SO NAH UND SO WEIT

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SO NAH UND SO WEIT
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Freitag, 21. Dezember 2012 Nr. 297
Bücher Magazin
Blumenpracht von Makoto Azuma und Shunsuke Shiinoki (oben links). USA-Impressionen von Horst Hamann (oben).
Das moderne Tierleben zeigt Pentti Sammallahti (unten) und die Unwirtlichkeit der Städte Thomas Struth.
FOTOKUNST
Horst Hamann
Eines der erfolgreichsten Fotobücher überhaupt hat
Horst Hamann produziert: Für „New York Vertical“
drehte er in den 1990er Jahren seine Panoramakamera um 90 Grad und fotografierte die Metropole in extremen Hochformaten. Nun ist mit „America“ der
Nachfolger erschienen. Dafür hat sich Hamann mit
den gesamten USA beschäftigt. Vor allem aber hat er
seine Kamera wieder auf „Normalposition“ gebracht. Entstanden ist dabei eine Art fotografischer
Roadtrip im extremen Breitwandformat. Hamanns
Bildern fehlt das feine Gespür Sammallahtis und das
gesellschaftliche Interesse Struths, weshalb einige
Aufnahmen wie für einen Reiseprospekt fotografiert
aussehen. Bei anderen blitzt Ironie auf – beispielsweise, wenn die Motorrad-Reisegruppe am Aussichtspunkt im Glacier Nationalpark in die Tiefe
schaut wie eine Trauergemeinde am offenen Grab.
Alles in allem ist „America“ vor allem eine Kaufempfehlung für USA-Liebhaber.
Die Bücher
SO NAH UND SO WEIT
Fotografen mit Ironie und feinem Gespür
Thomas Struth:
„Unconscious Places“,
Schirmer/Mosel,
264 Seiten, 228 Tafeln,
88 Euro.
Horst Hamann:
„America“, Edition
Panorama, 160 S.,
70 Fotografien, 68 Euro.
Makoto Azuma, Shunsuke
Shiinoki: „Encyclopedia of
Flowers“, Lars Müller
Publishers, 512 Seiten,
203 Fotografien, 58 Euro.
A
Penti Sammallahti
Häufig spielen Tiere bei Sammallahti eine große
Rolle. Hunde und Katzen, Schafe und Pferde,
Schwäne und Krähen bevölkern seine Bilder, kommunizieren miteinander oder werden von Sammallahti dabei beobachtet, wie sie andere beobachten:
Ein Hundewelpe schläft auf einer Kuh, ein Dalmatiner buddelt in der Erde neben einer Birke, eine einsame Möwe in der Bildmitte wird von einer riesigen
Herde Seelöwen umzingelt und ein Hund thront stolz
auf einem Schnee-Motorrad und wird von seinen
Artgenossen dafür angebellt. Die Tiere sind bei Sammallahti liebevolle Metaphern für den Menschen mit
all seinen Fehlern, Eitelkeiten und Absurditäten.
Thomas Struth
In den Straßen- und Stadtansichten von Thomas
Struth kommen Tiere nicht vor, und auch Menschen
sind darin bloß Randerscheinungen. Dennoch schafft
Struth mit seinen Ansichten Porträts von Orten. Seit
mittlerweile 35 Jahren ist er dafür auf der ganzen
Welt unterwegs. In „Unconscious Places“ werden
nun erstmals Arbeiten dieser umfangreichen Werkgruppe versammelt. Sie zeigen frühe Fotografien aus
Düsseldorf und New York, für die er sich mitten auf
die Straße gestellt hat und aus dieser Zentralperspektive heraus die Architektur wie bedrückende Großstadtschluchten wirken, aber auch Übersichten aus
Südkorea und Japan sowie Einzelaufnahmen von Gebäuden in all ihrer Trostlosigkeit. In diesen „unbewussten Orten“ thematisiert er die Wechselwirkung
zwischen dem städtischen Raum und dessen Bewohnern und Nutzern, also den Menschen, ohne diese in
der Regel darzustellen. Diese Bilder gehören, gemeinsam mit Struths zweitem Langzeitprojekt, den
Familienporträts, zu seinen stärksten Arbeiten.
BILDER: AUS DEN BÄNDEN/HORST HAMANN UND EDITION PANORAMA
Pentti Sammallahti:
„hier weit entfernt“,
Kehrer, 256 S., 150 Fotos,
55 Euro.
ngeblich hat der Besuch der legendären Fotoausstellung „The Family of Man“ im Jahr
1959 den damals neunjährigen Pentti Sammallahti darin bekräftigt, Fotograf zu werden. Zwei
Jahre später richtete er seine Kamera dann tatsächlich auf sein Umfeld, und heute zählt der Mitbegründer der international beachteten Helsinki School zu
den wichtigsten Fotografen seines Landes. 1991 erhielt er als Dank vom finnischen Staat ein 15-jähriges Stipendium, das dem Flaneur ermöglichte, sein
nomadisches Leben fortzuführen und weiter um die
Welt zu reisen. Im Kehrer-Verlag ist nun „Hier weit
entfernt“ erschienen, das Schwarz-Weiß-Arbeiten
aus fünf Jahrzehnten versammelt und sein großartiges Gespür für Bildgestaltung und das Besondere im
Alltäglichen, seinen subtilen Humor und seine humanistische Grundeinstellung verdeutlicht.
Makoto Azuma und Shunsuke Shiinoki
Nicht nur an Liebhaber richtet sich „Encyclopedia of
Flowers“ – auch wenn der Titel dies vermuten lässt.
Makoto Azuma hat ungewöhnliche, oft exotische
Pflanzen, die in der Natur nie aufeinandertreffen
würden, zu opulenten Blumenarrangements zusammengestellt. Und Shunsuke Shiinoki hat sie im
wahrsten Sinne des Wortes ins rechte (Seiten)licht
gerückt, so dass sie wie auf barocken Gemälden vor
tiefschwarzem Hintergrund zu leuchten scheinen
und der Betrachter überwältigt wird von der fast unwirklichen Farbenpracht und Schönheit. Die Bilder
sind extrem sorgfältig komponiert, aber da sich am
Ende noch ein Index mit allen über 2000 dargestellten Pflanzen anschließt, kann man hier tatsächlich
von einer Enzyklopädie in Form eines Fotobuchs
sprechen. Ein ganz außergewöhnliches Werk jenseits
von Ikebana und Fertigsträußen.
Damian Zimmermann
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