Humboldt Lab Probebühne 4: Projekt Aneignungen - Humboldt

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Humboldt Lab Probebühne 4: Projekt Aneignungen - Humboldt
Hintergrundinformationen
Humboldt Lab Probebühne 4: Projekt Aneignungen
Das Performative vieler Objekte des Ethnologischen Museums liegt in ihrem möglichen Gebrauch
– ob im Ritual, in der Kunst oder in Alltagshandlungen. Aber wie kann man sich verloren gegangenen performativen Akten künstlerisch nähern, sie gar rekonstruieren oder re-enacten?
Das Projekt „Aneignungen“ bringt erstmals im Humboldt Lab das Performative ins Spiel: Die
KünstlerInnen Ant Hampton, Britt Hatzius sowie die Choreografen deufert&plischke präsentierten zur Probebühne 4 einen ersten Ausblick auf die von Florian Malzacher kuratierten performativen Konferenz, die nun am 16. November in den Museen Dahlem mit Auftragsarbeiten von u.a.
Ulf Aminde& Shi-Wei Lu, Yael Bartana, Kapwani Kiwanga sowie Alexandra Pirici stattfindet.
Aneignung, auch kulturelle Aneignung ist immer ein gewaltsamer Akt. Die (direkte oder strukturelle) Gewalt, mit der sich viele Objekte ethnologischer Sammlungen angeeignet wurden, wiederholt sich in den immer neuen Aneignungen dieser Gegenstände durch Interpretation und Kontextualisierung. Aneignung bedeutet aber auch eine Annäherung, die denjenigen, der sich aneignet,
nicht unverändert lässt.
Dieses Projekt reflektiert die Möglichkeiten der Aneignung von dem Westen fremdes Wissen und
fremde Kulturen über den Weg des re-enactments und der performativen Re-Konstruktion. Während der Begriff des re-enactments landläufig vor allem das möglichst naturgetreue Nachstellen
historischer Ereignisse (zumeist Schlachten) bezeichnet, hat sich in den letzten Jahren in den performativen Künsten ein anderer Diskurs um den Begriff gebildet. Immer geht es mindestens so
sehr um die Differenz, um das Nicht-nachvollziehen-können, um das Nicht-Wissen. Aneignung
wird in der Doppeldeutigkeit gesehen, die dem Wort innewohnt: Besitznahme und Annäherung in
einem.
Zwischen Aneignung, Nachvollzug, Neuformulierung und kritischer Spekulation bewegt sich also
das Projekt „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Dahlem. Denn viele der dortigen Objekte
scheinen ja danach zu verlangen, verstanden oder gar genutzt zu werden: Das Performative liegt
in ihrem potentiellen Gebrauch – ob im Ritual, in der Kunst oder in Alltagshandlungen. In der
Sprache der Performancetheorie könnte viele von ihnen als performance remains betrachtet werden. Wieder andere Objekte geben Aufschlüsse über das, was an gebrauchtem Wissen verloren ist:
Abbildungen und Inschriften dienen uns als direkte oder indirekte Dokumentationen oder mögliche Notationen.
Wie aber kann man sich solchen verlorengegangen profanen, künstlerischen oder sakralen performativen Akten tatsächlich annähern – objektiv und subjektiv? Diese Frage der Ethnologie ähnelt jener im Bereich der performative Künste: Wie rekonstruiert man eine Choreographie, die
man nicht gesehen hat, von der es vielleicht nicht einmal filmisches Dokumentationsmaterial gibt,
vielleicht nur einige Fotos, Notationen, Zuschauerbeschreibungen oder Requisiten? Kann man
den Akt des Erlebens nachvollziehbar machen? Wie kann man sich eine solche zeitlich, vielleicht
auch kulturell entfernte Aufführung einerseits aneignen, andererseits nicht einfach die Lücken des
nicht Bekannten, des nicht Verständlichen auffüllen und negieren? Was bedeutet ein re-enactment
als körperlicher, performativer Vollzug? Und wie müsste das Publikum selbst einen bestimmten
Daseinszustand ebenfalls re-enacten?
Dabei sind solche Ansätze keineswegs notwendig sanft, sind nicht unbedingt einer vermeintlichen
historischen oder kulturellen Wahrheit verpflichtet. Sie eigenen sich das Vergangene und Entfern-
te an, um ihm gleichermaßen in der Gegenwart eine Stimme zu zurückzugeben wie es zu hinterfragen. Eine künstlerische Rekonstruktion ist kein Nachspielen, es ist eine Aktualisierung, die mal
versuchen kann faktisch so nah wie möglich am vermuteten Original zu sein, mal die Nähe auf
andere Weise suchen kann. Der Konflikt und die Widersprüchlichkeit der Aneignung wird weder
verharmlost noch gescheut.
– Florian Malzacher
Aneignungen. Eine performative Konferenz
16.11.14, 11-19 Uhr (Einlass ab 10:30 Uhr), Museen Dahlem
Mit Ulf Aminde & Shi-Wei Lu, Yael Bartana, deufert&plischke, Maria Gaida, Richard
Haas, Ant Hampton & Britt Hatzius, Dorothea von Hantelmann, Kapwani Kiwanga,
Siegmar Nahser, Alexandra Pirici
Kuratiert von Florian Malzacher
In englischer Sprache!
Eintritt 20 €/ 10 € ermäßigt, Eintrittskarten sind im Online-Ticketshop der Staatlichen Museen zu Berlin erhältlich sowie am 16. November an der Tageskasse im Museum. Durchgängige Veranstaltung, kein Nacheinlass möglich!
In seinem künstlerischen Werk beschäftigt sich Ulf Aminde (geb. 1969 in Stuttgart, lebt und
arbeitet in Berlin) mit sozialen Maschinerien und Wahrnehmungsfeldern. Im Dialog mit Menschen am Rande der Gesellschaft realisierte er Performances, Theaterstücke und Filme, dabei
jedoch stets auch seine eigene Rolle als Initiator und Regisseur hinterfragend. Aminde studierte
an der Universität der Künste in Berlin. Seine Arbeiten wurden unter anderem bei der 4. Berlin
Biennale gezeigt, in der Volksbühne Berlin und jüngst in Taiwan, im MOCA Taipeh, wo er erstmals mit Shi-Wei Lu zusammenarbeitete.
Yael Bartanas Filme, Installationen und Fotografien erforschen Bilder der Identität und die Politik der Erinnerung. Ihr Ausgangspunkt ist das nationale Bewusstsein, wie es von ihrem Heimatland Israel verbreitet wird. In ihren israelischen Projekten befasste sich Bartana mit der Wirkung
des Krieges, militärischen Ritualen und dem Gefühl der Bedrohung im Alltag. Zwischen 2006
und 2011 arbeitete die Künstlerin in Polen, wo die Trilogie „And Europe Will Be Stunned“ entstand, ein Projekt zur Geschichte der polnisch-jüdischen Beziehungen und deren Einfluss auf die
zeitgenössische polnische Identität. Yael Bartana vertrat Polen bei der 54. Biennale di Venezia
(2011).
deufert&plischke verfolgen ihr Ziel eines neuen epischen Theaters seit 2001. Ihre Arbeit als
Künstlerzwilling deufert&plischke ist gleichermaßen in Theatern wie in Museen und an anderen
Orten zuhause. Neuere Arbeiten, die gemeinsam mit befreundeten Künstlern und Theoretikern
entwickelt wurden, umfassen die „Anarchiv“-Serie (2008-11), "Emergency Room“ (2010),
und „Entropisches Institut“ (2012). Seit mehr als zehn Jahren unterrichten deufert&plischke unterrichten an Kunst Akademien in Deutschland und im Ausland. Seit 2010 unterrichten sie am
Studiengang Tanz, Kontext, Choreographie am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT) in
Berlin.
Maria Gaida studierte Prähistorische Archäologie sowie Archäologie und Amerikanische Ethnologie an der Universität Hamburg. Im Ethnologischen Museum, Staatliche Museen zu Berlin,
begann sie 1989 zunächst als Volontärin zu arbeiten, später als Kuratorin der MesoamerikaSammlung und seit 1999 als Sammlungsleiterin. Seit 1996 ist sie Mit-Herausgeberin der Museumspublikation Baessler-Archiv. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf die Kulturen der PräKolumbianischen Maya und der Azteken.
Der britische Künstler Ant Hampton hat Theater- und Performancearbeiten für Bühnen, Landschaften und den öffentlichen Raum kreiert. Er ist bekannt für das das Performanceprojekt Rotozaza (1998-2008) und die 'Autoteatro'-Serie: durch Anweisungen geleitete und self-generative
performances, die vom Publikum, ohne weitere Präsenz von Schauspielern oder Künstlern, gespielt werden.
Angesiedelt zwischen visueller Kunst, Film und Ethnografie, arbeitet Britt Hatzius mit unterschiedlichen Medien bezogen auf das bewegte Bild (technisch / historisch / konzeptuell / ästhetisch) und erkundet mögliche Brüche und Abweichungen innerhalb etablierter Kommunikationsformen und Formen der Wissensaneignung. Die unterschiedlichen Arbeitsformen von Hampton
und Hatzius treffen sich in der performativen Darstellung durch ihr gemeinsames Interesse an
Aufzeichnungsmedien, am Unheimlichen und an neuen Formen der heraufbeschworenen Präsenz.
Dorothea von Hantelmann ist Documenta-Professorin an der Kunsthochschule der Universität
Kassel. Ihre Hauptforschungsfelder sind die zeitgenössische Kunst und Theorie, sowie die Geschichte und Theorie der Ausstellung. Derzeit arbeitet sie an einem Buch, das den historischen
Wandel der sozialen Funktion von Kunstausstellungen analysiert. Vor ihrer Berufung nach Kassel
unterrichtete Dorothea von Hantelmann Kunstgeschichte an der Freie Universität in Berlin und
war wissenschaftliche Mitarbeiterin des Berliner Sonderforschungsbereichs Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Sie ist die Autorin von „How to Do Things with
Art“, eines der grundlegenden Werke zur Performativität in der zeitgenössischen Kunst.
Kapwani Kiwanga vermischt in ihrem Werk absichtlich Wahrheit und Fiktion, um vorherrschende Narrativen durcheinanderzubringen und Räume zu schaffen, in denen grenzwertige und
fantastische Diskurse gedeihen können. Kiwangas Vorliebe für mündliche Überlieferungen treibt
ihre fortlaufende Erforschung der formalen Möglichkeiten des Oralen, in ihren Performances,
Installationen, Klang- und Videoarbeiten. Kiwangas Werke waren in Paris zu sehen, im Centre
Pompidou (2006, 2013), Paris Photo (2011), der Fondation d’entreprise Ricard (2013, 2014) sowie im Jeu de Paume (2014). Außerdem im Glasgow Centre of Contemporary Art (2008); Bienal
Internacional de Arte Contemporáneo, Almería (2006) und The Arts Catalyst, London (2013).
Shi-Wei Lu (geb. 1987 in Taipeh, lebt und arbeitet in Taipeh, Taiwan) ist Künstlerin, Kuratorin
und Aktivistin. Sie studierte Theaterwissenschaften und Visuelle Anthropologie an der Freie Universität Berlin. Ihre Doktorarbeit befasst sich damit, wie die asiatische Kultur von Bertolt Brecht
missverstanden wurde, als er seinen Verfremdungseffekt erfand und sich dabei der chinesischen
Tradition der Peking-Oper bediente. In ihrer künstlerischen Arbeit hinterfragt sie die Möglichkeiten performativer Interventionen im öffentlichen Raum, um eine Körper basierte Bildproduktion
zu erfinden. Sie ist Mitglied der Performancegruppe 否定之否定 („Negating Negation“, dt. Verneinung der Verneinung), organisierte einige Jahre lang eine Freie Performance-Schule in der
Nähe von Taipeh und ist seit 2007 aktives Mitglied der NGO China Labour Watch. Für ihr _Itrash Projekt erhielt sie die taiwanesische Auszeichnung Kleiner Drachen.
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor, sowie Künstlerischer Leiter der
Impulse Theater Biennale. Von 2006 bis 2012 war er Leitender Dramaturg des interdisziplinären
Kunstfestivals steirischer herbst in Graz, Österreich. Er hat als freier Dramaturg mit Künstlern
wie Rimini Protokoll (D), Lola Arias (ARG), Mariano Pensotti (ARG) & Nature Theater of
Oklahoma (USA) zusammengearbeitet. Er (ko-)kuratierte u.a. die 4. und 5. Sommerakademie am
Mousonturm Frankfurt (2002/04), das „Wörterbuch des Krieges“ (2006/07), die Serie „Performing Lectures“ (2004-06) in Frankfurt/Main und den 160-stündigen Performance- und
Theoriemarathon „Truth is concrete“ (Graz, 2012). Seine jüngsten Publikationen umfassen Bücher über die Theatermacher Forced Entertainment und Rimini Protokoll, sowie über das Kuratieren performativer Künste ("Curating Performing Arts", Frakcija 2010) und künstlerischen Aktivismus („Truth is Concrete. A Handbook for Artistic Strategies in Real Politics. Sternberg Press
2014).
Siegmar Nahser ist seit 1997 Kustos der Sammlung Korea- und Japan am Fachreferat Ost- und
Nordasien des Ethnologischen Museums und seit 2006 kuratorial für diesen gesamten Bereich
verantwortlich. Er studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Fachbereichen Ästhetik- Kunst- sowie Asienwissenschaften (Japanwissenschaft). Nahser promovierte 1989 zum Thema „Hokusai und sein Umkreis“. Schwerpunkt seiner Tätigkeit in den letzten Jahren war insbesondere die Mitarbeit an der Bestandserforschung für die Datenbank, darunter Provenienzerkundungen anhand der Archivalien sowie Neuerwerbungen zur Alltags- und Religionskunde für
diese Sammlung.
Alexandra Pirici ist eine in Bukarest lebende Künstlerin. Sie hat einen Hintergrund als Choreografin, aber arbeitet undiszipliniert, über verschiedene Medien hinweg, von der Choreografie bis
hin zur Bildenden Kunst, Musik und Film. Zu den jüngsten Arbeiten zählen „An Immaterial Retrospective of the Venice Biennale“ (zusammen mit Manuel Pelmus), ausgestellt im Rumänischen
Pavillon der 55. Biennale di Venezia sowie öffentliche Raum- und Galerieprojekte, unter anderem
für die Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig; Bass Museum of Art, Miami; Centre Pompidou, Paris; 12. Swiss Sculpture Exhibition und Manifesta 10.
Politique Culinaire ist ein offenes Kollektiv von Künstlern, Hobbyköchen, Autoren und Forschern, die historische Menüs und ihre Inszenierung erkunden, und so die politische Dimension
des Kulinarischen bestätigen. Die Mitglieder sind Franziska Pierwoss, Sandra Teitge, Max Benkendorff und Albrecht Pischel. Zu diesem Anlass arbeitet Politique Culinaire mit Matthias Krüger
zusammen, dem Chefkoch des Außenministeriums der Bundesrepublik Deutschland.