vor 15 Jahren mit Sprint- und Hürdenrennen begonnen. Mit 79 fand er, man könne doch auch mal was Neues anfangen, und nun ist er Zehnkämpfer. Den ersten Wettkampf in der Klasse der über 80-Jährigen hat er bereits mit grossem Abstand gewonnen. Aufhören will er erst, wenn er die Hürden nicht mehr überwinden kann. Mit 80 lässt die Konzentration etwas nach, und so muss er doppelt aufpassen. Wir sind beeindruckt. Wir entschliessen uns, nebst Wandern und Tennis, noch mit Golfspielen anzufangen. In der 2000-Seelen-Siedlung führt jeden Tag irgendeiner einen Flohmarkt durch, und so ergattern wir in Kürze zwei alte Golfschläger und einen Putter zum Schnäppchenpreis von 3 Dollar. Der erfreute Verkäufer gibt uns noch ein 63 paar Golfbälle obendrauf. Bruce ist bereits halbprofessioneller Golfspieler, allerdings nur auf maniküriertem Rasen. Ich bin ein Greenhorn, im wahrsten Sinne des Wortes. Enthusiastisch machen wir uns auf zum unweit gelegenen 9-Loch-Desert-Golfcourse, wo kein Stückchen Grün zu sehen ist. Er erinnert eher an eine Mondlandschaft. Die Löcher sind mit Palmen gekennzeichnet, und das Green besteht aus feinem braunem Sand, schön gerecht. In weiser Voraussicht hat Bruce zwei abgesägte Colaflaschenköpfe mitgebracht, die als Tee dienen sollen. Es wäre unmöglich, ein normales Tee in den sonnengebackenen Lehmboden zu rammen. Schon nach den ersten paar Schlägen, die natürlich total daneben gehen, wird mir klar, dass ich nie mit Tiger Woods Seniorengolf spielen werde. Es bleibt bei einer Runde, denn wir müssen bereits wieder zurück in die Mehrzweckhalle, wo ein Vortrag über das weltbekannte Iditarod-Schlittenhunderennen stattfindet. Diesen wollen wir uns nicht entgehen lassen, denn er wird von Jeff King, einem mehrmaligen Champion, der gerade auf Besuch bei seinen Eltern weilt, gehalten. Legendäres Slab City. Was ist dieser Ort? Eine mit Kultur angereicherte Wüstenkommune? Das letzte Stück Freiheit in den USA? Oder doch eher eine Pennersiedlung? Wir wollen es wissen und radeln nach Slab City. Jedes Jahr verbringen hier Tausende von Snowbirds den Winter und zwar gratis und franko. Es handelt sich um ein von der Regierung freigegebenes Landstück, eine Art wilder Campingplatz ohne öffentliche Infrastruktur. Die meisten erzeugen ihren Strom mit Sonnenkollektoren oder benzinbetriebenen Generatoren. Gas und Frischwasser gibts im fünf Kilometer entfernten Niland, wo auch Abwasser entsorgt werden kann. Während es jetzt von Winterbesuchern wimmelt, sollen nur gerade 150 wüstentaugli64 GLOBETROTTER-MAGAZIN SOMMER 2011 Seniorenparade. US-Amerikaner und Kanadier können es nicht lassen (oben). Slab City. Kreativ und verrückt (Mitte). Gemeinschaft. Im Winter wohnen über 2000 ältere Menschen hier (unten). Salvation Mountain. Kunstwerk oder Spinnerei? (rechte Seite) che «Slabbers» das ganze Jahr hier wohnen. Aussteiger, Obdachlose und Spinner, die den höllisch heissen Sommertemperaturen trotzen. Im geselligen Teil von Slab City findet man nebst völlig heruntergekommenen Trailers auch teure Luxusriesenbusse hinter sauber an- gestrichenen Gartenzäunen und andere Luxuskarrossen. Wer eine heruntergekommende Stadt vermutet, liegt völlig falsch. Die «Slabbers», ob arm oder reich, lieben ihren freien Wohnort und zeigen mit Stolz, was es hier alles gibt: Zum Beispiel den Oasis-Club, der für Morning-Coffee, Meals, Mail, Happy Hour, Library and Movies wirbt. Man braucht kein Bücherwurm zu sein, um die «Lizard-Tree-Library» interessant zu finden. Die Openair-Bibliothek ist eine Oase der Ruhe mit einer Riesensammlung von gespendeten Büchern und Zeitschriften. Schon der Gartenzaun ist äusserst kreativ und besteht aus leeren Weinflaschen. Wer es gerne im Hintergrund etwas plätschern hört, kann Wasser aus einem Krug in den «man-powered-fountain» giessen. Auch das Internetcafé darf nicht fehlen, aber das heisst hier «Internut Café». Eine E-Mail kann man allerdings nicht abschicken, denn die Tastatur ist eine mechanische Schreibmaschine, der Bildschirm ein ausgedienter Röhrenfernsehapparat und die Maus eine Plastikratte. Ein Schild vor der «Slab City Christian Church» lädt Leute aller Konfessionen zum sonntäglichen Gottesdienst ein. Nicht in der Kirche sitzen werden jene, die am Vorabend im Range Nightclub abgestürzt sind. Hier treffen sich jeden Samstagabend Musiker und Entertainer aus der ganzen Gegend zu einer Jam Session. Es wird sogar gemunkelt, dass in Slab City einige bekannte Musiker ihr Debüt gaben. Natürlich darf auch der Junk Yard nicht fehlen, denn was wäre Amerika ohne verrostete Autowracks? Ein Bewohner hat sich die Müllhalde zum Heim gemacht und trennt Verkäufliches vom Müll. Ein Paradies für exzentrische Schnäppchenjäger. Die einzige sanitäre Einrichtung, die es hier gibt, ist die öffentliche Dusche, und die ist im wahrsten Sinne des Wortes heiss. Eine zisternenartige, mit Zement verkleidete Vertiefung in der Erde, in die Wasser aus einer nahe liegenden heissen Quelle geleitet wird. Eine Attraktion unter den Snowbirds, die aber nach genauem Hinsehen wohl doch lieber die enge Dusche im eigenen Wohnmobil vorziehen. Unbestreitbar der bekannteste Slab-CityVogel ist Leonard Knight, der schon seit einer halben Ewigkeit hier wohnt. Im Jahre 1984 soll der religiöse Spinner hier angekommen sein. Im Reisegepäck ein riesiger Heissluftballon, den er sich in jahrelanger Knochenarbeit und mit einer handbetriebenen Nähmaschine selbst geschneidert hatte. Mit der Aufschrift «God is Love» plante er, über Amerika zu fliegen und das Evangelium zu verbreiten. Das handgemachte Luftfahrzeug wollte aber nicht abheben, denn es war zu schwer. So beschloss er, den Ballon zu vergessen und stattdessen den «Berg der Erleuchtung» zu bauen. Aus Lehm, Stroh und Autoreifen, die er in der Wüste zusammen- nordamerika sucht, bastelt er seither an seinem riesigen Gotteskunstwerk herum. Es wird vermutet, dass Leonard bisher über 400 000 Liter Farbe, gespendet von Leuten aus aller Welt, verarbeitet hat. Für die einen ist es ein toxischer Albtraum, für die andern ein Adobe-Kunstwerk vom Feinsten. Das sah auch eine kalifornische Senatorin so und setzte sich dafür ein, dass Leonards Salvation-Mountain im Jahre 2002 zu einem nationalen Kunstdenkmal ernannt wurde. Knight baut immer weiter, wohl bis an sein Lebensende. Nach einem denkwürdigen Tag in der kreativ-verrückten Slab City setzen wir uns wieder auf die Fahrräder und fahren zurück in unsere Jungbrunnenoase. in Südkalifornien ist bereits einige Zeit vergangen, aber die Eindrücke und einige Bekanntschaften werden wohl für immer bleiben. Duncan, der Wandervogel, hat uns nach Nova Scotia in Kanada «verschleppt», wo wir uns schliesslich definitiv niedergelassen haben. Wir haben unser Haus auf Rädern gegen ein permanentes Heim eingetauscht und geniessen den kanadischen Winter. Nun sind wir diejenigen, die Duncan wöchentlich das Wetter aus dem Norden melden, und er versorgt uns mit Neuigkeiten aus dem Snowbirdreich. Er musste ein neues Wanderterritorium finden, denn das Armeegebiet vor der Haustüre ist nun endgültig tabu. Nachdem mehrere mündliche Verwarnungen auf taube Ohren gestossen sind, wird jetzt mit scharfer Munition über die Köpfe von Eindringlingen geschossen! Dennis hat einige Weltrekorde aufgestellt und überspringt vermutlich immer noch Hürden. Nachdem Buddy ein weiteres Mal das Knie operiert wurde, reist er nun per Kreuzfahrtenschiff über die Weltmeere und schickt regelmässig E-Mails aus Australien, Südafrika und der Antarktis. Von Max haben wir nichts mehr gehört, aber wir denken jedes Mal an ihn, wenn wir «Frischfleisch» am Strassenrand liegen sehen. [email protected] © Globetrotter Club, Bern Blick zurück. Seit unserem Winteraufenthalt ww h a.c low w. 65 Weitere exklusive Reisereportagen lesen? Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche, Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die Globetrotter-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens. 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