Agrarpolitik im Dauerkonflikt mit Prinzipien der Sozialen
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Agrarpolitik im Dauerkonflikt mit Prinzipien der Sozialen
ordo.doc Agrarpolitik unverändert im Konflikt mit Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft Ulrich Koester I. Einleitung Die Entwicklung des Agrarsektors in der Bundesrepublik Deutschland wird durch eine Vielzahl von staatlichen Eingriffen geregelt. Im ersten Teil des Beitrages wird daher zunächst eine Bestandsaufnahme präsentiert. Die wichtigsten staatlichen Eingriffe auf den Produkt- und Faktormärkten werden aus ordnungspolitischer und allokationstheoretischer Sicht untersucht. Der Befund wird zu dem Ergebnis führen, daß sich die gegenwärtige Ausprägung der Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland nur wenig an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und den integrationspolitischen Zielsetzungen der EU orientiert. Natürlich haben Ökonomen seit Bestehen der ‘Sozialen Marktwirtschaft’ immer wieder darauf hingewiesen, daß die Agrarpolitik weitgehend ein ordnungspolitischer Fremdkörper ist; an entsprechenden Ratschlägen zur Einordnung der Agrarpolitik in das allgemeine Wirtschaftsordnungssystem hat es nicht gefehlt. Im zweiten Abschnitt des Beitrages wird daher mit Hilfe eines politökonomischen Ansatzes erklärt, warum die Agrarpolitik so ist, wie sie ist. Die Entwicklung der Agrarpolitik in den letzten fünfzig Jahren kann als Paradebeispiel für die Pfadabhängigkeiten einzelner Politiken dienen. Es kann gezeigt werden, daß in der Vergangenheit zu bestimmten Zeitpunkten grundlegende Weichen, d.h. politische Grundsatzentscheidungen, falsch gestellt worden sind, die eine Abkehr von den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht nur zum Zeitpunkt der Entscheidung, sondern auch verstärkend in seiner Entwicklung bewirkt haben. Im dritten Teil des Artikels wird erörtert, warum die Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts zu einer Änderung der Agrarpolitik führen müssen. Selbstverständlich ist es nicht möglich zu prognostizieren, in welche Richtung sich die Agrarpolitik entwickeln wird. Denkbar ist eine Weiterentwicklung auf dem Weg zur Knechtschaft (von Hayek 1971), aber auch eine Einordnung der Agrarpolitik in das System der ‘Sozialen Marktwirtschaft’. 1 Im letzten Abschnitt des Beitrages wird insbesondere diesem letzten Aspekt eine größere Bedeutung beigemessen. Es wird aufgezeigt, wie man die deutsche und europäische Agrarpolitik in das System der Sozialen Marktwirtschaft überführen könnte. II. Eine Bestandsaufnahme des agrarpolitischen Dirigismus im Jahre 1997 Die Ausgestaltung der Agrarpolitik hat sich im Zeitablauf gewandelt. Eine Bestandsaufnahme ist daher nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, quasi als Inventur, möglich. Der gegenwärtige Zeitpunkt scheint für eine solche Bestandsaufnahme angemessen zu sein. Unten wird gezeigt, daß die Regelungsintensität auf den Agrarmärkten im Zeitablauf zugenommen hat, in den nächsten Jahren aber grundlegende Entscheidungen entweder zu zunehmender oder abnehmender Regelungsintensität zu erwarten sind. 1. Staatliche Eingriffe auf landwirtschaftlichen Produktmärkten Über 90% des landwirtschaftlichen Produktionswertes wird auf Märkten verkauft, die durch sogenannte „Marktordnungen“ geregelt sind. Das Wort „Marktordnung“ ist allerdings irreführend. Hier werden nicht Märkte geordnet. Es wird versucht, über ein bestimmtes produktmarktspezifisches Instrumentarium die Einkommen der Produzenten über das Niveau, das sich bei freier Preisbildung ergeben würde, anzuheben. Mit Hilfe der Marktordnungen soll somit Einkommenspolitik für die Beschäftigten in einem bestimmten Sektor, der Landwirtschaft, verwirklicht werden. Allein diese Zielsetzung widerspricht ordnungspolitischen Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland. Einkommenspolitik ist zum einen begrenzt Aufgabe des Staates im Rahmen der Sozialpolitik und zum anderen Aufgabe der Arbeitgeber und -nehmer im Rahmen der Tarifpolitik. Der Staat ist im System der Sozialen Marktwirtschaft grundsätzlich nicht für die Einkommensentwicklung von selbständig Beschäftigten verantwortlich. Die landwirtschaftlichen Marktordnungen erlauben dagegen dem Staat, eine solche Politik zu betreiben. Das Ausmaß staatlicher Eingriffe kann mit Hilfe der ‘Producer Subsidy Equivalents’ aufgezeigt werden (siehe Übersicht 1). Hiermit wird ausgedrückt, um welchen Betrag 2 die Einkommen der Landwirte als Folge staatlicher Maßnahmen höher sind, als sie bei Weltmarktpreisen wären. Im Jahr 1995 waren demnach die Einkommen der Landwirte in der EU als Folge staatlicher Eingriffe um knapp 50 Prozent höher als ohne staatliche Eingriffe. Allerdings wird hierbei unterstellt, daß die gesamten staatlichen Maßnahmen zugunsten der Landwirtschaft auch tatsächlich bei den Landwirten einkommenswirksam sind. Es wird also eine 100%ige Inzidenz unterstellt. Übersicht 1: Producer und Consumer Subsidy Equivalents - Europäische Union Preisstützung % direkte Zahlungen weitere Subventionen1 % % CSE % PSE 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 1986-88 1995a 1996 b 1986-88 1995 a 0 1996 b Das %CSE ist ein Maß für die implizite Besteuerung der Konsumenten. 1 = Die Preisstützung ist bereinigt um Zölle und Abgaben. a = geschätzt b = vorläufig Quelle: OECD Sekretariat, 1997; Agricultural Policies in OECD Countries. Monitoring and Evaluation 1997. OECD, Paris 1997. Ein wesentliches Merkmal der Marktordnungen ist ein Außenhandelsschutz. Dadurch ist es möglich, die Inlandspreise über das Niveau der Weltmarktpreise anzuheben. Besonders nachteilig ist, daß der Außenhandelsschutz sich nicht einfach auf Wertzölle beschränkt und damit die ausländischen Preisrelationen auf die inländischen Preisrelationen überträgt. Statt dessen gibt es für einzelne Produkte unterschiedliche Regelungen; selbst für ein bestimmtes Produkt können die Zölle je nach Lieferland und 3 Lieferweg unterschiedlich sein. So gibt es z.B. für die Einfuhren von Getreide in unverarbeiteter Form in die Europäische Union 165 unterschiedliche Zollsätze. Es ist demnach ein umfangreiches staatliches System zur Implementierung und Kontrolle der Regelungen notwendig. Ordnungspolitisch sind solche Außenhandelsmaßnahmen negativ zu bewerten, weil dadurch die Koordinierung zwischen den individuellen Aktivitäten der einzelnen Wirtschaftseinheiten im Inland verzerrt wird. Es gilt dann nicht mehr, daß jeder Einzelne für die Folgen seines Tuns allein verantwortlich ist und demnach andere durch Aktivitäten Einzelner weder bevorteilt noch benachteiligt werden. Die Außenhandelsregelungen auf den Agrarmärkten führen dazu, daß jeder Konsument eines protektionierten Produktes indirekt besteuert wird. Seine marginale Zahlungsbereitschaft, gemessen am Marktpreis, ist höher als der gesamtwirtschaftliche Schattenpreis. Zu diesem Preis kann die Gesellschaft Produkte importieren oder exportieren. Ebenso gilt, daß für Produzenten aufgrund der Außenhandelsregelungen falsche Signale gesetzt werden. Die private Wirtschaftlichkeit von Produktionsaktivitäten ist aufgrund der gestützten Preise höher als die gesamtwirtschaftliche Wirtschaftlichkeit. Der Koordinationsmechanismus in der Volkswirtschaft, der dazu führen soll, daß die individuellen Entscheidungen so koordiniert werden, daß in der Gesellschaft mit den gegebenen Faktoren ein maximales Sozialprodukt produziert wird, wird demnach geschwächt. Die EU-Agrarpolitik war aufgrund der Vereinbarungen im GATT während der letzten Verhandlungsrunde gezwungen, die Außenhandelsregelungen zu lockern. So ist z.B. vereinbart worden, daß unabhängig von der Versorgungslage im Inland ein Mindestmarktzugang zugelassen werden muß. Dies hat zu der Situation geführt, daß die EU selbst auf den Märkten, auf denen sie ein Nettoexporteur von Agrarprodukten ist, Einfuhren zulassen muß. Bezüglich der subventionierten Exportmengen, die notwendig werden, wenn die Inlandspreise über den Weltmarktpreisen liegen, wurde in der letzten GATT-Runde eine Obergrenze für einzelne Produktgruppen vereinbart. So gibt es z.B. für Milch und Milchprodukte vier Produktgruppen und für Getreide zwei (Weizen und Weizenmehl einerseits und Futtergetreide andererseits). Daraus folgt, daß die EUAgrarmarktpolitik in einer Situation, wo die Inlandspreise über den Weltmarktpreisen liegen, so auszurichten ist, daß für einzelne Produktgruppen eine Identität zwischen Inlandsproduktion einerseits und dem Inlandsverbrauch abzüglich Mindestmarktzugang 4 und zuzüglich der maximal erlaubten subventionierten Exportmengen andererseits bestehen muß. Dies hat u.a. zu einer weiteren Differenzierung des bisher eingesetzten Instrumentariums geführt und die Regelungsintensität weiter erhöht. Die wichtigsten Elemente der Marktordnungen, die auf die Regelung der Inlandsmärkte ausgerichtet sind, sind Produktionsquoten für Milch und Zucker sowie sogenannte Preisausgleichszahlungen für Ackerbauprodukte und Rindfleischproduktion. Landwirte, die Milch oder Zuckerrüben produzieren wollen, benötigen ein Produktionsrecht, die sogenannte Quote. Diese Produktionsrechte sind entweder den Landwirten direkt zugewiesen oder aber auch den Unternehmern, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiten, wie z.B. den Zuckerfabriken. Es gibt für alle EU-Länder insgesamt eine Quote, die auf Mitgliedsländer und Regionen aufgeteilt ist. Regional sind die Quoten in der Regel relativ leicht handelbar, überregional jedoch nur mit großen Schwierigkeiten oder gar nicht. Die Beschränkung der Produktion durch Produktionsquoten ist natürlich nur notwendig, wenn die Inlandspreise über den Weltmarktpreisen liegen. Diese Maßnahmen sind daher als ergänzend zu den Außenhandelsmaßnahmen anzusehen. Mit dem System der Sozialen Marktwirtschaft sind Quotenregelungen nicht vereinbar. Hierdurch wird offensichtlich der Marktmechanismus, der über die Preise Produktionsanreize gibt, teilweise ausgeschaltet. Diese Instrumente tragen auch nicht dazu bei, positive soziale Wirkungen zu erzielen. Dies würde nur dann eintreten, wenn diejenigen, die Milch oder Zuckerrüben produzieren, aufgrund des Sozialstaatlichkeitsprinzips einen besonderen Schutz verdienen würden. Ein solcher Beweis läßt sich aber nicht erbringen. Im Gegenteil, die Produzenten von Zuckerrüben gehörten von jeher zu den wohlhabendsten Landwirten. Eine Einkommenserhöhung aus sozialen Gründen ist hier nicht zu vertreten. Produktionsquoten widersprechen auch der integrationspolitischen Zielsetzung der EU. Die Verwirklichung des Binnenmarktes (seit 1. Januar 1993) soll dazu beitragen, daß die Produktion an Standorte mit komparativen Kostenvorteilen wandert. Die zunehmende Arbeitsteilung in der Union soll zu Wohlstandssteigerungen in der Gemeinschaft führen. Eine Festlegung von Quoten auf nationaler und regionaler Ebene friert dagegen die Produktionsstrukturen ein und widerspricht damit der Zielsetzung der europäischen Integration. 5 Seit dem Wirtschaftsjahr 1993/94 wurde das agrarmarktpolitische Instrumentarium durch sogenannte Preisausgleichszahlungen erweitert. Seit dieser Zeit erhalten Landwirte, die Getreide, Ölsaaten oder Eiweißfrüchte produzieren, als Kompensation für Preissenkungen direkte Zahlungen aus der Staatskasse. Die Zahlungen sind an die Nutzung der Flächen mit den genannten Früchten gebunden. Es ist offensichtlich, daß diese Preisausgleichszahlungen sowohl marktwirtschaftlichen als auch sozialpolitischen Zielsetzungen widersprechen. Hiermit werden für den einzelnen Landwirt Anreize geschaffen, Produkte zu produzieren, die bei Marktpreisen nicht rentabel sind, die aber aufgrund der direkten Zahlungen für ihn betriebswirtschaftlich rentabel sein können. Der Staat schwächt hiermit den Koordinationsmechanismus des Marktes. Da diese Transferleistungen nicht zeitlich befristet sind, sondern vom Bundesminister Borchert als dauerhaft und verläßlich bezeichnet wurden, können sie auch nicht als Anpassungshilfen bezeichnet werden. Eine Anpassung an neue ökonomische Rahmenbedingungen, wie sie z.B. durch eine Rücknahme der Preisstützung erforderlich ist, mag eine begrenzte, aber nicht unendlich lange Zeit beanspruchen. Sozialpolitisch sind solche direkten Einkommensübertragungen nicht zu rechtfertigen, weil sie an keinem Merkmal der sozialen Bedürftigkeit ansetzen, sondern lediglich an der Flächennutzung. 2. Staatliche Eingriffe auf landwirtschaftlichen Faktormärkten. Die sogenannte Agrarreform von 1992 hat zu einer Zunahme der Regelungsintensität auf den landwirtschaftlichen Faktormärkten beigetragen. Die Bindung der direkten Einkommensübertragung an die Flächennutzung beinhaltet z.B., daß die Administration einzelbetriebliche Informationen über die Nutzung der Flächen benötigt und entsprechend auch die Flächennutzung kontrollieren muß. Hinzu kommt, daß mit der Agrarreform auch das Instrument der quasi-obligatorischen Flächenstillegung eingeführt wurde. Landwirte kommen nur dann in den Genuß von Preisausgleichszahlungen1, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz ihrer landwirtschaftlichen Flächen, die bisher mit den sogenannten großen Kulturen (Getreide, Ölsaaten und Eiweißfrüchte) bewirtschaftet wurden, stillegen. Für die stillgelegten Flächen zahlt der Staat eine Prämie, die im Durchschnitt der 6 landwirtschaftlichen Betriebe etwa dem durch die Stillegung entstehenden Einkommensverlust entsprechen soll. Auch die Wahl dieses Instrumentes widerspricht ordnungspolitischen und allokationstheoretischen Grundsätzen. Wird die Nutzung von Flächen durch staatliche Verordnung verringert, so impliziert dieses gleichzeitig, daß in den landwirtschaftlichen Betrieben auch weniger gearbeitet wird. Durch die Zahlung der Prämie wird aber trotz verringerter Arbeitsleistung das Einkommen tendenziell stabilisiert. Hier werden also nicht - wie in marktwirtschaftlichen Systemen - Einkommen durch Mehrleistung erzielt, sondern Einkommen durch weniger Leistung. Insgesamt wird die Gesellschaft durch das Instrument der Flächenstillegung nicht reicher, sondern ärmer. Durch Verordnung wird ein in der Volkswirtschaft vorhandener Produktionsfaktor landwirtschaftliche Nutzflächen - weniger eingesetzt als es möglich wäre. In der europäischen Agrarpolitik sind nicht nur die Grundprinzipien der Ordnungspolitik eines Systems der sozialen Marktwirtschaft verletzt, es wird auch gegen die Grundprinzipien der Ökonomie verstoßen. Auf den Faktormärkten wird auch durch Förderung landwirtschaftlicher Investitionen eingegriffen. Es gibt ein sogenanntes einzelbetriebliches Förderungsprogramm, das den Landwirten unter bestimmten Bedingungen erhebliche Zinsverbilligungen oder auch Zuschüsse gewährt. Ordnungspolitisch wäre gegen ein solches Programm nichts einzuwenden, wenn dadurch die Koordinierung durch den Markt verbessert werden würde. Dies würde aber nur dann eintreten, wenn die Wirtschaftlichkeit landwirtschaftlicher Investitionen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht höher wäre als aus privatwirtschaftlicher Sicht. Hierfür gibt es jedoch keinen Hinweis. Im Gegenteil, eine neuere Untersuchung zeigt (Striewe, Loy und Koester 1996), daß ein großer Teil der durch den Staat geförderten Investitionen zu einer Rendite führt, die selbst bei gestützten Marktpreisen bei der Mehrheit der Betriebe unter der Rendite liegt, die in anderen Sektoren erzielt wird. Ein beträchtlicher Teil der Betriebe (nach dieser Untersuchung sind dieses knapp 50%) erwirtschaftet sogar trotz der Zinsverbilligungen Eigenkapitalverluste. Auch hier gilt, daß der Staat sich anmaßt, Investitionsobjekte identifizieren zu können, die wirtschaftlich sind. In marktwirtschaftlichen Systemen wird eine solche Entscheidung bei der Produktion von privaten Gütern von den Privaten erwartet. Werden die identifizierten Investitionsobjekte durch Zinsverbilligungen 1 Eine Ausnahme gilt für die sogenannten Kleinerzeuger. 7 subventioniert, so erhalten die Privaten Anreize, Investitionen vorzunehmen, die sie unter anderen Bedingungen als nicht wirtschaftlich betrachtet hätten. Gesamtwirtschaftliche Fehlinvestitionen sind damit vorprogrammiert. Die Vielzahl der staatlichen Eingriffe auf den Agrarmärkten könnte möglicherweise in einer Übergangsphase berechtigt sein, wenn damit der Strukturwandel in der Landwirtschaft beschleunigt werden würde und längerfristig höhere Produktivitätsfortschritte erzielt werden könnten. Bei den gegenwärtigen Eingriffen sind diese Effekte jedoch nicht zu erwarten. Preisstützungen führen generell dazu, daß die Grenzanbieter länger in der Produktion bleiben können als es ihnen bei niedrigeren Preisen möglich wäre. Hinzu kommt, daß der landwirtschaftliche Strukturwandel ohnehin etwas langsamer verläuft als in der Mehrzahl der anderen Sektoren. In diesen können die effizienteren Betriebe in der Regel ihre Produktion stärker ausweiten, da keine sektorspezifischen Produktionsfaktoren, wie Boden in der Landwirtschaft, begrenzend wirken. Die Produktionsausweitung führt dazu, daß die Marktpreise unter Druck geraten und Grenzanbieter vom Markt verdrängen. In der Landwirtschaft sind jedoch die effizienteren Betriebe bei der Steigerung der Produktion durch begrenzten Zugang zum Produktionsfaktor Boden beschränkt. Wollen Betriebe ihre Anbaufläche erhöhen, sind sie darauf angewiesen, daß andere Betriebe Boden abgeben. Dies geschieht aber in der Landwirtschaft in der Regel nur dann, wenn Betriebe entweder im Generationswechsel aufgegeben oder aber über den Preisdruck aus dem Markt gedrängt werden. Die Preisstützungspolitik führt demnach dazu, daß das Ausscheiden von Betrieben verringert und damit der Strukturwandel gehemmt wird. III. Warum ist die Agrarpolitik wie sie ist? In diesem Abschnitt sollen zunächst ökonomische Rechtfertigungsversuche für eine erhöhte Regelungsintensität im Agrarsektor gegeben werden. Anschließend wird etwas detaillierter auf politökonomische Bestimmungsfaktoren eingegangen. 1. Ökonomische Rechtfertigungsversuche für eine erhöhte Regelungsintensität in der Agrarpolitik 8 Ob man im Agrarsektor eine erhöhte Regelungsintensität für notwendig erachtet, beinhaltet ein Werturteil. Als Norm könnte z.B. gelten: Die Notwendigkeit zur erhöhter Regelungsintensität wird anerkannt, wenn im Objektbereich der Agrarpolitik die Diskrepanz zwischen Wunschsituation (Zielsituation) und dem Ergebnis der Marktkräfte (Istsituation) größer ist als in anderen Sektoren , und ein für die Landwirtschaft spezifischer Mitteleinsatz erforderlich ist. Eine Konkretisierung dieser Norm setzt voraus, daß man die Zielsituation spezifiziert. Entsprechend den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft könnte als Zielsituation ein Marktergebnis angesehen werden, das zum einen zu einer Maximierung des Sozialproduktes bei gegebenem Faktoreinsatz in der Volkswirtschaft beiträgt, und zum anderen zu einer Einkommensverteilung führt, die als sozial akzeptabel betrachtet wird. So schreibt Günther Schmitt: „Vielmehr bedarf es staatlicher Eingriffe, um die nicht ausreichende Fähigkeit des Preis- und Marktmechanismus zur ‘vollständigen Integration’ der einzelwirtschaftlichen Aktivitäten in Richtung auf einen vollständigen Ausgleich der Faktorentgelte für gleiche Faktorbeiträge zu erreichen“ (Schmitt 1972, 339). In der Tat zeigten eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen, daß die Faktorentgelte bei vielen landwirtschaftlichen Betrieben niedriger sind als die Entgelte, die für den gleichen Faktoreinsatz entweder in anderen landwirtschaftlichen Betrieben oder auch in anderen Sektoren erzielt werden könnten. Die Faktorallokation ist damit im Hinblick auf die Zielsetzung ‘Maximierung des Sozialproduktes’ nicht optimal. Dennoch ist es problematisch, die Ausrichtung der Strukturpolitik allein auf diese Beobachtung zu stützen. Der Marktmechanismus kann bekanntlich nur dann zu einer Maximierung des Sozialproduktes beitragen, wenn die Unternehmer das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen. Das beinhaltet, daß sich landwirtschaftliche Unternehmer bei ihren Entscheidungen lediglich an monetären Zielsetzungen und an Opportunitätskosten orientieren. Auswertungen des Agrarberichtes der Bundesregierung zeigen jedoch, daß für eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Betriebsleitern andere Zielsetzungen gelten müssen. So erwirtschaften über 40% der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe über einen längeren Zeitraum hinweg jährlich Eigenkapitalverluste. Diese Betriebsinhaber wären demnach besser beraten, wenn sie ihre landwirtschaftliche Tätigkeit einstellen und ihren Boden verpachten würden. Dies deutet darauf hin, daß der landwirtschaftlichen Tätigkeit ein besonderer Wert beigemessen wird. Landwirtschaft wird nicht nur als eine Möglichkeit der 9 Einkommenserzielung betrachtet, sondern auch, um eine bestimmte Lebensweise zu führen. Statt der Gewinnmaximierung scheint für viele Landwirte die Nutzenmaximierung zu gelten, die neben dem Einkommen auch andere Variablen in der Nutzenfunktion enthält. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die einzelnen Entscheidungsträger den nicht monetären Faktoren in der Nutzenfunktion bei steigenden Einkommen eine relativ große Bedeutung beimessen. Man führt den landwirtschaftlichen Betrieb, der seit Generationen in der Hand der Familie ist, auch dann weiter, wenn das Einkommen zwar nicht so hoch wie bei einer alternativen Tätigkeit ist, die Tätigkeit aber zumindest eine subjektiv bemessen ausreichende Einkommenshöhe gewährleistet. Hiermit stellt sich für die Agrarpolitik ein besonderes Dilemma. Zwar könnte durch eine Reallokation der Faktoren das Sozialprodukt in der Gesellschaft erhöht werden, doch würde dieses nicht einhergehen mit einer Maximierung der individuellen Nutzen aller Wirtschaftssubjekte in der Gesellschaft. Eine sektoral ausgerichtete Strukturpolitik läßt sich nur dann rechtfertigen, wenn die für die Strukturpolitik aufzubringenden Mittel von seiten der Nichtlandwirte niedriger sind als die Wohlfahrtsgewinne, die die Nichtlandwirte hierdurch erzielen könnten. Es gibt Hinweise dafür, daß dieser Tatbestand in der Realität vorliegt. Die Übernahme eines landwirtschaftlichen Betriebes ist mit langfristigen sektorspezifischen Investitionen verbunden. Dies betrifft zum einen die spezifische Qualifikation, die sich die landwirtschaftlichen Betriebsleiter aneignen müssen und die in anderen Sektoren nur zum Teil rentabel verwertet werden kann. Dies betrifft aber auch Investitionen in landwirtschaftliche Maschinen und Gebäude, deren Opportunitätskosten aufgrund des quasi-fixen Charakters in der Regel nach dem Zeitpunkt der Investitionsvornahme erheblich sinken. Es kann daher vermutet werden, daß zum einen Erwartungen über die zukünftige Situation und zum anderen Risikoüberlegungen eine ganz besondere Rolle spielen. Falsche Erwartungen können sowohl aus individueller als auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu Fehlinvestitionen führen. Es ist anzunehmen, daß Erwartungen über die zukünftige Situation um so eher falsch sind, je mehr die zukünftige Entwicklung von der vergangenen Entwicklung abweicht. Diese Situation hat für die Landwirtschaft in den vergangenen fünfzig Jahren vorgelegen. Die Entwicklung technischer Fortschritte im Agrarsektor war nicht zu erwarten. So zeigt z.B. die Entwicklung der Weizenerträge nicht nur in der 10 Bundesrepublik sondern weltweit, daß nach dem Zweiten Weltkrieg ein Strukturbruch eintrat (siehe Abbildung 1). Es kann nicht angenommen werden, daß einzelne Landwirte in der Lage waren, diese Entwicklung zu prognostizieren und ihre langfristigen Investitionen darauf auszurichten. Unerwartet war wahrscheinlich für viele Landwirte auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Gesamtwirtschaftliches Wachstum erhöht die Opportunitätskosten für landwirtschaftliche Arbeitskräfte und macht möglicherweise Investitionen in landwirtschaftliches Humankapital ex post unrentabel. Aus diesen Überlegungen folgt, daß der Staat zu einer Verbesserung des landwirtschaftlichen Produktionsergebnisses aus gesamtwirtschaftlicher Sicht beitragen kann, wenn er die Erwartungsbildung bei einzelnen Entscheidungsträgern in der Landwirtschaft verbessert. 11 Abbildung 1: Entwicklung der Flächenerträge bei Weizen in ausgewählten Ländern von 1840 bis 1990 Weizenertrõge Quelle: Weber, A. und H. Ehlers (1988), Untersuchungen zur historischen und künftigen Entwicklung der Getreideerträge in verschiedenen Weltteilen. Institut für Agrarpolitik und Marktlehre. Universität Kiel. Diskussionsbeiträge Nr. 61. Landwirtschaftliche Märkte zeichnen sich wie andere Rohstoffmärkte bei freier Preisbildung durch eine besondere Instabilität aus. Instabile Preise und Einkommen bedeuten ein zusätzliches Risiko für die Investoren. Es kann vermutet werden, daß immer dann, wenn es nicht genügend ausgebildete Märkte für Risikotransfer gibt, einzelbetriebliche Entscheidungen stärker Risiko berücksichtigen, als dieses aus 12 gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll wäre. Es kann daher sinnvoll sein, wenn der Staat versucht, den betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozeß in gesamtwirtschaftlicher Richtung zu beeinflussen. Staatliche Regelungen der Agrarmärkte können ökonomisch auch gerechtfertigt sein, wenn die Agrarproduktion mit externen Effekten verbunden ist und/oder die gesamtwirtschaftliche Effizienz der Agrarproduktion durch die Bereitstellung öffentlicher Güter verbessert werden kann. So wird häufig argumentiert, daß die Landwirtschaft z.B. durch die Aufrechterhaltung der Kulturlandschaft einen positiven externen Effekt erwirtschaftet, für den sie über den Markt nicht entgolten wird. Diese Argumentation greift allerdings etwas zu kurz. Positive externe Effekte wären in einem marktwirtschaftlichen System nur dann zu entgelten, wenn sie ohne dieses Entgelt nicht angeboten würden. Ergeben sie sich lediglich als Nebenprodukt bei der Erstellung der landwirtschaftlichen Güter, so ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine zusätzliche Entlohnung der Landwirte für die Bereitstellung dieser externen Effekte nicht zu rechtfertigen. Daraus folgt gleichzeitig, daß jeweils im Einzelfall geprüft werden müßte, welche externen Effekte von der Landwirtschaft erbracht werden und ob diese Effekte lediglich als Nebenprodukt der Agrarproduktion anfallen und von den Nichtlandwirten in dieser Menge gewünscht werden. Das Ergebnis der Überprüfung wird sicherlich regionenspezifisch ausfallen; damit kann mit diesem Argument eine allgemeine Förderung der landwirtschaftlichen Produktion, wie sie z.B. zur Zeit in Bayern praktiziert wird, ökonomisch nicht begründet werden. Im Schrifttum werden als ökonomische Begründungsversuche für eine spezielle Regelungsintensität des Agrarsektors häufig Hypothesen angeführt, die angeblich zu einer disparitätischen Einkommensentwicklung der Landwirte führen sollten. Mit diesen Hypothesen hat sich u.a. Schmitt (1972) intensiv beschäftigt (siehe hierzu auch Koester 1992, 193-209). Diese Hypothesen ergreifen entweder Besonderheiten auf der Angebotsseite oder auf der Nachfrageseite heraus, gehen von einer Preisbildung in einer geschlossenen Volkswirtschaft aus und versuchen zu erklären, daß sich auf den Agrarmärkten Preise einstellen, die keine paritätische Einkommensentwicklung der Landwirte ermöglichen. Wegen des partiellen Ansatzes und der speziellen Annahme einer geschlossenen Volkswirtschaft sind diese Hypothesen nicht als ökonomische Rechtfertigung einer speziellen Regelungsintensität des Agrarsektors zu akzeptieren. Hinzu kommt, daß mit den Hypothesen ein Phänomen, nämlich die 13 Einkommensdisparität der Landwirte erklärt werden soll, über das es selbst wenig empirische Informationen gibt. So wird z.B. in den Agrarberichten der Bundesregierung bei der Ermittlung der Einkommensdisparität nicht das gesamte Einkommen der Landwirte ermittelt, sondern lediglich das Einkommen aus landwirtschaftlicher Tätigkeit. Es kann also sehr wohl sein, daß die Landwirte insgesamt über ein Einkommen verfügen, das ihren Opportunitätskosten entspricht. Weiterhin hat man keine Informationen darüber, was die Landwirte selbst als ihre adäquaten Opportunitätskosten ansehen. Auch auf EU-Ebene wird zwar eine Preispolitik betrieben, die darauf abzielt, die landwirtschaftlichen Einkommen zu erhöhen, doch gibt es keine ausreichenden Informationen über das Einkommen der Landwirte aus landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeit sowie aus Vermögen. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß es zwar eine ökonomische Berechtigung für staatliche Eingriffe auf den Agrarmärkten geben kann (selbstverständlich beinhaltet dieses aber auch ein Werturteil), daß aber weder das Niveau noch die Struktur der derzeitigen Regelungsintensität ökonomisch vertretbar sind. Wenn man daher die gegenwärtige Situation der Regelungsintensität verstehen will, empfiehlt es sich nach politökonomischen Erklärungsfaktoren zu suchen. 2. Politökonomische Bestimmungsfaktoren der Regelungsintensität auf den Agrarmärkten in der Bundesrepublik Deutschland Ausgangspunkt der Erklärung ist die Grundhypothese, daß alle an politischen Entscheidungen Mitwirkenden versuchen, ihre persönlichen Ziele im Rahmen der Möglichkeiten zu verwirklichen. Das Treffen agrarpolitischer Entscheidungen kann mit einem Spiel verglichen werden. Verlauf und Ergebnis des Spiels hängen zum einen von den Spielern ab und zum anderen von den Spielregeln. Die Spieler sind die Akteure in der Politik. Das können Träger der Politik gemäß der traditionellen Definition sein (Koester 1992, 211), aber auch Organisationen und Personen, die auf Verlauf und Ergebnis der Wirtschaftsprozesse Einfluß nehmen. Die Spielregeln sind Institutionen, welche die Interaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten vorhersehbar machen, wodurch die Transaktionskosten gesenkt und die Arbeitsteilung in der Volkswirtschaft erleichtert wird. 14 2.1 Pfadabhängigkeit von Politiken Es kann beobachtet werden, daß grundlegende Weichen für protektionistische Agrarpolitiken in einzelnen Ländern in der Regel in Krisenzeiten gestellt wurden oder sich als Ergebnis einer besonderen Konstellation in der Vergangenheit ergaben. So sind z.B. die Grundelemente der US-Agrarpolitik in der Weltwirtschaftskrise eingeführt worden. Das Beharrungsvermögen protektionistischer Politiken kann mit einem Sperrklinkeneffekt verglichen werden. Staatliche Eingriffe in den Markmechanismus schaffen eine Gruppe von begünstigten Wirtschaftssubjekten, die sich für das Fortbestehen der Politikmaßnahme einsetzen, selbst wenn sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert haben. Die Geschichte der Agrarpolitik in der BRD und EU zeigt, daß einzelne Maßnahmen nur selten suspendiert wurden. Statt dessen kam es im Zeitablauf zu einer Ausweitung des Instrumenteneinsatzes mit einer zunehmenden Abkehr von den Prinzipien der ‘sozialen Marktwirtschaft’. Die starke Regelungsintensität auf den Agrarmärkten der Bundesrepublik Deutschland ist durch entscheidende Weichenstellungen zu bestimmten Zeitpunkten in den letzten fünfzig Jahren historisch gewachsen. Diese Weichenstellungen führten zu einem Entwicklungspfad der Agrarpolitik, der im Widerspruch zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft steht. Solche grundlegenden Weichenstellungen erfolgten mit 1. der Einführung von Sonderregelungen für den Agrarsektor zum Zeitpunkt der Einführung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 2. der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes im Jahr 1955, 3. der Sonderstellung der Agrarpolitik im EWG-Vertrag von 1957, 4. der Einführung der Zuckermarktkontingentierung im Jahre 1958/59. 5. der Schaffung von EWG-Agrarmarktordnungen mit den allgemeinen Grundprinzipien ‘finanzielle Solidarität’, ‘Gemeinschaftspräferenz für Agrarprodukte’ und ‘Einheit der Märkte’ im Jahr 1962, 6. der Einführung des ‘Einzelbetrieblichen Förderungsprogramms’ im Jahr 1971, 7. der Einführung der Milchkontingentierung im Jahr 1984. 8. der Einführung der freiwilligen Flächenstillegung 1988 und der quasiobligatorischen Flächenstillegung mit der Agrarreform vom Mai 1992. 9. der Einführung von einzelbetrieblichen Kontrollen bezüglich der Flächennutzung mit der Agrarreform von 1992. 15 10. der zeitlich unbegrenzten Einführung von Kompensationszahlungen mit der Agrarreform von 1992. Zu 1: Der Übergang von der Bewirtschaftungspolitik der Nachkriegszeit zur sozialen Marktwirtschaft Kurz nach der Währungsreform vom 21.6.1948 wurde am 24.6.1948 ein sogenanntes „Leitsätzegesetz“ erlassen, ein Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform. Danach wurde die Bewirtschaftung im industriell gewerblichen Bereich weitgehend aufgehoben (Kluge 1989). Ludwig Erhardt lehnte aber im Widerspruch zu diesem Gesetz eine Liberalisierung des Agrar- und Ernährungssektors von vornherein ab. Im Jahr 1949 wurden dann preis- und marktwirtschaftliche Grundsatzentscheidungen gefällt, die die weitere Entwicklung der Agrarpolitik in der Bundesrepublik grundlegend beeinflußten. Bemerkenswert ist, daß in dem Ausschuß für landwirtschaftliche Marktordnung die Gruppe der Agrarwissenschaftler (mit den Professoren Niehaus, von Dietze, Wöhrmann, Hanau und dem Vertreter des deutschen Gewerkschaftsbundes Teichmann) erhebliche Bedenken gegen den Vorschlag, die Märkte für Hauptnahrungsgüter zu organisieren, äußerten. Dagegen setzten sich die Vertreter der staatlichen Ernährungsverwaltung und der Wirtschaftsverbände (insbesondere auch der Präsident des Institutes für Weltwirtschaft Bade sowie sein Stellvertreter Stisser) für eine intensive Regelung der Agrarmärkte durch Agrarordnungen ein (Kluge 1989, 116). Die Regierung entschied sich für den Vorschlag Marktordnungen; im Parlament wurden die Gesetze für Marktordnungen 1950/51 verabschiedet.. Von besonderer Bedeutung war das Getreidegesetz (Modest 1953, Plate, Fischer 1964). Hiernach hatte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten jährlich einen Versorgungsplan aufzustellen; Bundesregierung und Parlament legten durch Bundesgesetz die inländischen Erzeugerpreise fest. Die Preise für die anderen Agrarprodukte wurden in Anlehnung an den Getreidepreis ebenfalls jährlich festgelegt. Für die weitere Entwicklung der Agrarpolitik war von besonderer Bedeutung, daß diese Marktordnungen einen jährlichen diskretionären Entscheidungsbedarf von Regierung und Parlament vorsah. Hierdurch war es möglich, daß sich die Interessenvertreter im politischen Raum stärker durchsetzen konnten. Die Entwicklung 16 hat gezeigt, daß die Marktordnungen im Zeitablauf sowohl im Umfang als auch in der Regelungsintensität zugenommen haben. Zu 2: Die Bedeutung des Landwirtschaftsgesetzes von 1955 Nach § 1 des Landwirtschaftsgesetzes vom September 1955 ist die Landwirtschaft mit den Mitteln der allgemeinen Wirtschafts- und Agrarpolitik, insbesondere der Handels-, Steuer-, Kredit- und Preispolitik in den Stand zu setzen, die für sie bestehenden naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen auszugleichen und ihre Produktivität zu steigern. Damit soll gleichzeitig die soziale Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen an die vergleichbarer Berufsgruppen angeglichen werden. Mit dem Landwirtschaftsgesetz wird demnach dem Agrarsektor eine Sonderrolle in der Volkswirtschaft eingeräumt (Puvogel1957). Für keinen anderen Sektor gilt im System der sozialen Marktwirtschaft, daß die Regierung für die soziale Lage der im Sektor tätigen Menschen verantwortlich ist. Zwar wird im Landwirtschaftsgesetz noch nicht präzisiert, wie die soziale Lage zu messen ist, doch wird in § 4 aufgeführt, daß die Bundesregierung bis zum 15. Februar eines jeden Jahres dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht über die Lage der Landwirtschaft vorzulegen hat. Dieser Bericht soll eine Stellungnahme dazu enthalten, inwieweit a) ein den Löhnen vergleichbarer Berufs- und Tarifgruppen entsprechender Lohn für die fremden und familieneigenen Arbeitskräfte - umgerechnet auf notwendige Vollarbeitskräfte - , b) ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit des Betriebsleiters (Betriebsleiterzuschlag) und c) eine angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals erzielt wird. Dabei soll im wesentlichen von Betrieben mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen ausgegangen werden, die bei ordnungsmäßiger Führung die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie gewährleisten. Das Landwirtschaftsgesetz kann als ein großer Erfolg der landwirtschaftlichen Interessengruppen angesehen werden. Durch dieses Gesetz wird die Regierung nicht nur verpflichtet, über die Einkommenslage der Landwirte zu informieren. Sie wird darüber hinaus auch veranlaßt, entsprechende Maßnahmen zur Angleichung der 17 sozialen Lage zu ergreifen. Mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft ist dieses Gesetz nicht vereinbar. Einkommensunterschiede zwischen den Berufstätigen in unterschiedlichen Sektoren wird es in marktwirtschaftlichen Systemen aus unterschiedlichen Gründen geben. Die Berufstätigen orientieren sich nicht nur an dem Einkommen, sondern auch an nichtmonetären Werten wie z.B. dem Wohnwert, dem Freizeitwert, dem Prestige des Berufes und anderen Dingen. Hinzu kommt, daß die Qualifikation der Berufstätigen in einzelnen Sektoren sehr unterschiedlich ist. Weiterhin können Einkommensunterschiede zwischen Sektoren notwendig sein, um bei wirtschaftlichem Wachstum eine Wanderung von Arbeitskräften von einem Sektor zu einem anderen zu bewirken. Zu 3: Die Sonderstellung der Agrarpolitik im EWG-Vertrag von 1957 Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft waren sich die sechs Gründerstaaten einig, daß auch der Agrarsektor in den Integrationsprozeß einbezogen werden sollte. Der EWG-Vertrag räumt daher dem Agrarsektor einen besonderen Abschnitt mit den Artikeln 38 bis 47 ein. In Artikel 40 wurde darauf hingewiesen, daß eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte geschaffen werden sollte. Man legte sich jedoch noch nicht auf eine spezielle Organisationsform fest. Statt dessen wurde explizit genannt, daß folgende Organisationsformen möglich sind: a) Gemeinsame Wettbewerbsregeln, b) eine bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen sowie c) eine europäische Marktordnung. Somit hatte man wiederum im EWG-Vertrag die Möglichkeit eröffnet, daß die Interessenvertreter gezielt Einfluß auf die Gestaltung der Agrarpolitik nehmen konnten. Zu 4: Die Einführung der Zuckermarktkontingentierung im Jahr 1958/59 Obwohl der EWG-Vertrag bereits unterzeichnet war und obwohl sich die Bundesregierung im klaren darüber sein mußte, daß eine Vereinheitlichung der nationalen Agrarpolitik bevorstand, führte man auf dem Zuckermarkt ein Instrument ein, daß mit den Prinzipien der Marktwirtschaft nicht vereinbar ist. Der 18 Zuckerrübenanbau wurde auf einzelbetrieblicher Ebene quotiert. Hierdurch wurde es möglich, den Landwirten höhere Zuckerrübenpreise zu garantieren. Besonders bemerkenswert ist hierbei, daß es nicht die soziale Lage der Zuckerrübenproduzenten war, die zu diesem marktfremden Instrument greifen ließ. Im Gegenteil, die Einkommen der Zuckerrübenproduzenten waren zur damaligen Zeit - und sind es auch heute noch überdurchschnittlich hoch, verglichen mit den Produzenten anderer landwirtschaftlicher Güter. Die Quotierung wurde eingeführt, weil es technisch relativ leicht möglich war. Da die Zuckerrüben zur Verarbeitung an Zuckerfabriken geliefert werden, liegt quasi ein Flaschenhalsprinzip im Vermarktungsprozeß vor und eine Erfassung der Produktionsmengen ist daher verwaltungstechnisch relativ einfach möglich. Mit der Quotierung der Zuckerrübenproduktion hat man einen eng begrenzten Kreis von Begünstigten geschaffen, die darauf hinwirkten, daß die Quotierung der Zuckerrübenproduktion bis zum heutigen Tag in der Bundesrepublik fortgeführt wurde. Die Zuckerrübenproduktion ist überdurchschnittlich hoch protektioniert. Zu 5: Die Schaffung von EWG-Agrarmarktordnungen mit den allgemeinen Grundprinzipien ‘Solidarität’, ‘Gemeinschaftspräferenz für Agrarprodukte’ und ‘Einheit der Märkte’ im Jahr 1962 Auch wenn der EWG-Vertrag noch keine eindeutige Organisationsform der Agrarmärkte vorsah, so konnte man erwarten, daß aufgrund des politischen Einflusses der Interessengruppen eine der drei Alternativen durchgesetzt würden. So wurde im Januar 1962 entschieden, daß man gemeinsame Agrarmarktordnungen schaffen wollte. Für die weitere Entwicklung der Agrarpolitik war hier von besonderer Bedeutung, daß man als die Grundpfeiler der Agrarmarktordnungen die drei Grundprinzipien ‘finanzielle Solidarität’, ‘Gemeinschaftspräferenz für Agrarprodukte’ und ‘Einheit der Märkte’ ansah. Besonders nachteilig war, daß die Gemeinschaftspräferenz durch ein System von variablen Abschöpfungen durchgesetzt werden sollte. Der Agrarministerrat konnte demnach jährlich die Protektionsrate für Agrarprodukte neu festlegen. Wenn man unterstellt, daß die Mitglieder des Agrarministerrates in der Regel mehr am Wohl der Landwirte als am Gesamtwohl interessiert sind, so ist es nicht verwunderlich, daß der Agrarprotektionismus im Zeitablauf zugenommen hat. Hierzu hat allerdings auch beigetragen, daß auf dem Weltmarkt die Preise im Zeitablauf tendenziell gesunken sind. 19 Grundlegende Weichen wurden zu Beginn der gemeinsamen Marktordnungen mit der Festlegung des Getreidepreises gestellt. Da die Getreidepreise, wie auch die Preise für andere landwirtschaftliche Produkte, in den Mitgliedsländern der EWG unterschiedlich hoch waren, war es notwendig, sich auf ein gemeinsames Preisniveau zu einigen. So belief sich z.B. die Differenz zwischen dem französischen und deutschen Weizenpreis im Jahr 1958/59 auf etwa 45% (Scholz 1988, 117). Hätte man sich bei der Festlegung des gemeinsamen Preisniveaus an den Regeln des GATT orientiert, hätte das durchschnittliche Protektionsniveau hätte nicht aufgehoben werden dürfen. Auf Druck der deutschen Landwirtschaft und gegen die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einigte man sich jedoch auf einen Getreidepreis, der erheblich über dem Durchschnitt lag. Hiermit wurde eine Ausgangssituation geschaffen, die zu weiteren Produktionssteigerungen in der Gemeinschaft führte und eine Erweiterung des Instrumentariums in den Folgejahren bewirkte. Zu 6: Die Einführung des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms im Jahr 1971 Mit dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm wurde anerkannt, daß es einen fortwährenden Strukturwandel in der Landwirtschaft geben würde. Der strukturelle Anpassungsprozeß sollte gefördert werden, indem man entwicklungsfähigen Betrieben durch zinsverbilligte Kredite Anpassungshilfen gab und nicht entwicklungsfähige Betriebe zum Ausscheiden aus der Produktion anregte. Mit diesem Programm wurde wiederum gegen den Geist des marktwirtschaftlichen Systems verstoßen. Der Staat maßt sich an zu entscheiden, welche Betriebe als entwicklungsfähig zu bezeichnen sind und welche nicht. Es ist nicht verwunderlich, daß die Erfahrungen mit den einzelbetrieblichen Förderungsprogrammen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht negativ sind (siehe oben). Zu 7: Die Einführung der Milchkontingentierung im Jahr 1984 Die Kontingentierung der Milchproduktion beinhaltete eine weitere Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien für einen relativ großen Anteil des landwirtschaftlichen Produktionswertes. So entfällt z.B. in der Bundesrepublik 20 Deutschland etwa 26% der Enderzeugung auf Milch. In der EU-15 sind es 18%. Da aber die Milchkontingentierung einen großen Einfluß auf den Rindfleischmarkt hat, hat man durch dieses Instrument in der Bundesrepublik zusätzlich 12.3% der Enderzeugung nahezu direkt erfaßt. In der EU-15 sind es weitere 12,1% (1994). Zusammen mit der Zuckerrübenproduktion sind damit in der Bundesrepublik Deutschland etwa 40% der landwirtschaftlichen Enderzeugung durch Quotierung direkt beeinflußt. Das Jahr 1984 kann damit als ein Jahr mit besonderer Abkehrung von den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und für die Regulierung der Agrarmärkte bezeichnet werden. Zu 8: Einführung von Flächenstillegungen 1988 auf freiwilliger Basis und quasiobligatorisch mit der Agrarreform im Mai 1992 Während der Amtszeit des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kiechle (1983 bis 1993) kam es zu einer besonders starken Zunahme der Regelungsintensität im Agrarsektor. Nach Vorstellungen Kiechles bestand das Hauptproblem in der Agrarpolitik zum einen in den Überschüssen bei den gestützten Preisen und zum anderen in den zu niedrigen Einkommen der Landwirte. Er strebte daher an, durch angebotsbeschränkende Maßnahmen Überschußprobleme zu beseitigen, um dadurch einen vergrößerten Spielraum für Preisanhebungen zu erhalten. Nachdem bereits zu Beginn seiner Amtszeit die Milchkontingentierung zumindest das weitere Wachsen der Überschüsse auf dem Milchmarkt verhindern konnte, versuchte er durch die freiwillige Flächenstillegung 1988, die Überschüsse bei Ackerbauprodukten zu reduzieren. Er setzte auf EU-Ebene durch, daß alle Mitgliedsländer verpflichtet wurden, ein Flächenstillegungsprogramm anzubieten. Allerdings waren die Mitgliedsländer weitgehend frei in der Festlegung der Prämie für die stillgelegten Flächen. Lediglich die Bundesrepublik Deutschland machte das Programm für die Landwirte so attraktiv, daß z.B. in 1990/91 der Umfang der stillgelegten Flächen in der Bundesrepublik größer war als in allen übrigen Mitgliedsländern insgesamt. Das Programm war insbesondere für die neuen Bundesländer sehr attraktiv. Es wurden z.B. in Brandenburg 18,9% der Getreidefläche stillgelegt. Da das freiwillige Flächenstillegungsprogramm nach Meinung der Agrarminister nicht zu einer genügenden Marktentlastung führte, wurde es mit der Agrarreform von 1992 zu einem quasi-obligatorischen Flächenstillegungsprogramm ausgeweitet. Für die 21 freiwillige Flächenstillegung wurde den Landwirten das entgangene Einkommen durch die Nichtbewirtschaftung der Flächen vom Staat erstattet. Für die quasi-obligatorische Flächenstillegung gilt, daß Landwirte nur dann in den Genuß von direkten Zahlungen als Ersatz für Preissenkungen, die auch mit der Agrarreform 1992 beschlossen wurden, gelangen, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz ihrer Flächen stillegen. Bei dem freiwilligen Flächenstillegungsprogramm war eine Überkompensation des Einkommensverlustes durch die Prämienzahlungen implizit eingebaut. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Landwirte nur dann Flächen stillgelegt haben, wenn die Prämienzahlung zumindest den Einkommensausfall kompensierten. Für einen Teil der Landwirte erfolgte damit mit Sicherheit eine Überkompensation. Flächenstillegungsprogramme sind aus ordnungspolitischer Sicht besonders bedenklich. Es wird quasi per Verordnung auf die Nutzung eines produktiven Faktors verzichtet. Hinzu kommt, das aufgrund der Komplementarität des Faktoreinsatzes auch Arbeit und Kapital weniger genutzt werden. Hiermit wird also die versteckte Arbeitslosigkeit auf den landwirtschaftlichen Betrieben erhöht. Zu 9: Die Einführung von einzelbetrieblichen Kontrollen bezüglich der Flächennutzung seit dem Wirtschaftsjahr 1993/94 Mit der Agrarreform von 1992 wurde ab dem Wirtschaftsjahr 1993/94 eine Quotierung der nationalen und regionalen Anbauflächen für Getreide, Ölsaaten und Eiweißprodukte explizit eingeführt. Kompensationszahlungen als Ersatz für Preissenkungen wurde nur für eine Grundfläche gezahlt. Bei Überschreiten der Grundfläche auf regionaler Ebene wurde die Kompensationszahlung für die Landwirte in dieser Region gesenkt und der Flächenstillegungssatz erhöht. Somit hat man den Anbau in den einzelnen Regionen quasi kontingentiert. Eine Wanderung der Produktion an die Standorte mit komparativen Vorteilen wird damit unterbunden. Da die Kompensationszahlungen an die Flächennutzung gebunden sind, benötigt die Administration Informationen über die einzelbetriebliche Flächennutzung. Mit der Agrarreform von 1992 hat man damit die Regelungsintensität von den Produktmärkten auf die Faktormärkte und die einzelnen Betriebe erheblich ausgeweitet. Diese Maßnahme widerspricht sowohl marktwirtschaftlichen Prinzipien als auch der Sozialstaatlichkeit. 22 Zu 10: Zeitlich unbegrenzte Einführung von Kompensationszahlungen mit der Agrarreform von 1992 Mit der Agrarreform von 1992 wurden unter anderem die Interventionspreise für Getreide um etwa 30% gesenkt. Der Außenschutz wurde dementsprechend reduziert. Als Ersatz für die Preissenkung erhalten die Landwirte seit dem Wirtschaftsjahr 1993/94 Kompensationszahlungen, die im Durchschnitt die Einkommensminderung kompensieren soll. Wie oben bereits ausgeführt, sind diese Kompensationszahlungen aber an die Flächennutzung gebunden. Die Transferwirkungen der Ausgleichszahlungen stehen im Widerspruch zu sonstigen Verteilungszielen im System der sozialen Marktwirtschaft (Schrader 1993). Es werden vornehmlich die Eigentümer von Boden begünstigt, ohne daß deren soziale Bedürftigkeit belegt wird. Auch ist eine zeitliche Befristung der Zahlung explizit nicht vorgesehen. Hier wird implizit zugestanden, daß die Landwirte einen Anspruch darauf haben, daß der Status quo, der durch einen hohen Protektionsgrad in der Vergangenheit gekennzeichnet war, auch zukünftig aufrechterhalten bleibt. Offensichtlich widerspricht dieses den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Solche Zahlungen wären nur dann zu rechtfertigen, wenn dadurch die sozialen Härten des Anpassungsprozesses an das niedrigere Preisniveau gemindert und/oder der Anpassungsprozeß beschleunigt werden würde. Es wäre daher zumindest eine zeitliche Begrenzung der gegenwärtigen Transferzahlungen zu fordern. Die Entwicklung der Agrarpolitik in der Bundesrepublik und in der Europäischen Gemeinschaft belegt, wie sich der Protektionismus allmählich ausweiten kann. Doch natürlich gibt es keine Zwangsläufigkeit, daß auf einzelne protektionistische Maßnahmen andere folgen müssen. Die Agrarpolitik scheint hier eine Sonderstellung einzunehmen. Im folgenden ist daher zu begründen, warum sich diese Entwicklung einstellen konnte. 2.2 Die Bedeutung von Organisationen und Institutionen für das Ergebnis der Agrarpolitik 23 Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß mit dem Ansatz der politischen Ökonomie versucht wird, das Ergebnis der Politik zu erklären, indem man die Spieler (die Akteure der Politik) identifiziert und die Regeln, denen sie unterworfen sind, im Hinblick auf ihre Relevanz untersucht. In Abbildung 2 sind die wichtigsten Akteure der EU-Agrarpolitik sowie die Bestimmungsfaktoren ihrer Entscheidungen und die wichtigsten Institutionen aufgeführt. Eine ausführliche Beschreibung des Entscheidungsprozesses ist leider aus Platzgründen nicht möglich. Es soll daher an dieser Stelle lediglich auf einige herausragende Besonderheiten in der Agrarpolitik hingewiesen werden. Bezüglich der Akteure der Politik ist von Bedeutung, daß der EU-Agrarministerrat für die Gesetzgebung im EG-Bereich zuständig ist. Verordnungen, die die Grundlage der landwirtschaftlichen Marktordnungen darstellen, sind EU-Gesetze. Der Agrarministerrat ist von seiner Zusammensetzung her erwartungsgemäß mehr an den Interessen der Landwirte als an den Interessen der Gesamtheit interessiert. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß die Landwirtschaftsminister in der Bundesrepublik vor ihrer Tätigkeit als Minister teilweise herausragende Positionen im Bauernverband innehatten (so war z.B. Minister Borchert vor seine seiner Tätigkeit als Bundesminister Vizepräsident des Landesverbandes von Nordrhein-Westfalen). Es ist nicht nachweisbar, daß sich der Agrarministerrat bei seinen Entscheidungen vornehmlich an gesamtwirtschaftlichen Kriterien orientiert. Statt dessen wird immer wieder betont, daß die Hauptkriterien für die Entscheidungen die Einkommen der Landwirte, die Wirkung auf die Staatsausgaben und die Überschüsse oder Lagerbestände sind. Diese Variablen sind aber mit gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseffekten nicht eindeutig korreliert. Eingeschränkt wird der Agrarministerrat bei seinem Bestreben, die Einkommen der Landwirte zu erhöhen - vornehmlich durch die Wirkung auf die Staatsausgaben, die Überschüsse und die internationalen Abkommen. So hat z.B. die letzte GATT-Runde mit den Beschlüssen bezüglich des internationalen Agrarhandels die Kompetenz des Agrarministerrates wesentlich eingeschränkt. Der Ministerrat kann nun nicht mehr wie vor 1993/94 jährlich über den externen Protektionsgrad für Agrarprodukte entscheiden. Wenn zukünftig die Agrarpolitik sich mehr an gesamtwirtschaftlichen Kriterien orientieren sollte, wird dieses vermutlich eher das Ergebnis der internationalen Abkommen sein, als die Folge der gestiegenen Einsicht des Agrarministerrates. 24 Quelle: Koester, U., Die europäische Agrarpolitik - Eine Reform ohne Ende? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B33-34/1995 vom 11. August 1995, 26. III. Zur zukünftigen Entwicklung der europäischen Agrarpolitik Die europäische Agrarpolitik hat sich im Zeitablauf gewandelt, weil sich die Rahmenbedingungen für die Agrarpolitik geändert haben. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich in naher Zukunft die Rahmenbedingungen grundlegend für die Agrarpolitik ändern und daher auch grundlegende Änderungen der Politik eintreten Abbildung 2: Akteure und Bestimmungsfaktoren agrarpolitischer Entscheidungen E t-n Bestimmungsfaktoren Akteure der Agrarpolitik EU-Kommission Internationale Abkommen EU-Ministerrat EU-Parlament Einkommen der Landwirte EU-Gerichtshof E Staatsausgaben t Nationale Regierungen Interessenverbände Überschüsse, Lagerbestände Handelspartner Wohlfahrtseffekte Institutionelle Rahmenbedingungen Kompetenzverteilung Außenschutz mit hohem Entscheidungsbedarf Finanzierungssystem E E t t-n = Entscheidung in Periode t = Entscheidung in Vorperiode werden. Anpassungszwänge wird es vor allen Dingen geben, weil die letzten GATTVereinbarungen den Entscheidungsspielraum für die Gestaltung der Politik eingeengt haben. Es wird zukünftig nicht mehr möglich sein, im Inland steigende Produktionsmengen mit Exporterstattungen in unbegrenzter Menge auf den Weltmarkt 25 zu verkaufen. In der Uruguay-Runde wurde vereinbart, daß die subventionierten Exportmengen ausgehend von der Basisperiode 1986/90 um 21% zu reduzieren sind. Weiterhin sind die Zahlungen für Exporterstattungen insgesamt wiederum ausgehend von der gleichen Basisperiode um 36% zu verringern. Es werden diese beiden Restriktionen sein, die zu einer Änderung der Politik als Folge der internationalen Vereinbarung führen werden. Hinzu kommt, daß eine Osterweiterung der EU in naher Zukunft zusätzliche agrarpolitische Probleme bereiten wird (Tangermann 1997). Weiterhin ist zu erwarten, daß die nächste Welthandelsrunde, die mit den Vorverhandlungen im Jahr 1999 beginnen wird, den Handlungsspielraum der EUAgrarpolitik weiter einengen wird. Es scheint wahrscheinlich, daß die nächste Welthandelsrunde zu dem Ergebnis kommen wird, daß eine Subventionierung von Agrarexporten nicht mehr erlaubt sein wird und Transferzahlungen nur noch produktionsneutral bezahlt werden dürfen. Die EU-Kommission ist mit ihren agrarpolitischen Vorschlägen in der Agenda 2000 zum Teil bereits in eine Richtung gegangen, die den zusätzlichen Anpassungszwängen Rechnung trägt. So wurde bereits eine Entkopplung der Preisausgleichszahlungen von der Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen vorgeschlagen. Allerdings hat die Kommission die Quotensysteme auf dem Milch- und Zuckermarkt noch nicht in Frage gestellt. Die Anpassungszwänge werden nicht zwangsläufig zu einer Liberalisierung der Politik führen. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß Agrarpolitiker durch eine Zunahme der Regelungsintensität auf Änderung der Rahmenbedingungen reagieren können. Auch zukünftig wird diese Möglichkeit offen sein. Das kann aber nur bedeuten, daß die Agrarpolitik noch mehr als bisher und vor allen Dingen in den neuen Beitrittsländern ein Fremdkörper im System der sozialen Marktwirtschaft bleiben wird. Eine Alternative wäre, den Agrarmarkt wie andere Sektoren auch zu regulieren und während einer Übergangszeit den Landwirten personengebundene direkte Einkommensübertragungen zu gewähren (Koester und Tangermann 1976, EU Commission 1994 EU, Wissenschaftlicher Beirat 1997). Zeitlich begrenzte und personengebundene Einkommensübertragungen als Kompensation für Preissenkungen könnten auch aus ordnungspolitischer Sicht zu rechtfertigen sein, weil die Landwirte sich möglicherweise in der Vergangenheit auf die Konstanz der Agrar- und Wirtschaftspolitik verlassen haben und daher möglicherweise einen Vertrauensschutz beanspruchen könnten. Politökonomisch könnten direkte Einkommensübertragungen sinnvoll sein, um sich die 26 Zustimmung der von der Rücknahme der Protektion betroffenen Landwirte zu erkaufen. Eine weitere zeitlich begrenzte Einkommensstützung der Landwirte könnte akzeptiert werden, wenn für zukünftig anstehende Berufs- und Investitionsentscheidungen die Rahmenbedingungen liberaler Märkte gelten würden. Dies könnte bereits dann erreicht werden, wenn man eindeutige Liberalisierungsschritte ankündigt und überzeugend auch verfolgt. Hierdurch würden die Erwartungen der Betroffenen so verändert, daß sich Neuinvestitionen vornehmlich an der Situation liberaler Märkte orientieren. Vor allem hätte die Ankündigung und glaubhafte Vertretung der Liberalisierungsstrategie einen sofortigen Einfluß auf die Preise landwirtschaftlich genutzten Bodens. Damit würde unmittelbar, selbst bei relativ kleinen Liberalisierungschritten, der Strukturwandel in die gewünschte Richtung gelenkt. Es wird gelegentlich angezweifelt, ob die deutsche und europäische Landwirtschaft bei Weltmarktpreisen überleben könnte. Ein Brachliegen von gegenwärtigen Kulturflächen und eine Verarmung des Landschaftsbildes werden als zu hohe Kosten einer Liberalisierung dargestellt. Das Beispiel Neuseeland zeigt, daß für Landwirte - selbst in unveränderter Zahl - ein Leben nach der Liberalisierung möglich ist. Die gegenwärtige Protektion kommt vornehmlich den Eigentümern von Land und Quoten zugute und zunehmend weniger den wirtschaftenden Landwirten, die auf Zupacht angewiesen sind. Natürlich wird sich die Agrarstruktur und auch das Landschaftsbild verändern. Sollte sich herausstellen, daß die Konsumenten bereit wären, für ein anderes Landschaftsbild oder sonstige externe Effekte ein Entgelt zu zahlen, so wäre ein spezieller Mitteleinsatz notwendig. Durch diese möglichen externen Effekte kann aber nicht der gegenwärtige Agrarprotektionismus, der Betriebe und Regionen weitgehend unabhängig vom möglichen Beitrag zur Erstellung externer Effekte fördert, begründet werden. Eine Liberalisierung der Agrarpolitik dürfte aber bei den gegenwärtigen Entscheidungsstrukturen auf EU-Ebene kaum zu erwarten sein. Vor der eigentlichen Reform, d.h. vor der Liberalisierung der Politik, ist daher eine Reform der Organisationen und Institutionen auf EU-Ebene vorzunehmen (Koester 1996). Literatur European Commission (1994), EC Agricultural Policy for the 21 Century. European Economy. Reports and Studies, No. 4. 27 Hayek, Friedrich A. von (1971), Der Weg zur Knechtschaft.. Erlenbach-Zürich. Kluge, Ulrich (1989), 40 Jahre Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 und Bd. 2, Hamburg und Berlin . Koester, U. (1995), Die europäische Agrarpolitik. Eine Reform ohne Ende. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. S. 25-33. Koester, Ulrich (1996), Gemeinsame Agrarmarktordnungen, in: Renate Ohr, (Hrsg.), Europäische Integration. Stuttgart, S. 141-172. Koester, Ulrich (1995), Die europäische Agrarpolitik - Eine Reform ohne Ende? Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B33-34/1995 vom 11. August 1995, S. 25-33. Koester, Ulrich (1992), Grundzüge der Landwirtschaftlichen Marktlehre. 2. Auflage, München. Koester, Ulrich und Stefan Tangermann (1976), Alternativen der Agrarpolitik. 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Hiltrup Zusammenfassung Die deutsche und europäische Agrarpolitik hat in den vergangenen fünfzig Jahren eine ordnungspolitische Sonderrolle eingenommen. Bereits bei der Einführung der sozialen Marktwirtschaft nach der Währungsreform 1948 wurden für den Agrar- und Ernährungssektor preis- und marktwirtschaftliche Grundsatzentscheidungen gefällt, die den Übergang von der Planwirtschaft der Kriegs- und Nachkriegszeit in die Marktwirtschaft nicht nur vorrübergehend zurückstellten, sondern eine Ausweitung planwirtschaftlicher Elemente im Zeitablauf unterstützten. Die weitere Entwicklung im Zeitablauf kann nicht durch ökonomische Besonderheiten der Agrarmärkte erklärt werden, sondern vornehmlich durch politökonomische Einflußfaktoren. Es zeigt sich, daß im Zeitablauf immer wieder grundlegende Weichenstellungen durch politische Entscheidungen vorgenommen wurden, die zu einer weiteren Abkehr von den Ordnungsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft führten. Eine Einordnung der Agrarpolitik in das System der sozialen Marktwirtschaft ist bei den gegenwärtigen Organisationen und Institutionen in der EU-Agrarpolitik wenig wahrscheinlich, aber aufgrund äußerer Anpassungszwänge durch WTO und anstehende Osterweiterung zunehmend notwendig. Abschließend wird im Beitrag aufgezeigt, wie dem Agrarsektor der Übergang von der hohen Regelungsintensität zur marktwirtschaftlichen Ordnung ermöglicht werden kann. Summary Agricultural Policy still in conflict with the principles of the ‘soziale Marktwirtschaft’ 29 The German and European Agricultural Policy has not been guided by the principles of the „Soziale Marktwirtschaft“ for the last fifty years. The first exception was already made at the inception of the „Soziale Marktwirtschaft“ in 1948 when main decisions were made to rely on instruments of a planned economy for the agriculture and food sector. The evolution of the agricultural policy supports the hypothesis of path dependencies of policies. The introduction of one regulation demands the implementation of further regulations. External pressure to change the policies due to changes in general economic conditions and due to the acceptance of international agreements may demand reforms, but will not necessarily lead to liberalization. What happens can hardly be explained on the hypothesis that a rational economic policy will be pursued. Instead, it seems more realistic that a political economy approach is more adequate to explain ‘why the policy is as it is’. Therefore, it is argued that a major shift in agricultural policies will only happen if organizations and institutions of the agricultural policies are changed. 30