El beso de la mujer araña - Genderportal

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El beso de la mujer araña - Genderportal
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Geschlechterkonstruktion im argentinischen Roman
„El beso de la mujer araña“
Bachelor-Arbeit
Universität St. Gallen
Verfasser: Nadja Eichin
Referent: Prof. Dr. phil. Yvette Sánchez
Abgabetermin: 13. 6. 2005
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Abstract
In der vorliegenden Arbeit soll die Konstruktion von Geschlecht in Manuel Puigs „El beso de la
mujer araña“ betrachtet werden. Dies geschieht anhand einer Analyse der Fussnoten und der beiden
Hauptcharaktere
Molina
und
Valentín
sowie
mit
Hilfe
einiger
Theorien
zur
Geschlechterkonstruktion. Dazu erfolgt zunächst eine kurze Einführung in die Thematik und in
verschiedene Ansätze der Gender Studies. Die Fussnoten werden auf ihre Bedeutung und
insbesondere auf den Inhalt der Thesen Anneli Taubes hin untersucht, letztere werden zudem
aufgrund ihres Rückgriffs auf diesen mit dem Ansatz der Psychoanalyse verglichen. Hinsichtlich des
Verhaltens und der Überzeugungen der Charaktere erfolgt dagegen eine Bezugnahme auf die
Theorien Judith Butlers. Diese Vorgehensweise gründet auf der konstruktivistischen Annahme, die
Menschen seien bzw. werden von ihrer Umwelt beeinflusst und geprägt. Hierbei wird auch der
spezifisch lateinamerikanischen Beurteilung der Homosexualität Rechnung getragen sowie im Falle
Valentíns der Position des Marxismus. Stereotypisierungen in ihren Darstellungen wie auch innere
Widersprüche der Personen werden herausgearbeitet, wobei ein besonderes Augenmerk auf der
(Nicht)Veränderung der Personen liegt. Der Roman zeigt alternative Existenz- und Handlungsformen
auf, Geschlechter und binäre Sexualität bleiben jedoch bestehen.
1
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Inhaltsverzeichnis
1
Einführung............................................................................................................................... 3
2
Die Konstruktion von Geschlecht ............................................................................................. 3
3
2.1
Gleichheit und Differenz.................................................................................................. 4
2.2
Konstruktion und Dekonstruktion .................................................................................... 5
2.3
Geschlecht in der Psychoanalyse...................................................................................... 9
2.4
Die Theorien zur Homosexualität in „El beso de la mujer araña”.................................... 10
Darstellung der Charaktere und ihres Geschlechts in „El beso de la mujer araña“ ................... 15
3.1
3.1.1
Die Heldinnen in den erzählten Filmen .................................................................. 15
3.1.2
Überzeugungen und Verhalten............................................................................... 28
3.1.3
Marica und Frau .................................................................................................... 39
3.2
4
Molina........................................................................................................................... 15
Valentín......................................................................................................................... 40
3.2.1
Filme und Delirium ............................................................................................... 40
3.2.2
Überzeugungen und Verhalten............................................................................... 44
3.2.3
Macho und Mann .................................................................................................. 51
Fazit ...................................................................................................................................... 52
Anhang .......................................................................................................................................... 53
Erklärung ................................................................................................................................... 53
Interview mit Dr. phil. Katrin Meyer .......................................................................................... 53
Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Vergleich der Ansätze zur Konstruktion von Geschlecht (eigene Darstellung) .................. 8
Tabelle 2: Vergleich von Psychoanalyse und den „Theorien“ Anneli Taubes (eigene Darstellung) .. 12
2
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
1
Einführung
Einst träumte Zhuang Zhou, ein Schmetterling zu sein, quicklebendig, der beschwingt umherflatterte
und freudig seinen Regungen folgte. Dabei wusste er nicht, dass er Zhuang Zhou war. Plötzlich
wurde er wach; da war er Zhuang Zhou – ganz eindeutig nur dieser. Nun wei[ss] man nicht, ob es
Zhuang Zhou war, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling, oder ob es ein Schmetterling war, der
geträumt hat, er sei Zhuang. Es gibt aber gewiss zwischen Zhuang Zhou und einem Schmetterling
einen Unterschied. Dies ist damit gemeint, wenn gesagt wird: ,Die Wesen unterliegen dem Wandel.’
(Zhuangzi „Schmetterlingstraum“ zit. in Jäger 9)
Die Wirklichkeit ist relativ und subjektiv. Sie ist abhängig von der Perspektive des Einzelnen. Was
ist real und was nicht? Ist etwas real, weil wir es selbst als solches empfinden? Diese Relativität der
Wirklichkeit umfasst auch das Geschlecht und die Geschlechtlichkeit. Was ist eine Frau, was ein
Mann? Welche Faktoren sind ausschlaggebend für die Einordnung als weiblich oder männlich? Man1
mag sich fragen, ob die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern denn nicht offensichtlich ist,
schliesslich ist sie eine Grundsäule unserer Gesellschaft und unserer Betrachtung der Welt.
Aufbauend auf dieser Frage werden im ersten Teil dieser Arbeit einige Theorien zur
gesellschaftlichen Existenz von Geschlechtern aufgeführt, die verschiedene Erklärungen und
Begründungen bieten sowie unterschiedliche Positionen einnehmen.
Die entsprechenden
Erkenntnisse sollen sodann auf den Roman „El beso de la mujer araña“, dt. „Der Kuss der
Spinnenfrau“, des argentinischen Autors Manuel Puig angewendet werden. Dies erfolgt zum einen
über die Fussnoten, bei denen die Thesen Anneli Taubes mit der Psychoanalyse verglichen werden,
zum anderen über verschiedene Aspekte des Auftretens und Handelns der beiden Hauptcharaktere
Molina und Valentín, für die auf Judith Butler zurückgegriffen wird. Ein Fazit fasst die Erkenntnisse
zusammen.
2
Die Konstruktion von Geschlecht
Die Frage nach der Entstehung von Geschlecht – anstelle der Annahme einer natürlichen
Zweigeschlechtigkeit2 - ist relativ neu. Die so genannten Gender Studies, die aus der
Frauenforschung und der Frauenbewegung der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hervorgingen (Kroll
V), etablierten sich insbesondere in den darauf folgenden 80er Jahren. In Abgrenzung zu ihren
Vorgängern befassen sich die Gender Studies nicht mit „der“ Frau und ihrem Wesen, sondern mit der
1
Im Folgenden wird, sofern dies nicht durch die Umstände anders verlangt wird, die männliche Form
verwendet. Die Betonung der (zumeist abgeleiteten) weiblichen Form oder die Verwendung künstlicher
neutraler partizipialer Begriffe vergrössert den gedanklichen Graben zwischen den Geschlechtern umso mehr.
2
So kennen verschiedene Stämme der amerikanischen Urbevölkerung mehr als zwei Geschlechter (Treibel
144). Auch im Abendland tauchte die Androgynie trotz des bürgerlichen Zwei-Geschlechter-Modells des 18.
Jahrhunderts immer wieder auch als Utopie auf (Lindhoff 9/10).
3
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Geschlechtlichkeit bzw. dem Geschlecht als Grundlage jeglicher Forschung. (Feldmann und
Schülting 143/44)
2.1
Gleichheit und Differenz
Innerhalb der Frauenforschung gab und gibt es zunächst zwei grundlegende Theorien: die der
Gleichheit und die der Differenz (Brander 8). Beide beabsichtigen, die Hierarchisierung der
Geschlechter zu beenden, halten jedoch an der Zwei-Geschlechtlichkeit fest. Erstere betrachtet
Weiblichkeit3 als ein Gefängnis, das den Frauen von einer patriarchalen Kultur aufgezwungen werde.
Die Geschlechtsunterschiede werden als zufällig, sozialisiert angesehen, und es herrscht das Ideal der
universellen Gleichheit. (Young 38-57) Das Soziale und die gesellschaftliche Ordnung seien immer
„gendered“, also von Geschlechtsvorstellungen und -erwartungen durchzogen (Lorber 84). Die
Befreiung der Frauen müsse über den Ausbruch aus der Weiblichkeit in die von Männern
beherrschten Bereiche erfolgen (Young 39). Massgebend für diese Richtung ist Simone de Beauvoir.
Sie argumentiert, die Welt habe immer den Männern gehört und die Frau werde nicht als autonomes
Wesen angesehen. So werden Transzendenz und Selbstbestimmung dem Mann, Immanenz und
Passivität jedoch der Frau zugeordnet. Dem stellt de Beauvoir ihre These entgegen, wonach die
biologischen Gegebenheiten genau (und ausschliesslich) jenen Wert besitzen, den die Menschen
ihnen zuordnen. (1 : 11-51) „On ne naît pas femme: on le devient.“ [Man kommt nicht als Frau zur
Welt, man wird es.] (285) Der Einzelne sei angesichts dieser Sozialisation machtlos, zugleich Opfer
als auch schuldig wider Willen, nichtsdestotrotz handle es sich hierbei nicht um ein unabwendbares
Schicksal. Zu einer Veränderung der Verhältnisse müssen Kinder beiderlei Geschlechts nicht nur
nach denselben Methoden, sondern auch im gleichen Klima erzogen werden. Dies impliziert die
Übernahme traditionell männlicher Werte durch die Frau. Eine endgültige Befreiung der Frau sei
jedoch erst durch den Zugang zur Arbeit in einer sozialistischen Gesellschaft möglich, da dadurch
auch die Männer aus ihrer Entfremdung befreit werden. (2: 521-577) Homosexualität betrachtet de
Beauvoir als in der jeweiligen Situation gewählt, begründet und frei übernommen (89-129). Sie sieht
die Männlichkeit4 als Verkörperung des Menschseins, Weiblichkeit – und die entsprechenden Werte
– dagegen lediglich als Gefängnis.
Der Ansatz der Differenz strebt hingegen eine Aufwertung und Positivierung der Weiblichkeit und
traditionell weiblicher Eigenschaften an und löst die Frau aus ihrer Opferrolle. Die Verfechter dieses
Standpunktes vertreten die Auffassung, die weibliche Reproduktionsarbeit schaffe eine stärkere
Verbindung zur Natur und zum Leben. Weiblichkeit gilt als Schlüssel zu einer besseren Gesellschaft.
3
In der westlichen Kultur traditionell: Zaghaftigkeit, Besonnenheit, Friedfertigkeit, Kooperationsbereitschaft,
Taktgefühl, Fügsamkeit, Impulsivität, Warmherzigkeit („Männlichkeit“), Schwäche, Irrationalität, Passivität
und Unterwerfung („Geschlechterrolle“).
4
Traditionell: Mut, Waghalsigkeit, Stärke, Konkurrenzdenken, Dominanz, Selbstbewusstsein,
Selbstbeherrschung, Grundsatztreue, Gewaltbereitschaft („Männlichkeit“), Aktivität und Rationalität
(„Geschlechterrolle“).
4
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Die soziale Pluralität soll anerkannt und gelebt werden, die Dichotomie Männlichkeit – Weiblichkeit
wird jedoch beibehalten. (Young 47-60) Bewusstsein und Persönlichkeit des Einzelnen sind
„gendered“, vom sozialen Geschlecht beeinflusst. (Lorber 84) Geschlechtsunterschiede sind je nach
Autor auf die Natur oder die Sozialisation zurückzuführen. Hier stellt sich die Frage, auf welche
Grundlage eine Befreiung der Frauen aufgebaut werden soll, da den männlichen Tätigkeiten kaum
bzw. eine geringere Bedeutung zugeschrieben wird als den weiblichen (61). Utopien des
Gynozentrismus sind die Mythen über matriarchalische Gesellschaften, die Suche nach weiblichen
Traditionen und eine weibliche Betrachtungsweise der männlichen Diskurse (Geier 170). Der
Differenzansatz findet insbesondere in den psychologischen Analysen seine Verbreitung (West und
Zimmerman 15). So gibt auch Luce Irigaray der Weiblichkeit eine psychoanalytische, positive Basis,
womit sie sich den Vorwurf des Biologismus einhandelte. Frauen seien in heutigen Gesellschaften
nicht intelligibel, sondern lediglich der Spiegel des (männlichen) Anderen. Sie haben deshalb den
Zugang zur Weiblichkeit verloren. Diese sei das Ergebnis von Begehren und Libido und lasse sich
nur in frauenbezogenem Umfeld finden und bewahren. (Schrader 192)
Die Konfrontation der beiden Richtungen vernachlässigt jedoch die Unterscheidung zwischen
formaler (theoretischer) und materieller (praktischer) Gleichheit (Meyer).
2.2
Konstruktion und Dekonstruktion
Im Konstruktivismus wird die Geschlechterdichotomie als Ergebnis der Wechselbeziehung zwischen
gesellschaftlichen Strukturen und individuellem Handeln angesehen. Der unterschiedliche Zugang zu
Macht und Ressourcen gelte gesellschaftlich zwar als Folge der Unterschiede zwischen den
Geschlechtern, sei aber eigentlich die Folge gesellschaftlich geschaffener Ungleichheit. Die Ansätze
lassen sich gliedern in:
Mikrosoziologie (basierend u.a. auf Harold Garfinkels Ethnomethodologie),
Systemtheorie5,
Sozialphilosophie und Diskurstheorie,
Die Arbeiten Pierre Bourdieus sowie
Wissenschaftshistorie6. (Hartmann-Tews 210/211)
Die Mikrosoziologie, bzw. der Sozialkonstruktivismus, verneint die Existenz natürlicher
Geschlechtsunterschiede und betrachtet Zwei-Geschlechtlichkeit als soziale Konstruktion (Treibel
134/35). Candace West und Don H. Zimmerman unterscheiden sex, sex category und gender, wobei
die Zuordnung zu einer Geschlechtskategorie grundsätzlich durch die Anwendung der
Geschlechtskriterien des biologischen Geschlechts erfolge, im täglichen Leben jedoch anhand der
5
Vgl. Luhmann, Niklas. Soziale Systeme – Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main:
Suhrkamp, 1984.
6
Auch Wissen und Wissenschaft sind hier in den Kreislauf der Konstruktion von Realität, Gesellschaft und
Geschlecht eingebunden (Kahlert 403)
5
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
individuellen Selbstdarstellung festgemacht werde. Doing gender, d.h. Geschlecht als Prozess, sei
Automatismus und unvermeidbar. Da jede Handlung nach dem sozialen Geschlecht beurteilt werde,
entstehe bei „unangemessenem“ Verhalten Druck auf das Individuum, seine Zugehörigkeit zu einem
bestimmten Geschlecht zu beweisen. (14-26) Nach Garfinkel beeinflusst Geschlecht sämtliche
sozialen Interaktionen und ist omnirelevant. Der Einzelne präsentiere sich selbst als zu einem
bestimmten
Geschlecht
zugehörig,
wobei
Transsexuelle
aufgrund
der
gesellschaftlichen
Geschlechterdichotomie zu einer Über-Identifikation mit ihrem „neuen“ Geschlecht neigen. (Treibel
136-144) Da die westlichen Gesellschaften keine Geschlechtsindifferenz zulassen, halten sie sich an
rigide „klassische“ Vorstellungen über Mann und Frau. Transsexuelle besitzen nicht die körperliche
Geschlechtsidentität, die sie von der Gesellschaft zugeordnet bekommen. (Meyer) Carol HagemannWhite (224-234, 131/32) betrachtet auch die Unterscheidung von biologischem und sozialem
Geschlecht als biologistisch und argumentiert, es gebe keine natürliche Zwei-Geschlechtlichkeit,
sondern lediglich verschiedene kulturelle Konstruktionen, wie sich am Beispiel anderer Kulturen
zeigen lasse, die u.a. Zwischengeschlechtlichkeit oder den Geschlechtswechsel zuliessen. Das Kind
sei Subjekt seiner Identitätsbildung, für die eine Selbstzuordnung zu einem Geschlecht unabdingbar
sei. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen sozialen Umfeldern erfolge dabei aber
mehrheitlich unbewusst.
Der eng mit dem Konstruktivismus verbundene Dekonstruktionsansatz meint, universelle
Bezugskategorien seien nur scheinbar geschlechtsneutral und die Aufrechterhaltung der
Unterschiedlichkeit der Geschlechter führe dazu, dass Differenzen vermieden werden, die die Einheit
des Subjekts bedrohen könnten. Geschlecht dient demnach der Aufrechterhaltung bzw. Etablierung
einer stabilen Persönlichkeit. Bedeutungen seien temporär und mehr oder minder willkürlich. Bei den
Autoren des Dekonstruktionsansatzes gilt das Hauptaugenmerk der Art und Weise, wie das binäre
Geschlechtersystem entsteht, und nicht länger seinen Folgen und Auswirkungen. Soziale und
individuelle Prozesse und Diskurse werden als Ursache der bestehenden Ordnung angesehen.
Zugleich soll aber auch das bestehende binäre Geschlechtersystem destabilisiert werden. (Bischoff
62) Der Dekonstruktivismus ist somit nach wie vor Teil des Konstruktivismus, interessiert sich aber
für dessen Grenzen (Meyer). Für Michel Foucault, den Begründer der Diskurstheorie, sind das
Subjekt, Geschlecht und Sexualität in komplexe Machtbeziehungen eingebunden (Schlünder 112/13),
die sich im Hinblick auf Geschlecht und Sexualität als Erfordernisse der Natur ausgeben (Ott 111).
Auch der Aufbau und die Funktionsweise des einzelnen Staates gründen auf jeweils
unterschiedlichen und relativ autonomen Herrschaftsverhältnissen (Foucault 428), der Einzelne
werde durch die Sexualität gesellschaftlich eingebunden (Ott 111). Auf die Arbeiten Foucaults greift
auch Judith Butler zurück (Bischoff 63), die sich vehement gegen den Biologismus stemmt (Meyer).
Sie bezeichnet die Kategorien sex, gender und desire, d.h. Begehren, als kulturell verfasst und mittels
des Überbegriffs Geschlecht als natürliche Einheit konstituiert. Macht und Diskurs schreiben die
Dichotomie
der
Geschlechter
in
Subjektivität,
Identität
und
Körperlichkeit
fest.
Die
Geschlechterordnung grenze den Einzelnen als Subjekt von anderen Objekten ab, gestalte sein
Selbstverständnis sowie das Verständnis seines Körpers. Das Fundament der gesellschaftlichen
6
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Ordnung sei die Zwangsheterosexualität (Funk 45), die die Dichotomie von männlich und weiblich
voraussetze (Butler 23). Butler macht geltend, dass auch die Auswahl dessen, was zur Kategorie
Geschlecht gezählt werde, einer normativen Entscheidung unterliege (xxi). „There is no gender
identity behind the expressions of gender; that identity is performatively constituted by the very
“expressions” that are said to be its result.” [Es gibt keine Geschlechtsidentität hinter den
verschiedenen Arten, gender auszudrücken; diese Identität wird selbst durch genau jene
„Ausdruckshandlungen“ produziert, die ihr Ergebnis sein sollen.]7 Geschlecht sei eine Handlung,
wenn auch nicht die eines bereits existierenden Subjektes. (33) Die Geschlechterdifferenz und die
Geschlechter selbst seien in ihrer Existenz bereits heterosexuell (Meyer). So gehe es zwar um die
individuellen Körper einzelner Menschen, aber die Handlung selbst sei eine gesellschaftliche. Der
Handelnde werde in und durch die Handlung produziert. Die ständige Wiederholung der Darstellung
führe zu ihrer Legitimation und ihrer Festschreibung. (Butler 178-181). Heterosexualität als Original
sei lediglich eine Parodie der Idee von natürlich/originell, es gebe keine Sexualität vor und
ausserhalb des gesellschaftlichen „Gesetzes“, welches uns dies nur vorgaukle. Auch der Körper sei
der Vorstellungskraft unterworfen (41-94), und selbst die biologische, scheinbar natürliche
Zweiteilung der Geschlechter anhand von Äusserlichkeiten, DNS usw. sei nicht eindeutig. Sowohl
soziales als auch biologisches Geschlecht seien sozial konstruiert, die Unterscheidung der beiden
erweise sich als überflüssig. Der Körper sei demnach lediglich ein Medium, das Bedeutungen
transportiere und übermittle. Geschlecht bleibe immer nur eine Norm und könne nie vollständig
verinnerlicht
werden.
Als
subversive
Strategien,
die
die
Geschlechterordnung bewusst
unglaubwürdig machen, betrachtet Butler Ausdrucksformen, die als nicht intelligibel angesehen
werden. Diese umfassen unter anderem drag8, cross-dressing9 oder butch/femme10-Identitäten, da
diese innerhalb der die Ordnung etablierenden Wiederholungen erfolgen (siehe oben). Innerhalb
derselben gebe es Möglichkeiten der Abweichung und der Veränderung. Identität sei kein
unabänderliches Schicksal, aber ebenso wenig vollständig künstlich. (136-189) Unterwerfung unter
und Erzeugung der gesellschaftlichen Ordnung, Souveränität und Verletzlichkeit des Einzelnen –
dies seien die Machteffekte, die zur Konstruktion des Subjekts beitragen (Funk 46). Kritisch lässt
sich zum Dekonstruktionsansatz anmerken, dass es durch die Auflösung der Geschlechter nicht mehr
möglich ist, bestehende Hierarchien und Ungleichheiten zu benennen und zu bekämpfen. Es gibt
keine Frauen und Männer mehr, also gibt es auch kein Gleichstellungsproblem. Zudem orientieren
sich individuelle Identitäten an geschlechtstypischen Stereotypen, so dass deren Abschaffung die
Persönlichkeit des Einzelnen betrifft. (Nussbaum) (zum Vergleich der verschiedenen Ansätze siehe
Tabelle 1) Eng mit den Arbeiten Judith Butlers verbunden ist die Queer Theory, die die Existenz
7
Übersetzungen erfolgen, sofern nicht anders angegeben, durch den Verfasser dieser Arbeit.
D.h. die gegengeschlechtliche Verkleidung in homosexuellen Subkulturen zur ironisch-humoristischen
Darstellung und Distanzierung von den dargestellten Rollen (Jung 46).
9
D.h. das Sich-(Ver)Kleiden in Art und Weise des anderen Geschlechts. In den Gender Studies ist dieses
Konzept zentral zur Widerlegung der Existenz des natürlichen Geschlechts. (Lehnert „Cross-dressing“ 53/4)
10
Die Zuteilung einer männlichen, butch, und einer weiblichen, femme, Rolle in lesbischen Paaren. Sie sei
subversiv, da gesellschaftliche Rollen scheinbar imitiert werden. (Lehnert „Butch-Femme“ 45)
8
7
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
fester Identitäten herausfordert und die Relevanz grosser Kategoriegruppen für die Identitätsbildung
aufgrund ihrer Heterogenität verneint (Gauntlett).
Ausgangspunkt
Gleichheit
Differenz
Dekonstruktion
Weiblichkeit als
Positivierung der
Fundament der
Gefängnis; durch
Weiblichkeit; Frau nicht
Gesellschaft ist
Gesellschaft
länger Opfer;
Zwangsheterosexualität;
aufgezwungen;
sozialisierte oder
dadurch notwendig
Homosexualität freie
natürliche Unterschiede
Geschlechterdichotomie;
Entscheidung in
jegliche
jeweiligen Situation
Geschlechtlichkeit und
Sexualität durch soziales
Handeln bestimmt
Mensch
= Mann
= Frau; Weiblichkeit als
-
Schlüssel zu besserer
Gesellschaft
Handlungsprioritäten
Ausbruch aus
Anerkennung der
Subversive Handlungen
Weiblichkeit;
Pluralität; Aufwertung
innerhalb Ordnung, um
Übernahme männlicher
des Weiblichen
Zwangsheterosexualität
Werte
und Geschlechter zu
hintergehen
Ziel
Auflösung der
Weibliche Sichtweise;
Geschlechterordnung
Hierarchisierung der
Aufwertung weiblicher
unglaubwürdig machen
Geschlechter; Ideal der
Werte
universellen Gleichheit
Kritik
Menschlichkeit =
Beibehalten der
Verlust von Identitäten;
Männlichkeit; Festhalten
Geschlechterdichotomie;
keine konkreten
an Zwei-
Gefahr des Biologismus
Handlungsoptionen
Geschlechtlichkeit
Tabelle 1: Vergleich der Ansätze zur Konstruktion von Geschlecht (eigene Darstellung)
Auch in die Literaturwissenschaft haben die oben erwähnten Theorien ihren Eingang gefunden. In
den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kam die Argumentation auf, dass jegliche Literatur nicht von
den herrschenden Geschlechtervorstellungen unabhängig betrachtet werden könne. Auch die Sprache
selbst sei in vorgegebenen Bedeutungsmustern, darunter vor allem Logo- und Phallozentrismus,
gefangen. Man könne in literarischen Texten lediglich Aussagen zu Geschlechterrollen und –bildern
finden, nicht jedoch über die „wahre“ Natur eines Geschlechts. (Wende 240-242) Traditionell wird
zwischen einer Frauen- und eine Männersprache unterschieden, wobei ersterer eher kooperative,
letzterer eher kompetitive Elemente zugeschrieben werden. Entsprechend der Bilder von
Weiblichkeit und Männlichkeit werden den Frauen Indirektheit (leere Adjektive usw.), Unsicherheit
(Abschwächungen, pragmatische Partikel) und das Thematisieren der Situation unterstellt. Empirisch
8
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
lässt sich diese Unterscheidung jedoch nicht bestätigen. (Hellinger 125/26, Meyer). Der Feminismus
als besondere Kategorie der Literaturwissenschaft bemüht sich um eine feministische Interpretation
und eine Auflösung der Geschlechterdichotomien im Sinne des Dekonstruktivismus. (Best 176/77)
2.3
Geschlecht in der Psychoanalyse
Die Psychoanalyse unterscheidet mehrere Phasen der psycho-sexuellen Entwicklung des Kindes, in
denen Es, Ich und Über-Ich herausgebildet werden. Während das Es aus Trieben bestehe und
Lustgewinn sowie Bedürfnisbefriedigung anstrebe, komme mit der Herausbildung des Ichs
Wahrnehmung und Willensbildung und somit das Realitätsprinzip hinzu. Mit der Überwindung der
ödipalen Situation im Alter von circa 6 Jahren entstehe sodann das Über-Ich, was zur Übernahme
von gesellschaftlichen Werten und Normen führe. Zu diesem Zeitpunkt erfolge auch die
Herausbildung der Geschlechtsidentität. Das sexuelle Begehren nach dem andersgeschlechtlichen
Elternteil habe unterschiedliche Implikationen für Mädchen und Jungen. Bei letzteren entstehe durch
die Angst vor der Kastration, die die Voraussetzung der sexuellen Befriedigung sei11, und das daraus
folgende Trauma eine Identifikation mit dem übermächtigen Vater. Das Mädchen dagegen müsse
sich zunächst von der Mutter als Bezugsobjekt lösen. Sein Penisneid im Anschluss an dessen
Entdeckung und das Gefühl der Minderwertigkeit führen dazu, dass der Mutter als gleichem Wesen
die Schuld dafür gegeben werde. Der unerfüllbare Wunsch nach einem Penis führe zur Orientierung
nach dem Vater, der als Liebesobjekt begehrt werde. Um ihm zu gefallen, identifiziere sich das
Mädchen mit der Mutter. Geschlechterrollen und weibliche Defizite werden demnach von Freud als
naturgegeben
angesehen.
Eine
Weiterentwicklung
von
Nancy
Chodorow
erklärt
die
Geschlechtsunterschiede durch die traditionelle Arbeitsteilung, die dazu führe, dass nur Frauen
„muttern“. Die Mütter erleben Mädchen und Jungen unterschiedlich, was zu einer differenzierten
Behandlung führe. Dementsprechend symbolisiere der Penis Unabhängigkeit und Privilegien, und
das Mädchen sehe im Vater einen möglichen Verbündeten, um sich aus der im Vergleich zum Jungen
engeren Beziehung zur Mutter zu lösen. Letzteres bedeutet eine höhere Beziehungskompetenz der
Mädchen und – nunmehr - männliche Defizite. Die psychoanalytischen Thesen der Reifungskrisen
und der Verinnerlichung gesellschaftlicher Normen haben weite Verbreitung gefunden. Die
Triebtheorie und die ungenügende Auseinandersetzung mit den sozialen Gegebenheiten sowie die
implizite Beschränkung auf die bürgerliche Kleinfamilie wurden dagegen bemängelt und
weiterentwickelt. Auch erfolgt die Herausbildung der Geschlechtsidentität bereits vor dem 6.
Lebensjahr. (Tilman 57-73) Nichtsdestotrotz nehmen auch Autoren wie de Beauvoir (1: 274) oder
Butler (86, 97), Jacques Lacan, Luce Irrigaray, Julia Kristeva usw. auf die Psychoanalyse Bezug
(Meyer).
11
Die Kastration sei Folge und Strafe der sexuellen Liebe zur Mutter bzw. Voraussetzung derselben zum Vater
(Tilman 63).
9
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Freud betrachtet Heterosexualität als naturgegebenes „Normales“, Homosexualität dagegen als
(negative) Abweichung (Brandt 189). Er lehnt die Thesen der Homosexualität als angeborener
Degeneration ab, sieht in ihr aber eine Störung in der Entwicklung des Geschlechtstriebes. Sexuelle
Neigungen sind für ihn eine Verbindung angeborener und beeinflussender Faktoren. Die
ursprüngliche (kindliche) Bisexualität werde nach der Pubertät durch den Einfluss verschiedener
Faktoren in die eine oder andere Richtung geführt. Frühe Sexualeinschüchterung durch ein
Geschlecht und/oder die erfahrene Zuneigung und Fürsorge durch das andere führen zu einem
entsprechenden Abwenden von bzw. Zuwenden zu einem Geschlecht. Eine intensive, zeitlich aber
begrenzte Fixierung auf die Mutter in der Kindheit, die zur Identifikation mit derselben führe, lasse
den Jungen sich selbst als Sexualobjekt nehmen. Das Fehlen einer Vaterfigur und das Entstehen eines
Vaterkomplexes, der dann später in einer homosexuellen Beziehung gelöst werden soll, die
Erziehung von Jungen durch Männer oder die Verachtung gegenüber den Frauen als Penislose
werden als die Inversion begünstigend angesehen. Es gebe männliche Homosexuelle, die sich als
Frau
fühlen,
„Subjekthomoerotiker“,
und
solche,
die
sich
als
Mann
verstünden,
„Objekthomoerotiker“, wobei oftmals eine Mischung aus beiden Positionen festzustellen sei. Der
Narzissmus bei der Wahl des Sexualobjektes und die Praxis des Analverkehrs gelten als primitive
und archaische Konstitutionen der Psyche. (Mitscherlich 48-57) Bei Mädchen sei es der anhaltende
Wunsch nach einem Penis bzw. danach, ein Mann zu sein, der Homosexualität und die
Selbstidentifikation als Mann bewirke (279). Trotz traditioneller Erziehung der Kinder durch die
Frauen ist dies für Freud kein Ausgangspunkt homosexueller Neigungen, was er mit der
geschlechterspezifischen Überwachung der (jeweils gleichgeschlechtlichen) kindlichen Sexualität
und der damit einhergehenden Autorität zu erklären versucht (132). Die Psychoanalyse soll im
Folgenden im Vergleich mit den Theorien Anneli Taubes in den Fussnoten des Romans zu deren
Interpretation dienen.
2.4
Die Theorien zur Homosexualität in „El beso de la mujer araña”
Die Fussnoten im Roman beinhalten – mit Ausnahme der zweiten – Theorien zur Homosexualität.
Nach Aussage Manuel Puigs dienen sie vor allem der Aufklärung in einer Zeit voller Vorurteile und
Unwissenheit (Amícola und Engelbert 629), doch erschöpft sich damit ihre Funktion keineswegs. So
reflektiert allein schon die gesellschaftliche Differenzierung von Hetero- und Homosexualität in den
Erklärungsansätzen
die
von
Butler
kritisierte
Zwangsheterosexualität
und
das
binäre
Geschlechtersystem. Heterosexuell, homosexuell, bisexuell usw. ergeben nur dann einen Sinn, wenn
diese Bezeichnungen in eine gesellschaftliche Ordnung eingebunden sind, die (ausschliesslich) zwei
Geschlechter unterscheidet. Sobald die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern anerkannt oder
aber das Bestehen einer Begriffs- und Beschreibungskategorie Geschlecht verneint wird, werden
auch die gängigen Ausdrücke sexueller Ausrichtung inkorrekt bzw. irrelevant. Bei der Annahme
einer Vielzahl von Geschlechtern bedarf es weiterer Begriffe, um diese „neuen“ Formen der
Sexualität zu benennen. Zudem beziehen sich Homosexualität, Bisexualität und Heterosexualität
üblicherweise auf das vermeintlich unveränderliche biologische Geschlecht, erkennen somit weder
10
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
dessen Uneindeutigkeit und Konstruiertheit noch zumindest die Existenz eines sozialen Geschlechtes
an. Die Fussnoten, von deren Theorien viele auf Sigmund Freuds Psychoanalyse gründen (Puig 103),
beinhalten im Übrigen einige Informationen zu geschlechtsspezifischen Rollenvorstellungen – ein
weiteres Indiz dafür, dass Geschlecht und Sexualität sehr eng miteinander verknüpft sind. So wird
auf S.200 des Romans die Sozialisierung im Sinne der männlichen Überlegenheit thematisiert und
Stereotype von Mann und Frau dargelegt: Der starke, gewalttätige Mann sucht die Frauen zu erobern;
diese wiederum streben eine Bindung an den Mann an.
Die scheinbare Wissenschaftlichkeit der Fussnoten wird durch die fehlende Exaktheit der Zitate als
auch durch die Berufung auf die nicht existierende Anneli Taube hinterfragt (Balderston 586). In ihr
findet sich der im Text hinter Dialoge, offizielle Berichte oder Gedankengänge zurücktretende
Erzähler wieder. Interessant ist hierbei auch die Wahl einer weiblichen und nicht einer männlichen
Person, in der sich der Autor repräsentiert sieht. Dies wird durch die Manuskriptnotiz „ME alone!!!!“
[ich alleine] verdeutlicht. (570) Damit stellt der Autor nicht nur die schicksalhafte Unabänderlichkeit
des eigenen Geschlechts in Frage, sondern parodiert zudem den Glauben an die Objektivität der
Wissenschaft: Die Fussnoten scheinen wissenschaftlich-objektiv, sind es jedoch nicht. Somit werden
nicht nur die wiedergegebenen Thesen ad absurdum geführt, sondern auch die Sinnhaftigkeit solcher
Untersuchungen in Frage gestellt. Wissenschaft kann nie objektiv sein, da sie von Menschen
betrieben wird, die in ihrer Zeit verfangen und somit in einem gewissen Masse an deren Normen und
Werte gebunden sind. Vor diesem Hintergrund erhalten die Theorien Taubes (Puig 209-211)
besonderes Gewicht. Sie benennen die Entscheidung eines Kindes gegen die aggressive Männlichkeit
bzw. die Unterwerfung der Weiblichkeit als eine bewusste, die sich zwischen dem dritten und dem
fünften Lebensjahr ereignet. Das binäre Geschlechtersystem bietet dem Kind jedoch nur eine einzige
Alternative zu der von ihm erwarteten Identität – die des anderen Geschlechts. Intime Beziehungen
zum anderen Geschlecht sind für das aufbegehrende Kind unvorstellbar, da diese immer auch die
gesellschaftlichen Rollenverteilungen und Geschlechtervorstellungen widerspiegeln. „[L]os modelos
,burgueses’ de homosexualidad“ (211), die bürgerlichen Modelle der Homosexualität, d.h. die
stereotypen
Paarbeziehungen
bürgerlicher
Ideologie,
sind
die
Folge
der
herrschenden
Moralvorstellungen. Auch die beiden Hauptcharaktere des Romans sind stark von diesen geprägt,
wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. Dies stellt eine Einschränkung der eigenen
Möglichkeiten dar (Bacarisse Impossible Choices 105/6). Diese sieht in der Frauenbewegung die
Grundlage dafür, Homosexualität aus der Marginalisierung zu befreien, da sich die festgeschriebenen
Geschlechterzuschreibungen aufzulösen beginnen. Nicht übersehen werden darf dabei jedoch, dass
diese Thesen im Zuge ihrer Darlegung zugleich wieder eingeschränkt werden. Die Bezeichnung der
angeführten stereotypen Vorstellungen bezüglich homosexueller Menschen als „prejuicio, u
observación justa“ [Vorurteil oder genaue Beobachtung] (Puig 211) zeigt diese Unsicherheit. Es wird
die Frage aufgeworfen, ob die Darstellung Homosexueller in der Tradition heterosexueller,
angenommener,
Geschlechtereigenschaften
ein
Vorurteil
darstellt,
das
sich
auf
die
Wertevorstellungen der Gesellschaft stützt und sie reflektiert, oder aber insofern „wahr“ ist, als dass
sich diese selbst auf diese Weise identifizieren und somit wiederum ein Ausdruck gesellschaftlicher
11
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Geschlechtersozialisation
Geschlechterunterschiede
Ursachen der Homosexualität
Psychoanalyse
„Anneli Taube“
Identifikation mit
Identifikation mit
gleichgeschlechtlichem Elternteil;
gleichgeschlechtlichem Elternteil;
mehrere Entwicklungsphasen,
Rollenstereotype lassen nur zwei
entscheidend ist ödipale Situation
Möglichkeiten
Biologisch bedingt; Herausbildung
Keine natürliche, geschlechtlich
über sexuelles Begehren
bedingte Identität
Homosexualität als Abweichung in
Identifikation mit
der sexuellen Entwicklung,
andersgeschlechtlichem Elternteil
Zusammenwirkung von
als bewusste Entscheidung;
angeborenen und erlernten
Ablehnung der gesellschaftlich
Faktoren
vorgegebenen Geschlechtlichkeit;
dadurch Verunmöglichung
klassischer heterosexueller
Beziehungen
Relevantes Alter
6. Lebensjahr
3. – 5. Lebensjahr
Handlungsprioritäten
Ursprüngliche Bisexualität, endet
Befreiung aus Geschlechterrollen
mit „Kultur“
beinhaltet auch Befreiung der
Homosexualität
Tabelle 2: Vergleich von Psychoanalyse und den „Theorien“ Anneli Taubes (eigene Darstellung)
Realität sind. Auffallend ist hierbei auch, dass nichtsdestotrotz keine natürliche und gegebene
Geschlechtlichkeit angenommen wird. Vergleicht man diese Sichtweise nunmehr mit derjenigen der
Psychoanalyse, so stellt man sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede fest (siehe auch
Tabelle 2). Nicht mehr die ödipale Situation mit Kastrationsangst und Penisneid ist entscheidend für
die Formierung der eigenen Geschlechtsidentität, sondern es sind vielmehr die gesellschaftlichen
Rollenvorbilder, die verinnerlicht oder umgekehrt werden. Sexuelle Neigungen sind so eine Folge
der Geschlechtsidentität, wohingegen die Psychoanalyse diese aus dem Zusammenwirken von
Angeborenem und Erlerntem erklärt und als eine Frage der menschlichen Entwicklung betrachtet.
Ein weiterer Unterschied ist das relevante Alter, das von Taube heruntergesetzt wird. Dies trägt der
Kritik Rechnung, die von Untersuchungen gestützt werden, die eine feste Geschlechtsidentität bereits
vor dem sechsten Lebensjahr festgestellt haben. Kritisch lässt sich anmerken, dass der
psychoanalytische Biologismus zwar nunmehr differenzierter betrachtet wird, Homosexualität
nichtsdestotrotz aber nach wie vor zu erklären versucht wird, indem auf Geschlechterrollen
zurückgegriffen wird. Homosexualität ist in diesem Sinne ein Fehlen von Wahlmöglichkeiten, nicht
jedoch etwas „Natürliches“. Im Gegensatz zu einigen Autoren, die die These einer bisexuellen
Utopie und die Anerkennung der eigenen gegengeschlechtlichen Charakterzüge in den Theorien
Anneli Taubes sehen (Levine 258), wird hier argumentiert, dass die entsprechenden Aussagen
hauptsächlich von den zuvor in den Fussnoten angeführten Autoren gemacht wurden, von Taube aber
kaum aufgenommen werden. Sie bleibt in ihrer eigenen Zeit und deren Moralvorstellungen gefangen.
12
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Die Unterscheidung von Mann und Frau wird zwar als sozial konstruiert betrachtet, aber durch
Anneli Taube nicht grundsätzlich in Frage gestellt12.
Betrachtet man den Titel des erfundenen Buchs Taubes, Sexualidad y revolución [Sexualität und
Revolution], erkennt man die Wechselbeziehung, die diesen beiden Begriffen zugeschrieben wird.
Dies bezieht sich zum einen auf die im Zuge der Frauenbewegung aufkommenden Auflösungen von
Geschlechterklischees, die bereits bei der Zusammenfassung der Taub’schen Thesen Erwähnung
gefunden haben. Diese Entwicklung wird durch das Schlagwort der sexuellen Revolution treffend
zusammengefasst. In Verbindung mit der 68er-Bewegung wurden Forderungen nach einer Befreiung
der Sexualität laut, die mit dem Wunsch nach politischer und gesellschaftlicher Veränderung
einhergingen. Ausgehend von Herbert Marcuse und Wilhelm Reich galt die sexuelle Befreiung als
Mittel zur Befreiung des Einzelnen. (Prinz 361) Die revolutionäre Dimension der Sexualität des
Buchtitels knüpft an die Rolle des „filósofo crítico“ [kritischer Philosoph] (Puig 199) an, die
Homosexuelle laut den in den Fussnoten dargelegten Theorien Herbert Marcuses einnehmen. Die
Homosexualität ist subversiv, da sie der „natürlichen“ Heterosexualität entgegenläuft. Sie bietet
somit einen Ansatzpunkt für die gesellschaftliche Veränderung, für eine gesellschaftliche Revolution.
Somit wäre also nicht Valentín der revolutionäre Part, sondern Molina. (Balderston 568/9) Auf diese
These wird später bei der Beschreibung der einzelnen Charaktere noch vertieft eingegangen.
Allerdings gilt es zu beachten, dass die Revolutionarität der sexuellen Revolution umstritten ist und
war. So fand eine Verfestigung von geschlechtlichen Rollenvorstellungen statt. Michel Foucault
betrachtete die sexuelle Revolution in der Folge auch als in die diskursiven Machtmechanismen
integriert. (Prinz 362) Somit stellt sie keine Lösung aus den gesellschaftlichen Verhältnissen dar,
sondern bestärkt diese im Gegenteil noch, da sie sich innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses
bewegt und mit ihm konform läuft. Entsprechendes liesse sich hier auch über die Homosexualität
sagen. Diese Bedenken sind jedoch nicht Bestandteil der in den Fussnoten wiedergegebenen
Theorien und ebenso wenig derjenigen Taubes.
Die Fussnoten sind aufgrund ihrer Natur nicht Teil des eigentlichen Textes, sondern ans Seitenende
verbannt, vom Rest des Textes getrennt. So spiegeln sie die (damalige) Marginalisierung der
Homosexualität bzw. der Sexualität und der Geschlechtlichkeit im Allgemeinen in der Gesellschaft
wieder. (Ezquerro 501) Auf der anderen Seite ist jedoch ihre Existenz an sich ebenfalls von
Bedeutung: Sie sind zwar marginalisiert, aber vorhanden. In gleicher Weise könnte man die
Sexualität und die Einteilung in zwei Geschlechter beschreiben, als Tabu, das nicht diskutiert werden
darf. Die Fussnoten stellen einen essentiellen Bestandteil des Romans dar13. Sie setzen dort ein, wo
12
Siehe auch Dabove (35). Eine andere Ansicht vertritt Muñoz (80).
In dieser Arbeit werden die Fussnoten als dem Text gleichgestellt betrachtet. Andere Meinungen bezeichnen
sie entweder als nebensächlich oder aber als eigentlichen Haupttext (Fabry 33-73). So ist für Elías Miguel
Muñoz der fiktive Text eine blosse Wiederholung der Theorien in den Fussnoten. Zugleich wirft er dem Autor
vor, erneut die Wahrheit verkünden zu wollen, (72) wohingegen Pamela Bacarisse ihm als postmodernen Autor
jedes Streben nach “certainty“ [Gewissheit] abspricht (Bacarisse Impossible Choices 36).
13
13
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Spannungen zwischen den Charakteren Molina und Valentín entstehen, die auf ein mangelndes
gegenseitiges Verständnis, auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen sind (Levine 258).
Demzufolge ist auch ihrem Verschwinden (nach S.211) eine grosse Bedeutung zuzumessen, da es
vermuten lässt, dass nunmehr die Konflikte zwischen den beiden Charakteren in Bezug auf Sexualität
und Geschlecht gelöst sind. Die Homosexualität, marginalisiert in den Fussnoten, kann auch als
Symbol verstanden werden für die unterdrückten Bereiche der Gesellschaft, für die Unterdrückung
durch die Herrschenden (Schlickers 205). So sah Argentinien seit Mitte der 50er Jahre des 20.
Jahrhunderts mehrere Militärregierungen, die schliesslich 1973 wiederum durch die Peronisten
abgelöst wurden. Die verschiedenen Militärdiktaturen bemühten sich um eine Unterdrückung des
Peronismus unter anderem über den Ausschluss von Wahlen. Dies führte jedoch dazu, dass sich
oppositionelle Arbeiter mit ihm identifizierten und dass eine peronistische Guerrillabewegung
entstand. Das Militär sah sich schliesslich gezwungen, Wahlen unter Einschluss der Peronisten
abzuhalten, die diese auch für sich entschieden. Juan Domingo Perón starb bereits im darauf
folgenden Jahr, woraufhin die Montoneros14 erneut zu den Waffen griffen. Die erneute
Machtübernahme durch die Militärs im Jahre 1976 führte zum guerra sucia, zum schmutzigen Krieg
mit den guerrillas. (Brown 226-237) Vor diesem Hintergrund ist auch „El beso…“ zu sehen, das
1976 nach mehreren Verzögerungen erschienen ist. Der Roman sollte 1973 erscheinen (Amícola und
Engelbert 629) und spielt 1975 mit Bezügen zu 1972 (Puig 151), das heisst seine Beginne gehören in
die Zeit der Militärdiktatur, die effektive Handlung aber in die der peronistischen Regierung. Da der
Roman jedoch 1973 erscheinen hätte sollen, befinden wir uns wohl nichtsdestotrotz im Umfeld der
Militärdiktaturen15. Dies lässt sich auch aus den umfassenden Befugnissen des Militärs im Roman
selbst herauslesen, so z.B. auf S.151, wo die Inhaftierung Valentíns ohne Prozess erwähnt wird.
Somit verkörpern die Fussnoten diejenigen Bereiche der Gesellschaft, die unter den Militärs
unterdrückt worden sind. Dies war, wie man angesichts der Art des Regimes erwartet, nicht nur die
Homosexualität, sondern alle möglicherweise die Ordnung gefährdenden Handlungen und
Meinungen, also auch die politische Subversivität Valentíns und seiner Genossen. Hiermit wird eine
Art Seelenverwandtschaft oder zumindest eine Leidensgenossenschaft zwischen den beiden
Hauptcharakteren suggeriert. Es gibt verschiedene Arten der Subversivität und des Widerstandes,
auch unbewusste. Dies trifft jedoch nicht allein auf die Zeit der Militärdiktaturen zu, sondern in
gleichem Masse auf die peronistische Herrschaft. So gibt es Anspielungen auf Perón, der während
der Militärdiktatur im ausländischen Exil lebte. In einer der Fussnoten, S.89, derjenigen, die sich auf
den Propagandafilm der Nationalsozialisten bezieht, wird Hitler als „Conductor“ [Leiter, Führer]
bezeichnet. Dies ist an sich nicht verwunderlich, da er in der Tat diese Bezeichnung für sich in
Anspruch nahm, allerdings handelt es sich hierbei ebenfalls um den Übernamen Peróns (Levine 71),
so dass dieser Titel im argentinischen Kontext letzterem zugeordnet werden dürfte. Für Hitler würde
14
Guerrilla von leicht nationalistischer Ausrichtung, die zur grössten Argentiniens wurde. Sie geriet in
Konflikt zu Perón, als dieser sich auf die Seite des rechten Flügels schlug. (Brown 232-234)
15
Diese Annahme gründet sich auch auf die Tatsache, dass nach der Machtübernahme der Peronisten 1973 alle
politischen Gefangenen freigelassen wurden. Die Montoneros unterstützen zu dieser Zeit nach wie vor Perón.
(Brown 234)
14
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
wahrscheinlich eher die deutsche Bezeichnung gebraucht, zumal dieselbe Fussnote auf derselben
Seite „Volk“ im Deutschen verwendet und nicht übersetzt. Die geäusserte Kritik betrifft somit beide
Arten von Regimes. Im Hinblick auf das Thema Geschlecht und Konstruktion beinhaltet dies die
Konstanz der gesellschaftlichen Werte. Autoritäre Regimes verlangen Anpassung und Konformität
vom Einzelnen und dulden kein Abweichen (Levine 71). Dies betrifft politische Einstellungen wie
auch sexuelle und geschlechtliche Identitäten und Selbstdarstellungen.
3
Darstellung der Charaktere und ihres Geschlechts in „El beso de la
mujer araña“
3.1
3.1.1
Molina
Die Heldinnen in den erzählten Filmen
Luis Alberto Molina16, im Roman von seinem Zellenkollegen Valentín durchweg mit seinem
Nachnamen, benannt, ist 37 Jahre alt und sitzt wegen der Verführung Minderjähriger eine Haftstrafe
ab17 (Puig 49, 151). Er versteht sich selbst als Frau: „ya que las mujeres son lo mejor que hay... yo
quiero ser mujer.“ [da die Frauen das Beste sind, was es gibt… will ich eine Frau sein.] (25). „Yo
siempre con la heroína.“ [Ich immer mit der Heldin.] (Puig 31) Mit diesen Worten identifiziert sich
Molina mit seinen weiblichen Hauptfiguren. Die Filme drücken seine Sicht der Welt (Teltscher 219)
und des Menschen aus (Muñoz 66) und sollen Valentíns Verständnis für diese erlangen. Dadurch gibt
Molina ein Stück seiner selbst preis, seine Überzeugungen und das eigene Rollenbild. Er projiziert
seine eigenen Vorstellungen und Wünsche auf diese virtuellen Figuren. Die tragischen Filmschlüsse
deuten das Ende des Romans an (Teltscher 219).
Beim ersten Film handelt es sich um eine ungefähre Nacherzählung von „Cat People“
(Katzenmenschen, 1942) (Schlickers 250-52). Molina identifiziert sich hierbei mit Irena, der
weiblichen Hauptfigur. Auch die Tatsache, dass nur Irena beim Namen genannt wird, lässt diese
Fokussierung deutlich werden. Irena ist in Molinas Erzählung jung und modisch: Handschuhe,
Plüschmantel, lackierte lange Fingernägel deuten auf einen gewissen Wohlstand hin. Auch die
Tatsache, dass sie in Budapest Kunst studiert hat, weist in diese Richtung. Sie steht auf eigenen
Füssen, ist unabhängig. Irena und der Architekt treffen sich nur durch Zufall wieder, da sie ihn, wenn
auch nicht ausdrücklich, am nächsten Tag versetzt. Er lädt sie zum Essen ein, und er möchte ihr ein
Geschenk kaufen, um ihren beruflichen Erfolg zu feiern und um sie zu „erobern“ („conqustársela“:
16
Nach Pamela Bacarisse besitzt „Alberto“ machistische Implikationen und ist „Luis“ ein Allerweltsnamen, die
Person somit austauschbar (Impossible Choices 141/42). Durch die Endung auf –a werde dagegen Molinas
Weiblichkeit betont (64).
17
Dieser Haftgrund führt zu einiger Verwirrung in der Literatur, denn Molinas Festlegung auf die passive Rolle
sollte diesem Vorwurf gerade entgegenstehen (Bacarisse The necessary dream 92), weshalb die Tabuisierung
der Homosexualität als wahrer Grund seiner Gefangenschaft gesehen wird (Teltscher 217/18).
15
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Puig 13). Damit wird die klassische Rolle des starken Mannes suggeriert, des Gentlemans und des
Eroberers. Diese wird durch die der schwachen Frau ergänzt, die erobert werden will bzw. keine
andere Wahl hat. Allein durch diese Ausdrucksweise wird eine Ungleichheit zwischen beiden
konstruiert und die Rollenteilung von aktivem Mann und passiver Frau eingeführt, die sich auch im
Ritual des Heiratsantrages äussert („su elegida“ [seine Auserwählte] (16)). Sie überwindet für ihn
ihre Angst und begleitet ihn in das osteuropäische Restaurant. Von Anfang an, vom Schatten über
ihrem Gesicht zu den Ereignissen in der Tierhandlung, wird ein dunkles Geheimnis angedeutet, das
Irena in sich trägt. Sie traut sich offenbar jedoch nicht, ihm dieses zu gestehen, sondern ist scheu und
zurückhaltend, weicht zu grosser Intimität aus. Auch bei der Begegnung mit der anderen
„Katzenfrau“ erscheint sie schwach und zerbrechlich, ist den Tränen nahe. Sie möchte sich von ihrem
Verlobten beschützen lassen und versteckt sich in seiner Umarmung. Sie zeigt ein kindliches
Schutzbedürfnis, indem sie ihren Kopf auf seine Beine legt. Zu diesem Bild trägt auch die „bondad“
[Güte] des Architekten bei, der alt und weise und somit überlegen erscheint. Die Legende der
Katzenmenschen entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn die daheimgebliebene Frau dem Teufel
verfällt, weil die Frauen des Dorfes zu schwach sind, sich gegen die hungrigen wilden Tiere zu
verteidigen, während die (starken) Männer auf einem „Guerra Santa“, einem heiligen Krieg gegen
das Böse sind. Die Katzenfrauen repräsentieren das Gefährliche, das Bedrohliche in den Frauen, das
beim Kuss eines Mannes zum Vorschein kommt und diesen verzehrt und tötet. Nichtsdestotrotz
erscheint Irena hilfebedürftig, ihr Verlobter gibt ihr Kraft und beruhigt sie. Er kümmert sich nach
ihrem Geständnis um sie wie um ein Kind. Im Gegenzug fällt sie daraufhin in die Rolle der
fürsorglichen Hausfrau und bereitet ein reichhaltiges Frühstück zu. Die folgenden Besuche im Zoo
erscheinen durch das Nichteinhalten der Abmachung zum Besuch eines Psychoanalytikers und die
damit einhergehende Heimlichkeit als Verrat an ihrem Ehemann und somit als falsch. Damit wird
eine moralische Unterlegenheit geschaffen. Der Architekt ist das unschuldige, hart arbeitende Opfer
einer frigiden Ehefrau. Dadurch und durch ihren Verrat treibt sie eine Kluft zwischen sich und ihren
Mann. Ihre grundlose Eifersucht bringt die grausame Katzenfrau zum Vorschein, die den Vogel tötet.
Sie verfolgt und bedroht die Arbeitskollegin des Architekten, wodurch sie ihren Mann weiter von
sich entfremdet und dessen Annäherung an die Kollegin begünstigt. Schliesslich tötet sie den
Psychoanalytiker, nachdem sie ihn, wenn auch unbeabsichtigt, dazu ermuntert hat, sie zu küssen. Die
Psychoanalyse, der Psychoanalytiker als „agente de la interpretación“ [Agent der Interpretation]
(Dabove 34) versagt. Unterdessen wird Irena bereits von ihrem Mann, dessen Kollegin und der
Polizei gesucht, was sie zu einer Kriminellen macht. Der Panther symbolisiert das Böse; indem Irena
die Schlüssel an sich nimmt, erliegt sie dessen Versuchung und besiegelt schlussendlich ihr eigenes
Schicksal. Irena wird dämonisiert, ihr Tod ist die Folge ihrer eigenen Natur und ihrer Schwäche. Das
Böse ist ein Teil von ihr, sie stellt eine Gefahr dar, zugleich ist sie jedoch schwach und
schutzbedürftig, kindlich. Ihre finanzielle Unabhängigkeit kontrastiert mit ihrer intellektuellen und
moralischen Unselbständigkeit. Nichtsdestotrotz ist sie die einzige, die mit Namen genannt wird, was
ihr Persönlichkeit und Individualität zugesteht. Diese werden allerdings durch die stetige Präsenz des
Todes wieder negiert (Dabove 46/7), zumal im Angesicht des Todes eine Gleichstellung der
Menschen, d.h. aller Menschen erfolgt. Der Tod macht alle gleich. Molinas Ausspruch „Que sueñes
16
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
con Irena.“ [Träum von Irena.] deutet angesichts der Tatsache, dass sich Molina mit Irena
identifiziert und dass er kurz darauf behauptet, er wisse, dass sich Valentín zur Architektin
hingezogen fühle, den Wunsch Molinas an, von Valentín begehrt zu werden. (Puig 15) Die
Identifikation Molinas mit Irena bezieht sich ebenfalls auf seine Sexualität, die unkontrollierbar und
ohne Hoffnung auf Erfüllung scheint (Bacarisse Impossible Choices 41, Wiegmann 110). Die
Fähigkeit Irenas zur Verwandlung ist ein Mittel, die vorgegebene Rolle zu durchbrechen. Dadurch,
dass die Katzenfrau als etwas Unnatürliches angesehen und in der Folge marginalisiert wird, ist sie
eine Abweichung von der gesellschaftlichen Norm. Diese gesteht der Frau in einer patriarchalischen
Gesellschaft allein den passiven, inferioren Part zu. Die Katzenfrau ist jedoch stark, stärker als der
Psychoanalytiker, und aggressiv, besitzt demnach klassische „männliche“ Eigenschaften. Sie
versucht, sich anzupassen, rebelliert aber letztendlich durch ihre Verwandlung, aber auch – in
endgültiger Art und Weise – durch ihren Tod, gegen die engen sozialen Regeln und die vorgegebene
Rolle. Molina ergeht es ähnlich, denn auch er steht ausserhalb der gesellschaftlichen Normen.
(Campos 538-540) Auch er versucht, sich dahingehend anzupassen, als dass er sich mit der
weiblichen Rolle (über)identifiziert. Vergleicht man Molinas Darstellung mit dem Film selbst, so
lassen sich bedeutsame Unterschiede im Hinblick auf die weibliche Geschlechterrolle erkennen. Die
Irena der Filmerzählung ist um einiges selbstbewusster. Sie ergreift die Initiative und lädt den
Architekten bei ihrer ersten Begegnung zu sich ein. Auch die Verwandlung zur Katzenfrau erfolgt
nicht durch einen blossen Kuss, sondern dadurch, dass den Frauen Unrecht geschieht, sie schlecht
behandelt werden. (Schlickers 250/51) So bittet Irena den Architekten auch, sie vor Eifersucht und
Zorn zu bewahren (Cat People). Damit liegt ein grösserer Teil der Schuld beim Mann als bei Molinas
Version, denn er löst durch sein Verhalten die Verwandlung aus und ist somit Ursache des folgenden
Unglücks. Der These, Irena wäre im Film bösartig und rachsüchtig (Bacarisse The necessary dream
97) wird hier widersprochen, denn ihre Eifersucht ist wohlbegründet, sie ermuntert den
Psychoanalytiker keineswegs, im Gegenteil, usw. (Cat People) Die Unterschiede zwischen den
beiden Erzählungen betonen die traditionellen Rollenvorstellungen der Geschlechter, die Molina
verinnerlicht hat, weiter: Er gibt nicht nur einen Film wieder, der ihm gefallen hat, sondern verändert
diesen, so dass er in sein eigenes Weltbild passt. Dies bedeutet Passivität aber auch die
Stereotypisierung der Frau in „Hure und Heilige“.
Beim zweiten Film, den Molina erzählt, handelt es sich um einen erfundenen nationalsozialistischen
Propagandafilm (Bacarisse The necessary dream 89)18. Er spielt in Paris zur Zeit der Besatzung. Die
Protagonistin der Erzählung heisst Leni – erneut ist sie die einzige der Erzählung mit Namen – und
ist eine bekannte Revuesängerin. Laut Molina ist sie „[l]a mujer más más divina“ (Puig 57), die
absolut göttlichste Frau und damit seine Idealvorstellung, sein Vorbild. Ihr Aussehen und ihre
Schönheit werden verklärt, sie erscheint irreal – „parece una estatua“ [sie scheint eine Statue zu sein]
18
Sabine Schlickers zieht hier Parallelen zu „Die gro[ss]e Liebe“ (1941/42) (253). Dieser Zusammenhang ist
allerdings lediglich ein entfernter, sowohl im Hinblick auf die Handlung als auch auf das Verhalten der
Charaktere. Es geht darum, den Geliebten mit dem Vaterland zu teilen. (Die gro[ss]e Liebe)
17
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
(61). Für Lenis Bewunderer, den Chef der deutschen Gegenspionage, ist Schönheit gleichbedeutend
mit Güte19. Während ihrer Darbietung erscheint sie hilflos und passiv. Im Gespräch mit ihrer
Arbeitskollegin vermittelt sie dagegen den Eindruck von Überlegenheit und Weisheit, wohingegen
die andere jung, unerfahren und unsicher erscheint und sich ratsuchend an ihre Kollegin wendet. Der
deutsche Offizier ist jung und gutaussehend, kulturinteressiert und gebildet. Leni möchte jedoch ihre
Unabhängigkeit wahren und hält ihn zunächst auf Distanz, auch aus politischen Gründen. In diesem
Sinne kann man auch den schottischen Whisky verstehen, den Leni anstelle des deutschen
Schnapses, den der deutsche Offizier bestellt, verlangt und kaum anrührt. Liebe und Politik stehen im
Film im Widerspruch zueinander, aber stets nur für die betroffenen Frauen. Sie sind es, die Opfer
bringen müssen. Lenis Arbeitskollegin stirbt für ihre Liebe – und den Verrat an Frankreich und der
Résistance. Leni selbst zeigt sich zunächst von der Galanterie des deutschen Offiziers, der ihr seltene
und teure Blumen schenkt, sie zum Essen einlädt, ihr die Hand küsst usw., wenig beeindruckt. Erst
die Angst bringt sie dazu, eine grössere Nähe zu ihm zuzulassen bzw. zu suchen. Der Schatten, den
sie bei sich zu Hause hinter einem der Fenster erblickt, lässt sie an das Schicksal ihrer
Arbeitskollegin denken, die ihre Liebe zu einem deutschen Leutnant mit dem Leben bezahlen
musste. Deshalb bittet sie ihren Begleiter, sie mit zu sich zu nehmen. Sie hat Angst und sucht Schutz.
Sie ist eine „mujer fragilísima“, eine sehr zerbrechliche Frau (62). Dem steht der deutsche Offizier
als starker und trotzdem gefühlvoller Held im Kampf für sein Vaterland gegenüber. Die
Frauenfiguren sind auf Kunst und Privates beschränkt, die Verantwortlichen von Résistance wie auch
der Besatzungsmacht sind Männer. (Puig 55-63) Leni wird von der Résistance erpresst, ihren
Geliebten auszuspionieren und Informationen zu beschaffen. Sie muss sein Vertrauen missbrauchen,
um ihren Verwandten, der als Druckmittel dient, zu retten. Sie ist hilflos, ein Spielball mächtiger
Männer. Nichtsdestotrotz bewältigt sie ihre Aufgabe clever und phantasievoll, indem sie ihre
Abwesenheit durch das Auflegen einer Schallplatte verheimlicht. Später flieht sie vor dem Tod ihres
Verwandten, der sie dadurch befreien wollte, quer durch Paris. Ihre Flucht ist eine Flucht vor der
Realität, der Wahrheit des Augenblicks, und endet in den Armen des deutschen Offiziers. Diese
Harmonie hindert Leni aber nicht daran, der Ermordung Gefangener ablehnend gegenüberzustehen,
und sich diesmal aus freiem Willen der Résistance zuzuwenden. Sie lässt sich nicht von ihrem
Geliebten vereinnahmen und behält ihre geistige Unabhängigkeit. (79-88) Dies ändert sich erst als sie
Berlin besucht. Die Erfahrungen, die sie dort macht, die Dinge, die sie dort sieht, überzeugen sie –
natürlich – von der Integrität ihres Geliebten und von der Richtigkeit seines Standpunktes. Von nun
an ist sie der nationalsozialistischen Mission treu ergeben und spioniert die Résistance aus. Sie hat
sich der Sache ihres Geliebten angeschlossen. Sie tötet den Chef der Gegenseite, indem sie ihm
vorspielt, ihn verführen zu wollen, ein klassisch weibliches Motiv. Sie stirbt in den Armen des
19
Das u.a. in der Kunst zum Ausdruck kommende nationalsozialistische Schönheitsideal konzentrierte sich auf
riesenhafte Masse sowie muskelbepackte Körper, die den „edle[n], heroische[n] deutsche[n] Mensch[en]“
verkörperten (Goerlitz und Immisch 88). Dem Konflikt zwischen der nationalsozialistischen
Frauenfeindlichkeit und dem Bedürfnis, diese für die eigenen Ziele einzuspannen, begegnete man mit der
Heroisierung von Haushalt und Mutterschaft (Clark 68). Die Aufgabe der Frau war die „Erhaltung“ des Volkes
(Birk et al. 118).
18
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
deutschen Offiziers als Heldin des Deutschen Reiches. Ihre Liebe wird fürs Vaterland, zu dem sich
Leni nun auch zugehörig fühlt, geopfert – für ein höheres Ziel. So ist auch der Weg ihres Geliebten
am Ende ein Weg des Lichts und der Freude. (97-100) Leni gibt ihre Einstellungen und
Überzeugungen zugunsten denen des von ihr geliebten Mannes auf, was zwar zu ihrem Tod, aber
auch zu ihrem Glück führt. Trotz ihrer anfänglichen Eigenständigkeit wirkt sie am Schluss passiv
und identitätslos. Auch als Heldin bleibt sie passiv: Sie bringt den Führer der Résistance dazu, in
seinen eigenen Tod zu rennen, als er mit ihr schlafen will. Durch ihren Tod, den sie nicht verhindern
kann, da sie hilf- und wehrlos ist, wird sie zur Heldin. Die Fussnote (88-94), die einzige, die sich
nicht mit Theorien zur Homosexualität befasst, gibt sich als Teil eines Filmbeschriebs des Filmes
„Destino“ [Schicksal] der verantwortlichen Filmstudios aus und enthält eine Zusammenfassung
desselben. Sie durchbricht damit die Regelhaftigkeit der Fussnoten, steht einer Systematisierung
entgegen und erschwert ihre Hierarchisierung in Verbindung mit dem übrigen Text (Zapata 226).
Dargestellt wird nunmehr die politische Sicht des Filmes, die der nationalsozialistischen Propaganda,
wohingegen Molina sich auf die Romantik und die Liebesbeziehung konzentriert. Dabei wird der
nationalsozialistischen Ideologie entsprechend die Natürlichkeit der weiblichen Schönheit betont.
„’[L]a misión de ella es ser hermosa y traer hijos al mundo.’“ [Ihre Mission ist es, schön zu sein und
Kinder zur Welt zu bringen.] (89) Den Frauen wird somit die traditionelle Rolle von Hausfrau und
Mutter zugewiesen. Die Aufgabe der Frau, in der sie sich selbst verwirklichen kann, ist, das deutsche
Volk zu vergrössern und so der nationalsozialistischen Sache zum Sieg zu verhelfen. Leni erfährt
hier eine andere Art der Wertschätzung aufgrund ihrer Natürlichkeit und Weiblichkeit. Nunmehr
wird auch der deutsche Offizier, der zuvor anonym geblieben ist, mit Namen – Werner – genannt.
Damit erhält er Kontur, wird aber auch zur Hauptfigur der Handlung, da er bereits in der Erzählung
Molinas der Überlegene gewesen ist. Diese Beziehung wird hier nun umso deutlicher, wie z.B. in
dem Wortpaar „ordenar“ [befehlen] – „obedecer“ [gehorchen] (91). Sowohl das weibliche Frauenbild
der Natürlichkeit und Emotionalität als auch die übrige nationalsozialistische Ideologie mit ihrer
Rassenlehre – die „jüdische Weltverschwörung“ – und Selbsterhöhung finden hier ihren Ausdruck.
Auch wenn die Fussnote einige Durchbrechungen des Sprachstils und der Wortwahl einer
propagandistischen Veröffentlichung aufweist, wie „su arrogante uniforme“ [seine arrogante
Uniform] (91), wird hier nicht davon ausgegangen, dass dieselbe ein weiteres Ausdrucksmittel
Molinas ist (vgl. dazu Bacarisse The necessary dream 106), sondern im Gegenteil ein neues Element
der Erzählung darstellt (Zapata 226). Die Ausdrucksweise ist nicht die Molinas (Kerr 671), zum
einen aufgrund der ausgeprägten Wiedergabe propagandistischen Materials und der Konzentration
auf Politisches, zum anderen aufgrund der grösseren Distanziertheit der Wiedergabe im Hinblick auf
die Liebesgeschichte, die schliesslich einer „höheren“ Sache untergeordnet wird. Das Gewicht liegt
auf der inneren Wandlung Lenis. Die nicht ins Bild passenden Einwürfe durchbrechen und
konterkarieren die manipulative Einflussnahme, indem sie das Gesagte wiederum in Frage stellen.
Sie stellen einen unabhängigen Kommentar dar, der aber nicht direkt die politische bzw. ideologische
Aussage kritisiert, sondern diese vielmehr indirekt, gerade durch seine scheinbar apolitische Natur
und Subtilität ironisiert. Die Grossschreibung von „la Verdad“ [die Wahrheit] (Puig 94) erinnert an
den religiösen Dogmatismus mit seinem Anspruch auf die absolute Wahrheit, was zwar durchaus im
19
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Sinne des Nationalsozialismus zu verstehen ist, aber hier reichlich lächerlich erscheint, genauso wie
das Picknick, welches eher an eine romantische Begegnung denken lässt. Auch die Ausdrücke wie
„corazón de mujer“ [Frauenherz] (92) oder die Begründung von Lenis Interesse am Innersten Hitlers
durch ihr Frausein betonen das (nationalsozialistische) Frauenbild und führen es zugleich ad
absurdum. Was ist ein „corazón de mujer“? Welchen Sinn sollte es haben, das Geschlecht in solch
einer banalen Situation zu betonen? Leni muss zwischen ihrer Liebe zum deutschen Offizier und
ihrer Treue zu ihrem Land wählen (Bacarisse The necessary dream 105). Ihre Liebe siegt über die
Politik20 und den Tod (Campos 541), aber auch über ihre Überzeugungen, die sie opfert. Leni ist eine
Gefangene der Situation, der Ereignisse, die sie erbarmungslos mit sich reissen (Bacarisse The
necessary dream 106). Auch Molina sieht sich – aus einer wertneutralen Perspektive gesehen – in
einer ähnlichen Lage, wenn er sich zwischen seiner Liebe zu Valentín und seiner Verpflichtung
gegenüber dem Regime entscheiden muss (Schlickers 260).
Den dritten Film, „The Enchanted Cottage“ (Mit den Augen der Liebe, 1945) (Schlickers 258)
erzählt sich Molina selbst und erlebt gedanklich die Erfahrungen seiner Protagonistin mit. Dieser
innere Monolog wird durch die Kursivschreibung verdeutlicht, die den Text von seiner Umgebung
abhebt. Molina versetzt sich in die Bedienstete hinein, die zwar äusserlich hässlich ist, jedoch eine
wunderschöne Stimme hat. Sie ist unterwürfig und traut sich nicht, das Paar anzusehen, das sich für
das Haus interessiert. Auch das Verhältnis zur Hausherrin wird anfänglich durch dieses Bewusstsein
der sozialen Unterschiede bestimmt. Die Hausherrin erscheint als Tyrannin, der man nichts recht
machen kann, der die kleine Bedienstete nichts entgegenzusetzen hat. Innerhalb des verlobten Paares
ist es der Mann, der über die gemeinsame Zukunft bestimmt, und fest dazu entschlossen ist, in das
Haus einzuziehen, auch wenn seine Verlobte nichts von dieser Idee hält. Nichtsdestotrotz empfindet
die Bedienstete alias Molina sofort Gefallen an ihm, was sich auch an der Antipathie zeigt, die sie
seiner Freundin gegenüber empfindet. So bezeichnet sie sie als „bastante antipática“ [ziemlich
unsympathisch] (Puig 106). Bei seiner Rückkehr aus dem Krieg ist er von einer Narbe entstellt,
welche an Valentíns Muttermal (222) erinnert, ebenso wie der anschliessende Gedankensprung zu
Valentín. Molina fühlt sich zu ihm hingezogen, obwohl er durch Folter und Krankheit „entstellt“ ist
(Campos 544). Die Arroganz der Filmfigur indes hat sich nicht gemildert, sondern vielmehr
verstärkt, dient nunmehr aber grösstenteils seinem eigenen Schutz. Er fühlt sich verwundbar und
hilflos und erhofft sich, sich mittels der Distanz zu anderen Menschen selbst zu schützen, nachdem er
sein gutes Aussehen und damit einen Teil seines bisherigen Lebens verloren hat. Er versinkt in
Selbstmitleid, wagt sich weder seinen Eltern noch seiner Verlobten zu zeigen und schliesst sich in
seinem Zimmer ein. Die beiden Aussenseiter, die hässliche Dienerin und der entstellte Mann, tun
sich zusammen, um dem Leben zu trotzen. Durch ihre Liebe erstrahlen sie an ihrem Hochzeitsabend
und in der Folge in unfassbarer Schönheit. Diese Schönheit ist jedoch nicht wirklich bzw. entspricht
20
René Campos sieht darin auch die Beseitigung des grundlegenden Unterschieds zwischen den beiden
Hauptcharakteren (541), was allerdings die Bedeutung der sozialen Rahmenbedingungen und Normen zu stark
vernachlässigt.
20
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
nicht der angenommenen Wirklichkeit mit ihrer Betonung des Äusseren. Diese Erfahrung ist für
beide schmerzvoll, da sie nach wie vor in der dominanten gesellschaftlichen Realität gefangen sind.
Erst der Blinde, für den Äusserlichkeiten keine Bedeutung besitzen, weist ihnen den Weg zurück ins
Glück, indem er ihnen fast mit den Worten Antoine de Saint-Exupérys (Chapitre XXI) sagt, die Seele
sehe besser, was wichtig sei. Diese ist – im Gegensatz zum Herzen – auch nicht biologisch fassbar
und determiniert. Molina, der sich selbst als Frau sieht, wird von den von ihm begehrten Männern als
ihresgleichen wahrgenommen, was es ihm verunmöglicht, die Beziehung seiner Träume zu führen.
Die Bedeutungslosigkeit von Äusserlichkeiten und die Konzentration auf innere Werte ermöglichte
es ihm, den Mann fürs Leben zu finden. In dessen Augen würde er vom hässlichen Entlein zu einer
schönen Frau werden. Diese Transformation ist in der Filmerzählung an die vorherige Entstellung
des Mannes gekoppelt, der zu diesem Schritt nur aus einer Position der Schwäche hinaus fähig ist.
Erst durch den Verlust eines Teils seiner Überlegenheit gelangen beide auf eine Stufe, auf der sie
sich begegnen können. Beide brauchen einander. (Puig 104-116) „The Enchanted Cottage“ ist
(scheinbar) der einzige, der von Molina erzählten Filme, der einen glücklichen Ausgang hat. Im
Gegensatz zu den anderen weiblichen Hauptfiguren, die zu Beginn gut dastehen, schön und
erfolgreich sind, ist die Bedienstete weder das eine noch das andere, wird aber am Ende belohnt.
(Schlickers 258) Andererseits bezieht sich diese Beobachtung allein auf die Liebesbeziehung der
Hauptdarsteller – so wird sowohl im nationalsozialistischen Propagandafilm, dem erfundenen Film
sowie dem letzten Film (siehe unten) eine hoffnungsvolle Szenerie beschrieben: Trauer geht einher
mit Erfüllung, im Dienst des Vaterlandes, der eigenen Überzeugung bzw. der Verwirklichung eines
eigenständigen Lebens. In diesem Sinne bezeichnet auch Pamela Bacarisse den Glauben an die
hässliche Dienerin als irreführend (Impossible Choices 119), da damit keine Lösung verbunden sei.
Beide, die Bedienstete als auch Molina, halten an der Sehnsucht fest, einmal als das erkannt zu
werden, was sie ihrem Wesen nach sind (The necessary dream 110).
Den nächsten Film, der vom Autor frei erfunden ist (Schlickers 258), erzählt Molina Valentín, um
ihn von seinen Schmerzen abzulenken, die von dem vergifteten Essen herrühren. Deshalb wählt er
auch einen Film aus, der ihm zwar selber nicht gefällt, von dem er aber annimmt, Männer im
Allgemeinen und Valentín im Besonderen würden ihn mögen: „Es de esas películas que les gustan a
los hombres...” [Es ist einer dieser Filme, die den Männern gefallen…] (Puig 118) So dreht sich die
Erzählung auch um einen jungen Mann und nicht um eine Frau wie zuvor, in dem Molina Valentín
wieder zu erkennen glauben scheint. Der Protagonist stammt aus einem reichen Elternhaus, was ihm
den Zugang zu den entsprechenden Kreisen wie auch das Fahren von Rennen erlaubt. Um seinen
idealistischen Überzeugungen gerecht zu werden, verzichtet er jedoch darauf, Markenwagen zu
fahren und baut seine eigenen, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass er seinem Vergnügen
nachgeht. Es scheint fraglich, ob dieser Beruf es ihm auch ermöglicht, seinen Lebensunterhalt zu
finanzieren. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dies geschehe aus bereits vorhandenem
Vermögen, das er sich nicht selbst verdient hat: „le da vergüenza ser un vago que no hace nada“ [es
ist ihm peinlich, ein Faulpelz zu sein, der nichts tut] (119). Trotzdem bittet er seinen Vater um Geld.
Der Spass und die Freude, seiner Leidenschaft nachzugehen, haben über seine (links)politischen
21
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Ideale gesiegt. Dieser innere Konflikt geht nicht spurlos an ihm vorüber, so dass er Zuflucht im
Alkohol sucht. Zudem macht er sich Vorwürfe, seine Mutter alleine gelassen zu haben – ohne dass
ihn das jedoch dazu verleitet, sie aufzusuchen. Auch seinen Vater, der sich um ihn sorgt, stösst er vor
den Kopf. Er erscheint irrational und kindisch, undankbar gegenüber seinem fürsorglichen Vater.
Nichtsdestotrotz macht er sich mehr Gedanken um seine Familie als um die politische Sache
(Bacarisse The necessary dream 112). Seine Anklage der Automobilkonzerne klingt wie auswendig
gelernt, abgedroschene Phrasen, wie sie von einem linken idealistischen Spinner erwartet werden21.
Die Liebe seines Vaters endet tödlich, er opfert sich, um seinen Sohn zu retten, und auch wenn dieser
zuvor alles unternommen hat, um seinerseits seinen entführten Vater zu retten, hat dessen Tod durch
die Hände der guerrilleros keinerlei Einfluss auf seine Sympathien. Er schliesst sich ihnen im
Gegenteil sogar an. Auch seine Liebe zu seiner Freundin kann ihn nicht davon abhalten, so dass diese
alleine wieder nach Monaco zurückfährt. Sie wird erneut von einem geliebten Mann verraten und
zurückgelassen. Sie ist das Opfer seiner Besessenheit, die umso unverständlicher ist, da er sich jenen
Leuten anschliesst, die seinen Vater ermordet haben. Auch er opfert seine Liebe und sein Glück für
seinen Traum22. (Puig118-126) In dieser Erzählung gibt Molina seine Meinung über Valentín preis:
Er glaubt, dieser verschwende sein Leben, indem er alleine für den Kampf, für die Sache lebt. Er
selbst versteht diese Selbstaufopferung keinesfalls, diese ist für ihn verrückt und nicht
nachvollziehbar, insbesondere (im Film) nach dem Tod des Vaters. Politik ist für ihn nicht von
Bedeutung, schon gar nicht ist sie wichtiger als das Glück einer Familie. 23 Dies entspricht der
traditionellen Unterscheidung der Politik als männlich und der Familie als weiblich. Molina möchte,
dass Valentín sich ihm anvertraut (Logie 525), weshalb er bewusst marxistische Klischees verwendet
(Zapata 221), nichtsdestotrotz aber seinen Überzeugungen Ausdruck verleiht.
Der vorletzte und erste Film des zweiten Teils des Buches – basierend vor allem auf „I walked with a
Zombie“ (Ich folgte einem Zombie, 1943) (Schlickers 258) – besitzt wiederum eine weibliche
Protagonistin. Diese erscheint sehr jung und naiv, insbesondere in ihrem Verhalten gegenüber dem
Kapitän des Schiffes, dem sie ihre Träume und Wünsche bzw. ihre „ilusiones“ [Hoffnungen, Träume,
Illusionen] (Puig 164) erzählt. Dieser weiss jedoch mehr als sie und vermittelt dadurch den Eindruck
von Überlegenheit, der durch seine kryptische Warnung noch verstärkt wird. Im Gegensatz zu den
anderen Hauptfiguren wird sie viel häufiger als „chica“ [junge Frau, aber auch Kind, Mädchen] (
„mujer“ [Frau] etc.) bezeichnet, wohingegen jene öfters einfach unter „ella“ [sie] fungieren, ein
Hinweis auf ihre Jugend und Unerfahrenheit. Der Mann scheint von seinem Gutsverwalter in
irgendeiner Weise abhängig zu sein, er widersetzt sich ihm nicht, weder in Bezug auf die Unterschrift
noch auf die Zerstörung der Rumflasche. Er ist schwach. Bereits in der ersten Nacht auf der Insel
21
Andererseits brachte die Stadt-Guerrilla notwendigerweise eine gewisse Rigidität mit sich (Rhode 96).
Ein Zwang zur Entscheidung zwischen Mutter und Geliebter und ein darauf aufbauender Bezug zu Molina
(Bacarisse Impossible Choices 47) scheint hier allenfalls sekundär zu sein, zumal der Protagonist auch vorher
die Möglichkeit gehabt hätte, zu ihr zu gehen.
23
Dagegen ist Pamela Bacarisse der Auffassung, Molina würde zwar das Verhalten Valentíns ablehnen, den
Helden in diesem Film jedoch bewundern (The necessary dream 103).
22
22
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
wird die Frau von ihm alleingelassen: Sie muss auf ihn warten. Dieser Zustand lässt in ihr Neugierde,
aber auch eine gewisse latente Eifersucht auf die angeblich verstorbene Frau ihres Mannes, d.h. die
andere Frau, die von ihrem Mann geliebt worden ist, aufkommen, so dass sie im Haus
herumschnüffelt. Sie ist schreckhaft und ängstlich, Schatten und Geräusche jagen ihr Angst ein, ohne
dass sie einen Grund hätte, sich vor der Insel zu fürchten, abgesehen von den mysteriösen
Andeutungen des Kapitäns. Voller Panik weiss sie weder ein noch aus, entmutigt fällt sie in
Ohnmacht, in Erwartung ihres Schicksals. Nachdem ihre rückwärtsgewandte Flucht misslungen ist,
gibt sie die Hoffnung auf. Sie ist passiv. Später traut sie der eigenen Wahrnehmung nicht und
widerspricht auch der Haushälterin nicht, als diese ihr Erlebnis ins Reich der Träume verbannt. Sie
ist sich ihrer selbst nicht sicher. Der Frau ist es jedoch vergönnt, ihrem Mann – zumindest zeitweilig
– Frieden zu schenken, dies ist nachgerade ihre Aufgabe, da die Bediensteten ihr die meisten
Aufgaben abzunehmen scheinen. Auf der anderen Seite traut sie sich nicht, ihren Mann direkt und
persönlich auf seinen Aufenthaltsort der vergangenen ersten Nacht anzusprechen, sondern richtet ihre
Fragen an die Haushälterin. Trotz ihrer Verliebtheit besteht demnach ein Rangunterschied zwischen
den Eheleuten. Als er mitten in der Nacht aufsteht, stellt sie sich schlafend, sie verstellt sich, spricht
ihn nicht an. Sie kümmert sich um ihn, will ihm ein Gefühl der Geborgenheit geben, ein Gefühl der
Nähe. Dadurch will sie ihn aus seiner trüben Stimmung reissen, sein Vertrauen gewinnen, um ihm zu
helfen, seine Probleme zu lösen. Die Trunksucht des Mannes verstärkt den Eindruck von Schwäche,
den er bereits zu Beginn des Filmes vermittelt hat. Sie wiederum spricht dieses Thema nie an. Sie
macht sich zwar Sorgen um ihn und durchstöbert deshalb als auch aus latenter Eifersucht auf seine
frühere Frau seine Sachen, benimmt sich dabei allerdings wie ein Kind, das Angst hat, von seinen
Eltern bei etwas Verbotenem ertappt zu werden. Sie konfrontiert ihn nicht. Auch als er ihr ohne
irgendwelche Erklärungen verbietet, das verlassene Haus zu betreten, hakt sie nicht nach. Sie ist zwar
entschlossen, hinter das Geheimnis ihres Mannes zu kommen, muss dann allerdings erneut von der
mütterlichen Haushälterin vor den Zombies gerettet werden, da sie vor Angst wie erstarrt ist und
nicht handeln kann. (Puig 163-180) Auf der anderen Seite hat sich die erste Ehefrau für ihren Mann
geopfert, der dieses Opfer jedoch missverstand und in seiner Wut und Eifersucht seine Geliebte
tötete. Er reagierte nicht mit Enttäuschung und verletzter Trauer, sondern mit Wut und Zorn. Er war
nicht mehr Herr seiner Gefühle und rächte sein Gefühl des Verratenseins an seiner Frau, die er liebte,
und nicht am Gutsverwalter, der aus seiner Sicht genauso schuldig hätte sein müssen. Dies steht im
Gegensatz zu den Handlungen des Magnaten im letzten Film. Die erste Frau ist ein dankbareres
Opfer, und der Gutsherr glaubt, mehr Rechte über sie zu haben. Die Haushälterin war Opfer ihres
bösen Ehemanns, ebenso wie die ehemalige Ehefrau nun als Zombie den Zudringlichkeiten des
Hexers hilflos ausgeliefert ist. Sie dient diesem nurmehr zur Befriedigung seiner körperlichen
Bedürfnisse. Der Ehemann vertraut sich seiner Frau nicht an. Er gibt ihr nur Befehle, die zwar aus
seiner Sorge um sie und seinem Bedürfnis, sie zu schützen, rühren, sie aber nichtsdestotrotz wie ein
Kind dastehen lassen. Die Frau leidet wiederum unter seinem mangelnden Vertrauen und seiner
Trinkerei. Sie ist machtlos. Ein Ausdruck dafür ist auch die Tatsache, dass sie sich aus Angst vor
dem unbekannten Eindringling im Zimmer einschliesst. Nichtsdestotrotz stellt sie sich um ihrer Liebe
Willen ihrer Angst sowohl vor dem Hexer und den dunklen Geheimnissen der Insel als auch vor dem
23
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Begehren des Verwalters. Sie hat nach wie vor schreckliche Angst, sie versteckt sich jedoch nicht
länger. (189-195) Trotz aller Willensstärke kann sie allerdings nicht verhindern, dass sie der
(magischen) Anziehungskraft des Hexers erliegt, für den auch sie nichts weiter als ein Sexualobjekt
ist, ebenso wie seine ehemalige Frau und die ehemalige Frau des Gutsbesitzers. Erst die Ankunft
ihres Geliebten gibt ihr die Kraft, den Bann zu brechen, alleine ist sie dazu nicht in der Lage. Dieses
Ereignis gibt ihr in der Folge zwar den Mut, ihren Mann wegen seiner Trunkensucht zu
konfrontieren, um ihre Ehe nicht zu zerstören, in Bezug auf die Machenschaften des Hexers bewahrt
sie aber Stillschweigen – „como si no hubiese pasado nada“ [als ob nichts geschehen wäre] (214). Sie
dringt mit ihren Worten jedoch nicht zu ihrem Mann durch, der erneut gewalttätig wird, ohne dass sie
sich wehren könnte oder würde. Auch der Versuch der Haushälterin, den Hexer aufzuhalten, schlägt
aufgrund ihrer mangelnden Kraft fehl, und sie stirbt. Die Frau wiederum überwindet ihre Angst erst,
als sie hört, dass ihr Mann im Sterben liegt, und kommt aus ihrem Zimmer. Sie handelt aber erneut
nicht, sondern bleibt passiv. Der Mann dagegen findet in den letzten Minuten seines Lebens noch zu
„wahrer“ Grösse, zeigt seiner ehemaligen Frau einen Ausweg aus ihrem Dasein – ohne sich jedoch
bei ihr für ihren Tod zu entschuldigen – und erzählt den Bediensteten die Wahrheit über den Hexer,
vor dem er nunmehr keine Angst mehr hat bzw. die einzig verbliebene Angst ist die, zu einem
Zombie zu werden. Dies zu verhindern liegt jedoch nicht in seiner Macht, sondern in der der anderen.
Die Frau verlässt die Insel, sie will nichts mehr mit all dem zu tun haben. Sie freut sich zwar über den
Abschied, den ihr die Bewohner geben, aber sie besitzt keine (positive) emotionale Bindung an
diesen Ort. Sie hat die Bewohner vom Hexer befreit, indem sie die Kette von Ereignissen in Gang
gesetzt hat, bedarf aber nach wie vor eines starken Mannes, der sie beschützt. So breitet sich am Ende
des Filmes eine glückliche Zukunft zusammen mit dem Kapitän vor ihr aus. (212-216) Sie zieht
einen Schlussstrich, auch unter ihre eigene Schuld: „an authority figure will be there to protect and
guard the victim against future misery“ [eine Autoritätsfigur wird dort sein, um das Opfer vor
zukünftigem Elend zu beschützen und behüten] (Bacarisse The necessary dream 120). Die
abschliessende Reise mit dem Schiff steht möglicherweise für den Tod am Ende des Romans (121),
ähnlich wie der griechische Charon die Seelen der Verstorbenen über den Styx fährt (Sachse 48).
Dieser mag zwar die Protagonisten des Filmes nicht betreffen, dafür aber diejenigen des Romans. Im
tatsächlichen Film lebt die Ehefrau noch, ist aber ebenfalls ein Zombie, wenn auch im Geheimen. Die
Zombies überleben das vom Gutsherrn gelegte Feuer, das sie befreien sollte und kommen immer
wieder, es gibt also keine Erlösung (Bacarisse The necessary dream 118/19) Die Protagonistin soll
hier die Ehefrau pflegen (Campos 545), womit es sich hier nicht um eine Liebesgeschichte im
klassischen Sinn handelt, da erstere zur Ausübung einer Tätigkeit, nicht als Ehefrau des Gutsherrn
auf die Insel kommt. Sie besitzt demnach eine gewisse Selbständigkeit. Das Interesse an der im Film
gezeigten Unterdrückung der Arbeiter (Bacarisse Impossible Choices 82) erklärt sich jedoch
grösstenteils aus dramaturgischen Notwendigkeiten. Im Gegensatz zur zitierten Autorin wird hier die
Auffassung vertreten, dass sich die Darstellung der sozialen Verhältnisse auf die Bedeutung der
Arbeiter für die Handlung ergibt. Die Unterdrückung mündet in ihrer Wut zum Abschluss der
Erzählung. Die scheinbare Allmacht des alten Herrn ermöglicht die Entstehung der Zombies. Auch in
den vorhergehenden Filmen waren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen implizit enthalten,
24
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
z.B. in der Person der Bediensteten in „The Enchanted Cottage“, ihrer Lebensgeschichte und ihrer
Abhängigkeit von ihrer Dienstherrin. Bedeutsamer scheint hier der Vergleich von Zombies und
Frauen. So symbolisieren erstere letztere in ihrer Hilf- und Wehrlosigkeit angesichts ihrer
Ausbeutung und ihrer Schwäche. Dies erklärt auch, entsprechend den Worten der Haushälterin, die
Existenz eines einzigen weiblichen Zombies: Sie sind nutzlos, da sie zu schwach sind. (Bacarisse The
necessary dream 118) Die Protagonistin ist deshalb in Gefahr, weil ihr Mann nicht in der Lage ist, sie
zu beschützen (Wiegmann 111). Sie selbst kann es nicht.
Der letzte, erfundene, wenn auch auf „Camille“ (1937) beruhende (Speranza 554) Film, den Molina
Valentín erzählt, handelt von einer ehemaligen mexikanischen (Campos 546) Schauspielerin und
Tänzerin, die sich nach ihrer Heirat aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Sie arbeitet nicht
mehr, obwohl sie dies mittlerweile gerne wieder tun würde, da ihr dies ihr Mann verboten hat
(„pidió“ [bat] – „se negó“ [weigerte sich]: Puig 229). Er hat damit Macht über sie und ist ihr
überlegen. Sie kann nicht gegen seinen Willen handeln. Auch als sie dem Reporter begegnet, und
dieser sie bittet, sie zu begleiten, kann sie sich nicht dazu durchringen, ihren Mann zu verlassen. Dies
liegt bemerkenswerterweise auch daran, dass ersterer sie unter Druck zu setzen versucht, indem er
ihre Entscheidung jetzt oder nie verlangt: „le dice que todos los hombres son iguales, que ella no es
una cosa, algo que se maneja como ellos quieren, por capricho, y que le tienen que dejar tomar su
propia decisión.” [sie sagt zu ihm, alle Männer seien doch gleich, sie sei keine Sache, etwas, das sich
so lenken liesse wie sie wollen, aus einer Laune heraus, und sie sollen sie doch ihre eigenen
Entscheidungen treffen lassen.] (Puig 229). Damit betont sie ihre Eigenständigkeit, ihre Existenz als
vernünftiges und mündiges Wesen und verwahrt sich gegen Bevormundung. Zuvor hatte sie sich
bereits bemüht, keinen dauerhaften Kontakt zu ihrer Karnevalsbekanntheit aufkommen zu lassen.
Diesem dagegen geht die mysteriöse Unbekannte nicht mehr aus dem Kopf, das Geheimnis hält ihn
in seinem Griff. Zunächst scheint die Sängerin bei ihrer erneuten Begegnung auch nicht abgeneigt,
sie gesteht ihm sogar, dass sie ihn „brauche“. Umso härter ist der Schlag für sein Ego, als sie sich
dann doch anders entscheidet, für den anderen Mann. Er ist wütend und erbittert. Die angebotene
Bezahlung lässt ihn in seiner eigenen Vorstellung als käuflich erscheinen, als jemand, der seine
Ideale als Journalist verraten hat. Auch wird der Gefallen, der aus einer Position der Stärke und der
Überlegenheit versprochen wurde, zu einem reinen Tauschgeschäft auf gleicher Ebene bzw. sogar in
eine unterlegene Position herabgewürdigt, da der Eindruck entsteht, er hätte dies alles nur um des
Geldes Willen getan. Er bereut sein Aufbrausen zwar alsbald, versucht dies aber nur mit Alkohol zu
ertränken. Dies zeigt eine gewisse Schicksalsergebenheit und Passivität, da der Alkohol kaum eine
Lösung bringen wird, eine traditionellerweise eher weibliche Eigenschaft. Seine Dichtung zum
Musikstück stellt seine sanfte, romantische Seite dar. Der Text beinhaltet jedoch nur eine explizite
Liebeserklärung ihrerseits, nicht eine seinerseits. Seiner Verbitterung und seinem Gefühl des Verrats,
welches im Gegensatz zu seinem vorhergehenden Bedauern steht, gibt er darin Ausdruck, dass er ihr
die Fähigkeit zu lügen unterstellt und auf einen Tag in der Zukunft hofft, an dem sie ihm nichts mehr
bedeuten wird. Trotzdem hofft er auf ein weiteres Treffen, an dem sie ihn allerdings versetzt, da sie
Angst um ihn hat. Sie möchte ihn beschützen und nicht die Ursache seines Todes sein. Dies führt
25
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
dazu, dass sich der Reporter erneut betrinkt, um seinen Kummer zu betäuben. Auch die ehemalige
Schauspielerin ist hilflos – hilflos gegenüber ihren Gefühlen, aber auch hilflos gegenüber ihrem
Mann, der eifersüchtig ist und sie zu Boden stösst. Sie wehrt sich nicht und bleibt passiv, sie
erduldet. Auf der anderen Seite ruiniert sich der Journalist seine Karriere, um seine Geliebte zu
schützen, und sein Leben aus Kummer und Liebe zu ihr. Liebe ist für ihn nur eine Illusion, etwas
Irreales, Unwirkliches: „…otra mentira…que triunfé en el amor“ […eine weitere Lüge…dass ich in
der Liebe Erfolg habe] (234). Als er sich die unmännlichen Tränen abwischt, verschwindet die
Erscheinung seiner Geliebten, indem er seine Gefühle unterdrückt, versagt er sich sein eigenes
Glück. Dies wiederum treibt ihn erneut dazu, etwas zu zerstören – sein Glas ist es, an dem er seine
Wut auslässt. (Puig 226-235) Die Sängerin wird durch ihre Begegnung aufgerüttelt und versucht,
sich von ihrem Magnatenehemann zu lösen. Sie nimmt ihren Beruf wieder auf. Auch die
Einmischung ihres Mannes, der bemüht ist, ihr Steine in den Weg zu legen, um ihr die finanzielle
und materielle Grundlage ihrer Rebellion zu nehmen, schreckt sie nicht. Sie emanzipiert sich, denn
sie möchte alleine, ohne irgendeinen Mann, auch ohne ihren Geliebten zurechtkommen. Stattdessen
ist sie es, die ihm zu Hilfe kommt, als er aufgrund seines Alkoholismus praktisch am Ende ist. Dies
ist ihr jedoch nur möglich, indem sie sich einem anderen Mann hingibt, sich und ihren Körper von
diesem benutzen lässt. Sie bringt ihren Stolz als Opfer für ihre Liebe dar. Sie ist es dann auch, die
ihm ein Heim gibt. Er kann es jedoch nicht ertragen, misstraut ihrer Treue und ihrer Liebe. Als er
entdeckt, dass sie sich prostituiert, um ihrer beider Lebensunterhalt zu verdienen, überkommt ihn die
Scham. Er schämt sich der Grund dafür zu sein, er schämt sich, ihr eine Last, von ihr abhängig zu
sein. Nach einem erfolglosen Versuch, sich Arbeit zu beschaffen, zieht er es vor, alleine weg zu
gehen, um ihr keine Last mehr zu sein. Er redet nicht mit ihr, sondern schleicht sich sogar heimlich
davon. Er versucht nicht, gemeinsam eine Lösung zu finden. Er nimmt ihrem Opfer seine Grundlage,
seine Berechtigung, er anerkennt es nicht an, sondern verschmäht es. (239-245) Ihr Ehemann
dagegen zollt ihr Respekt, er erkennt in ihrem Opfer die Tiefe ihrer Liebe. Er bereut sein Handeln,
gibt sie frei, verzichtet auf sie und seine Liebe. Er übergibt ihr die Juwelen, die er ihr einst geschenkt
hat und auf die sie als Zeichen ihrer Unabhängigkeit bei ihrem Weggang verzichtet hat. Es ist jedoch
zu spät, ebenso wie die Einsicht des Geliebten, dass seine Gründe, sie zu verlassen, nichtig gewesen
sind. Seine Erkenntnis kommt zu spät. Die Möglichkeit, gemeinsam ein Leben zu führen, ist an
seinen Vorurteilen gescheitert, seinen Vorurteilen bezüglich des Mannes als desjenigen, der das Geld
verdient – woran er immer noch festhält, als er von seiner Karriere phantasiert – als auch der Scham
gegenüber der Prostitution. Nach seinem Tod zieht sie einen Schlussstrich unter ihr bisheriges Leben,
indem sie die Juwelen zurücklässt und sich so ihrer finanziellen Mittel beraubt. Sie trauert, weiss
aber nun, das Leben zu lieben, zu geniessen, was in ihrem Lächeln zum Ausdruck kommt. Eine Frau
kann auch alleine, ohne einen Mann an ihrer Seite, durchs Leben gehen. (260-263) Obwohl auch hier
also die Frau sehr stark klassische weibliche Eigenschaften wie Schönheit, Sanftheit, Verletzlichkeit
besitzt, nimmt sie die handelnde Rolle ein und damit eine klassische männliche Position. Durch ihr
Überleben,
d.h.
ihren
Triumph
über
die
sozialen
Zwänge,
wird
eine
alternative
Identifikationsmöglichkeit ausserhalb der weiblichen Rolle eingeführt. (Campos 547-549)
Nichtsdestotrotz bleibt sie in ihrem Verhältnis zu den Männern der unterlegene Part: Sie muss Angst
26
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
haben, dass ihr Ehemann sie zurückholt. Sie wird von ihrem Geliebten verlassen. Für letzteren
prostituiert sie sich sogar (Muñoz 67), was dieser jedoch, gefangen im gesellschaftlichen
Normennetz, nicht verstehen kann oder will (Bacarisse Impossible Choices 54).
Die weiblichen Protagonistinnen der Filme spiegeln in ihrem Auftreten und Handeln Molinas
Weiblichkeitsideal wider. Sie müssen wählen (Bacarisse The necessary dream 96/97): Zwischen
ihrer Liebe und ihrem Vaterland, ihrem Gewissen (Leni), ihrer Liebe und dem eigenen Stolz (die
mexikanische Sängerin), ihrer Liebe und ihrem bisherigen Leben (die Monegassin), ihrer Liebe und
ihrer Natur (Irena), ihrer Liebe und ihrem Bedürfnis, beschützt zu werden (die Ehefrau in „I walked
with a Zombie“). Es ist eine Wahl zwischen ihrer Liebe und ihrer Selbstverwirklichung24, denn beide
entsprechen sich nicht. So ist das einzige glückliche Pärchen, die einzige Liebesbeziehung mit
glücklichem Ausgang, in „The Enchanted Cottage“ zu finden, also in jenem Film, den Molina
Valentín nicht erzählt. Die Darstellung der Frauen erfolgt klischeehaft und an das Gegensatzpaar von
Hure und Heilige angelehnt: Sie sind schön25 und begehrenswert – mit Ausnahme der Bediensteten,
die sich ihren Lebensunterhalt auf andere Weise verdienen muss – sowie dem Mann unterlegen, für
den sie sich aufopfern. Er ist ihr Lebensinhalt. Die Männer aber erscheinen schwach, ohne die
klassischen männlichen Eigenschaften wie Mut oder Stärke – (Schlickers 261) mit Ausnahme
Werners. Stattdessen versuchen sie, ihre Probleme mit Hilfe des Alkohols zu lösen (Journalist,
Gutsherr), sich zu verstecken (entstellter Mann), sich hinter Dogmen zu verbergen (guerrillero) oder
ihnen einfach auszuweichen (Architekt). Die Frau „está destinada“ [ist vom Schicksal bestimmt]. Sie
ist passiv, im Zusammenspiel der gesellschaftlichen Kräfte freiwilliges Opfer für den geliebten
Mann. (Dabove 29) Dies muss nicht ihren Tod beinhalten, tut es dies jedoch, so fügt sich auch dieser
in das Muster ein (51). Auffallend ist auch ihre Beschäftigung mit der Kunst (45): Irena malt, Leni
singt und tanzt, die Mexikanerin singt und schauspielert, die Monegassin ist Direktorin einer
Modezeitschrift. Sie sind in ihrem Erfolg auf eine traditionell weibliche Sphäre beschränkt. Juan
Pablo Dabove meint, im letzten Film eine Umkehrung der Rollen von Mann und Frau zu erkennen,
so dass ersterer nunmehr der „destinado“ [vom Schicksal Bestimmte] ist (30). Dies vernachlässigt
allerdings die grössere Unabhängigkeit des Journalisten gegenüber den Heldinnen der
vorhergehenden Filme. Er opfert zwar seine Karriere für seine Liebe, gibt sich danach aber auf. Er
stirbt nicht als Selbstopfer, sondern aufgrund seiner Unfähigkeit, sich von seiner Geliebten helfen zu
lassen. Trotz seiner gescheiterten Existenz bleibt er aktiv: Er entscheidet sich, fortzugehen. Irenas
Tod ist weniger eine bewusste Entscheidung als ein Impuls, Leni stirbt für die Ideale ihres Geliebten.
Andererseits lassen sich durchaus „weibliche“ Eigenschaften erkennen, denn auch sein Opfer
geschieht bewusst und aus Liebe. Er unterschlägt Material und zerstört fremdes Eigentum. Auch
wenn letzteres aufgrund seines mittlerweile erfolgten beruflichen und sozialen Abstieges ebenso sehr
Spuren des Trotzes enthält, so ist der zentrale Punkt seine Liebe zur Sängerin. Diese Leidenschaft für
einen anderen muss nicht zum Tod führen, wie Dabove anführt, ist aber trotzdem unabhängig vom
24
25
Sie haben Probleme, ihre Identität zu definieren (Schlickers 261).
Güte und Schönheit, Treulosigkeit und Bosheit als Eigenschaftspaare sind die Regel (Dabove 28).
27
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Geschlecht, ebenso wie das „devenir mujer“ [Frauwerden] (30). Die Rollen der Geschlechter werden
im letzten Film zwar nicht umgekehrt, aber sie bewegen sich aufeinander zu. Die teilweise
Aufweichung der Geschlechterrollen bzw. die Abweichung von ihnen ist allerdings zweischneidig
(Schlickers 261): Auch die letzte Liebesgeschichte endet tragisch, da sich beide schwer damit tun,
diese Abweichungen im anderen zu akzeptieren. Sie scheint sein Opfer, das zum Ende seiner
beruflichen Karriere führte, nicht zu würdigen, jedenfalls kommt dieses Thema nie zur Sprache. Er
will nicht von ihr abhängig sein. Die Darstellungen sind ein Ausfluss des patriarchalischen Systems,
die Annahme, dass dieses sich im „Verrat des hilflosen Mannes durch die Frau“ äussert (Schlickers
261), scheint jedoch aufgrund der Überlegenheit des Mannes und der Zwangslage der Frauen
weniger zutreffend.
Die Filme sind Trost und Ablenkung, (Fabry 234) sie erlauben einem Phantasie und Freiheit (Zapata
44). Sie sind Flucht und Verführung (Fabry 235). Die in ihnen dargestellten Zwänge sind ein Abbild
der gesellschaftlichen Verhältnisse, des repressiven politischen Systems. Das dagegen Ankämpfen
(Schlickers 259) entspricht dem Kampf Valentíns und seiner Genossen. Ersteres endet jedoch stets –
mit einer Ausnahme – tragisch. Es ist ein Vorausblick auf das Ende des Romans (Teltscher 219).
Auch das Verschwinden der Personennamen im Verlauf der Filme und der damit einhergehende
Verlust der Individualität verdeutlicht die Bedeutungslosigkeit des Individuums angesichts der
sozialen Zwänge. Es kann keine Veränderung in der Welt bewirken. Dies steht im Gegensatz zum
politischen Engagement Valentíns. (Schlickers 263) Das Erzählen der Filme stellt für Molina einen
Ausgleich zum ansonsten unterordnenden Verhalten gegenüber Valentín dar, eine andere Art von
Machtausübung (Teltscher 219), während er ausserhalb der Zelle, in der Gesellschaft, keinerlei
Macht besitzt (Kerr 657). Sie sind der Vorteil der Frau aus ihrer Unterwerfung (Zapata 83). Für
Molina „las historias son“ [sind die Geschichten], sie enthalten Wahrheiten und stellen zunehmend
die Wirklichkeit in Frage (Dabove 22/23), wenn sie von den Geschlechterstereotypen abzuweichen
beginnen. Das tragische Ende und der Tod sind unvermeidbar. Die Gesellschaft erlaubt kein Glück,
die Hoffnung ist trügerisch. Es bedarf stets einer Wahl, eines Verzichts – eines Verlusts. Die
Liebesbeziehungen sind genauso hoffnungslos wie die zwischen Molina und Valentín. Die Filme
spiegeln ebenso sehr Molinas inneren Konflikt wider, seine Zwickmühle von Liebe und Verrat an
Valentín (Wiegmann 107). Sie schlagen eine Brücke zwischen den beiden Zelleninsassen, lassen
diese zu sich selbst finden (109) und ermöglichen ihre Annäherung. So erfolgt die Bitte um und das
Versprechen eines Kusses unmittelbar nach Beendigung des letzten Filmes.
3.1.2
Überzeugungen und Verhalten
„[Y]o quiero ser mujer“ [Ich möchte eine Frau sein] (Puig 25), mit diesen einfachen, bereits oben
zitierten, Worten stellt Molina das gesellschaftliche Geschlechtersystem grundlegend in Frage: Er
möchte die unbezwingbare Grenze überschreiten (95). Auch in seiner spöttischen Bemerkung auf
Valentíns Ablehnung der weiblichen Version seines Namens, wonach er sich nicht so sicher sei, dass
dieser keine Frau sei, klingt diese Ablehnung der gesellschaftlichen Rollenzuteilung an (44). Molina
28
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
träumt von einer monogamen Partnerschaft, ewiger Liebe und Romantik. Er möchte „die Frau an
seiner Seite“ sein und fühlt sich als eine typische„señora burguesa“ [bürgerliche Frau] (50). Somit
wünscht er sich genau das, was eine Frau zu wollen hat (Bacarisse The necessary dream 111). Da er
aber keine Frau im biologischen Sinne ist, bezeichnet Peter Teltscher diesen seinen Wunsch als sehr
viel revolutionärer als die von Valentín promulgierte Geschlechtergleichstellung (221). Gegen diese
Auffassung lässt sich argumentieren, dass im Zuge der Geschlechtergleichheit die vorgegeben Rollen
in Frage gestellt würden und somit schlussendlich auch die Heterosexualität als Norm, wohingegen
durch Molinas Sichtweise diese im Gegensatz noch verfestigt wird, da auch die Menschen ausserhalb
dieser Rollen an ihnen festhalten. Molina ist sich der Feinheiten der Sprache bewusst, ihrer Rolle in
der Konstruktion und Aufrechterhaltung des Geschlechtersystems. So lehnt er zum einen ihren
Androzentrismus ab (Muñoz 80), indem er sich gegen „¡hombre!“ [Mann!] (Puig 35) als
Allerweltsbezeichnung stellt, zum anderen nutzt er die Eigenheiten der spanischen Sprache, um seine
Identität auszudrücken und spricht von sich zuweilen in der weiblichen Form: -a statt –o (68, 138).
Schönheit und Kunst sind nach seiner Ansicht Frauenangelegenheiten (83), die Abwertung
weiblicher Eigenschaften verletzt ihn, da er in ihnen die Möglichkeit für eine bessere Welt sieht,
ohne dabei allerdings politische Visionen zu haben. Zudem hinterfragt er deren Anbindung an das
Geschlecht des Einzelnen und ihre Beschränkung auf Frauen, will aber nichtsdestotrotz einen
klassischen starken Mann. (35) So verherrlicht er Gabriel und will nichts auf ihn kommen lassen,
verflucht im gleichen Atemzug aber die Männer als solche (64). Molina bewundert die Stärke und
das Durchsetzungsvermögen Gabriels, eines „hombre de veras“ [wirklichen Mannes] (68). Der Mann
führt und herrscht, er ist stark, furchtlos, hübsch, selbstbewusst und doch bescheiden. Die Frau muss
bewundernd zu ihrem Mann aufsehen können. Für Molina ist Gabriel26 wie er ihn sieht der ideale
Mann, den er auf ein Podest stellt, um es gar nicht genauer wissen zu müssen. (69, 75, 246) Er
möchte sich für ihn aufopfern27, ihn verwöhnen und sich mit bzw. durch ihn identifizieren (76). Er
bewundert den Machismo (Bacarisse Impossible Choices 24). Seine Hilfsangebote werden jedoch
wie im letzten Film aus Stolz abgelehnt (Puig 75). Ein Mann weint nicht (113, 234), ein Mann muss
seiner Frau in allen Belangen überlegen sein. Sie darf nicht mehr verdienen als er, um sein Ego nicht
zu belasten (75). Für Molina ist es völlig normal, dass Gabriel früher ein Frauenheld war und die
Frauen anscheinend nur Nummern. Andererseits glaubt er ihm doch nicht alles, sondern hegt leichte
Zweifel an seiner Aussage zu den Gründen für das Ende seiner Fussballkarriere. (73/74)
Interessanterweise lehnt Molina den Psychoanalytiker im ersten Film ab, obwohl dieser nach eigener
Aussage ein Frauentyp sei – ebenso wie Gabriel (26). Als Molina Valentín Gabriels Namen verrät, so
geschieht dies nicht zufällig, sondern es verdeutlicht ein Loslassen Molinas. Zuvor wollte er den
Namen für sich behalten, um die Person für sich zu haben. Indem er den Namen nun teilt, gewährt er
Gabriel Individualität und Menschlichkeit: Er ist nicht perfekt. (77) Dies bedeutet eine Revision
26
Der Erzengel Gabriel ist in Judentum, Christentum und Islam der Bote Gottes und Ausleger von Visionen, in
den ersten beiden auch der Herr des Paradieses (Gabriel (Erzengel)).
27
Auf den ersten Blick, bevor die Kollaboration mit dem Direktor offenbar wird, erscheint auch der Verzicht
auf die grössere Portion Essen als Ausdruck dieser Bescheidenheit (95, 116).
29
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
seines Männerbildes. An seiner Sehnsucht nach Gabriel (113) und der Hoffnung auf eine
gemeinsame Zukunft und das Scheitern seiner Ehe (73) hält er aber fest. Als Valentín seine
Idealvorstellung der Weiblichkeit abwertet, ist er verletzt (144), denn damit stellt dieser Molinas
Identität in Frage. Er widersetzt sich dessen Gleichheitsanspruch mit der Berufung auf seine Gefühle,
seine innersten Überzeugungen, und nicht mit Argumenten, die ihm unzulänglich erscheinen (247).
Zu seiner eigenen Sexualität besitzt Molina ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits spricht er mit
Valentín sehr offen darüber, spottet, dass ihm der Architekt aus seiner Erzählung als Mitgefangener
lieber wäre und konfrontiert Valentín nach dessen Ausweichen (23). Andererseits sind die
gesellschaftlichen Vorurteile nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Er übernimmt die gängigen
Bezeichnungen (Schlickers 229), z.B. „locas“ [eigentlich Verrückte] aus Trotz, aber auch mit einem
gewissen Gefühl des Schams (73). Ironisch spielt er mit der Bedeutung der Wörter „loco“ und „loca“
(85) oder bezeichnet sich selbst als „degenerado“ [verkommene Person] und versteht Valentín
absichtlich falsch (163). Die gesellschaftliche Verachtung der Transsexuellen offenbart sich im
Verhalten und der Geringschätzung durch den Richter (110) als auch der anfänglichen Angst
Gabriels, der nichts mit Molina zu tun haben wollte, da er vermutlich nicht „angesteckt“ werden
wollte. Er ist ja „normal“, wie es Molina so schön ausdrückt. Dies bedeutet wiederum, dass er sich
selbst nicht als normal ansieht – auch wenn diese Bezeichnung durchaus spöttisch zu verstehen ist.
Die Übernahme abwertender Bezeichnungen in einem positiven Sinn kann jedoch zweischneidig
sein, denn sie kann der Beleidigung eine gewisse Rechtfertigung geben. (73) Molina und seine
„amigas“ [Freundinnen], die sich als Ausdruck ihrer Persönlichkeit unterschiedliche Frauennamen
(von Schauspielerinnen) geben (269, 275, 277), haben untereinander kein Vertrauen, denn sie haben
die gesellschaftlichen Vorurteile übernommen und verinnerlicht (207). Sie erkennen sich ineinander
selbst wieder, wehren sich aber dagegen, da sie davor zurückschrecken, sich selbst zu erkennen, und
halten es deshalb nicht lange zusammen aus (218). Durch die Imitation von stereotypen
Schauspielerinnenrollen, die von der Verwendung ihrer Namen bis zur Annahme entsprechender
Verhaltensweisen geht, soll die Wirklichkeit geflohen und das Glück der Vorbilder erreicht werden
(Bacarisse Impossible Choices 103/04). So setzt Molina in seinen Filmerzählungen Schönheit und
Güte gleich, obwohl er erfahrungsgemäss weiss, dass dies nicht der Realität entspricht (70).
Zwischen den Frauen der Familie und Molina besteht ein starker Zusammenhalt, den man an den
häufigen gemeinsamen Unternehmungen und Telefongesprächen erkennen kann (Puig 270). Der
einzige männliche Verwandte, der erwähnt wird, der Patenonkel, bringt seine Verachtung und seine
Geringschätzung zum Ausdruck (272). Auch
im Bericht des Geheimdienstes scheint diese
Einstellung durch (269, 271), ebenso in der Verwirrung des Agenten, statt der – aufgrund der Namen
– erwarteten Frau und des erwarteten Mannes zwei Männer zu sehen (271). Die Frauen erscheinen
toleranter. Molina denkt in klassischen heterosexuellen Paarbeziehungen, weshalb es für ihn
unumgänglich ist, von sich als Frau zu sprechen, wenn die Rede auf Gabriel kommt (69). Dies lässt
Elías Miguel Muñoz schliessen, dass die Geschlechter für ihn unabänderlich seien (68). In dieser
Form verkennt diese Aussage aber die Tatsache, dass Molina die Grenze zwischen den Geschlechtern
ja gerade zu überschreiten versucht. Er kann sich keine Existenz ausserhalb des gesellschaftlich
definierten Systems der Geschlechterrollen und der Heterosexualität vorstellen, weshalb er zwischen
30
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
biologischem und sozialem Geschlecht unterscheidet (Puig 207), was wiederum bei Valentín auf
Befremden stösst (Teltscher 220). Molina träumt von einem starken, überlegenen Mann und einer
klassischen Familie. Dies ist in dieser Gesellschaft jedoch nicht möglich, denn das starre
Geschlechtermodell lässt einen Mann, so wie er von Molina begehrt wird, sich nach einer
biologischen und sozialen Frau sehnen. (Puig 207, 218) Molina ist seelisch erschöpft, da ihm
Erfüllung versagt bleibt (219), er hat Angst, immer allein und einsam zu sein. Er möchte ein eigenes
Leben, eine eigene Familie haben. Er möchte mit Valentín vereint sein. (258) Molina ist apolitisch
und schafft sich seine eigene kleine perfekte Welt (23). Die aufständischen Montoneros Valentíns
(Beckford Jessen 71) widersprechen demnach in ihrer Existenz nachgerade Molinas eigenen
bürgerlichen Vorstellungen (Bacarisse Impossible Choices 54). Er ist zwischen seiner Mutter und
Valentín hin- und hergerissen, er will sich für sie aufopfern (Puig 245). Molina besitzt eine sehr enge
Bindung zu seiner Mutter und erträumt sich zu Beginn seine Zukunft mit Gabriel nicht zu zweit,
sondern zusammen mit ihr (76). Seine „mamá“ [Mama] – und auch in der dritten Person nicht
„madre“ [Mutter] – ist ihm sehr wichtig, und er fühlt sich für ihren schlechten Gesundheitszustand
verantwortlich, weil sie sich vor der Gesellschaft für ihn schämen muss. Auf der anderen Seite
akzeptiert sie ihn jedoch so, wie er ist, und hält zu ihm. (41, 110) Diese enge Bindung zwischen den
beiden (127) wird nach Molinas Erfahrungen gesellschaftlich oft sofort als „Ursache“ seines
sexuellen und geschlechtlichen
Verhaltens
gesehen (23,
41),
und auch das
typische
Mädchenspielzeug als sein liebstes (225) entspricht diesem Klischee der „Verweiblichung“. Das
gesellschaftliche Schubladendenken stösst Molina ab, da es ihn zur Sache degradiert, zu einem
Forschungsobjekt der Anomalie (Kerr 654). Andererseits sucht er aber auch einen Sinn, etwas
Grösseres im Leben als seine Arbeit und seine Mutter (77). So wird Valentín im Verlauf des Romans
immer mehr zum wichtigsten Menschen in seinem Leben (217). Molinas ideale Mutter ist eine
traditionelle grosse Dame des Hauses (Puig 22). Dieses verklärte Bild blendet jegliche sozialen
Bedingungen aus und berücksichtigt auch nicht, dass die Ehe seiner eigenen Mutter alles andere als
glücklich gewesen ist (110). Molinas Wut über den Widerspruch Valentíns zeigt die enge Bindung
seiner Weltsicht und seiner eigenen Identität an diese Vorstellung, die durch Valentín in Frage
gestellt werden (Schlickers 227).
In der Nacherzählung von „The Enchanted Cottage“ kommt mit den Ausdrücken „si…“ [wenn] und
„tal vez…“ [vielleicht] die Möglichkeit einer relativen anstelle einer absoluten Wahrheit zum
Ausdruck (Puig 104). Dies scheint Molina selbst jedoch aufgrund seines Festhaltens an den
vorgegebenen Rollenvorstellungen nicht bewusst zu sein. Ebenso überraschend ist für ihn die
Erkenntnis, dass Valentín auch Architektur studiert hat, da er dies für eine Frauensache hielt (83). Er
muss sein Bild neu überdenken, denn Valentín ist für ihn ja nicht irgendein Mann. Er besteht aber
darauf, seine eigene Identität zu haben und fragt, warum er sich für das rechtfertigen müsse, was
bzw. wie er sei, und seine Andersartigkeit nicht akzeptiert werden könne. „[H]ay de todo.“ [Es gibt
von allem etwas.] stellt die Klassifizierung der Homosexualität als solche in Frage, da die
Einheitlichkeit des Begriffes hinterfragt wird. (246) Als Molina von seiner Angst spricht, Valentín zu
verlieren, und erklärt, wie glücklich er doch gewesen sei, benutzt er „contento“ in der männlichen
31
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Form, obwohl dieser Zustand in Verbindung mit Valentín steht (245). Als er von Gabriel gesprochen
hatte, hatte er es für unumgänglich erklärt, von sich als Frau zu sprechen (69). Durch seine
Vereinigung mit Valentín ist es für ihn nicht mehr von Bedeutung, die männliche und die weibliche
Form zu unterscheiden (Dabove 37), denn „Molina encuentra en las mujeres, no a la Mujer…, sino el
modo singular de devenir-mujer.“ [Molina findet in den Frauen nicht DIE Frau…, sondern die
einzige Möglichkeit der Frau-Werdung.] (30) Die Imitation der fixen weiblichen Rolle ist für ihn die
einzige Möglichkeit gewesen, eine Frau zu sein, nunmehr zeigen sich ihm aber auch andere Wege. Er
möchte nicht die Katzenfrau sein, die tötet und keine Erfüllung findet. Die von Valentín
vorgeschlagene Spinnenfrau, die zwar auch tötet, aber Erfüllung findet, sagt ihm dagegen zu. (Puig
265) Beide bleiben alleine, da ihre Natur ihnen eine Beziehung versagt (Wiegmann 134), während
die Katzenfrau jedoch Leid verursacht, verringert die Spinnenfrau es (135). Die Benennung ist ein
passiver Akt seitens Molinas, der Valentíns Definition seiner Identität lediglich noch zustimmt (Puig
265). Auch die Spinnenfrau ist passiv und wartet ab. Sie ist aber auch gefährlich und den Männern
insofern überlegen, als dass sie zumeist grösser ist und die Männchen in Gefahr schweben, nach der
Begattung gefressen zu werden. Lucille Kerr zieht ausserdem eine Verbindung zwischen ihr und dem
Film „Spider Woman“ (1944), in dem eine „femme fatale“ der Überzeugung ist, in der überlegenen
Position zu sein und ihren Gegenspieler, einen Detektiven, gefangen zu haben, die Situation
eigentlich aber gerade andersherum ist. (Kerr 664) Diese „femme fatale“ verkörpert das Schicksal,
das verändert und zu eigenem Denken ermächtigt, das aber nicht zu einer grösseren Erfahrung führen
muss (Dabove 43). Molina ist der Anstoss für Valentín, sich zu verändern.
Molinas Sprache wie auch seine Beschreibungen der Filme enthalten viele starke oder übertriebene
bzw. gehäufte Adjektive (Puig 177/78, 187/88: genial), z.B. „la nariz chica respingada“ [die kleine
Stupsnase] (9) oder „más redondo que ovalado“ [eher rund als oval] (24). Seine Sprache ist
anschaulich und detailliert (Schlickers 198). Lange Sätze ohne Unterbrechungen, kaum Kommas
oder andere Satzzeichen sind weitere Indizien für seine Mitgerissenheit und sein Miterleben, seine
weibliche Emotionalität (Puig 17/18, 173).
Er legt Wert auf das Aussehen insbesondere der
weiblichen Hauptdarstellerinnen. Die Männer dagegen werden kaum beschrieben, ihr Aussehen wird
vielmehr sogleich gewertet. So ist der Architekt auf den ersten Blick ein verständnisvoller, ruhiger
Mensch (11). Molina interpretiert zudem während seines Erzählens, dementsprechend beinhaltet
„una cara … de diablo“ [ein Gesicht… des Teufels] (9) bereits eine Wertung und einen Hinweis auf
die weitere Handlung. Besonders auffallend ist sein Versuch, die Stimmung, die Atmosphäre der
Szenerie und des Filmes mittels sehr genauer Beschreibung der Umgebung einzufangen (11, 25, 87,
171). Es geht ihm um die „Seele“ des Filmes, nicht um Genauigkeit: „ay, no me exijas tanta
precisión.“ [ach, verlang doch nicht solche Genauigkeit von mir.] (12) Damit versucht er, eine
Erklärung der Gefühle und des Verhaltens der Figuren zu vermitteln (31) und legt den Schwerpunkt
seiner Darstellung auf Romantik und Kitsch (61, 63, 172). Er zieht eine Trennlinie zwischen dem
Film selbst und der dahinter stehenden Realität, beide können und sind für ihn insbesondere im
Propagandafilm unabhängig voneinander (84). Die Liedauszüge im letzten Film spiegeln die Gefühle
Molinas gegenüber Valentín wider (175). Molina fühlt sich durch die Kommentare und Einwürfe
32
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Valentíns gestört, da es seine Geschichte, seine Erzählung ist. Er ist der Erzähler, er bestimmt über
das Geschehen (11, 15, 37). Es beleidigt ihn, wenn Valentín die Handlung vorwegnimmt (13), und er
hält ihn für undankbar (22). Trotzdem ist Molina glücklich, dass er durch das Erzählen der Filme
etwas für seinen Zellengenossen tun kann (43) und vergewissert sich immer wieder, dass diesem der
Film auch behagt (85, 88). Er möchte ihm gefallen, aber die Filme sind auch ein Mittel der
Selbstoffenbarung, weshalb er Valentín bittet, ihm ebenfalls einen Film zu erzählen (102). Nach der
Kritik und der Verachtung Valentíns angesichts des nationalsozialistischen Propagandafilms,
entschliesst sich Molina, ihm keine Filme mehr zu erzählen, die ihm selber gefallen, damit der andere
sich nicht wieder darüber lustig machen kann. Dies verletzt ihn, da er durch seine Erzählungen sein
Innerstes preisgibt. (116) So ist auch der nächste Film einer, der nach Meinung Molinas den Männern
gefällt (118).
Molina spielt mit Valentíns Unwohlsein seiner Sexualität gegenüber (Puig 65), Gabriel schmeichelte
er, um ihm seine Befangenheit zu nehmen (73), denn er ist die gesellschaftliche Verachtung gewöhnt,
sie verletzt ihn aber nichtsdestotrotz (65). Er erscheint flatterhaft und oberflächlich (67), ist
fürsorglich und gefühlvoll. So bietet er Valentín Wasser an, indem er dieses als „linda“ [süss] und
„fresquita“ [ganz frisch] (14) beschreibt, als käme es aus einer Bergquelle und nicht einer Leitung in
der Grossstadt. Von seinem Zellengenossen fordert er das Recht ein, zu weinen, es ist ihm aber
trotzdem peinlich (63/64). Molina möchte Verständnis und Zuneigung, ist verletzlich, (161, 217,
256) und auch eitel (218). Er versucht Valentín dazu zu bringen, den Film emotional zu bewerten
(189) und seine Gefühle auszusprechen (220). Zuweilen scheint er klein und hilflos zu sein (217,
256), andererseits gibt er Valentín ohne etwas zu sagen, zu verstehen, dass er ihm nicht so einfach
verzeihe (198), womit er dessen Schuldbewusstsein steigert. Molina weint leicht und fleht seinen
Zellengenossen an (217, 257). Er ist sanft und geduldig (Bacarisse The necessary dream 89),
romantisch (Puig 17) und interessiert sich für Kunst und Oper (25), Mode (16), das leichte Leben und
Vergnügen (57), auch in seinem Beruf (77). Jeden Augenblick zu geniessen (33), sei ein wichtiger
Bestandteil des Lebens. Auf Valentíns Überheblichkeit reagiert er spöttisch, als er meint, er sei nicht
so dumm wie dieser zu glauben scheine (205). Er ist spontan und tolerant (Bacarisse The necessary
dream 90), seine Bildung und sein Hintergrund sind ganz anders als die Valentíns (88). Er zitiert
Blaise Pascal (Puig 263), ein Zeichen für sein neues Selbstbewusstsein (Zapata 224), ebenso wie das
Beharren auf seiner eigenen Interpretation des Filmes (Fabry 87). Schliesslich tauschen er und
Valentín in der Diskussion über das Ende des letzten Films die Rollen, so dass Molina nun als
kritischer Advokat auftritt (Kerr 662). Molina ist sich der versuchten Manipulation durch seinen
Zellengenossen bewusst (Puig 258), als auch der Tatsache, dass er verfolgt wird (274). Er zeigt einen
grösseren Realitätssinn, denn er sieht trotz Valentíns politischem Engagement deutlicher als dieser
die Gefahr, die mit dessen Auftrag einhergeht (267). So redet er, damit Valentín nichts sagen und so
vielleicht etwas verraten kann (Fabry 84). Der Politik steht Molina aber ablehnend gegenüber, denn
er misstraut ihren Indoktrinationsmöglichkeiten (Puig 34, 52, 77, 119). Als er Gabriel als
„condenado“ [Verdammten] (71) bezeichnet, betont er den gesellschaftlichen und kontextabhängigen
Einfluss auf den Einzelnen und lässt eine leise Unzufriedenheit mit den Verhältnissen erkennen. Er
33
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
legt viel Wert auf Höflichkeit und ist durch Valentíns schonungslose Direktheit brüskiert („…“).
Dagegen widerspricht er seinem Zellengenossen indirekt, indem er sich zunächst rechtfertigt und
danach seinen Wunsch in einem höflichen Fragesatz formuliert (14). Molina ist ein Mensch, dem
Harmonie sehr viel bedeutet, weshalb ihm jeder Streit unangenehm ist (35, 63) und er zögert, seine
Meinung zu äussern (206). So bittet er Valentín auch, sich nicht zu beschweren, da dies ohnehin
nichts bringe (93/94). Auch Beziehungen und menschliche Nähe bedeuten ihm viel (96, 101), so dass
er seinen Zellengenossen beim Vornamen nennt, um ihren persönlichen Kontakt zu betonen (33)
(Wiegmann 123). Er ist mit- und feinfühlig, erahnt Valentíns Gefühle (Puig 48) und zeigt
Verständnis (205). In Bezug auf andere Menschen, d.h. Individuen abgesehen von seinen
idealisierenden Vorstellungen, vertritt er eine eher realistische Einstellung. Er gesteht ihnen ihre
eigenen Schwächen zu und zeigt Verständnis für den Regisseur des nationalsozialistischen
Propagandafilmes (98). Sein Menschenbild ist pessimistisch und egoistisch (206). Molina kümmert
sich um das Kochen – für sich und für Valentín, beendet dies aber als sich Valentín mit ihm streitet,
da er verletzt ist und sich unverstanden fühlt (33/34). Deshalb lässt er diesen dann „con toda libertad“
[mit aller Freiheit] sein Essen selbst zubereiten, um ihm zu zeigen, dass er im Unrecht ist und sich
irrational verhält, denn Valentín ist von diesem neuen Arrangement nicht gerade begeistert (204).
Dadurch, dass Molina den Kürbis für sich beansprucht, betont er seine Eigenständigkeit und
Unabhängigkeit (205), denn er behält nun etwas für sich selbst. Das Essen dient auch als Mittel der
Verführung (161, 189, 197), da die Liebe bekanntlich durch den Magen geht. Als es zur Neige geht,
ist dies ein Hinweis auf den Tod aber auch auf das Ende der Verführung28 (237). Diese ist nun
abgeschlossen. Molina macht Valentín indirekt klar, dass das Essen ihm gehöre, dieser ihm also
etwas schuldig sei, indem er zuerst von sich spricht, um sich dann zu verbessern und auf sie beide
Bezug zu nehmen. Damit hat er auch das Recht, über dieses zu bestimmen, was er tut, indem er
Valentín vorschreibt, was dieser essen darf. Er ist streng, freut sich aber auch, dem anderen eine
Freude bereiten zu können. (161, 196) Er hat die Oberhand, ist die Herrin des Hauses. Um es
Valentín leichter zu machen, die Situation zu akzeptieren, stellt er dieses Arrangement als
gegenseitige Vereinbarung dar, nennt eine Bedingung und fragt zum Schluss „¿trato hecho?“
[abgemacht?]. Er behandelt ihn wie ein Kind, (162) ist fürsorglich (168) und gluckenhaft (188). Da er
mehr über die Behandlung von Krankheiten zu wissen scheint, ist er in der überlegenen Position
(189). Molina verhält sich in einer Weise, die man üblicherweise als mütterlich besorgt bezeichnet,
wenn er Valentín „niña Valentina“ [Mädchen Valentina] (43) oder „che“ [Junge] (47, 98) nennt.
Durch Fragen wie „¿Vos creés?“ [Glaubst du?] und „¿Te parece?“ [Meinst du?] erweckt er den
Eindruck von gutmütiger Überlegenheit, Erfahrung und Geduld. (47) Er beruhigt und beschützt
(133), teilt sein Essen mit Valentín (134) und ernährt ihn somit. Er bemuttert ihn wie ein krankes
Kind (123), ist hilfsbereit und tatkräftig (128) – er ist in seinem Element (145). Damit nimmt er eine
traditionell weibliche Rolle im “klassischen machistischen Machtgefüge“ ein (Teltscher 219) und
reproduziert die Stereotypisierung der Frau, indem er das Klischee in seiner extremen Form
umzusetzen versucht (Muñoz 61). Als Valentín ihn nicht mehr zu brauchen scheint, ist er enttäuscht
28
Z.T. wird auch die Auffassung vertreten, die Verführung sei nicht beabsichtigt (Fabry 235).
34
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
(187/88). Er bringt seinen Zellengenossen dazu, ihm etwas über seine Freundin zu erzählen, indem er
den Eindruck vermittelt, Valentín für schwach und emotional zu halten und so eine Gegenreaktion
provoziert. Dadurch dass er Film und Wirklichkeit vermischt und aus der Geschichte Valentíns einen
Film macht, nimmt er diesem seine Hemmungen (49). Er arbeitet subtil und suggestiv (188). Durch
Behauptungen fordert er Valentín dazu heraus, das Gegenteil zu sagen (219). Während Valentín sich
um Geist und Intellekt sorgt, räumt Molina der Gesundheit und dem Körper Vorrang ein (77). Die
Vorwürfe Valentíns, er würde abschweifen (33) und man könne mit ihm nicht diskutieren (70)
kränken ihn und er fühlt sich herabgesetzt. Er ist auch durch dessen Abweisung verletzt, in der dieser
das Lernen einer Unterhaltung mit ihm vorzieht, und reagiert mit leisem Spott (15). Auf der anderen
Seite erscheint er vernünftig und realistisch in Bezug auf klassische Frauenthemen wie Abtreibungen,
er stellt kurze und präzise Fragen (51). Gegenüber Valentín ist er vorsichtig und unsicher, wie dieser
regiert (31). Er richtet sein Verhalten auf ihn aus. Er bietet ein „Opfer“ an, als er sich bereit erklärt,
Filme zu erzählen, da er weiss, dass er danach nicht einschlafen kann (77). Molina behandelt
Valentín aber durchaus auch mit Spott und Ironie und gibt bissige Kommentare ab, wie den über die
Sinnlosigkeit, im Dunkeln Zeichen zu geben (23), oder er zieht ihn wegen der Inkoherenz seines
Verhaltens auf (32, 86). Einerseits versucht er, Valentín von seinem Abkommen mit dem Direktor
abzulenken (89/90, 110, 255), andererseits hat er das Bedürfnis, es ihn wissen zu lassen (25, 121,
257) und sich vor sich selbst zu rechtfertigen (96, 110). Er möchte Valentíns Vergebung und das
Spiel beenden, z.B. indem Valentín auf die Krankenstation geschickt wird (121). Da er sich selbst
nicht traut, möchte er nichts erfahren, das den Direktor interessieren könnte, und weicht vor dem
Vertrauen seines Zellengenossen zurück (135/36, 218). Er mag es nicht, von oben herab behandelt zu
werden (102), ist aber unsicher und braucht die Bestätigung eines anderen: „¿verdad?“ [nicht wahr?]
(137). Mit dieser Unsicherheit hängt auch seine Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit infolge
Valentíns Rat, sich mit jemandem zusammenzuschliessen, zusammen (218). Es ist ihm unangenehm,
zu lügen, weshalb ihm auch keine rationalen Argumente für seine Position einfallen (95, 136). Dies
lässt seine Weigerung, ins Krankenhaus zu gehen unvernünftig und grundlos erscheinen, wohingegen
Valentíns wohlbegründet und nachvollziehbar ist (117). Für sein Alter erscheint er naiv und
unwissend, kindlich. Der Eindruck von Schwäche wird von ihm selbst dadurch verstärkt, dass er sein
Unwohlsein auf seine Nerven schiebt (90). Dies ist zwar unverfänglich, aber auch eine klassische
Erkrankung der „schwachen“ Frauen. Gegen Ende des ersten Teils des Romans beginnen die beiden
Gefangenen jedoch ein viel intensiveres Gespräch zu führen als zu Beginn. Auch die Frage Molinas
nach dem Seconal deutet ein erstes leichtes Interesse an politischen Dingen an (117).
Nichtsdestotrotz hält er seinen Zellengenossen für fanatisch, da sich dieser lieber seinen Studien
widmet als sich mit ihm zu unterhalten oder sich Filme erzählen zu lassen (188). Sein Interesse an
Valentíns Lesestoff dient zwar auch der Kommunikation, da er aber schon weiss, dass es sich um
etwas Politisches handelt, zeigt er doch ein gewisses Interesse an der Thematik (197, auch 206, 256).
Molina traut sich die Politik, die schliesslich auch eine Männerdomäne ist, nicht zu und hat keine
Hoffnung, dass sich die Gesellschaft ändern wird (218). Seine Bereitschaft, Valentíns Plan
auszuführen gründet auf seinem Willen, alles zu tun, was dieser ihm sagt (267), seinem „Mann“ zu
gehorchen (Dabove 56). Er erfüllt somit ein Versprechen und bleibt abhängig. Dementsprechend
35
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
zögert er auch, Valentín das Versprechen zu geben, sich nicht mehr länger geringschätzig behandeln
zu lassen (Puig 265), zeigt jedoch bei seiner Verhaftung ein neues Selbstvertrauen, als er die
Ausweise der entsprechenden Personen zu sehen verlangt (279).
Im Bericht der Gefängnisdirektion wird Molina eine gute Führung bescheinigt. Er ist demnach eher
jemand, der sich anpasst und Schwierigkeiten oder Konfrontationen vermeidet. (Puig 151)
Gegenüber dem Gefängnisdirektor verhält er sich ängstlich und schwach. Er weint, ist unterwürfig
und entschuldigt sich ständig. Vorsichtig versucht er, direkten Fragen auszuweichen bzw. indirekt zu
antworten und zu erreichen, dass Valentín kein vergiftetes Essen mehr bekommt. Der Direktor
reagiert darauf mit Verachtung und Distanz, auch wenn er ihm ein Taschentuch anbietet, das dieser
jedoch nicht annehmen will, um dem Direktor nichts schuldig zu sein. (153/54) Molina gibt sich
hilflos und unfähig und bekommt dadurch, was er wollte: das Essenspaket (155/56). Er ist subtil,
bedient die Klischees und Vorurteile des Direktors, der ihn auch verachtungsvoll „¡Pobre Molina!“
[Armer Molina!] nennt (156) (Wiegmann 114). Molina hintergeht die Taktik des Direktors, Valentín
durch vergiftetes Essen zu schwächen und leistet erfolgreich passiven Widerstand. Dies ist ihm
möglich, da er von allen, auch von dem vertrauensseligen Valentín, unterschätzt wird (113). Mit dem
zweiten Teil des Romans “empieza una nueva vida” [beginnt ein neues Leben], da er seinen
Entschluss gefasst hat (Puig 161) und seine Treue nunmehr Valentín gehört. Deshalb gerät er auch in
Panik und ist verzweifelt, als Valentín auch mit seinem Essen krank bleibt, denn er befürchtet, vom
Direktor durchschaut und ausmanövriert worden zu sein (168). Indem er zögerlich ist und
herumdruckst, vermeidet er es, selbstbewusst zu erscheinen, was den Direktor die Geduld verlieren
lässt (201). Molina verhält sich unterwürfig und bettelt geradezu um das Essen: „de veras de veras“
[wirklich wirklich] (203). Da er nach Meinung der zuständigen Autoritäten aus Angst vor
Repressalien durch die guerrilla unkooperativ ist, wollen sie ihn kaltblütig benutzen. Sein Tod ist
unabwendbar, denn er ist entbehrlich, ein amoralisches Subjekt. (249/50) Der Direktor behandelt
Molina wie ein lästiges Kind (253) und bringt somit seine konservativ-bürgerlichen
Moralvorstellungen zum Ausdruck (Schlickers 207). Molina
macht sich durch seinen
Gefühlsausbruch, sein Betteln, in der gleichen Zelle bleiben zu dürfe, verdächtig, ebenso wie durch
seine mangelnde Euphorie über seine Freilassung. Er versucht sogar, für Valentín noch etwas zu
essen herauszuschlagen. (Puig 252/53) Zudem verteidigt er sich offensiv gegen den Vorwurf, er
erfülle seine Pflicht nicht (251). Auf der anderen Seite ist er es, der eine Verlegung vorschlägt, um
den Druck zu erhöhen. Er will nicht länger lügen. (202)
Die kursiv geschriebenen Gedankenbruchstücke der beiden Hauptfiguren ziehen sich von S.164 bis
zu S.216 hin. Molinas beginnen mit seiner Sorge um seine Mutter mit ihrem schwachen Herzen und
enden damit, dass der Patient Valentín ausser Gefahr ist und die Schwester über ihn wacht.
Dazwischen ist sein Bedürfnis zu erkennen, sein Gewissen zu erleichtern. Er trägt schwer an seinem
Geheimnis, daran, dass er sich zur Kollaboration mit dem Gefängnisdirektor bereit gefunden hat. Er
traut sich jedoch nicht, es Valentín zu sagen, da er den Vertrauensverlust zwischen ihnen fürchtet,
weshalb er sich vorstellt, das Geheimnis im Schlaf preis zu geben. Schlaf bedeutet Vertrauen und
36
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Unschuld, ein Schlafender ist unbelastet und ehrlich. Er erlangt Vergebung. Der Schlafwandler weiss
nicht, wie ihm geschieht. Er handelt unbewusst und ohne Erinnerung. Genauso fühlt sich Molina
angesichts der widersprüchlichen Interessen, die an ihn herangetragen werden. Molina sieht sich in
der Rolle der Krankenschwester, die sich um den „enfermo contagioso“ [ansteckenden Kranken]
kümmern muss. Der Kranke ist Valentín, der Molina potentiell mit seinen Ideen ansteckt, die aber
den Tod bringen29. Molina ist ihm ausgeliefert, seinen Gedanken und seiner Anziehungskraft. Er
kann nicht widerstehen: „la muerta“ [die Tote] ist er von Anfang an, sein Schicksal ist bestimmt.
(167, 177) Molina wird der gewaltsamen Welt gewahr (Bacarisse The necessary dream 116). Auf der
anderen Seite ist die Beziehung wechselseitig. Molina lockt Valentín mit seinen Filmen und zieht ihn
in seinen Bann. Er ist sich dieser Tatsache wohl bewusst, was auch der Spott in seinem Blick
andeutet, als er Valentín betrachtet. (Puig 174) Trotz seiner Angst um und vor30 Valentín möchte
Molina nicht, dass der Patient gesund wird und für immer geht. Er möchte, dass er bleibt. (192) Seine
geheime Sehnsucht einer Beziehung zu Valentín spiegelt sich in der Vorstellung wider, der Patient
könnte sich auf die junge, schöne Krankenschwester stürzen, welche nicht entkommen könnte. Dies
stellt auch sein Bild seiner selbst dar. (193) Die Zuneigung Molinas zu Valentín lässt sich unter
anderem an den Namen erkennen, die er ihm gibt. So sind „pedazo de pavo“ [du Dummkopf] (31),
„pavo“ [Dummkopf] (95), „sonso“ [Dummer] (122) zärtlich, als Ausdruck der Hingezogenheit zu
verstehen. Jede andere Vertraulichkeit würde von Valentín umgehend zurückgewiesen werden.
Molina möchte sich an die Worte erinnern, mit denen die hässliche Bedienstete die Liebe ihres
Angebeteten erlangt hat (111), denn er möchte hinter ihr Geheimnis gelangen, um auch für sich die
Liebe zu finden bzw. zu gewinnen. Seiner Einsamkeit und Sehnsucht macht er in einem Bolero Luft
(140). Der „amor extraño“ [die seltsame Liebe] (137), das Nichtaufgeben sowie die anhaltende
Hoffnung (147) ebenso wie später die „prisionera“ [Gefangene] (229) sind ein Hinweis auf die
Situation der beiden Gefängnisinsassen. Die Zelle ist ein „mundo raro“ [eine seltsamen Welt], denn
in ihr herrschen andere Gesetze, die allein die Liebe möglich machen (234). Molina liebt Valentín
und nennt seinen Namen noch vor seiner Mutter (265). Da er selbst zwiespältige Gefühle hegt, traut
er sich nicht, seinem „pobre tesoro“ [armen Schatz] zu sagen, dass er entlassen wird (254). Molina
lehnt Valentíns Berührungen zunächst ab, da er Angst hat, sich falsche Hoffnungen zu machen. „Sí“
[ja] ist dann aber auch die Zustimmung zu dessen intimen Handlungen, (219) zumal eben diese
Reaktion Valentíns von Molina beabsichtigt gewesen ist (Kerr 662). Molina ist glücklich und
dankbar, auch Valentín Freude schenken zu können (Puig 220). Beim Sex ist er dann aber passiv. Er
liefert sich ihm aus, als er meint, Valentín könne alles mit ihm machen, was er wolle, da er selber es
wolle. Er liegt unten, in unterlegener Stellung, und wird penetriert. Auf der anderen Seite begegnen
sich die beiden von Angesicht zu Angesicht, was die Gemeinsamkeit des Augenblickes betont. Es ist
Molina, der sagt „te tengo“ [ich habe dich] und damit andeutet, dass er genau dies angestrebt hat. Es
29
Nach anderer Auffassung versucht die Krankenschwester, sie beide vor der „ansteckenden und vergiftenden
Umwelt“ zu schützen (Wiegmann 111).
30
Die in den Gedanken inhärente Gewalt deutet möglicherweise auf Molinas eigenen Tod hin (Echavarren
599).
37
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
ist für ihn die Erfüllung seines Traumes, umso mehr als er auch die Bestätigung Valentíns erhält,
über dessen Gefühle er unsicher war. Er ist gerührt und scheint zu weinen. (221) Persönlichkeiten
und Identitäten verschwimmen ebenso wie Zeit oder Ort, und es stellt sich die Frage, was eigentlich
die Realität ist. Die Anonymität der Dunkelheit hat etwas Unwirkliches, (222) die gehäufte
Verwendung von Namen ist dagegen ein Ausdruck von Intimität (221). Das Ich tritt zurück, was
auch durch die grammatikalische Vermischung der ersten und der zweiten Person deutlich wird (Kerr
663). Am nächsten Morgen hat Molina Angst, alles könnte bereits wieder zu Ende sein. Er ist sehr
verletzlich. (Puig 224) Trotz der äusseren Umstände ist er mit sich im Reinen. Beim Sex und danach
ist Molina nicht sich selbst, was für ihn eine Erleichterung ist, da er sich in seinem Körper nicht wohl
fühlt. Er ist mit seinem Geliebten vereint, dann aber weder Frau noch Mann. Die Auflösung der
Geschlechter stellt eine Befreiung aus dem gesellschaftlichen Normensystem dar und führt zu einem
Gefühl der Sicherheit. (238) Die Unterschiede und die Totalität der Wahrheit und der Realität werden
nivelliert (Masiello 585). Dagegen argumentiert Lucille Kerr, dass die Unterschiede durch die
gegenseitige Kontrolle und Machtausübung der beiden Zellengenossen lediglich weniger sichtbar
werden, und verneint eine Transformation der beiden ineinander (Kerr 662). Für einen Moment
geschieht dies jedoch. Molina möchte dieses Glück festhalten und hat Angst (Puig 263), da er sich
der Temporarität bewusst ist und keine Hoffnung hat, etwas Ähnliches im „normalen“ Leben zu
erfahren. Deshalb äussert er den Wunsch, nun zu sterben. (239) Er kann nicht mehr weiterleben wie
zuvor, am Rande der Gesellschaft und in seiner abgeschlossenen Welt (Schlickers 240). Nach dem
Scheitern des ersten Treffens mit der guerrilla bereitet er sich sodann auch auf den Tod vor, indem er
Geld auf den Namen seiner Mutter deponiert (Puig 278). Seine Liebe zu Valentín indes geht
niemanden etwas an, insbesondere nicht seine unzuverlässigen „amigas“, denen er nichts von ihm
erzählt und sie sogar anlügt (269). Es ist sein Geheimnis, das er mit niemandem teilen kann, denn
dadurch würde es seinen Glanz und seine Intimität verlieren. Er bricht den Kontakt zu Gabriel ab
(273, 275), zieht einen Schlussstrich unter diesen Teil seines Lebens. Seine Gedanken sind nunmehr
auf Valentín ausgerichtet (270, 273), auch sein Tod steht mit ihm in Verbindung (279). Molina bleibt
weiterhin seinen bürgerlichen Moralvorstellungen verhaftet, denn auch wenn sein Tod einem
gesteigerten sozialen Bewusstsein entsprungen sein mag, so ist er doch vor allem eine Wiederholung
von Lenis Schicksal (Dabove 55), ein Opfer der Liebe (Bacarisse Impossible Choices 124). Dies lässt
Sabine Schlickers vermuten, er wäre „nicht zu einer so vollständigen Person geworden wie Valentín“
(Schlickers 243), und Lucille Kerr sieht darin die Grenzen seiner Macht (658). Andererseits ist sein
Tod jedoch nicht endgültig, weshalb er auch durch und in Valentín(s Delirium) weiterlebt (Kerr 648).
Der Kuss, um den er bittet (Puig 264), soll als Abschiedsgeschenk und zur Erinnerung dienen. Im
Gegensatz zum Sex, der auch Ausdruck und Ausleben von Begierden ist, drückt ein Kuss Liebe und
Zuneigung aus, insbesondere, wenn er von diesem losgelöst ist. Deshalb bedeutet Molina die Zusage
Valentíns sehr viel und er erklärt sich bereit, dessen Wunsch nachzukommen, als ein (Gegen)Beweis
seiner Liebe (267), auch wenn er um die tödlichen Folgen des Kusses weiss (Bacarisse Impossible
Choices 110). Zwar bedeutet der Kuss auch eine Umkehrung der Schuld, hier wird aber im
Gegensatz zu Geneviève Fabry (234) der durch ihn entstandenen Gleichheit eine wichtige Rolle
zugewiesen, denn er bedeutet die Akzeptanz, die von der Gesellschaft versagt wird. Alternative
38
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Existenzen abseits des patriarchalen Wertekodex aber innerhalb des Systems führen dort nur zu
Trauer und Einsamkeit (Bacarisse Impossible Choices 46). Das bedingungslose Unterwerfen unter
vorbestimmten (Geschlechter)Rollen ist aber ebenso sehr ein inneres Gefängnis (Zapata 79), so dass
der Tod der einzige Ausweg ist. Molina will und kann sich nicht (völlig) ändern (Muñoz 61), denn
eine deutliche Änderung wäre eine Anpassung und dies widerspräche seiner eigenen Identität.
3.1.3
Marica und Frau
In den vom Katholizismus geprägten Ländern existiert oft eine Mythologisierung der Mutterschaft
als Kern der Weiblichkeit (Bacarisse Impossible Choices 37), kombiniert mit einer herausragenden
Bedeutung des Machismo. Homosexualität ist durchaus mit dem Machismo zu vereinbaren,
vorausgesetzt, die aktive, „männliche“ Rolle wird beibehalten und nicht die passive der Frau
angenommen, (Levine 71) denn in Lateinamerika ist traditionell – heute nicht mehr in diesem
Masse – nur der passive Partner einer gleichgeschlechtlichen männlichen Beziehung per Definition
homosexuell31 (Teltscher 18; s. auch Perlongher 638/39). Dieser wird durch die Penetration
entmännlicht (15), gibt somit seine Männlichkeit bewusst auf, wird aber erst durch den aktiven
Partner in seiner Homosexualität bestätigt, (20) ebenso wie die Frau erst durch den Mann zur Frau
wird (15). „Weibliche“ Passivität, Schwäche und Unterordnung werden übernommen (21), die
Weiblichkeit zu imitieren versucht. Peter Teltscher sieht deshalb in dieser Praxis eine Stützung und
keine Infragestellung der Machtverhältnisse, da marica und Macho in einer ebensolchen Diametrie
zueinander stehen wie Frau und Mann. (35) Die klassischen Paarbeziehungen werden reproduziert.
Auf der anderen Seite sieht Elías Miguel Muñoz in der Homosexualität eine Herausforderung der
kulturellen Stabilität und darin wiederum den Grund für ihren Ausschluss, da der herrschende
Diskurs heterosexuell sei (77). Auch die soziale Unterdrückung der Frau werde durch ihre
Darstellung durch einen Mann deutlich gemacht (69). Letzterem wird hier durchaus zugestimmt, aber
die Tatsache, dass Homosexualität in Lateinamerika in den klassischen Begriffen der
Heterosexualität zu erklären versucht wird, zeigt die Übermacht des Geschlechtersystems. Molina
selbst fordert das System nicht bewusst heraus, dies geschieht vielmehr allein aufgrund seiner
Existenz und dies auch nicht direkt, sondern indirekt, indem er eine alternative Existenz aufzeigt. Er
übernimmt klassisch weibliche Rollen, wenn er Valentín bemuttert oder sich unterwirft. Er erledigt
die Hausarbeiten materieller (Kochen usw.) wie auch immaterieller Art (Beziehungspflege usw.).
Eine Familie wäre sein Lebensinhalt, ein überlegener, dominanter Mann, der ihn beschützt, sein
Traum. Seine Unsicherheit drückt die weibliche Schwäche aus, seine emotionalen Argumentationen
und farbigen Beschreibungen ihre Irrationalität. Er ist listig und nützt die Vorurteile der anderen aus,
aber auch die List wird traditionellerweise den Frauen zugeschrieben. Molina verändert sich, wenn er
sich bei seiner Verhaftung nicht einschüchtern lässt, bleibt aber gleich, wenn er sich für seinen
Geliebten opfert und dessen Auftrag ausführt, obwohl er weiss, dass er verfolgt wird. Allerdings
31
So fallen hier im Gegensatz zu anderen Kulturräumen Homosexualität und Transsexualität zusammen (vgl.
Meyer).
39
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
kann er sich auch nicht grundlegend ändern, denn dann würde er sich ja der herrschenden Moral
unterwerfen und sich anpassen. Dies stände aber der Infragestellung der gesellschaftlichen Normen
und Werte entgegen, würde sie vielmehr noch bestätigen.
3.2
3.2.1
Valentín
Filme und Delirium
Valentín Arregui Paz ist 26 Jahre alt und befindet sich als politischer Gefangener in Haft – „en espera
de juicio“, d.h. ohne Prozess und Verurteilung (Puig 151). Sein familiärer Hintergrund ist ein
gehobener, er ist ein Bourgeois (Bacarisse Impossible Choices 6). Sein Vater ist tot, zu seiner Mutter
hat er keinen Kontakt (Puig 125-127). Valentín identifiziert sich nur im ersten der von Molina
erzählten Filme ausdrücklich mit einer der männlichen Hauptpersonen. Dies ist in „Cat People“ der
Psychoanalytiker, (Puig 31) der von Molina als „buen mocísimo” [sehr männlich] und Macho
beschrieben wird. Dazu dient der nach seiner Meinung angeberische Schnurrbart als auch sein
arrogantes Auftreten in dem Wissen, bei Frauen anzukommen. (26) Ebenso wie der Psychoanalytiker
geht Valentín die Filmgeschichte analytisch an und führt die Ängste Irenas auf ihre Angst zurück, mit
einem Mann intim zu werden und zu schlafen. (37) In diesem Sinne weigert er sich, Irena als „mujer
pantera“, als Katzenfrau, wahrzunehmen. Valentín bezeichnet sie stattdessen als „psicópata asesina“
[psychopathische Mörderin], und der Psychoanalytiker versucht, sie mittels einer Radikalkur zu
heilen. Er möchte ihr zeigen, dass sie unbesorgt mit einem Mann intim werden kann, und gibt seinen
Begierden nach. Dieser Entschluss ist jedoch folgenschwer: Statt dass die erhoffte Heilung eintritt,
verwandelt sich Irena erneut in eine „mujer pantera“ und tötet den Psychoanalytiker. (45) Sein
Egozentrismus und seine Unfähigkeit, über seinen eigenen Horizont hinauszusehen, hinderten ihn
daran, die Wahrheit zu erkennen. Die Psychoanalyse hat versagt und ihrem Vertreter sogar den Tod
gebracht. Valentín zeigt Interesse für die Kollegin des Architekten, einer „normalen“,
zurückhaltenden Frau (Campos 539), die ihren Geliebten am Ende durch Irenas eigenes Verhalten
doch noch bekommt, während dies im Film bereits zuvor der Fall ist (Cat People).
Die Geschichte Molinas vom reichen guerrillero erlebt Valentín in einem Traum nach. Dabei kommt
seine Wunschvorstellung einer perfekten Frau zum Vorschein: Diese soll nicht nur seine eigenen
Ideale teilen, sondern auch der gleichen Schicht angehören. Dies zeigt sich z.B. an „una mujer que
sabe dar órdenes al personal de servicio“ [eine Frau, die dem Dienstpersonal Befehle zu geben weiss]
(Puig 128). Diese Frau scheint Valentíns ehemalige Geliebte zu sein. Darauf weist das Telegramm
zum Tod des Vaters ihres Geliebten hin, zumal in dem von Molina erzählten Film der Sohn beim Tod
seines Vaters unmittelbar anwesend ist. Auch beinhaltet der Traum eine gewisse Bitterkeit, die sich
in der Bezeichnung der Geliebten als „peligrosa“ [gefährlich] und Valentíns bzw. der Liebe beider
als „lastre“ [Ballast] (129) zeigt. Bedeutsam ist hier auch, dass der Tod des Geliebten erwähnt wird,
wo doch weder der guerrillero aus Molinas Film noch Valentín tot sind. Ein Hinweis auf den
bevorstehenden Tod Valentíns? Dem Leser wird ein Einblick in seine Beweggründe für den
bewaffneten Kampf – die Ausbeutung und das Elend der einfachen Menschen und die Grausamkeit
40
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
der Kapitalisten – wie auch in seine Ängste, aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit für seine
Gesinnungsgenossen nicht akzeptabel zu sein, gewährt. Die Darstellung der Mutter und ihre
Schwierigkeiten, ihren Sohn zu liebkosen, ergeben das Bild einer distanzierten Beziehung. Auch ihre
Handlungen weisen in diese Richtung, sie erscheinen durch die Betonung der starren Körperhaltung
kalt und emotionslos. Sie scheint die Liebe für ihren Sohn nicht ausdrücken zu können. Der Vater
hingegen war immer schon von seiner Familie entfremdet. Er bemühte sich um die
Lebensverhältnisse seiner Arbeiter, erwartete dafür aber widerspruchslosen Gehorsam, Loyalität und
Dankbarkeit. Er vertrug keine Widerworte – weder von seiner Frau noch von seinen Angestellten.
Der angebliche Mord an einem aufmüpfigen Bediensteten zeigt ihn als gefühlskalten und arroganten
Grundbesitzer. Valentín hat Angst davor, wie sein Vater zu sein, dessen Wesen geerbt zu haben. Dies
zeigt seine Bezeichnung desselben als Kriminellen und ihrer beiden Blutes als ebenfalls kriminell. Er
wendet sich stattdessen dem Gegenpart der Oligarchen zu, doch kann er seiner Herkunft nicht
entfliehen. Gegenüber der guerrillera empfindet er angesichts ihrer Ungebildetheit Verachtung. Er
findet keine Worte, keinen Weg, mit ihr zu kommunizieren, die Barriere zwischen den Klassen zu
überwinden, sondern „benutzt“ sie, um seine Gelüste zu befriedigen, empfindet aber nur Abscheu für
sie. Er ist der überlegene Mann, der Macho, dem die Frauen nichts bedeuten, denn er denkt nur an
seine verlassene Geliebte und nicht an die Frau, mit der er schläft. Dies können auch seine
Schuldgefühle nicht ändern, was gerade an der Wortwahl und deren Wiederholung zu erkennen ist.
Er bezeichnet sich selbst als grausam, seine Geliebte als ausgebeutet, verachtet sich selbst und sucht
doch nur Nähe. (Puig 128-133) Selbst die Aussicht auf ein gemeinsames Kind stösst ihn ab, die
rassistischen Vorurteile seines Standes sind fest in seinem Unterbewusstsein verankert. Er ist bereit,
alles aufzugeben, wenn seine Mutter32 ihn begleitet, wird von dieser aber erneut zurückgestossen,
nachdem sie ihn bereits im Hinblick auf den Tod seines Vaters, der unschuldig ist, belogen hat.
Dieser Verrat kam durch die Abhängigkeit der Mutter von ihrem Geliebten zustande, ihrer
weiblichen Schwäche. Ihr Sohn befiehlt ihre Erschiessung und findet dadurch selbst den Tod. Er
stirbt von der Hand seiner Gesinnungsgenossen und mit dem Anblick der Verdammung in den Augen
der Mutter seines Kindes. Er stirbt, ohne sich entschuldigen zu können, ohne sich aus seinen eigenen
inneren Widersprüchen und konträren Abhängigkeiten befreien zu können. (148-150) Dieser
Alptraum ist natürlich keine reine Wiedergabe von Valentíns Leben, was allein schon an der
Tatsache zu erkennen ist, dass er „in Wirklichkeit“ nicht von seinen Mitkämpfern getötet wird.
Nichtsdestotrotz wird seine innere Zerrissenheit ebenso deutlich wie seine allmähliche Öffnung
(Schlickers 234; s. auch Ezquerro 498), durch die er sich nunmehr zumindest unbewusst diesen
Konflikt eingesteht.
Valentín reklamiert für sich das Recht, Molinas Filme zu hinterfragen und zu kritisieren (Puig 22),
und stellt deshalb immer wieder Zwischenfragen. Logik und Exaktheit sind ihm wichtig, so erkundigt
32
Pamela Bacarisse zieht hier eine Verbindungslinie zwischen dem Verrat der Mutter und der beginnenden
Lösung Molinas von seiner Mutter (The necessary dream 112/13).
41
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
er sich beispielsweise, ob der Panther Irena denn nicht riechen könne. (9) Mit seinen Fragen
unterbricht er den Erzählfluss, die Geschichten und ihren Spannungsbogen, teilweise haben sie fast
den Charakter einer Herausforderung (10, 12, 24). Er versucht, Molinas Erzählung zu regulieren
(Fabry 82/83). Versteht er das Erzählen der Filme zu Beginn noch als einen Gefallen seinerseits
Molina gegenüber, so bittet er diesen später von sich aus um einen Film (Puig 163) und löst sich von
dieser Einschätzung. Er unterbricht ihn auch nicht mehr und möchte die Erzählung nicht mehr durch
anderweitige Diskussionen unterbrechen (228-234). Er ist ein kritischer und pragmatischer Zuhörer
(20, 56, 57, 80, 84, 98), seine Skepsis nimmt aber im Verlauf des Romans ab (79-83). Valentín
versucht nicht mehr, die Handlungen psychologisch oder psychoanalytisch zu analysieren wie zu
Beginn (21, 23, 24, 28, 37). Diese Erklärungsversuche sind auch ein Ausdruck der eigenen Ängste,
so die kastrierende Mutter, die dem Mann seine Männlichkeit gestohlen hat (23) (Schlickers 252). Er
reagiert mit Spott (Puig 13, 27) und Ablehnung (43, 63, 97, 189), kann sich aber nicht gegen die
Anziehungskraft der Filme wehren (47, 85, 196). Schliesslich stimmt er den Filmen, die für ihn zu
etwas Kostbarem geworden sind, das man nicht „verschwenden“ darf (211), auch während des Tages
zu und überlässt Molina die Wahl (225). Er unterwirft sich somit in einer gewissen Weise Molinas
Urteil (Bacarisse The necessary dream 122). Indem er die Romantik und Melancholie des Endes des
letzten Filmes als das Beste des Filmes bezeichnet, ist es Valentín nicht mehr möglich, sich aus dem
Netz Molinas zu befreien, denn er hat dessen Botschaft bereits verinnerlicht. Er übernimmt dessen
Motto, für den Augenblick zu leben, als er die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit aller Dinge betont.
(Puig 263) Pamela Bacarisse bezeichnet diesen Augenblick als den Höhepunkt seiner Feminisierung
(Impossible Choices 35). Zeigt Valentín zu Beginn kein Interesse an Details wie modischen
Feinheiten, Dingen des Vergnügens und der Leichtigkeit (Puig 16, 57, 172) und ist ausschliesslich
auf die Handlung fixiert (18, 19, 170), so ändert sich dies im Verlauf des Romans. Gegen Ende ist er
es, der seinen Zellengenossen zu einer intensiveren Beschreibung ermahnt (227). Auch anderweitig
interessiert er sich für die Atmosphäre und zeigt Phantasie, indem er sich etwas ausmalt und nicht
allein auf Fakten abstellt (237). Er projiziert von Anfang an seine eigenen Vorstellungen in die Filme
hinein (11). So fühlt er sich zur Kollegin des Architekten hingezogen, von der er nicht viel weiss, die
er sich jedoch als stille, sanfte Frau vorstellt (15), die zudem respektvoll und diskret ist (28).
Das am Ende des Romans durchlebte Delirium33 Valentíns (Puig 283-286) dreht sich um ein
Gespräch mit (vermutlich) Marta34, seiner grossen Liebe, der er seine Erlebnisse schildert. Ihr
Einssein ist eine Überwindung der materiellen Welt, in der das nicht möglich ist. Ihre Liebe
ermöglicht diese Vereinigung, die aber keine Überschreitung der Geschlechtergrenzen beinhaltet,
denn Valentín ist nach wie vor ein Mann und Marta eine Frau, noch dazu eine ganz bestimmte Frau.
Sowohl die Eingeborene als auch die Spinnenfrau verkörpern Molina. Erstere rettet ihn vor dem
Ertrinken und er berührt sie ohne Unbehagen, nicht wie in seinem Alptraum, als er Widerwillen
empfindet. Es fehlt ihr etwas, um die Verkörperung Martas zu sein, wie Molina der weibliche Körper
33
34
Er ist sich trotzdem seiner insoweit bewusst, als dass er die Namen usw. seiner Kampfgenossen nicht verrät.
Auch wenn sie dies nicht bestätigt.
42
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
fehlt (Wiegmann 138). Die Spinnenfrau ist selbst in ihrem eigenen Netz gefangen, ebenso wie
Molina, dessen Verführung Valentíns ihn ebenfalls gefangen nahm. Seine Zuneigung lässt ihm kaum
eine Wahl. Das Netz ist ihres, durch ihre soziale Einbindung aber auch das der Gesellschaft, denn die
Spinnenfrau wird durch diese als solche bestimmt: Ihr Netz ist ihr Schicksal (Wiegmann 270).
Valentín hat Mitleid mit ihr bzw. Molina, findet jedoch davon unabhängig Gefallen daran, mit
ihr/ihm zu schlafen. Er liebt sie/ihn zwar nicht, nicht auf diese Weise (Puig 283-286), überwindet
aber durch die Zuneigung zur Eingeborenen und zur Spinnenfrau den Machismo (Zapata 136). Indem
Valentín Molina allein die Motive hinter seinem Tod zu kennen zubilligt, versucht er nicht länger,
diesen zu analysieren, sondern gesteht ihm seine individuelle Freiheit zu und akzeptiert seine
Entscheidung als Ausdruck derselben. (Puig 283-286) Es gibt keine Ausbeutung oder Unterdrückung
mehr (Schlickers 266). Die Filme und Gespräche der beiden werden wieder belebt durch
Andeutungen und Zitate, sie sind die Basis des Deliriums, durch sie wird es erst ermöglicht. Das
Delirium ist somit auf gewisse Weise eine Zusammenfassung des Romans, da auch die Konflikte
wieder aufgegriffen werden, so der Widerwille Valentíns der Eingeborenen gegenüber, seine
Beziehung zu Marta usw. (Ezquerro 409). Dies lässt einige Autoren schlussfolgern, dass sich nichts
geändert habe, sich alles nur wiederhole, oder dass die Filme einfach der einzige Weg seien, dem
Terror zu entgehen, indem man sich von der eigenen Individualität löse (Fabry 67). Auf der anderen
Seite herrscht die Meinung, dass die Existenz Martas im Inneren Valentíns, d.h. in einem Körper,
dazu führe, dass beide hinsichtlich ihres Geschlechtes oder ihrer Geschlechtsidentität nicht mehr
unterscheidbar seien (Campos 549) und ein neues Geschlecht35 entstehe (Muñoz 62). Dieses sei
jedoch nicht in der existierenden repressiven Gesellschaft verwirklichbar (Teltscher 223). Die
Bewusstseinswerdung sei dann eine Homosexualisierung (Fabry 58). In diesem Sinne sei die
Spinnenfrau eine Zusammensetzung der Frauenbilder Valentíns und spiegle die Ängste des Mannes
gegenüber der Frau wider (Wiegmann 269). Das westliche Gegensatzdenken von entweder Mann
oder Frau werde in Frage gestellt (105), ebenso wie die Annahme, dass es für eine stabile
gesellschaftliche Ordnung einer klaren sexuellen Differenzierung bedürfe (Bacarisse Impossible
Choices 67). Die einzige natürliche Sexualität sei die totale und seine eigene Identität solle man nicht
innerhalb eines (einzigen) Geschlechts festlegen (Dabove 24). Doch auch wenn die Bisexualität
schlussendlich die Lösung sein mag, so legt sich der Roman selbst nie in dieser Art und Weise darauf
fest: Weder Molina noch Valentín sind bisexuell und wollen es auch gar nicht sein (36). Ihre
Erfahrungen zeigen nur Möglichkeiten auf, die sie selbst jedoch nicht verwirklichen. Der Tod wird
durch den dunklen Tunnel mit dem Licht am Ende symbolisiert. Die Zukunft ist der ewige Kampf für
seine Überzeugungen, der auch ohne Valentín weitergeht, denn er existiert seit jeher, schon immer,
und wird auch nicht enden. (Puig 283-286) (Bacarisse The necessary dream 93) Die Liebe zeigt uns
unsere Gefangenschaft auf, aber sie ist nicht dazu in der Lage, uns zu befreien (Fabry 35). Es herrscht
sowohl Bewegung als auch Bewegungslosigkeit, denn Molina und Valentín sind gleich und doch
verschieden (68/69).
35
So wird argumentiert, Valentín fände die Frau in sich und so zu seiner Bisexualität (Muñoz 75, 80).
43
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
3.2.2
Überzeugungen und Verhalten
Valentín glaubt nicht an monogame Beziehungen, weshalb er es als einzige Pflicht versteht, dem
Partner gegenüber ehrlich zu sein und ihm die entsprechenden Bedürfnisse offen zu erzählen. So
scheint er in seiner Erzählung über Martas Eltern der Frau grössere Vorwürfe zu machen als dem
Mann, da sie schwach ist und in ihrer Opferrolle ihren Mann vor der Tochter blossstellt. Valentín
verwahrt sich gegen die bürgerlichen Wertvorstellungen. Er verweist auf die Frauenbewegung, die es
mit sich bringe, dass Frauen keine bürgerlichen Rollen mehr einnehmen wollen. Realistisch, aber
kaum einfühlsam erfasst er das Dilemma Molinas, wonach „richtige“ Männer „richtige“ Frauen
wollen. (Puig 50) Valentín zerstört Molinas Ideal der perfekten Mutter, indem er ihm seine
klassenbewusste politisch-gesellschaftliche Interpretation der Ausbeutung darlegt (22/23). Er fordert
ihn auf, zu „gestehen“, dass das von ihm beschriebene bürgerliche Haus seinen Wunschvorstellungen
entspricht und gibt dadurch die eigene Ablehnung zu erkennen (25). Auf der anderen Seite schreibt er
Empfindlichkeit und Sentimentalität klischeehaft den Frauen zu, einem Mann dagegen würde ein
Übermass an Gefühlen nur schaden (34/35), denn dieser muss stark und aktiv sein, Gefühle bedeuten
soviel wie Schwäche (47, 182, 246). Valentín lehnt Molinas Männerideal ab, denn er hält es für nicht
realistisch. Er meint, man könne sich seiner selbst in dieser Gesellschaft nicht sicher sein, weshalb es
nicht möglich sei, sich selbst zu verwirklichen. (69) Für ihn ist Männlichkeit gleich Stolz, Würde und
Respekt für andere. Bei seiner Definition hat er jedoch Schwierigkeiten, da er selbst kein klares Bild
zu haben scheint. So erscheint dieses eher als ein Bild der Menschlichkeit, nicht nur der
Männlichkeit, was ihm allerdings nicht bewusst ist. Auch seine Vorstellung ist ein Ideal, ebenso
(un)erreichbar wie Molinas. (70) Trotz der Schwierigkeiten, die er bei der Definition von
Männlichkeit hat, stellt er die Existenz der Geschlechterkategorien nicht in Frage (Schlickers 225).
Wenn er Molinas Vision der universalen Weiblichkeit als irreal bezeichnet, so lässt sich sein Glaube
an die Unveränderlichkeit des Geschlechtersystems erkennen. Im Gegensatz dazu hält er das
politische System für veränderbar, seine Vision demnach für real und überlegen. (Puig 35) Er wehrt
sich gegen die Klassifizierung der Architektur und der Kunst als Frauensache, da er dies als
Beleidigung auffasst (83). Valentín verwahrt sich auch gegen die weibliche Form seines Namens,
denn er fühlt sich dadurch in seiner Geschlechtsidentität verletzt (44). Das Vermischen männlicher
und weiblicher Formen durch seinen Zellengenossen irritiert ihn (67-69), und ihm ist unwohl
angesichts Molinas Abgrenzung gegenüber den Männern. Statt zu versuchen, diesen zu akzeptieren,
bemüht er sich darum, ihn zu verstehen und zu analysieren. (65, 246) Seine Umschreibung der „gente
de tus inclinaciones“ [Leute deiner Neigungen] spiegelt seine Berührungsängste wider (66). Valentín
weicht Molinas Hindeutung auf seine Transsexualität aus und reagiert überheblich, vorurteilsbehaftet
oder spöttisch. Er glaubt, alles zu wissen, was es über Molina zu wissen gibt, indem er ihn wie alle
anderen beurteilt, ohne ihn zu kennen. (23, 70, 72, 116, 163) Er zeigt eine manische Ablehnung
gegenüber der Trans- und Homosexualität (Logie 525). Seine Frage nach der Identität des anderen
spiegelt diese fehlende Akzeptanz und das Verhaftetsein in gesellschaftlichen Vorurteilen wider
(Puig 25), ebenso wie die Annahme, im Hinblick auf Themen der Sexualität gegenüber Molina
keinerlei Skrupel haben zu müssen (49). Sein Geständnis und die Selbsterkenntnis, dass er sich
eigentlich nach Marta sehnt, verursachen in ihm Scham- und Schuldgefühle, denn diese ist keine
44
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
befreite Frau, sondern eine in traditionellen Werten erzogene (147). Diese Erkenntnis ist
schmerzhaft, da die Abgrenzung zum „Feind“ nunmehr fehlt, er kann diese unbewussten Gefühle
jedoch nicht kontrollieren (148). Auf der anderen Seite beschreibt er Marta auch als unabhängigen
Menschen, der sich gegen die gesellschaftlichen Ansprüche von Ehe und Kindern zur Wehr setzte
(51). Valentín bezeichnet sie als kastrierende Mutter – wie die im ersten der von Molina erzählten
Filme. Sie macht ihm durch ihre Stärke Angst, er will sich dies aber nicht eingestehen und begründet
das Ende ihrer Beziehung damit, dass sie zu sehr geklammert habe und vom politischen Kampf
abgefallen sei. (143) (Logie 525) Dementsprechend „brauchte“ sie auch ihren Arbeitskollegen (Puig
51), da sie allein zu schwach gewesen wäre. Hinsichtlich Valentíns derzeitiger Freundin lässt sich
anhand des Briefes ebenfalls eine gewisse Rollenverteilung erkennen. Der Brief spiegelt die
Unsicherheit der Frau wider, die sich darin äussert, dass sie ihren Freund für intelligenter, stärker und
bewundernswert hält. (138) Für Valentín ist es zudem selbstverständlich, dass seine Freundin hübsch
ist (42). Andererseits gesteht er ihr aber die Freiheit zu, für ihre Überzeugungen zu kämpfen und
beschränkt diese Aufgabe nicht nur auf Männer (48). Dann ist Valentín wieder voller Vorurteile. Er
wirft Molina vor, wie eine „señora de antes“ [Dame von früher] zu sprechen, indem er diesen
generell kein Interesse an der Politik unterstellt (85). Auch die Überzeugung, dass keiner vermuten
werde, dass Molina etwas über Valentíns Angelegenheiten wisse, zeigt die Geringschätzung von
Frauen bzw. Homosexuellen (218). Valentín zeigt sich aber auch einfühlsam und aufmerksam (67,
75). Auf die Bemerkung seines Zellengenossen, dass er eines Tages vielleicht entdecken werde, dass
er „más loca“ [schwuler] als Molina sei, entgegnet er ausweichend „Puede ser.“ [Kann sein.] Dies
beinhaltet zwar eine implizite, aber keine kategorische Abweisung mehr. (83) Er zieht Molina wegen
dessen Verwendung der weiblichen Form auf (98) und fragt ihn neckend, ob er Angst habe,
zuzunehmen (95) und bezieht sich so auf ein weiteres Klischee von Weiblichkeit. Er spricht das Tabu
der Sexualität an, fordert Molina auf, sich selbst zu akzeptieren, auf sich stolz zu sein und sich nicht
dafür zu schämen, wie er ist. Valentíns Gleichheitsideal36 äussert sich in seiner Ablehnung der
Unterwerfung, widerspricht aber zugleich seiner eigenen Hingezogenheit zu einer bürgerlichen, wenn
auch selbstbewussten Frau. (246) Er hat es nicht verinnerlicht (Teltscher 221), seine Hingezogenheit
zu Marta kommt einem Verrat an seinen Idealen gleich (Kerr 663). Er bezeichnet die bürgerlichen
Geschlechtervorstellungen als Gehirnwäsche, die Molina passiv über sich ergehen lassen habe. Ob er
die Behauptung, er würde sich von seinem Zellengenossen penetrieren lassen, wenn er nicht Angst
vor den Schmerzen hätte, im Ernstfall der Wahrheit entsprechen würde oder nicht, jedenfalls zeigt
die Aussage allein schon eine Horizonterweiterung, da er nicht mehr automatisch davor
zurückschreckt, sich mit Fragen der Trans- und Homosexualität zu befassen. Valentín bemerkt
allerdings nicht, dass er damit Molinas Weltbild ins Wanken bringt. (Puig 247) Deshalb könnte man
auch sagen, er versuche, seinem Zellengenossen sein eigenes Weltbild überzustülpen (Kerr 667).
Valentín spürt die Macht der Gesellschaft und ihrer Normen auch in der Zelle, in seinem eigenen
Verhalten und der Beziehung zwischen beiden. Er bedauert dies, da er meint, sie könnten hier ihre
36
Im gleichen Sinn ist sein Ausspruch „ser macho, no da derecho a nada“ [ein Mann zu sein, gibt einem das
Rechts auf nichts] zu verstehen (247).
45
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Beziehung doch eigentlich nach eigenem Gutdünken und frei von sozialen Einschränkungen
gestalten. (Puig 206) In seiner Naivität und seinem Idealismus verkennt er, dass auch sie beide sich
gegenseitig ausnutzen und unterdrücken, ebenso wie er die soziale Bestimmung des Geschlechts
ignoriert. Verführung Valentíns durch Molina auf der einen, Essenszubereitung durch Molina auch
für Valentín beispielsweise auf der anderen Seite sind Ausdruck dieser Wechselbeziehung. Valentíns
Protest zu letzterem scheint eher symbolischer Natur (33), und als er sich wieder selbst um seine
Mahlzeiten kümmern darf/muss, kann er nicht zugeben, dass ihm das vorherige Arrangement besser
gefallen hat (204, 208). Trotz seiner altruistischen und sozialbewussten Einstellung scheint er sich
seiner eigenen Verhaltensweise gegenüber Molina und den Frauen im Allgemeinen (vgl. den
Alptraum) nicht bewusst zu sein (Bacarisse Impossible Choices 24). Sein Stolz untersagt es ihm, sich
weiter bemuttern zu lassen, als er wieder gesund ist. Er möchte nicht das Gefühl haben, etwas
schuldig zu sein, da dies seiner (unbewussten) Vorstellung der männlichen Überlegenheit
widerspricht. (Puig 188) Tut er zu Beginn Molinas Selbstaufopferung noch als Schwäche ab, so
anerkennt er diese schliesslich als dessen Form von Güte (257). Indem Valentín Molina als
Spinnenfrau benennt, ist er zwar immer noch der Überlegene, zeigt dadurch aber auch, dass er sich
der Verführung durch Molina bewusst ist, ohne dass er sich dagegen wehrt (vgl. unten). Durch seinen
Zellengenossen ist er dazu veranlasst worden, über Dinge nachzudenken, die er vorher als gegeben
angenommen hat, über Sexualität und Geschlecht sowie über den Widerspruch zwischen seiner
Ideologie und seinen Gefühlen. Er ist seinen Idealen treu geblieben und hat sie ausgeweitet, weshalb
er Molina das Versprechen abnimmt, selbstbewusster zu sein und sich nicht herumschupsen zu
lassen. (265)
Valentín ist engagiert und der Meinung, man müsse die Dinge ändern, wenn sie einem nicht gefallen.
Man müsse sich wehren, nicht den Umständen ergeben, sondern gemeinsam einen Ausweg aus der
Ausbeutung suchen. (Puig 76/77) Der Einzelne trage eine Verantwortung für die Gesellschaft,
Zivilcourage sei eine unabdingliche Charaktereigenschaft (108). Aus dieser Einstellung heraus
erklärt er sich auch nur zögerlich bereit, sich nicht mit dem Wärter anzulegen (93/94), denn er hat,
wie aus den Dokumenten der Gefängnisdirektion zu erfahren ist, schon einen Hungerstreik aus
Protest über den Tod eines anderen Gefangenen hinter sich (151). Er möchte diskutieren und seine
Meinung austauschen – im Gegensatz zu Molina – (63, 88, 238), hält seine Werte und Ideale aber für
überlegen, ist dogmatisch (Bacarisse The necessary dream 90) und sich des Einflusses der
(konservativen) Gesellschaft nicht bewusst (Schlickers 226). Der Widerspruch Molinas verletzt ihn
(Puig 108), er will ihn überzeugen (117). Bücher sind für Valentín ein Weg, die Wirklichkeit zu
überwinden, wohingegen die Filme Molinas lediglich dazu dienen, dieser zu fliehen. Durch die
Schaffung einer Traumwelt und der damit einhergehenden Verdrängung der unangenehmen Dinge
entfremde man sich von der Realität, den Menschen und sich selbst. (85) Dies sei genauso gefährlich
wie kollektive Entfremdung (Bacarisse Impossible Choices 72). Da die Bücher ihm zur
Erkenntnisgewinnung dienen, weist er Molina auch kühl zurück, als dieser sich mit ihm unterhalten
möchte. Er ist unflexibel, da er sich an seinen Zeitplan halten will. (Puig 101) Er besitzt eine rigide
Selbstdisziplin (Bacarisse The necessary dream 90) und „muss“ studieren (Puig 103). Dem steht
46
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
seine Naivität (Logie 525) anderen Menschen gegenüber entgegen. Er fragt sich nicht, warum das
von ihm so gefürchtete Seconal nicht routinemässig beim Verhör und der Folter eingesetzt wird (Puig
117), oder ob Molina nicht ein Spion sein könnte bzw. von den zuständigen Autoritäten befragt
werden könnte (136, 255). Trotzdem scheint er vom Schicksal überzeugt zu sein (143), einem
Schicksal, das passiv macht. Dies äussert sich in seiner Version des Boleros: statt „aunque“ [selbst
wenn] setzt er „porque“ [weil] und macht die Aussage somit zu einer Tatsache, nicht einer
Möglichkeit, deren Zukunft festgeschrieben ist (146). Als Molina ihn allerdings nach dem Ende des
Filmes fragt, weiss er dieses nicht oder kann es sich nicht vorstellen: die Zukunft ist unsicher (260),
es gibt nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Wahrheiten (Fabry 88). Nichtsdestotrotz gibt er
seinen Kampf nie auf, er erkennt vielmehr, dass gerade die Klassenstrukturen, die er ablehnt und
beseitigen möchte, auch ihn prägen (Muñoz 71). Beide können sie nichts tun wegen Molinas Freiheit
- und auch sonst nicht, da sie von gesellschaftlichen Zwängen umgeben sind, es bleibe aber immer,
sich politisch zu engagieren. Valentín will Molina zwar davon überzeugen, sich zu organisieren
(Wiegmann 115), gesteht ihm aber die Wahl zu: er kann. (Puig 217, 255) Im Gegensatz zu seinen
politischen Überzeugungen fordert Valentín Molina auf, sich anzupassen und sich zufrieden zu
geben, was die übrigen gesellschaftlichen Normen und sein Leben angeht (258), dabei aber die
Hoffnung nicht zu verlieren, da sich die Dinge ja ändern könnten (218). Als er auf Molinas
Zustimmung, ihm zu helfen, seinen Kampfgefährten eine Nachricht zu übermitteln, nur wortkarg
reagiert, ist dies ein Ausdruck dafür, dass er dies allein als Molinas Entscheidung betrachtet und ihn
zu nichts zwingen will (267).
Valentín ist brüsk (Puig 12), kalt, mürrisch und unnachgiebig. Er befiehlt, bittet nicht und nimmt
keine Rücksicht, (14) sondern ist direkt (184) und sagt, was er denkt. So fühlt er sich überlegen und
wissender, versteht aber den Spott Molinas nicht und ist hilflos angesichts dessen Sarkasmus (15, 88,
116). Er ist mechanisch und engstirnig (Bacarisse The necessary dream 98), hält seine Zeit für zu
wichtig und betrachtet es als Gefallen seinerseits, sich die Filme anzuhören (Puig 21). Molina sei im
Übrigen nur dazu gut, die Filme zu erzählen (63). Trotz seiner Überheblichkeit und Geringschätzung
Molinas (23) hat er andererseits keine Ahnung von Kunst oder Oper (25). Er ist stolz auf seine
Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit, ein Einzelkämpfer und kein (marxistischer)
Gemeinschaftsmensch (14). Dementsprechend bezeichnet er sich auch als Geizhals, als er sich als
unfähig erkennt, Geschenke zu würdigen (205). Indem er Molina beim Nachnamen nennt, betont er
die formale Distanz zwischen ihnen (24) (Wiegmann 123). Valentín betrachtet alles aus dem
Blickwinkel der Logik und der Vernunft heraus, selbst sein eigenes Verhalten (29, 102, 121, 127,
134) und will analysieren und diagnostizieren (96, 101) (Logie 525). Sein Idealismus lässt ihn alles,
auch seine Gefühle, seinen Idealen unterordnen. Er klammert sich an sie, rezitiert von anderen und
doziert (Schlickers 197)37. Seine Gefühle kann er nicht ausdrücken, denn er ist es nicht gewohnt, sich
mit ihnen zu beschäftigen, ebenso wenig kann er mit denen anderer Menschen umgehen: Er weiss
37
Laut Sabine Schlickers möchte er mit der Ablehnung der offiziellen Sprache sein Denken autonom gestalten
(197). Stattdessen rezitiert er aber nur von anderen Quellen.
47
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
nicht, wie er auf Molinas Tränen reagieren soll (Puig 218). Valentín verkörpert das Bild des harten
Einzelkämpfers (Teltscher 218), für den nur die Zukunft zählt (Schlickers 223). Da er nicht frei
diskutieren kann, sondern einen genauen Plan braucht, kritisiert er auch Molinas vermeintliches
Abschweifen. (Puig 33/34, 71, 77, 127) Als er jedoch selbst droht, eine Diskussion zu verlieren,
weicht er seinerseits auf eine andere Ebene aus, die sexuelle, und erkennt Molinas Punkt erst nach
dessen Einlenken und somit aus einer Position der Stärke an. (35, 102, 104) Aus diesem Grund
bereitet es Valentín auch Unbehagen, dass er seine eigenen Gefühle nicht kontrollieren kann, denn er
befürchtet einen Verlust der Kontrolle. (47) Er möchte die Kontrolle haben, über das, was er tut, als
auch über das, was er sagt, da beides auch der Selbstpreisgabe dient (53). Die Macht, die Worte
haben können ist ihm durchaus bewusst: „Si no sé lo que digo, no me gusta hablar.“ [Wenn ich nicht
weiss, was ich sage, rede ich nicht gerne.] (212), auf der anderen Seite erkennt er aber den Einfluss
der Religion (86, 187) oder des gesellschaftlichen Androzentrismus (35, 161) auf die Sprache nicht.
Es ist ihm peinlich, dass er krank ist und Molinas Hilfe braucht (123, 133, 145), denn er fühlt sich
hilflos. Er zeichnet ein realistisches Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse (73, 74, 137), Molina
gegenüber verhält er sich aber teilweise sehr unsensibel und egozentrisch (63, 101). Auch ist er sich
nicht zu schade, zu seinem eigenen Nutzen an Molinas Mitgefühl zu appellieren, auch wenn dies zu
Lasten dieses geht (77). Auf der anderen Seite tut ihm sein eigenes Verhalten immer wieder leid (52,
135, 140). Während seiner Krankheit benimmt er sich wie ein Kind, ist ungeduldig und hartnäckig
angesichts seines Wunsches nach Süssigkeiten. (162/63) (Kerr 659) Wenn er weinerlich ist und sich
auf Molina verlässt (184), wird er „menschlicher“ (Bacarisse The necessary dream 89). Da ihm diese
Abhängigkeit jedoch unangenehm ist, lehnt er es, als es ihm wieder besser geht, entschieden ab, sich
weiterhin bevormunden zu lassen. Er wehrt sich dagegen, dass jemand anderes für ihn die
Entscheidungen trifft, (Puig 196) da er seine Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zurück möchte,
die sichere Distanz (197) (Schlickers 234). Dieses Aufbegehren lässt ihn gewalttätig und
zerstörerisch werden, was ihm wiederum äusserst unangenehm ist, weil er damit die Kontrolle
verloren hat. In diesem Streit ist es für ihn aber gerade darum gegangen, diese nicht zu verlieren. Er
schämt sich und möchte Molinas Vergebung. (Puig 198) Valentín nimmt zunehmend Anteil an
seinem Zellengenossen, erkundigt sich, wie Molina von der Gefängnisleitung behandelt worden sei
(92), und spricht ihm implizit und explizit sein Vertrauen aus (136, 226). Auch seine Öffnung
hinsichtlich seiner Freundin (135/36), seines Kampfgefährten (144) oder des Briefes (137/38)
reflektiert dies. Valentín werden die Ähnlichkeiten zwischen letzterem und Molinas Bolero bewusst,
was dazu führt, dass er dieses in ganz neuem Licht sieht (140, 146). Als er erfährt, dass Molina bald
fort sein wird, ist er geschockt und betrübt (208) und kann sich nicht konzentrieren (212). Er ist
verzweifelt (Bacarisse The necessary dream 116). Daneben kommen aber auch seine Selbstzweifel
zum Vorschein, er ist sich seiner selbst nicht mehr sicher (Puig 135) und orientierungslos: „yo no
puedo creer en nada.“ [Ich kann an nichts glauben.]. Die Angst vor dem Tod (144) hinterlässt bei ihm
ein Gefühl der Verwirrung und der Einsamkeit (146), bis er schliesslich unter dem Druck der
Gefangenschaft, Krankheit, Folter, den schlechten Nachrichten des Briefes, der Einsamkeit und der
Unfähigkeit, sich weiterhin vor seinen Gefühlen zu verstecken, zusammenbricht (147). Er möchte
nicht sterben, sondern leben. Seine Ideologie, die das Inkaufnehmen des ersteren fordert, gerät in
48
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Konflikt mit seiner Erziehung und seinem Familienhintergrund, nach denen er das Leben geniessen
soll (Puig 182), gleiches gilt für seine Geschlechterrolle des aggressiven und heterosexuellen Mannes
(Teltscher 217). Valentín ist sich seiner Sache, seiner selbst nicht mehr sicher. Er hat Zweifel, ist
verwirrt und zerrissen und ersehnt sich eine höhere Gerechtigkeit. (Puig 182) Seine zunehmende
Emotionalität kommt auch darin zum Ausdruck, dass er von Molinas Mutter als „mamá“ (161) und
nicht mehr als „madre“ (41) spricht. Er erzählt von sich aus seine Gefühle und diktiert Molina den
Brief an Marta, in dem er seine Einsamkeit und Sehnsucht ausdrückt (180/81). Dies gelingt ihm,
indem er die Sprache aus Molinas Filmerzählungen übernimmt (Schlickers 197, 234). Sodann schämt
er sich aber seiner Schwäche, die ihn dazu gebracht hat, seine Gefühle auszusprechen (185). Valentín
wird im Verlauf des Romans höflicher: „por favor“ [bitte], „perdón“ [Entschuldigung] (171-174) und
bittet Molina fast schüchtern, den Film zu Ende zu erzählen (212). Er ist rücksichtsvoller (223) und
schämt sich schliesslich auch nicht mehr seiner Gefühle und Hoffnungen (256, 263/64), sondern
akzeptiert sie (Campos 549). Nunmehr lässt er sich sogar bemuttern (Logie 525) und gönnt sich auch
einmal eine Pause in seinen Studien (Puig 223). Seine Haltung ist nicht mehr so absolut38 und er zeigt
mehr Toleranz und Verständnis, als er Molina zugesteht, dass es manchmal auch gut sei, nichts zu
denken. Auch er selbst will nicht um der intellektuellen Auseinandersetzung Willen studieren,
sondern ebenfalls um an nichts denken zu müssen. Indem er nicht mehr auf alles eine Antwort und
eine Erklärung haben möchte, akzeptiert er Molinas Verhalten. (224) Als er energisch die Traurigkeit
zu vertreiben sucht und eine Abgrenzung zur Aussenwelt etabliert, bejaht Valentín zugleich ihre
Gemeinschaft in der Zelle und will Molina vor Kummer bewahren und beschützen (235), wodurch er
aber wieder eine männliche Rolle übernimmt.
Da es ihm peinlich ist, reagiert Valentín auf Molinas Geständnis seiner Gefühle für ihn durch die
Vermeidung des Blickkontakts. Darauf angesprochen, stellt er sich dem zwar, fühlt sich aber
bedrängt und stellt ablenkende Fragen, als ihm Molina sagt, dass er ihm etwas erzählen müsse, da er
Angst davor hat, es könnte die gleiche Thematik umfassen. (207) Durch Valentíns Frage, ob es eine
Beziehung zwischen Molinas Lieblingspuppe der Kindertage und ihm gebe, wird deutlich, dass er
sich der Manipulation durch den anderen bewusst ist, ohne sich jedoch weiter darum zu kümmern. Es
macht ihm nichts mehr aus, (225) er geniesst es sogar (Schlickers 236). Die Initiative beim Sex geht
von Valentín aus, auch wenn es Molina gewesen ist, der verführt hat. Er ist aktiv. (Puig 219, 221,
239) Valentín fordert Molina auf, sich nicht selbst herabzusetzen, indem er die Schande und Scham
betont, die Valentín möglicherweise empfinde (221). Er zeigt sich einfühlsam (239) und weist auf die
Gegenseitigkeit ihrer Beziehung hin (220). In Verkennung der Tatsachen, der Verführung durch
Molina und seinen eigenen Motiven – Trost zu spenden und seine Bedürfnisse zu befriedigen39 –
glaubt er, Sex sei die Unschuld schlechthin (224). Da er sich nicht vorstellen kann, dass eine derart
intime Handlung für andere Zwecke missbraucht werden kann, verspürt auch er ein Gefühl der
38
In seiner Beurteilung des Regisseurs des nationalsozialistischen Propagandafilms äussert meint er noch, man
müsse sich entscheiden – für ihn eine Entscheidung zwischen Gut und Böse. (98) (vgl. auch Muñoz 62)
39
Dies vermittelt das Bild eines „aggressiv sexuellen und kontrollierenden Machos“ (Kerr 662).
49
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Sicherheit nach dem Sex (238). Es ist für ihn die Zeit für Vertrauen (219), was sich in der
Bereitschaft zeigt, sich von Molina liebkosen zu lassen (220). Als Ausdruck der Zärtlichkeit ist der
Diminutiv Molinita (217, 219, 223) zu verstehen, aber auch als Ausdruck der Überlegenheit, zumal
Valentín ihn auch bei einem seiner Vornamen oder Carmen (72) nennen könnte. Auf der anderen
Seite ändert er nichts an der weiblichen Endung des Namens. Er ist verlegen angesichts Molinas
Offenheit über seine Gefühle (259), zögert aber nicht mit seiner Antwort, als Molina ihn um einen
Kuss zum Abschied bittet (264) und gibt ihm kurz darauf unabhängig von diesem Versprechen,
demnach nicht aus einer Verpflichtung heraus, einen Kuss (267). Damit macht er deutlich, dass
Molina ihm nicht nur zur Lustbefriedigung gedient hat, sondern ihm durchaus etwas bedeutet. Der
Kuss ist ein Geschenk, er schliesst Valentíns Entwicklung ab, deutet aber bereits auf den Tod hin
(Kerr 664). Er ist aber auch die Umkehrung der Schuld40, die seine Unabhängigkeit in Frage gestellt
hatte (Fabry 233). Die Stille versinnbildlicht die Unzulänglichkeit von Worten, „no sé nada“ [ich
weiss nichts] das Zurücktreten des Wissens hinter die Gefühle. Beim Sex ist es möglich, sich selbst
zu vergessen (Puig 221), nicht an sich zu denken (220). Die Stille ist die einzige Möglichkeit, sich
gegen die Aussenwelt, die Gesellschaft, zur Wehr zu setzen, denn durch sie wird die Reproduktion
der sozialen Normen zumindest sprachlich verweigert (Muñoz 73). Das letzte Mal, als die beiden Sex
haben, geschieht dies bei Licht. Es passiert nicht länger in dunkler Anonymität und Heimlichkeit und
beinhaltet eine vollständige Akzeptanz, (Puig 266) denn Valentín ist sich immer der Tatsache
bewusst, dass er mit einem Mann schläft (Muñoz 73).
Valentíns Gedankenbruchstücke sind von Gewalt durchzogen, brutal und düster (Puig 164, 170, 174)
(Schlickers 190). Diese Gewalt richtet sich vorwiegend gegen Molina, dessen Kopf gläsern ist, also
leicht zu durchschauen, und leer, nur mit Bildern gefühlt, mit Bildern von Heiligen und Nutten.
Beides sind Klischees, die sich an entgegengesetzten Enden der moralischen Skala der Gesellschaft
gegenüberstehen41. Am unteren Ende stehen mit den Nutten jedoch nur Frauen, während „santos“
beide Geschlechter umfassen mag. Valentín zerschlägt den Kopf42, wodurch diese stereotypen Bilder
hinausfallen, Platz für etwas Anderes entsteht, er diesen aber auch zerstört und tötet. (Puig 176) Der
Glaskopf ist zerbrechlich wie die virtuellen Welten, die Molina durch die Filme entstehen lässt
(Beckford Jessen 78). Obwohl er diese Bilder zerstören will, infizieren sie ihn auch, was ihn verstört
und das Thema wechseln lässt (Puig 180). Die Filme und ihre Botschaft einer ihm fremden
Lebensphilosophie faszinieren ihn. Valentín ist verwirrt, verzweifelt und fühlt sich schuldig. Er ist
gefangen in den Zwängen, die ihn zum Henker Molinas machen – eine Ahnung von dessen Ende.
(192/93) Dadurch, dass er Molina nicht ernst nimmt und sich von ihm distanziert, vermeidet er es, in
seiner Schuld zu stehen, denn er nimmt ihm die Berechtigung dazu (213). Das daraus resultierende
Schuldbewusstsein ist jedoch zu stark, so dass er damit beginnt, es abzubauen, indem er die Filme
40
Diese Wechselbeziehung der Schuld wird z.T. auch als grundlegend für die Beziehung der beiden erachtet
(Kerr 654).
41
Gut und Böse (Schlickers 190)
42
Geneviève Fabry sieht in ihnen deshalb auch ein Orakel (142).
50
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
lobt (217). Die Gedanken sind Ausdruck des gesellschaftlichen Machismo und seiner Überlegenheit,
dessen Macht sich Valentín nicht bewusst ist (Wiegmann 111/12).
3.2.3
Macho und Mann
Der Marxismus schreibt die Bedeutung der „Frauenfrage“ dem Kapitalismus zu, da dieser auf der
unbezahlten Reproduktionsarbeit der Frauen basiere (Chatterjee 11/12). Eine kulturelle Neubildung
der „Frauen“ sollte so im Zuge der Oktoberrevolution möglich sein, wenn diese die entsprechenden
Normen und Werte der bolschewistischen Propaganda verinnerlichten (16). Die Ideale einer
Geschlechtergleichheit wurden in der Sowjetunion jedoch nicht verwirklicht (160), Ideologie und
Realität klafften wie so oft auseinander (6). Auch bei den lateinamerikanischen guerrillas herrscht(e)
ein zwiespältiges Bild der Beteiligung und der Stereotypisierung in Verführerin und Mutter
entsprechend der herrschenden Ideologie (Rhode 90-105), welche eine genaue Unterscheidung in
aktiv und passiv gebietet (Teltscher 11). So wird die Heterosexualität des aktiv Agierenden beim
gleichgeschlechtlichen männlichen Sex nicht berührt oder in Frage gestellt (16). Der homosexuelle
Geschlechtsakt dient so dem Abbau überschüssiger sexueller Energie43 (21), ermöglicht dem aktiven
Partner, dem chongo, jedoch keine Identifikation (18). Auf der anderen Seite besteht ein grosser
Druck, die eigene Männlichkeit ständig zu beweisen (12): Stärke, Aktivität und Macht sind ihre
konstitutiven Elemente (21), wobei der Macho den Verlust seiner überlegenen Position und die
Versuchung fürchtet, die entgegengesetzte Rolle einzunehmen (22). Der Mann konstituiert sich durch
die Ablehnung der Weiblichkeit (Muñoz 76). So stehen sich der Mythos des Machismo und der
Sozialismus diametral gegenüber (Schlickers 224). Dieser Konflikt zeigt jedoch regelmässig einen
Triumph des ersteren (Schlickers 228, Teltscher 225). Auch in Valentíns Innerem herrscht dieser
Widerspruch vor, sein Verhalten und seine Äusserungen stimmen nicht überein. Er promulgiert die
Geschlechtergleichheit, hält aber unbewusst an den bürgerlichen Vorstellungen fest. Er verachtet die
weiblichen Eigenschaften in Molina und somit auch die Frauen, deren Werte er für unterlegen hält.
Das dichotome Geschlechtersystem ist für ihn selbstverständlich, weshalb ihn die Vermischung der
Geschlechter durch Molina auch so aus der Fassung bringt, denn ihre Trennung ist ein grundlegender
Bestandteil seiner Weltsicht. Er fühlt sich Molina überlegen und repräsentiert den starken, rationalen
Mann, der unabhängig ist und keine Hilfe braucht. Im Laufe des Romans lernt er dann aber nicht nur,
weibliche Werte wie Phantasie und Lebensfreude zu schätzen, sondern beginnt auch, die normative
Heterosexualität in Frage zu stellen. Dies geschieht insbesondere durch seine Überlegungen zum
Tausch der Rollen beim Sex und nicht sosehr durch diesen selbst, da Heterosexualität in
Lateinamerika wie gesagt durch die aktive Rolle bestimmt ist. Valentín akzeptiert Molina nunmehr,
und es ist ihm möglich, seine Liebe zu Marta mit seinem politischen Kampf zu vereinen. Ersteres,
d.h. die Akzeptanz von Menschen, die sich nicht konform zum herrschenden Geschlechtersystem
verhalten, ist nach Laurie Essig ebenfalls eine Möglichkeit, Geschlechtergrenzen zu überwinden
43
vgl. Valentíns Ejakulation (Puig 187 )
51
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
(161). So wird gerade durch Valentíns anfängliche klassische Männlichkeit und seine Öffnung
gegenüber weiblichen Werten das patriarchale System hinterfragt (Muñoz 74).
4 Fazit
Die Identität Molinas lässt sich als männliches Equivalent zu butch/femme verstehen, denn während
die butch in einer lesbischen Beziehung die klassische Rolle des Mannes übernimmt, übernimmt er in
einer schwulen die klassische Rolle der Frau. Demnach wäre seine Identität nach Judith Butler eine
Möglichkeit, das herrschende Geschlechtersystem von Innen zu hinterfragen und zu dekonstruieren.
Diese These begründet Butler damit, dass diese Existenzformen intelligibel seien. Auf der anderen
Seite wird Homosexualität in Lateinamerika gerade anhand dieser Rollen definiert. Ihre Imitation
wird für das eigene Selbstverständnis zwingend vorgeschrieben, im Gegensatz zu anderen Kulturen,
an die Butler vermutlich gedacht hatte, in denen die Homosexualität aufgrund des Begehrens besteht.
Somit kann die Übernahme einer weiblichen Rolle durch Molina nicht per se als subversiv angesehen
werden. Andererseits kann man aber sehr deutlich die von ihr thematisierte Zwangsheterosexualität
erkennen, da die Partner der gleichgeschlechtlichen männlichen Beziehung in das herrschende
heterosexuelle System eingeordnet werden. Die Gesellschaft schreibt ein bestimmtes Verhalten vor,
welches die eigene Identität formt. Molina will eine Frau sein, weil ihm die als weiblich erachteten
Werte und Normen besser scheinen und nicht, weil ihm der weibliche Körper besser gefällt. Der
Körper übermittelt diese Botschaft nur, womit seine Unterscheidung des biologischen und sozialen
Geschlechts hinfällig ist. Geschlecht ist eine Norm, an der der Einzelne sich orientiert. Deshalb
versucht Molina, die stereotype Rolle der Frau möglichst genau zu übernehmen, denn er kann sich
selbst nur als Frau fühlen, wenn er den gesellschaftlichen Erwartungen an diese entspricht. Im
Gegensatz zu Valentín ist er aufgrund seiner abweichenden Körperlichkeit viel stärker gefordert, sein
Geschlecht zu beweisen, da er rein körperlich als Mann eingeschätzt werden würde. Deshalb ist es
ihm auch nicht möglich, sich grundlegend zu verändern, denn diese Veränderung ginge ja gerade in
Richtung Männlichkeit, die er aber nicht repräsentieren möchte. Es ist schwierig, sich aus den
gesellschaftlichen Vorgaben und Regeln zu lösen. Valentín auf der anderen Seite besitzt eine sozial
konforme Geschlechtsidentität, die nur oberflächlich durch seine Ideologie beeinflusst wird. Er ist
sich der Tatsache gar nicht bewusst, dass die Geschlechter von der Gesellschaft erschaffen werden.
Diese Erkenntnis kommt ihm erst durch die Begegnung mit Molina. Durch sein politisches
Engagement und seine Distanz zur herrschenden Gesellschaft ist es ihm nun auch möglich,
Geschlecht im Rahmen des gesellschaftlichen Machtdiskurses zu sehen. Zwar hat er sich bereits
zuvor für die Geschlechtergleichheit ausgesprochen, diese Forderung aber nie kritisch und
intellektuell betrachtet, was er nun tut. Valentín revidiert sein eigenes Verhalten, löst sich aber auch
von Vorurteilen gegenüber der Homosexualität und des Mannes als überlegenem Part. Er verkörpert
die Möglichkeit einer anderen Existenz, ohne sich völlig von seiner Identität zu lösen. Er zeigt einen
Weg, beschreitet ihn jedoch nicht selbst.
52
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Anhang
Erklärung
Ich erkläre hiermit,
dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe und ohne Verwendung anderer als der
angegebenen Hilfsmittel verfasst habe,
dass ich sämtliche verwendeten Quellen erwähnt und gemäss gängigen wissenschaftlichen
Zitierregeln korrekt zitiert habe,
dass ich ohne schriftliche Zustimmung des Rektors keine Kopien dieser Arbeit an Dritte
aushändigen werde, ausgenommen nach Abschluss des Verfahrens an Studienkollegen und –
kolleginnen oder an Personen, die mir wesentliche Informationen für die Bachelor-Arbeit zur
Verfügung gestellt haben.
Interview mit Dr. phil. Katrin Meyer
St. Gallen, 25.1.2005
Katrin Meyer, Jahrgang 1962, studierte Philosophie, Germanistik und Kirchengeschichte und ist seit
April 2001 Assistentin und Lehrbeauftragte für Philosophie an der Universität St. Gallen. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind Sozialphilosophie, Poststrukturalismus, Geschichtsphilosophie und
feministische Theorie. („Fachbereich Philosophie – Personal – Dr. Katrin Meyer“)
Was ist das Hauptanliegen der Ansätze von Gleichheit und Differenz in den (neueren)
Geschlechtertheorien?
Gleichheit und Differenz sind wichtige Schlagworte. Sie bezeichnen verschiedene Positionen im
Feminismus bzw. in den Geschlechtertheorien. Es gibt eine Richtung des Feminismus, der die
Gleichheit favorisiert, und sich damit befasst, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden und
gleiche Rechte und Chancen haben. Der Differenzansatz sagt, Männer und Frauen sind nicht gleich
und man muss sie deshalb
in ihrer Besonderheit berücksichtigen. Diese Form von
Problembewusstsein, d.h. die Gegenüberstellung der beiden Ansätze, ist meiner Meinung nach
schief, weil dabei die Unterscheidung von formaler und materieller Gleichheit verwischt wird. Auch
53
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
der Feminismus, dem es um die Anerkennung von Differenz geht, besitzt natürlich eine Idee von
formaler Gleichheit, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleiche Rechte haben sollen. Die
Gegenüberstellung von Gleichheit und Differenz muss also nicht ein Gegensatz sein. Das
Differenzdenken wehrt sich gegen die materielle Gleichheit, indem es auf die Bedeutung der
Differenz für die Anerkennung des Einzelnen aufmerksam macht. Meiner Meinung nach ist die
Anerkennung von Differenz in diesem Sinne unverzichtbar. Es ist in der aktuellen Diskussion nicht
mehr möglich, eine materielle Gleichheit von Menschen zu behaupten, sei es interkulturell,
zwischengeschlechtlich oder in anderen Dimensionen. Heute ist die Herausforderung die, die
Differenz anzuerkennen und trotzdem die formale Gleichheit zu respektieren. Beide müssen in ein
Verhältnis gebracht werden. Das ist die Perspektive für einen aktuellen Feminismus.
In welchem Verhältnis stehen Biologismus und Konstruktivismus in der Geschlechtertheorie?
Diese Unterscheidung ist eine der wichtigsten in der feministischen Theorie. Die Differenzierung von
sex und gender, die eine der tragenden Begrifflichkeiten ist, reflektiert auf sie zurück. In diesem
Sinne sind alle oder zumindest die meisten sozialwissenschaftlichen Geschlechtertheorien
konstruktivistisch. Sobald sie mit dem Begriff gender, dem sozialen Geschlecht, arbeiten, arbeiten sie
konstruktivistisch. Diese Ansätze einer konstruierten Geschlechtsidentität stehen biologistischen
Erklärungen, die die Existenz einer natürlichen Determination von Geschlechtsidentität stützen,
kritisch gegenüber. Man könnte nun argumentieren, dass es vielleicht, wie es die Unterscheidung von
sex und gender zeigt, Restbestände von biologistischen Denkansätzen gibt, die auch in
konstruktivistischen Theorien notwendig sind. Diese beziehen sich auf die Körperlichkeit des
Menschen, auf die sexuellen Unterschiede im Biologischen. Das Zurückgreifen auf biologistische
Erklärungen zum Verständnis der körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern beinhaltet
jedoch die Gefahr, dass man damit das Tor für einen Biologismus öffnet, der auch auf das Feld des
Handelns übergreift. Erklären wir unser Verhalten mit der Funktionsweise des menschlichen
Gehirns, so greifen wir nicht auf soziale Konstruktionen zurück, sondern auf chemische Prozesse und
genetische
Ausstattung.
Das
wäre
heute
die
(neuro-)biologistische
Antwort
auf
den
Konstruktivismus. Diese Auseinandersetzung zwischen Konstruktivismus und Biologismus finden
Sie nicht nur in den Geschlechtertheorien, sondern ganz allgemein zwischen Kultur- und
Naturwissenschaften. Judith Butler würde sagen, wir brauchen überhaupt keinen Biologismus. Jene,
die noch mit dem Begriff sex operieren, würden sagen, wir haben noch einen kleinen biologistischen
Ansatz nötig. Die Naturwissenschaft würde sagen, wir brauchen den Konstruktivismus nicht, wir
können alle Phänomene neurobiologisch erklären. Ich persönlich glaube, dass es ein
Spannungsverhältnis gibt und dass man den Biologismus nicht einfach wegdenken kann. Die
Antwort liegt jedoch nicht darin, dass wir den Menschen biologisch zu analysieren versuchen,
sondern darin, dass wir die Biologie selbst als Teil von Konstruktionsverfahren verstehen. Der
Konstruktivismus ist viel versprechender.
54
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
Wie ist das Verhältnis zwischen Konstruktivismus und Dekonstruktion? Was ist ihr Hauptanliegen?
Der Konstruktivismus ist historisch gesehen die frühere Position. Wir können ihn letztlich ab Simone
de Beauvoirs These aus den 50er Jahren „Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau
gemacht.“ ansetzen. Die Dekonstruktion ist eine kritische Antwort auf den Konstruktivismus, aber
nicht im Sinne des Biologismus, dass man sagt, wir gehen aus diesem Ansatz heraus und wählen eine
ganz andere Methodik. Der Dekonstruktivismus bleibt Teil des Konstruktivismus, reflektiert ihn aber
noch einmal auf seine Grenzen hin. Dieses Verhältnis können Sie sehr gut am Begriff DeKonstruktivismus sehen. Dekonstruktion ist nicht Destruktion, das wäre der reine Gegensatz.
Konstruktion – Destruktion. Der Begriff Dekonstruktion ist eine philosophische Neuschöpfung und
stammt von Martin Heidegger und Jacques Derrida. Er bezeichnet ein Verhältnis, in dem sich die
Theorie bewusst wird, dass sie einerseits etwas hinterfragt und kritisiert, andererseits aber
gleichzeitig Teil desselben bleibt. Es geht nicht darum, etwas zu destruieren, sondern in der
Konstruktion zu zeigen, dass es, sobald man etwas konstruiert, zugleich auch etwas zu
dekonstruieren gibt. Dies kann ich vielleicht an einem Beispiel deutlich machen. In der
Geschlechtertheorie ist es insbesondere Judith Butler, die diese Position vertritt. Ihr Beispiel, an dem
sie die Dekonstruktion vollzieht, ist das Verhältnis von Geschlecht und Sexualität oder Begehren. Sie
zeigt, dass die Konstruktion von Geschlecht als Mann oder Frau jeweils auch etwas ausschliesst, die
Unterscheidung von Homosexualität und Heterosexualität. Dies ist eine andere Art der
Unterscheidung. Es gibt kein übergreifendes Verhältnis im Sinne „zuerst, als Allgemeines, die
Geschlechterdifferenz und dann, als Besonderes, die Differenz in der Sexualität“, sondern die
Geschlechterdifferenz ist, so wie sie gedacht wird, immer schon heterosexuell. Mann und Frau sind
eigentlich heterosexuelle Konzepte. Wenn man „Frau“ sagt, ist das Begehren ein Teil dieser
Konstruktion, die Sexualität ist ein Teil dieser Konstruktion. Gleichzeitig wird sie aber konzeptionell
ausgeschlossen. Dies ist dann Einschluss und Ausschluss zugleich. Genauso verhält es sich mit der
Homosexualität, sagt Judith Butler. Diese ist etwas, das gar nicht benennbar ist. Damit man
überhaupt von Frauen und Männern sprechen konnte, wurde die Homosexualität ausgegrenzt. Die
Dekonstruktion zeigt diesen Ausschluss, bleibt aber in dieser Terminologie. Wir können nicht
wirklich darauf verzichten, von Männern und Frauen zu reden. Es ist eine soziale Konstruktion.
Welchen Einfluss hatten der Feminismus und die Frauenbewegung auf die gesellschaftliche Stellung
und das Selbstverständnis Homosexueller?
Die homosexuelle Emanzipation im 20. Jahrhundert hängt sehr stark mit der Änderung der
Gesetzgebung zusammen, namentlich mit der Aufhebung der Sodomitenartikel. In einigen Ländern,
wie Jamaika, gibt es sie nach wie vor, in der Schweiz existiert jedoch nur noch der
Jugendschutzparagraph. Selbstverständlich gibt es einen wechselseitigen Einfluss zwischen dem
Feminismus und der homosexuellen Emanzipation. Die Theorie formt nicht einfach die Praxis,
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Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
sondern der Aktivismus, die politischen Bewegungen seit den 60er Jahren haben ihrerseits die
Theorie mit beeinflusst. Es ist wichtig, dass man diesen Einfluss nicht nur hierarchisch und einseitig
betrachtet. Mittlerweile gibt es eine sehr verbreitete Theorie von homosexueller Forschung, die
Queer Theory. Sie ist seit den 90er Jahren sehr breit gefächert und insbesondere in den USA
verankert. In der Schweiz kommt sie erst langsam an die Unis oder in die politische
Meinungsbildung. Auch für die Queer Theory ist Judith Butler wichtig, vor allem im deutschen
Sprachraum. Die Queer Theory ist überhaupt sehr stark von lesbischen Frauen mitbestimmt. Im
Politischen dagegen liegt das Hauptaugenmerk auf den Schwulen, die eine grössere Diskriminierung
erfahren, aber auch grössere Aufmerksamkeit.
Worin unterscheiden sich Homo- und Transsexualität?
Homosexualität kommt von homoios, griechisch „gleich, die Gleichen, der Gleiche“. Sie meint
gleichgeschlechtliches Begehren, also Frauen, die Frauen begehren, oder Männer, die Männer
begehren,
und
sich
dabei
in
ihrer
Körperlichkeit
entsprechend
ihrer
offiziellen
Geschlechtsbezeichnung wahrnehmen. So sagen lesbische Frauen: „Ich habe einen weiblichen
Körper, und ich möchte einen weiblichen Körper haben.“ Transsexualität auf der anderen Seite ist
unabhängig vom Begehren und bezieht sich auf das Körper- und Identitätsbewusstsein der Person.
Transsexuelle Menschen besitzen eine andere körperliche Geschlechtsidentität als sie gesellschaftlich
zugeordnet bekommen. Sie werden z.B. als Männer bezeichnet und fühlen sich in einem weiblichen
Körper oder möchten einen weiblichen Körper haben. Sie imaginieren ihn und können versuchen, ihn
operativ oder durch Hormone umzuwandeln: Von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann.
Transsexualität muss nicht, kann aber eine biologische Basis haben. Die so genannten Zwitter, eine
Art
androgyne
oder
geschlechtliche
Mischform,
kommen
mit
nichteindeutigen
Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Diese werden sodann vereindeutigt, meistens in Richtung weibliche
Geschlechtsmerkmale. Dies zeigt wiederum den Konstruktivismus unserer westlichen Gesellschaft,
die eine eindeutig zuordenbare Geschlechtsidentität fordert. Indifferenz in Geschlechterfragen ist
schlicht unmöglich. Man kann heimatlos sein, staatenlos, aber das Geschlecht sollte nicht
unbestimmt sein. Es muss eindeutig sein und von Anfang an klar. Hier versucht die
Transsexualitätsbewegung, politischen Druck zu machen. Sie plädiert für das Recht, das eigene
Geschlecht ändern zu können. Mittlerweile ist es möglich, sein Geschlecht offiziell zu ändern, sofern
man genügend medizinisch-psychiatrische Beweise vorlegt. Angestrebt wird möglicherweise auch
das Recht, eine geschlechtliche Indifferenz stehen zu lassen und Neugeborene nicht operativ auf ein
Geschlecht festzulegen. Dies alles hat nichts mit Homosexualität zu tun. Sie können einen
männlichen Körper haben, sich aber körperlich als Frau fühlen und auch das Bedürfnis haben, als
Frau begehrt zu werden. Dann sind sie definitionsgemäss nicht homosexuell, weil das Begehren
aufgrund der eigenen Imagination heterosexuell ist. Sie ändern Ihren Körper, aber Ihr Begehren ist
eigentlich heterosexuell. Darum kann es letztlich auch zu einer Spannung zwischen dem Feminismus
und der Transsexualitätsbewegung kommen, weil transsexuelle Personen oft sehr rigide,
56
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
konventionelle Vorstellungen von Mann und Frau haben. Männer, die denken, sie haben einen
weiblichen Körper und ein weibliches Begehren, versuchen dies oft in einer Art und Weise zu
realisieren, die von Frauen, die das Gefühl haben, sie haben einen weiblichen Körper und auch
gesellschaftlich so eingeordnet werden, zu durchbrechen gesucht wird. Trotzdem ist die
Transsexualität für die feministische Theorie wichtig, weil sie ein Argument gegen den Biologismus
darstellt. Auf der anderen Seite könnte man sie auch als Argument gegen den Konstruktivismus
ansehen: Wenn Kinder doch ihren Körpern entsprechend in ihrer Geschlechtsidentität sozialisiert
werden, woher kommt dann dieser Wunsch, einen anderen Körper zu haben? Dies müsste man
vielleicht mit der Psychoanalyse untersuchen. Es ist eben nicht alles nur biologistisch, genetisch
definiert und vielleicht auch nicht alles nur sozial konstruiert. Vielleicht existiert noch eine Psyche?
Welchen Stellenwert/ Einfluss besitzt die Psychoanalyse heute in den Geschlechtertheorien?
Ihr Stellenwert ist teilweise sehr gross. Dies hängt jedoch sehr von der jeweiligen Theorie ab. Es gibt
viele Theorien, wie Gesellschaftstheorien, politische oder Geschichtstheorien, die brauchen keine
Psychoanalyse und kommen sehr gut ohne sie zurecht, weil sie ganz andere Fragen behandeln. Aber
die Psychoanalyse ist dort wichtig, wo es um das Subjekt geht, vor allem in philosophischen
Zusammenhängen aber auch in sprachwissenschaftlichen. Hier liegt das Interesse darauf, was ein
Subjekt konstituiert, was die Identität konstituiert. Was heisst eigentlich Geschlechtsidentität, wie
verstehen wir, was ein Mensch ist? Was definiert ein Geschlecht? Für diese eher grundlegenden
Fragen ist die Psychoanalyse sehr interessant. Freud selbst wird heute z.B. von sehr vielen
Feministinnen rezipiert und kritisch gelesen, so z.B. Luce Irrigaray. Heute wird auch sehr viel mit
Jacques Lacan gearbeitet, weil er erklärt, welche Rolle die Sprache für die Ausbildung der Identität
besitzt. Auch das Verhältnis zum Begehren, die Logik des Begehrens werden thematisiert. Julia
Kristeva, eine psychoanalytische, philosophische Sprachtheoretikerin, ist stark von Lacan beeinflusst
und auch Judith Butler arbeitet, wenn auch kritisch, mit Freud und Lacan.
Gibt es spezifisch „weibliche“ bzw. „männliche“ Sprachstile?
Es gibt sehr viele soziolinguistische Analysen, die die menschlichen Sprachstile analysieren. Dazu
gehören zum Beispiel die Analysen politischer Diskussionen im Hinblick auf Rededauer,
Aggressivität
usw.,
die
vor
allem
in
den
1980er
Jahren
von
feministischen
Sprachwissenschafterinnen durchgeführt wurden. Hierbei liegt das Problem immer in der Frage der
Verallgemeinerbarkeit oder auch dem Einfluss anderer Variablen wie dem sozialen Status, dem Grad
der Ausbildung usw. Dies führt zu einer kritischen Hinterfragung der groben Begriffe von
“männlichen“ und „weiblichen“ Sprachstilen. Was mir persönlich aber trotzdem eingeleuchtet hat
und was ich auch oft empirisch bestätigt finde, das ist die These, dass der weibliche Sprachstil oft
darin besteht, die Situation mit zu thematisieren. Das Verhältnis zwischen denen, die miteinander
57
Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
sprechen, wird somit Teil der Unterhaltung. Die Sprache hat immer zwei Ebenen: Zum einen die
Ebene, in der man eine Information weitergibt, die sachliche Ebene. Dies kann auch ein Gefühl sein,
das man ausdrückt, aber in dem Moment, wo man es expliziert, gehört es zur Sachebene. Zum
anderen die Ebene, die nicht den Gesprächsgegenstand, sondern die Handlungskonstellation zum
Inhalt hat. Offenbar ist es oft so, dass Frauen diese Kommunikationssituation anders herstellen,
anders um sie besorgt sind. Dies drückt sich vor allem in einer einleitenden Vorbereitung aus. Man
versucht zuerst, auf eine zwischenmenschliche Ebene zu kommen, wo das, was man sagt, nicht so
wichtig ist wie die Tatsache, dass man zur Kenntnis nimmt, dass die andere Person hier ist. Sind Sie
gut angekommen, stimmt die Stimmung hier, sitzen Sie gut? Dies muss nicht ausgesprochen werden.
Es gibt eine Taktik, sich dessen zu versichern, dass man miteinander kommunizieren kann, oder auch
die andere Person geneigt zu stimmen usw. Es wird versucht, die Situation so zu organisieren, dass
Kommunikation überhaupt möglich ist und dass Sie das sagen können, was Sie wollen. Dies ist
offenbar bei Männern weniger der Fall. Sie gehen direkter auf die Sache zu. Man muss sich nicht
vorher vergewissern, wo die andere Person ist. Dies wird sich dann vielleicht auch zeigen. Wie die
beiden Stile bewertet werden ist eine Frage der Kriterien. Beim „weiblichen“ braucht man vielleicht
länger und kommt weniger schnell auf den Punkt, aber die Kommunikationssituation kann natürlich
auch stabiler sein.
Vielen
Dank
für
das
Gespräch!
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Geschlechterkonstruktion in „El beso de la mujer araña“
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