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Aspekte Jeden Tag neu: Leben mit Kindern Andrea Königs Hin und wieder ertappe ich mich dabei, dass ich die kinderlose Nachbarin beneide, wenn sie gegen 16 Uhr von der Arbeit nach Hause kommt. Niemand wird sie mit Fragen bombardieren, die mit „Darf ich...“ beginnen, niemand wartet auf ein fertiges Essen, niemand will zum nächsten Trainingstermin gefahren werden, niemand streitet sich mit dem Bruder oder der Schwester, niemand erwartet, dass sie ihre Arbeitszeiten mit den Bedürfnissen der Kinder unter einen Hut bringt. Sie hat ihre Ruhe. Sie hat keine Kinder, die ihren wohlgeordneten Alltag durcheinander bringen, die Rücksicht und Flexibilität verlangen und die die sofortige Erfüllung ihrer Bedürfnisse und Wünsche für ein natürliches Recht halten. Leben mit Kindern – das ist ein Leben voller Überraschungen. Bis zur Geburt meines ersten Kindes gab ich mich der Illusion hin, der Familienalltag sei vor allem eine Frage der Erziehung und der Planung. Doch schon in den ersten Tagen ihrer Existenz machte unsere kleine Tochter mir klar, dass sie einen eigenen (Dick-)Kopf hat. Niemals, so hatte ich mir vor der Geburt gesagt, würden meine Kinder einen Schnuller bekommen. Doch nachdem meine Tochter fast ununterbrochen an meiner Brust nuckeln wollte, entschied ich schon im Krankenhaus, dass ein Schnuller nicht das Schlechteste ist. Er wurde für lange Zeit ihr ständiger Begleiter. Auch das Alter, in dem sie keinen Mittagsschlaf mehr bräuchte, bestimmte sie selbst. Mit zwei Jahren war Schluss, auch wenn es mir nicht gefiel, auf die eine kinderfreie Stunde am Tag zu verzichten. Als ihr Bruder zur Welt kam, war mir klar, dass er ja nun sicher auch einen Schnuller bräuchte. Und seine „große“ Schwester drückte ihm auch immer wieder so einen kleinen Plastiksauger in den Mund. Doch auch er wusste, was er wollte: Er spuckte den Schnuller aus und wurde ein leidenschaftlicher Daumenlutscher. Auch in vielen anderen Dingen war er vom ersten Tag an ganz anders als seine Schwester. So unterschiedlich sind sie geblieben. Und heute bin ich darüber sehr froh. Wie langweilig wäre es, wenn sich die beiden in vielen Punkten ähnelten. Und wie langweilig wäre es, wenn sie in fast allem nur das Produkt unserer Erziehung wären. Ich hätte auf so manche Horizonterweiterung verzichten müssen. Niemals hätte ich gelernt, was es heißt, wenn ein Pferd „durchs Genick geht“, oder was bei den Handballern ein „Heber“ ist. Noch viel weniger hätte ich mir freiwillig Reitturniere und Handballwettkämpfe angesehen. Doch unsere Kinder haben ihre eigenen Interessen entwickelt – andere als die ihrer Eltern. Und das bereichert unser Familienleben. Ihre Hobbys, ihre Interessen und ihre Freunde – damit beschäftigen auch wir uns und erfahren dabei viel Neues. Unsere Wochenendgestaltung richtet sich zu einem guten Teil nach ihren Termi- nen. Natürlich könnten sie inzwischen auch allein zu Turnieren fahren. „Aber wenn ihr mitkommt, bin ich einfach besser!“, sagte unser Zehnjähriger neulich. Das tut jedem Elternherz gut. Mein Mann fuhr beim nächsten Mal wieder mit und prompt stand der junge Leichtathlet auf dem Siegertreppchen. Kinder in der Pubertät geben ihren Eltern gern das Gefühl, sie seien nur lästig und unerträglich. So sagte unsere Tochter neulich, die Eltern ihrer Freundin seien „genauso nervig“ wie wir. Aber schon kurze Zeit später gestand sie uns, dass sie unseren GuteNacht-Kuss doch sehr vermisse, wenn mein Mann und ich abends einmal beide nicht zu Hause sind. Bei solchen Sätzen kann man über die unzähligen Streitigkeiten im Alltag darüber, was Kinder in einem bestimmten Alter dürfen und was nicht, wieder hinwegsehen oder sie zumindest ertragen. Schließlich sind Eltern, die alles erlauben, zumindest meinen beiden auch irgendwie suspekt. Im Grunde sind es auch nicht die Kleinigkeiten des Alltags, die Eltern wirklich belasten. Etwas ganz anderes waren da bei uns schon die Sorgen, die wir uns machten, als sich bei unserem Sohn mit etwa fünf Jahren Entwicklungsstörungen zeigten. Die Phantasien, die mir durch den Kopf gingen, als ich die noch unsicheren Prognosen der Ärzte und Therapeuten hörte (später einschulen? Sonderschule?), haben mir schwer zu schaffen gemacht. Ein Jahr lang fuhren wir jede Woche in die nächste Großstadt zur Ergotherapeutin. Das kostete viel Zeit und Kraft, die Schwester musste mit oder irgendwo untergebracht werden, der Nachmittag war weg. Doch der Aufwand lohnte sich – wie so vieles, was Eltern in ihre Kinder investieren. Inzwischen ist unser Sohn ein problemloser Schüler, ein erfolgreicher Sportler und – was das Wichtigs- te ist – ein zufriedenes, ausgeglichenes Kind. Ich habe gelernt, dass vieles in der Entwicklung der Kinder nicht selbstverständlich ist. Und ich habe seitdem noch größeren Respekt vor Eltern, die mit weitaus schwerwiegenderen Sorgen um ihre Kinder konfrontiert sind. Auch wenn ich manchmal genervt bin, wenn Krankheiten der Kinder meinen Alltag durcheinander bringen, oder wenn Sohn und Tochter sich für Dinge, die mir wichtig erscheinen, nicht interessieren: Mein Leben wäre so unendlich viel ärmer ohne sie. Unbeschreiblich sind Erlebnisse wie das erste Lächeln auf ihren Gesichtern oder das erste „Mama“ aus ihrem Mund. Beneidenswert ist ihre Fähigkeit, sich an einfachen Dingen zu erfreuen: an einem Tier, an dem Wind in den Haaren oder an einem einfachen Spielzeug. Ich genieße die Zärtlichkeit, mit der sie uns auch noch heute umarmen, und das Gefühl, dass sie uns brauchen und mögen – mit unseren Macken und Schwächen. Schließlich haben Kinder es mit ihren Eltern auch nicht immer leicht. Und sie machen uns deutlich, was im Leben wirklich wichtig ist: Liebe, Geborgenheit und Vertrauen und das Akzeptieren des anderen, so wie er ist. Kinder zu begleiten, damit sie immer mehr zu sich selbst finden, das ist eine manchmal anstrengende und aufregende, aber letztendlich eine wundervolle und unendlich bereichernde Aufgabe. Und manchmal, da bin ich mir sicher, beneidet mich unsere – sehr kinderliebe – Nachbarin um unsere beiden „Schätze“. Kinder machen uns deutlich, was im Leben wirklich wichtig ist: Liebe, Geborgenheit und Vertrauen und das Akzeptieren des anderen, so wie er ist. 24 EM_Themenheft.indd 26-27 25 24.02.2005 14:17:13 Uhr Impressum Autorinnen und Autoren Dr. Dr. Peter Beer Professor für Religionspädagogik Benediktbeuern Ingrid Fischbach, MdB Berlin Bildnachweis gettyImages, zefa, corbis, epd-Bild, Katholische Nachrichtenagentur-Bild, photocase.de, MEV Verlag Quellennachweis Die namentlich gekennzeichneten Beiträge werden von den Autorinnen und Autoren verantwortet. Dr. Wolfgang Huber Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Georg Hug Ständiger Diakon Kirchheim unter Teck Impressum Andrea Königs Freie Journalistin Herausgeber Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Kaiserstr. 161, 53113 Bonn Bernd Kritzenthaler Pfarrer Regenstauf Karl Kardinal Lehmann Bischof von Mainz Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz P. Prof. Dr. Herbert Schlögel OP Professor für Moraltheologie Regensburg Dr. Helmut Wetzel Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Freiburg Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover Geschäftsstelle Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bereich Pastoral, Bonn Dr. Michael Feil Redaktion P. Dr. Manfred Entrich OP, Bonn Dr. Michael Feil, Bonn Dr. Jens Kreuter, Hannover Berater und Beraterinnen der Gemeinsamen Kommission Gundula Bomm, Erfurt Hubert Heeg, Bonn Claudia Heinkel, Stuttgart Dr. Hildegard Kaulen, Wiesbaden P. Prof. Dr. Herbert Schlögel OP, Regensburg Prof. Dr. Hans-Georg Ulrich, Erlangen Gestaltung ‹em›faktor, Stuttgart, www.em-faktor.de Druck Sommer Corporate Media, Waiblingen 42 EM_Themenheft.indd 44-45 43 24.02.2005 14:17:53 Uhr