Zum Express - Drehscheibe
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d-xkpt/lokal/XLO03A - 15.08.2011 17:03:23 - Verantwortlich: Cyan Magenta Gelb Schwarz Serie Seite 18 Dienstag, 16. August 2011 Er war Gastarbeiter – und wurde Aufsichtsrat W Wenn enn die die Fremde Fremde zur Heimat zur Heimat wird wird 50 Jahre türkische Gastarbeiter in Köln EXPRESS-Serie, Teil 1 V or 50 Jahren schloss die Bundesrepublik Deutschland nach früheren Vereinbarungen mit Italien, Griechenland und Portugal ein Abkommen zur Anwerbung von Gastarbeitern aus der Türkei – der 30. Oktober 1961 wurde zum historischen Datum. Die Türken wollten einige Jahre arbeiten, gutes Geld verdienen und sich damit in der Heimat ein ordentliches Leben aufbauen. Deutschland war für sie „gurbet“, die Fremde. Doch die Fremde wurde für viele zur neuen Heimat, auf Dauer. Viele holten ihre Familien nach oder gründeten Familien in Deutschland. Der Traum von der Rückkehr erblasste. EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von Deutsch-Türken der ersten, zweiten und dritten Generation. Geschichten von Sehnsucht, Träumen und Erfolg. Salih Güldiken als junger Mann in der Türkei und auf dem Balkon seiner Wohnung in Riehl. Fotos/Repros: Gottschalk (3), Rakocy, privat h i l a S Papa Ein Leben Ein Leben für für FFord ord Von MEHMET ATA Köln – Als Salih Güldiken (74) Anfang des Jahres 1962 nach Deutschland kam, wusste er nicht, was ihn hier erwarten würde. Er kam als Gastarbeiter. Er ging zu Ford. Zehn Jahre später gehörte der Fordler Güldiken schon zum Betriebsrat, dann sogar zum Aufsichtsrat. Aber für die vielen türkischen Kollegen war er einfach nur „Papa Salih“, der ihnen Trost spendete, wenn sie vor Heimweh weinten. rei Tage war Güldiken im Zug aus IstanD bul unterwegs, ehe er am 8. März 1962 in Köln ankam. Als einer der allerersten Gastarbeiter aus der Türkei. In der Heimat hatte er eine Ausbildung zum Elektriker gemacht. Nun wollte er ein paar Jahre in „Almanya“ bleiben, hart arbeiten und gutes Geld verdienen. Güldiken fing bei Ford an. Wie so viele türkische Gastarbeiter. Ford war das erste Unternehmen, das nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei Gastarbeiter anforderte. Deswegen war Köln von Anfang an ganz wichtig für die türkische Einwanderungsgeschichte. Zeitweise arbeiteten 12 000 türkische Arbeiter in den Niehler Ford-Werken. Erste Station von Güldiken: Die Halle Y, Montagehalle. Schichtarbeit, Fließband. „Der Schichtführer stoppte immer die Zeit. Und wir Türken wollten beweisen, dass wir schnell und gut arbeiten können“, erzählt Güldiken. Viel Freizeit hatte er nicht. Denn obwohl er in Köln arbeitete, war er in einem Gastarbeiter-Wohnheim in Wipperfürth untergebracht. In Köln war schlichtweg nichts frei. „Wir mussten jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen, wurden von einem Shuttle-Bus abgeholt und nach Köln gebracht.“ Sehr bald wurde dem jungen Arbeiter klar: Ohne Deutschkenntnisse wird es auf Dauer schwer. Also begann er einen Deutsch-Kurs an der VHS am Neumarkt. Die beste Entscheidung seines Lebens. Denn schon bald wurde Güldiken als Dolmetscher am Band eingesetzt. „Dafür gab es 25 Pfennig extra in der Stunde“, erzählt Güldiken und lacht dabei. Inzwischen war er auch in einem Heim in Köln untergekommen. Stolze Männer weinten neben ihm Ein fleißiger junger Türke, der gut Deutsch sprach: Güldiken fiel auf. Der Betriebsrat wollte ihn verpflichten. Güldikens Reisepass mit Grenzstempeln: „Aber mein Meister wollte mich nicht hergeben.“ Letztlich arbeitete er doch für den Über Griechenland reiste er nach Köln. Betriebsrat, kümmerte sich um die Neuankömmlinge bei Ford. „Alle 14 Tage kam eine Gruppe aus der Türkei, etwa 50 Personen. Sie alle kamen zu mir.“ Güldiken wurde für die Türken zu „Papa Salih“. Ihm vertrauten sie ihre Sorgen an. Viele der stolzen Männer weinten neben ihm, weil sie ihr Heimweh nicht ertrugen. Sie vermissten ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Eltern. Viele verfluchten Deutschland, das Leben in der Fremde. „Unsere Generation hatte es am schwersten“, sagt Güldiken: „Wir waren einsam hier.“ Erster Türke im Aufsichtsrat Für Güldiken selbst lief es gut. 1972 wurde er in den Betriebsrat gewählt, als erster Türke in Deutschland. Und 1978 schaffte er es sogar in den Aufsichtsrat, auch als erster Türke in Deutschland. „Eines habe ich in Deutschland gelernt: Wenn du gut arbeitest, wird das auch gewürdigt.“ Güldiken heiratete 1970, wurde Vater von zwei Kindern. Sein Sohn Levent (39) hat Maschinenbau studiert und arbeitet für Ford. Tochter Özlem (37) ist Apothekerin in den USA. Er selbst lebt allein in seiner Wohnung in Riehl. Seine Frau ist vor drei Jahren verstorben. „Ich habe mich an die Einsamkeit gewöhnt.“ Güldiken könnte in die Türkei zurückkehren, seinen Lebensabend dort verbringen. Doch er will nicht. „Meine Heimat ist Köln“, sagt er und blickt vom Balkon auf den Rhein. „FürunsistderDeutschealles“ Was die erste Studie über Ausländer in Köln (1967) so alles enthüllte W as hielten die Gastarbeiter von den Deutschen – und wie war es umgekehrt? Eine spannende Frage. Die erste von der Stadt Köln in Auftrag gegebene Studie zum Gastarbeiter-Thema aus dem Jahr 1967 (Titel „Die Integration der ausländischen Arbeitnehmer in Köln“) gab erstaunliche Antworten. Untersucht wurden mittels Interviews und Fragebögen gegenseitige Akzeptanz und Erwartungen. Demnach hätten die meisten Ausländer „eine hohe, von Tugendhaftigkeit ! Dat D at jiddet jiddet ja nit ja nit geprägte Meinung von Deutschland und den Deutschen (“Für uns ist der Deutsche schlechthin alles“). Der Gastarbeiter hoffe deshalb auf „Führung und Schutz“, erwarte weiterhin auch „freundschaftlichen Kontakt, Ansprache, Hilfe und Gastfreund- Güldiken war Berater für seine türkischen Kollegen, spendete ihnen Trost, wenn es mal nicht lief. Sie nannten ihn liebevoll „Papa Salih“. Im Betriebsratsbüro: Güldiken arbeitete erst als Dolmetscher für den Betriebsrat, dann wurde er 1972 selbst in den Betriebsrat gewählt. schaft, also die Haltung eines starken, interessierten, wohlwollenden und gerechten Vaters“, wie es die Autoren der Studie formulieren. In Wirklichkeit treffe der Gastarbeiter aber auf Zurückhaltung und Ablehnung.l Im Fazit der Studie kommt es dann zu einer skurril anmutenden Nationenwertung: „Die Kölner sympathisieren am meisten mit den Spaniern. Der stolze Spanier ist gastfreundlich und zuverlässig, sein heißes Blut macht ihn impulsiv. Der Grieche ist ein guter Lieb- haber. Die Griechen erscheinen als ein ruhiges, arbeitsames, wenn auch armes Volk. Italiener sind in den Augen der Kölner weder ruhig, ernst, zuverlässig noch stolz und sau- Ein echtes Postkartenmotiv: Kölber. Das Bild des Türken ner Gastarbeiter posierten für Foist für die Kölner ganz un- tos am liebsten vor dem Dom. differenziert. Die Türken werden für bescheiden gehal- die extremen Sprachschwieten. Ihre Unbeholfenheit und rigkeiten beeinflusst sein.“ Entnommen aus: Ayhan Demirci Unhöflichkeit – beides Eigen„Eine türkische Meile – Die schaften, die ihnen zugespro- (2005): Geschichte der Kölner Keupstraße.“ chen werden – dürften durch Magisterarbeit an der FU Berlin Morgen: „Türke Tas“, das FC-As Güldiken 1980 auf dem Weg in die Türkei. Mit dabei: Tochter Özlem (r.), Sohn Levent und ein Freund (l.) von ihm i So viel Yilmaz imTelefonbuch Heute leben knapp 80 000 Menschen mit türkischer Herkunft in Köln. Allein 86mal taucht der Name „Yilmaz“ im Kölner Telefonbuch auf. Insgesamt leben gut 2,9 Millionen türkischstämmige Bürger in Deutschland. Mehr als 80 Prozent von ihnen sind seit mindestens 10 Jahren in Deutschland. Und jedes Jahr lassen sich mehr als 20 000 Türken einbürgern (Tendenz leicht sinkend). d-xkpt/lokal/XLO03A - 16.08.2011 16:59:36 - Verantwortlich: Cyan Magenta Gelb Schwarz Serie Seite 22 Mittwoch, 17. August 2011 Die tolle (und traurige) Story des FC-Stars Coskun Tas Wenn W enn die die Fremde Fremde zzur ur Heimat Heimat wird wird 6.6.60: FC-Linksaußen Coskun Tas stürmt gegen Tasmania Berlin. 50 Jahre türkische Gastarbeiter in Köln Foto: Horstmüller EXPRESS-Serie, Teil 2 50 Jahren, Ende 1961, kamen die ersten VSieortürkischen Gastarbeiter nach Köln. wollten ein paar Jahre arbeiten, gutes Geld verdienen. Deutschland war für sie „gurbet“, die Fremde. Doch die Fremde wurde mehr und mehr zur neuen Heimat. EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von Deutsch-Türken der ersten, zweiten und dritten Generation. Coskun Tas (76) vor seinem Haus in Köln. Sieben Monate im Jahr lebt er hier, fünf Monate in der Türkei. Tas!“, meldet Herr Stein seine Ankunft. Die paar Brocken Deutsch hat er von seinem VaKöln – Fester Wille im Blick, ter, der noch im Kaiserreich im Leidenschaft im Herzen, der Rahmen der guten wilhelmiGeißbock auf der Brust. Das nisch-osmanischen Beziehungroße Bild, das Sie sehen, ist gen einige Jahre als Bauzeichdas Bild zu einer wundersaner in Leipzig arbeitete. Kremer men Geschichte, der am Ende sagt, Tas solle am Blumenladen die Krönung fehlte. Warum warten. Er schickt Frau Kremer das so war, darüber redet Cos- los, die ihn mit dem Auto abhokun Tas, heute 76, nicht ohne len soll. Traurigkeit. Er, der erste Türke beim FC. Er, der nicht Meister Er spielte schon gegen Puskás und Di Stefano werden durfte. Einige Tage später, nach dem och der Reihe nach. Herr Probetraining, entscheidet der Tas, was auf Deutsch Herr FC: Tas bleibt! Der Junge ist ein Stein heißt, war kein Gastarbei- Glücksgriff, er kommt ablöseter im herkömmlichen Sinn. frei und hat schon internatioNiemand hatte ihn gerufen. Tas nale Erfahrung. Er hat mit Bewar Fußballer bei Besiktas Is- siktas im Europapokal gegen tanbul, und wollte nach dem Real Madrid (mit Puskás und Di Studium Deutsch lernen. Über Stefano) gespielt und mit der Nationalmanneinen Journalisten des „kicker“, türkischen dessen Redaktion in Köln saß, schaft bei der WM 1954 zweinahm er Kontakt zum 1. FC mal gegen das Herberger-Team Köln auf – und tatsächlich: Prä- und seinen jetzt neuen Mannsident Franz Kremer schickte schaftskollegen Hans Schäfer einen Brief an den Bosporus: Ja, gekämpft (und verloren). Kremer besorgt Tas einen alten Fiat man suche einen Linksaußen. Tas packte seine Sachen: und ein Praktikum bei Kaufhof, Schiff nach Venedig, Zug zum wo er mit Karl-Heinz SchnelKölner Hauptbahnhof, An- linger zusammenarbeitet. Drei Jahre, von 1959 bis kunft am Abend. Der neue Mann ruft aus der Telefonzelle 1961, wird Tas beim 1.FC Köln im Geißbockheim an, Kremer spielen - seine große Stunde ist persönlich dran: „Hier Türke schlägt in der Meisterschafts- Von MEHMET ATA und AYHAN DEMIRCI D Verliebt in Köln: Cosku n Ta trud in den frühen 60er s und seine Frau GerJahren. EEinmol inmol Meister Meister sin... sin... endrunde 1960. Der Flügelflitzer ist in allen sechs Spielen dabei, schießt selbst drei Tore, wird von der Presse gefeiert - und erreicht das Finale! Der FC steht vor der ersten Deutschen Meisterschaft! Und so war jener 25.Juni 1960 im Frankfurter Waldstadion ein Tag, um Helden zu schaffen. Endspiel gegen den HSV. Es wird ein Drama. Vier MinuCoskun Tas war als ten vor guter Dribbler und Schluss Kämpfer bekannt. macht Uwe In der Endrunde Seeler das 1960 erzielte er drei 3:2. Der FC Treffer, unter andeverliert. Der rem gegen FK Pirtürkische masens (oben). Fotos: dpa, Horstmüller, Star der Gottschalk (2), Wand (1) Mannschaft ist am Boden einz n Tas (5. von links), Karl-H zerstört. gegangen war, sagte 1. FC Köln, 1960: Cosku und Hans Schäfer (rechts) ) Schockiert. später zu ihm: „CosSchnellinger (4. v. rechts Er versteht dere Erklärung hat er kun, es war ein Fehler, dass ich die Welt nicht mehr. Denn: Er nicht. „Sie haben sogar einen gespielt habe und du nicht.“ hat gar nicht mitgespielt. Spieler eingesetzt, der 10 Tage Auch den Funktionären „Ich gehe davon aus, dass sie vorher am Blinddarm operiert scheint die Sache unangenehm damals eine reine deutsche worden war.“ Jener Georg Stol- gewesen zu sein: „Nach dem Mannschaft haben wollten“, lenwerk, dem in der letzten hal- Spiel kam Franz Kremer etwas sagt Tas heute noch. Eine anben Stunde die Puste aus- geknickt zu mir und sagte, ich 400 Muslime 400 Muslime beten beten im im Dom Dom or mehr als 45 Jahren haV ben uns Christen und Muslime aus Köln gezeigt, wie ein gelungener „Dialog der Kulturen“ aussieht. 400 türkische Gastarbeiter rollten am 3. Februar 1965 im Kölner Dom ihre Gebets- teppiche aus. Sie feierten das islamische Opferfest am Ende des Fasten-Monats Ramadan. „Mohammedaner beten im Dom“, titelte der EXPRESS und zeigte ein großformatiges Foto. Der damalige ! Dat D at jiddet jiddet ja nit ja nit Kardinal Joseph Frings hatte die Erlaubnis zur Aktion gegeben, er hatte dafür gesorgt, dass die Muslime in den beiden nördlichen Seitenschiffen Platz erhielten. Auch die Domprobstei zeigte sich unaufgeregt: „Das ist durchaus nichts Dieses Foto erschien am 4. Februar 1965 im EXPRES Muslime beteten dama Ungewöhnliches.“ S. 400 ls im Dom. i Bekir vom Bosporus Coskun Tas gilt als erster Türke im deutschen Fußball überhaupt, er hatte aber einen Vorgänger noch zu Zeiten der Weimarer Republik: Bekir Refet (geb. 1899 in Istanbul, gest. 1977 in Karlsruhe) wechselte 1921 von Galatasaray zu Phönix Karlsruhe , später zum 1. FC Pforzheim, dann zum Karlsruher FV. würde auch die laut Satzung zustehenden 500 DM bekommen.“ Von der Endspiel-Enttäuschung hatte sich Tas nicht mehr erholt, er blieb nur noch ein weiteres Jahr beim FC, spielte dann noch in der Zweiten Liga beim Bonner FV. Tas arbeitete dann lange Jahre bei Ford in der Verkaufsplanung. Zu den Gastarbeitern, die nun Jahr für Jahr eintrafen, hatte Coskun Tas eine Distanz, weil ihm, dem Großstädter, viele der Menschen aus dem tiefen Anatolien „einfach fremd“ waren, wie er einmal dem Magazin „11 Freunde“ erzählte. Tas lebt heute, verheiratet mit seiner Frau Gertrud und Vater eines Sohnes, in KölnLongerich. Ich bin heute vieles, hat er einmal gesagt: „Ein Kind Atatürks, denn ich bin stolz auf das Land, aus dem ich komme, ein Fußballer, ein Mensch, der über 30 Jahre bei Ford gearbeitet hat, ein Familienvater, deutscher Staatsangehöriger und vor allem ein Kölner.“ Morgen: Die nächste Generation d-xkpt/lokal/XLO03A - 19.08.2011 09:31:50 - Verantwortlich: Cyan Magenta Gelb Schwarz Serie Seite 22 Donnerstag, 18. August 2011 Zwei Migrantenkinder erzählen ihre Geschichte Wenn W enn die die Fremde Fremde zur Heimat zur Heimat wird wird 50 Jahre türkische Gastarbeiter im Rheinland EXPRESS-Serie, Teil 3 or 50 Jahren, Ende 1961, V kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Köln. Sie wollten ein paar Jahre arbeiten, gutes Geld verdienen. Deutschland war für sie „gurbet“, die Fremde. Doch die Fremde wurde mehr und mehr zur neuen Heimat. EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von Deutsch-Türken der ersten, zweiten und dritten Generation. Tülay an ihrem ersten Schultag im September 1986. Kleine K leine Tülay Tülay lehrt lehrt uns jetzt uns jetzt Deutsch Deutsch Von MEHMET ATA Köln – Tülay Altun (31) war eine schlechte Schülerin. Bis der Papa ihr zwei Sätze auf den Weg gab: „Du musst selber wissen, ob du lernen willst. Du kannst ja eines Tages in der Firma deines Bruders Putzfrau werden.“ Heute ist Tülay Lehrerin und Vorbild für ihre türkischen Schüler. ass sie es so weit gebracht hat, D hat sie vor allem ihrem Vater Haydar zu verdanken, der 1973 als Gastarbeiter in die Schwerindustrie nach Witten kam. Seinen Traum vom Maschinenbau-Studium hatte er dafür begraben. Seinen Kindern sollte es eines Tages besser gehen als ihm. Er tat alles dafür, dass Tülay und ihre Brüder die Uni besuchen können. „Er verbot uns sogar, arbeiten zu gehen, damit wir nicht die Schule vernachlässigen“, erzählt Tülay. Sie studierte an der Uni Duisburg-Essen Lehramt, es folgte das Referendariat an einer Kölner Hauptschule. Dann das erste Gespräch mit der Direktorin: „Nach 45 Minuten sagte sie zu mir, dass ich gut Deutsch spreche.“ Tülays Antwort: „Danke, Sie aber auch.“ Seit einem Jahr lehrt Tülay an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Höhenhaus. Jeder zweite Schüler hier hat Migrationshintergrund. „Ich bin vor allem für die türkischen Schülerinnen ein Vorbild“, erzählt Tülay. „Sie sagen mir, dass ich sie viel besser verstehe als andere Lehrer.“ Tülay nutzt ihren kulturellen Hintergrund, um auf Eltern einzuwirken. „In meiner Klasse durfte ein Mädchen mit Kopftuch nicht auf Klassenfahrt mit. Ich habe dann auf Türkisch mit den Eltter Fatma, Bruder tern gesprochen und 1985: Vater Haydar, Mu er Weihnachtsfeier ein i gesagt, dass ich ihre Kubilay und Tülay be Ängste verstehe. Nach bin hier langem Zureden durfte das Mäd- nicht die Migrationsbeauftragte. chen doch mit.“ Ich bin in erster Linie Deutsch- und Tülay Altun sagt aber auch: „Ich Geschichtslehrerin.“ Vater war Türkei-Soldat, Sohn dient bei Bundeswehr hre Eltern und Großeltern kaIfürmen als Fremde hierher. Doch Caglar Ilhan (27) und Deniz Hüseyin Irtem (25) ist Deutschland zum neuen Vaterland geworden. Sie dienen in der Bundeswehr. eniz sitzt im Cockpit des EuD rofighters. Er führt noch die letzten Checks durch, der Pilot will gleich losfliegen. Deniz ist Mechaniker bei der Bundeswehr in Nörvenich. Der 25-Jährige sorgt dafür, dass die Kampfflieger einsatzbereit sind. Von seinen Kameraden wird er nur „Türke“ genannt. „Weil ich immer so viel Türkisch am Telefon rede“, lacht Deniz. Der Spitzname ist nicht böse gemeint, im Gegenteil: Die Kameraden gehen locker damit um, dass Deniz’ Eltern aus der Türkei Die Soldaten Deniz (l.) und Caglar vor einem Eurofighter der Luftwaffe. Foto: Wand stammen. Der Enkel eines Gastarbeiters ist seit fünf Jahren bei der Bundeswehr – und er will noch bis mindestens 2019 bleiben. Ist es komisch, als Migrant für Deutschland zu dienen? Deniz: „Nein, schließlich habe ich diesem Land alles zu verdanken.“ Sein Kamerad Caglar „Charly“ Ilhan arbeitet seit einem Jahr in der Verwaltung der Kaserne. Als das Unternehmen, bei dem er gearbeitet hat, nach Polen verlagert wurde, hatte Charly plötzlich keinen Job mehr. Er bewarb sich bei der Bundeswehr. Dafür musste er erst mal seine Verwei- Deniz’ Vater Kazim diente noch für die Türkei (1992). gerung zurückziehen; er hatte auch schon Zivildienst geleistet. Bereut hat er den Schritt nicht. Morgen: Türkische Unternehmer in Zukunftsbranchen Tülay Altun (31) ist seit einem Jahr Lehrerin an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Höhenhaus. Fotos: Gottschalk, privat DasOrakelvon1486: Sultans-Tod in Cölln Von A. DEMIRCI ! ie Türken komDat at jiddet jiddet D men – jahrhun- D dertelang ein Schreckensruf. Trost ja ja nit nit spendete der Astro- loge Johannes Lichtenberger 1486. Ja, bestätigte er zwar, der Türken-Sturm werde als Zuchtrute Gottes auch Deutschland heimsuchen, aber in Köln sei dann Schluss damit: Hier, „bey dem gülden apffel zu cölln“ werde der Sultan „umbkommen und erwürget“ werden, und das mit Hilfe von den Heiligen Drei Königen, deren Reliquien seit 1164 in Köln ruhten. ●●● Die Türken kamen schließlich doch, aber legal. Das besang die Düsseldorfer Band „Fehlfarben“ 1980 im grotesken Song „Militürk“ aus dem Album „Monarchie & Alltag“ mit einem eiskalten Gitarrenriff und der Textzeile: „Wir sind die Türken von morgen.“ ●●● Von gestern, eine sagenhafte Einwandererkarriere: Der 1827 in Brandenburg geborene Karl Detroit kam als Schiffsjunge in die Osmanenkapitale Istanbul, ein Großwesir holte ihn in die Armee, aus Karl wurde Offizier Mehmet Ali Pascha. Er war Oberbefehlshaber auf dem Balkan, vertrat die Türkei beim Berliner Kongress 1878 Karl/Mehmet fiel bei einem Aufstand in Albanien . d-xkpt/lokal/XLO03A - 19.08.2011 09:33:09 - Verantwortlich: gerd.kuehnemuth Cyan Magenta Gelb Schwarz Serie Seite 22 Freitag, 19. August 2011 Computer – Solarenergie – Altenpflege TTürkische ürkische Unternehmer: Unternehmer: Die Die M Macher acher der der Zukunft Zukunft Von MEHMET ATA Köln – Türkische Unternehmer? Da denkt man an den Döner-Verkäufer um die Ecke – vielleicht noch an einen Juwelier. Und tatsächlich: Der Großteil der türkischen Unternehmer in Deutschland ist im Gastgewerbe und Handel tätig. Doch mehr und mehr Geschäftsleute trauen sich inzwischen in neue Geschäftszweige. „Die rund 70 000 türkischen Unternehmer sind heute in fast allen Branchen vertreten“, sagt Bil- 50 Jahre türkische gehan Yildiz Gastarbeiter in Köln von der Türkisch-DeutEXPRESS-Serie, Teil 4 schen Industrie- und Handelskammer in Köln. Dabei schaffen sie schätzungsweise 260 000 Arbeitsplätze. Inzwischen gibt es sogar viele Unternehmer, die in sogenannten Zukunftsbranchen ganz vorne mitmischen. Sie gründen Hightech-Unternehmen oder engagieren sich in der immer wichtiger werdenden Altenpflege. EXPRESS stellt vier solcher Geschäftsleute vor, die im Rheinland aktiv sind. Wenn W enn die die Fremde Fremde zur Heimat zur Heimat wird wird Kemal Cakir , Pflegezentrum Cakir Pionier für Senioren A ls Kemal Cakir (40) vor 20 Jahren seine Ausbildung zum Krankenpfleger begann, runzelten sie in der Familie die Stirn. Denn der Pflegerberuf ist in türkischen Familien nicht sehr angesehen. Heute ist Cakir der Einzige aus der Familie, der sein eigenes Unternehmen führt. „Dabei haben alle meine Geschwister studiert“, lacht der 40Jährige. Vor zwölf Jahren hat Cakir in Bönen (Westfalen) eines der ersten türkischen Pflegezentren in Deutschland eröffnet. „Der Bedarf war riesig“, erzählt er. „Wenn Menschen krank sind, werden sie konservativer, emotionaler, religiöser. Türken wollen dann oft von Türken gepflegt werden.“ Heute bietet Cakir häusliche und stationäre Pflege für Deutsche und Migranten an. 182 Mitarbeiter hat er inzwischen, allein 30 im Raum Köln/Aachen. Das Rheinland wird immer wichtiger für den Geschäftsmann. In Kürze will er in Porz ein Büro eröffnen. Ibrahim hat schon mit 18 Jahren sein erstes Unternehmen gegründet. Mit 19 hatte er schon 200 Mitarbeiter. Fotos: Schwaiger, Borm, Solitem, Cakir Ibrahim Evsan (35), United Prototype Vom Hauptschüler zum Internet-Unternehmer brahim Evsan (35) kennt Inehmen. sich aus mit Internet-UnterSchon mit 19 Jahren führte er eine IT-Firma mit 200 Mitarbeitern. Später war er Mitbegründer von sevenload.de, einer Art deutschem Youtube. Inzwischen leitet er „United Prototype“. Das 30 Mann starke Unternehmen hat das Online-Spiel „Fliplife“ entwickelt. User können im Internet Karrieren nachspielen, zum Beispiel bei der Bayer AG. „Innerhalb von sechs Monaten haben sich 280 000 Spieler angemeldet. Wir sind schon Ilker Aydin (28), Kaiser Games GmbH König der Spiele lker Aydin geIJahren hört mit nur 28 zu den er- Inzwischen betreibt Ilker, dessen Großeltern in den folgreichsten In60er Jahren nach ternet-UnternehDeutschland einmern in Deutschgewandert sind, land. Seine Intermit seinen acht netseiten haben Mitarbeitern die bis zu zwei MilInternetseite lionen Besucher spieleaffe.de. Kinjeden Tag. Ilker der können dort bleibt aber die kostenlos 6000 Bescheidenheit in Mini-Spiele spiePerson, zurücklen. Spieleaffe gehaltend, höflich. Für Ilker (28) ist hört zu den 35 Aufgewachsen ist die Chefrolle noch meistbesuchten er in Köln-Porz, in ungewohnt. Seiten im deuteiner schwierigen schen Netz. Die Gegend. „Ich habe aufge- türkische Version der Seite passt, dass ich nicht auf die (kraloyun.com) ist genauso schiefe Bahn gerate“, sagt Il- beliebt. ker. Nach dem Abitur hat er Für sein zukünftiges Leben eine Ausbildung zum Fremd- kann sich Ilker viel vorstelsprachenkorrespondenten len. Nur eines will er nicht: gemacht. Danach folgte das wegziehen. „Köln ist einfach Studium der „Arts and Media meine Heimat, eine wunderBusiness Administration“. volle Stadt.“ Morgen lesen Sie: Nazan, Fatih, Ozan – was Promis denken jetzt in den schwarzen Zahlen“, sagt „Ibo“. Der gebürtige Warendorfer hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt, hat den Sprung von der Hauptschule in die Chefetage geschafft. Abitur hat er nicht machen können; seine Eltern waren dagegen. Nicht aus Bösargkeit, sondern weil sie, die ehemaligen Gastarbeiter, die akademische Welt nicht einschätzen konnten. Heute setzt sich Ibo für die Schwächeren in der Gesellschaft ein. Er sitzt im Vorstand der Deutschlandstiftung Integration und ist Ko- mitee-Mitglied bei UNICEF. „Ein Drittel meiner Arbeitszeit wende ich für mein Engagement auf“, erzählt er. Was hat so ein Mann in fünf Jahren vor? „Dann will ich erst mal nicht mehr arbeiten. Für mich beginnt dann die Zeit der Erdung.“ m Ahmet Lokurlu (47), Solartechnik Solite 18 Preise für seine Sonnensysteme pätestens seit dem AtomSÖko-Strom unglück von Fukushima ist ein großes Thema. Für Ahmet Lokurlu sind solche Diskussionen aber nicht neu, er gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der nachhaltigen Stromerzeugung. Mit seiner Aachener Firma „Solitem“ arbeitet er schon seit 1999 an solarbetriebenen Klimaanlagen. Die Grundidee ist einfach: Klimaanlagen werden dann gebraucht, wenn es sehr warm ist. Dann scheint aber auch die Sonne am stärksten. Warum also nicht Sonnenenergie für Klimaanla- gen nutzen? Lokurlus Kälteanlagen sind dreimal so effektiv wie herkömmliche Systeme. Seine Kunden hat der promovierte Ingenieur vor allem in mediterranen Ländern. 15 Mitarbeiter arbeiten bei Solitem in Aachen, etwa 25 im türkischen Ankara. Lokurlu ist 1988 zum Studieren nach Deutschland gekommen. Seine türkische Herkunft empfindet Lokurlu nicht als Belastung. Im Gegenteil: „Mehrere Kulturen kennenzulernen war ein großer Reichtum für mich. So war ich immer offen für Neues.“ Hat mit seiner innovativen Technologie weltweit schon 18 Preise gewonnen: Dr. Ahmet Lokurlu Warum die Bosporusbrücke auch „Made in Mülheim“ ist ie Verbindungen zwiD schen Deutschland und der Türkei, Köln und Istanbul vinz Rize. Er kam 1963 nach Deutschland, wurde Arbeiter beim Mülheimer Kabelher(Städtepartner) sind vielfältig. steller Felten & Guilleaume, Beispielhaft ist da damals ein Weltder Gastarbeiter konzern. Abidin Aygün, geb. F & G stellte die 1939 in der Stahlseile für die SchwarzmeerproIstanbuler Bospo- ! Dat D at jiddet jiddet ja n ja nit it rusbrücke her, die bei ihrer Einweihung 1973 eine Sensation war - und Herr Aygün aus der Keupstraße war es, der als Drahtprüfer kontrollierte, ob die Stahlseile für das 1500 Meter lange Wahrzeichen, das fortan Asien und Europa verband, die Last auch trägt. d-xkpt/lokal/XLO05A - 19.08.2011 16:48:21 - Verantwortlich: claudia.streich Cyan Magenta Gelb Schwarz Serie Seite 28 Samstag, 20. August 2011 Fatih Cevikkollu fühlt sich deutsch und türkisch zugleich. „Ich will mich nicht entscheiden.“ Fotos: Borm, PR Wenn W enn die die Fremde Fremde zur Heimat zur Heimat wird wird 50 Jahre türkische Gastarbeiter im Rheinland EXPRESS-Serie, Teil 5 or einem halben JahrhunV dert kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei ins Rheinland. Heute sind die Kinder der ersten Migrantengeneration in allen Branchen vertreten – auch im Showbusiness. Wir kennen sie aus Film und Fernsehen. Der EXPRESS hat mit deutsch-türkischen Promis aus dem Rheinland gesprochen. Der Kabarettist Fatih Cevikkollu („Alles Atze“, „Fatihland“), die Moderatorin Nazan Eckes („Let’s Dance“) und der „Stunker“ Ozan Akhan erzählen über Deutschland, die Türkei und über ihre Familiengeschichten. Und über die Zukunft der Integration. Wir W ir Deutsche Deutsche müssen mehr müssen mehr über über uns Türken uns Türken lernen lernen Comedian Fatih Cevikkollu über Köln und die Integration mit „Oma Büttner“ Von MEHMET ATA Herr Cevikkollu, Sie sind gebürtiger Kölner, leben in Nippes. Was war für Ihre Integration entscheidend? Bei uns im Haus lebte eine alte Dame, Frau Büttner. Sie war Jahrgang 1900. Frau Büttner war meine erste Freundin, ich habe sie immer „Oma“ genannt. Sie hat mir erzählt, wie Köln früher aussah und sie hat mir Kölsch beigebracht. Es war die Freundschaft einer einsamen, alten Dame mit einem einsamen, kleinen Jungen. Außerdem hat meine Mutter sehr darauf geachtet, dass ich früh Deutsch lerne. Warum sind Ihre Eltern nach Deutschland eingewandert? Mein Vater kam Mitte der 60er Jahre als Gastarbeiter nach Köln, er war Werkzeugmacher bei Ford. Meine Mutter kam erst im Jahr 1968 nach. Seit zehn Jahren leben sie nun schon wieder in der Türkei. Fühlen Sie sich eher deutsch oder türkisch? Ich will mich nicht entscheiden. Ich bin Deutschland seine Zukunft (lacht). Man muss selbstbewusst mit seiner Identität umgehen. Und wir Deutsche müssen mehr über uns Türken lernen. Sie haben eine vierjährige Tochter. Ist es Ihnen wichtig, dass sie den Kontakt zur Türkei nicht verliert? Nein. Es gibt genug Probleme im Leben, da braucht sie nicht auch das Identitäts-Problem. Deutschland ist unser Lebensmittelpunkt, nicht die Türkei. Es ist mir aber wichtig, dass meine Tochter Türkisch lernt. Ist es leicht, sich in Köln heimisch zu fühlen? Jeder sagt, dass seine Stadt die schönste ist. Aber bei Köln stimmt das wirklich (lacht). Wenn ich über die Zoobrücke fahre, schlägt mein Herz höher. Ozan Akhan: Viele Top-Leute gehen leider in die Türkei Herr Akhan, Sie leben seit 1995 in Deutschland, kennen also die Türkei und Deutschland sehr gut. Wie unterscheiden sich Türken dort von den Türken hier? Viele Türken in Deutschland leben in einer Konserve. Sie haben Angst, ihre Kultur zu verlieren. In der Türkei sind die Menschen entspannter, offener. Ich finde, man darf keine Angst vor Veränderungen haben. Wie hat Deutschland Sie verändert? Zum Positiven. Ich bin disziplinierter und fleißiger geworden. Ich kann leichter Kritik äußern als früher. Die Deutschen sind ruhiger. Aber manchmal fehlt mir die türkische Spontanität doch. Fiel es Ihnen schwer, sich in Deutschland einzugewöhnen? Als ich hierhin kam, sprach ich kein Wort Deutsch. Das war nicht einfach. Aber in Köln ist es relaSchauspieler Ozan Akhan (45) hat am türkischen Staatstheater in Izmir gearbeitet; 1995 ist er nach Köln gekommen. Seit 2000 gehört er zum festen Ensemble der Stunksitzung – als einziger Türke. Eine Rückkehr in die Türkei kann sich Akhan nicht vorstellen. Belgisches Dorf feiert jedes Jahr Karneval „rut-wieß“ diesem Dorf ist alles geIchenntürkt: Im belgischen ÖrtFaymonville (Provinz Nazan Eckes: Meine Mutter hatte Angst und war traurig Moderation Nazan Eckes (35) will sich in Integrationsthemen einmischen Frau Eckes, in Ihrem Buch „Guten Morgen Abendland“ erzählen Sie Ihre Familiengeschichte. Warum haben Sie keinen Autobiografie geschrieben? Meine Eltern haben spannendere Geschichten zu erzählen als ich. Meine Generation ist in diese Gesellschaft hineingeboren; für meine Eltern war alles neu. Ihr Vater ist 1966 als Gastarbeiter gekommen. Wie hat er sich gefühlt? Einerseits war es sehr schwierig für ihn. Andererseits hat ihn die große Welt schon als Kind fasziniert. Mit 16 Jahren ist er von zu Hause ausgebüxt und nach Istanbul gefahren, um seinen Onkel zu suchen. Das war schon filmreif. Auch Ihre Mutter kommt im Buch zu Wort. Ärgert Sie, dass nie über die Frauen der Gastarbeiter gesprochen wird? Sehr sogar. Als ich für mein Buch recherchiert habe, hat mir meine Mutter einen Brief geschrieben. Ich war erstaunt, wie wortgewandt sie ist, wie sensibel und tiefgründig sie schreiben kann. Als ich ihre Worte las, habe ich mich geschämt – dafür, dass ich sie unterschätzt habe. Wie ging es ihrer Mutter damals? Anfangs ist sie nicht ohne meinen Vater aus dem Haus gegangen. Sie hatte Angst, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschte. Und sie war oft traurig, weil ihre Geschwister und Eltern weit entfernt in der Türkei waren. Sie engagieren sich im Integrationsbeirat der Bundesregierung. Warum? Früher habe ich mich aus Integrations-Themen herausgehalten, weil ich keine Quotentürkin sein wollte. Aber ich will nicht mehr nur zuschauen, sondern mich einmischen. Ich will eine Stimme für türkische Frauen sein, auch für Frauen wie meine Mutter. Morgen: Ata & Demirci - der Deutschland-Türkei-Talk tiv leicht, sich einzugewöhnen. An der Keupstraße oder Weidengasse kann man sehr gut Türkisch essen gehen. Das ist gut gegen Heimweh (lacht). Was müsste für die Integration der Deutsch-Türken getan werden? Das Hauptproblem ist inzwischen, dass viele hoch qualifizierte Türken Deutschland verlassen, weil sie keine Perspektive sehen oder diskriminiert werden. Migrantenkinder müssen schon ganz früh Deutsch lernen. Und Deutschland muss offener für Migranten werden. Sie gehören seit 2000 zum festen Ensemble der Stunksitzung... Ja, die Stunksitzung ist einfach Kult. Jeden Abend kommen mehr als 1000 Menschen, feiern ein Volksfest. Die Leute sind entspannt, plaudern viel. An Karneval zeigt sich: Die Rheinländer sind wie Türken. Das ist kein anatolisches Dorf, sondern Faymonville in Belgien. Lüttich) hat noch nie ein Türke gelebt, trotzdem werden die Bewohner nur „die Türken“ genannt. Den Faymonvillern gefällt’s, sie feiern jedes Jahr einen großen Türkenkarneval. Immer am 23. Februar verkleiden sich Klein und Groß und ziehen mit der türkischen Nationalflagge durch die Stadt. Inzwischen ist das Fest so bekannt, dass sogar türkische Diplomaten anreisen, um sich das Treiben der Belgier anzuschauen. Wie das Dorf Faymonville zu dem Türken-Spitznamen kam, ist nicht ganz klar. ! Dat D at jiddet jiddet ja nit ja nit Wahrscheinlichste Theorie: Das Dorf weigerte sich im 16. Jahrhundert, Steuern für den Kampf gegen die Osmanen zu zahlen. Deshalb dachten die Nachbardörfer, Faymonville würde die Türken unterstützen. d-so-pt/so_ex/XLO02AXS - 20.08.2011 21:19:24 - Verantwortlich: florian.summerer Cyan Magenta Gelb Schwarz SCHNELLSCHNELLER EXPRESS Schadstoffsammlung in Meschenich Köln – Das Schadstoffmobil der AWB fährt nun auch den Stadtteil Meschenich direkt an. Der neue Standort ist auf dem Aldi-Parkplatz, Brühler Landstraße 401. Vollsperrung der Ausfahrt Lövenich Köln – Die Arbeiten an der Anschlussstelle Köln-Lövenich gehen weiter: Am morgigen Montag sperrt die Straßenbauverwaltung NRW ab 6 Uhr morgens an der Anschlussstelle Lövenich die Ausfahrt von Dortmund kommend. Die Vollsperrung wird etwa zwei Wochen dauern. Seite 43 Serie / Köln Sonntag, 21. August 2011 Die EXPRESS-Autoren Ata und Demirci IIch ch bin bin Deutschland-Fan: Deutschland-Fan: D Duu etwa etwa nicht? nicht? Wo der Pfeffer wächst... Köln – Heute findet im Botanischen Garten eine Führung rund um das Thema „Pfeffer" statt. Ab 11 Uhr erläutert Silvia Vermeulen, was die Schärfe des Gewürzes ausmacht, wie die Aromen am besten zur Geltung kommen und viele andere interessante Aspekte. Rechte Rheinseite sucht Ehrenamtliche Köln – Ehrenamtliche Unterstützung wird von verschiedenen rechtsrheinischen Institutionen für die Bereiche Hausaufgaben und Sprachförderung gesucht. Am 9. September wird in der VHS Mülheim ein kostenfreies Vorbereitungsseminar durchgeführt. Reden über Deutschland und die Türken: Die EXPRESS-Autoren Mehmet Ata (links) und Ayhan Demirci vor der Kulisse des Hauptbahnhofs. Fotos: Udo Gottschalk, dpa Wenn W enn die die Fremde Fremde zur Heimat zur Heimat wird wird 50 Jahre türkische Gastarbeiter in Köln 50 Jahre Gastarbeiter aus der Türkei – das ist für den EXPRESS-Volontär Mehmet Ata (29, geb. in Bochum) und den stellvertretenden Lokalchef Ayhan Demirci (43, geb. in Köln) Anlass, um über das Zusammenleben von Deutschen und Türken, EXPRESS-Serie, Teil 6 Fußball-Gegner Eigelstein:Täter schlägt mit Baustellenpfosten zu Köln – Gestern um 16.09 Uhr kam es am Eigelstein zu einer tatkräftigen Auseinandersetzung zwischen zwei Männern. Im Laufe des lautstarken Streits verlor einer der beiden Beteiligten dann die Fassung. Er nahm einen Baustellenabsperrpfosten einer naheliegenden Baustelle und schlug damit auf sein Opfer ein. Nachdem der Geschädigte mit Kopfverletzungen blutüberströmt zu Boden ging, floh der Täter. Mehrere Zeugen verständigten unmittelbar nach der Gewalttat die Polizei. Diese konnte im Nahbereich einen Tatverdächtigen verhaften. Das Opfer wurde in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Lebensgefahr besteht nicht. Über den Streitauslöser ist der Polizei derzeit noch nichts bekannt. IMPRESSUM Herausgeber: Alfred Neven DuMont Christian DuMont Schütte Chefredakteur: Rudolf Kreitz; Stellvertreter: Berndt Thiel, Uwe Hoffmann, Thomas Kemmerer (Online); Chef vom Dienst: Christian Hautop; Politik: Maternus Hilger (Leitender Redakteur); Christian Wiermer (Hauptstadt-Korrespondent); Vermischtes: Dirk Amarell, Stellvertreter: Jörg Philippi-Gerle, Stefanie Monien; Sport: Christian Knop, Stellvertreter: Marcel Schwamborn; Lokalredaktion Köln: Christian Lorenz, Stellvertreter: Ayhan Demirci; Chefreporter: Philipp Meckert, Dr. Volker Roters, Thomas Gassmann; Online: Alexander Boecker (Stellvertreter); Art Director: Florian Summerer (Stellvertreter); Produktion (Stellvertreter): Stefan Fuhr (alle verantwortlich und wohnhaft in Köln). Verlagsleiter: Stefan Hilscher; Anzeigenleiter: Karsten Hundhausen; Leitung Zeitungsverkauf: Uwe Müller. Verlag und Druck: M. DuMont Schauberg – Expedition der Kölnischen Zeitung GmbH & Co KG, 50590 Köln, Neven DuMont Haus, oder Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, Telefax Redaktion (0221) 224 2700, Anzeigenabteilung (0221) 224 2491, Postbankkonto Köln 250505 – Gültig: Anzeigenpreisliste Nr. 51 vom 1. Januar 2011 und unsere Allgemeinen und Zusätzlichen Geschäftsbedingungen. Erfüllungsort und Gerichtsstand, soweit gesetzlich zulässig, ist Köln. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Für die Herstellung des EXPRESS wird Recycling-Papier verwendet. Telefon: 0221/224-0 Anzeigen-Service: Tel. 0180/40 20 400, Fax 0221/224-2491 (0,20 €/Gespräch a. d. dt. Festnetz, Mobilfunkhöchstpreis 0,42 €/min) E-Mail: [email protected] Abonnenten-Service: Tel. 0180/23 03 333, Fax 0221/224-2332 (0,06 €/Gespräch a. d. dt. Festnetz, Mobilfunkhöchstpreis 0,42 €/min) E-Mail: [email protected] Internet: www.express.de Ayhan: Mehmet, du hast den deutschen Pass. Bist du im Fußball auch Deutschland-Fan? Mehmet: Ja, ganz klar. Im EMHalbfinale gegen die Türkei gab das aber Ärger mit meiner türkischen Freundin. Sie hat nach dem 3:2 geweint. Es folgte eine kleine Beziehungskrise. Ich musste sie dann trösten. Ayhan: Ich bin Türkei-Fan, war aber letztlich zufrieden mit dem Ergebnis. Deutschland aus dem Halbfinale zu schießen, wäre schon gewagt gewesen. Aber fühlst du denn gar nichts, wenn die Türkei spielt? Immerhin ist es das Land deiner Eltern. Mehmet: Aber ich habe fast keinen Bezug zur Türkei. Meine Verwandten leben alle in NRW. Was noch für Deutschland spricht: Wir haben so gute Spieler wie Mesut Özil... Einbürgerungs-Scheu Ayhan: Ich habe noch immer den türkischen Pass. Vor drei Jahren habe ich die Einbürgerung beantragt, von den deutschen Behörden die Einbürgerungs-Zusicherung auch längst erhalten. Aber das ganze liegt auf Eis. Nach der Moschee-Debatte in Köln wollte ich den türkischen Pass nicht mehr abgeben. Man hängt schon dran. Mehmet: Mein Vater hat seinerzeit für unsere ganze Familie den deutschen Pass beantragt. Seit dem 13. September 1994 bin ich Deutscher. Ich bin auch sehr froh darüber. Ich kann visumfrei in viele Länder reisen, an Wahlen teilnehmen... Ayhan: Mich stört es, dass meine griechischen und italienischen Freunde als EU-Bürger zwei Pässe haben können. Und selbst wenn sie den deutschen Pass nicht haben wollen, können sie an Kommunalwahlen teilnehmen. Den Türken ist das nicht möglich. Cem Karaca, einer der wichtigsten Vertreter des „Anadolu Rock“, lebte von 1979 bis 1987 im Kölner Exil. 1984 Mehmet: Als ich den ehemaligen Ford-Mitarbeiter Salih Güldiken (75) interviewt habe, ist mir eines ganz deutlich geworden: Diese Menschen haben Angst, dass ihre Geschichten vergessen werden. Güldiken hat ein Leben lang Dokumente und Fotos gesammelt, um seine Erlebnisse erzählen zu können. Jemand wie er ist ein Teil Nachkriegs-Deutschlands, er ist ja kein Fremder mehr. Ayhan: Meine Mutter kam 1964 alleine am Kölner Hauptbahnhof an. Alles war fremd für sie: Die Religion, die Sprache. Deutschland war noch ein kriegsversehrtes Land. Auf sich allein gestellt hat sie sich als Fließband-Arbeiterin bei Stollwerck eine Existenz aufgebaut. Mein Vater, der später auf dem Bau gearbeitet hat, und die Kinder kamen nach. Es ist schade, dass die Gastarbeiter-Geschichten nie er- nahm er hier das deutschsprachige Album „Die Kanaken“ auf. “ Neset Ertas, der bedeutendste lebende Volksmusiker der Türkei, lebt viele Monate im Jahr in Köln. Hier schreibt er viele seiner legendären Lieder. So ist Köln auch eine türkische Kulturmetropole. ! Dat D at jiddet jiddet ja nit ja nit zählt werden: Eigentlich müsste diesen Menschen ein Denkmal gesetzt werden, und wenn es ein erzählerisches ist. Einen Film gibt es, „Zeit der Wünsche“. Mein Bruder hat geweint, als er den Film sah. Ausländerbild in den Medien Ayhan: 1973 hieß es auf dem Spiegel-Titelbild: „1 Million Türken – Gettos in Deutschland“. Erster Satz im Text: Rette sich wer kann – Gastarbeiter-Sehnsucht Die Stadt der türkischen Superstars ewollt oder ungewollt: Einige G der bedeutendsten türkischen Künstler lebten oder leben in Köln. den Moscheebau in Köln und die besondere Rolle der Medien zu diskutieren. Dabei zeigt sich: Die beiden sind sich oft nicht einig. Der eine fiebert beim Fußball mit Deutschland mit, der andere jubelt nur, wenn die Türkei gewinnt. Darstellungen entschuldigt. Mehmet: Das Türken-Bild in den Medien hat sich in den vergangenen zehn Jahren weiter verschlechtert. Dabei klappt das Zusammenleben doch gar nicht so schlecht. Auseinandersetzungen wie in Frankreich oder England kann ich mir hier in Deutschland nicht vorstellen. Ayhan: Alles, was die Kritiker anführen, Ehrenmord, VerwandtenEhen, Extremismus, Ignoranz, natürlich gibt es das, in nächster Nähe habe ich es erlebt. Aber die absolute Mehrheit der Menschen will damit nichts zu tun haben. Moschee-Bau Die Zentralmoschee in Ehrenfeld soll Ende 2011 fertiggestellt sein. die Türken kommen. 2006 schreibt der Zeit-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo in einem Leitartikel sinngemäß, die Türken im Land würden nichts taugen, wären „erschreckend erfolglos“. Wie kann man so etwas behaupten? Ich hatte noch ein anderes Schlüsselerlebnis: Der oscarprämierte Film „Midnight Express“, die Geschichte eines amerikanischen Drogenschmugglers, der in türkischen Gefängnissen ein Martyrium erlebt. Jeder Türke im Film, Richter, Anwälte, selbst die Kinder, sind böse. Die ganze Welt hat den Film gesehen. Ich dachte : So kann man doch ein ganzes Volk nicht darstellen. Für die Türkei war das ein Trauma. Der Drehbuchautor Oliver Stone hat sich später für die Ayhan: Mich stören unförmige Moscheen im Landschaftsbild. Manchmal liegt es daran, dass die Minarette nicht so hoch gebaut werden dürfen, untenrum aber der Platz voll ausgenutzt werden soll, so dass die Proportionen nicht stimmen. Am Moscheebau in Köln kann man sich ein architektonisches Beispiel nehmen. Moscheen in Deutschland sollten modern sein. Mehmet: Die Zentralmoschee in Ehrenfeld will ein Kölner Wahrzeichen werden und Touristen anlocken. Ich bin gespannt, ob das gelingt. Deutsch-türkische Zukunft Ayhan: Ich kann verstehen, wenn alteingesessene Deutsche Angst haben. Mit der Migration machen wir einen epochalen Wandel durch. Aber die Einwanderung ist letztlich ein Glücksfall für das Land, allein wegen des demografischen Wandels. Für die Zukunft glaube ich daran, dass Deutschland und die Türkei starke Partner sein können. Mehmet: Ich hoffe, dass es eines Tages gar keinen Unterschied mehr macht, ob die Eltern aus Deutschland oder dem Ausland stammen. Das hier ist auch mein Land. Ende