Des Werkstattleiters liebstes Kind

Transcription

Des Werkstattleiters liebstes Kind
Kostenkalkulation ein Risiko?
Oder: Des Werkstattleiters liebstes Kind
Einleitung
„Des Werkstattleiters liebstes Kind“, als Frau Reichhardt bei mir anfragte, ob ich
etwas zu diesem Thema ausführen könnte, habe ich zunächst einmal gestutzt.
Mir kam die häufig geäußerte These in den Sinn „das Auto ist des Deutschen liebstes
Kind“.
Was verknüpft man eigentlich mit dieser Feststellung „liebstes Kind“? Was steckt
dahinter, wenn gesagt wird, das Auto sei des Deutschen „liebstes Kind“?
Mit Kindern verbindet man Zuwendung, Emotion. Das „liebste“ Kind verstärkt diesen
Aspekt noch, dem liebsten Kind lässt man auch mal etwas durchgehen, was nicht so
ganz korrekt ist, man ist nachsichtig. Offensichtlich empfangen Autos in Deutschland
eine derartige besondere Zuwendung.
Was könnte des Werkstattleiters „liebstes Kind“ sein. Denkbar sind Vorlieben für
bestimmte Tätigkeiten, für bestimmte Produktionen oder Dienstleistungen. Das kann
bedeuten, dass man Arbeiten, die man für interessant hält, bei denen man sich zu
Hause, ja wohl fühlt, annimmt und nachsichtig ist im Hinblick darauf, ob sie wirklich
geeignet sind, den Werkstattauftrag zu erfüllen. Denkbar ist auch, dass man
Aufträge, die einem besonders liegen, mit Nachsicht behandelt im Hinblick darauf, ob
sie wirklich gute Ergebnisse versprechen.
Oder ist das „liebste Kind“ das Kind, mit dem man am besten klar kommt, das einem
am wenigsten Schwierigkeiten macht? Überdecken Vorlieben in Wirklichkeit
Schwächen?
Hier stellt sich die Frage nach der Werkstattarbeit. Was ist eigentlich Werkstattarbeit?
Was macht die Qualität der Werkstattarbeit aus? Ist es die Menge der hergestellten
Produkte, ist es die Fähigkeit, eine hochtechnische Produktion aufzubauen, ist es der
mit der wirtschaftlichen Betätigung verbundene Umsatz oder der Anteil an
Eigenprodukten?
Darf es „liebste Kinder“ in diesem Sinne geben?
Das Werkstättenrecht gibt uns Hinweise zur Beantwortung dieser Fragestellung.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
2
Der gesetzliche Auftrag der Werkstätten
Die Werkstatt für behinderte Menschen ist:
ƒ
eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur
Eingliederung in das Arbeitsleben.
ƒ
Sie hat denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der
Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung
und eine Beschäftigung
ƒ
zu einem angemessenen Arbeitsentgelt anzubieten.
ƒ
Sie hat die Möglichkeit zu bieten, die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit
ƒ
zu erhalten,
ƒ
zu entwickeln,
ƒ
zu erhöhen oder
ƒ
wiederzugewinnen
ƒ
und dabei die Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
ƒ
Sie fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen.
ƒ
Sie muss über ein breites Angebot an Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen
ƒ
sowie über qualifiziertes Personal und
ƒ
einen begleitenden Dienst verfügen.1
Der Gesetzgeber hat den Werkstätten somit die Pflicht auferlegt, alle „behinderten
Menschen“ aufzunehmen, „die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch
nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden
können“.2
Und das Gesetz verlangt ausdrücklich: „Die Aufnahme erfolgt unabhängig von der
Ursache der Behinderung, der Art der Behinderung … und der Schwere der
Behinderung, der Minderung der Leistungsfähigkeit und einem besonderen Bedarf
an Förderung, begleitender Betreuung oder Pflege.“3
Damit ist klargestellt: Auch die sogenannten „schwerstmehrfach behinderten“
Menschen haben Anspruch auf einen Werkstattplatz, wenn keine „erhebliche Selbst-
1
§ 136 Abs. 1 SGB IX
2
§ 136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX
3
§ 137 Abs. 1 Satz 2 SGB IX
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
3
oder Fremdgefährdung zu erwarten ist oder … ein Mindestmaß wirtschaftlich
verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht“ erreicht werden
kann.4
Der Gesetzgeber hat die Formulierung „unabhängig von Art oder Schwere der
Behinderung“ gleich mehrfach im Gesetz verankert.5 Und die
Werkstättenverordnung verlangt gleich in ihrem ersten Satz von der Werkstatt, dass
sie „zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Voraussetzungen dafür“ schafft,
„dass sie die behinderten Menschen … aufnehmen kann.“6
Das SGB IX schließt keinen Menschen von der Aufnahme in die Werkstatt aus, der
aufgrund seiner körperlichen, kognitiven, mentalen oder psychischen Eigenschaften
im allgemeinen Erwerbsleben keine Chance bekommt. Entsprechend sind
Förderplanung und Arbeit in der Werkstatt zu gestalten.
Grundsätze der Auftragskalkulation im Bereich Produktion und Dienstleistung
Die Werkstatt für behinderte Menschen ist nach § 136 Abs. 1 SGB IX eine
Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben.
Die wirtschaftliche Betätigung der Werkstatt ist somit Teil ihres Leistungsumfangs,
auf den behinderte Menschen gem. § 41 SGB IX einen Anspruch haben. Der
Auftrag der WfbM kann ohne sie nicht realisiert werden. Sie ist Mittel zum Zweck mit
dem Ziel der Teilhabe am Arbeitsleben.
Der Auftrag lautet: Die Entwicklung, Wiedergewinnung und Erhöhung der
Leistungsfähigkeit behinderter Beschäftigter im Arbeitsbereich der WfbM soll sich an
den Kriterien des allgemeinen Arbeitsmarktes orientieren.
Der wirtschaftliche Erfolg der Werkstatt muss sich dabei der generellen Zielsetzung
des § 41 Abs.2 SGB IX unterordnen:
ƒ
Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer Beschäftigung nach Eignung
und Neigung
ƒ
Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und
Verbesserung der erworbenen Leistungsfähigkeit und zur
Weiterentwicklung der Persönlichkeit
4
§ 136 Abs. 2 Satz 2 SGB IX
5
siehe § 136 Abs. 2 Satz 1 und § 137 Abs. 1 Satz 2
6
vgl. § 1 Abs. 1 WVO
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
4
ƒ
Förderung des Übergangs geeigneter Personen durch geeignete Maßnahmen auf
den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Zu den Aufgaben im Rahmen des Werkstattauftrags gehört aber auch die
ƒ
Zahlung eines angemessenen Arbeitsentgeltes, das besteht aus einem
ƒ
Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes im zweiten Jahr des
Berufsbildungsbereiches
ƒ
Steigerungsbetrag, der sich nach der individuellen Arbeitsleistung
richtet.
Dass die Werkstatt sich betriebswirtschaftlich auszurichten hat, wird in der
Werkstättenverordnung deutlich, wo es heißt:
„Die Werkstatt muss nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiert sein“7.
Der Begriff betriebswirtschaftliche Grundsätze kann aus der allgemeinen
Betriebswirtschaftslehre abgeleitet werden. Betriebswirtschaftlich handelt danach,
wer Gewinnmaximierung anstrebt. Gewinnmaximierung ist nur möglich bei
effizientem Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeitsleistung, Betriebsmittel und
Werkstoffe.
Statt der Gewinnmaximierung kann bei der WfbM im Zusammenhang mit
den Regelungen des § 12 WVO nur das Ziel stehen, mit den gegebenen
Ressourcen ein möglichst hohes Arbeitsergebnis zu erzielen. Auf
dieses Ziel hin ist die betriebliche Organisation und die Betriebsführung
auszurichten. Die notwendigen Informationen dazu muss das betriebliche
Rechnungswesen liefern8.
In diesem Zusammenhang sind
ƒ
Kostenrechnung,
ƒ
betriebswirtschaftliche Statistik und
ƒ
Vergleichsrechnung sowie
ƒ
Planungsrechnung einzusetzen.
Die Kalkulation im Bereich von Produktion und Dienstleistungen baut auf der
Kostenarten- und Kostenstellenrechnung auf. In ihr werden die Selbstkosten ermittelt
und damit wird die Grundlage für die Preisermittlung gelegt. Die
Selbstkostendeckung ist die Untergrenze für die Preisgestaltung für ein Produkt oder
eine Dienstleistung. Wenn der Markt es hergibt, kann ein Gewinnzuschlag
7
§ 12 Abs. 1 Satz 1 WVO
8
Vgl. Wöhe, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Verlag Franz Vahlen GmbH, München 2000, S.1107 ff.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
5
einkalkuliert werden. Die Vorkalkulation vor Erstellung der Leistung basiert auf Daten
über Stücklisten und Arbeitspläne für das Produkt oder die Dienstleistung. Sie muss
deshalb nach Abschluss der Arbeitsvorbereitung durchgeführt werden. Sollte sich
herausstellen, dass nicht mindestens die Selbstkostendeckung erreicht werden kann,
weil die Produktionskosten zu hoch sind, muss entweder versucht werden, die
Kosten zu senken oder darauf verzichtet werden, den Auftrag anzunehmen.
Nach Abschluss der Leistungserstellung bzw. nach Leistungserbringung sollte auf
jeden Fall zur Kontrolle der Vorgaben eine Nachkalkulation durchgeführt werden.
Grundsätzlich gilt: Werkstätten müssen
ƒ
die Regeln der Produktion und
ƒ
des Marktes
in die Gestaltung des Arbeitsangebotes einbeziehen.
Aber ihr Auftrag lautet
ƒ
nicht Arbeitskraftverwertung
ƒ
sondern Befähigung.
Externe und interne Einflüsse auf Kalkulation und Preisgestaltung
Der Mensch steht im Mittelpunkt der Werkstattarbeit, aber auch die Werkstatt für
behinderte Menschen ist Teil des volkswirtschaftlichen Geschehens. Ihre Aktivitäten
müssen, wirtschaftlich gesehen, den Marktgesetzen genügen. Dies wird an folgender
Aussage deutlich: „Auch die Beschäftigung Behinderter ist eingebettet in die üblichen
betrieblichen Kosten und Ertragskalküle. Es gibt auf Dauer keine Nischen für
Behinderte, sondern nur Arbeitsplätze, deren Arbeitsergebnis höher ist als der
Arbeitseinsatz. Im Klartext: Nur Arbeitsplätze für Behinderte, die sich für den
Arbeitgeber soweit lohnen, dass er einen Anreiz hat, mehr zu unternehmen, sind
zukunftsfähig. Gegen den Markt lassen sich Arbeitsplätze für Behinderte nicht
einrichten!“9
In der Marktwirtschaft bestimmt ein System von Märkten, Preisen, Gewinnen und
Verlusten, was, wie und für wen produziert wird.
Letztendlich möchte jeder durch seine wirtschaftliche Betätigung für sich einen
möglichst großen Nutzen erreichen. Deshalb wird produziert und deshalb gibt es
Märkte für den Austausch der Produktion und der Dienstleistungen.
9
Dr. Josef Siegers, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitverbände, in: ZB-Zeitschrift:
Behinderte im Beruf, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürsorgestellen, Universum Verlagsanstalt, Wiesbaden, I/2000, S. 6
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
6
Jeder Nachfrager nach und jeder Anbieter von Gütern und Dienstleistungen strebt in
der Marktwirtschaft Nutzen bzw. Gewinnmaximierung an.
Zur Erfüllung ihres Auftrages muss die Werkstatt Arbeit anbieten. Das Ergebnis
dieser Arbeit sind Waren und Dienstleistungen, die im Markt verwertet werden. Die
Erstellung von Waren und Dienstleistungen ist demnach Mittel zum Zweck, also
nachgeordnet zu dem eigentlichen Auftrag zu sehen.
Bei der Verwertung im Markt gibt es keinen Sonderstatus der Werkstätten. Es gelten
die allgemeinen Regeln des Marktes zum Angebot und zur Nachfrage. Ein Produkt
oder eine Dienstleistung wird nur nachgefragt, wenn der einzelne Marktteilnehmer für
sich einen Nutzen erkennen kann.
Dieser Nutzen muss mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz realisierbar sein.
Sonderbedingungen oder Mitleidsboni gibt es nicht.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Arbeitswelt geprägt von ständig steigenden
Rationalisierungsbemühungen, insbesondere in der Industrie, mittlerweile aber auch
im Dienstleistungssektor. Zu der Zeit, als Werkstätten entstanden, in den 60-iger und
70-iger Jahren wurden immer mehr Arbeitsvorgänge fragmentiert, um sie rationeller
zu gestalten (Fließbandarbeit). Man ging davon aus, dass damit die Anforderungen
an das Qualifikationsniveau gesenkt werden und die Abläufe der Arbeit rationalisiert
werden könnten.
Diese Entwicklung begünstigte die Auftragslage der Werkstätten, da auch diese in
eine solche Produktionsphilosophie passten.
Ein Wandel in der Auffassung der gewerblichen Wirtschaft trat mit Beginn der 80-iger
Jahre ein. Der Fragmentierung folgte die Automatisierung. Komplexe Modelle von
der
Planung
bis
zur
Fertigung
kommen
seither
zum
Einsatz.
Der
Dienstleistungsbereich (tertiärer Sektor) gewinnt seitdem an Bedeutung.
Aber
auch
dieser
Bereich
ist
in
den
letzten
Jahren
stark
von
Rationalisierungsbemühungen geprägt. Man denke in diesem Zusammenhang nur
an den starken Personalabbau im Bankenbereich, bei der Post oder bei der Bahn.
Automaten
ersetzen
die
Geldausgabe,
Schalter
und
Zweigstellen
werden
geschlossen, komplexe Informationssysteme ersetzen die Beratung.
Auch die Werkstatt kann sich diesen Trends nicht entziehen, da sie darauf
angewiesen ist, ihre Arbeit an die Bedürfnisse ihrer Kunden anzupassen.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
7
Komplexe Modelle von der Planung bis zur Fertigung kommen in der gewerblichen
Wirtschaft zum Einsatz. Werkstätten müssen sich diesem Trend stellen und bereit
sein, komplexe Arbeiten anzunehmen. Diese müssen dann in der Werkstatt an die
Erfordernisse der Beschäftigten und den Auftrag der Werkstätten angepasst werden.
Das Ergebnis ist der Aufbau einer kompletten komplexen Produktion als Zulieferer für
die Industrie zu Marktkonditionen.
Eine weitere Möglichkeit, am Markt präsent zu bleiben, ist die Erstellung von
Eigenprodukten, die im Wettbewerb bestehen können.
Unsere Gesellschaft wird immer mehr zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Einfache
Dienstleistungen decken häufig Nischen im Markt ab. Sie bieten deshalb auch eine
gute Chance für Werkstätten.
Die Globalisierung der Wirtschaft trägt zu einer Verschärfung des Wettbewerbs,
insbesondere im Fertigungsbereich bei. Die Kosten der Produktion in Ländern der
dritten Welt, aber zum Teil auch schon in den ehemaligen Ländern des Ostblocks,
liegen niedriger als die der Werkstätten für behinderte Menschen.
Der Innovationsdruck in den entwickelten Volkswirtschaften steigt ständig und
zunehmend. Die Produktzyklen beschleunigen sich, da nur so die Preise erzielt
werden können, die benötigt werden, um den angestrebten Gewinn zu erreichen.
Wie kann die Werkstatt vor diesem Hintergrund am Markt bestehen, da sie wie jeder
Betrieb eingebettet ist in ein System von Märkten.
Bedürfnisse der Nachfrager
Absatzmarkt
Eigenes Angebot
Angebot der Konkurrenten
Die Werkstatt kann, wie jedes Unternehmen frei entscheiden, was sie zu welchem
Preis an wen verkaufen will. Eine Abnahmegarantie gibt es allerdings nicht, Kunden
wollen umworben sein. Betriebswirtschaftliches Handeln ist, wie schon festgestellt,
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
8
das Streben nach langfristiger Gewinnmaximierung bzw. bei der Werkstatt der
Maximierung des Arbeitsergebnisses.
Es wird nicht bestimmt vom Wunsch nach optimaler Befriedigung der Nachfrage.
Dabei ist die Befriedigung der Wünsche der Kunden auf hohem Niveau nicht Ziel
sondern Ergebnis unternehmerischen Handelns.
Dieses Ziel erreicht nur derjenige, der sich im Markt für Produkte und
Dienstleistungen behaupten kann; behaupten kann sich aber nur derjenige, der
ƒ
die Nachfragewünsche genau analysiert
ƒ
den Nachfragewünschen mit einem besseren Angebot entgegenkommt als die
Konkurrenz
Marktforschung und Marketing sind unverzichtbar in Märkten mit Konkurrenz.
Im Wettbewerb zwingt das Ziel Gewinnmaximierung jeden Anbieter, bedarfsgerechte
Leistungen auf den Markt zu bringen. Das vorhandene Angebot muss deshalb
ständig überprüft werden. Bedarfsveränderungen müssen zu Produktinnovation
führen. Ein Produkt oder eine Dienstleistung müssen sowohl dem Stand der Technik
als auch dem Nachfragergeschmack entsprechen. Ziel der Produktpolitik muss es
sein, sich positiv von der Konkurrenz abzusetzen. Zukunftsmärkte und
Nischenmärkte bieten die besten Chancen.
Vertriebswege optimal zu erschließen, verbessert die Position am Markt.
Neben der Produktpolitik spielt die Preispolitik eine große Rolle. Ist davon
auszugehen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nur zu einem bestimmten
Preis marktfähig ist, besteht die Möglichkeit, über die Festlegung von Zielkosten zu
einer Preisfindung zu kommen. Sind die tatsächlichen Kosten deutlich höher als die
Zielkosten, wird versucht durch Kostensenkungsmaßnahmen diese Differenz
abzubauen. Dafür können innovative oder organisatorische Maßnahmen eingesetzt
werden. Gelingt es nicht, die Lücke zu schließen, sollte Preispolitik nur dann
eingesetzt werden, wenn zu erwarten ist, dass z.B. durch niedrigere Preise und
höheren Umsatz dennoch ein Beitrag zur Gewinnmaximierung zustande kommt.
Schaut man sich die Realität an, so stellt man fest, dass der Preis als Einflussgröße
nur ein Entscheidungskriterium ist, das die Komplexität von Kaufentscheidungen
nicht umfassend berücksichtigt.
Angebot und Nachfrage werden eben nicht nur durch den Preis gesteuert, zumal
auch die Produkte und Dienstleistungen, die zur Verfügung stehen, nicht immer völlig
identisch sind.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
9
Es gibt auch eine Auswahlentscheidung über die unterschiedliche Beschaffenheit
von Produkten und Dienstleistungen. Darüber hinaus spielen auch weitere
Einflussfaktoren eine große Rolle10 wie z.B. ethische Grundpositionen, Gefühle und
Gewohnheiten des Kunden. In diesem Zusammenhang kann man feststellen, dass
jeder
einzelne
eingebunden
Gesellschaftliche Themen
ist
in
das
Wertesystem
der
Gesellschaft.
wie z. B. die Umwelt, die Gesundheit oder soziale
Grundeinstellungen beeinflussen die Kaufentscheidungen der Kunden. „Das
Wertesystem einer Gesellschaft entscheidet darüber, welche Verhaltensweisen
verstärkt und welche gelöscht werden, welche Verhaltensmuster selegiert und
stimuliert und welche Muster verworfen und unterdrückt werden“11.
Auch hierin liegen Chancen für Werkstätten, wenn man bei der Planung und
Erstellung von Produkten und Dienstleistungen sensibel auf solche gesellschaftlichen
Prozesse eingeht.
Grundbetragssubventionierung durch Personaleinsparungen
In § 138 Abs. 2 SGB IX heißt es: „Die Werkstätten zahlen aus ihrem Arbeitsergebnis
an die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen ein Arbeitsentgelt, das
sich aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur
für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften behinderten Menschen im
Berufsbildungsbereich zuletzt leistet, und einem leistungsangemessenen
Steigerungsbetrag zusammensetzt. Der Steigerungsbetrag bemisst sich nach der
individuellen Arbeitsleistung der behinderten Menschen, insbesondere unter
Berücksichtigung von Arbeitsmenge und Arbeitsgüte“12.
Werkstätten sind demnach gehalten, einen Grundbetrag an jeden Beschäftigten in
Höhe des Ausbildungsgeldes des zweiten Jahres im Berufsbildungsbereich
auszuzahlen, auch wenn dieses Geld nicht erwirtschaftet wird. Erstaunlich ist, dass
seitens des Gesetzgebers eine solche Festlegung getroffen wird, ohne dass der
Zahlungsverpflichtung eine staatliche Finanzierung gegenüber steht. Diese Regelung
führt zu einer Zwangssolidarität aller Beschäftigten einer Werkstatt, da aufgrund der
Regelungen des § 12 WVO die Ermittlung des Arbeitsergebnisses und seine
Verwendung vorgegeben ist. Geht man davon aus, dass die Vergütungen des
Sozialhilfeträgers nach § 76 SGB XII die notwendigen Kosten der Aufgabenstellung
10
Vgl. Wiswede, Günter: Einführung in die Wirtschaftspsychologie, Ernst Reinhardt Verlag München Basel 2000, S. 128 ff.
11
Wiswede, Günter: a.a.O., S.128
12
§ 138 Abs. 2 SGB IX
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
10
und der fachlichen Anforderungen abdecken, bleibt nur die Finanzierung des
Grundbetrages aus der wirtschaftlichen Betätigung also von der Solidargemeinschaft
aller Beschäftigten.
Ich rufe noch einmal in Erinnerung, wie das ist mit dem Arbeitsergebnis, seiner
Ermittlung und Verwendung13:
Das Arbeitsergebnis errechnet sich folgendermaßen:
Von den Rehabilitationsträgern im Arbeitsbereich erbrachte Kostensätze
+ Umsatzerlöse aus der wirtschaftlichen Tätigkeit
+ sonstige Erträge aus der wirtschaftlichen Tätigkeit
+ Zinserträge aus der wirtschaftlichen Tätigkeit
- notwendige Kosten des laufenden Betriebes im Arbeitsbereich
(ohne Arbeitsentgelte).
= Arbeitsergebnis
Notwendige Kosten des laufenden Betriebes sind:
1. die Kosten für die Erfüllung der Aufgaben und der fachlichen
Anforderungen, die mit dem Kostenträger im Rahmen der Vergütung
vereinbart sind,
2. die werkstattspezifischen Kosten der wirtschaftlichen Betätigung, die mit dem
Kostenträger im Rahmen der Vergütung vereinbart sind,
3. die mit der wirtschaftlichen Betätigung im Zusammenhang stehenden
notwendigen Kosten.
Vor dem Hintergrund der Systematik zur Ermittlung des Arbeitsergebnisses könnte
man auf die Idee kommen, weniger Personal einzusetzen, als mit dem Kostenträger
vereinbart ist und damit Spielräume zu schaffen für die Finanzierung des
Grundbetrages. Dabei ist aber zu bedenken, dass in jedem Fall die Schlüssel, die
Anerkennungsvoraussetzung sind (1:6 im Eingangsverfahren und im
Berufsbildungsbereich und 1:12 im Arbeitsbereich der WfbM), eingehalten werden
müssen. Darüber hinaus ist die Strukturqualität, die in der Leistungsvereinbarung
vertraglich festgelegt worden ist, einzuhalten, wenn man nicht Rückforderungen des
Kostenträgers riskieren will. Das Arbeitsentgelt, also auch der Grundbetrag als Teil
des Arbeitsentgeltes, gehört nach § 12 WVO keinesfalls zu den notwendigen Kosten
der Werkstatt, er kann also auch keine Berücksichtigung bei der Vereinbarung von
Vergütungen nach § 76 SGB XII finden.
Grundbetragssubventionierungen durch Personaleinsparungen sind eindeutig nicht
zulässig, sie führen in eine Sackgasse.
13
Vgl. § 12 Abs. 4 WVO
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
11
Einfluss des Persönlichen Budgets auf Produktion und Dienstleistung
Mit dem Sozialgesetzbuch IX vom 1. Juli 2001 wurde das persönliche Budget
gesetzlich als eine Möglichkeit festgelegt, wie die Rehabilitationsträger ihre
Leistungen ausführen können. Im § 17 SGB IX wurde das persönliche Budget
zunächst als Kann-Bestimmung aufgenommen:
„Auf Antrag können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein Persönliches Budget
ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein
möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen“14.
Mit Wirkung zum 1. Januar 2008 wird es einen Rechtsanspruch auf das
Persönliche Budget geben.
Auch Werkstattleistungen sind budgetfähig.
Die Rechtsgrundlagen im SGB IX und in der Werkstättenverordnung
beschreiben, welchen Bedarf Werkstätten zu erfüllen haben:
1. Bedarf an einer Arbeitsstätte, in der nicht Erwerbsarbeit verrichtet wird,
sondern ein Arbeitsleben mit individuell gestalteter, arbeits-, berufs- und
persönlichkeitsfördernder Arbeit angeboten wird (angepasste Arbeit);15
2. Bedarf an bildungselementaren, berufsfördernden und berufsbildenden
Leistungen (angepasste Bildung- und Berufsförderung);16
3. Bedarf an einem individuell angepassten Arbeitsplatz (angepasste
Arbeitsplätze);17
4. Bedarf an arbeitsvorbereitenden, arbeitsorganisatorischen und arbeits- und
beschäftigungssichernden Leistungen und solchen zum Arbeits- und
Gesundheitsschutz (angepasste Arbeitsbedingungen);18
5. Bedarf an arbeitsanleitenden, arbeitsunterweisenden, arbeitsfördernden und
arbeitsbegleitenden Leistungen (angepasste Arbeitsförderung);19
14
§ 17 Abs. 2 SGB IX
15
vgl. § 39 bis 41, 136 ff. SGB IX
16
vgl. § 1 Abs. 2, 4 und 5 WVO
17
vgl. § 5 WVO
18
vgl. § 5 Abs. 1 und 2 WVO
19
ebenda
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
12
6. Bedarf an kontakt- und beziehungssichernden, mitwirkungsrelevanten, das
Selbstbewusstsein fördernden Leistungen (angepasste
Entfaltungsmöglichkeiten);20
7. Bedarf an sozialen, pädagogischen, sozialarbeiterischen und
sozialpädagogischen Leistungen (angepasste Betreuung); 21
8. Bedarf an pflegerischen, therapeutischen, medizinischen und psychologischen
Leistungen (angepasste Behandlung);22
9. Bedarf an persönlichkeitsfördernden Leistungen23 (angepasste Förderung) und
10. Bedarf an übergangsfördernden Leistungen aus der Werkstatt in andere Formen
des Arbeitslebens, möglichst in den allgemeinen Arbeitsmarkt (angepasste
Entwicklungsmöglichkeiten).24
Dafür sollte jeder Werkstattträger, möglichst detailliert seine Leistungskataloge
erarbeiten und seine Kalkulationen ausarbeiten.
Kommt es in der Folge der Regelungen zum
Persönlichen Budget zu
Alternativen und Wahlmöglichkeiten eines Menschen mit Behinderung, der
Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat, wird dieser zwischen
den vorhandenen Angeboten unter verschiedenen für ihn wichtigen Aspekten
auswählen. Ein Aspekt kann die Qualität und Intensität der Förderung sein;
denkbar ist unter anderem, dass Perspektiven, z.B. ob es eine systematische
Weiterentwicklung der beruflichen Aussichten bis hin zu Übergängen auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt gibt (wie erfolgreich ist die Werkstatt gewesen?), eine
wichtige Rolle spielen können. Ein weiterer Aspekt ist sicherlich die Identifikation
mit der Einrichtung oder der Gruppe. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass
Chancen zu einer persönlichen positiven Identifikation geboten werden.
Entscheidende Kriterien können aber auch sein die Qualität der Arbeit und das
Arbeitsentgelt, das Einkommen aus der geleisteten Arbeit. Einkommen spiegelt
in allen Bereichen der Gesellschaft den sozialen Wert der Arbeit wieder.
Einkommen eröffnet Möglichkeiten zur Teilhabe über die vorhandene Kaufkraft.
20
vgl. § 5 Abs. 3 WVO, § 139 SGB IX, § 14 WVO
21
§ 10 WVO
22
ebenda
23
vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX und § 5 Abs. 3 WVO
24
vgl. § 136 Abs. 1 SGB IX und § 5 Abs. 4 WVO
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
13
Gerade unter dem Gesichtspunkt von Alternativen und Wahlmöglichkeiten beim
Persönlichen Budget ist es für die Wettbewerbsfähigkeit einer Werkstatt wichtig,
sich
dem
Wettbewerb
zu
stellen
und
z.B.
über
„Kundenbefragungen“
„Kundenwünsche“ herauszufinden und das Angebot entsprechend zu gestalten.
Gesamtgesellschaftlich zeichnet sich in den letzten Jahren immer mehr eine
Tendenz zur Individualisierung ab. Dies bedeutet dass die Kunden sich „in ihrem
Konsumverhalten aus familialen und kollektiven Einbindungen herauslösen und
individuell einzigartigen Konsum auf hohem Niveau praktizieren wollen. Dieser
Wunsch wird in der Regel durch finanzielle Restriktionen gebremst, sodass
Individuen zwangsläufig Akzente setzen müssen“ 25. Diese Aussage gilt in ihrem
Kern auch für Budgetnehmer. Sie werden versuchen, die für sie bestmögliche
und ihren individuellen Bedürfnissen optimal angepasste Leistung zu erwerben.
Gerade im Hinblick auf Menschen, die im Rahmen eines Persönlichen Budgets
die Chance bekommen, sich zwischen Alternativen zu entscheiden, ist es wichtig
für
die
Werkstatt,
eine
gute
Dienstleistungsbeziehung
aufzubauen.
Kundenzufriedenheit und Kundenvertrauen sind die Grundlagen für eine gute
Kundenbindung.
Von dem Wirtschaftspsychologen Prof. Günter Wiswede
werden dafür folgende Anwendungsregeln vorgeschlagen:
ƒ
„Vermittlung von Sachkompetenz durch möglichst objektive Beratung
ƒ
Umfassende Kommunikation, in der auch Nachteile oder andere Alternativen
angesprochen werden
ƒ
Konsistente
Argumentation
und
Vermeidung
eines
opportunistischen
Eindrucks
ƒ
Vermeidung
von
Handlungen,
die
als
mögliche
Bedrohung
oder
Einschränkung des Freiheitsspielraums des Kunden angesehen werden
könnten
ƒ
Betonung personenbezogener Kommunikation, die den anderen Menschen in
seiner Besonderheit wahrnimmt und ihn nicht lediglich als beliebigen
Geschäftskunden behandelt
25
Wiswede, Günter: a.a.O., S. 134
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
14
ƒ
Schaffung
eines
Vertrauensklimas,
das
auf
Langfristigkeit
der
Geschäftsverbindung angelegt ist“26.
Diese Aussagen gelten sicher auch für den Umgang mit gewerblichen Kunden im
Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt.
Einfluss des Persönlichen Budgets auf die Kalkulation
Völlig anders als beim Kostensatz nach dem SGB XII, dessen Kalkulation nicht
der individuell festgestellte und notwendige Bedarf zugrunde liegt, verlangt der
Gesetzgeber beim Persönlichen Budget ausdrücklich, dass der individuell
festgestellte Bedarf berücksichtigt und gedeckt werden muss. Beide
Bedingungen, die Berücksichtigung und die Deckung, finden sich explizit im
Budgetparagraphen des SGB IX. Deshalb ist jeder Werkstattträger in diesem
Fall dazu verpflichtet, sein Leistungsangebot auf der Grundlage der individuell
ausgerichteten budgetgerechten Leistungen zu kalkulieren. Das kann im
Ergebnis zu den gleichen Kostensätzen führen, die die Werkstatt als pauschale
Leistungsvergütungen erhält. In der Regel weicht die Budgetkalkulation aber
deutlich von den Kostensätzen ab, wie Musterkalkulationen bei zahlreichen
Werkstattträgern belegen.
Die Kalkulation für ein Persönliches Budget muss u. a. folgende wesentliche
Kostenarten berücksichtigen:
1.
die zur Erfüllung der Aufgaben und fachlichen Anforderungen notwendigen
Personalkosten nach § 41 Abs. 3 Nr. 1, darunter für
a) die Werkstattleitung und die Abteilungsleitungen,
b) die Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung (mind. 1:12), für das
Fachpersonal zum Vorrichtungsbau, zur Arbeitsvorbereitung, zur
Arbeitssicherheit, für die Vorbereitung des Übergangs auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt und dessen Begleitung;
c) die obligatorische Sozialarbeiter-/Sozialpädagogenstelle (mind. 1:120),
Fachkräfte für die pädagogische, soziale, medizinische und
psychologische Betreuung (§ 10 Abs. 1 WVO), Fachkräfte für pflegerische
26
Wiswede, Günter: a.a.O., S. 278
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
15
und therapeutische Leistungen (§ 10 Abs. 2 WVO) und für ärztliche
Leistungen (§ 10 Abs. 3 WVO) sowie für sonst erforderliche Fachkräfte
(§ 10 Abs. 2 WVO);
d) das Verwaltungs- und sonstige zur Aufgabenerfüllung notwendige Personal
der Werkstatt: Verwaltungsleitung, Einkauf, Verkauf, Buchhaltung,
Personalwesen, Datenverarbeitung, Betriebstechnik, Sachbearbeitung,
Zivildienst, Praktikant|inn|en usw.;
2.
die zur Erfüllung der Aufgaben und fachlichen Anforderungen notwendigen
Sachkosten nach § 41 Abs. 3 Nr. 1, darunter für Energiekosten,
Prozessenergie, Wirtschaftsbedarf, Verwaltungskosten, Versicherungen,
Abgaben, Beiträge, Gebühren, Betreuungsbedarf, Verpflegung,
Instandhaltung, Zinskosten, Abschreibung Gebäude, Abschreibung
Inventar, Materialkosten, Übergänge zum allgemeinen Arbeitsmarkt,
Kosten der Mitwirkung.
Ein Teil dieser Kostenarten ist den allgemeinen Werkstattleistungen zuzuordnen. Der
zweite Teil entsteht aufgrund
1) des individuellen Bedarfes an bestimmten pädagogischen, sozialen,
medizinischen, psychologischen, pflegerischen und therapeutischen Leistungen,
2) aus besonderen Anforderungen an den Arbeitsplatz, die Arbeitsabläufe, die
Arbeitsbedingungen und das erforderliche zusätzliche Personal und dessen
besonderen Einsatz.
Dieser zweite Kostenteil resultiert ganz aus den persönlichen Bedingungen und
Voraussetzungen des einzelnen und ist nicht verallgemeinerbar. Dazu gehören
neben den speziellen Personalkosten auch die besonderen Sachkosten, wie z.B.
Energiekosten für Bestrahlung oder Warmwasser, für Beförderungskosten und einen
speziellen Bedarf an Hilfsmitteln, Pflege- und Rehamitteln oder auch für den
Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Dass der Verwaltungskostenanteil beim
Persönlichen Budget höher ist als beim traditionellen Kostensatz ergibt sich u. a. aus
den individualisierten Aufnahme- und Budgetverfahren, insbesondere bei der
Neuaufnahme, bei der Erarbeitung und Gestaltung des Werkstattvertrages.
Bei der Kostenkalkulation für Werkstattleistungen, die durch ein Persönliches Budget
finanziert werden, besteht für den Werkstattträger ein besonderes zeitliches Risiko:
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
16
Zum einen wird das Bedarfsfeststellungsverfahren i.d.R. alle zwei Jahre wiederholt,27
zum anderen können Rehabilitationsträger und Budgetnehmer die dem Budget
zugrunde liegende Zielvereinbarung mit sofortiger Wirkung kündigen. Beide
Situationen können für den Werkstattträger zu einer zusätzlichen Kostenbelastung
führen und müssen sich sowohl in der Kostenkalkulation als auch im
Werkstattvertrag widerspiegeln. Ein Risikozuschlag für die Werkstattleistungen sollte
deshalb mit einkalkuliert werden. Der Leistungsausschluss und ggf. Ansprüche
gegen den Budgetnehmer sind im Werkstattvertrag zu vereinbaren.
Vor allem durch die Kostenkalkulation der Werkstattleistungen wird deutlich, dass der
Budgetbedarf unmittelbar mit den Kosten für die Sachleistungen zusammenhängt,
die von der Werkstatt erbracht wird. Reicht die Budgethöhe nicht aus, können
Leistungen nicht erbracht werden. Ergeben sie sich zwingend aus den rechtlichen
und vertraglichen Regelungen, muss der Werkstattträger entscheiden, ob er das
Persönliche Budget aus werkstatteigenen Mitteln subventioniert oder die
Leistungserbringung ablehnt.
Der Gesetzgeber hat es kategorisch untersagt, das Arbeitsergebnis zur Deckung
werkstattnotwendiger Kosten im Fall unzureichender Vergütungen durch die
Rehabilitationsträger zu verwenden.28 Damit soll sichergestellt werden, dass das
Arbeitsergebnis in der vorgeschriebenen Höhe für die Zahlung der Arbeitsentgelte
eingesetzt wird.29 Diese Bestimmung gilt auch für das Persönliche Budget. Denn es
ist als Geldleistung des Kostenträgers ganz oder teilweise für die Finanzierung der
bedarfsgerechten Werkstattleistungen vorgesehen. Seinem Ursprung und Charakter
nach ist das Budget eine Vergütungsform des Leistungsträgers, die er zur
Sachleistungserbringung durch den Werkstattträger dem Leistungsberechtigten
zweckgebunden auszahlt.
Vor allem folgende Regelungen sind u. a. zu treffen:
1. Festlegung der Werkstattleistungen und der Höhe der Bezahlung;
2. Zeitpunkt und Umfang der Zahlungen durch den Budgetinhaber oder eine
Abtretungsregelung;
3. Folgen bei nicht fristgerechter, unzureichender aus ausbleibender Bezahlung;
27
vgl. § 3 Abs. 6 BudgetV
28
vgl. § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB IX
29
vgl. § 12 Abs. 5 WVO
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
17
4. Folgen bei Veränderungen der Budgethöhe, Kündigung der Zielvereinbarung und
Aufhebung des Verwaltungsaktes;
5. Folgen für den Fall, dass eine Vertragspartei wesentliche budgetgemäße
Leistungen wiederkehrend, regelmäßig oder dauerhaft nicht erfüllt (z.B. Abwesenheit
des Budgetnehmers oder fehlende Leistungsmöglichkeiten der Werkstatt);
6. Folgen für notwendige oder gewünschte Leistungsänderungen oder
Leistungsanpassungen;
7. die Rechte und Pflichten einer Budgetassistenz bei der Leistungserfüllung durch
die Werkstatt;
8. Leistungen der Werkstatt zur Erfüllung der Zielvereinbarungen, insbesondere
durch einen Nachweis für die Deckung des im Budgetverfahren festgestellten
individuellen Bedarfs sowie zur Sicherung und zum Nachweis der Qualität der
Werkstattleistungen.
Offen bleiben für den Träger der Werkstatt für behinderte Menschen dennoch eine
Reihe von Fragen:
1. Die Vergütung der Werkstatt wird durch das Regelwerk der Institution Werkstatt
bestimmt30, das Persönliche Budget durch den individuellen Hilfebedarf. Ist eine
ungleiche Behandlung von Nichtbudgetnehmern und Budgetnehmern rechtlich
zulässig oder denkbar?
2. Wie wirkt sich das persönliche Budget auf die Darstellung der Auswirkungen auf
die Höhe des Arbeitsergebnisses nach § 41 Abs. 4 SGB IX (ob Gewinne oder
Verluste durch die Vergütungen entstehen) aus?
3. Gilt die Aufnahmeverpflichtung der WfbM für das Einzugsgebiet auch bei
Budgetnehmern? Wenn ja, welche Leistungen müssen durch den Rehaträger
gewährleistet sein, was ist mit der Kostenübernahmeverpflichtung nach § 41
SGB IX?
4. Der § 12 WVO enthält detaillierte Regeln zur Ermittlung und Verwendung des
Arbeitsergebnisses. Es entsteht die Frage, wie und auf welcher
Rechtsgrundlage das Persönliche Budget in diese Systematik einzuordnen ist.
30
Vgl. § 41 Abs. 3 SGB IX i.V.m. § 75 ff SGB XII
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
18
Abgesehen von den noch offenen Fragen zum Persönlichen Budget und seiner
Umsetzung ist es erforderlich, dass Werkstätten sich mit den möglichen
Auswirkungen auf den Betrieb Werkstatt auseinandersetzen.
Geht man davon aus, dass unter dem Gesichtspunkt von Wahlmöglichkeiten des
einzelnen Beschäftigten der Werkstatt Qualität und Preise, wie im Wettbewerb
üblich, eine große Rolle spielen werden, muss der Werkstattträger, will er
wettbewerbsfähig bleiben, die Qualität seiner Leistungen benennen und transparent
machen können. Qualität ist das, was der Gesetzgeber vorschreibt und der Kunde
verlangt. Die verfügbaren Ressourcen sind so einzusetzen, dass die gewünschte
Qualität zu möglichst niedrigen Kosten erreicht wird. Die Gestaltung von Produktion
und Dienstleistungen muss den Neigungen und Vorstellungen des Budgetnehmers
(Kunden) entsprechen. Das Entgelt muss im Wettbewerb bestehen können. All dies
ist ohne eine detaillierte Kostenrechnung und eine sachgerechte Kalkulation, die sich
an Zielvorgaben orientiert, nicht möglich. Betriebswirtschaftliche Methoden, wie z.B.
das Target Costing können dabei wichtige Instrumente sein.
Das Target Costing ist ein marktorientiertes Kostenmanagementkonzept, dass von
einer Zielkostenbestimmung ausgehend Kostenminimierung anstrebt. Durch
Innovation und Effizienzsteigerungen werden dabei die Kosten reduziert. Dies kann
entscheidende Strukturveränderungen in der Werkstatt nach sich ziehen. Dabei geht
es ausdrücklich nicht nur um den Bereich der wirtschaftlichen Betätigung der
Werkstatt sondern um die Werkstatt insgesamt.
Die Phasen des Target Costing31
Planungsphase
¾ Skizzierung des gewünschten Produktes (Art des Produktes, Eingrenzung des
Marktes und der Zielgruppe)
¾ Befragung der Kunden über gewünschte Funktionen und Zahlungsbereitschaft
¾ Ermittlung des Produktnutzens auf Funktions-, Komponenten- und Teilebene
¾ Ableitung der realisierbaren Absatzmengen zur Budgetierung
31
Vgl. Arens-Fischer, Wolfgang und Steinkamp, Thomas: Betriebswirtschaftslehre, R. Oldenbourg Verlag München Wien 2000, S. 436
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
19
Umsetzungsphase
¾ Umsetzung der geplanten Produkte und Prozesse im Unternehmen
¾ Abbau der Differenz zwischen Drifting Coasts ( Kosten, die auftreten würden,
wenn keine Änderungen der bisher angewendeten Technologien, Methoden
und Prozesse erfolgen würden) und den Allowable Coasts (Zielpreis abzüglich
angestrebtem Gewinn/ zulässigen Selbstkosten)
¾ Kontinuierliche Erschließung weiterer Kostensenkungspotentiale
WfbM als komplexes Angebot oder als Warenkorb mit Einzelleistungen,
Kalkulation von Einzelleistungen
Im § 54 SGB XII heißt es: „Leistungen der Eingliederungshilfe sind . . . Leistungen
nach § 41 SGB IX“32. Es wird damit auf die Institution „Werkstatt“ verwiesen. Die
Leistung, die in § 41 SGB IX beschrieben wird, ist die „Werkstatt“. Es gibt keinen
Anspruch auf bestimmte Werkstattleistungen oder Therapien. Dem steht nicht
entgegen, dass die Hilfeleistung nach den individuellen Notwendigkeiten jedes
einzelnen Menschen mit Behinderung zu gestalten ist.
Die individuell begründete und individuell erforderliche Hilfe darf aber nach
geltendem Recht nur im System Werkstatt erbracht werden.
Aufgabe der Werkstatt ist es, für genau jene Menschen mit Behinderung eine
Struktur und ein System bereit zustellen, für die diese eine zwingend notwendige
Stütze ist und die nur so in die Lage versetzt werden können, zu arbeiten. Hier ist
Produktion nur das Mittel zur beruflichen Rehabilitation. Ergänzende therapeutische
Maßnahmen dienen diesem Zweck. Die Werkstattleistung erzielt ihre Wirkung nur
vom ganzheitlichen Förderansatz her. Dafür sind Förderpläne zu erstellen und
umzusetzen und nur so ist Teilhabe am Arbeitsleben in einer Form realisierbar, die
sich an der einzelnen Person orientiert.
Aufwand, der infolge der individuellen Förderung und des individuellen Anspruchs
entsteht, muss refinanziert werden. Leistungs-Module, oder Hilfebedarfsgruppen sind
ein Ansatz. Einzelleistungen zu finanzieren, wie dies z.B. in der Pflegeversicherung
im Rahmen von ausgefeilten Leistungskatalogen geschieht, wird dem ganzheitlichen
Ansatz der Werkstatt nicht gerecht. Diese Vorgehensweise ist ungeeignet, da
einzelne therapeutische Leistungen nur im Hinblick auf den Auftrag der Werkstatt
32
§ 54 Abs. 1 SGB XII
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
20
„Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen“ ausgebracht werden und von daher eine
Wechselwirkung zwischen Arbeit und verschiedenen Therapien besteht.
Abrechnungseinheiten nach Hilfebedarfsgruppen wären eine geeignete Struktur zur
Komplexitätsreduktion, wenn diese ressourcenorientiert und am Bedarf des
Einzelnen orientiert sind. In diesem Fall ist der Hilfebedarf mit seinen Anteilen an
Förder- und Assistenzbedarf zu messen z.B. in Leistungsstunden. Ein gestuftes
Vergütungssystem mit 3-5 Stufen könnte hier eine adäquate Möglichkeit der
Finanzierung bieten. Dieser Ansatz ist sowohl bei Anwendung des
Sachleistungsprinzips als auch bei der Bezahlung durch ein Persönliches Budget
realisierbar.
Schlussgedanken
Werkstätten für behinderte Menschen bieten gesellschaftlich gewollte und definierte
Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen an.
Sie haben die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben und am
Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen durch eine der Eignung und Neigung des
Menschen mit Behinderung entsprechende förderliche Arbeit.
Erwerbsarbeit ist nicht das Ziel der Werkstätten. Das ist nicht die Anforderung an
ihren Personenkreis. Werkstattarbeit hat ihren Sinn auch nicht darin, ein
Erwerbseinkommen zu garantieren. Dafür ist die Erwerbswirtschaft mit ihrer ganz
speziellen Zielsetzung da.
Wer die Fähigkeiten zur Erwerbsarbeit erworben hat, muss aus der Werkstatt in
die andere Arbeitswelt wechseln und kann dafür Integrationsfachdienste und
Integrationsprojekte beanspruchen.
Werkstattarbeit dagegen will alle Beschäftigten zum Arbeitsleben hinführen, sie
daran teilhaben lassen, so viel wie möglich auch zur Erwerbsarbeit befähigen und
ihnen die dafür erforderlichen Fähigkeiten vermitteln.
Vielfach wird heute die Frage gestellt, ob denn tatsächlich so viele Werkstattplätze
nötig seien.
Vor allem vor dem Hintergrund ständig steigender Kosten wird über differenzierte
Formen der Werkstattarbeit und Alternativen diskutiert.
Das persönliche Budget soll dazu dienen, eine passgenauere Hilfe, die zudem
weniger kostet, zu bewirken.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
21
Alle diese Diskussionen sind wichtig, sie müssen ernsthaft und sachgerecht geführt
werden. Auch Werkstätten müssen sich verändern, sich gesellschaftlichen
Erfordernissen anpassen.
Diskussionen über die Notwendigkeit von Hilfen oder über die gesellschaftlichen
Kosten sind notwendig.
Vergessen werden darf dabei aber nicht der Kernauftrag, dass Menschen mit
Behinderung aufgrund ihrer nicht zur Disposition stehenden Menschenwürde einen
Anspruch haben, in einer für sie angemessenen Form am Arbeitsleben
teilzunehmen.
Das kann bedeuten, dass veränderte Angebote der Werkstatt wie z.B. ausgelagerte
Arbeitsplätze oder gar Alternativen zur Werkstatt die angemessenen und
zeitgemäßen Formen sind, das kann aber auch bedeuten, dass noch weitere
Werkstattplätze geschaffen werden müssen. In diesem Zusammenhang sollte man
vor allem auch an die Menschen denken, die besonders schwer behindert sind und
einen sehr hohen Hilfebedarf haben.
Was ist denn nun mit dem „liebsten Kind“?
Ich hoffe, dass ich deutlich gemacht habe, dass der Auftrag der Werkstatt nicht
abhängig sein darf von Vorlieben oder den technischen, betriebswirtschaftlichen oder
anderen Vorerfahrungen der Werkstattleitung. Vorlieben für bestimmte Tätigkeiten,
für bestimmte Produktionen oder Dienstleistungen, die Menge der hergestellten
Produkte, die Fähigkeit, eine hochtechnische Produktion aufzubauen, der mit der
wirtschaftlichen Betätigung verbundene Umsatz oder der Anteil an Eigenprodukten
können nicht das Merkmal für die Qualität einer Werkstatt sein. Die Werkstatt ist ein
eigenständiges System mit einem eigenständigen Auftrag, das sicher im Zeitablauf
verändert werden muss, das aber immer ausgerichtet bleiben muss auf die Aufgabe,
Teilhabe am Arbeitsleben für einen bestimmten Personenkreis zu ermöglichen, der
dies ohne das stützende System Werkstatt nie erreichen könnte.
Arbeit, Pädagogik und Therapie sind dabei, selbstverständlich mit dem Einsatz ihrer
jeweiligen speziellen fachlichen Kompetenz, Mittel zum Zweck. Es sind keine
Aufgabenfelder, die nebeneinander stehen oder gar konkurrierend zueinander sind.
Sie ergänzen sich gegenseitig im Hinblick auf die gemeinsame Zielsetzung „Teilhabe
am Arbeitsleben“ für einen bestimmten Personenkreis zu gewährleisten.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007
22
Leistungen zur beruflichen Rehabilitation in einer anerkannten Werkstatt für
behinderte Menschen werden für diejenigen erbracht, denen der allgemeine
Arbeitsmarkt aufgrund der Schwere der Behinderung verschlossen ist und die eine
angemessene Tätigkeit nur im geschützten Rahmen einer WfbM ausüben können.
Werkstatt hat den Auftrag, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe „Teilhabe am
Arbeitsleben“ und „Eingliederung in das Arbeitsleben“, aus kollektiven Mitteln
finanziert, zu ermöglichen.
Kostenkalkulationen sind Teil einer fachlich fundierten Arbeit und ein „Muss“, auch für
Werkstätten, ein Risiko wäre es, auf sie zu verzichten.
© Bernhard Sackarendt
Juni 2007