Was kostet der Arabische Frühling?
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Was kostet der Arabische Frühling?
Ausgabe 3/ 2011 www.zenithonline.de BusinessReport Euro 5,80 I CHF 8,50 I USD 8,50 I GBP 5,20 I AED 32,00 I TRY 16,00 I KZT 1.400,00 ISSN 2193-0333 Afrika, Naher Osten und Zentralasien Was kostet der Arabische Frühling? DIE RENDITE DER REVOLUTION Bauen für 2022 SIND KATARS PLÄNE ZU GEWAGT? E-Commerce DIGITALER MARKT IN DER TÜRKEI EDITORIAL I n jener Nacht sollte der zenith-BusinessReport in Druck gehen – dann kam die Nachricht vom Sturm auf Tripolis. Plötzlich ging alles schneller, als zu erwarten war. Kaum 24 Stunden später hieß es aus französischen Diplomatenkreisen, die eingefrorenen libyschen Staatskonten im Ausland würden bald wieder aufgetaut. Mit diesem Geld sollen die Libyer nun einen Staat aufbauen – und Milliardenprojekte für Infrastruktur durchführen. Kritiker der deutschen Haltung im Libyen-Konflikt schimpfen: Deutschland dürfe sich nicht wundern, wenn die neue libysche Regierung ihre Großaufträge nun in jene Länder vergebe, die an ihrer Seite gegen Gaddafi gekämpft haben. Aber werden die Libyer wirklich handeln wie der einstige Despot und ihre Öl-Dollars nach politischen Motiven verteilen? Oder am Ende doch das beste Angebot annehmen? Für viele Großkonzerne gilt in Libyen eine Devise: Verluste abschreiben und im Rennen bleiben! Diesen Eindruck gewann Korrespondent Alexander von Hahn, der in Großbritannien, Russland und Deutschland recherchierte. (Seite. 20) Titelillustration: Lesprenger Der vorliegende zenith-BusinessReport legt neue Zahlen vor: 60 Seiten im Vergleich zu 36 im vorherigen Quartal – der Arabische Frühling und seine wirtschaftlichen Folgen sind das Titelthema des Heftes, das auch in englischer Ausgabe erscheint. Erstaunlich ist: Während Wirtschaftswissenschaftler und Analysten durchaus auf die Chancen der postrevolutionären Ära hinweisen, scheint die Laune der deutschen Expats in Ägypten eher getrübt: »Wir hatten ein halbes Jahr lang unseren Spaß, jetzt wird es düster«, sagte ein Manager einer deutschen Entwicklungsorganisation in Kairo dem zenith-BusinessReport. Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Handelskammer Ghorfa, ermutigt aber deutsche Firmen und verspricht Hilfe, wenn es für deutsche Investoren einmal brenzlig werden sollte. (Seite 14) Auch die Ghorfa will »nicht länger Ancien Régime sein«, wie es ein Mitglied der Organisation beschreibt. Sie muss sich umstellen – obwohl sie sich, anders als etwa die Deutsch-Arabische Gesellschaft, nicht als Forum für außen- und nahostpolitische Debatten sieht. Aber Politik und Wirtschaft sind verknüpft: Das Gutdünken der Diktatoren und ihrer geschäftstüchtigen Verwandten bieten keine Geschäftsgrundlage mehr. Auch in Katar, das autoritär regiert wird, kann man sich auf Connections nicht vorbehaltlos verlassen: Es zählt das bessere Angebot und die bessere Idee. Das Land baut sich vollständig um, muss währenddessen aber weiter funktionieren. Das ist – analog zum großen Sportereignis Fußball-WM 2022 – als wolle ein Stürmer während des Angriffs auf das gegnerische Tor die Fußballschuhe wechseln. Übernehmen sich die Kataris? (Seite 51) Deutsche Spezialitäten wie Anlagenbau, Energielösungen, grüne Technologie, aber auch Versicherungen sind gefragt: In Zentralasien und der Türkei ebenso wie in der arabischen Welt. Aus diesem Grund erscheint im Oktober der neue zenithBranchenReport 2011 – mit »detaillierten Einblicke und Hilfestellungen bei der Erschließung neuer Märkte in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten«, wie Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in seinem Grußwort schreibt. BusinessReport 3/2011 03 I N H A LT PROFIL IMPRESSUM 06 Der ehrliche Makler Daniel Gerlach (V.i.S.d.P.) CHEF VOM DIENST: 40 Tulpen, Stahl und Hindemith In Tanger investiert Taoufik Ben Gebara mit seiner Bankgruppe in die ganz große Logistik Deutscher Levante Verlag GmbH Linienstraße 106 10115 Berlin CHEFREDAKTEUR: TÜRKEI Istanbuls Industrielle erweisen sich als die besseren Kulturförderer 44 Digitaler Kaufrausch 08 In Kleinasien boomt der E-Commerce Q U A R TA L S B E R I C H T Geld für Angola und Ärger für Steiff, ein Löwe im Schafspelz und der Luxus im Wadi GOLFREPORT Marcus Mohr REDAKTION: Robert Chatterjee, Nils Metzger AUTOREN UND KORRESPONDENTEN: Kilian Bälz, Christoph Dreyer, Alfred Hackensberger, Alexander von Hahn, Sonja Hegasy, Clemens Recker, Jörg Schäffer, Sara Winter-Sayilir ILLUSTRATIONEN: Lesprenger G E L D U N D M AC H T 14 »Wir befanden uns nie im Wettlauf um Gaddafis Gunst« Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der deutsch-arabischen Handelskammer, im Gespräch 46 Ferien auf der Insel der Stabilität Profitiert der Tourismus in den Emiraten von den Revolutionen am Mittelmeer? 49 Konkurrenz kuriert Nach Gesetzesreformen in den Golfstaaten erschließen Krankenversicherungen den lukrativen Gesundheitsmarkt 18 Mit Abrissbirne und Musik Aserbaidschan räumt auf für den Eurovision Song Contest 2012 51 »Geld spielt erstmal keine Rolle« Katar will bis 2022 seine gesamte Infrastruktur neu bauen. »Herausforderung« wäre untertrieben ARTDIREKTION: Lesprenger, Berlin 20 Aus der Reserve locken Update Zentralasien: Maritimer Rüstungswettlauf um Rohstoffe, Wasserknappheit in Afghanistan 54 DRUCK: GCC GmbH & Co. KG KONTAKT FÜR ANZEIGEN UND VERTRIEB: [email protected] GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE: SCHWERPUNKT R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Eine Bilanz des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten, Libyen und Syrien 28 Die große Schlacht um Transparenz Deutsche Ausgabe: 6000 Englische Ausgabe: 14000 Bordmagazin bei Safi Airways COPYRIGHT: Deutscher Levante Verlag GmbH Zitat nur mit Quellenangabe. Nachdruck nur mit Genehmigung. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autoren wieder, nicht aber unbedingt die der Redaktion. ISSN 2193-0333 Empfehlungen für eine weiße Nacht in Afrika 22 Was die Freiheit kosten wird Nr. 2 vom 1. Januar 2011 DRUCKAUFLAGE: M E I N . . . TA N G E R Ägyptens Justiz soll mit der Korruption abrechnen. Was haben ausländische Firmen zu erwarten? 58 DER SEKRETÄR Letzte Meldungen und wichtige Termine aus der Nichtraucherbar 32 Der Zamalek-Pakt Deutsche engagieren sich als Jobvermittler für die Jugend der ägyptischen Revolution 34 Nordafrika und seine Meister Eine Region sucht nach besseren Ausbildungsbedingungen 37 Sturm über dem Elefantenfeld Ölinvestoren in Libyen hielten während des Bürgerkrieges die Luft an Luxus im Wadi Rum. Illustration: Oppenheim Architecture + Design 04 BusinessReport 3/2011 PROFIL INVESTMENT Fotos: dge Der ehrliche Makler Mit seiner Investmentbank Blue Ocean Group hat Taoufik Ben Gebara die großen Player der Logistik in seine Heimatstadt Tanger geholt. Am Containerhafen Tanger Med soll niemand mehr vorbeidampfen Taoufik Ben Gebara auf der Terrasse seiner Villa vor der Kulisse seiner Heimatstadt Tanger. Von Daniel Ger lach » Gott, Vaterland und König« – den Schriftzug, der auf einem Berg über dem Containerhafen Tanger Med prangt, kann man wohl aus dem Weltall lesen. Darunter, am Terminal des deutschen Betreibers Eurogate, herrscht lebhafter Betrieb. Auch am Samstag führen die Ladekräne ihr symmetrisches Ballett auf. Ein ohrenbetäubendes Warnsignal erklingt, wenn die Kolosse sich bewegen, um vor einem anlegenden Containerfrachter in Position zu gehen. Der Kranführer lädt einen Maersk-Container auf – »im Hamburger Hafen geht das schneller«, erklärt ein deutscher Transportexperte vor Ort. »Dort nutzt man noch den Schwung des Containers aus der Luft und setzt ihn in einer Bewegung auf die Leitstifte«, fachsimpelt er. Abgesehen davon stimmt das Tempo in Tanger Med. Es ist der stahlgewordene Traum der marokkanischen Industriali- 06 BusinessReport 3/2011 sierung: Der Warenumschlag ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 2011 um 82 Prozent gewachsen – das klingt fantastisch, allerdings besteht der größte afrikanische Tiefwasserhafen auch erst seit 2008. Viele Terminals wurden vor kurzer Zeit eröffnet. Eine Autobahn führt zu dem Hafen – 2014 wollen Renault und Nissan dort ein Werk eröffnen. Für Marokkos Monarchie ist Tanger Med ein Prestigeprojekt – aber das Geld kommt vornehmlich von Investoren, die an ihre Rendite glauben. Der Erfolg hat viele Väter – ein sehr bedeutender ist Taoufik Ben Gebara, Chef der Investmentbank Blue Ocean Group und einer der Köpfe des Planungskomitees von Tanger Med. Über Jahre versuchte Ben Gebara, Investoren in seine Heimatstadt zu holen. »Eurogate zu überzeugen, war schwer, aber wir haben es geschafft, dass sowohl Eurogate als auch der Betrei- PROFIL Hafenarbeiter und Zoll erwarten die Ankunft der »Aenne Rickmers« im Hafen Tanger Med. ber MSC den Hafen Tanger Med nun in ihre globale Strategie einbinden«, sagt Ben Gebara. Das Vertrauen der beiden Riesen und der Europäischen Investitionsbank, die jeweils über hundert Millionen Euro investierten, lockt nun auch andere – aber über laufende Verhandlungen will Ben Gebara nicht sprechen. Der Banker, der mehrere Jahre in Frankreich und Spanien lebte, ist ein Sohn Tangers und hat sich an einem Hanggrundstück eine Villa mit Blick über die Stadt gebaut. Noch arbeiten darin Maurer und Zimmerleute, einen provisorischen Swimming Pool gibt es schon, in dem die sechsjährigen Zwillinge plantschen. Kein Protzbunker wie die der stadtbekannten Drogenbarone, die nun in Immobilien machen. Das Haus soll einmal elegantes arabisch-mediterranes Understatement demonstrieren. In Ben Gebaras Wohnzimmer steht das Modell eines »Den Charme eines Treffpunkts für Gelichter und Agenten wollen wir uns erhalten!« Frachters aus den 1950er Jahren, denn von seinen Vorfahren fuhren einige zur See. »Ich glaube, dass durch die Straße von Gibraltar 2020 ebenso viel Schiffsverkehr führen wird wie durch die Straße von Malakka in Südostasien«, sagt er. Tanger werde das Tor zu Afrika und ein Hub für afrikanische und europäische Häfen. Diese Zuversicht teilen auch unabhängige Stimmen: »Die großen Transportfirmen sehen das Mittelmeer als einen großen Teich und werden langfristig zwei Hubs einrichten: einen im äußersten Westen und einen im Osten. Von dort werden die Waren auf kleine Zubringer verladen.« So spricht ein Logistikmanager, der anonym bleiben will, da seine Firma auch in konkurrierende Häfen investiert. Fürchten muss sich derzeit vor allem der spanische Containerhafen Algeciras; bislang hat das Wachstum des Containertransports die Konkurrenz allerdings noch abgefedert. »Echte Konkurrenten sind vielleicht Barcelona, Las Palmas und Dakar«, sagt Ben Gebara. Das Geschäft werde noch besser laufen, wenn das rohstoffreiche Algerien, das viele Industriegüter importiert, über Tanger seinen Atlantikhandel abwickeln würde. Eine Schwäche von Tanger Med seien allerdings hohe Energiekosten – Solar- und Windkraftwerke wären deshalb eine attraktive Quelle. Auf die Frage, was er als nächstes anstoßen wolle, gibt sich Ben Gebara staatsmännisch: Mit dem Team seiner Investmentbank wolle er erreichen, dass Marokko in der internationalen Gemeinschaft aufrückt und den Menschen der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung nicht verwehrt bleibe. Und natürlich wolle die Blue Ocean Group, die Projekte in Infrastruktur, Verkehr und Hafenbau finanziert, den westafrikanischen Markt ausbauen: »Eine Milliarde Konsumenten bis 2030«, freut sich Ben Gebara. Obwohl Tanger Med über 20 Kilometer von Tanger entfernt liegt, spüre man jetzt schon, wie sich das Publikum der Geschäftsleute und Touristen verändert: »Tanger ist eine mythische Stadt«, sagt der Endvierziger mit ein bisschen Nostalgie in der Stimme, »der internationale Treffpunkt von Gelichter, Agenten und Spionen. Etwas von diesem Charme möchten wir uns durchaus noch erhalten.« Lesen Sie dazu ab Seite 54: »Mein Tanger« – Empfehlungen für Geschäftsreisende, aus der Feder eines Insiders. BusinessReport 3/2011 07 Q U A R TA L S B E R I C H T Mit Mercedes unter Feuer Deutsche Investoren erleben herbe Rückschläge im afghanischen Ausbildungswesen Allein in den ersten sechs Monaten 2011 starben nach UN-Berichten rund 1500 Zivilisten in Afghanistan. Diese Zahl frustriert nicht nur Militärs, sondern auch die Mitarbeiter in der Entwicklungszusammenarbeit: So stellte die Hanns-SeidelStiftung eine seit 2007 bestehende Kooperation mit der Handwerkskammer Kunduz ein, nachdem ein Mitarbeiter am 1. Juli 2011 nur knapp einen Anschlag überlebte. Man konzentriere sich jetzt auf andere Landesteile, sagt Martin Axmann, Büroleiter der Stiftung in Islamabad. Geldgeschäfte in Luanda Die Angolaner kaufen eine Bank in Portugal und lassen sich Zeit mit Staatsanleihen Angolas Hauptstadt zählt zu den teuersten der Welt. Business-Flüge in die Erdöl-Metropole sind oft ausgebucht, Hotels – zumindest für Mittelständler – schmerzhaft teuer. Und in Luanda sucht man lange nach einem Geldautomaten! Währenddessen meldete die Nationalbank im August ein Wachstum der Devisenreserven von 5,1 Prozent gegenüber dem Vormonat auf 22,6 Milliarden US-Dollar. Die Regierung wollte demnächst Staatsanleihen auf die internationalen Märkte bringen, um Verbindlichkeiten – vor allem bei Baufirmen – zu begleichen. Man lässt sich 08 BusinessReport 1/2010 Auch eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes berichtet gegenüber zenith von stillgelegten Bauvorhaben: Während in Kunduz, Mazar-i-Scharif und Faizabad mit deutschem Geld errichtete Berufsschulen Lackierer, Kfz-Mechaniker, Karosseriebauer, sowie Bürokauffrauen ausbilden, liegt der Ausbau der Technikerschulen in Khost und Oruzgan auf Eis. Berufsschulen in Kunduz, Mazar-iScharif und Faizabad konnten mit Mercedes Benz einen wichtigen Partner bei der Ausbildung von Kfz-Mechanikern gewinnen, berichtet Lutz Petschick, Koordinator für berufliche Bildung bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Man versuche dort, »aktiv der Verschulung des Lehrbetriebes entgegenzuwirken«, und setze trotz der Sicherheitsprobleme und Spannungen die Arbeit fort. nun Zeit, bis die nervöse Finanzwelt sich beruhigt. Ausgerechnet der Ex-Kolonialmacht Portugal greift die angolanische Bank BIC nun unter die Arme: Sie wird wohl die Banco Portugues de Negocios (BPN) übernehmen. Die Portugiesen verkaufen Staatseigentum und sind angesichts der letzten Bilanzen froh, den Laden loszuwerden. Internationale Banken interessieren sich nun für den angolanischen Markt, vor allem der südafrikanische Branchenriese Standard Bank Group. Voraussetzung für den Markteinstieg: ein Mindestkapital von sechs Millionen Dollar. Größtes Hindernis: das Genehmigungsverfahren bei Überweisung größerer Summen ins Ausland. In Luanda stoßen deutsche Finanzleute schon auf bekannte Gesichter: ExBundesbankchef Ernst Welteke hat bei der angolanischen Banco Quantum einen Job gefunden. Ärger in Sidi Bouzid Steiff produziert Plüschtiere im Geburtsort der Revolution. Nun klagen ehemalige Mitarbeiter K eine Marke repräsentiert deutsches Wohlbefinden so wie »Steiff«. Den Knopf bekommen die Teddys in Deutschland ins Ohr – genäht werden sie unter anderem in Sidi Bouzid, dem Geburtsort des Arabischen Frühlings und Symbol ökonomischer Verzweiflung. Nun hat die Firma dort eine Produktionshalle geschlossen – rund 75 Näherinnen fürchteten um ihre Jobs und demonstrierten. Ein Missverständnis, sagt die Margarete Steiff GmbH. Alle würden in ein neues Werk umziehen. Abdellatif Sedky, ExMitarbeiter von Steiff, bestreitet das: Nur ein Dutzend würden übernommen – die anderen ohne Frist entlassen. Sedky und mehrere Arbeiterinnen strengen eine Klage an. In einer Mitteilung an zenith beschuldigt Sedky die Firma zudem, Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn abgezogen zu haben, obwohl die Arbeiterinnen keine Versicherungskarten besäßen. Die meisten seien für einen Lohn von rund 75 Euro monatlich als Auszubildende geführt worden. Steiff wehrt ab: Sedky wolle sich revanchieren, da er ein Verwandter des Vermieters der geräumten Halle sei. Sein Arbeitsvertrag aus der ersten Jahreshälfte 2011 weist ihn als leitenden Produktionsmitarbeiter aus. Darüber hinaus erklärt Steiff, man zahle gesetzliche Mindestlöhne und wolle »einen offenen und transparenten Umgang« mit den Mitarbeitern in Tunesien pflegen. Q U A R TA L S B E R I C H T Iluustration: Amatir Foto: dge Löwe im Schafspelz Noch steht der Jordanier Hasan Ismaik auf keiner Weltrangliste arabischer Tycoons. Wer ist der Großinvestor beim Fußballverein 1860 München? I m blauen Bugatti rauschte Hasan Ismaik Ende Juli zum ersten Heimspiel des TSV 1860 in die Münchener Allianz-Arena. Vier Monate hatten die Einstiegsverhandlungen beim krisengeplagten Zweitligisten gedauert – dennoch ist kaum etwas über den 34-jährigen Jordanier bekannt, der als erster arabischer Großinvestor im deutschen Profifußball auftaucht. Warum ausgerechnet bei den »Sechz‘gern«? 18,4 Millionen Euro Verbindlichkeiten tilgte der Immobilienunternehmer und passionierte Hobbypilot und rettete die Löwen vor der sicheren Insolvenz. Nach eigenem Hasan Ismaik kaufte 49 Prozent bei »1860« und schuf einen Präzedenzfall im deutschen Fußball. Bekunden will Ismaik 30 Millionen Euro in den Klub investieren. Auf der Homepage seiner Firma Marya mit Sitz in Abu Dhabi prangt der Hinweis »under construction«. Auch in den Top-Listen arabischer Tycoons taucht der Name des dreifachen Familienvaters bisher nicht auf. Über Geschäfte und Privatleben halte er sich sehr bedeckt, klagen Münchner Sportre- porter. Dem Vorbild der Abu Dhabi United Group, die bei Manchester City hunderte Millionen für Weltstars investierte, folgt Ismaik nicht – bekanntestes Gesicht im Team ist Lokalmatador Benjamin Lauth. Fußballbegeistert soll Ismaik durchaus sein, aber sein Engagement bei 1860 ist Einstiegstor zum deutschen Markt. Das Geschäft bahnte Ismaiks palästinensischer Partner Hamada Iraki an, der das Nahostgeschäft für die italienische Unicredit in München koordiniert und regelmäßiger Gast auf der VIP-Tribüne der Allianz-Arena ist. Iraki und Ismaik besitzen gemeinsam die Sportagentur H.I. Squared, die den Verein fortan exklusiv vermarktet. Ismaik übernimmt neben 49 Prozent Vereinsanteilen auch den Vorsitz im Aufsichtsrat. In dem Sechser-Gremium platzierte er Kompagnon Iraki sowie seine Anwältin Lori-Ann Campbell von der Kanzlei Hadef & Partners. Praktischer Nebeneffekt: Sponsorenverträge und Kooperationen der Löwen werden fortan vom Aufsichtsrat nicht nur abgesegnet, sondern wohl auch schon eingefädelt. Noch vor kurzer Zeit galten die Jets von Turkish Airlines als fliegende Gastarbeiter-Busse ohne Komfort. Als Drehkreuz nach Asien und Afrika bietet sich Istanbul längst auch Geschäftsreisenden an, das Warten am Atatürk-Flughafen war aber bislang kein Vergnügen – nicht einmal internationale Zeitungen fand man in der alten BusinessLounge von Turkish Airlines. Die im Sommer eröffnete »CIPLounge« ist nun allerdings ein Schmuckstück: 1100 Quadratmeter unter geschwungenen Alkoven. Eine vorzügliche »hausgemachte« Zitronenlimonade (es muss nicht immer Whisky sein), frische Pide und türkische Salat-Vorspeisen – einfach, aber fein abgeschmeckt. In der Computer-Ecke steht eine iMac-Batterie Spalier. Und während man selbst in der Senator-Lounge der Lufthansa noch kostenpflichtig über T-Mobile online geht, ist kabelloses Internet bei »TK« frei. Am Eingang steht ein Billard-Tisch, ein MusikKino zeigt Jazzkonzerte, und die Service-Mitarbeiterinnen kann man als äußerst elegant bezeichnen. Geschmacklich fragwürdig: ein automatischer Flügel, der lustlos Melodeien klimpert. Aber Vorsicht: Bei diesem Komfort kann es sich als fatal erweisen, dass »last calls« nicht mehr ausgerufen werden. BusinessReport 1/2010 09 Foto: Turkish Airlines In Istanbul lohnt sich das Warten Q U A R TA L S B E R I C H T ARCHITEKTUR Ursprünglicher Luxus im Wadi Rum Die alten Nabatäer schlugen ganze Städte in die Felsen der jordanischen Wüste – nicht nur, weil dort Baustoff rar ist, sondern auch, um sich der Hitze zu entziehen. Auf dem Prinzip gründet auch der Entwurf des amerikanischen Büros Oppenheim Architecture + Design für das Hotel »Wadi Resort« im Wadi Rum 10 BusinessReport 3/2011 Q U A R TA L S B E R I C H T Die schroffen Klippen werfen Schatten – die Thermik an den Felsen soll für so genannte cross ventilation genutzt werden. Die Stichworte »Nachhaltigkeit« und »ökologisches Bauen« dienen dabei nicht zuletzt der Vermarktung des Hotels in der Nähe der jordanischen Felsenstadt Petra, die zu den größten Attraktionen des Nahen Ostens zählt. 2014 soll das Resort den Betrieb aufnehmen. Illustration: Oppenheim Architecture + Design BusinessReport 3/2011 11 Q U A R TA L S B E R I C H T ARCHITEKTUR »Wir wollen ursprünglichen Luxus schaffen«, erklärt Architekt Chad Oppenheim, der im Mai die Design-Ausschreibung für das Projekt gewonnen hat. Der Entwurf brachte dem Büro zudem den Ehrenpreis 2011 des American Institute of Architects im US-Bundesstaat Florida. Illustration: Oppenheim Architecture + Design 12 BusinessReport 3/2011 Sie wollen etwas Handfestes? Dann abonnieren Sie die Printausgabe des zenith-BusinessReports zusammen mit dem renommierten Reportage-Magazin zenith – Zeitschrift für den Orient für nur 34,00 Euro (60,00 Euro bei Versand ins Ausland). Hier geht es zum Aboformular: www.zenithonline.de. G E L D U N D M AC H T Foto: Ghorfa VERBÄNDE »Wir befanden uns nie im Wettlauf um Gaddafis Gunst!« Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der deutsch-arabischen Handelskammer Ghorfa, über die Kostenbilanz des Arabischen Frühlings, Konkurrenz unter den Wirtschaftsvereinen und die Erkenntnis, dass die arabische Tradition Frauen unwillkürlich in Führungspositionen bringt zenith: Herr al-Mikhlafi, ist der Arabische Frühling für die deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen ein Gewinn? Abdulaziz al-Mikhlafi: Natürlich kann man nicht alle arabischen Staaten über einen Kamm scheren. Es gab Oasen von Entwicklung, aber in der Masse hatte sich in den letzten Jahren nicht viel bewegt. Nehmen Sie Ägypten: Vor 20 Jahren war das Bruttoinlandsprodukt des Landes gleichauf mit dem der Türkei. Heute hat die Türkei mehr als 700 Milliarden US-Dollar, Ägypten rund 200 Milliarden. Man sprach in den letzten Jahren von Wachstum, aber die Bevölkerung hat das nicht erreicht. Die jungen Araber blicken – auch dank der neuen Kommunikationsmittel – nach Ost und West und sehen: Überall geht es voran. Holländer und Japaner können sich frei bewegen und sind überall willkommen, junge Araber bekommen nicht einmal ein Visum. 14 BusinessReport 3/2011 Und warum sollte das jetzt besser werden? Den Zahlen nach werden sich Handel und Entwicklung sogar kurzfristig verschlechtern. Aber mittel- und langfristig geht es bergauf. Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Teilhabe sind die entscheidenden Aspekte. Die freien Märkte werden sich auch auf die europäischarabischen Wirtschaftsbeziehungen auswirken. Und je mehr Transparenz besteht, desto größer ist der Wettbewerbsvorteil für die Deutschen. Denn die sind auf transparente Verhältnisse ausgerichtet. Sie kümmern sich um die Wirtschaftsbeziehungen zur gesamten arabischen Welt. Nun waren die arabischen Länder – von den Golfstaaten abgesehen – nicht in der Lage, gemeinsame Wirtschaftsräume zu schaffen. Warum? Die Entscheidung lag nicht bei den Menschen, sondern bei einigen Machthabern mit kurzfristigen Interessen. In Organisationen wie unseren Handelskammern arbeiten die Unternehmer ja zusammen: Dort trifft die Wirtschaft die Entscheidungen und nicht die Regierungen, auch wenn wir mit denen zusammenarbeiten. Schauen Sie: Uns, die Generalunion der arabischen Kammern, gibt es seit den 1950er Jahren. Wir sprechen seitdem immer wieder von einer arabischen Wirtschafts- und Zollunion. Aber die Regierungen haben das nicht mitgemacht. Halten Sie es für sinnvoll, dass Marokko und Jordanien Mitglieder im Golfkooperationsrat GCC werden? Das kann man verschieden interpretieren. Einige sagen, der GCC sei nun der Club der Monarchien – aber ich denke: jede wirtschaftliche Integration wird der arabischen Welt helfen. Oder sie spalten? Aus Sicht der Kammer sehe ich jede Integration positiv. Das Ganze »GCC« zu nennen ist dann allerdings fragwürdig. Denn Jordanien und Marokko liegen ja nicht am Golf. Der Arabische Frühling gilt als das Werk der Jugend. Umfragen zufolge wollen – beispielsweise in Syrien – über 80 Prozent der Hochschulabsolventen in Betriebswirtschaft selbst Unternehmer werden. Tüchtige Geschäftsleute sind das, die Syrer! Tüchtig oder gezwungen, sich selbst einen Job zu schaffen, weil es keine gibt. Wie kann man das junge Unternehmertum in der arabischen Welt stützen? Bildung ist das wichtigste. In den bevölkerungsreichen Ländern der arabischen Welt haben nur wenige Menschen Kontakt mit dem Ausland. Gerade deshalb konnten sich die alte Regime ja so lange halten. In meinem Dorf … … nahe der jemenitischen Stadt Taizz … G E L D U N D M AC H T »Handelskammern sind die ältesten Instanzen der arabischen Zivilgesellschaft« Abdulaziz al-Mikhlafi, 1963 geboren, trat nach seinem Studium der Politischen Wissenschaft und Wirtschaft dem diplomatischen Dienst Jemens bei. Während seiner Laufbahn, mit Auslandsstationen unter anderem in Saudi-Arabien und Ägypten, konnte sich als Wirtschaftsexperte profilieren. Seit Anfang der 1990er Jahre leitete Mikhlafi die Wirtschaftsabteilung der jemenitischen Botschaft in Bonn. Im Jahr 2000 wurde er zum Generalsekretär der Ghorfa gewählt. 2004 erhielt er den Botschafterstatus der Republik Jemen. … sind zwei oder drei Menschen meiner Generation jemals im Ausland gewesen. Die anderen nie. Aber nun gut, die Sicht verändert sich ja nun allmählich nun. Die jungen Araber, die sich selbstständig machen wollen, sind aber oft gebildete Menschen, die durchaus Kontakte ins Ausland haben. Was kann die Ghorfa für diese Menschen tun? Die Förderung muss vor allem von unseren Partnern und Trägern ausgehen, also den Handelskammern. Vergessen Sie nicht: Die Handelskammern sind wohl die ältesten zivilgesellschaftlichen Instanzen in der arabischen Welt. Da sitzen Unternehmer, sagen ihre Meinung, und dort wird auch gewählt. Und noch zu Ihrer Frage: Die Vorausset- zungen in der arabischen Welt für Unternehmer sind unterschiedlich, in Ägypten anders als in den Golfstaaten. Aber am Golf gibt es auch Jugendarbeitslosigkeit, und sie wächst sogar. Ja, dennoch ist dort ein anderes Potenzial vorhanden. Dort gründen viele Ausländer Unternehmen, was auch Einheimische tun könnten. Aber es fehlt noch ein bisschen an der Einsicht, dass Reichtum nicht einfach nur schnelle Autos oder teure Urlaube bedeutet. Von der so genannten Nationalisierung, also einer Quotenregel für Einheimische in Führungspositionen, halten Sie also nichts. Die Menschen müssen doch sich selber entwickeln. Durch Nationalisierung bringt man seine Landsleute auf Stellen, auch wenn sie dafür oft nicht geeignet sind. Aus Sicht der Wirtschaft ist das nicht förderlich. In Ägypten laufen derzeit Korruptionsprozesse gegen Vertreter des alten Regimes. Auch ausländische Unternehmer kommen ins Schwitzen, da viele mit dem System zusammengearbeitet haben. Was kommt da auf die deutsche Wirtschaft zu? Ich glaube, die Angst ist übertrieben. Auch die neuen Regierungen haben Interesse, mit dem Ausland zusammenzuarbeiten. Solange eine Firma nicht wirklich in unregelmäßige Geschäfte verwickelt ist, sehe ich da kein Problem. Generell gilt: In Fällen, wo wir Unternehmen helfen können, setzen wir uns über unsere Träger in den Ländern für den Wettbewerb ein. Sie sind ja nicht der einzige Verein in Deutschland, der die Wirtschaftsbeziehungen zur arabischen Welt fördern will. Es gibt so viele, man kann sie ja kaum zählen. Allein schon hier in Berlin! Aber ich sehe da keine Konkurrenz. Wir sind die Vertretung aller arabischer Handelskammern. Es gibt Interessenvereine, die um Mitglieder werben und in Konkurrenz stehen. Aber die Außenhandelskammern bleiben die offiziellen Vertretungen der Wirtschaft im Ausland. In der Szene der Wirtschaftsvermittler hat der Arabische Frühling ja doch einige kalt erwischt. In Libyen tobte schon der Bürgerkrieg, da warb der Nah- und Mittelostverein (Numov) in einer druckfrischen Broschüre noch mit den exklusiven Kontakten seines Ehrenvorsitzenden Gerhard Schröder zum Gaddafi-Regime. Wir befanden uns nie im Wettlauf mit anderen um Gaddafis Gunst. Diplomaten kolportieren folgendes: Otto Wiesheu, Ex-Bahnvorstand und Präsident der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft (DAFG) soll bei einem Treffen mit arabischen Botschaftern vorgeschlagen haben, dass seine Organisation zukünftig die Rolle der Ghorfa einnehmen solle. Was halten Sie von dieser Idee? >> BusinessReport 3/2011 15 G E L D U N D M AC H T »Die Legalisierung ist kein Ghorfa-Thema, sondern eine internationale Frage« Herr Wiesheu kann sich denken und vorschlagen, was er möchte. Wir sind eine solide Organisation und machen keine Hobbyarbeit. Deshalb haben wir das Vertrauen unserer Träger und Unternehmen. Was werden denn Ihre Themen in den kommenden Monaten sein? Wie gesagt, wir machen das hier nicht als Hobby und rennen anderen mit ihren Themen nicht hinterher. Uns interessieren nachhaltige Themen: Investitionen, Bildung, Gesundheit, Energie. Unser deutsch-arabisches Wirtschaftsforum ist deshalb eine Art Pflichttermin für viele deutsche und arabische Unternehmen. Wir haben keine Hektik, sondern wir sind eine Institution. Eine unabhängige? Unsere Aktivitäten werden allein von Präsidium und Vorstand festgelegt. Ich bin Geschäftsführer der bilateralen arabisch-deutschen Kammer, die es ja auch in anderen Ländern, etwa in Großbritannien oder Frankreich, gibt. Wir folgen natürlich auch den Leitlinien unserer Träger, der Generalunion der arabischen Kammern. Eine wichtige Einnahmequelle der Ghorfa ist das Privileg, die Legalisierung von Dokumenten für den Warenexport in die arabische Welt durchzuführen. Die meisten arabischen Staaten fordern das. Was würde passieren, wenn ein wichtiges Exportland wie Saudi-Arabien nun aus dem Verfahren aussteigt? Das wird ja diskutiert. Mein Verständnis von der Arbeit der Ghorfa ist das eines Dienstleisters – und die Unternehmen sind dankbar dafür, dass wir das machen. Die Ursprungszeugnisse bedeuten: Wenn Sie reisen, brauchen Sie einen Pass. Ebenso die Ware: Der 16 BusinessReport 3/2011 Pass ist in diesem Fall das Ursprungszeugnis, das die Herkunft der Ware bestätigt. Legalisierung ist kein Ghorfa-Thema, sondern eine internationale Frage. Wenn etwa die Mitglieder der Welthandelsorganisation das Verfahren abschaffen, dann wird es abgeschafft. Aber die Ghorfa lebt doch davon. Die Ghorfa hat ihre Dienstleistungen in den letzten Jahren intensiviert und erzielt heute fast 60 Prozent ihrer Einnahmen aus diesem Service. Der Rest sind Einnahmen aus dem Legalisierungsservice. Die Entscheidung, ob Dokumente legalisiert werden, ist ja auch keine Entscheidung der Ghorfa. Einige Staaten haben zum Beispiel Vereinbarungen mit der EU und brauchen keine Legalisierung. Das Ursprungszeugnis weist unter anderem aus, dass keine israelischen Produkte in der Ware enthalten sind. Einige arabische Staaten begnügen sich mit der Auskunft, dass die Ware aus der Europäischen Union stammt. Andere wollen »Deutschland« oder spezifischere Angaben. Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Förderung der deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen. Aber die Regelung stammt aus der Zeit des Handelsboykotts der Arabischen Liga gegen Israel, der nie offiziell aufgehoben wurde. Soll ich ehrlich sein? Ich bin seit elf Jahren bei der Ghorfa und habe noch nie einen Boykott erlebt. Und das gilt nicht nur für die Kammer hier in Deutschland: Ich bin schließlich auch Koordinator der anderen arabischen Auslandskammern in Europa. Früher spielte der Israel-Boykott für die Ghorfa aber eine Rolle. Da waren Sie noch nicht geboren und ich noch nicht in der Wirtschaft aktiv. Was vor über 30 Jahren war, dafür kann ich nicht sprechen. Der saudische Botschafter hat einmal gesagt, man müsse den Deutschen hinterherlaufen, wenn man ihnen etwas abkaufen will. Sind deutsche Exporteure zögerlich? Man muss den Mittelstand verstehen. Der rechnet nach: Der Markteinstieg kostet Geld, man braucht gutes Personal; und oft ist Zurückhaltung durchaus angebracht. Ich schlage öfter Unternehmen, die schon in den Golfstaaten aktiv sind, vor, ihre Aktivitäten im Maghreb zu erweitern, und höre dann: »Wir haben keine Mitarbeiter, die Französisch sprechen!« Die Konzerne haben damit kein Problem, der Mittelstand schon. Bei Ihnen in der Ghorfa arbeiten auffällig viele junge Frauen. Wie viele Ihrer Mitgliedsunternehmen haben weibliche Manager, Geschäftsführer oder Vorstände? Zu wenige. Deshalb ist uns das Thema ja wichtig. Wir thematisieren es auf unseren Veranstaltungen, zum Beispiel beim deutscharabischen Wirtschaftsforum. Die Unterschiede zwischen deutschen und arabischen Firmen sind da wahrscheinlich gar nicht groß. Richtig. Aber interessant ist: Durch Erbschaften, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen kommen viele arabische Frauen – etwa in den Golfstaaten – in die Führung von Familienunternehmen. Eine interessante Wendung: Stärkt am Ende ausgerechnet die arabische Tradition der Familienbetriebe die Rolle von Frauen in der Wirtschaft? So kann man es sehen. Meine Kollegen in der arabischen Welt sagen manchmal: »Da kommt Mikhlafi und bringt lauter Frauen mit.« Aber ich habe großes Vertrauen und sehe, dass meine Kolleginnen sehr motiviert sind, Verantwortung zu tragen. WEITERLESEN Lesen Sie noch mehr Wirtschaftsberichte und Analysen auf www.zenithonline.de zenithonline.de berichtet täglich über die Länder Afrikas, des Nahen Ostens und Zentralasiens. Die Seite bietet neben politischen Analysen und Wirtschaftsreportagen jeden Tag wichtige Meldungen und Personalia. Im zenith-BusinessBerater erfahren Sie alles zum Thema Recht und Consulting. Neue Rege- lungen für Doppelbesteuerungsabkommen, neue Handelsbestimmungen oder neue Fördergesetze – im zenith-BusinessBerater berichten Experten über alles, was Sie über die Auslandsmärkte wissen müssen. »zenithonline.de – das ist das Online-Portal der zenith – Zeitschrift für den Orient. Gute Storys und Hintergründe vor allem zu aktuellen Wirtschaftsthemen im tumultösen Morgenland.« Astrid Frohloff, Moderatorin des ARDPolitmagazins Kontraste Exportartikel Weiterbildung Besuchen Sie unser 3. Deutsch-Arabisches Bildungsforum 6. – 7. Oktober 2011 in Berlin TRAINING – MADE IN GERMANY [email protected] | www.imove-germany.de [email protected] | www.imove-germany.de G E L D U N D M AC H T IMMOBILIEN Mit Abrissbirne und Musik Aserbaidschan beherbergt 2012 den Eurovision Song Contest, den größten Schlagerwettbewerb der Welt. Dafür wird in kurzer Zeit ein neuer Event-Komplex hochgezogen – und in großem Stil Privatbesitz enteignet Von Sara Winter-Say ilir G 18 BusinessReport 3/2011 stattfinden wird. Ausrichter ist die European Broadcasting Union (EBU), der Verein der öffentlichen Rundfunkanstalten Europas mit Sitz in Genf. Sietse Bakker leitet das Riesenprojekt ESC. »Wir fordern, dass die lokalen Veranstalter unter anderem die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und ein barrierefreies Internet für die Gäste, Fans, Crew, Teilnehmer und Presse rund um den ESC garantieren können«, sagt Bakker gegenüber zenith. Hotelreservierungen sind bis auf Weiteres verboten Falls nicht, können Sanktionen verhängt werden – von Geldbußen bis zum Ausschluss vom Wettbewerb oder sogar dem Verlust des Gastgeberstatus. Laut Bakker ist noch nicht engültig entschieden, wo genau der ESC in Baku stattfindet. Auch wenn in Genf bereits ein Treffen mit den aserbaidschanischen ESCAusrichtern, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Kaukasusrepublik, Ictimai TV, stattgefunden habe, und im August ebenfalls eine Delegation der EBU nach Baku gereist sei. Aserbaidschans Regierung schafft indes Fakten: Leyla Aliyeva, Tochter des Präsi- Foto: Pieter Van den Berghe / EBU anz in der Nähe der großen Zentrale von BP in Baku, an der Küste des Kaspischen Meeres, steht der mit 162 Metern zweithöchste Flaggenmast der Welt. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev lässt sich dort gerne fotografieren. Er ist derzeit gut gelaunt, zumal Aserbaidschan erstmalig den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen hat. Vieles spricht dafür, dass hier, gleich neben der Flagge, das neue Veranstaltungszentrum gebaut wird – der Schlagerwettstreit gastiert im Mai 2012 in Baku. Bisher verfügt Baku über keine geeignete Spielstätte, Schätzungen zufolge werden bis zu 30 000 Gäste aus aller Welt erwartet. Das Größte, was Baku bisher zu bieten hat, ist das Tofiq-BehramovStadion mit 14 000 Sitzplätzen. Auch an Hotelbetten mangelt es der Ölmetropole. Gerade hat die Luxuskette Kempinski ein Haus eröffnet. Four Seasons, Marriott, Hilton und Jumeirah legen bald nach. Um die Kontrolle über die Bettenpreise und -vergabe während des ESC zu behalten, untersagte das Kultur- und Tourismusministerium kürzlich allen Hotels, bereits Zimmer für die Daten um den Wettbewerb zu vermieten. Vorbestellen können die Fans also noch nicht. Doch zunächst gilt es, den Veranstaltungsort festzulegen. Aserbaidschan entscheidet nicht allein, wo genau der ESC Preisträger und Stolz Aserbaidschans: Ell und Nikki in Düsseldorf 2011. G E L D U N D M AC H T denten, ließ jüngst auf der offiziellen aserbaidschanischen Seite eurovisionaz.com verlauten, dass ein neues Veranstaltungszentrum am Ufer des Kaspischen Meeres gebaut werde. Auf der Nachrichtenseite modern.az ist zu lesen, dass dieser Komplex im Stadtteil Bayil direkt neben dem Flaggenmast entstehe. Das Sport- und Veranstaltungszentrum solle im März nächsten Jahres fertiggestellt werden – für 25 000 Gäste. Bereits am 7. Juli unterschrieb Präsident Ilham Aliyev eine Präsidialverordnung für den Bau eines solchen Komplexes. Sietse Bakker von der EBU ist über die Neuigkeiten erstaunt: »Solange wir nicht grünes Licht gegeben haben, können sie in Aserbaidschan bauen, was sie wollen. Mit dem ESC hat das nichts zu tun.« Wer den Gebäudekomplex in der unglaublich kurzen Zeit bis nächsten März bauen soll? Nach zenith-Informationen wird es sich wahrscheinlich um eine deutsche Baufirma handeln. Gemäß Schätzungen des Deutsch-Aserbaidschanischen Wirtschaftsfördervereins (DAWF) sind derzeit etwa 200 deutsche Firmen in Aserbaidschan aktiv. Rasim Mammadov vom Industrie- und Energieministerium beziffert die bisherige Gesamthöhe deutscher Investitionen in Aserbaidschan auf etwa zwei Milliarden Euro: in Bauwesen, Umwelttechnologie, Nahrungsmittel- und Energieproduktion. Ein Investitionsschutzabkommen soll Unternehmen vor Korruption und Willkür schützen. Florian Schröder, Geschäftsführer des DAWF in Baku, sieht dem ESC mit Freude entgegen: »Baku wird sich als moderne und tolerante Metropole am Kaspischen Meer präsentieren. Und der ESC wird Aserbaidschan und Europa einander näher bringen.« Die Vorbereitungen dazu liefen bereits auf Hochtouren. Neben dem Flaggenmast und der angeblichen Baustelle für das neue Veranstaltungszentrum steht derzeit aber noch ein großer Wohnblock. Dort besitzt Natalya Alibekova eine Eigentumswohnung. Erstmals erfuhr sie im Januar 2010 von Umbauplänen der Bezirksverwaltung, lange vor dem Sieg Aserbaidschans beim ESC. »Man bot uns rund 1350 Euro pro Quadratmeter Entschädigung«, sagt sie. Der Marktpreis liege etwa doppelt so hoch. Die 62 Jahre alte Dame lebt seit 2001 in dem Block, der 72 Familien beherbergt. Ein Jahr lang passierte nichts, die Bewohner vergaßen allmählich die unheilvolle Verkündung. Bis im Februar 2011 plötzlich Angestellte der staatlichen Eigentumskommission den Anwohnern erzählten, sie müssten sich eine neue Bleibe suchen. Neue Apartments stünden ihnen Deutsche sollen den Bauauftrag erhalten in den Vorstädten zur Verfügung, gebaut von Azinko, einer aserbaidschanischen Baufirma. Von einer Kompensation in bar war nicht mehr die Rede. Viele bezweifeln aber die Sicherheit der Neubauten – das alte Haus Nr. 5 hat hingegen schon ein großes Erdbeben unbeschadet überstanden. »Wir können nicht vor Gericht gehen, weil wir keine offiziellen Dokumente in der Hand haben«, sagt Alibekova. Normalerweise hätte man ihnen Einsicht in die Baupläne verschaffen müssen. Einzig die Räumungsaufforderung kam schriftlich. Sollten sie nicht gehen, würden Maßnahmen gegen sie ergriffen, hieß es da. Nun beginnen Bauarbeiter bereits, erste Wohnungen zu entkernen. Die Anwohner werden indes mit immer neuen Ultimaten unter Druck gesetzt. Eine gängige Praxis: An vielen Orten der Bakuer Innenstadt wurden Menschen innerhalb kürzester Zeit aus ihren Wohnungen geworfen. Ist zum Zeitpunkt der Räumung keiner zu Hause, wird das persönliche Hab und Gut in Abwesenheit zerstört. Videoaufnahmen lokaler Journalis- ten auf Youtube zeigen verzweifelte Bewohner in den Trümmern ihrer ehemaligen Behausungen. Dazwischen klettern Abrissraupen über die Ruinen. Ein Betroffener, der lieber anonym bleiben möchte, hat seine 45 Quadratmeter große Wohnung im zentral gelegenen, so genannten Winterpark-Areal verloren. »Wenn man selbst für den Staat arbeitet, überlegt man sich gut, ob man vor Gericht geht«, sagt der junge Mann. Die Eigentumskommission begründet die Maßnahmen mit einem staatlichen Anspruch auf die Grundstücke, der eigentlich nur bei wichtigen Verkehrswegen oder Militäreinrichtungen gilt. Mit dem Abriss wird viel Geld verdient. Die Familie des Vorsitzenden der Eigentumskommission, Kerem Hasanov, scheint davon zu profitieren. Denn Hasanovs Bruder Malik gehört die Baufirma Azinko, die den Abriss der meisten Häuser besorgt – er sitzt zudem als Abgeordneter der Regierungspartei YAP im Parlament. Einige Betroffene haben Beschwerde eingelegt. Sie schrieben unter anderem dem Präsidenten. Eine Antwort bekamen sie nicht. Inzwischen hat sich auch Human Rights Watch gegen die Enteignungen und die Zerstörung intakter Wohnhäuser in Baku ausgesprochen. Sietse Bakker von der EBU möchte darüber nicht urteilen: »Wir organisieren das größte Musikereignis der Welt und klären keine Menschenrechtsfragen. Aber wir machen die Veranstaltung für das Volk und nicht für die Regierung.« Die Vorgänge in Baku seien nur bedingt mit dem ESC in Verbindung zu bringen. Schließlich wäre das geplante Gebäude auch ohne den ESC gebaut worden. Und ob der dort stattfindet, sei keinesfalls sicher. Andere Mitveranstalter des Schlagerwettbewerbs sehen Diskussionsbedarf: Auf der deutschen Website des ESC ist inzwischen von »staatlichem Vandalismus« in Baku zu lesen. Die deutlichen Worte stammen von der deutschen ARD. BusinessReport 3/2011 19 G E L D U N D M AC H T ROHSTOFFE Aus der Reserve locken Während die kaspischen Anrainer über OffshoreRessourcen verhandeln, rüsten sie zeitgleich ihre Flotten auf. In Afghanistan wird derweil das Wasser knapp, und Kasachstans Finanzwelt sorgt sich um Rohstoffpreise. Ein Zentralasien-Update Von Alex ander von Hahn W Foto: NASA Das größte Binnenmeer der Welt birgt große Schätze. Iran und die ehemaligen Sowjetstaaten sind darauf erpicht. Wem gehört das Wasser des Amu Darya? 20 BusinessReport 3/2011 ährend die Rohstoffbörsen mit den Folgen der weltweiten Finanzkrise kämpfen, werden in Europa die Preise für Energie voraussichtlich weiter steigen. Die Anrainer des Kaspischen Meeres, die dort Öl und Erdgas fördern, schauen auf die lukrativen Märkte der Europäischen Union, aber auch nach China. Angeblich liegen im kaspischen Becken 2 bis 6 Prozent der weltweit nachgewiesenen Ölund 6 bis 10 der Gasreserven. Aber noch ist nicht klar, wer offshore fördern darf, auch wenn in die Verhandlungen Bewegung kommt. Vertreter von Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Russland und Turkmenistan kamen diesen Sommer in Moskau zusammen – vor Jahresende wollen sich auch die Präsidenten der »Kaspischen Arbeitsgruppe« treffen: Zugang zu Bodenschätzen, Fischereirechte und internationale Wasserwege stehen auf der Agenda. Teheran will eine Nord-Süd-Aufteilung des Meeres – die ehemaligen Sowjetstaaten sollen sich dann um die Nordhälfte streiten. Die Iraner berufen sich auf einen Vertrag mit der Sowjetunion von 1921. Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan wollen eine »Medianlinie«, also Einflusszonen entsprechend der jeweiligen Küstenlänge. In Sicherheitsfragen will man zusammenarbeiten: Im Juli legte Russlands Präsident Dimitri Medvedev dem Parlament ein Abkommen zur gemeinschaftlichen Bekämpfung von Terrorismus und Schmuggel im Kaspischen Meer vor, das die Arbeitsgruppe 2010 in Baku entworfen hatte. Während Diplomaten sprechen, demons– trieren die Militärs Stärke: Laut dem russischen Marine-Chef, Admiral Wladimir Wysotsky, rüstet die Kaspische Flottille bis 2020 auf – mit zwei neuen Kriegsschiffen, drei Landebooten und landbasierten Batterien mit Anti-Schiff-Raketen. Außerdem baut Russland einen Militärhafen in Machatschkala, der Hauptstadt der bürgerkriegsgeplagten Teilrepublik Dagestan. Die Iraner stellen dagegen Selbstbewusstsein zur Schau. »Wir haben volle Kontrolle über 20 Prozente des Kaspischen Meeres«, verkündete kürzlich der Kommandeur der iranischen Marine Habibollah Sayyari. Auch Kasachstan, Russlands Verbündeter, stellte kürzlich seine neue Marinebasis im kaspischen Seehafen Aktau fertig und orderte Patrouillenboote in Südkorea. Über den so genannten Cooperation Council der Turkstaaten spielen auch die Türken im kaspischen »Great Game« mit: Sie trainieren kasachische Seestreitkräfte und G E L D U N D M AC H T haben den Aserbaidschanern 30 Patrouillenboote geliefert. Laut Medienberichten bauen türkische Werften auch die Schiffe für die neue turkmenische Marine. Die Ressourcenfrage sorgt auch anderswo in Zentralasien für Probleme: Im Juli ermahnte die Umweltagentur der Vereinten Nationen (UNEP) Afghanistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Uzbekistan, endlich ein Abkommen über die Nutzung des Flusses Amu Darya und seiner Zuflüsse zu schließen. Am Oberlauf baut Tadschikistan derzeit den Rogun-Staudamm für ein Wasserkraftwerk, was sich vor allem auf die afghanische Landwirtschaft auswirken wird. Laut UNEP steigen die Sommertemperaturen in Zentralasien jährlich, Wasser wird knapper. Nach einem Bericht des US-Senates werden die sicherheitspolitischen Folgen der Wasserknappheit, »die landwirtschaftlicher Verbrauch, Hydrokraftwerke und mangelnde Klimastabilität zusehends verschlimmern«, weltweit spürbar sein. »Demnächst kommt Kulibaev mit überraschenden Ideen!« Auch im Südosten Kasachstans herrscht seit Jahren Wassermangel durch Trockenheit – nun sorgt sich das Exportland auch um den Einbruch der Rohstoffpreise, ausgelöst durch das weltwirtschaftliche Klima und nervöse Börsen. Kasachische Banken leiden bereits seit 2008 unter den Folgen der Finanzkrise. Zwei Jahre verhandelte die in Not geratene Handelsbank BTA über eine Übernahme durch die russische Sberbank – Gerüchten zufolge ist der Deal aber geplatzt. »Die beste Strategie für Kasachstan bleibt wohl, die BTA so schnell wie möglich zu verkaufen«, sagt Yerlan Q. Askarbekov, Kommunikationsberater für kasachische Finanzfirmen, im Ge- spräch mit zenith. Es gebe allerdings Hoffnung, dass die neue Führungsspitze der BTA, vor allem Vorstandschef Marat Zairov, wieder einige finanzkräftige Kunden im Land akquirieren könne, die 2009 ausgestiegen waren – darunter die Familienclans Tatishev und Abliazov. Immerhin: Das Interesse der Kasachen an Geschäften mit Deutschland wächst. Noch vor Jahresende wollen beide Länder ein Partnerschaftsabkommen für Rohstoffe unterzeichnen. Stellvertretender Vorsitzender des Kasachisch-Deutschen Wirtschaftsrats ist Timur Kulibaev, Schwiegersohn des Präsidenten und aussichtsreicher Nachfolgekandidat. »Kulibaev wird demnächst mit ein paar überraschenden Ideen kommen«, sagte ein Mitglied einer kasachischen Wirtschaftsdelegation in Berlin gegenüber zenith. »Vielleicht ein Antrag, Kasachstan anstelle der Türkei in die EU aufzunehmen.« Schließlich gebe es fast eine Million deutschstämmige Kasachen. The Global Charter Broker Your wish is our passion “Any time you need, we fly it.” www.lhcharter.com R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Dass der Arabische Frühling die Wirtschaft in Nahost und Maghreb durcheinander bringen würde, war klar – von Anfang an. Was aber ist die Bilanz der Ereignisse und was können Investoren nach einer politischen Stabilisierung in Tunesien und Ägypten, Libyen und Syrien erwarten? Von Jörg Schäffer 22 BusinessReport 3/2011 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N VOLKSWIRTSCHAFT Was die Freiheit kosten wird D er Tourismussektor bricht dramatisch ein, das produzierende Gewerbe verliert, ausländische Direktinvestitionen bleiben aus, die Inflation nimmt zu, Nahrungsmittel werden immer teurer – es war nicht schwer vorauszusehen, dass der Arabische Frühling die betroffenen Länder einiges kosten würde. Aber diesen Preis waren die Menschen offenbar bereit für ihre Freiheit zu bezahlen. Und alles das geschah ausgerechnet zu einer Zeit, in der sich manche arabische Staaten gerade erst von der weltweiten Finanzkrise erholten. Die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Ländern wird nach dem Arabischen Frühling wohl unterschiedlich ausfallen. Eines haben sie aber alle gemeinsam: Der Schlüssel für eine dynamischere Wirtschaft, von der mehr Menschen als bisher profitieren können, liegt in der Korruptionsbekämpfung und in besserer Bildung für die junge Bevölkerung – eine Bildung, die dem Arbeitsmarkt und dessen Anforderungen gerecht wird. Diese Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche. Wie Korruption die Wirtschaft bremst und – trotz großer Investitionen – die arbeitende Bevölkerung frustriert, zeigt Tunesien. Niemand hätte gedacht, dass die Revolutionsbewegung ausgerechnet von dem viel gelobten ökonomischen Musterland im Maghreb ausgehen würde. Eine breite Mittelschicht hatte sich lange mit dem Regime arrangiert – das Land konnte vergleichsweise stabile makroökonomische Rahmendaten aufweisen. Auch wenn geforderte Reformen in den letzten Jahren ins Stocken gerieten, wuchs die tunesische Wirtschaft stabil – aufgrund der guten Binnenkonjunktur – selbst im Krisenjahr 2009. Der Familienclan der Ben Alis und Trabelsis ließ jedoch wenig Raum für Wettbewerb und Teilhabe. Präsident Zine El Abidine Ben Ali zog seine Legitimation auch aus dem Umstand, dass Tunesien besser dastand als seine Nachbarn – aber die Entwicklung kam in vielen Bevölkerungsteilen nicht an, von Chancengleichheit konnte keine Rede sein. Dann stiegen die Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Löhnen. Obwohl nun in diesem Jahr der Einbruch der Tourismuswirtschaft um 44 Prozent und der Produktionsrückgang von Industriegütern um 13 Prozent dem Land einen Dämpfer versetzten, ist davon auszugehen, dass sich Tunesiens Wirtschaft nach der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im Herbst erholen wird. Die Entwicklungen im östlichen Nachbarland spielen dabei eine Rolle: Viele wohlhabende Libyer haben in Tunesien investiert, umgekehrt arbeiteten tausende Tunesier im Dienstleistungssektor Libyens. Das Land ist bislang der wichtigste Handelspartner Tunesien – ein Ende des Krieges in Libyen kommt den Tunesiern, die sich hilfsbereit und solidarisch zeigten, mit Sicherheit zugute. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert Tunesien für 2012 ein Wirtschaftswachstum von 5,6 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist dort aufgrund der eher geringen Bevölkerungszahl und der bereits stark diversifizierten Wirtschaft eher in den Griff zu kriegen als in dem deutlich bevölkerungsstärkeren Ägypten. Niedrige Ausbildungsstandards bleiben ein Hemmschuh – internationale Unternehmen setzen noch immer auf mitgebrachtes Personal. Für Investoren bleibt Tunesien dennoch ein interessantes Land: Es gibt kurze Transportwege nach Europa, zahlreiche Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und den Golfstaaten sowie womöglich bald mit den USA, sofern die neue Regierung die lang erwarteten Reformen im Landwirtschaftsund im Bankensektor umsetzen sollte. Gewiss werden in Tunesien demnächst höhere Löhne fällig – Arbeitnehmerinteressen werden stärker vertreten und artikuliert werden. In Tunesien werden bald höhere Löhne fällig >> BusinessReport 3/2011 23 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Mit höheren Löhnen wollte Ägyptens ehemaliger Präsident Hosni Mubarak auch seine Bevölkerung beschwichtigen – wie man weiß, vergeblich. Trotz seiner diktatorischen Herrschaft und der Selbstbereicherung muss man ihm zu Gute halten, dass unter seiner Führung in den letzten Jahren viele positive Entwicklungen begannen, auch wenn diese wohl zu spät kamen. Die alte Regierung verfolgte das Ziel, die Gesamtverschuldung bis 2015 auf maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und die Neuverschuldungsquote auf 3,5 Prozent zu drücken – und machte dabei große Fortschritte: Ein Land, in dem jährlich eine Million Menschen mehr leben und der überwiegende Teil der Bevölkerung in tiefer Armut lebt, näherte sich den europäischen Konvergenzkriterien. Durch die zusätzlichen Belastungen aufgrund der politischen Unruhen ist dieses Ziel nun in Gefahr; die Auslandsschulden Ägyptens sind aber mit 13,6 Prozent des BIP schon jetzt auf einem eher stabilen Niveau. Ägyptens Pfund konnte sich selbst während der Revolution behaupten und hat nur leicht gegenüber dem US-Dollar verloren: Dafür musste man allerdings die Devisenreserven anzapfen. Sorgen bereiten auch die Staatsanleihen, die zu über 60 Prozent von ägyptischen Banken gehalten werden. Sollte das Rating der Anleihen, das bei Redaktionsschluss mehrheitlich bei BB+ lag, noch weiter sinken, könnte dies zum Bumerang für das ägyptische Finanzsystem werden. Ägyptens Staatskonzerne konnten ihre Schulden seit 2004 erheblich reduzieren – die zum Militär gehörenden Unternehmen arbeiten zum Teil durchaus profitabel. Niedrigere Kosten für Gründung neuer Der Massenstaat Ägypten ist Binnenmarkt mit Potenzial Inflationsentwicklung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent 2003 2004 2005 2006 2007 Ägypten 3,2 8,1 8,8 4,2 Tunesien 2,7 3,6 2,0 4,2 2008 2009 2010 11,0 11,7 16,2 11,7 11,5 12,0 9,8 3,5 4,9 3,5 4,4 4,0 3,3 3,1 Quelle: IWF (World Economic Outlook Database, April 2011). (1 Schätzungen 24 BusinessReport 3/2011 2011(1 2012(1 2013(1 Unternehmen sowie eine Modernisierung und Liberalisierung des Handelssystems haben den privaten Sektor gestärkt. Aber wie in Tunesien fehlt das Fachpersonal. Nach wie vor gibt es strukturelle Probleme im ägyptischen Bildungs- und Ausbildungswesen. Auf den Wachstumsbranchen Telekommunikation und Bauwirtschaft ruht derzeit die Hoffnung der ägyptischen Wirtschaft – wenngleich letztere den Investoren wohl in Zukunft etwas geringere Margen einbringen dürfte als früher. Aufgrund der vielen Korruptionsvorwürfe wegen Vergabe zu billigen Baulandes und Unregelmäßigkeiten bei den Ausschreibungen kommen vermutlich Strafzahlungen auf die Branche zu. Die bis vor zehn Jahren noch negative Leistungsbilanz konnte Ägypten schon vor der weltweiten Finanzkrise 2008 zwischenzeitlich ausgleichen. In diesem Jahr deuten die Prognosen auf ein Minus von 3,2 Prozent hin. Dies ist neben dem Einbruch des Tourismussektors um 81 Prozent auch dem schwächeren Welthandel insgesamt geschuldet, der Ägypten unmittelbar berührt: Weniger Schiffe passieren den Suezkanal, also nimmt der Staat weniger Gebühren ein. Der Tourismus wird sich wohl erst 2014 wieder erholt haben. An ein Wachstum über das Niveau vor der Revolution hinaus glauben Experten aber nicht. Die Direktinvestitionen in Ägypten sind in diesem Jahr eingebrochen: um 60 Prozent von 9 auf 2,5 Milliarden US-Dollar. Das Wirtschaftswachstum wird daher für 2011 nur 1 Prozent anstatt der ursprünglich prognostizierten 6 Prozent betragen. Die insgesamt positiven Entwicklungen vor der politischen Krise geben Hoffnung auf Stabilisierung, zumal die devisenkräftigen Golfstaaten Ägypten mit dem massiven Kauf von Staatsanleihen stützen. Saudische Direktinvestitionen sind schon jetzt spürbar, werden aber in Kairo durchaus argwöhnisch gesehen – man befürchtet starke politische und wirtschaftliche Einflussnahme. Neben Europa sind gerade die Golfstaaten die wichtigsten Direktinvestoren und andersherum auch ein wichtiger Arbeitsmarkt für die junge ägyptische Bevölkerung: Ägyptens Jugend ist Segen und Fluch zugleich. Wer es schafft, sie als Potential zu begreifen, und sich ernsthaft bemüht, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wird langfristig die Früchte ernten: Der potenzielle Binnenmarkt mit weit über 80 Millionen Menschen ist riesig. Auch wenn die Kaufkraft nur geringfügig wächst, steigt die Nachfrage nach Verbrauchsgütern erheblich. Noch sind R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N die Parteiprogramme und Kandidaten wenig überzeugend, die Strategie der Armeeführung unklar. Fest steht: Wer versucht, die Jugendlichen mit halbherzigen Gesten abzuspeisen, riskiert, dass das Land von einem Aufstand in den nächsten schlittert. Dieses Schicksal könnte auch Syrien widerfahren. Das Land, das von Welthandel und internationalem Kapitalmarkt weitgehend isoliert ist, gehört zu den ärmsten arabischen Ländern – trotz eines stetigen Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren. In absoluten Zahlen beeindruckte jedoch bestenfalls der Tourismussektor. Die Löhne im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft sind niedrig, aber die Kosten zu hoch, als dass syrische Produkte etwa mit türkischen konkurrieren könnten. Ein Vorteil der Isolation: Weltwirtschafts- und Finanzkrise trafen die Syrer kaum. Sie erlebten ihre eigene Wirtschaftskrise 2003, als das Bruttoinlandsprodukt um 2,3 Prozent schrumpfte. Grund waren der Irakkrieg und das Ende Saddam Husseins. Der hatte Syrien bis dato viel Geld für den Zugang zum Erdölhafen von Banias gezahlt, um das UN-Embargo gegen den Irak zu umgehen. In den Folgejahren strömten außerdem fast eine Million irakische Flüchtlinge nach Syrien. Bis zum Beginn des Arabischen Frühlings erlebte das Land eine allmähliche politische Aufwertung seitens Europas und der USA. Anfang 2009 eröffnete eine Börse in Damaskus – nicht mehr als ein politisches Signal: Gehandelt wird hier nur zweimal in der Woche; die Wochenumsätze betragen wenige Tausend Dollar. Bei Kursschwankungen von mehr als zwei Prozent wird der Handel ausgesetzt – aus Angst vor Spekulanten. Politisch motiviert war auch die Öffnung für ausländische Investoren – die mussten allerdings erst an den geschäftstüchtigen Verwandten von Präsident Bashar al-Assad vorbei. Die Wachstumsbranche Telekommunikation und Mobilfunk befand sich bis vor kurzem in Händen des Assad-Cousins Rami Makhlouf. Das brutale Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte wird Syrien weiter isolieren, auch die guten Handelsbeziehungen zur Türkei haben darunter gelitten. Der Westen wird sich nicht militärisch engagieren: Syrien ist geostrategisch zu sensibel, wirtschaftlich zu wenig relevant. Ganz im Gegensatz zu Libyen mit den weltweit neuntgrößten Erdölreserven. Die Bevölkerung hatte freien Zugang zu Bildung und Gesundheit, und die Revolution traf das Land mitten in einem langsamen Öffnungsprozess. Dennoch gibt es hier zahl- reiche gut ausgebildete Ingenieure, die nie in ihrem Beruf tätig waren. Die Wirtschaft ist kaum diversifiziert. Außer Öl- und Gasförderung und – in geringem Maße – der Bauwirtschaft, die vor allem von ausländischen Unternehmen dominiert wird, trägt kein Wirtschaftszweig nennenswert zum BIP bei. Daher schwankt auch das Wirtschaftswachstum erheblich, abhängig von Ölpreis und Förderquote der OPEC. Aufgrund der gewaltigen Devisenrücklagen von 150 Milliarden Dollar – 160 Prozent des BIP – und minimalen Auslandsschulden sind die wirtschaftlichen Folgen der Revolution für das Land tragbar, vorausgesetzt, es kommt nicht zum nächsten Bürgerkrieg. Es gibt viel zu tun: 2000 Kilometer fast unbebaute Küste, reparaturbedürftige Straßen, mangelnde moderne Telekommunikation, marode Schienennetze und der Bedarf nach einem neuen Regierungsviertel – sollte eine neue Administration die Marktöffnung des Landes weiter voran treiben, könnte sich Libyen zum wichtigsten Wirtschaftspartner der Mittelmeerstaaten werden. Franzosen, Briten, Italiener, Türken – alle buhlen bereits um die Gunst der Gaddafi-Nachfolger. Bald werden auch die Deutschen vortreten. Es wäre denkbar, dass beispielsweise China oder Russland, die lange Zeit die Hand über das Gaddafi-Regime hielten, Einfluss und Aufträge verlieren. Aber am Ende werden die neuen Machthaber in Libyen pragmatisch sein und über das beste Angebot entscheiden. Anders als Gaddafi, der die Vergabe von Milliardenprojekten nur als politisches Instrument benutzte. Die Libyer werden über das beste Angebot entscheiden Staatsverschuldung in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011(1 2012(1 2013(1 Ägypten 114,8 112,8 112,8 98,8 87,1 74,7 75,6 73,8 74,9 73,8 70,9 Tunesien 66,4 53,7 52,5 48,8 45,9 43,3 42,9 40,4 42,8 42,8 41,6 Quelle: IWF (World Economic Outlook Database, April 2011). (1 Schätzungen BusinessReport 3/2011 25 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Die Konten der Diktatoren Dem teils schmutzigen Geld arabischer Potentaten auf die Spur zu kommen, ist herausfordernd. Während des Arabischen Frühlings sind in der Presse Summen aufgetaucht, die sicher nicht für bare Münze genommen werden dürfen. Selbst den Korruptionsjägern von Transparency International fällt es schwer, hier durchzublicken. Immerhin: Die Berichte deuten die Dimension an, in der sich Kleptokraten wie Mubarak und Gaddafi bedient haben. WACHSTUM UND KORRUPTION Die arabische Welt polarisiert Die vergangenen Jahre waren nicht normal, das gilt besonders für die wirtschaftliche Entwicklung im Nahen Osten: Die Karte zeigt im Überblick, wo die Weltfinanzkrise 2009 zuschlug, der Arabische Frühling Spuren hinterlassen wird – und wo nicht. Zugleich grassieren in der Region Bestechung und Bestechlichkeit. Lässt sich die ökonomische Leistung noch verbessern, wenn mit den bevorstehenden Reformen endlich ernsthaft die Korruption bekämpft wird? 3,1 3,7 1,3 2009 2010 2011* TUNESIEN 4,9 3,2 3,9 2009 2010 2011* MAROKKO 2,4 3,3 3,6 2009 2010 2011* ALGERIEN Baschar al-Assad, Syrien Das Vermögen der Verwandtschaft Assads soll sich auf 123 Milliarden US-Dollar belaufen, nach einigen Quellen sogar auf bis zu 200 Milliarden Dollar. Assads Cousin Rami Makhlouf alleine hat vermutlich ein persönliches Vermögen von 6 Milliarden Dollar und soll 60 Prozent des syrischen Wirtschaftslebens beeinflussen können, auch wenn er sich angeblich aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Das mutmaßliche Vermögen des AssadClans soll in verschiedenen europäischen Banken liegen, 70 Milliarden allein in Schweden. Hinzu kommen Anlagen in den USA. Im Juli fror die Schweizer Regierung Konten von Regimevertretern mit Einlagen von 34 Millionen Dollar ein. 20 Milliarden aber wurden angeblich schon in den Libanon geschmuggelt. 26 BusinessReport 3/2011 Wirtschaftswachstum Änderung des BIP in Prozent im Vergleich zum Vorjahr (1 2009 2010 2011* LAND Korruption Index wahrgenommener Korruption: 10,0 sehr sauber – 0,0 extrem korrupt (2 9-10 8-8,9 7-7,9 6-6,9 5-5,9 4-4,9 3-3,9 2-2,9 1-1,9 Keine Angaben 1) Quelle: IMF, World Economic Outlook April 2011 2) Quelle: Transparency International, 2010 * Angaben für 2011 sind Schätzungen 2009 8,2 4,6 -4,7 2010 2011* TÜRKEI 6,0 3,2 2,9 2009 2010 2011* 4,2 SYRIEN 0,8 9,6 0,1 2009 2010 2011* IRAK 0,8 4,6 3,8 -5,2 2,0 2009 2010 2011* ISRAEL 1,0 0,0 2009 2010 2011* IRAN 5,3 2009 2010 2011* 2,3 3,1 3,3 KUWAIT 2009 2010 2011* JORDANIEN 3,1 2009 4,2 k.A. 4,1 3,1 2009 2010 2011* -2,3 2010 2011* BAHRAIN LIBYEN 8,6 16,3 K ATA R 4,7 5,2 1,0 20 2009 2010 2011* 2009 3,2 3,3 -3,2 2010 2011* 2009 2010 2011* VA E ÄGYPTEN 0,6 3,7 7,5 2009 2010 2011* SAUDI-ARABIEN 1,1 4,2 4,4 2009 2010 2011* OMAN 3,9 6,0 5,1 4,7 2009 2010 2011* 8,0 3,4 2009 2010 2011* JEMEN SUDAN 2009 3,5 2,5 -4,7 2010 2011* DEUTSCHLAND BusinessReport 3/2011 27 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N VETTERNWIRTSCHAFT Die große Schlacht um Transparenz Die Bekämpfung der Korruption und die Aburteilung der Profiteure des Mubarak-Regimes stellt die ägyptische Justiz auf eine harte Probe. Es fehlt an Konzepten der Vergangenheitsbewältigung Von Kilian Bälz K Wie lange wird das Prinzip »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen«, wenn es um Korruption geht, in Ägypten wohl noch gelten? 28 BusinessReport 3/2011 eine Talkshow, keine Konferenz und keine Demonstration in Ägypten, ohne dass die Sprache auf die Korruption kommt: Was lange Zeit als Systemfehler geduldet wurde, wird jetzt als zentrales Problem des Landes erkannt. Verkäufe von Staatsland an private Investoren stehen auf dem Prüfstand. Transaktionen werden annulliert, Vertreter des Regimes und ihre Geschäftspartner zu erheblichen Gefängnisstrafen verurteilt. Der stellvertretende Ministerpräsident Ali al-Selmy will nun sämtliche Unternehmensprivatisierungen des letzten Jahrzehnts durch eine Kommission untersuchen lassen: Der Verschleuderung von Staatsbesitz und der Bereicherung politischer Funktionsträger müsse endlich Einhalt geboten werden. Das Ziel der Korruptionsbekämpfung ist konsensfähig – auch die internationale Gebergemeinschaft ist leicht dafür zu gewinnen. Bei näherem Hinsehen allerdings kommen Zweifel an den Erfolgen der Justiz. Die medienwirksamen Verurteilungen stehen juristisch oft auf tönernen Füßen. Und tragen kaum dazu bei, das systemische Problem anzugehen. Korruption liegt vor, wenn jemand einem staatlichen Entscheidungsträger einen Vorteil verspricht oder gewährt, um so eine Entscheidung zu beeinflussen. Das jedenfalls ist der Kerntatbestand gemäß OECD-Konvention und ägyptischem Strafgesetzbuch. »Private Parkraumbewirtschaftung« durch Polizisten, »Beschleunigungsgelder« bei der KfzZulassung und andere Aufmerksamkeiten gehören zum Alltag in Ägypten. Auch hier hat sich seit der Revolution einiges geändert: Es entsteht ein neues Problembewusstsein – auch wenn Prinzipien nur sporadisch gelebt werden. Zugleich besteht Einigkeit darin, dass die Alltagskorruption nicht das Hauptübel ist. Der Vorwurf trifft vielmehr die großen wirtschaftlichen Akteure, die Entwickler der Trabantenstädte, wie der Traumstadt »Madinati«, oder die Käufer privatisierter Staatsbetriebe, unter ihnen das ägyptische Traditions- R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N kaufhaus Omar Effendi, das 2006 an einen saudischen Investor ging. Viele Geschäfte genügen nicht den üblichen Transparenzanforderungen. Doch nicht immer erfolgten Zahlungen »unter dem Tisch«. In einer Gemengelage aus Profitund Machtinteressen innerhalb einer kleinen Gruppe von Entscheidungsträgern waren Transaktionen häufig zwar nicht im engen juristischen Sinn, aber doch relational miteinander verbunden. Unternehmer, die zugleich Parlamentsabgeordnete waren, beeinflussten die Spielregeln der Wirtschaft in einer für sie günstigen Weise. Verschleiern Kopplungsgeschäfte oft eine direkte Zuwendung, ist in dem zweiten Fall die Trennlinie schwieriger zu ziehen: Wo folgt ein zum Politiker mutierter Unternehmer seinem marktwirtschaftlichen Credo, wo nutzt er seine Macht zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken? Noch schwieriger wird es auf staatlicher Seite: Dort gedeiht der wirtschaftlich-politische Klientelismus auf dem Boden einer eingeschränkten Transparenz öffentlicher Haushalte. Große Teile des Etats sind der parlamentarischen Kontrolle effektiv entzogen und so genannten Sonderfonds zugewiesen. Nicht jede Haushaltsposition ist bar unterlegt – Ministerien generieren Einkünfte über eigens gegründete Zweckgesellschaften. Schattenhaushalte entziehen sich den Buchprüfern. Aber nicht jeder Verstoß gegen Vergabe- und Haushaltsrecht ist ein Straftatbestand. Die in der ägyptischen Wirtschaft verbreiteten korrupten Praktiken sind eingebettet in eine Kultur der Intransparenz, die sie hervorbringen und befördern. Strafrechtlich ist dieses System schwer zu fassen. Denn die nachweisbare Zahlung an den Funktionsträger zum Zwecke der Beeinflussung einer Entscheidung ist im Wirtschaftsverkehr eher die Ausnahme. Straftatbestände wie die Veruntreuung oder Verschwendung öffentlicher Mittel sind in vielen Fällen nicht einschlägig oder zu vage formuliert. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass die Versuche der Gerichte, Korruption juristisch aufzuarbeiten, oft unbefriedigend sind. Tatbestände wie »Verschwendung von Staatsmitteln« werden gedehnt. Auslän- dischen Investoren wie dem emiratischen Immobilieninvestor DAMAC wird zur Last gelegt, durch den Erwerb zu günstigen Baugrundes dazu Beihilfe geleistet zu haben. Alternativ dazu kursieren Vorschläge, den Tatbestand des Hochverrats aus den Jahren der nasseristischen Revolution zu reaktivieren, um politische Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen – ein Gesetz von 1952, das danach in Vergessenheit geraten war. Der Wunsch, die Korruption der Mubarak-Zeit gerichtlich aufzuarbeiten, ist juristisch schwierig einzulösen – jedenfalls nichts ohne rechtsstaatliche Kollateralschäden. Die Prozesse machen ausländischen Investoren Angst Erste Investoren, etwa DAMAC, haben sich gegen die Verurteilung an das »International Centre for Settlement of Investment Disputes« der Weltbank gewandt: Sie beklagen die Verletzung völkerrechtlicher Verträge über den Investitionsschutz, insbesondere den Schutz der »legitimen Erwartungen« eines Investors. Aber unter welchen Voraussetzungen darf ein Investor darauf vertrauen, dass die öffentliche Hand rechtmäßig handelt, wenn er ein marodes Staatsunternehmen oder eine Wüstenbrache zu einem Schnäppchenpreis erwirbt? Die Entscheidung in Sachen DAMAC wird mit Spannung erwartet und sie wird diese Diskussion prägen, auch über Ägypten hinaus. Bei der Transformation zur Demokratie muss die Vergangenheit »bewältigt« werden. Wie ein steiler Berg liegt sie zwischen der neu errungenen Freiheit und dem demokratischen System. In der Politik gibt es dafür verschiedene Modelle: Im Deutschland der Wendezeit etwa die Kombination aus GauckBehörde und Mauerschützenprozessen. In Lateinamerika Sondertribunale oder die Wahrheitskommission in Südafrika. All diesen Verfahren liegt die Einsicht zu Grunde, dass ein Systemwechsel eine Ausnahmesitu- >> Die Konten der Diktatoren Hosni Mubarak, Ägypten Pressemeldungen aus dem Frühjahr beziffern Mubaraks Vermögen und das seiner Familie auf bis zu 70 Milliarden US-Dollar. Der britische Guardian gab allerdings zu, dass einige Informationen bis zu zehn Jahre alt seien. Dazwischen lag die Finanzkrise. Schwer zu beziffern ist, was direkt aus der Entwendung öffentlichen Eigentums stammt, da Mubaraks Sohn Gamal auch erfolgreich als Investmentbanker operierte. Geld- und Immobilienvermögen in Höhe von 500 Millionen Dollar sperrte die Schweiz im Mai, zeitgleich mit Einlagen von Tunesiens Ben Ali und Libyens Gaddafi. Bislang hat die Übergangsregierung in Kairo, trotz Anfrage, auf das Geld keinen Zugriff. ≠BusinessReport 3/2011 29 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Das Schiedsurteil um DAMAC wird einen Weg weisen ation darstellt, die mit Bordmitteln nicht zu bewältigen ist. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Straftaten, die unter dem alten Regime begangen und damals aus Gründen der politischen Opportunität nicht geahndet wurden, sollten verfolgt werden. Nur darf man sich davon nicht zu viel für die Zukunft versprechen. Es gilt, die individuelle Strafverfolgung mit einer kollektiven Vergangenheitsbewältigung zu verknüpfen. Im wirtschaftlichen Bereich fehlt es da an Vorbildern. Es gibt keine Modelle, wie eine als »Crony Capitalism« bezeichnete Günstlingswirtschaft in eine transparente, soziale Marktwirtschaftwirtschaft überführt werden kann. Aber es gibt erste Diskussionsansätze: etwa die Überlegungen, bei umstrittenen Landzuteilungen und Privatisierungen das Strafverfahren durch Nachzahlungen in die Staatskasse zu ersetzen. Eine »Freikaufslösung«, die Geld in den öffentlichen Haushalt spülen soll. Die Erwerber günstigen Baugrundes und unterbewerteter Staatsunternehmen müssen die Differenz zum Marktwert nachzahlen, und möglicherweise eine Geldbuße obendrauf. Aber das Geschäft bleibt bestehen. Dadurch kuriert man aber letztlich an Symptomen, weil die Strafverfahren das Vertrauen internationaler Investoren in den ägyptischen Markt erschüttert haben – die internationalen Direktin- vestitionen sind im ersten Quartal 2011 um 75 Prozent zurückgegangen. Die Aufgabe, die öffentlichen Finanzen und das wirtschaftliche System neu zu ordnen, hat erst begonnen. Denn nachhaltig lässt sich die Korruption in der Wirtschaft nur bekämpfen, wenn ein Systemwechsel gelingt. Und Ägypten wird die Standards für die Nachbarländer setzen. Auch die internationale Gemeinschaft ist hier gefordert. Es gilt Konzepte zu entwickeln, die die strafrechtliche Aburteilung um eine systemische Aufarbeitung ergänzen. Diese müssen die enge Perspektive des Strafrechts verlassen und bei einer Reform der öffentlichen Finanzen ansetzen. Die Organisation Transparency International etwa schlägt vor, den Rechnungshof und die Rolle des Parlaments in der Kontrolle der öffentlichen Finanzen zu stärken – ebenso ein neues Informations- und Klagerecht für die Bürger einzuführen. Entscheidend wird sein, diese Konzepte in der lokalen Wirtschafts- und Rechtskultur zu verankern. Die Schlacht um Transparenz ist mit der Bestrafung einzelner Regierungsund Wirtschaftsvertreter nicht gewonnen. Kilian Bälz ist Partner bei Amereller Rechtsanwälte. Von Kairo und Dubai aus berät der promovierte Jurist internationale Unternehmen bei Investitionen in der MENA-Region (Kontakt: [email protected]). Ausgewählte Wirtschaftsdaten Ägypten Bruttoinlandsprodukt in Milliarden US-Dollar Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 Handelsbilanz -14,4 -13,3 -11,5 -9,7 -2,9 Export von Gütern 18,0 13,3 10,9 11,5 10,4 Import von Gütern 32,4 26,6 22,4 21,2 19,9 Dienstleistung 8,4 6,5 6,7 3,9 3,8 Faktoreinkommen 0,8 0,1 -2,0 -1,8 -1,7 Währungstransfers 5,7 4,4 4,8 4,5 4,4 Leistungsbilanz 0,5 -2,3 -2,0 -3,2 -2,9 2007 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 130,3 162,4 188,6 218,5 231,1 251,9 Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent 7,1 Quelle: Ägyptische Zentralbank und CAPMAS. (1 Schätzungen 30 BusinessReport 3/2011 7,2 Quelle: IWF. (1 Schätzungen 4,7 5,1 1,0 4,0 Foto: Wer??? *HPHLQVDPJHKW¶VOHLFKWHU 'HQQ*HPHLQVFKDIWVFKDɆW 9HUWUDXHQXQG6LFKHUKHLW :RKLQ6LHGHU:HJDXFKNQIWLJIKUHQZLUGZLUVLQGDOVYHUOlVVOLFKHU 3DUWQHUDQ,KUHU6HLWH²XQGVWHOOHQGLH$EVLFKHUXQJ,KUHUEHWULHEOLFKHQ 5LVLNHQÁlFKHQGHFNHQGLQJDQ]'HXWVFKODQGRGHUZHOWZHLWLQPHKUDOV /lQGHUQVLFKHU8QVHUHGH]HQWUDOH6WUXNWXUJDUDQWLHUW,KQHQLQDOOHQ%HODQJHQ NXU]H:HJHXQGGHQGLUHNWHQ'UDKW]XXQV :LUVLQGDOVRLPPHUIU6LHQDK :LUGHQNHQZHLWHU ZZZKGLJHUOLQJGH LQGXVWULH R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N ARBEITSVERMITTLUNG Der Zamalek-Pakt Modell-Jobcenter und 5000 Ausbildungsstellen bis Oktober: Mit einem »National Employment Pact« lassen sich deutsche Unternehmen in Ägypten in die Pflicht nehmen. Aber was steckt hinter diesem Beschäftigungsplan und ist er mehr als eine Geste guten Willens? Von Rober t Chatterjee V on seinem Kairoer Büro aus konnte Rainer Herret Anfang Februar tagtäglich beobachten, wie sich Ägypten veränderte. So schnell, dass er sich das eine oder andere Mal die Augen rieb. In der Luft lag Tränengas. Schließlich gesellte sich der Geschäftsführer der deutsche Industrie- und Handelskammer Nahost (AHK MENA) zu den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz. Für zenith schrieb er einen Gastkommentar mit dem Titel »Wenn sich Leistung wieder lohnt«. Aber wie kann man den Ägyptern Gelegenheit geben, das auch zu beweisen? In der deutschen Botschaft auf der Nilinsel Zamalek am 29. März traf Herret auf Gleichgesinnte unter den »Vertretern der deutschen Wirtschaft«. Große politische und soziale Projekte sind naturgegeben nicht das Betätigungsfeld ausländischer Firmen, die vor allem eines im Sinn haben: Geld verdienen. Aber die strukturellen Probleme der ägyptischen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, die letztendlich die Revolution befeuerten, kannten viele von ihnen aus eigener Erfahrung. »Wir wussten auch vorher«, so sagt Herret, »dass da etwas grundlegend nicht stimmte.« Die Revolution hat viele in der deutschen Business-Community nachdenklich gestimmt. »Der Privatsektor muss seiner Verantwortung gerecht werden«, fordert Naguib Sawiris, Präsident der AHK Noch steht Ägypten auf der schwarzen Liste 32 BusinessReport 3/2011 MENA und einer der bekanntesten Unternehmer Ägyptens. Ende März war die Anfangseuphorie längst verflogen, als landesweit Streiks die ohnehin gebeutelte Wirtschaft zu erlahmen drohten. Und so besiegelten am 29. März AHK MENA und Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein »National Employment Pact« (NEP) für den Partner Ägypten – eine Mischung aus Aktionsprogramm und Strukturplan, das in dieser Form bislang einmalig ist. Der NEP versteht sich explizit als Initiative der Privatwirtschaft. Schirmherr ist allerdings ein Staatsbeamter: der deutsche Botschafter Michael Bock. Unternehmen, Verbände und Ministerien sollen an einem Strang ziehen – und so auch einen positiven Präzedenzfall schaffen. Gleich zu Beginn konnte die Initiative Schwergewichte – und mögliche Zugpferde – wie Siemens, BASF und Mercedes-Benz für ein so genanntes »NEP Core Team« gewinnen. Die NEP-Strategie soll Stellen schaffen und Arbeit vermitteln – durch Jobcenter wie in Deutschland. Die GIZ soll Jobvermittler ausbilden – ein Berufsbild, dass es in Ägypten so bislang nicht gibt. Zwar suchen auch dort einige Headhunter nach Führungskräften, am unteren Ende der Verdienstpyramide vermitteln Agenturen auch Wanderarbeiter. Aber für den Bereich dazwischen sind praktisch keine Strukturen vorhanden. Zumindest keine formellen, schließlich zählten bei der Jobvermittlung in Ägypten persönliche Beziehungen, R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N familiäre Seilschaften zu Eliten in Wirtschaft, Verwaltung und – nicht zuletzt – zum Militär. Das schlägt sich auch in der Qualität der Bewerber, und ihrer Bereitschaft sich überhaupt zu bewerben, nieder. Deutsche Unternehmer in Kairo bekommen nur selten einen brauchbaren Lebenslauf oder ein aussagekräftiges Bewerbungsschreiben auf den Tisch. Seit Juli nun startet die GIZ-Ausbildung der ersten 20 Arbeitsvermittler, die in Modell-Jobcentern ägyptischen Schulabgängern, Hochschulabsolventen und Arbeitslosen bei Bewerbungen helfen sollen. Ein vorrangiges Problem: Der Arbeitsmarkt müsste erst einmal abgebildet werden. Das Statistikamt veröffentlicht zwar quartalsweise Zahlen, erfasst damit aber nur einen Bruchteil der tatsächlich arbeitsfähigen Bevölkerung. Für das erste Quartal 2011 wurde eine Erwerbslosenquote von 11,9 Prozent ausgewiesen – ein Anstieg um 3 Prozent gegenüber Dezember 2010 und der höchste Wert seit zehn Jahren. Zieht man die Arbeitsmarktdaten des »Egypt Human Development Report 2010« der UNDP hinzu, lässt sich erahnen, dass die Dunkelziffer höher liegt. Da Arbeitslose in Ägypten nicht mit staatlichen Zuwendungen rechnen können, melden sich viele gar nicht erst als solche. Neben »erwerbslos« führen die Behörden noch eine andere Kategorie: »nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar«. Unter den 18- bis 29Jährigen liegt dieser Wert bei 58,5 Prozent. Eine zentrale Datenbank muss also her, die die Lücke zwischen Arbeitsgesuch und Jobangebot schließen und in Kooperation mit dem ägyptischen Arbeitsministerium angelegt werden soll. Während die Modell-Jobcenter bereits ausgebildete Arbeitssuchende in Lohn und Brot bringen sollen, steht das zweite Standbein der NEP-Initiative auf Ausbildung in Handwerk und Industrie: Die Unternehmen aus dem »NEP Core Team« haben sich verpflichtet, bis Oktober 2011 die Zielmarke von 5000 neuen Ausbildungsstellen zu erreichen. Insgesamt verzeichnet die AHK MENA 2200 Mitgliedsfirmen, die sie nach und nach für das NEP-Konzept gewinnen will. Wer sich an der NEP beteiligen will, muss allerdings soziale Standards einführen: bei Arbeitsbedingungen, Gehältern und Vertragsgestaltung. Die Parameter der sozialen Gerechtigkeit sieht Herret als Bedingung für eine nachhaltige Wirkung der NEP-Initiative. So könne man eine hohe Akzeptanz bei den ägyptischen Arbeitssuchenden erreichen, die der NEP anstrebt. Bei den Unternehmen ist das Echo bisher gespalten. »Ausländische, darunter auch die deutschen, Unternehmen, produzieren meist für den Weltmarkt«, sagt Herret. »Deswegen sind für sie gute Produktionsbedingungen und Unternehmensführung wichtig. Sie zahlen meist ohnehin schon besser.« Ägyptische Firmen hingegen wehrten sich noch vehement gegen Forderungen nach Mindestlohn und Versicherungsschutz – ein Grund dafür, dass Ägypten noch immer auf der »schwarzen Liste« der Weltarbeitsorganisation (ILO) steht. »Die ägyptische Business-Community sollte erkennen, dass es in ihrem besten Interesse ist, ein System des inklusiven Wachstums zu schaffen – eine soziale Marktwirtschaft«, sagt Naguib Sawiris und warnt: »Wer diese Voraussetzung für den Strukturwandel nicht akzeptiert, wird die Zukunft verlieren.« Das sind staatstragende Worte – allerdings hat Sawiris den familieneigenen Konzern Orascom Telecom noch nicht auf die Rahmenbedingungen der NEP verpflichten können. Und das ist nicht das einzige Problem: Ministerwechsel, politische Unsicherheit und das Fortbestehen alter Machtstrukturen in Wirtschaft und Verwaltung verlangsamen das Fortkommen und machen es schwer, interessierte Unternehmen langfristig zu binden. Viele haben derzeit ganz andere Sorgen. Herret ist dennoch optimistisch: »Wir schauen auf den Oktober. Bis dahin wollen wir 5000 Ausbildungsstellen geschaffen und etwa 300 Arbeitsvermittler geschult haben.« Sollte die NEP Erfolg zeigen, würden auch Firmen aus anderen westlichen Ländern auf den Zug aufspringen – und letztlich auch die ägyptischen Unternehmen. »Uns ist klar, dass NEP kein deutsches Einzelspiel bleiben kann. Wir sehen uns als Vorreiter – und das NEP-Konzept als Franchise.« Erfolgsbedingung soziale Marktwirtschaft BusinessReport 3/2011 33 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N BILDUNGSMARKT Nordafrika sucht seine Meister Die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Maghreb zählt zu den Triebfedern der Unruhen des Arabischen Frühlings. Zahlreiche Programme sollen Universitätsabsolventen ihren Berufseinstieg erleichtern. Ausbildungsberufe wurden zu lange vernachlässigt – obwohl durchaus Personalbedarf besteht Von Nils Me tzger und D aniel Ger lach D as Fensterglas sollte eigentlich schalldicht sein, dennoch hört man es rauschen und knattern. Kein Wunder, denn die Nähmaschinen der Firma MAHDCO Corseterie im tunesischen Küstenort Mahdia machen einen gewaltigen Lärm. »Die Revolution hat das Land verändert, aber unsere Produktion läuft ordentlich«, sagt Hamza, der sonst eher zu bescheidenen Worten neigt. Schließlich identifizierten sich seine rund 250 Arbeiterinnen und Arbeiter mit dem Betrieb. Während der dramatischen Tage nach dem Sturz des ExDiktators Ben Ali, als ein Gefängnisbrand mit vielen Toten und entflohenen Häftlingen die Stadt Mahdia in Aufruhr versetzte, seien die Näherinnen mit ihren Männern und Söhnen zur Fabrik gekommen, um sie gegen Plünderer zu schützen. MAHDCO produziert Unterwäsche und Bikinis für europäische Dessousmarken wie Kookai, Lejaby oder die Calida-Tochter Aubade. An den Wänden hängen Werbeplakate mit leicht bekleideten Modellen in lasziven Posen, darunter nähen und falten Damen mit henna-bemalten Händen und Kopftüchern Höschen für die Herbstkollektion. Jede Stunde geht eine Vorarbeiterin mit einem dicken Filzstift an die Tafel und schreibt die 34 BusinessReport 3/2011 aktuellen Produktionserfolge an: Stückwaren, Retuschen, Fehlerquoten. Je nachdem schaltet sie dann eine grüne, gelbe oder rote Lampe an. Um einen Büstenhalter in betriebswirtschaftlich rentabler Zeit so zu nähen, dass er weder aufgeht noch beim Tragen zwickt, muss man sehr fingerfertig sein – nicht aber unbedingt Textilwirtschaft studiert haben. »Um die Ausbildung von Facharbeiterinnen müssen wir Unternehmer uns selbst kümmern und uns in Zukunft viel besser organisieren«, sagt Hamza, der 1992 einen Staatskredit aufnahm und seine erste Fabrikhalle aufbaute – gemeinsam mit einem französischen Partner. Ihm selbst gehören heute 80 Prozent der Anteile am Unternehmen. Das Design und die Aufträge kommen aus Europa – vor einigen Jahren baute Hamza unter dem Markennamen Mia Kara seine eigene tunesische Linie auf. »Der Zeitpunkt war allerdings etwas ungünstig: Als wir an den Markt gingen, legte die Weltfinanzkrise 2008 die Exportwirtschaft lahm«, sagt er. Dennoch: MAHDCO kann als Erfolgsgeschichte gelten. Hamza ist nicht nur stolz auf die Qualität seiner Ware, sondern auch darauf, dass er seinen Arbeiterinnen einen Tariflohn von mindestens 300 Euro im Monat zahlt. Das liegt über den Lohnkos- R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Foto: dge Die Firma MAHDCO in der tunesischen Hafenstadt Mahdia produziert Dessous für europäische Designermarken. Korn, weil sie ausreichend qualifizierte Facharbeiter und Handwerker noch immer aus der Heimat einfliegen müssen. Das ist keine unmittelbare Folge der politischen Verhältnisse, aber es fällt bei der Abwägung allgemeiner Risiken, Erträge und Kosten nun stärker ins Gewicht. Gleichzeitig schwankt die Jugendarbeitslosigkeit in der Region laut einer Studie der »European Training Foundation« aus diesem Jahr zwischen 15 und 39 Prozent. Während in Ägypten die Berufsbildung 61 Prozent des höheren sekundären Bildungswesens einnimmt, sind es in Marokko lediglich 5 Prozent, in Algerien gerade einmal 0,8 Prozent. Auch kommen in Algerien 20,2 Schüler auf einen Ausbilder – Ägypten erreicht hier immerhin einen Wert von 12,4. Die Konten der Diktatoren Zine El Abidine Ben Ali, Tunesien »Es gibt zu viele Akademiker« ten in China, macht den Produktionsstandort Tunesien aber noch immer konkurrenzfähig – zumal die Nähe zu Europa es erleichtert, kurzfristige Bestellungen zu bedienen. Müsste die Firma nicht zahlreiche Komponenten wie Spitzen, Gummizüge oder BHVerschlüsse aus Europa importieren, könnte sie noch schneller auf die Wünsche der Kunden reagieren. Auch die Arbeit höher qualifizierter Fachkräfte – am Ende sogar das Design – könnte einmal in Tunesien erledigt werden. »Wir haben hier keine Rohstoffe, unser Kapital muss in die Ausbildung von Menschen fließen«, sagt der Fabrikbesitzer: Das nennt man wohl »in die Demokratie investieren«. Das Feuer der Revolution, das von Tunesien ausging, wirft derzeit nicht nur Licht, sondern auch Schatten auf die Wirtschaft in Nordafrika. Während die marokkanische Hafenstadt Tanger freudig der Eröffnung einer neuen Autofabrik der Hersteller Nissan und Renault im Jahr 2014 entgegenblickt, werfen in manch anderen nordafrikanischen Staaten europäische Firmen frustriert die Flinte ins Auch deutsche Ausbildungsunternehmen mit Projekten in der Region bestätigen diese großen Qualitätsunterschiede. Die Lucas Nülle GmbH liefert Ausbildungsgeräte insbesondere für Messtechniker an Trainingszentren weltweit. Manfred Masson, Verkaufsleiter für Nordafrika, beklagt dabei insbesondere die Unterfinanzierung des beruflichen Bildungssektors: »Zuletzt wurde in Tunesien vor 15 Jahren ausreichend investiert. Die Lehrkräfte dort sind sehr gut, die Arbeitsgeräte aber nur mangelhaft.« Auch von politischen Veränderungen erhofft er sich nicht viel. »Die Umbrüche werden keinen positiven Effekt haben. Stattdessen werden sich europäische Unternehmen mehr und mehr zurückziehen«, sagt Masson im Gespräch mit zenith. Nader Imani, verantwortlich für das Auslandsgeschäft beim Qualifizierungsanbieter Festo Didactic, wirft manchen Staaten Nordafrikas eine verfehlte Bildungspolitik vor. »Die berufliche Bildung Tunesiens wird, verglichen mit der akademischen, nur wenig gefördert. Außer europäischen Hilfsgeldern wird nichts Im Vergleich zu seinen Diktatorenkollegen ist Ben Ali ein kleiner Fisch. Sein persönliches Vermögen wird auf 7,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Seine Familie und die seiner Frau Leila Trabelsi sollen aber immerhin 30 bis 40 Prozent der tunesischen Wirtschaft kontrolliert haben, auch den Handel mit vielen europäischen Unternehmen. 75 Millionen Dollar Vermögen von Ben Ali und Co sperrte die Schweiz im Mai, darunter nicht nur Geld, sondern auch Immobilienvermögen. Eine Entscheidung, was mit dem Geld geschehen soll, steht aus. Die Anteile an Telekommunikationsfirmen werden vermutlich verstaatlich und danach versteigert. >> BusinessReport 3/2011 35 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Foto: dge investiert und der Bedarf der Wirtschaft ist wie in allen anderen nordafrikanischen Staaten nicht gedeckt.« Es gebe schlicht »zu viele Akademiker«, sagt Imani. Der beruflichen Bildung müsse man wieder ein Prestige geben. Am besten ausgebaut sei Marokko: Hier habe Festo Didactic zusammen mit der staatlichen Behörde für Berufsbildung seit 1992 rund 18 000 Jugendliche in verschiedenen Technikerberufen ausgebildet. Dabei habe man auch gemerkt, dass sich viele lokale Arbeitgeber nur schwer in die staatlichen Ausbildungsprogramme eingliederten. Desolat hingegen ist die Lage in Algerien. Der bevölkerungsreichste Adnene Hamza ist Mitinhaber Maghreb-Staat habe es bislang nicht und Geschäftsführer des Kosetteriegeschafft, eine landesweit einheitlibetriebs. Er nutzte die che Berufsbildung aufzubauen. »Wir Chancen eines Staatskredits. wollten mit Algerien kooperieren, aber ohne Bestechung kommt man nicht weit«, bedauert Imani. Das Land sei isoliert und ohne politische Veränderung könne keine Besserung erwartet werden. Nokia Siemens Networks unterhält in Tunis seit 2007 ein bedeutendes Trainings- und Service- zentrum. Kundenanfragen aus dem gesamten französischsprachigen Afrika werden hier bearbeitet. Von den politischen Unruhen sei man »überrascht gewesen«, berichtet Afrika-Verkaufsleiter Houssem Ben Othman. In Tunesien könne die politische Veränderung aber Besserung bewirken: In den letzten Jahren ist Tunesien bei der Verbreitung moderner Internetanschlüsse zurückgefallen. Da diese Hightech-Branche aber inzwischen zu einem der wichtigsten Arbeitgeber geworden sei, erhoffe man sich von der aktuellen Regierung wichtige Reformen und Investitionen. Pragmatisch blickt auch die deutsche Außenhandelskammer in Tunis in die Zukunft. Seit Juni 2011 werden hier in Kooperation mit dem GoetheInstitut sechsmonatige Deutschkurse für bis zu 40 junge Arbeitnehmer angeboten – anschließend sollen sie über eine Jobbörse an lokale Unternehmen vermittelt werden. Für AHK-Mitarbeiterin Martina Schubert ist dieses Projekt »einer der Auswege aus der Misere der Jugendarbeitslosigkeit«. Deutsche Unternehmen hätten sich mehrfach gewünscht, vor Ort deutlich mehr Angestellte mit Deutschkenntnissen beschäftigen zu können. Kritisiert werde auch, dass das Auswendiglernen noch immer den Lehrbetrieb dominiert. Doch vielleicht gewinnt das eigenständige Handeln durch die Revolution auch in der beruflichen Bildung zukünftig Anerkennung. Ausgewählte Wirtschaftsdaten Tunesien Bruttoinlandsprodukt in Milliarden US-Dollar Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 Handelsbilanz -8,9 -8,5 -10,9 -12,4 -11,6 Export von Gütern 42,7 33,1 33,7 33,4 33,6 Import von Gütern 51,7 41,6 44,6 45,8 45,3 Dienstleistungsbilanz 5,9 5,8 6,3 4,8 6,1 Faktoreinkommen -1,2 -0,7 -0,6 -0,6 -0,6 Währungstransfers 0,5 0,5 0,6 0,7 0,6 Leistungsbilanz -3,8 -2,8 -4,7 -7,6 -5,6 2007 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 38,9 44,9 43,5 44,3 46,6 49,0 Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent 6,3 Quelle: Tunesische Zentralbank. (1 Schätzungen 36 BusinessReport 3/2011 4,5 Quelle: IWF. (1 Schätzungen 3,1 3,7 1,3 5,6 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N KONZESSIONEN Foto: www.imtwelve.com Sturm über dem Elefantenfeld Ausländischen Industriekonzernen kam der Aufstand in Libyen eher ungelegen, denn das Geschäft mit Staatsprojekten boomte. Was nun aus den Verträgen wird? Unter den Großen herrscht das Motto: Verluste abschreiben und im Business blieben Bei Ras Lanuf, einem der wichtigen Ölstandorte Libyens, brennen im März die Raffinerien. Dreimal wechselten die Anlagen im Bürgerkrieg den Besatzer. Von Alex ander von Hahn A ls die ersten ausländischen Journalisten im Februar 2011 die Front zwischen den libyschen Rebellen und Gaddafis Truppen sahen, wunderten sie sich über den Anblick einer nagelneuen Geisterstadt in der Nähe der Ölraffinerie von Ras Lanuf. Die Siedlung – von Bombardements weitgehend unbeschädigt – war wenige Wochen zuvor fertiggestellt worden: Hunderte Arbeiter und Ingenieure sollten dort Quartier beziehen, um Eisenbahnschienen zu verlegen. Im Februar 2008 hatte die Gaddafi-Regierung die staatliche russische Eisenbahngesellschaft RZD zum Bau einer 550 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Sirte und Benghazi verpflichtet – mit 30 Eisenbahn- und 23 Straßenüberführungen sowie 23 Haltestellen für Fracht und Passagiere. Gesamtkosten: rund 2,2 Milliarden US-Dollar. In Ras Lanuf sollte ein Schweißwerk mit einer jährlichen Produktionskapazität von 700 Schienenkilometern den Betrieb aufnehmen. Natürlich hat RZD seine Mitarbeiter längst abgezogen. »Wir unterhalten derzeit noch ein Verbindungsbüro in Tripolis, haben aber keinen Kontakt mehr zur Regierung«, sagte Mitte August ein Unternehmenssprecher im Gespräch mit zenith, »jetzt können wir nur hoffen, dass das ganze Equipment heil bleibt – vor allem die 200 Fahrzeuge, die wir in den letzten zwei Jahren nach Libyen geschafft haben.« Der Aufstand machte vielen internationalen Konzernen einen Strich durch die Rechnung – das große Geschäft lässt auf sich warten und hohe Investitionssummen, die auf Verträgen mit dem alten Regime beruhen, stehen auf dem Spiel. 2009 hatte Tripolis einen Vierjahresplan verkündet: 100 Milliarden Dollar sollten in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Im Juni 2010 folgte das nächste Programm: 52 Milliarden für Immobilienbauten. Laut einer Studie des britischen Wirtschaftsdienstes UKTI galt Libyen als >> BusinessReport 3/2011 37 R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N Die Konten der Diktatoren Muammar al-Gaddafi, Libyen Aus von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass das US State Department das Vermögen des Gaddafi-Clans auf 120 Milliarden US-Dollar schätzt. Zum Besitz der Gaddafis im Großbritannien gehören Immobilien im Londoner Theater- und Shopping-Distrikt West End (455 Millionen Dollar) und Anteile an der Verlagsgruppe Pearson (325 Millionen Dollar), die unter anderem die Financial Times und Penguin Books besitzt. Im März bereits beschlagnahmten die USA 31 Milliarden, Kanada 2,4 Milliarden, Österreich 1,7 und Großbritannien 1 Milliarde Dollar. Von den in Deutschland eingefrorenen 7 Milliarden Euro wurden noch vor dem Ende Gaddafis 100 Millionen dem Übergangsrat der libyschen Rebellen wieder zur Verfügung gestellt. 38 BusinessReport 3/2011 »potenziell viertbester Überseemarkt für britische Exporte in den Jahren 2012 bis 2014.« Nicht nur britische Firmen wie der BauConsulter Hill International kamen ins Land. Auch die österreichische Strabag, Odebrecht aus Brasilien, Arab Contractors aus Ägypten und die kanadische SNC-Lavalin führten die Liste der Auftragnehmer an. Der Bürgerkrieg hat deren Arbeit zum Erliegen gebracht – nicht zuletzt, weil die Gastarbeiter aus Ägypten, Bangladesch und den Sahelstaaten aus dem Land geflohen sind. »Es war nie einfach, in Libyen zu arbeiten«, sagt ein britischer Bauingenieur, der Anfang März in die Heimat zurückgekehrt ist. »Ich hoffe, das ist alles schnell vorbei und eine neue Regierung übernimmt die Macht, dann können wir weitermachen und unser Büro vergrößern.« Weitermachen, das scheint für viele ausländische Konzerne nur eine Frage der Zeit zu sein. Sie wissen: Libyen braucht ihre Leistung und hat genug Öl, um dafür zu bezahlen. Das Problem: Diese Voraussetzung bot auch der Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003. Und dort kamen die Dinge bekanntlich anders als erhofft. Weitermachen ist nur eine Frage der Zeit Der russische Energieriese Gazprom hatte gute Karten in Libyen und einige Konzessionen: darunter die lukrativen OffshoreGasförderblöcke 19 und 64. Durch einen Aktientausch mit der deutschen BASF im Dezember 2007 erwarb Gazprom auch 49 Prozent der Anteile an zwei weiteren bedeutenden Konzessionen. Nur wenige Tage vor Beginn des Aufstands in Benghazi im Februar unterzeichnete Zarubezhgeologica B.V., die Öl-Tochter von Gazprom, mit der italienischen Mineralölfirma Eni für 163 Millionen Dollar die Übernahme einer 33-prozentigen Beteiligung im so genannten Elefantenfeld 800 Kilometer südlich von Tripolis. Im Mai übernahmen die Rebellen die Kontrolle über das lukrative Ölfeld. Im Namen von Zarubezhgeologica, das in Nordafrika aktiv ist, bestätigt Unternehmenssprecher Ivan Gogolev dass die Arbeit eingestellt sei, bis sich die politische Lage klärt. »Wir fördern Öl und Gas und mischen uns nicht in Politik ein«, sagt Gogolev gegenüber zenith, »deshalb warten wir, bis die Libyer die Sache unter sich ausgemacht haben.« Wann die Förderung in Libyen nach dem Ende des Bürgerkrieges weiter gehen könnte, dazu haben die ausländischen Konzerne sehr verschiedene Prognosen – wenn sie sich überhaupt festlegen wollen. Eigentlich könne man die Situation nur beobachten und versuchen, sich so gut es geht auch um die libyschen Mitarbeiter zu kümmern, teilte Rainer Seele, Vorstandschef der deutschen BASF-Tochter Wintershall, vor kurzem mit. Wintershall ist Gazprom-Partner im »Elefantenfeld«. Vor Ausbruch des Krieges produzierte Libyen rund 1,55 Millionen Fass Rohöl täglich. Die Produktion könne in maximal zwei bis drei Wochen nach Beendigung des Krieges wieder aufgenommen werden, so zitierte Energiewirtschaftsdienst Argus Media kürzlich den Finanzminister des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, Ali Tarhouni. Zumindest 50 Prozent könnten so kurzfristig nach dem Sturz Gaddafis erreicht werden. Wintershall-Sprecher Stephan Neu bestätigt diese Einschätzung für zenith: Sofern die Ausrüstung nicht beschädigt sei, könne man sogar innerhalb einer Woche wieder Öl pumpen. Die spanische Repsol, die gemeinsam mit dem Total-Konzern und der österreichischen OMV im »Sharara«-Feld bohrt, rechnet indes laut Argus Media mit vier Wochen bis zum Produktionsbeginn. Das Feld lieferte zuvor 350000 Barrel pro Tag. Spanien deckte bislang rund sieben Prozent seines Verbrauches mit libyschem Öl. Am schwersten hat es offenbar die italienische Eni getroffen. Aus dem Konzern heißt es, dass es bis zu zwölf Monate dau- R E N D I T E D E R R E VO LU T I O N ern könne, bis die Produktion wieder anläuft. Derartige Äußerungen haben in der jetzigen Lage aber auch eine strategische Dimension – Eni galt als besonders eng verbandelt mit dem GaddafiRegime. Ob Investoren sich bei Verlusten an Material und Geld auf Investitionsschutzabkommen berufen können, ist fraglich. Klar hingegen: Nach dem Regimewechsel ist es womöglich schwer zu beweisen, wer für die Zerstörungen verantwortlich ist – Gaddafis Truppen oder die Rebellen; Staatsvertreter oder Einzelpersonen, vor denen der Staat die Anlagen nicht schützen könnte. Libyen hat insgesamt 30 bilaterale Handelsabkommen unterzeichnet, 17 davon sind in Kraft: unter anderem mit Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Russland. Schon jetzt haben viele den Schaden abgeschrieben. »Unser Kunde schaut nicht auf Schadensersatz, sondern will vor allem weiter im Libyengeschäft bleiben und sich dort womöglich ausdehnen«, sagt der Anwalt eines großen Immobilienentwicklers mit Sitz in Malta. Und was wird aus den Investitionen Libyens in Europa? Diese Frage stellen sich derzeit vor allem die Italiener. In den vergangenen zehn Jahren hat die libysche Auslandsinvestitionsagentur LAFICO Anteile an »Jetzt können wir nur hoffen, dass das Material heil bleibt« Fiat und der Rüstungsfirma Finmeccanica erworben. Libyen pumpte 360 Millionen Dollar in den Ölgiganten Eni und besitzt zwei Raffinerien in Neapel und Cremona. Nicht zu vergessen die 7,5 Prozent Anteile am Fußballverein Juventus Turin. In Großbritannien kaufte LAFICO vor allem Immobilien: für insgesamt acht Milliarden Dollar, wie die Fondsgesellschaft 2010 verkündet hatte. Der britischen Regierung, die durch Verkauf von Immobilien den Staatshaushalt ausgleichen wollte, kam das nicht eben ungelegen. Den Banken Goldmann Sachs, Royal Bank of Scotland und HSBC vertraute Gaddafi mehrere hundert Millionen seiner Staatsgelder an. Und auch in Deutschland hat der libysche »Volksstaat« noch Besitz: Insgesamt 400 Tankstellen und die Holborn-Raffinerie in Hamburg, die zur Tamoil-Gruppe gehören – mit einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro. Wem diese Anteile nun eigentlich gehören? Bislang waren Gaddafi und das Volk sozusagen ein und derselbe Eigentümer. Privates und staatliches Eigentum zu trennen, wird die vordringlichste Aufgabe gleich welcher Regierung sein, die fortan Libyens Geschicke lenkt. Ausgewählte Wirtschaftsdaten Libyen Bruttoinlandsprodukt in Milliarden US-Dollar Entwicklung und Prognosen zur Leistungsbilanz in Prozent vom BIP 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 Handelsbilanz 50,6 25,6 32,9 18,0 25,9 Export von Gütern 77,7 62,8 67,6 58,5 63,3 Import von Gütern 27,1 37,2 34,7 40,5 37,4 Dienstleistungsbilanz -3,1 -5,5 -3,1 -3,2 -2,8 Faktoreinkommen 0,9 1,0 0,4 1,0 1,2 -1,3 -2,6 -1,8 -2,0 -1,6 47,0 18,5 28,4 13,7 22,7 Währungstransfers Leistungsbilanz 2007 2008 2009 2010(1 2011(1 2012(1 71,6 88,9 60,2 74,2 60,1 69,8 Veränderung im Vergleich zum Vorjahr in Prozent 7,5 Quelle: Central Bank of Libya. (1 Schätzungen 2,3 -2,3 4,2 -19,0 16,0 Quelle: IWF. (1 Schätzungen BusinessReport 3/2011 39 TÜRKEI Foto: Hadiye Cangokce »Istanbul Wall Painting« von Jerry Ceniuk: In den Chef-Etagen hängen schon jetzt Kunstwerke zur Besichtigung – wochenends müssen die Manager dafür ihre Schreibtische aufräumen. MÄZENE Tulpen, Stahl und Hindemith Istanbuls Industrielle fahren gut mit der Regierungspartei AKP, auch wenn sie mit deren provinziellem Kulturverständnis nichts anfangen können. Sie gründen deshalb selbst Museen und Orchester, wie das Beispiel der Borusan-Gruppe zeigt Von Sonj a He gasy 40 BusinessReport 3/2011 TÜRKEI Foto: Wer???? Foto: Borusan 17 Millionen Türkische Lira – rund 8 Millionen Euro – gibt Istanbul jährlich für 17 Millionen Tulpen aus, um das Stadtbild zu verschönern. Annähernd die gleiche Summe investiert die Borusan Holding dort in Kunst und Kultur. Sie finanziert ein philharmonisches Orchester unter Leitung des österreichischen Dirigenten Sascha Goetzel, Kinderbibliotheken, das MusicHouse und in Zukunft wohl auch ein Museum für die private Kunstsammlung von Ahmet Kocabiyik. Die Borusan Holding ist einer der größten Industriekonzerne im Land. Ahmets Vater, Asim Kocabiyik, gründete das Unternehmen 1944. Er brachte es »vom Obstverkäufer zum Millionär« und rief 1992 die Stiftung Borusan Kocabiyik ins Leben. Fünf Jahre später folgte das Borusan Center for Culture and Arts (BCCA), das Musikstipendien vergibt, einen Kinderchor fördert und einen Dirigent Sascha Goetzel mit dem Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra. eigenen Kunstverlag betreibt. Seit 2006 ist der Konzern Hauptsponsor des International Istanbul Music Festivals. »Aus der Staatsschatulle gibt es keinen Cent für klassische Musik«, sagt Serhan Bali, Chefredakteur von Andante, einem Partner von BMW, EnBW und Mannesmann türkischen Magazin für klassische Musik. Umso wichtiger sei es, dass die Industriellenfamilien wie die Kocabiyiks, die Eczacibasi oder die Kocs einspringen. Borusan setzte 2010 rund 3,5 Milliarden USDollar um. Die Holding verfügt über zehn Sparten, darunter Logistik, Energie und Telekommunikation. Borusan ist JointVenture-Partner des Stahlriesen Salzgitter >> BusinessReport 3/2011 41 TÜRKEI Foto: Borusan Musik aus schweren Nadeldruckern Ahmet Kocabiyik erbte ein Imperium und sammelt Kunst, die er anderen gerne zeigt. 42 BusinessReport 3/2011 Mannesmann, des Energieversorgers EnBW und von BMW. Das BCCA vermeidet es, mit Orient, Islam oder Tradition in Verbindung gebracht zu werden. Nur Dirigent Goetzel lässt stolz die traditionellen türkischen Instrumente streichen und hebt orientalische Rhythmen und Klangfarben hervor. Unter Erdogan hat die AKP seit ihrer Regierungsübernahme nicht an erster Stelle auf eine Islamisierung der Türkei hingewirkt, sondern eine wirtschaftsliberale Politik betrieben. Wenn man die Kaufkraftparität zu Grunde legt, so erwirtschaftet die Türkei heute ein Bruttoinlandsprodukt von 12 500 Dollar pro Einwohner. Auch wer nicht mit der Kulturpolitik der AKP einverstanden ist, muss das anerkennen. Die Industriellenfamilien sind gut mit Erdogan gefahren. Nur sollte die Partei keine Zweidrittelmehrheit erhalten und womöglich eine Verfassungsänderung im Alleingang durchsetzen können – schließlich erhielt die AKP nur knapp 50 Prozent der Sitze. Während samstagvormittags Väter und Söhne durch die geräumige BMW-Verkaufssaustellung schlendern, nimmt auf dem Dach das Orchester von Borusan eine CD auf. Komplett besetzt zählt das Orchester 92 Mitglieder. Unter Sascha Goetzel spielt es Musik des 20. Jahrhundert ein, die im Nationalsozialismus als entartet galt – von Béla Bartók, Paul Hindemith oder Erwin Schulhoff. Hindemith kam 1936 in die Türkei und half bei der Gründung des Staatskonservatoriums in Ankara. Die Türkei ist auf dem Weg nach Europa und macht es sich nicht leicht – auch das könnte man aus Borusans Engagement lesen. Man möchte in allem glänzen, und innerhalb der nächsten zehn Jah- re soll das Orchester zu den besten Europas gehören. Nun will Ahmet Kocabiyik den Hauptsitz seines Unternehmens in ein Museum umwandeln: In Zukunft müssen rund 80 Manager ihre Schreibtische am Freitagnachmittag aufräumen und wichtige Korrespondenz wegschließen, damit Besucher dort Kunstwerke bewundern können. Jetzt liegt im Chefbüro noch die Anfrage eines südkoreanischen Stahlunternehmens zuoberst auf dem Stapel – daneben ein knallgelbes Notizbuch mit dem Titel »Artists I met and liked«. Die Sammlung soll im Herbst 2011 zur Istanbul Biennale eröffnet werden. Das MusicHouse der Borusan-Stiftung zeigt derzeit eine Ausstellung unter dem Titel »Matter-Light«, kuratiert von Richard Castelli. Das deutsche Duo Joachim Sauter und Dirk Lüsebrink von »ART+COM« zeigt die Filmskulptur »Invisible Shades of Things Past«. Die bereits preisgekrönte Klanginstallation »Quartet for dot matrix printers« des Künstlerkollektivs »[The User]«, wird hier ebenfalls gezeigt. Zu hören sind vier schwergewichtige Nadeldrucker. Man fühlt sich in eine längst vergangene Bürowelt zurückversetzt, hört aber auch den Rhythmus eines Musikinstrumentes heraus. Arbeit, Moderne, helles Licht, grelle Farben, wilder Takt – das sind die Elemente aus denen Ahmet Kocabiyik das Werk seiner Stiftung zusammensetzen will. Sonja Hegasy ist stellvertretende Direktorin des Zentrums Moderner Orient in Berlin. NGlobal, Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes Niedersachsen. Ansiedlung Außenwirtschaft Standortmarketing Ihre erste Adresse in Niedersachsen! Niedersachsen Global GmbH T ++49 511 89 70 39 -0 · · Osterstraße 60 F ++49 511 89 70 39 -69 · D-30159 Hannover - Germany · [email protected] · www.nglobal.de TÜRKEI SALES Digitaler Kaufrausch E-Commerce boomt in der Türkei wie in kaum einem anderen Land weltweit. Inzwischen werden internationale Investoren auf diese Branche aufmerksam, die ihr Potenzial noch lange nicht erschöpft hat. Jeden Monat drängen neue Unternehmen Von Nils Me tzger auf den Markt » Etohum« nennt sich selbst einen »Startup Venture Capital Catalyzer«. Tatsächlich aber ist diese Webplattform eine Kaderschmiede: 2008 haben sich im zugehörigen Fonds 19 Unternehmen der türkischen Netzbranche zusammengetan, um vielversprechenden Nachwuchs heranzuziehen. Seitdem werden jedes Jahr aus hunderten Bewerbern die 15 vielversprechendsten Internet-Startups ausgewählt, die anschließend in Seminaren auf Erfolg getrimmt werden. Überzeugt ihr Geschäftsmodell, finden sie anschließend solvente Investoren, die dem Projekt zum großen Durchbruch verhelfen. Neben einer Alumni-Plattform für Ingenieursstudenten und einem Social Game befinden sich auch in diesem Jahr wieder mehrere E-Commerce-Angebote unter den Nominierten – schließlich kann kaum eine andere Branche auf solche Wachstumszahlen im türkischen Markt blicken. Die inzwischen rund 35 Millionen türkischen Internetnutzer generierten laut einer Studie der in Istanbul ansässigen BKM Bank im Jahr 2010 rund 16,3 Milliarden US-Dollar Umsatz für digitale Warenanbieter und Dienst- 44 BusinessReport 3/2011 leister. Das ist ein Plus von 325 Prozent gegenüber dem Wert von 2006. Mit in der Jury von Etohum sitzt Sina Afra, der seinen früheren Arbeitgeber GittiGidiyor, die türkische eBay-Tochter, im Frühjahr 2010 verließ und sich dem aufstrebenden Shopping-Portal markafoni als CEO anschloss. Im Unterschied zu den Das Portal Groupon wird geklont meisten Versandhäusern wird hier lediglich stark reduzierte Markenkleidung angeboten. Ein Geschäftsmodell, das zwar zunächst einiges an Überzeugungsarbeit bei den Lieferanten bedurfte, sich aber mehr und mehr durchsetzt. »Insbesondere Frauen haben durch uns zum ersten Mal das Onlineshopping entdeckt«, beschreibt Afra den Erfolg seines Unternehmens gegenüber zenith. Schon 2008 hatte man mehr als eine Million registrierter Kunden und gegenwärtig verzeichnet markafoni 200000 Einkäufe im Monat eigenen Angaben zufolge. »Die erste Million Mitglieder haben wir nur viral bekommen – ohne MarketingAusgaben«, sagt Afra. Inzwischen setzt sein Unternehmen aber auch verstärkt auf soziale Medien und plant, bis Ende 2011 mindestens 250000 Facebook-Kontakte werbetechnisch nutzen zu können. »Shopping Clubs sind bedarfserweckend, nicht bedarfsdeckend wie beispielsweise Amazon.« Dadurch bekämen Impulskäufe eine zentrale Bedeutung – insbesondere da die formulierte Zielgruppe »einkommensstark, weiblich, urban und zwischen 25 und 35 Jahre alt« ist. Mit gegenwärtig 3,5 Millionen Kundenprofilen zählt markafoni inzwischen zu den wichtigsten Marktteilnehmern. Belohnt wurde der Erfolg der Firma Anfang Juli, als der südafrikanische Medienkonzern Naspers mit 70 Prozent bei dem türkischen Designershop einstieg. Medienberichten zufolge bezifferte der Investor den Gesamtwert des Unternehmens auf 200 Millionen Dollar. »Wir haben einen der größten Deals der türkischen Internetgeschichte abgeschlossen. Darauf sind wir enorm stolz«, so Afra. Man hätte auch komplett an die Südafrikaner verkaufen können, jedoch »macht es gerade so viel Spaß, dass wir die nächsten Jahre noch dabei bleiben wollen«. Inzwischen versucht Markafoni auch in Australien, Russland und der Ukraine Fuß zu fassen. In der Türkei selbst erwirtschaftet das Tochterunternehmen grupfoni, eine Kopie des bekannten Schnäppchenportals Groupon, inzwischen ebenfalls zwischen 25 und 30 Millionen Dollar jährlich. Und auch hier gibt es dem renommierten Blog Techcrunch zufolge Übernahmegerüchte: Es ist die Rede von 50 Millionen Dollar, die der US-amerikanische Konkurrent LivingSocial für grupfoni geboten haben soll. Es wäre ein logischer Schritt. Während zwar der Gebrauchtwarenmarktplatz Sa- TÜRKEI hibinden und das Auktionshaus Gittigidiyor einen Großteil des Branchenumsatzes für sich vereinnahmen, gewinnen Rabattportale mit lokaler Anpassung des Angebots rasant an Bedeutung. »Groupon-Klone gehören aktuell zu den attraktivsten Geschäftsmodellen«, berichtet Efe Aras, Manager beim E-Marketing-Entwickler Visilabs in Istanbul. Während der Markt für Versandhäuser bereits erschlossen wurde, sei das im Rabattgeschäft noch nicht der Fall. »Es existieren hier mehr als 100 Unternehmen, von denen nur zwei bis drei das Ende des Jahres erleben werden«, so Aras gegenüber zenith. Gleichzeitig strömten auch immer mehr bestehende Einzelhändler und Dienstleister ins Internet, was erstmals einen Bedarf für professionelles Internet-Marketing schafft. »Bislang ist die Professionalität, was Zielgruppenanalyse und Targeting an- geht, noch sehr gering«, so Aras. Seine Betriebsgründung Visilabs ging aus einem Universitätsprojekt hervor und ist auch heute noch in einem so genannten »Teknopark« nahe der Bosporus-Universität in Istanbul beheimatet. »Fast alle Hochschulen unterhalten inzwischen solche Einrichtungen für Startups. Der große Vorteil ist, dass man dort von der Einkommenssteuer befreit ist.« Marktanalysten erwarten für das Jahr 2011 sogar noch ein rasanteres Wachstum als zuvor, was die Zahlen für die erste Jahreshälfte deutlich belegen: 10,6 Milliarden Dollar wurden bislang erwirtschaftet. Ausschlaggebend waren laut einer Studie der Wirtschaftskanzlei Kolcuoglu Demirkan umfangreiche Rechtsreformen. So ist der Einsatz der Kreditkartenverschlüsselung »3-D Secure« seit Januar 2011 Pflicht für jede digitale Geschäftsabwicklung. Da Kre- ditkarten in der Türkei eine deutlich höhere Verbreitung besitzen als beispielsweise in Deutschland sind sie bevorzugtes Zahlungsmittel. Gleichzeitig bereitet die türkische Regierung aktuell mehrere Gesetzestexte zum Verbraucherschutz im Internet vor – der Vertrauensgewinn in Onlineshops wird deren Umsatz deutlich steigern, so das Fazit der Rechtsstudie. Eine Vorahnung auf das Kommende malt Unternehmer Sina Afra in seinem eigenen Blog aus: »Gegenwärtig geben nur etwa sechs bis neun Millionen der türkischen Nutzer Geld im Internet aus« – was rund einem Viertel der User entspricht. »In Deutschland oder Großbritannien liegt dieser Wert bei 60 Prozent. Was passiert, wenn wir diesen Wert in wenigen Jahren erreicht haben? Rechnet es doch einfach aus!« www.renex-expo.com ECO Renewable Energy Technologies, Energy Efficiency and Insulation Exhibition OCTOBER 20-23, 2011 ISTANBUL EXPO CENTER - CNR EXPO / TURKEY Organizer International Sales Tel : +90 212 290 33 33 Fax : +90 212 290 33 32 e-mail : [email protected] www.renex-expo.com Supported By Tel : +49 511 89 31158 / 31151 Fax : +49 511 89 39681 e-mail : [email protected] [email protected] Media Sponsor THIS FAIR IS ORGANIZED WITH THE PERMISSION OF THE UNION OF CHAMBERS AND COMMODITY EXCHANGES OF TURKEY IN ACCORDANCE WITH THE LAW NUMBER 5174. GOLFREPORT TOURISMUS ie Fahrt auf die Palmeninsel hat etwas von einer Reise in eine ungewisse Zukunft. »Wird 2011 eröffnet«, verheißen noch immer die Schilder an zwei der vier Stationen, über die die Einschienenbahn Besucher auf die »Palm Jumeirah« bugsiert. Nur an der Endstation spucken die Wagen ihre Besucher aus, damit sie sich im Wasser-Freizeitpark »Aquaventure« vergnügen können. Der liegt auf dem Gelände des Luxus-Hotels »Atlantis The Palm«, das, mit seinem zwei Einfamilienhäuser hohen Spitzbogen im Mittelpunkt des Gebäudes, von einer etwas kitschigen Vision eines touristentauglichen Orients kündet. Dass die meisten übrigen Hotel-Projekte auf der künstlichen Insel bis heute auf ihre Fertigstellung warten, sagt mehr als viele Zahlen darüber aus, wie sehr Dubai noch immer mit den Spätfolgen seiner BeinahePleite 2009 kämpft. Ursprünglich sollten es einmal 30 Fünf-Sterne-Häuser mit zusammen 14000 Zimmern werden; mittlerweile hat neben dem »Atlantis« immerhin ein zweites Hotel eröffnet. Für ein Emirat, das knapp ein Fünftel seines Bruttoinlandsprodukts mit dem Tourismus erwirtschaftet, sind solche Rückschläge keine Kleinigkeit. Dubai hat lernen müssen, dass Wachstum kein Selbstläufer ist. Doch zumindest was den Tourismus angeht, gibt es wieder Hoffnung – nicht zuletzt, seit der »Arabische Frühling« in Tunesien und Ägypten die Regierungen hinwegfegte. Schnell sagten Optimisten voraus, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und dort vor allem Dubai zu Nutznießern der Umbrüche werden könnten: Wem Ägypten oder Tunesien zu unsicher ist, so die Vermutung, der könnte die Stabilität am Golf zu schätzen wissen. Zum Erliegen gekommen war der Expansionsdrang der Branche dort – ungeachtet des Stillstands auf der Palmeninsel – ohnehin nie. Sogar die Welt-Tourismusorganisation UNWTO hob in ihrem Bericht für die D 46 BusinessReport 3/2011 Ferien auf der Insel der Stabilität Während in Ägypten und Tunesien wegen der Revolutionen die Touristen ausbleiben, wächst das Geschäft in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Profitieren sie von den politischen Unruhen in der Nachbarschaft? Von Chr istoph D re yer ersten vier Monate 2011 Dubai als positive Ausnahme hervor, während sie aus dem Nahen Osten insgesamt mit minus 7 Prozent und Nordafrika mit minus 11 Prozent deftige Einbrüche bei den Ankunftszahlen ausländischer Reisender zu vermelden hatte. Tatsächlich konnten die VAE seit Beginn der Unruhen beträchtliche Zuwächse verbuchen. Dubai wies für das erste Quartal 2,4 Millionen Hotelgäste aus – 13,6 Pro- zent mehr als im Vergleichszeitraum 2010. Trotz einer deutlich gewachsenen Anzahl von Hotelzimmern – plus 13 Prozent – stieg gleichzeitig die Auslastung um knapp 4 Punkte auf 79 Prozent. Vertreter Dubais kokettieren in diesem Zusammenhang schon einmal mit dem Kontrast zu den Umwälzungen in der übrigen arabischen Welt. »Einen Teil unseres Erfolges haben wir natürlich auch unserem Ruf als sicheres Reiseziel mit stabilem politischen Um- GOLFREPORT Foto: Dubai DTCM feld zu verdanken«, sagt Mara Kaselitz, Deutschland-Direktorin des Dubaier Tourismusbehörde DTCM. Auch Abu Dhabi – das andere international bedeutsame Reiseziel in den VAE – kann ordentliche Steigerungsraten verbuchen. In den ersten fünf Monaten des Jahres stieg seine Gästezahl um 10 Prozent auf 867000; die Auslastung legte ebenfalls um 10 Punkte auf 71 Prozent zu. Abu Dhabi baut ebenfalls seine Hotelkapazität aus: Allein diesen Herbst sollen zehn größere neue Luxusanlagen eröffnen, darunter mehrere mit Strandzugang. Für das gesamte Jahr rechnet die Tourismusbehörde des Emirats ADTA mit zwei Millionen Gästen, 11 Prozent mehr als 2010. Doch wie viel davon haben die Emirate tatsächlich den Umbrüchen in den herkömmlichen arabischen Reiseländern zu verdanken? Was deutsche Touristen angeht, wohl nicht allzu viel: »Zunächst einmal haben die anderen Ziele natürlich alle profitiert, auch die Golfstaaten«, sagt Alexa Hüner, Pressesprecherin beim Reiseanbieter TUI. Rund 90 Prozent der Urlauber, die eigentlich nach Ägypten oder Tunesien reisen wollten, hätten die im Januar und Februar angebotene Möglichkeit einer kostenlosen Umbuchung zu anderen Zielen genutzt. Flugkapazitäten seien in großem Stil umgeschichtet worden. Die Golfstaaten seien davon allerdings nur in Maßen betroffen gewesen. »Da haben wir andere Länder, die viel mehr profitieren – die Kanarischen Inseln und die Türkei zum Beispiel«, erläutert Hüner, nicht zu vergessen den Klassiker Mallorca. Auch unter den Fernreise-Zielen reihten sich die VAE erst nach der Karibik, Mexiko und den Malediven ein – zwar unter den Top Ten, aber dort auf einem hinteren Platz. Nach »hohen zweistelligen Zuwachsraten« im vergangenen Winter seien die VAE-Buchungen zuletzt sogar etwas rückläufig. »Ich bin mir nicht sicher, wie viele von denen, die normalerweise eine Woche Ägypten für 200 Euro buchen, nach Du- bai und Abu Dhabi ausweichen«, sagt auch die Hotellerie-Analystin Konstanze Auernheimer vom Branchendienst STR Global. Denn während in Ägypten Pauschalreisende einen erheblichen Teil des Geschäfts ausmachten, sprächen die VAE bislang eher ein gehobenes Preissegment an. Entsprechend habe es vor allem bei den teureren Hotels eine Ausweichbewegung an den Golf gegeben gegeben. Im Januar etwa – der Ferienzeit in Saudi-Arabien – wären viele dortige Reisende von Ägypten nach Dubai umgeschwenkt. »Die arabischen Gäste sind eine andere Klientel, was die Beträge angeht, die sie ausgeben können. Denen ist es egal, ob sie in die teureren Resorts in Scharm al-Scheich gehen oder in die Luxus-Hotels in Dubai.« Dubai hat lernen müssen, dass Wachstum kein Selbstläufer ist Überhaupt ergibt der Blick auf das Verhalten zum Beispiel deutscher Touristen nur ein eingeschränktes Bild der Situation. Denn westliche Reisende machen für die VAE – anders als für Ägypten mit seinen zwei Dritteln europäischen Gästen – nur einen relativ kleinen Anteil des Geschäfts aus: Die wichtigsten Herkunftsländer des Dubai-Tourismus waren 2010 – in dieser Reihenfolge – Großbritannien, Indien, Iran und Saudi-Arabien. Gerade der Reisemarkt innerhalb der Staaten des Golfkooperationsrats habe seit etwa 2003 kräftig zugelegt, sagt Analystin Auernheimer. Auf einen anderen Aspekt des Tourismus-Booms in den VAE weist Nadejda Popova vom Marktforschungsunternehmen Euromonitor hin: Die Emiratis haben seit Jahren zielstrebig die nötige Infrastruktur aufgebaut, um wachsende Zahlen von Besuchern aufzunehmen. Dazu >> BusinessReport 3/2011 47 IHR NEUES PROJEKT IST UNSER SPEZIALGEBIET SEIT 15 JAHREN PROFI BEI MITARBEITERENTSENDUNGEN INS AUSLAND WIR KENNEN DIE FALLSTRICKE UND ERARBEITEN MASSGESCHNEIDERTE LÖSUNGEN FÜR EIN REIBUNGSLOSES EXPATRIATEMANAGEMENT BDAE GRUPPE WIR UNTERSTÜTZEN SIE MIT UNSEREM KNOW-HOW BDAE GRUPPE KÜHNE HÖ F E 3 2 2 7 6 1 HA M B U R G F ON +4 9 -4 0 -3 0 6 8 7 4 -0 FAX +4 9 -4 0 -30 6 8 7 4 - 90 in fo @b d ae.d e w w w.b d ae.c o m GOLFREPORT Als exklusiv zu gelten, hat auch manche Nachteile Im Zuge der Expansion entstanden gerade auf dem Hotelmarkt allerdings auch Überkapazitäten – was zumal in der Wirtschaftskrise sinkende Preise zur Folge hatte. Zugleich hat diese Ausgangslage die VAE nun aber in die Lage versetzt, kurzfristig zusätzliche Touristenströme aufzunehmen. »Ich denke, es ist eine Kombination beider Faktoren«, sagt Popova deshalb. »Die politischen Ereignisse haben die Präferenzen der Reisenden ein Stück weit zu den VAE verschoben, aber die haben auch einiges unternommen, um ihre Tourismus-Infrastruktur zu verbessern.« Eine Folge der Tourismus-Expansion: Schon jetzt sinken die durchschnittlich erzielten Hotelzimmerpreise. Auch versuchen sich die ersten internationalen Budget-Hotelketten zu etablieren. Expertin Auernheimer hält das für einen durchaus beabsichtigten Bestandteil der nötigen Diversifizierung. Ebenso wie ein Reiseziel auf die Dauer versuchen müsse, neben Erholungs- auch Geschäftsreisende anzuziehen, müsse es auch früher oder später sein Preisangebot auffächern. Dieses Muster sei auch aus relativ jungen TourismusDestinationen etwa in Asien bekannt: Ist ein Ziel erst einmal mit der gehobenen Preisklasse am Markt etabliert, folgen auch die mittleren und unteren Preissegmente. »Immer als die teuerste Destination an- 48 BusinessReport 3/2011 gesehen zu werden, ist nicht von Vorteil, denn dann sagen sich manche Leute vielleicht: ›Da fahre ich nicht hin‹«, meint Auernheimer. »Insofern ist es eher gewünscht, dass es genügend Angebote gibt, damit jeder etwas für sich findet.« Daneben wird es für die Emiratis in den kommenden Jahren auch darum gehen, ihren Anteil an der wachsenden Zahl von Touristen aus aufstrebenden Schwellenländern wie China und Indien mit ihren MilliardenBevölkerungen anzuziehen. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. »Dubai ist da einfach näher dran als zum Beispiel Ägypten – nur zwei bis drei Flugstunden von Indien«, sagt Auernheimer. »Deswegen ist das dort natürlich sehr beliebt.« Insgesamt schätzen die Branchenkenner die Wachstumsaussichten der Touristikbranche in den VAE äußerst positiv ein. Euromonitor bezeichnet sie als das Land mit dem drittstärksten Wachstum weltweit und rechnet für den Zeitraum von 2010 bis 2015 mit jährlich im Schnitt 6,9 Prozent mehr Ankünften internationaler Touristen; 2015 wären es demnach schon 12,8 Millionen nach voraussichtlich 9,2 Millionen in diesem Jahr. Zum Vergleich: Vom ägyptischen Markt erwarten die Analysten eine durchschnittliche Schrumpfung von 0,5 Prozent bis 2015 – auf nur noch 12,4 Millionen Ankünfte. Gemessen an diesen Zahlen, würden die VAE Ägypten im Jahr 2014 erstmals überholen. »Bis sich der Tourismus in Ägypten wieder auf den Stand von 2010 erholt, wird es wohl mehrere Jahre dauern«, sagt Analystin Popova. Bestätigt sieht sie sich in dieser Einschätzung durch die lauter werdende Kritik an der Übergangsregierung in Kairo und durch die religiösen Spannungen, die sich schon mehrmals in Gewalt zwischen Muslimen und Christen entladen haben. All das werde dazu beitragen, dass sich Touristen noch einige Zeit mit Reisen nach Ägypten zurückhielten – »und es wird wiederum Zielen wie den VAE zugute kommen«. TUI jedenfalls erhofft sich noch einiges vom VAE-Geschäft. »Wir sehen da für uns durchaus noch Potenzial für Wachstum«, sagt TUI-Konzernsprecherin Hüner. Illustration: Lesprenger gehören stetig wachsende Hotelkapazitäten, aber auch der Ausbau der Flughäfen in Dubai und Abu Dhabi zu internationalen Drehkreuzen. Neben reinen Transitpassagieren sollen dadurch auch zusätzliche Besucher ins Land gelockt werden. Und die Zahlen legen nahe, dass tatsächlich so mancher nur einen Stopover einlegt: Der durchschnittliche VAETourist bleibt allenfalls drei bis vier Nächte; in Ägypten sind es zehn. GESUNDHEIT iesmal waren die Saudis wohl am schnellsten. 2005 schuf das Königreich den rechtlichen Rahmen einer verpflichtenden privaten Krankenversicherung für Beschäftigte im Privatsektor. Die föderalen Vereinigten Arabischen Emirate, wo dieses Thema »Ländersache« ist, zogen allmählich nach. Die phasenweise Einführung der privaten Krankenversicherung in Dubai etwa sollte bereits 2010 beginnen, verschob sich jedoch durch die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Emirat besonders stark getroffen haben. Für die anderen Golfstaaten erwarten Experten bald entsprechende Gesetze. Diese Welle der Umstrukturierung des Krankenversicherungsmarkts ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels D GOLFREPORT Konkurrenz kuriert Bevölkerungswachstum, Zivilisationskrankheiten und mangelnde Effizienz machen den Golfstaaten zu schaffen: Neue Gesetze locken private Krankenversicherungen an den Markt. Aber welches System wirkt? Was ändert sich für Expats und wo werden deutsche Anbieter einsteigen? Von Cle me ns Recker am Golf: Lange Zeit trat der ölfinanzierte Wohlfahrtsstaat allein als Regulierer, Dienstleister, Fürsorger und Versicherer auf. Aber das nach wie vor hohe und nicht nur durch Zuwanderung ausgelöste Bevölkerungswachstum hat den Druck auf die staatlichen Gesundheitssysteme erhöht. Durch die rasche Modernisierung der vergangenen Jahrzehnte ist die Lebenserwartung deutlich angestiegen, was dazu führt, dass mehr Menschen länger gesundheitlich versorgt werden müssen. Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder HerzKreislauf-Leiden treiben die Behandlungskosten in die Höhe. So steigt der Kosten- und Anpassungsdruck auf das staatliche Gesundheitssystem. Die Golfstaaten stocken daher ihre Gesundheitsbudgets auf und strukturieren den gesamten Sektor um: Privatwirtschaftliche Anbieter sollen mehr Spielraum erhalten und die öffentlichen Anbieter unterstützen und entlasten.Wettbewerb soll die Kosten des Gesundheitssystems reduzieren und seine Effizienz, etwa bei erbrachten Leistungen und Abrechnungen, zu erhöhen. Ein Großteil der Zusatzkosten soll durch Arbeitgeber gedeckt werden, die je nach System Pauschalen pro Arbeitnehmer zahlen oder sich am Versicherungsbeitrag beteiligen. Der Wandel geht phasenweise vonstatten, wie das saudische Beispiel zeigt. Die im Jahr 2005 umgesetzte Versicherungspflicht umfasste zunächst nur ausländische Arbeitnehmer in privaten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Schrittweise wurde dieses Kriterium auf 50 Mitarbeiter gesenkt und gilt seit 2009 auch für saudische Staatsbürger im Privatsektor. Mit der Versicherungspflicht wurde der Markt auch für private Anbieter geöffnet, die durch den Council of Coope- rative Health Insurace (CCHI) lizensiert und reguliert werden. Die Lizenzvergabe erfordert Nachweise über Liquidität und Solvenz sowie Rückversicherungsvereinbarungen. Mit der Einführung der verpflichtenden privaten Krankenversicherungen sind die Gesamtbeiträge enorm gestiegen – wie die Zahl der Beitragszahler, die mittlerweile deutlich über sechs Millionen liegt. 2006 betrugen die Krankenversiche- Diabetes und Herz-KreislaufLeiden treiben die Kosten in die Höhe rungsbeiträge im Königreich etwa 411 Millionen Euro. 2010 hatte sich dieser Betrag mit 1,61 Milliarden Euro vervierfacht. Krankenversicherungen machen mittlerweile mehr als die Hälfte des Gesamtversicherungsmarkts in Saudi-Arabien aus. Auch in Abu Dhabi ließ eine 2007 eingeführte Versicherungspflicht die Beiträge steigen. Der Markt dort ist jedoch stärker segmentiert als in Saudi-Arabien. Es gibt grundsätzlich drei Arten von Versicherungsnehmern: »Basic«, »Thiqa« und »Enhanced«. Basic ist eine Grundversicherung für kleinere Einkommen. Thiqa – das arabische Wort für »Vertrauen« – gilt ausschließlich für emiratische Staatsbürger. Beide Varianten werden von der in staatlichem Mehrheitsbesitz befindlichen Daman National Insurance Company abgedeckt. An ihr ist die Münchener Rück mit 20 Prozent beteiligt. Insgesamt sind mehr als zwei Millionen Menschen durch Daman versichert, davon fast 90 Prozent der emiratischen Bürger Abu Dhabis und 25 Prozent der gesamten lokalen Bevölkerung der Emirate. >> BusinessReport 3/2011 49 GOLFREPORT Bei der so genannten Enhanced-Versicherung findet der eigentliche Wettbewerb zwischen Anbietern statt. »Die Basic Insurance ist wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung, und das Enhanced Scheme entspricht einer deutschen privaten Krankenversicherung«, erklärt Andreas Opitz, Versicherungsexperte und Leiter der Vertretung des Bundes der Auslandserwerbstätigen (BDAE) in Dubai. Auch im Enhanced-Geschäft liegt Daman mit einem Marktanteil von 28,6 Prozent im Jahr 2010 vorn, gefolgt von Oman und ADNIC mit 16,4 und 14,5 Prozent. Die großen Drei haben also einen Marktanteil von knapp 60 Prozent. Ähnlich steht es in Saudi-Arabien, wo die Anbieter Bupa Arabia, Ta’awuniya und MedGulf 52 Prozent des Marktes abdecken. In Abu Dhabi und Saudi-Arabien sind jeweils mehr als zwanzig weitere Versicherungsanbieter registriert, deren Marktanteil aber drei Prozent nicht überschreitet. »Diese Marktentwicklungen in Kombination mit steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem könnten die Krankenversicherungsbeiträge mittelfristig in die Höhe treiben«, sagt ein Analyst des Anbieters Daman. Auch deutsche Arbeitnehmer in den Golfstaaten sind von diesen Entwicklungen betroffen: Durch gesetzliche Bestimmungen könnten Arbeitnehmer von einer doppelten Versicherungspflicht, in Deutschland und im Zielland, betroffen sein, vor allem bei zeitlich begrenzten Entsendungen ins Ausland. Zudem existieren keine Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und den arabischen Golfstaaten, die eine solche Doppelversicherungspflicht vermeiden würden. BDAE-Manager Andreas Opitz sieht hier eine klare Schieflage: »Außerhalb Europas sind Doppelbesteuerungsabkommen die Regel, Sozialversicherungsabkommen aber leider nur die Ausnahme.« Neben den verpflichtenden Krankenversicherungen für Arbeitnehmer gibt es 50 BusinessReport 3/2011 auch Angebote für Touristen, die sich beispielsweise bei Daman für 40 bis 190 Tage in den Emiraten versichern können. Nimmt man Saudi-Arabien einmal aus, das bereits über ein verpflichtendes Krankenversicherungsgesetz verfügt, so ist der Markt relativ klein, zumindest im Vergleich zu den bevölkerungsreichen Schwellenländern, in denen internationale Versicherungsanbieter andernorts expandieren. Etwa 13 Millionen Menschen leben in den kleineren Golfstaaten Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und den VAE. Der größte Spielraum für Anbieter findet sich dort im Premiumsegment, das gut verdienende ausländische Arbeitnehmer, aber auch Einheimische im Privatsektor umfasst. Der Wettbewerb dreht sich um das Enhanced-Geschäft Saudi-Arabien bietet noch große Wachstumschancen, da die Versicherungsdichte noch relativ gering ist, die Menschen also nur einen recht geringen Teil ihres Einkommens für Krankenversicherungen ausgeben. Aber auch in den anderen Golfstaaten kommt der Markt in Bewegung – große Anbieter wie Daman versprechen sich davon Expansionspotenzial und mehr Planungssicherheit. Katar plant ein Krankenversicherungsgesetz im Rahmen einer im April vorgestellten Nationalen Gesundheitsstrategie für die kommenden fünf Jahre. Man will dem Beispiel anderer Golfstaaten folgen, es aber besser machen. Vor Einführung eines Gesetzes sollen sowohl die statistischen Grundlagen als auch die technischen Voraussetzungen wie standardisierte Abrechnungsmethoden vorliegen. In Bahrain hat der Wirtschaftsausschuss des »Nationalen Dialogs«, der nach den Unruhen Anfang des Jahres 2011 eingesetzt wurde, die Einführung einer Krankenversicherungspflicht für ausländische Arbeitnehmer verlangt. Wann konkrete gesetzgeberische Schritte folgen, ist indes noch offen. Kuwait hat zwar eine Pflichtversicherung für ausländische Arbeitnehmer, diese wird jedoch nicht durch private Anbieter gedeckt: Der Staat zieht dafür monatlich einen Betrag von umgerechnet 127 Euro ein – direkt vom Arbeitgeber. Ein neues Krankenversicherungsgesetz ist geplant, um das bestehende von 1961 zu ersetzen. Deutsche Versicherer sind bereits seit einiger Zeit in den arabischen Golfstaaten aktiv, beispielsweise die Münchener Rück in Abu Dhabi mit Dependencen in Bahrain, Katar und Saudi-Arabien. Allianz tritt in Saudi-Arabien in einem JointVenture mit der Saudi-Fransi Bank auf, hat eine »Takaful«-Sparte in Bahrain und tritt in der ganzen Region auch als »Third Party Administrator« auf. »Chancen für ausländische Firmen sind nur in Zusammenarbeit mit einem starken lokalen Partner gegeben«, sagt ein hochrangiger Daman-Mitarbeiter im Gespräch mit zenith. »Zusätzlich muss ein deutscher Versicherer auch ausreichend international erfahrene Manager in die Region schicken.« Beides mache den Markteinstieg nicht gerade einfach. Immerhin: Durch neue Gesetze hat der Markt der Krankenversicherungen in den Golfstaaten Fahrt aufgenommen. Dies wird sich mit den geplanten Reformen in Bahrain, Katar und Kuwait fortsetzen. Andreas Opitz vom BDAE sieht deshalb für deutsche Anbieter gute Geschäftsmöglichkeiten: »Früher gab es zum Teil abenteuerliche Tarife, mittlerweile sind deutsche Partner mit ihrem traditionell hochwertigen Leistungsangebot und der entsprechenden Erfahrung willkommen.« GOLFREPORT Entwurf: Albert Speer & Partner / Visualisierung: HH Vision Im großen Fußballstadion »Al-Rayyan« soll das Eröffnungsspiel der WM 2022 stattfinden. GROSSPROJEKTE »Geld spielt erstmal keine Rolle« Katar will in den kommenden Jahren praktisch seine gesamte Infrastruktur neu bauen. Auf ausländische Unternehmen warten Dutzende Milliardenaufträge – und immense Herausforderungen an Planung und Logistik. Von Chr istoph D re yer avid Howell, Baron of Howell of Guildford, hat schon ein paar Jahrzehnte im politischen Geschäft auf dem Buckel. Der 75-Jährige war britischer Energie- und Transportminister, außenpolitischer Sprecher der Opposition und ist heute Staatsminister im Londoner Außenministerium. In Katar ist er im Laufe der Zeit acht oder neun Mal gewesen. »Vor dreißig Jahren hatten alle Mitleid mit Katar, weil es bloß Gas hatte«, erinnert er sich. »Bloß Gas, denn wir be- D fanden uns ja im Ölzeitalter.« Mitleid für seine Gasvorkommen – das würde Katar heute nicht mehr passieren. Längst vorbei sind die Zeiten, da Erdgas in erster Linie als lästiges Beiwerk zum Öl gesehen wurde, schwer zu transportieren und deshalb wirtschaftlich nicht lukrativ. Im März ist in dem Golfstaat das erste Erdgas in die von Shell erbaute Gasverflüssigungsanlage »Pearl GTL« geleitet worden, die weltweit größte Anlage ihrer Art. Die global zunehmende Atom-Skepsis kurbelt die Nachfrage nach dem Rohstoff eher noch an. Und auch wenn Lord Howell etwas kokettiert – immerhin profitiert Katar seit Jahrzehnten durchaus auch von seinen Ölquellen –, hat er recht: Katar ist derzeit die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit. Um 20 Prozent wird sein Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr laut Schätzung des Internationalen Währungsfonds wachsen. Was sie mit all den Gas-Einnahmen anstellen wollen, wissen die Kataris ziemlich >> BusinessReport 3/2011 51 GOLFREPORT genau: Sie wollen sich eine quasi komplette neue Infrastruktur zulegen. Bahnnetz, Schnellstraßen, Energie- und Wasserversorgung – fast alles soll aus- oder völlig neugebaut werden. Die Zeit drängt, denn das Land muss in den kommenden Jahren voraussichtlich ein Bevölkerungswachstum von im Schnitt acht Prozent verkraften. Seit Katar auch noch den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 bekommen hat, gibt es zudem ein festes Zieldatum für einen Großteil der Projekte. Die sollen zwar deutlich länger halten, aber rechtzeitig zur WM müssen sie zum großen Teil fertig werden, will sich Katar nicht vor aller Welt Augen blamieren. Und dank der FIFA-Entscheidung beginnt allmählich auch dem Rest der Welt zu dämmern, welche wirtschaftlichen Chancen sich in dem Land derzeit auftun – weshalb Lord Howell für seine Anekdote auf der Investorenkonferenz »MEED Qatar Infrastructure Projects« in London herzhaftes Gelächter erntete. Daumenschrauben angedreht Floss der Großteil der Investitionen bislang in Öl- und Gasanlagen sowie zuletzt auch in Immobilien, so wird sich der Schwerpunkt in den kommenden Jahren zusehends auf Infrastrukturprojekte verlagern. Die Qatar National Bank (QNB), das größte Kreditinstitut des Landes, veranschlagt mindestens 88 Milliarden USDollar für Projekte, auf die sich das Land für seine WM-Bewerbung festgelegt hat. Insgesamt habe Katar derzeit Großprojekte für 189 Milliarden Dollar beschlossen, davon 63 Prozent für Infrastrukturund Bauvorhaben. Aufträge im Volumen von fast 100 Milliarden Dollar sind dabei laut MEED noch zu vergeben. »Keines dieser Quasi-Regierungsprojekte wird Finanzierungsprobleme haben«, betont der stellvertretende QNB-General- 52 BusinessReport 3/2011 direktor Enrico Grino. Auch die Projektfinanzierung für Baufirmen und andere Auftragnehmer werde keine Hürde sein – im Prinzip: Katars Banken seien liquide genug, um die benötigten Kredite zu stellen. Sie stießen bloß an Kapazitätsgrenzen, und regulatorische Hürden und seien deshalb dringend auf die Unterstützung ausländischer Partner angewiesen, um die anstehenden Finanzierungen so schnell wie nötig auf die Beine zu stellen. Der größte Bereich der hochfliegenden Pläne ist mit 35 Milliarden Euro der Bau eines Bahnnetzes. Mehr als 200 Kilometer Fernbahnstrecke sollen bis spätestens 2020 Personen- und Güterverbindungen nach Saudi-Arabien und Bahrain schaffen; die Zugfahrt von Katars Hauptstadt Doha nach Manama, der Hauptstadt Bahrains, soll weniger als eine Stunde dauern. Daneben soll Doha eine komplette Metro mit vier Linien und 100 Bahnhöfen bekommen – Gesamtlänge: 358 Kilometer, davon 119 Kilometer in Tunneln. Zusätzlich ist eine U-Bahn mit 19 Bahnhöfen im Finanzdistrikt West Bay geplant. Dutzende Milliardenaufträge für die Bauindustrie sind zu vergeben: Schienentrassen, Brükken, Bahnhöfe, Stromversorgung, Planung, Bauaufsicht, einfach alles. »Es geht darum, eine komplette neue Branche in Katar aufzubauen – mit einer Lebensdauer von mindestens 100 Jahren«, sagt der Vizechef der Bahngesellschaft Qatar Railways, Geoff Brian Mee. Über die Herausforderungen, die damit verbunden sind, macht er sich keine Illusionen. »Gleich vier Metro-Strecken in einer Stadt zu bauen, ist etwas, das noch nirgends versucht wurde.« Allein für den Bau der nötigen Tunnel sind zwölf Aufträge im Wert von jeweils einer bis anderthalb Milliarden Dollar zu vergeben. Auch das ein Novum: »Niemand hat bislang irgendwo versucht, zwölf Tunnelbohrmaschinen gleichzeitig in einer Stadt zu betreiben.« Die Tunnel für die U-Bahn im West Bay sind da noch gar nicht mitgerechnet. »Das Ziel lautet, für eine abso- Vision einer Innenansicht des Al-Khor-Stadions: Die Arena soll mit Solarenergie gekühlt werden, damit Fans und Spieler nicht zu sehr ins Schwitzen kommen. lut reibungslose Fahrt in einem klimatisierten System bis direkt ins Büro-Hochhaus zu sorgen«, sagt Mee. Denn es gehe darum, ein attraktives Nahverkehrssystem für eine Bevölkerung zu schaffen, die bislang ans Autofahren gewöhnt ist. Und das werde nur mit höchster Qualität funktionieren: »Die Leute werden ausschließlich auf zwei Dinge achten: Ist es bequem und sieht es gut aus?« Der Zeitplan für die Bahn-Vorhaben ist stramm: Mitte 2012 sollen die ersten Bauaufträge vergeben werden, die Arbeiten an den wesentlichen Teilen müssen bis Mitte 2020 abgeschlossen sein. Nur so bleibt ausreichend Zeit, die neuen Systeme zu testen, damit sie 2021 verlässlich funktionieren. Dann steht in Katar der Confederations Cup an, quasi der Probelauf zur WM ein Jahr darauf. Derzeit bittet Katars neu gegründete Bahnentwicklungsgesellschaft, an der die Deutsche Bahn als Joint-Venture-Partner beteiligt ist, beinahe händeringend um Interessenbekundungen potenzieller Auftragnehmer. »Das Problem ist, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Leuten auf der Welt gibt, die so etwas schaffen können«, sagt Mee. »Wir werden einen Großteil der weltweiten Bau- und Planungsfachleute benötigen.« Ähnlich ambitioniert sind Katars Straßenbauvorhaben. 550 Kilometer teils acht- GOLFREPORT Entwurf: Albert Speer & Partner / Visualisierung: HH Vision »Das Land muss funktionieren, wenn wir bauen!« spurige Schnellstraßen müssten geplant und gebaut werden, sagt Ron Rimkus, Spezialist für Projektmanagement beim staatlichen Hoch- und Tiefbauamt Ashghal. Die einzelnen Spuren aneinandergereiht, ergäbe das eine Strecke von Doha bis nach Rom. Kostenpunkt: zwölf Milliarden Dollar. Praktisch bedeutet das laut Rimkus, dass im Laufe der kommenden fünf Jahre 35 Großprojekte verwirklicht werden müssen, von denen 24 noch gar nicht vergeben sind; die Vorauswahl endet in diesen Wochen. Noch nicht mitgerechnet ist dabei die dringend fällige Modernisierung mehrerer Hundert Kilometer Nebenstraßen. Auch Rimkus betont, anders als in der Vergangenheit sei heute nicht mehr allein der Preis ausschlaggebend dafür, wer den Zuschlag für solche Aufträge bekomme. Die Bieter hätten klare Qualitätsvorgaben zu erfüllen, und wer sich daran nicht halte, bekomme seine Post zurück. »Geld spielt erstmal keine Rolle«, bestätigt der deutsche Verkehrsplaner Uwe Reiter, der anderthalb Jahre in Qatar gelebt hat. »Wenn Sie eine vernünftige Idee haben, dann kann die auch umgesetzt werden.« Deutsche Unternehmen etwa genössen als Qualitätsgaranten einen guten Ruf im Land. Allerdings hätten die Kataris auch sehr hohe Erwartungen an ihre Geschäftspartner. Wenn die nicht lieferten wie vereinbart, »dann drehen die Ihnen halt die Daumenschrauben an«. Rechtzeitig zu liefern, oder zu bauen, könnte sich aber als Herausforderung erweisen. Nicht nur, weil die diversen Zeitpläne für Projekte dieser Dimension eher ambitioniert sind, sondern auch wegen der damit verbundenen logistischen Herausforderungen. Stahl für 150 Eiffeltürme und Beton für 20 Dubaier KhalifaTürme müsse allein für die Bahnprojek- te ins Land geschafft und für 32 CheopsPyramiden Erde ausgehoben werden, rechnet Bahn-Manager Mee vor. Und dann sollen ja auch noch der neue, voraussichtlich 2015 fertige Flughafen (13 Milliarden Dollar) sowie 240 Hotels und Ferienanlagen (17 Milliarden Dollar) entstehen – und die zwölf WM-Stadien natürlich, von denen neun völlig neu gebaut werden müssen. Als echtes Nadelöhr für alle diese Großvorhaben könnte sich der Seehafen von Doha erweisen: Bis jetzt liegt er mitten in der Stadt und kann weder weiter ausgebaut noch vertieft werden. Das wäre aber für die größten modernen Frachtschiffe dringend nötig. Der Bau eines neuen Hafens – Volumen: rund fünf Milliarden Dollar – duldet deshalb keinen Aufschub; möglichst 2014, spätestens aber 2016 soll er eröffnen. Das andere Problem: Katar hat keine unbefleckte Vergangenheit, was die zügige Umsetzung von Großprojekten angeht. Die geplante Straßen- und Schienenbrücke nach Bahrain liegt seit Juni 2010 auf Eis. Die Schnellstraße zum Prestigeprojekt »Lusail City« – einer geplanten neuen Stadt nördlich von Doha – liegt schon im Ausschreibungsstadium weit hinter Plan, ebenso der Bau des neuen Flughafens, dessen erste Teilstücke längst in Betrieb sein sollten. Den Kataris scheint das Ausmaß dessen, was sie da vorhaben, durchaus bewusst zu sein. In den entscheidenden Lenkungskomitees sitzen Vertreter des Königshauses, die bei Bedarf für zügige Entscheidungen sorgen sollen. Die Umsetzung werden sie allerdings größtenteils Anderen überlassen. »Wir brauchen alles Fachwissen der Welt«, sagt Saad Khodr vom Planungsministerium über die anstehenden Bauvorhaben. Und fügt mit einer Mischung aus Vergnügen und Ehrfurcht vor der Größe der Aufgabe hinzu: »Unsere größte Herausforderung ist, dass das Land weiter funktionieren muss, während wir das alles bauen.« BusinessReport 3/2011 53 M E I N . . . TA N G E R Weiße Nacht in Afrika Tanger, einst verschrien als Drogennest und Sündenpfuhl, zieht heute immer mehr Geschäftsreisende an. Aber wie verbringt man einen guten Abend mit Kollegen in der legendären Hafenstadt? Und geht das notfalls auch allein? Von Alfred Hacke nsberger »Sie fahren geschäftlich nach Tanger?«, fragt Nabil mit großen Augen und fügt dann augenzwinkernd an: »Na, da werden Sie ganz sicher viel Spaß haben.« Danach grinst er verschmitzt. Für Touristen mag die »weiße Stadt« am Mittelmeer kaum attraktiv sein. Schließlich hat sie im Vergleich zu Marrakesch oder Fes wenige Sehenswürdigkeiten zu bieten. Marokkanern dagegen gilt Tanger als eine Stadt, in der man sich hervorragend amüsieren kann. So gut, dass manche sie auch als Sündenpfuhl bezeichnen. Ein schlechter, 54 BusinessReport 3/2011 legendärerer Ruf, den die Hafenstadt an der Meerenge von Gibraltar schon beinahe 100 Jahre hat. Er geht zurück auf die Zeit, in der Tanger internationale Zone (1923 bis 1956) und Weltstadt war: ein Eldorado für Künstler, Millionäre und jede Menge zwielichtiger Gestalten. Wer das nötige Kleingeld hatte, flog aus Tanger nach Paris oder London, um sich für Festivitäten einzukleiden. »Jeder konnte sich hier nach seinem Geschmack wohlfühlen«, erinnerte sich der ameri- kanische Schriftsteller Paul Bowles, der von 1947 bis zu seinem Tod 1999 in Tanger lebte, bei unserer letzten Begegnung. »Viele kamen, um weiße Weihnachten zu feiern, was sich natürlich auf nichts anderes als Kokain bezog«. In Tanger war damals frei verfügbar, was in den USA oder Europa unter schweren Strafen stand: Opiate konnte man in der Apotheke ohne Rezept kaufen, in den Kabaretts und Bordellen rund um den Socco Chico wurden alle erdenklichen sexuellen Dienste angeboten. Daneben war M E I N . . . TA N G E R Foto: Dale Beckett Tanger gleichzeitig ein Ort für gute Geschäfte. Für 100 Dollar gab es eine Lizenz zur Eröffnung einer Bank zu erwerben. Die Stadt lebte vom Schmuggel, besonders während des Zweiten Weltkriegs. Bis Ende der 1960er Jahre blieb Tanger ein Ort der Künstler und der High Society. Die Feste der Multimillionärin Barbara Huttons in ihrer Villa in der Kasbah sind bis heute legendär. Sie ließ Reiter aus der Sahara auftreten und postierte Fackelträger am Eingangsportal. »Die Party-Gäste pulten Smaragde, Rubine und Brillanten aus einem der Sofaüberzüge ihrer Gastgeberin«, erzählte Paul Bowles gerne. Die internationale Zone ist längst vorbei, zur mondänen Welt hat man heute nicht mehr so leicht Zugang, wie noch anno dazumal. »Man muss schon sehr gute Beziehungen haben, um jetzt zu einem Für 100 Dollar gab es die Lizenz zur Gründung einer Bank kann. Bekanntschaften macht man hier sehr leicht. Live-Musik gibt es gleich nebenan im »Chellah-Beach-Club«. Meist südamerikanische Rhythmen von Bands, die bis spätnachts zum Tanz aufspielen. Wenn sich schon jetzt der zweite Hunger meldet, hier kann man gut essen. Wer ger- >> Foto: Hevan Chan / soulblend.com Fest in einer der Villen der Superreichen eingeladen zu werden«, erklärt Marc, ein Amerikaner, der seit mehr als 15 Jahren in Tanger lebt. »Erst kürzlich gab es eine Pool-Party, zu der die Gäste aus der ganzen Welt für ein Wochenende in Privatjets eingeflogen kamen.« Und was bleibt für die Normalsterblichen oder für Geschäftsreisende, die einen Abend totzuschlagen haben? In Casablanca oder Rabat sind die Straßen am späten Abend wie leergefegt. Nur in Tanger ist der Boulevard im Stadtzentrum voll von Menschen. Wer eine Begleitung sucht – ob Mann oder Frau – muss hier nur mit seinem Wagen lang- sam auf und abfahren und auf »Signale« aus der flanierenden Menge warten. So ist schnell jemand für ein Dinner, Bar-Hopping oder für ein Abenteuer gefunden. Restaurants, Bars und Discos sind in den letzten drei Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Seit Tanger 2005, mit neuem Mittelmeer- und Yachthafen, Industrienansiedelungen, Bauboom und Stadtsanierung zur neuen Weltmetropole aufgerüstet werden soll, wird natürlich ebenfalls in neue Gastronomie investiert. Trotzdem: Das alte Tanger, charmant und einzigartig, existiert fort. Als erste Station des Abends bieten sich das »Pilo« (Ecke Rue de Mexico und Rue de Fès) oder »La Grenouille« (zwischen Hotel Rembrandt und Casa de Espana) an. Beides sind ehemalige Luxusrestaurants aus der Zeit der internationalen Zone, entsprechend abgebröckelt ist der Glanz alter Tage. Hier kann man sich jedoch kulinarisch für den Abend rüsten. Tapas gibt es kostenlos und reichlich zu jedem Bier serviert. Wer sich für Fußball interessiert, kann am Wochenende im »Grenouille« die spanische Liga verfolgen: Das lautstarke Publikum setzt sich ausnahmslos aus Fußballexperten zusammen. Als nächste Station sei das »Tanger Inn« empfohlen. Es liegt direkt im Untergeschoss der Pension »Hotel Muniria«, in dem einst der US-Kultschriftsteller William S. Burroughs wohnte. Im »Tanger Inn« hängen noch heute Fotos des Autors der Beat-Generation und seiner Freunde. Der Laden wird freitags wie samstags voll. Wenn um eins oder zwei zugemacht wird, geht es weiter zur Strandpromenade, auf der der Verkehr vor den unzähligen Bars und Discos immer zum Stocken kommt. Clubs wie »555« oder »Pasarela« sind klassische Großdiskos, in denen man aber auch Drinks draußen am Pool nehmen Früher mussten sich Touristen vor den Straßen Tangers fürchten. Heute genießen sie das Flanieren. BusinessReport 3/2011 55 M E I N . . . TA N G E R 56 BusinessReport 3/2011 La Grenouille, Rue el Jabha el Watania, Telefon: +212.539 93 62 42 Tanger Inn, Hotel El-Muniria, 1 Rue Magellan, Telefon: +212.539 93 53 37 Beach Club 555h beachclub555.com Chellah Beach Club facebook.com/pages/Chellah-BeachClub Scotts Night Club, Rue al-Moutanabi Ville Nouvelle Hotels und Pensionen: Ein Geheimfach für Devisen La Tangerina, Tangier 19, Riad Sultan Angenehme, elegante Pension auf dem Altstadthügel. latangerina.com Mövenpick Hotel & Casino Malabata, Route de Malabata, Baie de Tanger, Telefon: +212.539 32 93 00 Vornehmes Spitzenklassehotel mit Blick auf die Straße von Gibraltar. Hotel Continental, Tangier 36, Rue Dar El Baroud Legendäres Hotel, dessen Besitzer Jimmy Mjami alle Hollywoodgrößen getroffen hat. Einfache Zimmer mit Blick auf den alten Fischereihafen. Keine Zufahrt für Busse und Vans. continental-tanger.com Die Sicherheitslage in Tanger ist deutlich besser als früher. Taschendiebstahl und Straßenraub mit Messern kommen leider trotzdem noch vereinzelt vor. Man sollte also 300 Dirham (circa 25 Euro) in der Tasche haben, um den Angreifer nicht zu verärgern, und seine Devisen in einem Geheimfachgürtel unterbringen. Um bei den Schuhen zwischen schwarz und braun variieren zu können, am Besten gleich in beiden Farben kaufen. Am Flughafen fragen die Zöllner, ob Bargeld mitgeführt wird. Summen über 10000 Euro sind vorab zu deklarieren. Anbieter: corporatetravelsafety.com Preis: 34,95 US-Dollar Foto: BMW Hackensberger, geboren in München, berichtet als freier Korrespondent für deutsche und schweizerische Tageszeitungen aus Spanien und Nordafrika. Pilo, Rue de Mexico/Rue de Fes Foto: Corporate Travel Safety Fast zehn Jahre lebte zenith-Autor Alfred Hackensberger in der Hafenstadt Tanger – die Preise für gut gelegene Immobilien stiegen in diesem Zeitraum um das Vierfache. Bars, Restaurants, Clubs und Hotels in Tanger Foto: Mövenpick Hotels & Resorts ne arabische Musik ausprobieren will, der findet auf der Strandpromenade einige passende Etablissements, die man bei einem Rundgang leicht entdeckt. Dort sind die Gäste allerdings überwiegend Männer, die Frauen in der Regel in Unterzahl und viel gefragt. Sie sind hier beruflich unterwegs. Die Nacht in ruhigem Ambiente abschließen, dazu eignet sich die »Bar Asociados«, die am Ende der Promenade liegt – vielleicht noch einmal Tapas mit Blick aufs Mittelmeer, auf die Lichter der vorbeifahrenden Schiffe und der Stadt Tarifa, auf der spanischen Seite der Meerenge im Hintergrund. Falls jemand noch nicht genug hat und noch etwas wirklich Außergewöhnliches sucht, muss man zurück ins Stadtzentrum. Das »Scotts« liegt in der Verlängerung der Rue Mexiko. Das ist ein marokkanischer After-Hour-Club, den man vor vier Uhr morgens nicht besuchen sollte: mit arabischer Live-Band! Am besten findet man einen Platz an einem Tisch, denn sonst wird man von einer tanzenden, betrunkenen Menge hin und her geschubst. Bei Morgengrauen wankt hier normalerweise niemand allein nach Hause. Um diese Uhrzeit ist es eine goldene Alternative zum »Morocco Palace«, das nur einige hundert Meter entfernt auf der anderen Seite des Boulevards liegt. Der »Palast« ist zwar wesentlich bekannter, aber dafür ungleich langweiliger und teurer. M E I N . . . TA N G E R Marokkanisches Ambiente in einem der Restaurants des Mövenpick Hotels Tanger. Dort geht es dezenter zu als im »Scotts Night Club«. Spritztour auf der Corniche Fotos: KLM / Iberia Iberia hat die Nase vorn Der Flughafen von Tanger trägt den Namen des berühmtesten arabischen Weltenbummlers: Ibn Battuta, der 1304 in der Nähe der Hafenstadt geboren wurde und auf unbequemen Segelschiffen reiste. Flugreisende nach Tanger müssen ebenfalls auf Komfort verzichten: Ausgerechnet die spanische Iberia, deren Bordservice in die Kategorie Billigflieger fällt, hat dort die Nase vorn – mit Verbindungen über den Flughafen Madrid Barajas in verschiedene deutsche Städte. Iberia-Flüge sind kärglich und nicht für Pünktlichkeit bekannt, aber der meist menschenleere Umsteigeflughafen bietet Feinkostläden mit spanischem Brandy und Serrano-Schinken. Unter Umständen empfiehlt sich auch eine Kombi-Buchung mit Royal Air Maroc und KLM über Amsterdam. Air Berlin hat die Strecke Köln/Bonn-Tanger im kommenden Winterflugplan gestrichen. Easyjet fliegt viermal wöchentlich von Tanger nach Paris. Direktflüge aus den Golfstaaten oder der Türkei gibt es noch nicht. Ein Taxi von der Innenstadt zum Flughafen kostet 100 bis 150 Dirham (8 bis 12 Euro). Die Wartezeiten bei der Sicherheitskontrolle sind kurz, man kann mit dem Auto nahe vor die Abflughalle fahren. Alle Flugzeuge stehen auf Außenpositionen und werden mit Bussen angesteuert. Sehr wichtig: Vor dem Eingang zur Passkontrolle die Ausreisekarte ausfüllen, sonst wird man wieder zurückgeschickt. Eine fast lane für Business-Reisende gibt es noch nicht. Stau kann ein Indikator für eine schlechte Infrastruktur sein – aber auch für wirtschaftliche Entwicklung: Die Straßen um Tangers Altstadt sind stark befahren, Taxifahrer weigern sich oft, kürzere Strecken zu bedienen. Vor allem Geschäftsleute, die den neuen Hafen Tanger Med oder Industriestandorte besuchen wollen, empfiehlt sich ein eigener Wagen – am Flughafen Tanger gibt es inzwischen mehrere internationale Autovermietungen. So genannte SUVs sind zwar nicht ökologisch, aber ein Statussymbol unter Tangaouis. Ein Mitsubishi Pajero oder BMW X5 ist ab rund 750 Euro pro Woche zu haben – mit Vollkaskoversicherungen bei einem Selbstbehalt von 1600 Euro bei Sixt. Der Konkurrent Europcar hat inzwischen eine Filiale in Tanger Med eröffnet. Die Küstenstraße zur Stadt bietet Fahrvergnügen – aber Vorsicht ist geboten. Marokkos Polizei führt regelmäßig Radarkontrollen durch. Wer sich in Tanger die Parkplatzsuche sparen möchte, kann einen Limousinenservice engagieren, etwa den Anbieter Lamarti Group (www.lamartigroup.com). Auch Mini-Vans für Gruppen und Helikopter sind dort zu haben. Da die Website der Agentur nicht mit jedem Browser funktioniert, empfiehlt sich ein Anruf: +212.539.938 858. Dort wird Englisch und Französisch gesprochen – Spanisch ist in Tanger ohnehin zweite Verkehrssprache. BusinessReport 3/2011 57 DER SEKRETÄR Blauer Dunst wird illegal IHRE TERMINE RENEX 2011 20. bis 23. Oktober 2011, Istanbul Nachdem das türkische Parlament Ende 2010 das Erneuerbare-EnergienGesetz erlassen hat, wittert die Branche Morgenluft: Zum dritten mal findet in Istanbul die Fachmesse für Solar, Wind und Geothermie RENEX statt, eine Tochter der Hannover Messe. Mit Nordrhein-Westfalen, BadenWürttemberg, Niedersachsen und Bremen sind vier deutsche Bundesländer mit eigenem Stand vertreten. Auch Österreich wartet mit einem Pavillon auf. www.hmsf.com Eine Zigarette nach Vertragsabschluss – dafür müssen Geschäftsleute im Libanon demnächst vor die Tür. Denn der globale Trend Rauchverbot kommt auch in Beirut an. Mitte August verabschiedete das Parlament ein Gesetz zum Nichtraucherschutz. Auch soll Tabakwerbung verboten werden. Inhaber von Cafés und von Büros, die das Verbot nicht beachten, sollen ebenso Geldstrafen zahlen, wie ihre Gäste oder Mitarbeiter. Hotels dürfen allerdings 10 bis 20 Prozent ihrer Zimmer für Raucher freihalten. Libanesische Anti-TabakAktivisten glauben nicht daran, dass die Polizei die Bestimmungen durchsetzt – aber immerhin habe man ein Gesetz durchgebracht, was selten genug vorkomme. Sommerfest der DAG 16. bis 18. September 2011, Dresden Die Deutsch-Arabische Gesellschaft (DAG) lädt zum alljährlichen Sommerfest, diesmal nach Dresden. Das Programm mit Referenten aus Politik, Wirtschaft und Medien behandelt die Folgen des Arabischen Frühlings – auch die ökonomischen. Trocken dürfte hier nur der Begrüßungssekt sein: DAG-Präsident Peter Scholl-Latour empfängt unter anderem Maitha alShamsi, Staatsministerin der VAE und Expertin für Frauen in der Wirtschaft. www.d-a-g.de Kunstmesse Abu Dhabi Art 16. bis 19. November 2011, Abu Dhabi Kurz vor dem 40. Jahrestag der Unabhängigkeit der VAE lädt das Emirat Abu Dhabi zur internationalen Kunstmesse – und zwar auf die Insel Saadiyat. Besucher können dort schon einmal den Kulturdistrikt in Augenschein nehmen, wo ab 2013 auch Louvre und Guggenheim ihre Zweigstellen eröffnen. Bis dahin kann man den emiratischen Pavillon der Expo 2010 aus Schanghai bewundern. Daneben wird moderne Kunst gezeigt. www.abudhabiartfair.ae 3. Deutsch-Arabisches Bildungsforum 6. bis 7. Oktober 2011, Estrel Hotel Berlin Kooperationen bei Aus- und Weiterbildung sollen Ägypten und Tunesien beim wirtschaftlichen Neustart nach der Revolution helfen. Die beiden Länder stehen im Fokus des Deutsch-Arabischen Bildungsforums von iMove und Ghorfa, daneben aber auch SaudiArabien, das in den vergangenen Jahren massiv in den Bildungssektor investiert hat – bisher ohne revolutionäre Begleiterscheinungen. www.ghorfa.de 3 Internationale Messen in Kairo 17. bis 20. November 2011, Kairo Machtech, Airtech und Transpotech – zum 11. Mal finden die drei Messen rund um Werkzeugmachinen, Drucklufttechnik und Nutzfahrzeuge gleichzeitig und unter dem Dach des Cairo International Convention Center statt. Wer sich über das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) anmeldet, bekommt seinen bis zu 50 Quadratmeter großen Stand im deutschen Pavillon 10 bis 20 Prozent ermäßigt. Ein »Made in Germany«-Logo gibt es gratis dazu. www.bmwi.de Foto: Sheikh Khalifa Medical City sent wie die Desertec Industrial Initiative (DII) oder der Weltenergierat. Dort treffen sie auf Vertreter verschiedener arabischer Energieministerien. Springt der Funke über? www.ghorfa.de VORSCHAU AUF DAS NÄCHSTE HEFT Hausbesuche Biotech und Health Care in den Golfstaaten 2. Deutsch-Arabisches Energieforum 20. bis 21. Oktober 2011, Hotel Adlon Kempinski Berlin Der Fachverband Dampfkessel-, Behälter- und Rohrleitungsbau mag einem nicht sofort in den Sinn kommen, wenn es um Energiegeschäfte in der arabischen Welt geht. Auf dem deutsch-arabischen Energieforum von Ghorfa und GIZ ist er aber ebenso prä- 58 BusinessReport 3/2011 Round Table zu Libyen 15. Dezember 2011, La Valetta, Malta In der besinnlichen Vorweihnachtszeit lädt der Nah- und Mittelostverein (NUMOV) in die neue Mittelmeeridylle. Im Fokus: Libyen. Gäste mit dem Nachnamen Gaddafi werden wohl nicht mehr erwartet. www.numov.de LETZTE MELDUNGEN Bestechung im Irak wird teurer Die Korruption im Irak bereitet Unternehmern Kopfzerbrechen: Die Preise für »Provisionen« an Beamte und Clans steigen, wie jüngst eine deutsche Firma erlebte, die im Nordirak ein Baustoffwerk errichten sollte. Nach Abschluss der Planung des 150 Millionen Euro schweren Projekts forderten die Entscheider vor Ort 20 Millionen extra. »Wir haben bereits tausende Arbeitsstunden investiert«, sagt der deutsche Unternehmer im Gespräch mit zenith. Als er ablehnte, drohte man, eine türkische Firma zu beauftragen. Manche erinnert das an den Fall des deutschen Pipeline-Spezialisten Eginhard Vietz: Der hatte 2010 im Handelsblatt gesagt, ohne Schmiergeld gehe es in Ländern wie Irak nicht. Darauf ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Vietz. Wie tief steigt Glencore ein? Seit Monaten brodelt die Gerüchteküche um eine Übernahme des kasachischen Minenbetreibers ENRC durch den weltweit größten Rohstoffhändler: Die in der Schweiz ansässige Glencore könnte das Unternehmen für 19,5 Milliarden US-Dollar übernehmen. Angeblich verhandelt Glencore mit der Regierung Kasachstans, die 12 Prozent an ENRC hält. 20 Prozent sind auf dem Markt. Glencore könnte auch einen 26-prozentigen Anteil an ENRC von der Firma Kazakhmys kaufen. Indes hat die Staatsanwaltschaft Brüssel ein Verfahren gegen drei ENRC-Anteilseigner wegen Geldwäsche und Betrugs eingestellt, nachdem die Männer ein Bußgeld überwiesen hatten. Hier wächst was. Der Erfolg von internationalen Kooperationen ist im hohen Maße von dem Verständnis der Interessen, des Potenzials und des kulturellen Kontextes der jeweiligen Partner abhängig. Auch in der deutsch-arabischen Entwicklungszusammenarbeit haben sich in den letzten Jahren die Inhalte zunehmend von der fachlich-technischen Ebene hin zu übergreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragestellungen erweitert. Deshalb unterstützt der DAAD den Aufbau von bikulturellen Masterprogrammen mit arabischen Ländern. Deutsche und arabische Studierende erwerben hier nicht nur aktuelles Fachwissen, sondern auch regionales Wissen und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit. Folgende bikulturelle Masterstudiengänge werden im Rahmen dieses Programms bisher gefördert: t“Integrated Water Resources Management (IWRM)” , an der FH Köln und der University of Jordan, Jordanien www.iwrm-master.info t “Renewable Energy and Energy Efficiency for the MENA Region (REMENA)”, an der Universität Kassel und der Cairo University, Ägypten www.uni-kassel.de/remena t“International Education Management (INEMA)”, an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Helwan University, Ägypten www.inema-master.com www.pwc.de Wissen, wohin die Reise geht Ob rechtliche oder steuerliche Fragen, ob Compliance oder Finanzierung: Die Experten unserer Turkish Business Group unterstützen Ihr Unternehmen dabei, erfolgreich in der Türkei ]XLQYHVWLHUHQ,KUH$QVSUHFKSDUWQHULQ+HUD&LODF.RKQHUW 7HOKHUDNRKQHUW#GHSZFFRP © 2011 PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. 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