Der Welthandel läuft aus dem Ruder
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Der Welthandel läuft aus dem Ruder
INTERNATIONAL MITTWOCH, 2. JANUAR 2008 | NR. 1 |7 Der Welthandel läuft aus dem Ruder NACHRICHTEN Euro-Zone wächst auf 15 Mitgliedstaaten Vor 60 Jahren trat das Zollabkommen Gatt in Kraft – doch die lebensbedrohliche Krise der WTO überschattet das Jubiläum Es galt, einen runden Geburtstag zu feiern, doch rechte Jubelstimmung wollte nicht aufkommen. Gestern vor 60 Jahren, am 1. Januar 1948, trat das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) in Kraft – eines der wichtigsten Elemente der Weltwirtschaft. „Das globale Handelssystem ist seitdem eine Quelle des Wohlstands, der Stabilität und der Vorhersagbarkeit“, lobt Pascal Lamy, der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), die 1995 das Gatt ablöste. Doch angesichts der bedrohlichen Krise, in der die Organisation heute steckt, fiel die vorverlegte 60-Jahr-Feier zum 60. Geburtstag in der WTO-Zentrale am Genfer See betont nüchtern aus. Denn die aktuelle WTO-Welthandelsrunde zur weiteren Öffnung der globalen Märkte steckt hoffnungslos fest. Der Zyklus, 2001 in Katars Hauptstadt Doha gestartet, mutiert zum Synonym für zähe Endlosverhandlungen. Immer mehr Experten fürchten, dass die Konflikte über Agrarsubventionen, Industriezölle und Marktzugang für Banken, Versicherer und Transportunternehmen unüberwindbar sind. „Es kann sein, dass die WTO-Mitglieder die Verhandlungen nicht zu Ende führen“, unkt Carlos Alberto Primo Braga von der Weltbank. Die vielen Versprechen, zu Beginn der Runde vollmundig gemacht, Regeln für den globalen Austausch Neues Abkommen Nach dem Protektionismus der 30er-Jahre und den Schrecken des Zweiten Weltkrieges wollten die westlichen Mächte unter US-Führung einen Neuanfang auch für den internationalen Warenaustausch. Anfang 1948 trat das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, Gatt) mit dem Ziel in Kraft, Barrieren im grenzüber- schreitenden Handel abzubauen. Sinkende Zölle Bis zum Jahr 1994 schlossen die Gatt-Vertragsstaaten acht Handelsrunden erfolgreich ab. Die Zölle sanken, der weltweite Handel beschleunigte sich: 1948 betrug der Wert der insgesamt exportierten Waren zu damaligen Preisen 58 Mrd. Dollar. 1997 war das Volumen bereits auf 5,3 Billionen Dollar angewachsen. Und 2006 exportierten die Länder Waren im Wert von zwölf Billionen Dollar. Aus Gatt wird WTO 1995 wurde das Gatt mit damals 128 Unterzeichnerstaaten in die Welthandelsorganisation (WTO) überführt. Dieser gehören heute 151 Mitglieder an. Derzeit prominentester Kandidat für die Aufnahme ist Russland. quenz aus der massiven Schwäche der Welthandelsorganisation: Am WTO-Verhandlungstisch mischen so viele Mitglieder und unterschiedliche Gruppen mit, dass die Suche nach einem Konsens immer schwieriger wird. Jedes der bald 152 WTO-Mitglieder hat das Recht, Entscheidungen zu blockieren. Und die WTO-Spieler spalten sich in viele Fraktionen und Blöcke auf, die mal gegeneinander, mal miteinander arbeiten – von der Gruppe der großen Entwicklungsländer (G20) über die 27 EU-Staaten bis zur Gruppe der großen vier (EU, USA, Indien, Brasilien). Besonders die Entwicklungländer lassen ihre Muskeln spielen: Angeführt von Brasilien und Indien drohen die Armen offen damit, die Doha-Runde platzen zu lassen. Ein Diplomat bringt die Gemengelage auf den Punkt: „Viele Köche verderben den Brei.“ Beim Gatt hingegen ging es anders zu. Die Industriemächte waren praktisch unter sich, man traf sich in gediegener Atmosphäre und einigte sich auf Deals wie in einem Gentlemen’s Club. Und die Armen? Entweder gehörten sie nicht zum Club – viele heutige WTO-Mitglieder waren in den frühen Gatt-Zeiten noch Kolonien. Oder die Entwicklungsländer im Gatt überließen den Reichen freiwillig das Feld – vor allem der Führungsmacht USA. Es galt eine Faustregel: Je kleiner die Zahl der Parteien, desto weniger Zeit brauchen sie für ihre Deals. In den ersten vier Gatt-Handelsrunden feilschten nur 13 bis 38 Partner über den Abbau von Industriezöllen. Alle vier Zyklen dauerten nur rund ein Jahr. In der letzten Gatt-Runde aber schacherten schon 123 Wirtschaftsmächte; die so genannte UruguayRunde zog sich von 1986 bis 1994 hin. Hinzu kommt: Seit der sechsten Runde (Kennedy-Runde von 1964 bis 1967) packten die Verhandlungsführer immer neue Themen in die Gespräche: von Antidumping über den Schutz des geistigen Eigentums bis zu Dienstleistungen und der kniffligen Landwirtschaft. Von Transparenz kann in der WTO deshalb keine Rede mehr sein. Oder wie Pascal Lamy es sagte, als er noch EU-Handelskommissar war: Die Strukturen der WTO seien „mittelalterlich“. US-Wähler müssen sich zwischen Erfahrung und Wandel entscheiden Kandidaten gehen Kopf an Kopf in die erste Vorwahl in Iowa Novize Huckabee im Aufwind und bedrängt neben Romney den politisch überaus erfahrenen Senator John McCain. Bei den Demokraten liegt in New Hampshire Obama knapp hinter Clinton. Für seine Frau Hillary hatte in den letzten Tagen mehrfach Ex-Präsident Bill Clinton geworben. Durch ihre lange politische Erfahrung sei seine Frau besser darauf vorbereitet, „auf das Unerwartete zu reagieren“, sagte Bill Clinton auf einer Wahlveranstaltung. Er verwies auf Katastrophen wie die Terrorangriffe am 11. September 2001 oder den Hurrikan Katrina. In solchen Fällen käme es darauf an, ausreichend Erfahrung für die Aufgabe im Weißen Haus mitzubringen. Die Betonung der Erfahrung ihrer Kandidatin, wie dies das ClintonCamp wieder und wieder unternimmt, könnte jedoch letztlich ge- Wenige Stunden bevor am Donnerstag in Iowa die ersten Vorentscheidungen über die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner fallen, gibt es in beiden Lagern keinen klaren Favoriten. Bei den Demokraten liefern sich in den Umfragen John Edwards, Barack Obama und Hillary Clinton ein Kopfan-Kopf-Rennen. Bei den Republikanern kämpfen Mitt Romney und Mike Huckabee um die Spitzenposition. Um sich von ihren Konkurrenten zu unterscheiden, setzen die Bewerber in dieser letzten Phase auf direkte Attacken. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie wichtig ist politische Erfahrung für das höchste Staatsamt der USA? Nach einer letzten Umfrage des Des Moines Register, der führenden Zeitung in Iowa, liegt dort bei den Demokraten Barack Obama mit 32 Prozent vor Clinton (25 Prozent) und Edwards (24). Bei den Republikanern führt Huckabee mit 32 Prozent vor Romney (26). Allerdings sind diese Umfragen mit so großen Unsicherheiten behaftet, dass noch alles möglich ist. Auffälligerweise sind es in beiden Lagern eher unerfahrene Herausforderer, die das Kandidatenfeld durcheinander schütteln. Sowohl der Jung-Senator aus Illinois Barack Obama, wie auch Ex-Gouverneur Mike Huckabee aus Arkansas haben die etablierten Bewerber massiv unter Druck gebracht. So ist ein Sieg von Clinton keineswegs sicher. Und bei den Republikanern sah Mitt Romney, langjähriger Gouverneur von Massachusetts, seinen einst komfortablen Vorsprung gegenüber Mike Huckabee nahezu täglich dahin schmelzen. Nun ist völlig offen, wer beim Caucus in Iowa am Ende die Nase vorn haben wird. Ein offenbar großes Bedürfnis der Wähler nach Wechsel und Neuanfang wird auch aus den Umfragen aus New Hampshire deutlich, wo nur fünf Tage nach Iowa, am 8. Januar, gewählt wird. Auch dort ist der Foto: dpa MARKUS ZIENER | DES MOINES Baut vor allem auf ihre langjährige politische Erfahrung: Hillary Clinton. nau in die falsche Richtung führen. Nach einer Gallup-Umfrage schätzen die Wähler zwar die Erfahrung noch mehr aber wünschen sie eine grundsätzliche Neuausrichtung der Politik. Doch gerade dafür steht Hillary Clinton nicht. Sie argumentiert indes umgekehrt – und mehr noch nach dem Attentat auf Pakistans ExPremier Benazir Bhutto –, dass es in solchen Situationen auf langjährige politische Kenntnis im Umgang mit Krisen ankomme. Ihre Gegner stellen wiederum in Frage, ob Hillary denn überhaupt aus ihren Fehlern während ihrer Zeit im Weißen Haus und als New Yorker Senatorin gelernt habe. „Das wirkliche Glücksspiel liegt darin, die selben Leute die selben Dinge wie früher tun zu lassen und dabei auf einen anderen Ausgang zu hoffen“, sagte Obama in Anspielung auf Bill Clinton. „Das können wir uns nicht leisten.“ Der Ex-Präsident hatte zuvor eine ähnliche Analogie benutzt: Obama zu wählen käme einem Würfelspiel gleich, deutete er in einem Interview im Dezember an. Allerdings steht Obama auch als „Wechselkandidat“ nicht alleine. Er muss sich von John Edwards vorhalten lassen, bei der Auswahl seiner Spender zu großzügig zu sein und auch Geld von Lobbyisten anzunehmen. Ein Vorwurf, den Obama postwendend zurückwies. Die aggressive und populistische Rhetorik von Edwards zeigt indes vor allem eines: Für den einstigen Posten für das Amt des Vize-Präsidenten unter John Kerry geht es in Iowa beinahe schon um alles oder nichts. Verliert Edwards in dem Farmstaat gegen Hillary und Obama, dann dürfte es mit seinen Präsidentschaftsambitionen schon bald vorbei sein. Denn in nahezu allen anderen Primary-Staaten, wie South Carolina, Nevada, Florida, Michigan oder Kalifornien, rangiert Edwards bei Umfragen zumeist mit deutlichem Abstand auf dem dritten Rang. Ein umfangreiches Special zur Wahl in den USA finden Sie unter: handelsblatt.com/us-wahl Reger Warenverkehr Handelsströme 708 72 314 72 247 Europa Exportvolumen 2006 4963 Mrd. US$ 430 279 148 14,2% 80 120 % 103 Exportvolumen 2006 646 Mrd. US$ Exportvolumen 2006 363 Mrd. US$ 107 Anteil der Regionen am Weltexport 2006 in Prozent* 604 Naher Osten Afrika 135 (Angaben ab 70 Mrd. US$) 3,6% 129 86 Handelsströme 2006, in Mrd. US$ Exportvolumen 2006 427 Mrd. US$ 142 42,1% Nordamerika Exportvolumen 2006 1678 Mrd. US$ GUS 366 5,5% Asien 111 340 3,1% Exportvolumen 2006 3278 Mrd. US$ 27,4% Südamerika Exportvolumen 2006 430 Mrd. US$ 72 73 3,6% Handelsblatt | *Differenz zu 100% durch Rundungen; Quelle: WTO Venezuela beginnt neues Jahr mit Währungsreform Venezuela reformiert seine Währung. Auf Anordnung von Präsident Hugo Chávez wurden drei Nullen gestrichen, und aus dem bisherigen Bolivar wurde der Bolivar Fuerte („Starker Bolivar“, BsF). Der offizielle Kurs liegt bei 2,15 BsF für einen US-Dollar. Offen ist, ob der Starke Bolivar seinem Namen gerecht wird und die hohe Inflation des Jahres 2007 von 20 Prozent eindämmen kann. | ap Uno und Afrikanische Union starten Darfur-Mission Mit der Übergabe der Befehlsgewalt hat zum Jahreswechsel die gemeinsame Friedensmission der Uno und der Afrikanischen Union (AU) in der sudanesischen Krisenregion Darfur begonnen. Nach Angaben der Vereinten Nationen dürfte es aber noch Monate dauern, bis die Friedenstruppe Unamid, die die bisherigen AU-Kontingente ablöst, ihre geplante Stärke von 26 000 Mann erreicht. | ap Peking erteilt Demokratie in Hongkong eine Absage China will Hongkong vorerst noch keine Demokratie erlauben. Der Volkskongress in Peking erteilte den Forderungen in der britischen Ex-Kronkolonie nach freien Wahlen schon 2012 eine Absage. Allerdings „könnte“ 2017 zumindest der Regierungschef der chinesischen Sonderverwaltungsregion und eventuell 2020 auch das Parlament frei gewählt werden. | dpa Geiselübergabe in Kolumbien gescheitert Foto: Hubertus Blume drohen zu platzen: Die Weltbank kalkulierte seinerzeit üppige Milliardengewinne für große Exportnationen wie Deutschland. Ein Doha-Deal sollte aber auch die Entwicklungsländer fester in die Globalisierung einbinden. Und die Welthandelsrunde sollte nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die internationale Gemeinschaft fester zusammenrücken lassen. Kommt jetzt das Aus für die Handelsrunde, könnte dies auch die weltweiten Stagnations- und Rezessionsängste weiter anfachen. Und ein Scheitern der Runde könnte die WTO als Instanz demolieren: Sie würde ihre mühsam erworbene Glaubwürdigkeit als globales Forum für Verhandlungen verlieren. Schon heute gehen die Handelsmächte mehr und mehr den bilateralen Weg. Zwei oder mehrere Partner schließen einen Pakt über ausgewählte Bereiche ab. Vor allem die USA suchen gezielt diese Vereinbarungen. Die WTO verzeichnet bereits mehr als 360 bilaterale Abkommen. „Für die Unternehmen ist der bilaterale Weg nicht der beste Weg“, warnt allerdings die Internationale Handelskammer: „Statt mit einem großen WTO-Abkommen müssen sich die Firmen mit einer unübersichtlichen Zahl von Einzelabkommen herumschlagen.“ Die Inflation der bilateralen Vereinbarungen ist eine direkte Konse- JAN DIRK HERBERMANN | GENF Die Euro-Zone umfasst seit gestern 15 Länder. Zum Jahresbeginn führten auch die beiden Mittelmeerinseln Malta und Zypern die europäische Gemeinschaftswährung ein. Aus einem Zypern-Pfund werden 1,71 Euro und aus einer Maltesischen Lira 2,33 Euro. | dpa Containerverladung im Hamburger Hafen: Der weltweite Handel hat seit der Gatt-Gründung stark zugelegt. Die von kolumbianischen Farc-Rebellen angekündigte Freilassung von drei seit Jahren festgehaltenen Geiseln ist offenbar gescheitert. Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe habe die Militärbewegungen in der Übergaberegion intensiviert, teilte die Farc mit. | Reuters