Lautsprecher-Spezial - open-end-music

Transcription

Lautsprecher-Spezial - open-end-music
Ausgabe 3/2006
Auszug aus der Zeitschrift
Paul Simon •
New Sounds of Simon
44 Seiten Musik •
David Gilmour
Vom Jazz zum HipHop
Monteverdi »L'Orfeo«
Tests •
Roksan Xerxes 20
Grado GS 1000
Ensemble Fuoco
Jadis Orchestra
Lautsprecher
•
Martin Logan Vantage
MEGeithain 922K
MBL 111 E
Vienna Acoustics
B&W Nautilus 804S
Revel Performa F52
Wilson Sophia II
Gallo Reference 3
Digital •
Lyngdorf CD-1
Linn Majik CD
Naim CD 5x
Accuphase DP-78
Abstrahlverhalten - Neuheiten:
Lautsprecher-Spezial
Geithain 922 K
W
enn Sie sich als Freund der
nüchternen und überaus
ehrlichen Musikwiedergabe für Lautsprecher aus dem Hause Musikelektronik Geithain interessieren und
auf der Suche nach Informationen beim
Hersteller selbst anrufen, sehen Sie sich
vor. Jochen Kiesler, Kopf des Studioausstatters, ist ein freundlicher und aus-
kunftsfreudiger Mensch, über dessen
Vergangenheit allerdings ein »dunkler
Schatten« liegt: Viele Jahre in diversen
Kabarettgruppen haben ihre Spuren hinterlassen. Und manchmal bricht es einfach aus ihm heraus und er bindet seinem Gegenüber jeden verfügbaren
Bären auf und fragt nach, in welchem
Kammerton die Lautsprecher denn ge-
stimmt werden sollten, erfindet technisch widersinnige
Trafowicklungen, denen er
sehr plausibel erscheinende
Bezeichnungen verpasst, oder
führt einen im weiten Feld der
Raumakustik aufs Glatteis.
Alle solchermaßen humorbeschleunigten Ausflüge sind jedoch nie böswillig und werden
auch (fast) immer rechtzeitig
aufgelöst. Kurz: Mit Herrn
Kiesler hat man einfach Spaß,
was zu einem so technisch
orientierten Entwickler nun
gar nicht passen will. Da waren sie wieder, die Vorurteile...
Dass die in Sachsen entwickelte und größtenteils selbst
gefertigte Technik alles andere
als fragwürdig ist, belegt die
beeindruckende Kundenliste.
Fast alle Rundfunkanstalten
und viele renommierte Tonstudios vertrauen bei Aufnahme und Postproduktion den
unbestechlichen Monitoren.
Diese sind voll und ganz auf
die Bedürfnisse der Kundschaft zugeschnitten und lassen den materiell verwöhnten
High-Ender mehr als nur einmal ratlos dastehen. Ein Klopftest am Gehäuse verrät, dass
dem Ausprobieren verschiedener Verstrebungen nicht die
meiste Entwicklungszeit gewidmet wurde: Hier resonniert es fröhlich vor sich hin.
Das mächtige Koax-chassis ist
auch nicht nach allen Regeln
der HiFi-Kunst mit der Frontplatte verbunden, vier stabile
Schrauben müssen reichen. Und spätestens, wenn man den mit wiederum vier
Schrauben gesicherten Verstärker ausschwenkt, ist man sich als bekennender
High-Ender, der an hochwertige Bauteile und beste Kabelverbindungen glaubt,
sicher: Aus diesen Lautsprechern kann
kein Ton rauskommen. Ein vergleichbar
kleiner Trafo darf bei anderen Firmen
bestenfalls in einem CD-Player den Analogteil versorgen - hier muss er drei komplette Endstufenzüge füttern. Dünnste
Kabel, unaudiophile Steckverbindungen,
gestapelte Platinen... nein, hier muss der
Teufel am Werk gewesen sein.
Dennoch gelingt den 922 K ein Kunststück, das sich am besten mit einer kleinen Geschichte verdeutlichen lässt, die
wirklich passiert ist. Ein Freund, der von
der Ankunft der Geithains gehört hatte,
kam zu Besuch. Selbst Besitzer teuerster
Der sächsische Studiomonitor
mit koaxialer Chassisanordnung
und nierenförmiger Richtcharakteristik im Bass zeigt, was
Sache ist - nicht mehr und
nicht weniger.
Gerätschaften, hat er sich schon durch einen Großteil des Marktes gehört, die
sächsischen Monitore indes kannte er
noch nicht. Er wählte eine CD aus, startete den Player und sprach: »So, mal sehen, wie die Geithains klingen!« Gute 50
Minuten später kommentierte mein still
und etwas ratlos gewordener Freund:
»Ach... so klingt also die Aufnahme...«
Diese Geschichte charakterisiert die
Geithains eigentlich vollständig: Sie spielen jegliches Musikmaterial mit absoluter
Selbstverständlichkeit und Autorität, vermitteln ein »das-muss-so-sein-Gefühl«,
dass man bei klanglichen Irritationen nie
auf die Idee kommt, die Boxen könnten
daran einen Anteil haben. Es wird nicht
dem letzten Hauch und noch so kleinen
Nebengeräusch nachgeforscht, vielmehr
kommen alle wichtigen Parameter der
Konserve klar auf den Tisch, keine
grundlegende Frage bleibt offen.
Eine Besonderheit der Monitore ist die
nierenförmige Richtcharakteristik, die
dafür sorgt, dass auch tiefe Frequenzen
hauptsächlich nach vorne und in gewissem Maße zur Seite abgestrahlt werden.
Dieser Kunstgriff gelingt den Sachsen
durch rückwärtige Öffnungen im Gehäuse, über die Frequenzen zwischen 30
und 120 Hertz um 160 Grad phasenverschoben abgestrahlt werden. Dieser zeitverzögerte Schallanteil soll eine Dämpfung von über zehn Dezibel hinter dem
Lautsprecher bewirken. Wenn man um
einen spielenden 922 K herumläuft,
kann man das leicht nachvollziehen. Da
textile Fließwiderstände meist pegelabhängig wirken, war es laut Joachim Kiesler eine ziemlich lange Suche, bis man
endlich eine frequenz- und pegelunabhängige Mischung beisammen hatte.
Eben jene akribische Forschung sorgt
für solch besondere Erkenntnisse, denen
man in Geithain mehr Bedeutung als einem Silberkabel beimisst. So sind auch
die Membranmaterialien selbst entwickelt. Bei Mittel- und Tieftonchassis kommt
eine Papiermischung zum Einsatz, die je
nach Größe der Membran mit einer genau definierten Menge äußerst langfaseriger Schichten gefüllt ist. So will der
Hersteller ein agiles Papierchassis schaffen, das aufgrund der hohen inneren
Dämpfung so problemlos wie Polypropylen arbeitet. Auch die beschichtete, aus
besonders weichem Aluminium hergestellte Hochtonkalotte erlaubt sich keinen unangenehmen Ton, ist aus dem Gesamtklang nicht herauszuhören.
Man kann die 922 K problemlos knapp
vor einer Wand platzieren und sogar den
Anteil der tiefen Frequenzen im Gesamtklang durch ein Einwinkein der Boxen
steuern. Dreht man sie weiter zur Mitte
ein, erfahren die seitwärts abgestrahlten
Bassanteile eine Überhöhung durch die
Rückwand. Da die Richtcharakteristik
sehr klar definiert ist, lässt sich so feinfühlig am Klang drehen - einige wenige
Zentimeter reichen als Spielraum völlig
aus. Ein faszinierendes Erlebnis. Im Mittel- und Hochtonbereich geben sich die
Boxen unkompliziert (im Studio müssen
auch mehrere Menschen gut hören können), weshalb die weitere oder geringere
Einwinkelung auf die Abbildungspräzision keinen nennenswerten Einfluss hat.
Womit wir bei der nächsten Schokoladenseite der Geithains wären: Ich kenne
Ausklappbar: Die gesamte AktivElektronik der Geithain 922 K
ist problemlos zugänglich.
keinen, absolut keinen Lautsprecher, der
es mit diesen Monitoren bei der präzisen
Darstellung des Raums aufnehmen kann.
Offenbar haben Herr Kiesler und seine
Kollegen die Themen Abstrahlverhalten
und Phasengang ziemlich im Griff, denn
jedes Schallereignis wird im Raum derart
festgenagelt, dass man meint, es »sehen«
zu können. Das übliche Ahnen, Augenschließen, Konzentrieren und Kopfdrehen entfällt. Alles steht völlig klar vor einem, Instrumente und Musiker kann
man fast anfassen. Und dabei lerne ich
noch etwas: Es gibt High-Ender, die meinen, dass eine Raumdarstellung stören
würde, da sie von der Musik ablenke und
man seine Zeit mit dem Abzählen der
Choristen vertue. Manchmal war ich
durchaus bereit, dieser Fraktion teilweise Recht zu geben. Im Fall Geithain lenkt
der Raum nicht mehr ab - aber nur, weil
er so präzise dargestellt wird, dass man
sich schon gar nicht mehr um ihn kümmern muss. Man sieht alles vor sich, da
braucht man nicht mehr zählen.
Eine meiner liebsten Mahler-Aufnahmen zeigt, was man mit diesen Monitoren erleben kann. In der zweiten Symphonie sind zwei Pauker besetzt, die
meist recht nah nebeneinander stehen.
Oft verschwimmen die Musiker akustisch miteinander. Nicht so bei den Geit-
hains, die genau darstellen, wo
der eine und wo der andere arbeitet. Zudem irritierte mich bei dieser Aufnahme (Decca, Concertgebouw, Chailly) immer, dass die
Pauken, wenn sie lauter spielen,
sich nach links anders im Raum
ausbreiten als rechts. Links klang
es immer seltsam diffus. Einmal
über die 922 gehört herrscht
Klarheit: Die Pauken stehen hinten auf der rechen Bühnenhälfte,
links neben ihnen steht im Amsterdamer Saal die Orgel, und an
deren Gehäuse ist Schluss mit der
Schallausbreitung. Was andere
Boxen etwas schwammig darstellen, ist
mit diesen Monitoren ein klarer Schnitt.
Oder die Klangveränderung der Bassposaune, wenn sie richtig laut wird (ab einem bestimmten Pegel klingt sie irgendwie diffus mittig): Die 922 K zeigen, dass
der etwas seitwärts sitzende Musiker in
das Orchester hinein »zielt« und bei höheren Lautstärken das Stützmikrophon
der Bratschen mitbedient. Alles, was
sonst komisch wirkt, wird nun völlig klar
und einfach. So forscht man nicht ständig nach solchen Details, sondern hört
entspannt Musik, da man sich um keine
Information wirklich bemühen muss.
Diese äußerst exakte Klangbühne ist
naturgegeben nicht riesig, es öffnet sich
vielmehr das monitortypische Fenster
zwischen den Lautsprechern. Rechts und
links passiert, ebenso wie vor ihnen, fast
nichts. Nach hinten aber gibt es keine
Grenzen. Da muss der Geschmack entscheiden: Wilfried Kress, der die Geithain
zu den wenigen »sehr ernst zu nehmenden« Lautsprechern zählt, wäre die Abbildung auf Dauer wohl etwas zu klein. Für
mich hingegen war sie eine Offenbarung.
Euphoniker, Cinemascope-Fetischisten
und highendige Nebengeräuschsucher
werden hier nicht bedient. Dafür öffnen
die ME 922 K ein Fenster zum Aufnahmeraum, das man in der Klarheit wohl
nirgendwo sonst bekommt. Alles steht
an seinem Platz, man sieht die Ensembles gleichsam vor sich und erlebt so eine
Natürlichkeit und Entspanntheit im
Hören wie selten. Und da die Verstärker
gleich mit an Bord sind, stellen diese
Lautsprecher sogar ein überaus faires
Angebot dar.
Stefan Gawlick •