die Unabhängigkeit

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die Unabhängigkeit
Kolumbiens Unabhängigkeit am 20. Juli 1810 – Teil
1
Autor: Marcos Gonzalez Perez | Juli 2010
Warum wird am 20. Juli gefeiert?
Kolumbien hat im Verlauf eines Jahrzehnts mehrere Unabhängigkeitserklärungen
erlebt. Heute wird jedoch nur noch die von 1810 als Nationalfeiertag begangen.
Am 8. Mai 1873 erklärte der Kongress der Vereinigten Staaten von Kolumbien – wie die
Republik Kolumbien zu jener Zeit noch hieß – den 20. Juli zum offiziellen Jahrestag der
nationalen Unabhängigkeitserklärung und schrieb dies auch per Gesetz so fest. Es ist
bemerkenswert, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 63 Jahre seit jenem 20. Juli 1810, der
Unterzeichnung der Revolutionsurkunde Acta de la Revolución, vergangen waren und
dass es bis dahin lediglich ein offizielles nationales Emblem gab: die dreifarbige Flagge –
eingeführt am 26. November 1861 –, wohingegen die Nationalhymne erst 1920 und das
Wappen erst am 6. August 1955 amtlich bestätigt wurden.
Im Laufe der Zeit hat es jedoch immer wieder Entwürfe für Wappen, Flaggen und
Hymnen gegeben. So wurden zum Beispiel 1834 ein Wappen und die Nationalfarben
eingeführt – und unter anderem 1854 und 1861 wieder durch andere ersetzt – sowie 1836
ein „nationales Lied“ vorgeschlagen. Noch ehe sich Symbole der nationalen Einheit
durchgesetzt hatten, feierten die „Kolumbianer“ unzählige Feste zu Ehren des
Vaterlandes, der Nation, der Republik und der Bürger.
Behält man all dies im Blick, so ist es verwunderlich, dass ausgerechnet dieses Datum
und dieses Ereignis in Santa Fe (wie Bogotá damals hieß) als Gedenktag der
Unabhängigkeitserklärung festgelegt wurden und nicht etwa die Aufstände der Stadträte
von Cartagena, Cali, Pamplona oder Socorro, die von entscheidender Bedeutung für die
Unabhängigkeit waren. Oder aber der 11. November 1811, als patriotische Kräfte den
ersten freien, souveränen und unabhängigen Staat des Vizekönigreichs Neugranada
(Virreinato de Nueva Granada, so der damalige Name Kolumbiens) ausriefen. Oder der
7. August 1819, an dem die Schlacht von Boyacá stattfand, in der die Patrioten die
Royalisten endgültig besiegten. Das ermöglichte 1821 die Gründung der Republik
Kolumbien als „Nation, deren Freiheit und Unabhängigkeit vom Königreich Spanien
unwiderruflich sind“, wie es in der Verfassung lautet.
Worauf lässt sich diese weit reichende Entscheidung zurückführen? Beschränken wir uns
auf die historischen Fakten, so spielten wohl zahlreiche Gründe eine Rolle:
1. Die Gründung des Obersten Regierungsausschusses (Junta Suprema de Gobierno):
Während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts lag das Verwaltungszentrum des
Vizekönigreichs Neugranada in Santa Fe. Dieser Ort stand für die politische Macht der
spanischen Monarchie, auch wenn es in einigen anderen Provinzen, beispielsweise in
Cartagena, ebenfalls einflussreiche Eliten gab, die dem politischen Einfluss von Santa Fe
entgegenwirkten. 1808 marschierten die Truppen Napoleons auf der Iberischen Halbinsel
ein und nahmen den König gefangen, was in Spanien zur Gründung einer Junta Suprema
– einer Institution, die die absolute Staatsgewalt im Namen Königs Ferdinand VII.
ausübte – führte, um die Legitimität Ferdinands VII. zu gewährleisten. Folge davon war
eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten zwischen denen, die eine absolute
Unabhängigkeit für möglich hielten und jenen, die lediglich Autonomie innerhalb der
Spanischen Nation anstrebten, dabei aber Bestandteil dieser Nation bleiben wollten.
Die Führungseliten des Landes, die sich in Santa Fe zusammengefunden hatten und die
als in Amerika Geborene einen größeren politischen Einfluss anstrebten, machten sich
diese Umstände zunutzte, um den Aufstand vom 20. Juli 1810 zu organisieren. Auch
riefen sie eine eigene Junta Suprema de Gobierno ins Leben. So begann eine Ära der
öffentlichen Konfrontation angesichts der Bestrebungen, Neugranada zu einem von
Spanien unabhängigen Gebiet zu erklären. Es wurde hiermit der Grundstein für ein neues
Zeitalter gelegt. Es folgte die Absetzung des Vizekönigs, wonach die Aufständischen die
Macht übernahmen. Genauso sahen es auch die Mitglieder des Kongresses im Jahre 1873.
Deswegen wurde nach einigen Debatten das Gesetz verabschiedet, das diesen Tag als
Feiertag und Jahrestag der nationalen Unabhängigkeitserklärung festlegte. Diese
Entscheidung gründete laut Präsident Manuel Murillo Toro auf der Annahme, dass mit
dem Aufstand an jenem Tag im Jahr 1810 der Feldzug „unserer Väter“ gegen die
spanische Besatzung begann, der mit den militärischen Siegen der Patrioten bei den
Schlachten von Boyacá, Carabobo, Pichincha und Ayacucho endete. Es kamen also zwei
Ereignisse – der Aufstand vom 20. Juli und die darauf folgenden Schlachten – zusammen,
die dann später als eine Einheit betrachtet wurden. Bei der Wahl des Gedenktages stand
somit der „Beginn der Aktionen” im Vordergrund.
2. Der begriffliche Bezug: 1811 erscheint der 20. Juli im Kalender als der „Tag der
Revolution und der Gründung der Junta Suprema de Gobierno“, 1812 als der „Dritte
Jahrestag unserer Freiheit“ zusammen mit dem Namenstag der Heiligen Santa Librada,
Märtyrerin und Landespatronin. 1813 wird er als „Tag der Unabhängigkeit“, 1814 als
„denkwürdiger Tag unserer politischen Transformation“, 1815 als „Tag der Freiheit“ und
in den darauf folgenden Jahren als Bürgerfest zu Ehren der Helden, als „Gedenktag an
den 20. Juli“ oder als „Tag der nationalen Unabhängigkeit“ bezeichnet. Auf diese Weise
kristallisierte sich dieses Datum als das große Fest der Nation oder als der Jahrestag der
Unabhängigkeit heraus. Die Übereinstimmung dieser begrifflichen Bezüge mit der
eigenen Auffassung, bewog die Kongressabgeordneten 1873 dazu, diesen Tag als
Jahrestag festzulegen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass in den Festreden auf den Gedenkfeiern der heutigen
Zeit Begriffe aus der damaligen Zeit wie „Freiheit“, „herausragende Persönlichkeiten“,
„Patrioten“, „glanzvoller Tag“, heilige Märtyrer“ vorkommen. Sie verweisen auf die
Vergangenheit und ehren somit diejenigen, die „unsere politische Transformation“
begonnen und für die Schaffung „unserer Freiheit“ gekämpft haben.
3. Das politische Moment: 1873 war die politische Gruppierung der Radikalen an der
Macht, die nach Symbolen suchte, um den gerade entstehenden Nationalstaat zu
versinnbildlichen. Aus diesem Grund hatten sie eine Kampagne gestartet, um in
verschiedenen Bereichen, die noch unter dem Einfluss religiöser Symbolik standen, den
Laizismus durchzusetzen. Dafür wurden den militärischen Führern des
Unabhängigkeitskampfes Denkmäler errichtet sowie Straßen und Plätze umbenannt – sie
erhielten die Namen der Schlachten, die von den Freiheitskämpfern erfolgreich
geschlagen worden waren. Auf dem Platz der Märtyrer legte man den Grundstein für ein
Denkmal zu Ehren der Märtyrer von damals, und der Park des Heiligen Franziskus bekam
zu Ehren des Freiheitskämpfers Francisco de Paula Santander den Namen Parque
Santander.
Ausschlaggebend ist jedoch die Darstellung des Einheitsgedankens der neun
Bundesstaaten auf den Festumzügen des 20. Juli. Hierbei werden die typischen
Eigenschaften eines jeden Einzelstaates dargestellt, die dann jedoch zu einer Einheit
verschmelzen. Das soll zeigen, dass die unterschiedlichen Staaten in ihrer Vielfalt sich
auch immer als eine Nation verstanden. Und dies sollte nun mit einem gemeinsamen
Nationalfeiertag am 20. Juli besiegelt werden, der Geburtsstunde eines „freien,
souveränen Volkes, das auf der internationalen Bühne eine würdevolle Rolle einnimmt“,
wie man es damals treffend formulierte.
Auf dieser Grundlage, die sich eher auf politische als auf soziale Ereignisse stützt,
begehen wir dieses Jahr am 20. Juli das zweihundertjährige Jubiläum unserer
Unabhängigkeit.
Kolumbiens Unabhängigkeit am 20. Juli 1810 – Teil
2
Autor: Germán Rodrigo Mejía Pavony | Juli 2010
Närrisches Vaterland?
Der stark vereinfachende Ausdruck Patria Boba, also närrisches Vaterland, verdeckt
die Schwierigkeiten, die es bei der Geburt der Republik Kolumbien gab
Es war Antonio Nariño, der 1823 die Bezeichnung Patria Boba für die Entstehungsphase
unserer Republik prägte. Erstmals ist dieser Ausdruck in seiner Monografie Los Toros de
Fucha zu finden – und zwar nicht ein, sondern gleich vier Mal. Die drei Schriften, die
Nariño unter diesem Titel veröffentlichte, wurden im März und April 1823 kostenlos in
Bogotá verteilt. Der Stier, toro, auf den er im Titel Bezug nimmt, lässt sich auf einen
Artikel von Francisco de Paula Santander zurückführen. Dieser hatte einen Artikel, in
dem er den Föderalismus scharf kritisierte, unter dem Decknamen El Toro in der von
Nariño gegründeten Zeitung El Patriota veröffentlicht. Der Name Fucha bezieht sich
sicherlich auf die Hacienda, die er am Ufer des gleichnamigen Flusses im Süden von
Bogotá besaß.
In Los Toros de Fucha verteidigt Nariño den Föderalismus, und in El Patriota hält
Santander dagegen, dass der Zentralismus die einzige Lösung sei, um den Staat zu
festigen, den es nach den Beschlüssen in der Verfassung von Cúcuta aus dem Jahre 1821
zu gründen galt. Zehn Jahre zuvor war die Situation noch eine andere gewesen: Der
damalige Präsident des Souveränen Staates von Cundinamarca (Estado Soberano de
Cundinamarca), Antonio Nariño, war damals noch Vorreiter des Zentralismus,
wohingegen sich Santander als Offizier des Heeres der Vereinigten Provinzen (ejércitos
de las Provincias Unidas) für den Föderalismus einsetzte. Was war nur in jenen Jahren
passiert? Was hatte diese beiden bewogen, ihre Ansichten so radikal zu ändern? Die
Antwort liegt in den Umständen jener Zeit, die durch die irreführende Bezeichnung
Patria Boba weder verstanden noch geschätzt werden kann.
Diese Bezeichnung, die Nariño für die Jahre vor dem endgültigen Sieg über das spanische
Heer verwendete, setzte sich durch und fällte somit ein Urteil über jene Zeit – eine Zeit, in
der die Angst vor einem Gegenschlag der absoluten Monarchie, der ja dann auch eintraf,
vorherrschte. Durch die Verwendung des Beinamens närrisch etablierte sich unter
Historikern nicht nur die undifferenzierte Annahme, die Naivität, fehlende Reife und
Eigenwilligkeit unserer ersten Regierung habe dazu geführt, dass wir uns alle gegenseitig
bekämpften, sondern auch die Schlussfolgerung, wir haben uns dadurch gegenüber dem
mächtigen Feind Spanien selbst geschwächt. Was geschieht aber, wenn wir uns von der
Wertung närrisch frei machen und nach dem Sinn jener Anfangsjahre fragen? Die
Geschichtsforschung der letzten Jahre zu diesem Thema zeigt, dass dieser Aspekt sehr
wichtig ist. Hilft er uns doch, die Schwierigkeiten zu verstehen, die wir dabei hatten,
einem wahrhaftigen Nationalstaat Form zu verleihen. Es stellt sich die Frage: Was ist
Kolumbien letzten Endes eigentlich?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zu den Anfängen zurückgehen. Der Aufstand
am 20. Juli 1810 war weder der erste noch der letzte, bei dem die in Amerika geborenen
Bewohner von Neugranada ihren Unmut über die Ereignisse in Spanien zum Ausdruck
brachten. Das Jahr 1810 stand ganz im Zeichen der Gründung zahlreicher, autonomer
Regierungsausschüsse (Juntas de Gobierno). Wegen der Probleme, die sich durch den
Einfall der französischen Truppen in Spanien sowie die Gefangennahme der Könige Karl
IV. und Ferdinand VII. im französischen Bayonne ergeben hatten, wurde sowohl im
Mutterland Spanien als auch in seinen Kolonien die Gründung von Institutionen, die im
Namen der spanischen Krone Regierungsgewalt ausübten, unumgänglich. Keine der
genannten Juntas verfügte jedoch über ausreichend Macht, um Kontrolle über die anderen
auszuüben, weder in Spanien noch auf dem amerikanischen Kontinent. Was im Jahre
1808 noch zaghaft begonnen hatte, war 1810 schon nicht mehr aufzuhalten: In diesem
Jahr weigerten sich die in Amerika geborenen Bewohner der Kolonien, den Anordnungen
der Spanier – noch zumal nach deren eigenmächtiger Einberufung eines
Regentschaftsausschusses (Junta de Regencia) –, Folge zu leisten. Die Angst, die
königlichen Vertretungen zu beseitigen, wich langsam. Außerdem drang ins allgemeine
Bewusstsein, was im Vorjahr in Städten des heutigen Boliviens und Ecuadors geschehen
war; von den Umsturzversuchen und Verschwörungen, die seit September 1809 in
unserem eigenen Land vor sich gingen, ganz zu schweigen. Und so bildeten sich in jeder
der Provinzen Regierungsausschüsse: am 3. Juli 1810 in Cali, am 4. Juli in Pamplona,
sechs Tage später, am 10. Juli, in El Socorro, am 20. in Santafé (Bogotá), am 25. in Tunja
und am 26. desselben Monats in Mariquita. Im August folgten Neiva am 4., Mompós am
6., Santa Marta am 10., Popayán am 11., Cartagena am 13. und Quibdó am 31. Im darauf
folgenden Monat September entstanden in folgenden Städten Juntas de Gobierno: am 1.
September in Medellín, am 7. in Ibagué, am 13. in Tame, am 27. in Novitá sowie in
Ipiales zu Beginn desselben Monats. Man könnte die Liste noch fortführen, aber die
bereits aufgezählten Gründungen von Regierungsausschüssen reichen aus, um sich die
Frage zu stellen: Warum gelang es mit der Gründung der Junta von Santafé am 20. Juli
nicht, eine Institution ins Leben zu rufen, die – zumal durch ihre Autonomieerklärung
vom spanischen Regentschaftsausschuss – alle anderen Provinzen und Städte von
Neugranada rechtmäßig hätte unter sich vereinen können?
Tatsächlich hatte Santafé, wie Bogotá damals hieß, lediglich seine eigene Provinz, was
mehr oder weniger dem heutigen Gebiet von Cundinamarca entspricht, unter seiner
Kontrolle. Wir liegen falsch in der Annahme, wenn wir glauben, Santafé sei damals die
Hauptstadt gewesen, nur weil dort der Vizekönig lebte. Das Einzige, was die
verschiedenen Gebiete vormals einte, war die Loyalität gegenüber dem König, von dem
die Personen und Institutionen direkt ihre Macht ableiteten. Ohne König gab es jedoch
dann auch keinen Zusammenhalt mehr. Und genau so geschah es. Das hilft uns also zu
verstehen, warum es in jenen drei Monaten des Jahres 1810 so viele
Autonomieerklärungen gab und warum es Santafé nicht gelang, die anderen Gebiete zu
unterwerfen, obwohl die dortige Junta sich selbst als Junta Suprema de Gobierno, also
Obersten Regierungsausschuss, bezeichnete und in ihrer Gründungsurkunde vom 20. Juli
die Föderation als erste Organisationsstruktur des Gebietes festlegte.
Die Ereignisse von Ende 1810 bis Januar 1815 lassen sich alle von dieser
Ausgangssituation ableiten. Erstens entstanden zeitgleich zwei Republiken: die
zentralistische Republik von Cundinamarca und die föderale Republik der Provincias
Unidas, also der Vereinten Provinzen. Im Bürgerkrieg, der von Anfang 1812 bis zur
endgültigen Einnahme von Santafé durch Simón Bolívar und die Truppen der Provincias
Unidas im Dezember 1814 dauerte, standen sie einander direkt gegenüber. Zweitens
erkannten Santa Marta, Popayán, Pasto und weitere Provinzen nie etwas anderes als den
(spanischen) Regentschaftsrat (Consejo de Regencia) und später Ferdinand VII. an.
Drittens wurde in diesen Jahren über ein Dutzend Verfassungen verkündet. Und
schließlich waren nicht alle Spanier Royalisten und nicht alle in Amerika Geborenen
Nationalisten. Auch schlossen sich weder die Ureinwohner einheitlich einer der beiden
Seiten an, noch ergriffen die schwarzen Sklaven in dem ihnen fremden Kampf Partei. All
das zeigt uns die tiefe Spaltung der Gesellschaft von Neugranada. Man kann unter den
damaligen Umständen nicht von einer Nation sprechen; dieser Begriff traf in Wirklichkeit
nur auf die Bewohner der einzelnen Provinzen zu. Aus dieser Perspektive wird die
wertende Bezeichnung Patria Boba den damaligen Umständen nicht gerecht. Die
Bezeichnung geht über die Vielfalt und die Unterschiede, die jene Zeit prägten, hinweg;
über jene Eigenschaften, die der Zentralismus eben mit der Bezeichnung boba – närrisch
– zum Schweigen bringen wollte.
Kolumbiens Unabhängigkeit am 20. Juli 1810 – Teil
3
Autor: Fabio Zambrano | Juli 2010 Der lange Weg zur Unabhängigkeit
Es ist nie einfach, sich von einem Imperium loszusagen. Der Preis für die Freiheit ist
immer hoch: Viele müssen mit ihrem Blut bezahlen.
Am 12. Juni 1808, einem Sonntag, wurde in Santafé de Bogotá, der Hauptstadt des
Vizekönigreichs Neugranada (Virreinato de Nueva Granada, wie Kolumbien damals
hieß), die Krönung von Ferdinand VII. mit einem großen Fest, Glockengeläut,
Luftballons und Feuerwerk gefeiert. Die Bewohner von Santafé ahnten nicht im
Geringsten, wie dramatisch die Lage auf der Iberischen Halbinsel war, dass die
Meutereien am 2. und 3. Mai in Madrid blutig und mit Waffengewalt von den
einfallenden französischen Truppen niedergeschlagen worden waren und dass Ferdinand
VII. und sein Vater Karl VI. im französischen Bayonne abgedankt hatten.
Als die Bevölkerung von Neugranada von den Ereignissen erfuhr, war ihre erste Reaktion
darauf, ihr Bekenntnis zur Monarchie zu bekräftigen und somit die französische Invasion
in Spanien sowie die Ideale der Französischen Revolution abzulehnen. Deswegen fand am
11. September desselben Jahres – genau an dem Tag, an dem Celestino Mutis starb –, in
Santafé ein großes Fest zum Zeichen der Treue zu Ferdinand VII. statt.
Es wurden aber bereits gegnerische Stimmen laut, die die Gründung von
Regierungsausschüssen (Juntas de Gobierno) im Vizekönigreich forderten. Diese
ambivalente Situation in Neugranada – Aufstand auf der einen und Loyalität auf der
anderen Seite – erreichte 1810 ihren Höhepunkt, als das spanische Herrschaftssystem
infolge der durch den Krieg gegen die französischen Truppen auf der Halbinsel
ausgebrochenen Krise vollkommen aus den Fugen geriet. Durch den Sturz der spanischen
Monarchie wurde das Imperium führungslos. Das führte dazu, dass am 20. Juli 1810 in
Santafé – wie auch in anderen Städten – die Stadträte im Namen des Königs die Macht
übernahmen.
Am 26. Juli 1810 erlangte der Oberste Regierungsausschuss (Junta Suprema de
Gobierno) von Santafé die Souveränität – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur
Unabhängigkeit von Spanien. Später wurde dann noch der Kongress der Vereinten
Provinzen (Congreso de Provincias Unidas) einberufen. Dies führte zu einem
Bürgerkrieg, der als Patria Boba, närrisches Vaterland, bekannt ist.
Die Geschichte der Unabhängigkeit Kolumbiens kann also als Prozess betrachtet werden,
der sich aus mehreren Etappen zusammensetzt. Sie begann 1808 und endete mit der
Schlacht von Ayacucho in Peru am 9. Dezember 1824. In diesen langen sechzehneinhalb
Jahren gab es mehrere Feldzüge mit dem Ziel, die Unabhängigkeit von Spanien zu
erkämpfen. Auch wenn heutzutage die so genannte campaña libertadora, der
Befreiungsfeldzug, der in Venezuela begann und auf der Brücke von Boyacá endete,
ausschließlich mit Simón Bolívar in Verbindung gebracht wird, ist es von Vorteil, sich die
unterschiedlichen Etappen dieses Feldzuges, die sich in Neugranada abspielten, vor
Augen zu führen.
Der erste Befreiungsfeldzug: Der Südfeldzug von Antonio Nariño 18131814
Der als Patria Boba, also närrisches Vaterland, bezeichnete Bürgerkrieg hatte die
Regierung geschwächt. 1813 wollte diese Regierung, der Antonio Nariño vorstand, mit
einem Bürgerfest die Einigkeit der Provinzen demonstrieren und pflanzte am 29. April
1813 den Baum der Freiheit, eine Myrte. In jenen Tagen fiel Juan Sámano vom Süden her
ein, was einen Gegenfeldzug hervorrief, der von Nariño angeführt wurde.
Da sich Sámano als Vertreter des Königs verstand, schlug Nariño dem Colegio Electoral,
das dem Kongress der Vereinten Provinzen entsprach, vor, die absolute Unabhängigkeit
auszurufen. Und das wurde am 16. Juli 1813 umgesetzt.
Auch wenn es bereits vor diesem Tag Unabhängigkeitserklärungen gegeben hatte, so
handelte es sich bis dato immer nur um Stadträte. Cundinamarca hingegen umfasste
mehrere Provinzen. Außerdem wurden neue Symbole festgelegt: Flagge, Wappen und
Münzen. Man entfernte das Konterfei des Königs; der Unabhängigkeitskrieg begann, und
es bildeten sich zwei Parteien heraus: die Patrioten und die Royalisten. Es war eines der
Verdienste Nariños, der diesen ersten Feldzug im September 1813 mit 1200
Infanteriesoldaten und 200 Kavalleriesoldaten initiierte. Am 30. Dezember siegte er in
Alto Palacé und im Januar 1814 in Calibío. Am 14. Mai jedoch wurde Nariño inmitten
der Kriegswirren – und vielleicht auch durch Verrat – in Pasto verhaftet, und somit endete
der erste Befreiungsfeldzug.
Simón Bolívars Magdalena-Feldzug 1812-1813
Simón Bolívar traf im November 1812 in Cartagena ein, nachdem er in Venezuela von
den royalistischen Truppen besiegt worden war. Er kam zusammen mit vielen weiteren
Emigranten aus Venezuela. Am 21. Dezember 1812 reiste er zum Magdalenenstrom, mit
dem Auftrag, diesen vor den Spaniern lediglich zu verteidigen. Bolívar verweigerte den
Gehorsam und begann, am 23. Dezember den Magdalena-Feldzug. Innerhalb von drei
Wochen hatte er die Gegend von der spanischen Besatzungsmacht befreit, so dass die
Schifffahrt wieder aufgenommen werden konnte. Nachdem er Cúcuta verlassen hatte,
kehrte er nach Caracas zurück. Später, am 19. September, kam er noch einmal nach
Cartagena – geschlagen und ausgebürgert –, und im Mai 1815 machte er sich ins Exil
nach Jamaica auf.
Befreiungsfeldzug von 1819, Bolívar und Santander
Nach der Wiedereroberung durch die Spanier, die ab 1815 von Pablo Morillo angeführt
wurde, verwandelte sich die Region Llanos de Casanare zu einem Kriegsschauplatz des
Widerstandskampfes. Im Januar 1819 übernahm Francisco de Paula Santander in
Casanare das Kommando und machte sich an die Zusammenstellung eines Heeres. Er
schaffte dies in nur einigen Monaten und mit wenigen Mitteln. Er stellte eine Division
von 2.000 Mann zusammen, ließ Münzen prägen, organisierte eine Zivilregierung und
bestimmte einen Befehlshaber, dem die Anführer der Region unterstanden.
All das wurde zu einer großen Herausforderung für die Spanier, und deswegen fiel der
Oberst José María Barreiro in Casanare ein. Santander jedoch besiegte ihn, verfolgte ihn
und überquerte dafür sogar die Gebirgskette.
Als Bolívar von den Aktionen Santanders erfuhr, schrieb er ihm am 20. Mai 1819 von
Apure aus und schlug ihm die Befreiung von Neugranada vor. Am 3 Juli traf das 1300
Mann starke Heer aus Venezuela, das von englischen Söldnern verstärkt wurde, ein.
Nachdem sie am 25. Juni in Tame aufgebrochen waren, machten sie sich direkt auf, die
Gebirgskette zu überwinden. Am 26. kamen sie bis Nunchía, am 27. nach Morcote.
Santander war Teil der Vorhut, die bei Paya die Spanier besiegte und somit den Weg frei
machte. Am 6. Juli trafen sie in Socha ein, und am 25. Juli kam es in der sumpfigen
Region Pantano de Vargas zur entscheidenden Schlacht.
Das Heer war mittlerweile durch freiwillige Kämpfer aus Boyacá deutlich angewachsen.
Am 7. August gab es die wichtige Schlacht auf der Brücke von Boyacá, und am 10.
August marschierten sie in Santafé de Bogotá ein. Der Krieg ging jedoch an mehreren
Fronten weiter. Am 21. Oktober 1821 ergaben sich die Spanier in Cartagena. Das ist
eigentlich das definitive Datum unserer Unabhängigkeit. Danach folgten allerdings noch
weitere Aufstände der Royalisten in verschiedenen Provinzen, zum Beispiel im Januar
1823 in Ciénaga, als die Royalisten Santa Marta einnahmen.
Der Feldzug des Südens
Ende 1821 waren zwar Neugranada und Venezuela befreit, aber die Gefahr der
Reconquista vom Süden her drohte fortwährend. Um die Unabhängigkeit zu festigen,
musste die Bastion der Spanier in Peru angegriffen werden. Deswegen organisierte
Bolívar den Befreiungsfeldzug von Quito, das sich noch in der Hand der Spanier befand.
Am 17. Juni traf Bolívar in Quito ein. Daraufhin schlossen sich mehrere Staaten zu Gran
Colombia, Großkolumbien, zusammen. Am 7. Dezember 1822 siegte Bolívar in
Bomboná, in der Nähe von Pasto. Der Sieg von Ayacucho im Jahr 1824 war
entscheidend, um die Unabhängigkeit zu festigen.
Diese Zweite Republik, die von 1819 bis 1831 andauerte, trug den Namen Colombia,
Kolumbien, und bestand aus Venezuela, Cundinamarca und Quito. Die Bezeichnung Gran
Colombia, also Großkolumbien, wurde erst später eingeführt. Während Bolívar den
Feldzug des Südens anführte, kümmerte sich Santander um die politische Organisation
der Republik und regierte von Bogotá aus, da es ja keinen Präsidenten gab.
Währenddessen entstand in Venezuela der so genannte Caudillismo, in Gestalt von José
Antonio Páez. 1826 verkündete er seinen Ungehorsam gegenüber der Regierung von
Großkolumbien, worauf umgehend Auseinandersetzungen mit Santander folgten. Die
Brüche innerhalb der Republik Kolumbien wurden deutlich. Sogar Bolívar sagte, dass
„Quito ein Kloster, Bogotá eine Universität und Venezuela eine Kaserne“ sei. Diese
Unterschiede waren bald schon die entscheidenden Gründe zur Auflösung von
Kolumbien, die sich nach Bolívars Tod am 17. Dezember 1830 vollzog. Am 20. Oktober
1831 wurde eine neue gesetzgebende Versammlung einberufen, eine neue Verfassung
beschlossen und somit die Republik Neugranada, unsere Dritte Republik, gegründet. Die
Verfassung wurde 1932 angenommen, und der erste Präsident dieser Republik war der
aus dem Exil zurückgekehrte Santander. Von da an begannen wir, das republikanische
Projekt umzusetzen, um somit endgültige Unabhängigkeit zu erreichen.
Der Autor ist Historiker und Berater in der von der Regierung eingerichteten
Beratungsstelle zur Koordination der Feierlichkeiten zum zweihundertjährigen Jubiläum
der Unabhängigkeit Kolumbiens (Alta Consejería Presidencial para la Celebración del
Bicentenario).
Original-Beitrag aus La Semana vom 18.07.2009, (Ausgabe 1420). Veröffentlichung mit
freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
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Original-Beitrag aus La Semana vom 18.07.2009, (Ausgabe 1420). Veröffentlichung mit
freundlicher Genehmigung der Zeitschrift.
Übersetzung aus dem Spanischen: Natascha Geistmann