Kulturzentrum statt Restaurant
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Kulturzentrum statt Restaurant
13 Tages-Anzeiger – Mittwoch, 17. März 2010 Sprachkünstlerin Vera Bauer aus Oberrieden fesselt mit ihrer Zitatensammlung die Zuhörer bis zum letzten Wort. 20 Zürich & Linkes Seeufer Redaktion Tages-Anzeiger, Seestrasse 124, 8810 Horgen Tel: 044 783 85 00, [email protected], Inserate Tel: 044 783 85 10 Richter rüffelt «Kommissar SVP» Kulturzentrum statt Restaurant Ein Strafrechtler hält es für eine «gefährliche Entwicklung», dass die SVP im Internet nach Einbrechern fahndet. Von Patrick Kühnis Zürich – Die Zürcher SVP ist auf Verbrecherjagd. Auf www.schurken.ch stellte sie die Filme eines versuchten Einbruchs auf ein Goldschmiedgeschäft ins Internet und fragte: «Erkennen Sie diese jungen Männer?» Einer der Täter ist in Nahaufnahme zu sehen. Sachdienliche Hinweise seien an die Notrufnummer 117 oder an jede andere Polizeidienststelle zu richten (TA von gestern). «Kommissar SVP» erlaubte sich damit etwas, was für die Polizei tabu ist. Diese darf aus Rücksicht auf verfassungsmässige Persönlichkeitsrechte nur Täterfotos veröffentlichen, wenn es um ein schweres Verbrechen geht: Raubüberfälle, schwere Körperverletzung, Mord. Im Februar suchte die Kantonspolizei erstmals mithilfe des Internets nach einem Hooligan. Zulässig war das nur, weil der 23-Jährige mit seiner Petarde nach Ansicht des Staatsanwalts auch Leben gefährdete (siehe Kasten). Die SVP schert das wenig. Mithilfe des Internet-Prangers will sie auch weniger schwere Delikte rasch aufklären. «Der Schutz des Eigentums ist von derart eminenter Bedeutung, dass die Bestrafung von Einbrechern, Dieben und Räubern keinen Aufschub erträgt», rechtfertigt Kantonsrat Claudio Zanetti seine Aktion. Auch der betroffene Goldschmied Andreas Schneebeli sagt: «Ich verstehe nicht, dass erst ein Mensch halbtot geschlagen werden muss, bis die Polizei Täterfotos ins Netz stellt.» Ganz anderer Meinung ist der St. Galler Kantonsrichter Niklaus Oberholzer: «Wenn jetzt selbsternannte Strafverfolger mithilfe des Internets nach Dieben und Einbrechern suchen, ist das eine gefährliche Entwicklung.» Nur schon, weil der Schuss nach hinten losgehen könne, wenn Private die Polizeiarbeit stören: Werde gegen eine ganze Bande ermittelt, sei es kontraproduktiv, wenn zwei Handlanger zu früh auffliegen. Ab 2011 beginnt in Zürich eine neue Ära in der Internetfahndung. Mit dem neuen nationalen Strafprozessrecht gelten die gleichen Spielregeln wie in den Kantonen, die heute schon mit diesem Instrument viel weiter gehen. Vorreiter waren die Kantone Luzern, St. Gallen und Bern, die letztes Jahr gleich dutzendfach Bilder von Hooligans ins Netz stellten. Mit Erfolg: Die Polizei konnte so einen Grossteil der Randalierer dingfest machen. Nur einen Tag dauerte es nach der Veröffentlichung eines Überwachungsvideos, bis die Thurgauer Untersuchungsbehörde im Mai 2009 drei jugendliche Kreuzlinger Schläger verhaftete. Erlaubt ist der Internet-Pranger aber auch weiterhin nur, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Es muss sich um ein schweres Delikt handeln. 2. Mildere Mittel müssen erfolglos ausgeschöpft sein. 3. Die Fahndungsbilder dürfen nur so zahlreich und so lange wie nötig im Netz abrufbar sein. «Pranger war ‹heilig› dagegen» Das Wettrüsten der Kantone bei der Internetfahndung beobachtet Niklaus Oberholzer mit Sorge. «Noch vor zwei Jahren war das für mich unvorstellbar.» Die Strafverfolgung überschritten eine heikle Grenze, wenn sie reihenweise Hooligans ins Netz stellten. «Der Pranger im Mittelalter war ‹heilig› dagegen.» Damals dauerte die Bestrafung nur sieben, acht Stunden, und ausserhalb der Stadt bekam das niemand mit. Im Internet werde dagegen ein Bild oder Video global zugänglich gemacht – und bleibe für immer verfügbar. Das Gefährliche sei, dass es vom subjektiven Empfinden jedes Einzelnen abhänge, wer an den Pranger gehört und wer nicht. «Jeder fühlt sich im Recht, denjenigen zu belangen, der ihm nicht in den Kram passt.» Kommentar Seite 2 Hooligan seit gestern nicht mehr in Untersuchungshaft Der 23-jährige Schweizer, der beim Spiel FC Zürich gegen FC Basel vom 17. Mai 2009 im Letzigrundstadion Leuchtpetarden gezündet und eine Frau im Nierenbereich verletzt hatte, ist seit Dienstagabend nicht mehr in Untersuchungshaft. Der Basel-Fan konnte am 15. Februar 2010 – sechs Tage nachdem die Kantonspolizei Zürich sein Bild im Internet veröffentlicht hatte – im Kanton St. Gallen verhaftet werden. Zuvor hatte die Polizei während neun Monaten erfolglos nach ihm gesucht. Laut Staatsanwalt Michael Scherrer hat der Mann ein umfassendes Geständnis abgelegt und zugegeben, mehrere Leuchtpetarden gezündet zu haben. Der Hooligan muss sich nun wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Gefährdung des Lebens verantworten. (hoh) Kleine Schurken wurden für ein paar Stunden zur Schau gestellt Früher kam man auch für kleine Vergehen an den Pranger Der im 13. Jahrhundert eingeführte Pranger war eine häufige Strafe für kleine Vergehen. An den Pranger gestellt wurden etwa Frauen, die aufreizende Kleidung trugen, oder Bäcker, die zu kleine Brötchen buken. Bestraft wurde auch, wer beim Kartenspiel schummelte oder gotteslästerliche Flüche ausstiess, wer randalierte oder sich «vilefeltig zu starch des Vollsufens» schuldig machte, wie es etwa im Urteil gegen einen Wiler Bürger hiess (1662). Ursprünglich war der Pran- ger auch mit Körperstrafen verbunden, später trat die Schande in den Vordergrund. Die Verurteilten wurden für ein paar Stunden öffentlich an einen Pfahl gebunden oder in einen Holzblock oder einen Käfig gesperrt – den Mitmenschen zur Abschreckung und zur Zielscheibe. Die Angeprangerten wurden nicht nur verspottet, sondern auch mit Obst oder Dreck beschmissen. Diese Form von Pranger verschwand in den meisten Regionen während der Aufklärung. (net) Aus dem ehemaligen Restaurant «Gontenbach» soll ein Kulturhaus werden. Eröffnet wird es im Herbst. Von Marco Morosoli Langnau – Im Restaurant «Gontenbach» wird seit zwei Jahren nicht mehr gewirtet. Jetzt soll im Gebäude zwischen Langnau und Adliswil wieder Leben einkehren. «Wir planen dort ein Kulturhaus», sagt Monika Maria Leithner, Sprecherin der Initianten. Mit dem Eigentümer der Liegenschaft wurden schon Gespräche geführt. «Er ist einer solchen Nutzung gegenüber nicht abgeneigt», sagt die Mosaikkünstlerin Leithner. Noch sei aber der Mietvertrag nicht in trockenen Tüchern. Um eine möglichst breite Unterstützung zu erlangen, organisieren die treibenden Kräfte hinter dem Projekt vom 10. bis zum 24. April in der Kunstschule Sihlau in Adliswil Aktionstage. «Das Programm steht schon fast. Es soll eine Kostprobe sein, was im ‹Gontenbach› entstehen könnte», sagt Leithner. Gleichzeitig sollen bei der Ausstellung auch Mitglieder für den Trägerverein geworben werden. Dieser soll noch im Sommer gegründet werden und möglichst breit abgestützt sein. Der Betriebsstart ist für Herbst geplant. Leithner schwebt im Gontenbach «eine kulturelle Brücke» zwischen Langnau und Adliswil vor. Politische Schützenhilfe hat sich das Initiativkomitee rund um Monika Leithner auch schon gesichert. Der neue Langnauer Gemeinderat Rolf Schatz (Grünliberale) macht sich für das Projekt stark. Auch aus Adliswil erhofft sich Leithner nicht nur ideelle Unterstützung. Giftgas-Kugeln an Hobbygärtner verkauft Zürich/Meilen – Der schwarze Totenkopf und die Warnung «sehr giftig» lassen eigentlich keine Fragen offen: Sie zieren gefährliche Substanzen wie Arsen, die nur an Fachleute verkauft werden dürfen. Trotzdem ist offenbar wiederholt ein solch hochtoxischer Stoff in die falschen Hände geraten: ein Mäusegift. Deshalb hat das kantonale Labor jetzt Alarm geschlagen. Wer ein Produkt mit dem Namen Polytanol, Mauskiller U2 oder Kobra Wühlmaus-Pellets zu Hause habe, solle es sofort an den Verkäufer oder eine kantonale Sonderabfall-Sammelstelle zurückbringen, hiess es gestern in einer Mitteilung. Auf keinen Fall solle man die Packungen öffnen, denn es genüge schon eine erhöhte Luftfeuchtigkeit, und das in den Kugeln enthaltene Giftgas Phosphin werde freigesetzt. Zwei Vorfälle in kurzer Folge Am Blockpranger in England um 1800 – eine Szene, wie sie etwa der Autor Daniel Defoe 1703 wegen seiner Satiren am eigenen Leib erfuhr. Foto: Keystone Zürcher Regierung zu Besuch in Brüssel Sport im Landesmuseum Brüssel – Regierungsrätin Regine Aeppli, Justizdirektor Markus Notter (beide SP) und Polizeidirektor Hans Hollenstein (CVP) haben der EU in Brüsel vorgestern und gestern einen Besuch abgestattet. Sie liessen sich von Vertretern der EU-Institutionen über den aktuellen Stand der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU informieren. Aeppli forderte vor der Presse zum Abschluss des Besuchs einen «Diskurs in der Schweiz über die künftige EU-Politik». Der Besuch sei «intensiv und aufschlussreich» gewesen. Gedanken zum Verhältnis Schweiz-EU mache sich die Zürcher Kantonsregierung immer wieder. (SDA) Geschichte dreht sich allzu oft um «Blut, Schweiss und Tränen», wie Winston Churchill einst formulierte. Das Landesmuseum in Zürich lässt nun das Blut weg und widmet sich allein «Schweiss und Tränen» – nämlich Roger Federer. In der neuen Dauerausstellung «Geschichte Schweiz» steht bis am 14. Mai der Pokal, den unser TennisChampion Ende Januar am Australian Open erspielt hat. Federers Geschoss ist unbestritten so treffsicher wie Tells. Doch reicht das, um ins Museum zu kommen? Wo übrigens Tell nur noch als Mythos figuriert. Die Kuratorinnen und Kuratoren des Landesmuseums einigen Federers Kelch statt Tells Geschoss Roger Federers Gran-Slam-Pokal als Ausstellungsstück. Foto: Landesmuseum sich jeweils auf ein «Objekt des Monats», das in der Öffentlichkeit zu reden gibt, und stellen dieses in einer Wechselvitrine aus. Sie wollen damit verständlich machen, wie eine museale Sammlung zustande kommt. Denn was heute aktuell ist, ist morgen schon Geschichte. Die letzten Objekte des Monats waren ein Kampfjet-Modell und das Grippemittel «Tamiflu». Normalerweise werden diese Ausstellungsstücke danach der Sammlung einverleibt. Den Pokal aber, den Federers Vater vorbeigebracht hat, muss das Landesmuseum wieder zurückgeben. Wir schlagen als Ersatzobjekt Simis Olympia-Brille vor. (net) Genau das ist im Februar mindestens zweimal passiert: Erst in einem Restaurant im Kanton Schwyz, das wegen der giftigen Dämpfe evakuiert werden musste. Kurz darauf auch in Meilen, wo acht Feuerwehrleute mit Vergiftungserscheinungen ins Spital eingeliefert werden mussten. Zwar sind jetzt alle Betroffenen ausser Gefahr, der Kantonschemiker will weitere Vorfälle aber auf jeden Fall verhindern: «Die selbe Dosis, die für einen Erwachsenen verkraftbar ist, könnte für ein Kind fatal sein», warnt Martin Brunner. Wie viel des Stoffes in Umlauf gelangt ist, ist nicht bekannt. Der gestrige Aufruf des Kantonslabors entlastet ein Stück weit jene Laien, die mit dem Gift hantiert hatten und so ins Visier der Polizei geraten waren. Denn zwar wird noch untersucht, wer für die Vorfälle verantwortlich ist, aber die Fehlerkette nahm ihren Ursprung offenbar früher: Weder hätten die Zulieferer bestimmte Verkäufer beliefern sollen, erklärt Brunner, noch hätten diese die Ware an normale Kunden weitergeben dürfen. Eines der Produkte sei zudem irrtümlich bloss als «giftig» gekennzeichnet gewesen. (hub)