Buchbesprechung: Vietnam hautnah (Kotte/Siebert)

Transcription

Buchbesprechung: Vietnam hautnah (Kotte/Siebert)
Buchbesprechung
Das Foto auf dem Buchdeckel zeigt eine Vietnamesin: Aufmerksamer
Blick, Kopf im Halbprofil; durch leichte Drehung kann sie schnell von
Vorausschau auf Rückblick wechseln. Das Foto symbolisiert die Programmatik des Buches.
Werner Pfennig
Goethe lässt Iphigenie auf Thauris,
fern der Heimat, »das Land der
Griechen mit der Seele« suchen.
Heinz Kotte brauchte das Land der
Vietnamesen nicht zu suchen. Er
kannte es und hatte es im Herzen,
was ihn nicht hinderte, es mit kritisch-prüfendem Blick zu betrachten. »Hatte« und »kannte« sind Vergangenheitsformen, denn Heinz
Kotte starb, bevor dieses Buch erschien . Zusammen mit Rüdiger
Siebert, einem profunden Kenner
Süd- und Südostasiens, hat er Vietnam beschrieben und analysiert:
Vergangenheit, Gegenwart, Details
und grandiose Überblicke. Fünf
der Beiträge konnte Heinz Kotte
noch schreiben, die anderen 18
stammen von Rüdiger Siebert. Es
gibt drei Landkarten, die besonders
hilfreich sind bei dem Kapitel »Im
Mekong-Delta alles in der Schwebe«. Bereichert wird der Band zusätzlich durch 33 Illustrationen von
Peter Berkenkopf, die es LeserInnen ermöglichen, sich ein Bild zu
machen, sich in den Text hinein zu
versetzen, das Beschriebene quasi
mitzuerleben, um »im Detail das
Ganze zu entdecken.« (S. 23)
Ein Land, das sich schnell verändert
Geschrieben wurde über ein Land,
dessen lange Geschichte gekennzeichnet ist von Kampf, Siegen,
Entbehrungen und Aufopferungen,
ein Land, das sich stark und schnell
verändert: »Erstmals seit so vielen
Generationen mit Schwertern in
kampfbereiten Händen hat die
junge Generation die kostbare,
einzigartige, hoffnungsvolle Chan-
2 2006
ce: bereit zu sein, fürs Vaterland zu
anderen Besuchern schwer oder
leben.« (S. 37) Dieses Leben wird
kaum zugänglich sind. Vietnam ist
anschaulich, wird hautnah bein diesem Buch hautnah zu erleschrieben: Vergangenheitsbewältiben, mit seiner großen Spannweigung, Heldenverehrung, Konsumte. Über drastische Veränderunrausch, …
gen, aber auch über Kontinuitäten
Der Text besteht fast
ist zu lesen. Eine der gedurchgängig aus kurzen
Rüdiger Siebert, Heinz Kotte
genwärtigen BestandsaufSätzen und griffigen ForVietnam hautnah.
nahmen lautet: »Vietnam
mulierungen, teilweise geEin Land im Umbruch
in seiner konsumorienschrieben wie das schnelle
Bad Honnef: Horlemann Verlag.
tierten Fortschrittsgläubig206 Seiten. 12,90 €
Sprechtempo einer Rekeit ist vernetzt worden.«
portage. Die Essenz von
(S. 85) Pater Chan Tin war
Buddhismus und Konfuzianismus
in den 60er und 70er Jahren ein
wird meisterlich in wenigen Sätzen
bekannter Vertreter der »Dritten
kompakt dargeboten. Rüdiger SieKraft.« Seine Einsichten, entnombert schreibt stellenweise Staccatomen aus Publikationen, Predigten
Prosa. Im Text untergebracht sind
und Gesprächen, werden in längeaussagekräftige statistische Angaren Passagen als wörtliche Zitate
ben zur sozialen Situation des
abgedruckt.
Landes. Atmosphäre, scharf und
Am Ende des Buches wird den
detailreich beobachtet, wird fast
LeserInnen keine Zusammenfasmiterlebbar vermittelt. Heinz Kotte
sung serviert, es gibt kein abgebietet beides, farbige Milieuberundetes Fazit, keinen erfahrungsschreibung und gesellschaftspolitigesättigten Ausblick. Die vielen
sche Reflexion sowie Bezug auf
geschilderten Impressionen, Beohistorische Bestimmungsfaktoren.
bachtungen und Bewertungen
Bei Rüdiger Siebert gibt es oft einbieten eine Fülle von Material, um
prägsame, bilderreich-wertende
selbst eine Zwischenbilanz zu zieAusdrücke: Hanoi, eine würdige
hen, kein Endergebnis, denn:
alte Dame – selbstbewusst und mit
»Vietnam hautnah – eine Fortsetverhalten konservativem Gehabe
zungsgeschichte.« (S. 204) Wer
(S. 40); Ho Chih Minh im eigenen
bereits dort war, wird vieles wieMausoleum als Denkmal in Goldder erkennen, manchen damaligen
bronze: »ein jovialer Hausherr mit
Eindruck neu bedenken; andere
scharfkantigen Bügelfalten.« (S.
könnte die Lektüre zu Reisepla56) Wann immer möglich, werden
nungen motivieren.
der mörderische Diktator Ngo
Dinh Diem und der hasserfüllte
Kardinal Spellmann verbal abgeurteilt Die Kritik, so zumindest
Der Rezensent mit Arbeitsstelle
mein subjektiver Leseeindruck,
»Politik Chinas und Ostasiens«
kommt zwar nicht aufdringlichan der FU Berlin, ist durch umrechthaberisch daher, wirkt stelfangreiche Publikations- und
lenweise aber etwas aufgesetzt.
Vortragstätigkeit zu EntwicklunDie Autoren besuchten Orte
gen in Südost- und Ostasien beund sprachen mit Personen, die
kannt.
südostasien
7