Zum Express - Drehscheibe

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Zum Express - Drehscheibe
d-xkpt/lokal/XLO03A - 15.08.2011 17:03:23 - Verantwortlich:
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Serie
Seite 18
Dienstag, 16. August 2011
Er war Gastarbeiter – und wurde Aufsichtsrat
W
Wenn
enn die
die Fremde
Fremde
zur Heimat
zur
Heimat wird
wird
50 Jahre türkische
Gastarbeiter in Köln
EXPRESS-Serie, Teil 1
V
or 50 Jahren schloss die Bundesrepublik Deutschland nach früheren Vereinbarungen mit Italien, Griechenland
und Portugal ein Abkommen zur Anwerbung von Gastarbeitern aus der Türkei –
der 30. Oktober 1961 wurde zum historischen Datum. Die Türken wollten einige
Jahre arbeiten, gutes Geld verdienen und
sich damit in der Heimat ein ordentliches
Leben aufbauen. Deutschland war für sie
„gurbet“, die Fremde. Doch die Fremde
wurde für viele zur neuen Heimat, auf
Dauer. Viele holten ihre Familien nach
oder gründeten Familien in Deutschland.
Der Traum von der Rückkehr erblasste.
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von
Deutsch-Türken der ersten, zweiten und
dritten Generation. Geschichten von
Sehnsucht, Träumen und Erfolg.
Salih Güldiken als junger Mann in
der Türkei
und auf dem
Balkon seiner
Wohnung in
Riehl.
Fotos/Repros:
Gottschalk (3),
Rakocy, privat
h
i
l
a
S
Papa
Ein Leben
Ein
Leben für
für FFord
ord
Von MEHMET ATA
Köln – Als Salih Güldiken (74) Anfang des
Jahres 1962 nach Deutschland kam,
wusste er nicht, was ihn hier erwarten
würde. Er kam als Gastarbeiter. Er ging zu
Ford. Zehn Jahre später gehörte der Fordler Güldiken schon zum Betriebsrat, dann
sogar zum Aufsichtsrat. Aber für die vielen türkischen Kollegen war er einfach
nur „Papa Salih“, der ihnen Trost spendete, wenn sie vor Heimweh weinten.
rei Tage war Güldiken im Zug aus IstanD
bul unterwegs, ehe er am 8. März 1962
in Köln ankam. Als einer der allerersten
Gastarbeiter aus der Türkei. In der Heimat
hatte er eine Ausbildung zum Elektriker gemacht. Nun wollte er ein paar Jahre in „Almanya“ bleiben, hart arbeiten und gutes
Geld verdienen.
Güldiken fing bei Ford an. Wie so viele
türkische Gastarbeiter. Ford war das erste
Unternehmen, das nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der
Türkei Gastarbeiter anforderte. Deswegen
war Köln von Anfang an ganz wichtig für
die türkische Einwanderungsgeschichte.
Zeitweise arbeiteten 12 000 türkische Arbeiter in den Niehler Ford-Werken.
Erste Station von Güldiken: Die Halle Y,
Montagehalle. Schichtarbeit, Fließband.
„Der Schichtführer stoppte immer die Zeit.
Und wir Türken wollten beweisen, dass wir
schnell und gut arbeiten können“, erzählt
Güldiken. Viel Freizeit hatte er nicht. Denn
obwohl er in Köln arbeitete, war er in einem
Gastarbeiter-Wohnheim in Wipperfürth
untergebracht. In Köln war schlichtweg
nichts frei. „Wir mussten jeden Morgen um
5 Uhr aufstehen, wurden von einem Shuttle-Bus abgeholt und nach Köln gebracht.“
Sehr bald wurde dem jungen Arbeiter
klar: Ohne Deutschkenntnisse wird es auf
Dauer schwer. Also begann er einen
Deutsch-Kurs an der VHS am Neumarkt.
Die beste Entscheidung seines Lebens.
Denn schon bald wurde Güldiken als
Dolmetscher am Band eingesetzt. „Dafür gab es 25 Pfennig extra in der Stunde“, erzählt Güldiken und lacht dabei.
Inzwischen war er auch in einem Heim
in Köln untergekommen.
Stolze Männer weinten
neben ihm
Ein fleißiger junger Türke, der gut
Deutsch sprach: Güldiken fiel auf.
Der Betriebsrat wollte ihn verpflichten.
Güldikens Reisepass mit Grenzstempeln: „Aber mein Meister wollte mich nicht hergeben.“ Letztlich arbeitete er doch für den
Über Griechenland reiste er nach Köln.
Betriebsrat, kümmerte sich um die Neuankömmlinge bei Ford. „Alle 14 Tage
kam eine Gruppe aus der Türkei, etwa 50 Personen. Sie alle kamen zu
mir.“ Güldiken wurde für die Türken zu „Papa Salih“. Ihm vertrauten
sie ihre Sorgen an. Viele der stolzen
Männer weinten neben ihm, weil
sie ihr Heimweh nicht ertrugen. Sie
vermissten ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Eltern. Viele verfluchten
Deutschland, das Leben in der
Fremde. „Unsere Generation hatte
es am schwersten“, sagt Güldiken:
„Wir waren einsam hier.“
Erster Türke im Aufsichtsrat
Für Güldiken selbst lief es gut.
1972 wurde er in den Betriebsrat gewählt,
als erster Türke in Deutschland. Und 1978
schaffte er es sogar in den Aufsichtsrat,
auch als erster Türke in Deutschland. „Eines
habe ich in Deutschland gelernt: Wenn du
gut arbeitest, wird das auch gewürdigt.“
Güldiken heiratete 1970, wurde Vater von
zwei Kindern. Sein Sohn Levent (39) hat
Maschinenbau studiert und arbeitet für
Ford. Tochter Özlem (37) ist Apothekerin in
den USA. Er selbst lebt allein in seiner Wohnung in Riehl. Seine Frau ist vor
drei Jahren verstorben. „Ich habe
mich an die Einsamkeit gewöhnt.“ Güldiken könnte in die
Türkei zurückkehren, seinen Lebensabend dort verbringen.
Doch er will nicht. „Meine Heimat ist Köln“, sagt er und blickt
vom Balkon auf den Rhein.
„FürunsistderDeutschealles“
Was die erste Studie über Ausländer in Köln (1967) so alles enthüllte
W
as hielten die Gastarbeiter von den Deutschen –
und wie war es umgekehrt? Eine spannende Frage. Die erste
von der Stadt Köln in Auftrag
gegebene Studie zum Gastarbeiter-Thema aus dem Jahr
1967 (Titel „Die Integration der
ausländischen Arbeitnehmer
in Köln“) gab erstaunliche
Antworten.
Untersucht wurden mittels
Interviews und Fragebögen
gegenseitige Akzeptanz und
Erwartungen. Demnach hätten die meisten Ausländer „eine hohe, von Tugendhaftigkeit
!
Dat
D
at
jiddet
jiddet
ja nit
ja
nit
geprägte
Meinung
von
Deutschland und den Deutschen (“Für uns ist der Deutsche schlechthin alles“). Der
Gastarbeiter hoffe deshalb auf
„Führung und Schutz“, erwarte weiterhin auch „freundschaftlichen Kontakt, Ansprache, Hilfe und Gastfreund-
Güldiken war Berater
für seine türkischen
Kollegen, spendete
ihnen Trost, wenn es
mal nicht lief. Sie
nannten ihn liebevoll
„Papa Salih“.
Im Betriebsratsbüro:
Güldiken arbeitete
erst als Dolmetscher
für den Betriebsrat,
dann wurde er 1972
selbst in den Betriebsrat gewählt.
schaft, also die Haltung eines
starken, interessierten, wohlwollenden und gerechten Vaters“, wie es die Autoren der
Studie formulieren. In Wirklichkeit treffe der Gastarbeiter
aber auf Zurückhaltung und
Ablehnung.l
Im Fazit der Studie kommt es
dann zu einer skurril anmutenden Nationenwertung: „Die
Kölner sympathisieren am
meisten mit den Spaniern. Der
stolze Spanier ist gastfreundlich und zuverlässig, sein heißes Blut macht ihn impulsiv.
Der Grieche ist ein guter Lieb-
haber. Die Griechen erscheinen als ein ruhiges,
arbeitsames, wenn auch
armes Volk. Italiener sind
in den Augen der Kölner
weder ruhig, ernst, zuverlässig noch stolz und sau- Ein echtes Postkartenmotiv: Kölber. Das Bild des Türken ner Gastarbeiter posierten für Foist für die Kölner ganz un- tos am liebsten vor dem Dom.
differenziert. Die Türken
werden für bescheiden gehal- die extremen Sprachschwieten. Ihre Unbeholfenheit und rigkeiten beeinflusst sein.“
Entnommen aus: Ayhan Demirci
Unhöflichkeit – beides Eigen„Eine türkische Meile – Die
schaften, die ihnen zugespro- (2005):
Geschichte der Kölner Keupstraße.“
chen werden – dürften durch Magisterarbeit an der FU Berlin
Morgen: „Türke Tas“, das FC-As
Güldiken 1980 auf dem Weg
in die Türkei. Mit dabei: Tochter Özlem (r.), Sohn Levent
und ein Freund (l.) von ihm
i
So viel Yilmaz
imTelefonbuch
Heute leben knapp 80 000
Menschen mit türkischer
Herkunft in Köln. Allein 86mal taucht der Name „Yilmaz“ im Kölner Telefonbuch
auf. Insgesamt leben gut 2,9
Millionen türkischstämmige
Bürger in Deutschland.
Mehr als 80 Prozent von ihnen sind seit mindestens 10
Jahren in Deutschland. Und
jedes Jahr lassen sich mehr
als 20 000 Türken einbürgern (Tendenz leicht sinkend).
d-xkpt/lokal/XLO03A - 16.08.2011 16:59:36 - Verantwortlich:
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Serie
Seite 22
Mittwoch, 17. August 2011
Die tolle (und traurige) Story des FC-Stars Coskun Tas
Wenn
W
enn die
die Fremde
Fremde
zzur
ur Heimat
Heimat wird
wird
6.6.60: FC-Linksaußen Coskun
Tas stürmt gegen
Tasmania Berlin.
50 Jahre türkische
Gastarbeiter in Köln
Foto: Horstmüller
EXPRESS-Serie, Teil 2
50 Jahren, Ende 1961, kamen die ersten
VSieortürkischen
Gastarbeiter nach Köln.
wollten ein paar Jahre arbeiten, gutes Geld
verdienen. Deutschland war für sie „gurbet“, die
Fremde. Doch die Fremde wurde mehr und mehr
zur neuen Heimat.
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von
Deutsch-Türken der ersten, zweiten und dritten
Generation.
Coskun Tas (76) vor seinem
Haus in Köln. Sieben Monate im Jahr lebt er
hier, fünf Monate in der Türkei.
Tas!“, meldet Herr Stein seine
Ankunft. Die paar Brocken
Deutsch hat er von seinem VaKöln – Fester Wille im Blick,
ter, der noch im Kaiserreich im
Leidenschaft im Herzen, der
Rahmen der guten wilhelmiGeißbock auf der Brust. Das
nisch-osmanischen Beziehungroße Bild, das Sie sehen, ist
gen einige Jahre als Bauzeichdas Bild zu einer wundersaner in Leipzig arbeitete. Kremer
men Geschichte, der am Ende sagt, Tas solle am Blumenladen
die Krönung fehlte. Warum
warten. Er schickt Frau Kremer
das so war, darüber redet Cos- los, die ihn mit dem Auto abhokun Tas, heute 76, nicht ohne len soll.
Traurigkeit. Er, der erste Türke
beim FC. Er, der nicht Meister Er spielte schon gegen
Puskás und Di Stefano
werden durfte.
Einige Tage später, nach dem
och der Reihe nach. Herr Probetraining, entscheidet der
Tas, was auf Deutsch Herr FC: Tas bleibt! Der Junge ist ein
Stein heißt, war kein Gastarbei- Glücksgriff, er kommt ablöseter im herkömmlichen Sinn. frei und hat schon internatioNiemand hatte ihn gerufen. Tas nale Erfahrung. Er hat mit Bewar Fußballer bei Besiktas Is- siktas im Europapokal gegen
tanbul, und wollte nach dem Real Madrid (mit Puskás und Di
Studium Deutsch lernen. Über Stefano) gespielt und mit der
Nationalmanneinen Journalisten des „kicker“, türkischen
dessen Redaktion in Köln saß, schaft bei der WM 1954 zweinahm er Kontakt zum 1. FC mal gegen das Herberger-Team
Köln auf – und tatsächlich: Prä- und seinen jetzt neuen Mannsident Franz Kremer schickte schaftskollegen Hans Schäfer
einen Brief an den Bosporus: Ja, gekämpft (und verloren). Kremer besorgt Tas einen alten Fiat
man suche einen Linksaußen.
Tas packte seine Sachen: und ein Praktikum bei Kaufhof,
Schiff nach Venedig, Zug zum wo er mit Karl-Heinz SchnelKölner Hauptbahnhof, An- linger zusammenarbeitet.
Drei Jahre, von 1959 bis
kunft am Abend. Der neue
Mann ruft aus der Telefonzelle 1961, wird Tas beim 1.FC Köln
im Geißbockheim an, Kremer spielen - seine große Stunde
ist persönlich dran: „Hier Türke schlägt in der Meisterschafts-
Von MEHMET ATA
und AYHAN DEMIRCI
D
Verliebt in Köln: Cosku
n Ta
trud in den frühen 60er s und seine Frau GerJahren.
EEinmol
inmol
Meister
Meister
sin...
sin...
endrunde 1960. Der
Flügelflitzer ist in allen
sechs Spielen dabei,
schießt selbst drei Tore,
wird von der Presse gefeiert - und erreicht das
Finale! Der FC steht vor
der ersten Deutschen
Meisterschaft!
Und so war jener
25.Juni 1960 im Frankfurter Waldstadion ein
Tag, um Helden zu
schaffen. Endspiel gegen den
HSV.
Es
wird ein
Drama.
Vier MinuCoskun Tas war als
ten
vor
guter Dribbler und
Schluss
Kämpfer bekannt.
macht Uwe
In der Endrunde
Seeler das
1960 erzielte er drei
3:2. Der FC
Treffer, unter andeverliert. Der
rem gegen FK Pirtürkische
masens (oben). Fotos: dpa, Horstmüller,
Star
der
Gottschalk (2), Wand (1)
Mannschaft
ist am Boden
einz
n Tas (5. von links), Karl-H
zerstört.
gegangen war, sagte
1. FC Köln, 1960: Cosku und Hans Schäfer (rechts)
)
Schockiert.
später zu ihm: „CosSchnellinger (4. v. rechts
Er versteht
dere Erklärung hat er kun, es war ein Fehler, dass ich
die Welt nicht mehr. Denn: Er nicht. „Sie haben sogar einen gespielt habe und du nicht.“
hat gar nicht mitgespielt.
Spieler eingesetzt, der 10 Tage
Auch den Funktionären
„Ich gehe davon aus, dass sie vorher am Blinddarm operiert scheint die Sache unangenehm
damals eine reine deutsche worden war.“ Jener Georg Stol- gewesen zu sein: „Nach dem
Mannschaft haben wollten“, lenwerk, dem in der letzten hal- Spiel kam Franz Kremer etwas
sagt Tas heute noch. Eine anben Stunde die Puste aus- geknickt zu mir und sagte, ich
400 Muslime
400
Muslime beten
beten im
im Dom
Dom
or mehr als 45 Jahren haV
ben uns Christen und
Muslime aus Köln gezeigt, wie
ein gelungener „Dialog der Kulturen“
aussieht.
400 türkische Gastarbeiter rollten am 3.
Februar 1965 im Kölner Dom ihre Gebets-
teppiche aus. Sie feierten das
islamische Opferfest am Ende
des Fasten-Monats Ramadan.
„Mohammedaner beten im
Dom“, titelte der
EXPRESS und
zeigte ein großformatiges Foto.
Der damalige
!
Dat
D
at
jiddet
jiddet
ja nit
ja
nit
Kardinal Joseph Frings hatte die Erlaubnis zur Aktion
gegeben, er hatte dafür gesorgt, dass die Muslime in
den beiden nördlichen Seitenschiffen Platz erhielten.
Auch die Domprobstei
zeigte sich unaufgeregt:
„Das ist durchaus nichts Dieses Foto erschien am 4.
Februar 1965 im EXPRES
Muslime beteten dama
Ungewöhnliches.“
S. 400
ls im Dom.
i
Bekir vom
Bosporus
Coskun Tas gilt als erster
Türke im deutschen Fußball überhaupt, er hatte
aber einen Vorgänger
noch zu Zeiten der Weimarer Republik: Bekir
Refet (geb. 1899 in Istanbul, gest. 1977 in Karlsruhe) wechselte 1921 von
Galatasaray zu Phönix
Karlsruhe , später zum
1. FC Pforzheim, dann
zum Karlsruher FV.
würde auch die laut Satzung
zustehenden 500 DM bekommen.“
Von der Endspiel-Enttäuschung hatte sich Tas nicht
mehr erholt, er blieb nur noch
ein weiteres Jahr beim FC,
spielte dann noch in der Zweiten Liga beim Bonner FV. Tas
arbeitete dann lange Jahre bei
Ford in der Verkaufsplanung.
Zu den Gastarbeitern, die nun
Jahr für Jahr eintrafen, hatte
Coskun Tas eine Distanz, weil
ihm, dem Großstädter, viele der
Menschen aus dem tiefen Anatolien „einfach fremd“ waren,
wie er einmal dem Magazin „11
Freunde“ erzählte.
Tas lebt heute, verheiratet
mit seiner Frau Gertrud und
Vater eines Sohnes, in KölnLongerich. Ich bin heute vieles,
hat er einmal gesagt: „Ein Kind
Atatürks, denn ich bin stolz auf
das Land, aus dem ich komme,
ein Fußballer, ein Mensch, der
über 30 Jahre bei Ford gearbeitet hat, ein Familienvater, deutscher Staatsangehöriger und
vor allem ein Kölner.“
Morgen: Die
nächste Generation
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Serie
Seite 22
Donnerstag, 18. August 2011
Zwei Migrantenkinder erzählen ihre Geschichte
Wenn
W
enn die
die Fremde
Fremde
zur Heimat
zur
Heimat wird
wird
50 Jahre türkische
Gastarbeiter im Rheinland
EXPRESS-Serie, Teil 3
or 50 Jahren, Ende 1961,
V
kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Köln.
Sie wollten ein paar Jahre arbeiten, gutes Geld verdienen.
Deutschland war für sie „gurbet“, die Fremde. Doch die
Fremde wurde mehr und mehr
zur neuen Heimat.
EXPRESS erzählt Lebensgeschichten von Deutsch-Türken
der ersten, zweiten und dritten
Generation.
Tülay an ihrem ersten
Schultag im
September
1986.
Kleine
K
leine Tülay
Tülay lehrt
lehrt
uns jetzt
uns
jetzt Deutsch
Deutsch
Von MEHMET ATA
Köln – Tülay Altun (31) war eine
schlechte Schülerin. Bis der Papa
ihr zwei Sätze auf den Weg gab:
„Du musst selber wissen, ob du
lernen willst. Du kannst ja eines
Tages in der Firma deines Bruders
Putzfrau werden.“ Heute ist Tülay
Lehrerin und Vorbild für ihre türkischen Schüler.
ass sie es so weit gebracht hat,
D
hat sie vor allem ihrem Vater
Haydar zu verdanken, der 1973 als
Gastarbeiter in die Schwerindustrie
nach Witten kam. Seinen Traum
vom Maschinenbau-Studium hatte
er dafür begraben. Seinen Kindern
sollte es eines Tages besser gehen
als ihm. Er tat alles dafür, dass Tülay und ihre Brüder die Uni besuchen können. „Er verbot uns sogar,
arbeiten zu gehen, damit wir nicht
die Schule vernachlässigen“, erzählt Tülay.
Sie studierte an der Uni Duisburg-Essen Lehramt, es folgte das
Referendariat an einer Kölner
Hauptschule. Dann das erste Gespräch mit der Direktorin: „Nach 45
Minuten sagte sie zu mir, dass ich
gut Deutsch spreche.“ Tülays Antwort: „Danke, Sie aber auch.“
Seit einem Jahr lehrt Tülay an der
Willy-Brandt-Gesamtschule in Höhenhaus. Jeder zweite Schüler hier
hat Migrationshintergrund. „Ich
bin vor allem für die türkischen
Schülerinnen ein Vorbild“, erzählt
Tülay. „Sie sagen
mir, dass ich sie viel
besser verstehe als
andere Lehrer.“
Tülay nutzt ihren
kulturellen Hintergrund, um auf Eltern einzuwirken.
„In meiner Klasse
durfte ein Mädchen
mit Kopftuch nicht
auf Klassenfahrt mit.
Ich habe dann auf
Türkisch mit den Eltter Fatma, Bruder
tern gesprochen und 1985: Vater Haydar, Mu er Weihnachtsfeier
ein
i
gesagt, dass ich ihre Kubilay und Tülay be
Ängste verstehe. Nach
bin
hier
langem Zureden durfte das Mäd- nicht die Migrationsbeauftragte.
chen doch mit.“
Ich bin in erster Linie Deutsch- und
Tülay Altun sagt aber auch: „Ich Geschichtslehrerin.“
Vater war Türkei-Soldat, Sohn dient bei Bundeswehr
hre Eltern und Großeltern kaIfürmen
als Fremde hierher. Doch
Caglar Ilhan (27) und Deniz
Hüseyin Irtem (25) ist Deutschland zum neuen Vaterland geworden. Sie dienen in der Bundeswehr.
eniz sitzt im Cockpit des EuD
rofighters. Er führt noch die
letzten Checks durch, der Pilot
will gleich losfliegen. Deniz ist
Mechaniker bei der Bundeswehr
in Nörvenich. Der 25-Jährige
sorgt dafür, dass die Kampfflieger einsatzbereit sind.
Von seinen Kameraden wird
er nur „Türke“ genannt. „Weil
ich immer so viel Türkisch am
Telefon rede“, lacht Deniz. Der
Spitzname ist nicht böse gemeint, im Gegenteil: Die Kameraden gehen locker damit um,
dass Deniz’ Eltern aus der Türkei
Die Soldaten Deniz
(l.) und Caglar vor einem Eurofighter der
Luftwaffe. Foto: Wand
stammen. Der Enkel eines Gastarbeiters ist seit fünf Jahren bei
der Bundeswehr – und er will
noch bis mindestens 2019 bleiben. Ist es komisch, als Migrant
für Deutschland zu dienen?
Deniz: „Nein, schließlich habe
ich diesem Land alles zu verdanken.“
Sein Kamerad Caglar „Charly“
Ilhan arbeitet seit einem Jahr in
der Verwaltung der Kaserne. Als
das Unternehmen, bei dem er gearbeitet hat, nach Polen verlagert wurde, hatte Charly plötzlich keinen Job mehr. Er bewarb
sich bei der Bundeswehr. Dafür
musste er erst mal seine Verwei-
Deniz’ Vater Kazim diente noch
für die Türkei (1992).
gerung zurückziehen; er hatte
auch schon Zivildienst geleistet.
Bereut hat er den Schritt nicht.
Morgen: Türkische Unternehmer in Zukunftsbranchen
Tülay Altun (31) ist seit
einem Jahr Lehrerin an
der Willy-Brandt-Gesamtschule in Höhenhaus.
Fotos:
Gottschalk,
privat
DasOrakelvon1486:
Sultans-Tod in Cölln
Von A. DEMIRCI
!
ie Türken komDat
at jiddet
jiddet
D
men – jahrhun- D
dertelang ein Schreckensruf.
Trost ja
ja nit
nit
spendete der Astro-
loge Johannes Lichtenberger 1486. Ja,
bestätigte er zwar,
der
Türken-Sturm
werde als Zuchtrute
Gottes auch Deutschland
heimsuchen,
aber in Köln sei dann
Schluss damit: Hier,
„bey dem gülden apffel
zu cölln“ werde der Sultan „umbkommen und
erwürget“ werden, und
das mit Hilfe von den
Heiligen Drei Königen,
deren Reliquien seit 1164
in Köln ruhten. ●●● Die
Türken kamen schließlich doch, aber legal. Das
besang die Düsseldorfer
Band „Fehlfarben“ 1980
im grotesken Song „Militürk“ aus dem Album
„Monarchie & Alltag“
mit einem eiskalten Gitarrenriff und der Textzeile: „Wir sind die Türken von morgen.“ ●●●
Von gestern, eine sagenhafte Einwandererkarriere: Der 1827 in Brandenburg geborene Karl Detroit kam als Schiffsjunge in die Osmanenkapitale Istanbul, ein Großwesir holte ihn in die Armee,
aus Karl wurde Offizier
Mehmet Ali Pascha. Er
war Oberbefehlshaber
auf dem Balkan, vertrat
die Türkei beim Berliner
Kongress
1878
Karl/Mehmet fiel bei einem Aufstand in Albanien .
d-xkpt/lokal/XLO03A - 19.08.2011 09:33:09 - Verantwortlich: gerd.kuehnemuth
Cyan Magenta Gelb Schwarz
Serie
Seite 22
Freitag, 19. August 2011
Computer – Solarenergie – Altenpflege
TTürkische
ürkische Unternehmer:
Unternehmer: Die
Die
M
Macher
acher der
der Zukunft
Zukunft
Von MEHMET ATA
Köln – Türkische Unternehmer? Da denkt man an den
Döner-Verkäufer um die Ecke – vielleicht noch an einen
Juwelier. Und tatsächlich: Der Großteil der türkischen
Unternehmer in Deutschland ist im Gastgewerbe und
Handel tätig. Doch mehr und mehr Geschäftsleute trauen sich inzwischen in
neue Geschäftszweige. „Die rund
70 000 türkischen Unternehmer sind
heute in fast
allen Branchen vertreten“, sagt Bil- 50 Jahre türkische
gehan Yildiz
Gastarbeiter in Köln
von der Türkisch-DeutEXPRESS-Serie, Teil 4
schen Industrie- und Handelskammer in Köln. Dabei schaffen sie schätzungsweise 260 000 Arbeitsplätze.
Inzwischen gibt es sogar viele Unternehmer, die in sogenannten Zukunftsbranchen ganz vorne mitmischen.
Sie gründen Hightech-Unternehmen oder engagieren
sich in der immer wichtiger werdenden Altenpflege.
EXPRESS stellt vier solcher Geschäftsleute vor, die im
Rheinland aktiv sind.
Wenn
W
enn die
die Fremde
Fremde
zur Heimat
zur
Heimat wird
wird
Kemal Cakir ,
Pflegezentrum
Cakir
Pionier für
Senioren
A
ls Kemal Cakir (40) vor
20
Jahren
seine Ausbildung zum
Krankenpfleger begann, runzelten sie in der Familie
die Stirn. Denn der Pflegerberuf ist in türkischen
Familien nicht sehr angesehen. Heute ist Cakir der
Einzige aus der Familie,
der sein eigenes Unternehmen führt. „Dabei haben
alle meine Geschwister
studiert“, lacht der 40Jährige.
Vor zwölf Jahren hat
Cakir in Bönen (Westfalen)
eines der ersten türkischen
Pflegezentren in Deutschland eröffnet. „Der Bedarf
war riesig“, erzählt er.
„Wenn Menschen krank
sind, werden sie konservativer, emotionaler, religiöser. Türken wollen dann
oft von Türken gepflegt
werden.“ Heute bietet Cakir häusliche und stationäre Pflege für Deutsche
und Migranten an. 182
Mitarbeiter hat er inzwischen, allein 30 im Raum
Köln/Aachen. Das Rheinland wird immer wichtiger
für den Geschäftsmann. In
Kürze will er in Porz ein
Büro eröffnen.
Ibrahim hat schon mit 18
Jahren sein erstes Unternehmen gegründet. Mit 19
hatte er schon 200 Mitarbeiter.
Fotos:
Schwaiger, Borm, Solitem, Cakir
Ibrahim Evsan (35),
United Prototype
Vom Hauptschüler
zum Internet-Unternehmer
brahim Evsan (35) kennt
Inehmen.
sich aus mit Internet-UnterSchon mit 19 Jahren
führte er eine IT-Firma mit
200 Mitarbeitern. Später war
er Mitbegründer von sevenload.de, einer Art deutschem
Youtube.
Inzwischen leitet er „United
Prototype“. Das 30 Mann starke Unternehmen hat das Online-Spiel „Fliplife“ entwickelt. User können im Internet
Karrieren nachspielen, zum
Beispiel bei der Bayer AG. „Innerhalb von sechs Monaten
haben sich 280 000 Spieler
angemeldet. Wir sind schon
Ilker Aydin (28),
Kaiser Games GmbH
König der Spiele
lker Aydin geIJahren
hört mit nur 28
zu den er-
Inzwischen betreibt Ilker, dessen
Großeltern in den
folgreichsten In60er Jahren nach
ternet-UnternehDeutschland einmern in Deutschgewandert sind,
land. Seine Intermit seinen acht
netseiten haben
Mitarbeitern die
bis zu zwei MilInternetseite
lionen Besucher
spieleaffe.de. Kinjeden Tag. Ilker
der können dort
bleibt aber die
kostenlos
6000
Bescheidenheit in
Mini-Spiele spiePerson, zurücklen. Spieleaffe gehaltend, höflich. Für Ilker (28) ist
hört zu den 35
Aufgewachsen ist die Chefrolle noch meistbesuchten
er in Köln-Porz, in ungewohnt.
Seiten im deuteiner schwierigen
schen Netz. Die
Gegend. „Ich habe aufge- türkische Version der Seite
passt, dass ich nicht auf die (kraloyun.com) ist genauso
schiefe Bahn gerate“, sagt Il- beliebt.
ker. Nach dem Abitur hat er
Für sein zukünftiges Leben
eine Ausbildung zum Fremd- kann sich Ilker viel vorstelsprachenkorrespondenten
len. Nur eines will er nicht:
gemacht. Danach folgte das wegziehen. „Köln ist einfach
Studium der „Arts and Media meine Heimat, eine wunderBusiness Administration“.
volle Stadt.“
Morgen lesen Sie: Nazan, Fatih, Ozan – was Promis denken
jetzt in den schwarzen Zahlen“, sagt „Ibo“.
Der gebürtige Warendorfer
hat eine Bilderbuchkarriere
hingelegt, hat den Sprung von
der Hauptschule in die Chefetage geschafft. Abitur hat er
nicht machen können; seine
Eltern waren dagegen. Nicht
aus Bösargkeit, sondern weil
sie, die ehemaligen Gastarbeiter, die akademische Welt
nicht einschätzen konnten.
Heute setzt sich Ibo für die
Schwächeren in der Gesellschaft ein. Er sitzt im Vorstand der Deutschlandstiftung Integration und ist Ko-
mitee-Mitglied bei UNICEF.
„Ein Drittel meiner Arbeitszeit wende ich für mein Engagement auf“, erzählt er. Was
hat so ein Mann in fünf Jahren vor? „Dann will ich erst
mal nicht mehr arbeiten. Für
mich beginnt dann die Zeit
der Erdung.“
m
Ahmet Lokurlu (47), Solartechnik Solite
18 Preise für seine Sonnensysteme
pätestens seit dem AtomSÖko-Strom
unglück von Fukushima ist
ein großes Thema.
Für Ahmet Lokurlu sind solche Diskussionen aber nicht
neu, er gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der nachhaltigen Stromerzeugung. Mit
seiner Aachener Firma „Solitem“ arbeitet er schon seit
1999 an solarbetriebenen Klimaanlagen. Die Grundidee ist
einfach: Klimaanlagen werden dann gebraucht, wenn es
sehr warm ist. Dann scheint
aber auch die Sonne am
stärksten. Warum also nicht
Sonnenenergie für Klimaanla-
gen nutzen? Lokurlus Kälteanlagen sind dreimal so effektiv wie herkömmliche Systeme. Seine Kunden hat der promovierte Ingenieur vor allem
in mediterranen Ländern. 15
Mitarbeiter arbeiten bei Solitem in Aachen, etwa 25 im
türkischen Ankara.
Lokurlu ist 1988 zum Studieren nach Deutschland gekommen. Seine türkische Herkunft empfindet Lokurlu
nicht als Belastung. Im Gegenteil: „Mehrere Kulturen
kennenzulernen war ein großer Reichtum für mich. So war
ich immer offen für Neues.“
Hat mit seiner innovativen
Technologie weltweit schon
18 Preise gewonnen:
Dr. Ahmet Lokurlu
Warum die Bosporusbrücke auch „Made in Mülheim“ ist
ie Verbindungen zwiD
schen Deutschland und
der Türkei, Köln und Istanbul
vinz Rize. Er kam 1963 nach
Deutschland, wurde Arbeiter
beim Mülheimer Kabelher(Städtepartner) sind vielfältig. steller Felten & Guilleaume,
Beispielhaft ist da
damals ein Weltder Gastarbeiter
konzern.
Abidin Aygün, geb.
F & G stellte die
1939
in
der
Stahlseile für die
SchwarzmeerproIstanbuler Bospo-
!
Dat
D
at
jiddet
jiddet
ja n
ja
nit
it
rusbrücke her, die bei ihrer
Einweihung 1973 eine Sensation war - und Herr Aygün
aus der Keupstraße war es, der
als Drahtprüfer kontrollierte,
ob die Stahlseile für das 1500
Meter lange Wahrzeichen, das
fortan Asien und Europa verband, die Last auch trägt.
d-xkpt/lokal/XLO05A - 19.08.2011 16:48:21 - Verantwortlich: claudia.streich
Cyan Magenta Gelb Schwarz
Serie
Seite 28
Samstag, 20. August 2011
Fatih Cevikkollu
fühlt sich deutsch
und türkisch zugleich. „Ich will
mich nicht entscheiden.“ Fotos: Borm, PR
Wenn
W
enn die
die Fremde
Fremde
zur Heimat
zur
Heimat wird
wird
50 Jahre türkische
Gastarbeiter im Rheinland
EXPRESS-Serie, Teil 5
or einem halben JahrhunV
dert kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei ins
Rheinland. Heute sind die Kinder der ersten Migrantengeneration in allen Branchen vertreten – auch im Showbusiness.
Wir kennen sie aus Film und
Fernsehen.
Der EXPRESS hat mit
deutsch-türkischen Promis aus
dem Rheinland gesprochen.
Der Kabarettist Fatih Cevikkollu („Alles Atze“, „Fatihland“),
die Moderatorin Nazan Eckes
(„Let’s Dance“) und der „Stunker“ Ozan Akhan erzählen über
Deutschland, die Türkei und
über ihre Familiengeschichten.
Und über die Zukunft der Integration.
Wir
W
ir Deutsche
Deutsche
müssen mehr
müssen
mehr über
über
uns Türken
uns
Türken lernen
lernen
Comedian Fatih Cevikkollu über Köln und die Integration mit „Oma Büttner“
Von MEHMET ATA
Herr Cevikkollu, Sie sind gebürtiger Kölner, leben in Nippes. Was war für Ihre Integration entscheidend?
Bei uns im Haus lebte eine alte Dame, Frau Büttner. Sie war
Jahrgang 1900. Frau Büttner
war meine erste Freundin, ich
habe sie immer „Oma“ genannt.
Sie hat mir erzählt, wie Köln
früher aussah und sie hat mir
Kölsch beigebracht. Es war die
Freundschaft einer einsamen,
alten Dame mit einem einsamen, kleinen Jungen. Außerdem hat meine Mutter sehr darauf geachtet, dass ich früh
Deutsch lerne.
Warum sind Ihre Eltern nach
Deutschland eingewandert?
Mein Vater kam Mitte der
60er Jahre als Gastarbeiter
nach Köln, er war Werkzeugmacher bei Ford. Meine Mutter
kam erst im Jahr 1968 nach.
Seit zehn Jahren leben sie nun
schon wieder in der Türkei.
Fühlen Sie sich eher deutsch
oder türkisch?
Ich will mich nicht entscheiden. Ich bin Deutschland seine
Zukunft (lacht). Man muss
selbstbewusst mit seiner Identität umgehen. Und wir Deutsche
müssen mehr über uns Türken
lernen.
Sie haben eine vierjährige
Tochter. Ist es Ihnen wichtig,
dass sie den Kontakt zur Türkei
nicht verliert?
Nein. Es gibt genug Probleme
im Leben, da braucht sie nicht
auch das Identitäts-Problem.
Deutschland ist unser Lebensmittelpunkt, nicht die Türkei.
Es ist mir aber wichtig, dass
meine Tochter Türkisch lernt.
Ist es leicht, sich in Köln heimisch zu fühlen?
Jeder sagt, dass seine Stadt
die schönste ist. Aber bei Köln
stimmt das wirklich (lacht).
Wenn ich über die Zoobrücke
fahre, schlägt mein Herz höher.
Ozan Akhan: Viele
Top-Leute gehen
leider in die Türkei
Herr Akhan, Sie leben seit
1995 in Deutschland, kennen also die Türkei und
Deutschland sehr gut. Wie
unterscheiden sich Türken
dort von den Türken hier?
Viele Türken in Deutschland leben in einer Konserve.
Sie haben Angst, ihre Kultur
zu verlieren. In der Türkei
sind die Menschen entspannter, offener. Ich finde,
man darf keine Angst vor
Veränderungen haben.
Wie hat Deutschland Sie verändert?
Zum Positiven. Ich bin disziplinierter und fleißiger geworden. Ich kann leichter
Kritik äußern als früher. Die
Deutschen sind ruhiger. Aber
manchmal fehlt mir die türkische Spontanität doch.
Fiel es Ihnen schwer, sich in
Deutschland einzugewöhnen?
Als ich hierhin kam,
sprach ich kein Wort
Deutsch. Das war nicht einfach. Aber in Köln ist es relaSchauspieler
Ozan Akhan
(45) hat am
türkischen
Staatstheater
in Izmir gearbeitet; 1995
ist er nach
Köln gekommen. Seit
2000 gehört
er zum festen
Ensemble der
Stunksitzung
– als einziger
Türke. Eine
Rückkehr in
die Türkei
kann sich Akhan nicht vorstellen.
Belgisches Dorf feiert jedes
Jahr Karneval „rut-wieß“
diesem Dorf ist alles geIchenntürkt:
Im belgischen ÖrtFaymonville (Provinz
Nazan Eckes: Meine Mutter
hatte Angst und war traurig
Moderation Nazan Eckes (35) will sich
in Integrationsthemen einmischen
Frau Eckes, in Ihrem Buch „Guten Morgen Abendland“ erzählen Sie Ihre Familiengeschichte. Warum haben Sie keinen Autobiografie geschrieben?
Meine Eltern haben spannendere Geschichten zu erzählen als ich. Meine Generation ist in diese Gesellschaft hineingeboren; für meine Eltern war alles neu.
Ihr Vater ist 1966 als Gastarbeiter gekommen. Wie hat er sich gefühlt?
Einerseits war es sehr schwierig für ihn.
Andererseits hat ihn die große Welt
schon als Kind fasziniert. Mit 16 Jahren
ist er von zu Hause ausgebüxt und nach
Istanbul gefahren, um seinen Onkel zu
suchen. Das war schon filmreif.
Auch Ihre Mutter kommt im Buch zu
Wort. Ärgert Sie, dass nie über die Frauen der Gastarbeiter gesprochen wird?
Sehr sogar. Als ich für mein Buch recherchiert habe, hat mir meine Mutter einen Brief geschrieben. Ich war erstaunt,
wie wortgewandt sie ist, wie sensibel und
tiefgründig sie schreiben kann. Als ich
ihre Worte las, habe ich mich geschämt –
dafür, dass ich sie unterschätzt habe.
Wie ging es ihrer Mutter damals?
Anfangs ist sie nicht ohne meinen Vater aus dem Haus gegangen. Sie hatte
Angst, weil sie die deutsche Sprache
nicht beherrschte. Und sie war oft traurig, weil ihre Geschwister und Eltern weit
entfernt in der Türkei waren.
Sie engagieren sich
im Integrationsbeirat der Bundesregierung. Warum?
Früher habe ich
mich aus Integrations-Themen herausgehalten, weil
ich keine Quotentürkin sein wollte.
Aber ich will nicht
mehr nur zuschauen, sondern mich
einmischen. Ich will
eine Stimme für türkische Frauen sein,
auch für Frauen wie
meine Mutter.
Morgen: Ata & Demirci - der Deutschland-Türkei-Talk
tiv leicht, sich einzugewöhnen. An der Keupstraße oder
Weidengasse kann man sehr
gut Türkisch essen gehen.
Das ist gut gegen Heimweh
(lacht).
Was müsste für die Integration der Deutsch-Türken getan werden?
Das Hauptproblem ist inzwischen, dass viele hoch qualifizierte Türken Deutschland
verlassen, weil sie keine Perspektive sehen oder diskriminiert werden. Migrantenkinder müssen schon ganz
früh Deutsch lernen. Und
Deutschland muss offener
für Migranten werden.
Sie gehören seit 2000 zum
festen Ensemble der Stunksitzung...
Ja, die Stunksitzung ist
einfach Kult. Jeden Abend
kommen mehr als 1000 Menschen, feiern ein Volksfest.
Die Leute sind entspannt,
plaudern viel. An Karneval
zeigt sich: Die Rheinländer
sind wie Türken.
Das ist kein anatolisches
Dorf, sondern Faymonville
in Belgien.
Lüttich) hat noch nie ein Türke gelebt, trotzdem werden
die Bewohner nur „die Türken“ genannt. Den Faymonvillern gefällt’s, sie feiern jedes Jahr einen großen Türkenkarneval.
Immer am 23. Februar verkleiden sich Klein und Groß
und ziehen mit der türkischen Nationalflagge durch
die Stadt.
Inzwischen ist das Fest so
bekannt, dass sogar türkische
Diplomaten anreisen, um
sich das Treiben der Belgier
anzuschauen.
Wie das Dorf Faymonville
zu dem Türken-Spitznamen
kam, ist nicht ganz klar.
!
Dat
D
at jiddet
jiddet
ja nit
ja
nit
Wahrscheinlichste Theorie:
Das Dorf weigerte sich im 16.
Jahrhundert, Steuern für den
Kampf gegen die Osmanen zu
zahlen. Deshalb dachten die
Nachbardörfer, Faymonville
würde die Türken unterstützen.
d-so-pt/so_ex/XLO02AXS - 20.08.2011 21:19:24 - Verantwortlich: florian.summerer
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SCHNELLSCHNELLER EXPRESS
Schadstoffsammlung in Meschenich
Köln – Das Schadstoffmobil der AWB fährt
nun auch den Stadtteil Meschenich direkt an.
Der neue Standort ist auf dem Aldi-Parkplatz,
Brühler Landstraße 401.
Vollsperrung der Ausfahrt Lövenich
Köln – Die Arbeiten an der Anschlussstelle
Köln-Lövenich gehen weiter: Am morgigen
Montag sperrt die Straßenbauverwaltung
NRW ab 6 Uhr morgens an der Anschlussstelle Lövenich die Ausfahrt von Dortmund kommend. Die Vollsperrung wird etwa zwei Wochen dauern.
Seite 43
Serie / Köln
Sonntag, 21. August 2011
Die EXPRESS-Autoren Ata und Demirci
IIch
ch bin
bin Deutschland-Fan:
Deutschland-Fan:
D
Duu etwa
etwa nicht?
nicht?
Wo der Pfeffer wächst...
Köln – Heute findet im Botanischen Garten eine Führung rund um das Thema „Pfeffer"
statt. Ab 11 Uhr erläutert Silvia Vermeulen,
was die Schärfe des Gewürzes ausmacht, wie
die Aromen am besten zur Geltung kommen
und viele andere interessante Aspekte.
Rechte Rheinseite sucht Ehrenamtliche
Köln – Ehrenamtliche Unterstützung wird
von verschiedenen rechtsrheinischen Institutionen für die Bereiche Hausaufgaben und
Sprachförderung gesucht. Am 9. September
wird in der VHS Mülheim ein kostenfreies
Vorbereitungsseminar durchgeführt.
Reden über
Deutschland und die
Türken: Die EXPRESS-Autoren
Mehmet Ata (links)
und Ayhan Demirci
vor der Kulisse des
Hauptbahnhofs.
Fotos:
Udo Gottschalk,
dpa
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die Fremde
Fremde
zur Heimat
zur
Heimat wird
wird
50 Jahre türkische
Gastarbeiter in Köln
50 Jahre Gastarbeiter aus der Türkei – das ist für
den EXPRESS-Volontär Mehmet Ata (29, geb. in
Bochum) und den stellvertretenden Lokalchef
Ayhan Demirci (43, geb. in Köln) Anlass, um über
das Zusammenleben von Deutschen und Türken,
EXPRESS-Serie, Teil 6
Fußball-Gegner
Eigelstein:Täter schlägt mit
Baustellenpfosten zu
Köln – Gestern um 16.09 Uhr kam es am Eigelstein zu einer tatkräftigen Auseinandersetzung zwischen zwei Männern. Im Laufe
des lautstarken Streits verlor einer der beiden Beteiligten dann die Fassung. Er nahm
einen Baustellenabsperrpfosten einer naheliegenden Baustelle und schlug damit
auf sein Opfer ein. Nachdem der Geschädigte mit Kopfverletzungen blutüberströmt
zu Boden ging, floh der Täter. Mehrere Zeugen verständigten unmittelbar nach der
Gewalttat die Polizei. Diese konnte im Nahbereich einen Tatverdächtigen verhaften.
Das Opfer wurde in ein nahe gelegenes
Krankenhaus gebracht. Lebensgefahr besteht nicht. Über den Streitauslöser ist der
Polizei derzeit noch nichts bekannt.
IMPRESSUM
Herausgeber: Alfred Neven DuMont
Christian DuMont Schütte
Chefredakteur: Rudolf Kreitz; Stellvertreter: Berndt Thiel, Uwe Hoffmann,
Thomas Kemmerer (Online); Chef vom Dienst: Christian Hautop; Politik: Maternus Hilger (Leitender Redakteur); Christian Wiermer (Hauptstadt-Korrespondent); Vermischtes: Dirk Amarell, Stellvertreter: Jörg Philippi-Gerle, Stefanie Monien; Sport: Christian Knop, Stellvertreter: Marcel Schwamborn; Lokalredaktion Köln: Christian Lorenz, Stellvertreter: Ayhan Demirci; Chefreporter: Philipp Meckert, Dr. Volker Roters, Thomas Gassmann; Online: Alexander
Boecker (Stellvertreter); Art Director: Florian Summerer (Stellvertreter); Produktion (Stellvertreter): Stefan Fuhr (alle verantwortlich und wohnhaft in
Köln). Verlagsleiter: Stefan Hilscher; Anzeigenleiter: Karsten Hundhausen;
Leitung Zeitungsverkauf: Uwe Müller. Verlag und Druck: M. DuMont Schauberg – Expedition der Kölnischen Zeitung GmbH & Co KG, 50590 Köln, Neven
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Ayhan: Mehmet, du hast den
deutschen Pass. Bist du im Fußball
auch Deutschland-Fan?
Mehmet: Ja, ganz klar. Im EMHalbfinale gegen die Türkei gab das
aber Ärger mit meiner türkischen
Freundin. Sie hat nach dem 3:2 geweint. Es folgte eine kleine Beziehungskrise. Ich musste sie dann
trösten.
Ayhan: Ich bin Türkei-Fan, war
aber letztlich zufrieden mit dem Ergebnis. Deutschland aus dem Halbfinale zu schießen, wäre schon gewagt gewesen. Aber fühlst du denn
gar nichts, wenn die Türkei spielt?
Immerhin ist es das Land deiner Eltern.
Mehmet: Aber ich habe fast keinen Bezug zur Türkei. Meine Verwandten leben alle in NRW. Was
noch für Deutschland spricht: Wir
haben so gute Spieler wie Mesut
Özil...
Einbürgerungs-Scheu
Ayhan: Ich habe noch immer den
türkischen Pass. Vor drei Jahren habe ich die Einbürgerung beantragt,
von den deutschen Behörden die
Einbürgerungs-Zusicherung auch
längst erhalten. Aber das ganze
liegt auf Eis. Nach der Moschee-Debatte in Köln wollte ich den türkischen Pass nicht mehr abgeben.
Man hängt schon dran.
Mehmet: Mein Vater hat seinerzeit für unsere ganze Familie den
deutschen Pass beantragt. Seit dem
13. September 1994 bin ich Deutscher. Ich bin auch sehr froh darüber. Ich kann visumfrei in viele
Länder reisen, an Wahlen teilnehmen...
Ayhan: Mich stört es, dass meine
griechischen und italienischen
Freunde als EU-Bürger zwei Pässe
haben können. Und selbst wenn sie
den deutschen Pass nicht haben
wollen, können sie an Kommunalwahlen teilnehmen. Den Türken ist
das nicht möglich.
Cem Karaca, einer
der wichtigsten Vertreter des „Anadolu
Rock“, lebte von
1979 bis 1987 im
Kölner Exil. 1984
Mehmet: Als ich den ehemaligen
Ford-Mitarbeiter Salih Güldiken
(75) interviewt habe, ist mir eines
ganz deutlich geworden: Diese
Menschen haben Angst, dass ihre
Geschichten vergessen werden.
Güldiken hat ein Leben lang Dokumente und Fotos gesammelt, um
seine Erlebnisse erzählen zu können. Jemand wie er ist ein Teil
Nachkriegs-Deutschlands, er ist ja
kein Fremder mehr.
Ayhan: Meine Mutter kam 1964
alleine am Kölner Hauptbahnhof
an. Alles war fremd für sie: Die Religion, die Sprache. Deutschland war
noch ein kriegsversehrtes Land.
Auf sich allein gestellt hat sie sich
als Fließband-Arbeiterin bei Stollwerck eine Existenz aufgebaut.
Mein Vater, der später auf dem Bau
gearbeitet hat, und die Kinder kamen nach. Es ist schade, dass die
Gastarbeiter-Geschichten nie er-
nahm er hier das deutschsprachige
Album „Die Kanaken“ auf. “ Neset
Ertas, der bedeutendste lebende
Volksmusiker der Türkei,
lebt viele Monate im Jahr in
Köln. Hier schreibt er viele
seiner legendären Lieder.
So ist Köln auch eine türkische Kulturmetropole.
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ja nit
ja
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zählt werden: Eigentlich müsste
diesen Menschen ein Denkmal gesetzt werden, und wenn es ein erzählerisches ist. Einen Film gibt es,
„Zeit der Wünsche“. Mein Bruder
hat geweint, als er den Film sah.
Ausländerbild in den Medien
Ayhan: 1973 hieß es auf dem
Spiegel-Titelbild: „1 Million Türken
– Gettos in Deutschland“. Erster
Satz im Text: Rette sich wer kann –
Gastarbeiter-Sehnsucht
Die Stadt der türkischen Superstars
ewollt oder ungewollt: Einige
G
der bedeutendsten türkischen
Künstler lebten oder leben in Köln.
den Moscheebau in Köln und die besondere Rolle
der Medien zu diskutieren. Dabei zeigt sich: Die
beiden sind sich oft nicht einig. Der eine fiebert
beim Fußball mit Deutschland mit, der andere jubelt nur, wenn die Türkei gewinnt.
Darstellungen entschuldigt.
Mehmet: Das Türken-Bild in den
Medien hat sich in den vergangenen zehn Jahren weiter verschlechtert. Dabei klappt das Zusammenleben doch gar nicht so schlecht.
Auseinandersetzungen wie in
Frankreich oder England kann ich
mir hier in Deutschland nicht vorstellen.
Ayhan: Alles, was die Kritiker anführen, Ehrenmord, VerwandtenEhen, Extremismus, Ignoranz, natürlich gibt es das, in nächster Nähe
habe ich es erlebt. Aber die absolute
Mehrheit der Menschen will damit
nichts zu tun haben.
Moschee-Bau
Die Zentralmoschee in Ehrenfeld
soll Ende 2011 fertiggestellt sein.
die Türken kommen. 2006 schreibt
der Zeit-Chefredakteur Giovanni Di
Lorenzo in einem Leitartikel sinngemäß, die Türken im Land würden
nichts taugen, wären „erschreckend
erfolglos“. Wie kann man so etwas
behaupten? Ich hatte noch ein anderes Schlüsselerlebnis: Der oscarprämierte Film „Midnight Express“,
die Geschichte eines amerikanischen Drogenschmugglers, der in
türkischen Gefängnissen ein Martyrium erlebt. Jeder Türke im Film,
Richter, Anwälte, selbst die Kinder,
sind böse. Die ganze Welt hat den
Film gesehen. Ich dachte : So kann
man doch ein ganzes Volk nicht
darstellen. Für die Türkei war das
ein Trauma. Der Drehbuchautor
Oliver Stone hat sich später für die
Ayhan: Mich stören unförmige
Moscheen im Landschaftsbild.
Manchmal liegt es daran, dass die
Minarette nicht so hoch gebaut
werden dürfen, untenrum aber der
Platz voll ausgenutzt werden soll,
so dass die Proportionen nicht stimmen. Am Moscheebau in Köln kann
man sich ein architektonisches Beispiel nehmen. Moscheen in
Deutschland sollten modern sein.
Mehmet: Die Zentralmoschee in
Ehrenfeld will ein Kölner Wahrzeichen werden und Touristen anlocken. Ich bin gespannt, ob das gelingt.
Deutsch-türkische Zukunft
Ayhan: Ich kann verstehen, wenn
alteingesessene Deutsche Angst haben. Mit der Migration machen wir
einen epochalen Wandel durch.
Aber die Einwanderung ist letztlich
ein Glücksfall für das Land, allein
wegen des demografischen Wandels. Für die Zukunft glaube ich daran, dass Deutschland und die Türkei starke Partner sein können.
Mehmet: Ich hoffe, dass es eines
Tages gar keinen Unterschied mehr
macht, ob die Eltern aus Deutschland oder dem Ausland stammen.
Das hier ist auch mein Land.
Ende