Globalisierungsgeschichte
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Globalisierungsgeschichte
Globalisierungsgeschichte Skizzen von Globalisierungen in fünf Jahrtausenden Andreas Exenberger (Hrsg.) mit Beiträgen von: Bettina Altmann David Andersen Elisabeth Etl Andreas Exenberger Christina Gaio Martin Haitzmann Elisabeth Mauernböck Matthias Neeff Christoph Rief Tobias Rüf Dominik Schatzmann Gerald Wurzinger Inhalt Vorwort Andreas Exenberger 5.000 Jahre Globalisierungsgeschichte und keine Antwort Andreas Exenberger Sumerer und Globalisierung Bettina Altmann Das Imperium Romanum – Eine globalisierte Gesellschaft? Dominik Schatzmann Die Fugger – Ein frühes Beispiel multinationaler/globaler Wirtschaftsaktivitäten Matthias Neeff und Tobias Rüf Der Handel mit Asien im 17. Jahrhundert – Die Gründung der Ostindienkompanien Martin Haitzmann Die Rolle der WTO im Globalisierungsprozess Elisabeth Mauernböck und Gerald Wurzinger Globalisierung und Finanzkrisen – Der fragwürdige Beitrag des Internationalen Währungsfond an einer Finanzkrise: Fallbeispiel Argentinien David Andersen, Christina Gaio und Christoph Rief Zukunftsperspektiven der Globalisierung Elisabeth Etl Vorwort Andreas Exenberger Das Schlagwort „Globalisierung“ ist nun etwas mehr als ein Jahrzehnt alt. Erstmals tauchte es in wissenschaftlichen (betriebswirtschaftlichen) Publikationen in den 1980er Jahren auf, allerdings noch selten. Erst in den 1990er Jahren kam es zu einer historischen Konjunktur des Begriffs, die ungeheure Ausmaße annahm und Bücher, Forschungsschwerpunkte und TV-Diskussionen ohne Zahl hervorbrachte. Im Sommersemester 2003 wurde daher von mir ein Proseminar zum Thema „Globalisierungsgeschichte“ im Rahmen eines Kurses aus Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck angeboten. Der Kurs richtete sich an interessierte Studierende, vor allem aus den Fächern Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Internationale Wirtschaftswissenschaften. Die in diesem kleinen Sammelband enthaltenen Aufsätze sind Seminararbeiten aus diesem Proseminar, die von mir auf Unrichtigkeiten durchgesehen und gegebenenfalls korrigiert wurden. Meinungen wurden dabei natürlich nicht zensiert, die Inhalte der Aufsätze geben daher die Ansichten der Verfasserinnen und Verfasser wieder und weichen durchaus voneinander ab. Es ist bis zu einem gewissen Grad Zufall, dass sie das volle Spektrum von fünf Jahrtausenden Globalisierung von den Sumerern bis zum 21. Jahrhundert abdecken, weil nur die besten Arbeiten zur Teilnahme eingeladen wurden. Andererseits war das Proseminar darauf ausgerichtet, einen zugleich möglichst breiten wie differenzierten Zugang zum Phänomen „Globalisierung“ zu ermöglichen, um Distanz zum Schlagwort der 1990er Jahre zu gewinnen und zu erkennen, was alles eben nicht neu an den Tendenzen und Entwicklungen des ausgehenden zweiten christlichen Jahrtausends war und ist. Erst dadurch ist es in weiterer Folge möglich, zu erkennen, was eben doch wirklich und möglicherweise fundamental und richtungweisend neu ist. Die folgenden einleitenden Bemerkungen sollen der Einordnung dieser Aufsätze dienen und daher sollen einige allgemeine Bemerkungen zum Thema Globalisierung und zum Thema Geschichte hier Platz finden, die nicht zuletzt aus der strukturgeschichtlichen Perspektive eines Weltsystemanalytikers stammen. Neben einigen allgemeinen Anmerkungen zu den Themen „Geschichte“ und „Zeit“ soll vor allem – und sehr kursorisch – der historische Bogen über die letzten 5.000 Jahre Menschheitsgeschichte gespannt werden. Dieser Bogen wird in den anschließenden sieben inhaltlichen Beiträgen ausgeschmückt. Bettina Altmann eröffnet den chronologischen Reigen mit einer Diskussion der Globalisierung zur Zeit der Sumerer, an die sich Dominik Schatzmann mit einer Vertiefung der Globalisierungstendenzen zur Hochzeit des Römischen Weltreiches anschließt. Nach diesen beiden Fallbeispielen aus dem so genannten Altertum folgt eine nähere Betrachtung des nächsten Schlüsselzeitpunkts, der Wende vom so genannten Mittelalter zur so genannten Neuzeit, beide mit Schwerpunkt auf der Wirtschafts- und vor allem Handelsgeschichte: Matthias Neeff und Tobias Rüf diskutieren das Firmen-„Imperium“ der Fugger und Martin Haitzmann beschäftigt sich mit den global agierenden nationalen Handelskompanien im 17. Jahrhundert. Die letzten drei Aufsätze gehen schließlich stärker auf Globalisierung im landläufigen Sinn ein, die Entwicklungen zum Ende des 20. Jahrhunderts, wobei hier nicht zufällig globale Institutionen eine besonders wichtige Rolle spielen. Elisabeth Mauernböck und Gerald Wurzinger gehen auf die Rolle der World Trade Organisation (WTO) ein, –5– speziell im Rahmen des Globalisierungsprozesses und in Bezug auf Entwicklungsländer, David Andersen, Christina Gaio und Christoph Rief arbeiten anhand des aktuellen Fallbeispieles der Finanzkrise in Argentinien die Rolle der IMF im Globalisierungsprozess heraus und seinen Zusammenhang mit solchen Finanzkrisen. Zuletzt schließt ein Beitrag von Elisabeth Etl diesen Band ab, in dem sie auf die Zukunft der Globalisierung eingeht, speziell wie diese von verschiedenen tendenziell kritischen Autoren gesehen wird. Ich hoffe, dieser Band wird für Interessierte ein spannender Lesestoff sein und neue Blickwinkel auf ein allzu schnell als selbstverständlich angesehenes Phänomen eröffnen. Dann hätte er einen wertvollen und nicht zu unterschätzenden Dienst geleistet, hoffentlich nicht nur für seine Leser. Zuletzt möchte ich mich bei allen TeilnehmerInnen an den diesem Band vorausgehenden Proseminar für ihr Interesse und ihren Einsatz bedanken, vor allem bei jenen, die ihre Texte zur Verfügung gestellt haben, und außerdem bei den zuständigen Stellen, die diese Lehrveranstaltung möglich gemacht haben, vor allem Kursleiter Josef Nussbaumer und Institutsvorstand Gottfried Tappeiner. –6– 5.000 Jahre Globalisierungsgeschichte und keine Antwort Andreas Exenberger Vorbemerkungen Der Begriff und seine Bedeutungen Der wesentlichste Punkt bei der Beschäftigung mit Globalisierung ist die Frage des Begriffsverständnisses. Wann immer über Globalisierung gesprochen wird – je oberflächlicher, desto stärker ist das spürbar – dann haben die beteiligten Personen unterschiedliche Vorstellungen darüber, was sie darunter verstehen. Es fehlt die einheitliche Definition, mehr noch, es fehlt das gemeinsame Verständnis von Begriff und Phänomen. Damit fehlt dem Phänomen die Phänomenologie, die durch das Schaffen von Verständniszusammenhängen das Denken, Sprechen, Handeln und Diskutieren erleichtert. Daher können zur gleichen Zeit Menschen mit Globalisierung globalen Wohlstand verknüpfen und globale Armut, eine Gefahr und einen Segen, einen alten Hut und etwas fundamental Neues. Sie reden dann unweigerlich aneinander vorbei und nehmen sich jede Chance zur Diskussion. Einige Beispiele für diese Verwirrung gefällig? Manche verstehen unter Globalisierung „Kontakte über große Distanzen“. Sehr unverbindlich und daher praktisch. Nur hat es das schon immer gegeben, vor allem wenn man auf eine Spezifizierung verzichtete, was man unter „Kontakt“ und „großer“ Distanz versteht. Andere konzentrieren sich daher auf den Güterhandel. Noch nie – sagen sie – wurden so viele Güter gehandelt. Stimmt. Absolut und weltweit betrachtet sicher. Es hat auch noch nie so viele Menschen gegeben, noch nie wurde so viel produziert und noch nie war der Massentransport von Waren einfacher und billiger. Relativ betrachtet, also den Handel in Relation zur Produktion oder auch pro Kopf, trifft die Aussage schon nicht mehr so eindeutig zu, dann findet man Länder, die zum Beispiel vor hundert Jahren mehr Außenhandel oder größere Investitionen oder eine dichtere Kommunikation aufwiesen. Eine andere sehr einfache Definition betrachtet Globalisierung als ihrem Wesen nach zwingend „global“, also weltumspannend. Insofern kann ihr Anfang bereits um 1500 liegen, allerdings keinesfalls früher, weil es vorher den „Globus“ noch nicht gab. Diese Definition ist erstaunlich spezifisch, hilft aber trotzdem kaum weiter. Schließlich spricht wenig dagegen, diese geographische Begrenzung als völlig willkürlich zu hinterfragen: Ist eine Welt eher globalisiert, in der es ein Kolonialreich mit Stützpunkten in allen Kontinenten gibt, oder nicht vielmehr ein Reich, das die ganze bekannte Welt beherrscht? Genügen wenige „weiße Flecken“, um Globalisierung zu verneinen und warum machen wir im Zeitalter der Weltraumfahrt an den Grenzen unseres Planeten halt? Die Antworten auf diese Fragen sind alles andere als selbstverständlich. Was den meisten Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an Globalisierung denken, ist das Internet. Nimmt man das als bezeichnend, dann kann Globalisierung höchstens zwanzig –7– Jahre als sein, und noch vor zehn Jahren hatte das Netz nur einige Tausend Nutzer. Betrachtet man aber andererseits die für Globalisierung so wichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten, dann ist das Internet nicht der qualitative Sprung für die Kommunikation, als der es verkauft wird, sondern nur ein quantitativer: das Verschicken von Nachrichten ist nun etwas leichter und schneller, vor allem aber wesentlich billiger möglich, als vor hundert Jahren. Möglich war es aber dank dem Telegraphen auch damals schon in sehr kurzer Zeit und weltweit in einer Weise, die für wirtschaftliche Belange vollauf genügte. Gerade das Internet ist aber sehr nützlich beim Suchen von Definitionen über Globalisierung. Bei www.wissen.de etwa wird Globalisierung als „schlagwortartige Bezeichnung für die strategische Ausrichtung international operierender Unternehmen und Finanzmärkte; unter Ausnutzung der in den verschiedenen Ländern jeweils möglichen Kosten- und Standortvorteile wird eine Erhöhung der Wettbewerbschancen erreicht“ definiert. Das haben selbst die Handelskompanien des 17. Jahrhunderts schon so gehalten (siehe einen Beitrag in diesem Band) und es trifft bis zu einem gewissen Grad auch schon für das Römische Weltreich zu (siehe einen anderen Beitrag in diesem Band), nur der Begriff dafür wäre neu. So erscheint diese Definition zwar einigermaßen präzise, sie lässt aber Globalisierung nicht als etwas besonders Neues erscheinen. Im Brockhaus (www.brockhaus.de) findet sich unter Globalisierung „Bezeichnung für die Entstehung weltweiter Märkte, das heißt die zunehmende Internationalisierung des Handels, der Finanz-, Waren- und Dienstleistungsmärkte sowie die internationale Verflechtung der Volkswirtschaften. Der Globalisierungsprozess wird vor allem durch neue Technologien im Kommunikations-, Informations- und Transportwesen, neue Organisationsformen der betrieblichen Produktionsprozesse sowie Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen in vielen Ländern vorangetrieben; Hauptakteure sind multinationale Unternehmen (auch Multis, Global Players genannt).“1 Auch nichts, aber auch gar nichts Neues, wenn man in die Zeit vor den Zweiten Weltkrieg zurückblickt. Überdies wird fast völlig darauf verzichtet, zu beschreiben, worin das „Neue“ eigentlich liegt. Ein weiterer auffälliger Unterschied ist außerdem, dass in der ersten die Unternehmen im Mittelpunkt stehen (private Akteure), in der zweiten die Märkte und damit die Volkswirtschaften (öffentliche Akteure). Betrachtete man nun als „Globalisierung“ Phänomene wie „wirtschaftliche Interaktion über Grenzen hinweg“, das „Zusammenwachsen von Volkswirtschaften“, die „zunehmende Interdependenz“ in der Wirtschaft oder – wie oben geschehen – die Aktivitäten von so genannten „Multis“, kommt man wegen der Unverbindlichkeit der Begriffe auch nicht weiter. Bleibt nur noch der Ausweg, sich auf bestimmte Kriterien und Aspekte zu konzentrieren, wie etwa die globalen Finanzströme. Nur sind auch diese im ausgehenden 19. Jahrhunderts teils relativ betrachtet sogar größer als heute, wo der Blick auf die enormen Summen, die täglich auf den Devisen- und vor allem Terminmärkten bewegt werden, den Blick auf die zugrunde liegenden Ströme und ihre tatsächliche Bedeutung verstellt.2 Der Mainstream der Ökonomen schließlich betrachtet Globalisierung ganz klar über einen Indikator für das Zusammenwachsen von Märkten: die Preiskonvergenz, also die Verringerung der Differenz von Preisen in verschiedenen Märkten, absolut oder relativ. Dieser 1 Der Begriff „multinationale Unternehmen“ oder „Multis“ ist unzutreffend, ja geradezu irreführend. Es handelt sich nicht um Konzerne, die eine Verknüpfung verschiedener Nationen darstellen (nicht einmal in Europa, geschweige denn zwischen Ländern der Ersten und Dritten Welt), sondern vielmehr um Angehörige einer bestimmten Nationalität (oder weniger), die mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten die Grenzen von Ländern überschreiten. Solche Konzerne sind daher richtiger als „transantional“ zu bezeichnen, kurz auch TNC („TransNational Corporations“). Schließlich haben praktisch alle dieser Megakonzerne in einem Land der Ersten Welt ihre „Kommandohöhen“, meist in den USA. 2 Generell sind es ja die gigantischen Zahlen, die im Zusammenhang mit Globalisierung meist als erstes referiert werden. Hier wird bewusst darauf verzichtet, weil sie nur verschleiern. –8– Ansatz lässt sich recht gut untersuchen, wobei der Befund oft ambivalent ist. Jedenfalls steht dahinter die Behauptung, „Globalisierung“ würde mit dem Ausgleich von Faktor- und Güterpreisen weltweit zusammenhängen und wäre darüber messbar. Dass diese Sichtweise zwar klare Schlussfolgerungen erlaubt, sollte klar sein, dass sie aber zugleich eine starke Verengung darstellt, ebenfalls. Bei www.wissen.de findet sich noch ein sehr interessanter Satz: „Auf die Verdummung von Betroffenen zielt jedoch der immer häufigere Versuch, mit Globalisierung alle möglichen Negativfolgen ökonomischer Entscheidungen zu beschönigen“. Umgekehrt ist es freilich nicht anders, „Globalisierung“ wird von ihren Proponenten durchwegs als Inbegriff alles Positiven interpretiert, höchstens noch wird sie als Naturgewalt dargestellt, der man zwar ausgeliefert ist, und die man daher zu akzeptieren hat, die aber auch Chancen bietet. Nachteile zu erleiden, wäre demnach eine Folge eigener Fehler. Diese Art der Interpretation ist weit verbreitet, sie ist aber nicht nur gefährlich, sondern im Falle eines wirtschaftlichen, sozialen und politischen Prozesses wie der Globalisierung auch völlig unzutreffend. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sind Systeme, die von Menschen gemacht und betrieben werden und daher auch von Menschen geändert werden können und beeinflussbar sind, wobei die Menschen dazu völlig unterschiedliche Möglichkeiten haben. Weder ist der Segen der Globalisierung sicher, noch sind ihre „Schattenseiten“ (vgl. Stiglitz 2002) unvermeidlich. Wir stehen jedenfalls beim Definitionsproblem und seinen Auswirkungen, bei der teils geradezu gezielten Produktion von Feindbildern. Keine der vielen „Definitionen“ aber ist falsch. Das kann eine Definition gar nicht sein, höchstens unbrauchbar. Sie wurden hier präsentiert – natürlich sehr unvollständig – um zu zeigen, wie viele verschiedene Ansätze es gibt und dass sie alle ganz unterschiedliche Konsequenzen haben. Konsequenzen dafür, was Globalisierung ist, wann sie begonnen hat, wer oder was sie vorantreibt, was man dafür oder dagegen tun kann und ob sie gut oder schlecht für die Menschen ist. Denn so sehr es uns stört, wenn wir unter der Hitze eines Sommers im Zeichen der globalen Erwärmung stöhnen, so sehr freut es uns, zu Weihnachten in die Karibik fliegen zu können und so sehr es uns stört, unseren Arbeitsplatz wegen einer Betriebsverlagerung nach Asien zu verlieren, so sehr freut es uns, billige Textilien aus China kaufen zu können. Beispiele gäbe es noch viele, doch Beispiele führen nur hin auf die Analyse, sie helfen nicht dabei. Schicksal, Katastrophe oder Segen? Verschiedenste Denkschulen entwickeln sich gerade jetzt um das Phänomen „Globalisierung“ und viele ihrer Unterschiede liegen daran, dass sie von völlig unterschiedlichen ideologischen Startpositionen kommen. Ein Kommunist sieht sie vielleicht in Anknüpfung an die Imperialismusdebatte und damit als politisches Herrschaftsprojekt der Bourgeoisie. Ein Liberaler wird sie vielleicht als natürlichen Prozess und als Höhepunkt der Menschheitsgeschichte sehen, der allen Menschen den Weg zum Glück weist. Der eine Standpunkt ist oft sehr „gestrig“ und versucht, Erklärungsmuster von Gestern auf die Probleme von Morgen anzuwenden. Der andere Standpunkt ist schlicht naiv. Trotz der kurzen Rezeptionsgeschichte des Begriffs „Globalisierung“ ist die Literatur zum Thema längst uferlos und umfasst mehrere Tausend Titel.3 Dabei wird Globalisierung nicht nur unter Ökonomen, sondern auch unter Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlern, Politologen, Kommunikationswissenschaftlern, Soziologen und Theologen heftig diskutiert. Nicht nur deren ideologische Startpositionen, sondern auch deren Arbeitsmethoden und Konkret probiert: in österreichischen Bibliotheken liegen (Stand 1. September 2003) 859 Bücher mit dem Wort „Globalisierung“ im Titel, noch mehr (948) finden sich in seinen englischen Versionen („globalisation“ oder „globalization“). Fast 3.000 sind es bei einer Schlagwortsuche … 3 –9– Blickwinkel und damit ihre Annahmen und Ergebnisse sind sehr unterschiedlich. Im Wesentlichen lassen sich dabei zwei Bruchlinien identifizieren, über die hinweg eine Verständigung fast unmöglich ist: die eine verläuft zwischen Befürwortern und Gegnern der Globalisierung (erstere sehen sie durchwegs positiv, letztere durchwegs negativ), die andere verläuft zwischen Menschen, die Globalisierung als fundamental neu und solchen, die sie als alten Hut erkennen. Die häufigste und leider am meisten oberflächliche und hilfslose Diskussion ist die zwischen Vertretern der „Alles-Neu“-Lehre entlang der ersten Bruchlinie. Während dabei manche Globalisierung als Quelle des Massenwohlstandes für alle Menschen und damit für das Mittel gegen die tatsächlich herrschende skandalöse globale Massenarmut4 halten, speziell in der Tradition der Lehre vom „komparativen Kostenvorteil“ nach David Ricardo, und sehen entweder gar keine sozialen Probleme oder schieben sie gar auf „zu wenig“ Globalisierung, dämonisieren sie andere als Ursache der Vertiefung globaler Ungleichheit und der Ausdehnung dieser Armut selbst in die Industriestaaten unter dem Schlagwort einer „Zweidrittelgesellschaft“ oder „Globalisierungsfalle“, sie sehen unheimliche Globalisierungskräfte wirken, die Gesellschaften, Wertesysteme und Staatsmacht auflösen. Bleibt diese Diskussion aber geschichtslos, ist sie wertlos. Betrachtet man hingegen Globalisierung weniger aufgeregt und weniger ratlos als historischen Prozess von unterschiedlicher Länge oder als Transformationsphänomen, dann entwickelt man ein wesentlich besseres Gespür für das wirklich Neue. Dann gewinnt auch ein Standpunkt Gewicht, der „Globalisierung“ als Etikettenschwindel zu entlarven versucht: der Prozess, der eigentlich abläuft, ist der einer „Triadisierung“ der Welt, also eines ständig steigenden globalen Einflusses (politisch wie wirtschaftlich) der USA, Westeuropas und Japans. Und tatsächlich: viel der Konzentrationsprozesse, mit denen die immensen Steigerungsraten bestimmter Kennzahlen (Warenhandel, Investitionen, Devisentransaktionen) einhergehen, ist auf diese drei Weltregionen beschränkt und wächst außerhalb davon weit weniger. Viele Einschätzungen liegen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zwischen der Pro- und der Contra-Position und bewerten die oft nach Aspekten getrennten Prozesse verschieden. Zumeist wird mehr oder weniger „Gefahr“ im Globalisierungsprozess verortet und vielfach nach einem „Management“ oder einer „Kontrolle“ der Globalisierung gerufen. Demnach ist nicht Globalisierung an sich das Problem, sondern der ungenügende Umgang der Politik nationaler und internationaler Akteure, mangelhaftes „management“ des Prozesses Globalisierung durch die „political entrepreneurs“. Mangel an Regeln macht den Prozess gefährlich und bedrohlich, den man als entfesselten und damit skrupellosen und unmoralischen Neoliberalismus brandmarkt, in dem ausschließlich der Selbstregelungskraft der Märkte nicht nur für ökonomische, sondern auch für soziale, ökologische und politische Sachverhalte vertraut wird. Eine „Ökonomisierung“ der Gesellschaft werde damit der Boden bereitet. Worum man gerade wegen dieser stark wertebeladenen Diskussionen nicht herumkommt, wenn man sich fundiert mit Globalisierung beschäftigen will, ist nicht nur eine Begriffsbestimmung (ohne sie treiben die Argumente steuerlos im Raum), sondern auch eine klare Anerkenntnis des transdimensionalen Charakters des Phänomens, der eben gerade darin liegt, dass eine Aufspaltung in wirtschaftliche, politische, kulturelle, soziale oder moralische Aspekte schon problematisch ist, gar nicht zu reden von einer Unterscheidung in angeblich getrennte Globalisierungsprozesse, weil Globalisierung gerade in der Vermischung dieser Aspekte liegt. Er ist gerade deshalb wirklich komplex und keinesfalls einfachen Erklärungen zugänglich. Die Wahrheit ist unter diesem Berg an Argumenten so gut versteckt, dass sie kaum aufzufinden ist. Versuchen wird trotzdem, ihr näher zu kommen. Historisch. 4 Dazu gibt es oft zitierte Zahlen der absoluten globalen Armut. Demnach kann man in etwa davon ausgehen, dass im Jahr 2000 etwa die Hälfte (!) der Menschheit von weniger als zwei Euro pro Tag leben musste und etwa ein Fünftel sogar von weniger als einem Euro. – 10 – Geschichte und Zeit Zuvor müssen aber einige Bemerkungen zur Geschichte folgen, um das Konzept, dem all die folgenden Ausführungen folgen, nachvollziehen zu können. Wesentlich ist dabei eine leitende „Chronosophie“, ein Verständnis des Zusammenhangs der Zeiten (im Plural), des Zusammenhangs von Gestern, Heute und Morgen. Geschichte hat nämlich nicht nur mit dem Gestern, mit dem Vergangenen zu tun, vielleicht nicht einmal in erster Linie. Vielmehr ist Geschichte wie alles menschliche Denken ein Konstrukt. Sie ist das, was an Aufzeichnungen aus der Vergangenheit über uns gekommen ist, und zwar in der Art und Weise, wie wir diese Aufzeichnungen lesen und interpretieren. Geschichte ist nicht so, wie sie war (schon gar nicht, wie sie „wirklich“ war; was etwa nicht aufgezeichnet wurde, das wird so behandelt, als hätte es nie stattgefunden), sondern vielmehr so, wie sie ist. Sie wird in den Kategorien von heute, auf der Basis der Interessen von heute und von Menschen, die heute leben, geschrieben. Mehr noch: da die Zukunft das Handeln des Menschen bestimmt, ist Geschichte letztlich eine Interpretation der Vergangenheit, die in der Gegenwart geschieht, aber davon bestimmt ist, was wir für die Zukunft erhoffen oder erreichen wollen. Es ist also Vorsicht angebracht, denn Geschichte wird ständig neu geschrieben. Sie kann Revolutionen auslösen, indem sie eine Regierung als illegitim oder verbrecherisch entlarvt. Mit Geschichte wird in der Gegenwart Politik gemacht, und wer sich nicht der Interpretation der Mächtigen anschließt, geht oft sogar ein hohes persönliches Risiko ein. Sie ist also eine Konstruktion, die eine wichtige politische Legitimationsfunktion hat. Innerhalb weniger Jahre etwa hörte die Geschichte Jugoslawiens zu existieren auf und die jungen Nachfolgerepubliken entdeckten – ja eigentlich erfanden (!) – ihre jahrhundertealte Geschichte. War vor 1991 die Idee „Jugoslawien“ der Höhepunkt und das Ziel der Geschichte aller „Südslawen“, wurde diese Idee nach 1991 als Irrweg abgetan, wie in allen Ländern Osteuropas nach 1990 die Geschichte der kommunistischen Epoche neu geschrieben wurde. Noch erinnern wir uns, dass es eine Geschichte Bosniens vor 1990 nicht gab. Weniger erinnern wir uns, dass es eine Geschichte Italiens vor Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gab. Zu leicht unterliegt man dem Trugschluss, dass nichts in der Geschichte je erfolgreich totgeschwiegen worden wäre. Wahr ist vielmehr, dass wir es nicht wissen, nicht wissen können. Denn wenn das Totschweigen erfolgreich war, dann wissen wir nichts über das Verschwiegene. Es gerät in Vergessenheit und verschwindet schließlich. Es gibt verschiedene Arten von Zeit Zeit scheint manchmal zu verfliegen, manchmal scheint sie zu kriechen. Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre, Lebensabschnitte und so weiter sind völlig unterschiedliche Einteilungen von Zeit. Für die Geschichte wichtiger ist freilich, dass diese verschiedene Arten von Zeit etwas mit Erklärungen zu tun haben. So unterscheidet etwa Fernand Braudel eine „Ereignisgeschichte“ von einer „Konjunkturgeschichte“ und einer „Strukturgeschichte“ (vgl. Braudel 1992, S 49ff). Diesen drei Arten der Zeit liegen völlig unterschiedliche Konzepte zugrunde: die Ereignisgeschichte spiegelt die Zeit der Chronisten und Journalisten wieder, die Ereignisse aufzeichnen und damit eine Art Tagesgeschichte schreiben; die Konjunkturgeschichte spiegelt die Zeit der menschlichen Erinnerung wider, des Auf und Ab der Trends und Entwicklungen, die in mehrjährigen Zyklen vorwärts kommt, bis hin zu den Konjunkturschwankungen der Kondratieff-Zyklen; die Strukturgeschichte geht über die menschlicher Erfahrung hinaus, sie spiegelt die Zeit der Bestimmungsgründe für menschliches Handeln wieder, wobei die betrachteten Strukturen (oder die „Kultur“) meist über lange Zeit stabil bleiben, oft über Jahrhunderte. Zu diesen Unterschieden ein einfaches Beispiel: der Brand Roms war ein Ereignis während der historischen Konjunktur „frühe – 11 – Kaiserzeit“, die wiederum eine Periode der Geschichte der römischen Antike ist. Man kann dieses Konzept auch mit einem Ozean vergleichen: auf seiner Oberfläche spielen die Wellen der Ereignisgeschichte, darunter wirken die Kräfte von Ebbe und Flut der Konjunkturgeschichte, während in seinen Tiefen die Strömungen der Strukturgeschichte das Wasser um den Erdball tragen. Zeit und Raum hängen eng zusammen Nun gilt dieser Unterschied nicht nur für die Zeit. Auch der Raum ist davon unmittelbar betroffen, denn Geschichte ist auch ein räumliches Phänomen. Alles was bisher daher zur Geschichte und zur Zeit gesagt ist, gilt auch für den Raum. So ist etwa auch die Bezeichnung eines Ortes sehr wichtig und enthält eine politische Wertung, wenngleich sie immer auch eine Konstruktion darstellt. Wenn man den Brenner überquert, wohin kommt man dann? Nach Italien? Nach Südtirol? Nach Alto Adige? Nirgends hin, weil man Tirol nicht verlässt, oder die EU? Auch wenn der Konflikt um diese Frage heute nicht mehr besonders wichtig ist, konnte die Antwort auf die Frage, wo Jerusalem liegt, in der Geschichte immer wieder über Leben und Tod entscheiden. Heute sind die häufigsten Antwortvarianten „Israel“ und „Palästina“ (andere waren und sind aber ebenfalls denkbar) und die Vertreter der beiden Möglichkeiten töten einander. Wichtig ist außerdem, dass es für die vorher genannten Zeiten auch dazu passende Räume gibt, und dass deren Kombination verschiedene Arten von „Zeit-Räumen“ hervorbringt (vgl. dazu Wallerstein 1995, S 164ff). Der erste wäre der „episodisch-geopolitische“ Zeit-Raum, der die Zeit und den Ort der Ereignisse berührt, die bloß Episoden sind, die im Zusammenhang mit den Wechselfällen der Tagespolitik ihre Bezeichnung und Bedeutung erhalten. Zum zweiten wäre ein „zyklisch-ideologischer“ Zeit-Raum zu nennen, dessen Begrifflichkeit und Raumvorstellung von Ideologien abhängt, die während eines Zyklus einen bestimmten Bedeutungsinhalt vermitteln. Ein Musterbeispiel dafür wäre das „Ost“ aus dem „Ost-West-Konflikt“, das außerhalb dieses ideologisch gefärbten Zusammenhanges keine oder eine völlig andere Bedeutung hat. Dieses „Ost“ hat sich zu Beginn der 1990er Jahre buchstäblich aufgelöst und bedeutet heute nichts mehr. Zuletzt gibt es auch einen „strukturellen“ Zeit-Raum, innerhalb dessen der Begriff „Ost“ wieder eine ganz andere Bedeutung hat. Einen „Osten“, der in Opposition zu einem „Westen“ steht, gab es in der Geschichte schon oft, dieses Paar ist eine Konstante speziell der eurasischen Geschichte. Was Persien für Griechenland war, war der Islam für das christliche Europa oder China für das neuzeitliche Europa, jeweils in unterschiedlichen strukturellen Zusammenhängen. Außerdem kann ein Zeit-Raum des „Übergangs“ identifiziert werden, der im Übergang zwischen Strukturen wichtig ist. Er ist ein „qualitativer“ Zeit-Raum, wo menschliche Entscheidungen besonders wichtig werden. Im Zeit-Raum des Übergangs können schon kleinste Unterschiede große Wirkungen entfachen und Systeme zum Kippen bringen. Revolutionen und Kriege sind gute Beispiele für solche Prozesse, denn dabei kommt es oft auf eine bestimmte, unmittelbar vielleicht sogar unspektakuläre „richtige Tat“ einer „richtigen Person“ am „richtigen Ort“ an, die durch ihre Folgen das Schicksal wendet. Ein vorstürmender (oder fliehender) Soldat reißt andere mit, ein Käufer durchbricht die Widerstandslinie eines Aktienkurses, ein Satz entscheidet eine Wahl, sofern die Zeit für den Übergang reif ist. Bei der historischen Betrachtung von Globalisierung ist dieser Zusammenhang besonders wichtig. Sie bezieht sich schließlich auch auf einen Raum, ob es nun der Globus oder nur ein relevanter Ausschnitt der Welt ist. Im Rahmen der Zeit-Raum-Kategorien kann Globalisierung dabei etwas völlig Unterschiedliches sein: ein auf den Globus bezogenes inzwischen etwa zehn Jahre dauerndes Ereignis, das aus dem Ende des Ost-West-Konflikts zufällig entstanden ist, dann freilich wäre sie weder besonders wichtig, noch besonders – 12 – nachhaltig; eine sowohl ökonomische wie auch politische und soziale Konjunktur, die vielleicht seit zehn, vielleicht seit dreißig Jahren wirkt, und die damit aber nur eine Strömung innerhalb der kapitalistischen oder gar der neo-liberalen Weltwirtschaft ist; oder gar eine historische Struktur, wobei dann der Neoliberalismus, vielleicht sogar der Kapitalismus nur eine Strömung innerhalb der Globalisierung wäre; oder ein Phänomen des Übergangs zwischen einer kapitalistischen Weltwirtschaft und etwas anderem, das diesen Übergang einleitet oder zumindest begleitet, dann wäre sie wegen ihrer großen Auswirkungen historisch betrachtet besonders wichtig. Klar ist, dass die jeweilige Interpretation große Rückwirkungen auf die Einschätzung von damit verbundenen Fragen hat, wie etwa ob man etwas gegen oder für die Globalisierung unternehmen soll oder überhaupt kann und auf welcher Ebene man mit solchen Versuchen ansetzen müsste, oder wie lange es sie schon gibt, wie lange sie noch dauern wird und welche Auswirkungen sie haben wird. Globalisierungsgeschichte Damit ist der Rahmen gesteckt, innerhalb dessen man das Phänomen Globalisierung diskutieren sollte. Fest steht, dass nicht nur der Begriff eine Geschichte hat, sondern auch das Phänomen, wie zeitgenössisch immer man es betrachten möchte. Mindestens hat Globalisierung einen historischen Vorlauf, denn selbst wenn sie erst vor zehn Jahren entstanden sein sollte, dann gäbe es Prozesse, die auf sie hingeleitet hätten oder zumindest solche, die man in dieser Weise interpretieren kann. Diskutieren wir das Phänomen „Globalisierung“ daher konsequent historisch, indem wir von der Frage ausgehen, wann Globalisierung begonnen hat. Eine eindeutige Antwort auf die Frage wird freilich stets von der gewählten Begriffsbestimmung abhängen. Um die Antwort offen zu halten und damit möglichst viele Elemente des Phänomens aufzuspüren, bleiben wir für den Moment bei der allgemeinen Bestimmung, wonach Globalisierung ein transdimensionales (also nicht nur wirtschaftliches) Phänomen mit Prozesscharakter ist, das verstärkte Interaktionen von Menschen über größere Distanzen erfordert und zu verstärkter Interdependenz zwischen den davon betroffenen Gebieten führt. „Globalisierung“ und „Globalisierungsprozess“ wären demnach Synonyme. Folgen wir nun langsam dem Lauf der Geschichte und fragen wir nach den jeweils besonderen Ereignissen und Charakteristika im Hinblick auf einen solchen Prozess. Frühgeschichte der Globalisierung Die alten Hochkulturen In gewisser Hinsicht stellen schon die alten Hochkulturen wie zum Beispiel die Kultur der Sumerer (siehe dazu den Beitrag von Bettina Altmann in diesem Band) oder das Ägypten der Pharaonen globalisierte Gesellschaften dar: einmal handelte es sich um Kulturen, die einer vereinheitlichenden Idee folgten, meist einer religiösen; zum zweiten unterhielten sie wirtschaftliche Kontakte in die gesamte damals bekannte Welt, teils beherrschten sie diese sogar politisch. Diese beiden auch angesichts heutiger Prozesse mit Globalisierung verknüpften Elemente lassen sich wahrscheinlich am weitesten in der Geschichte zurückverfolgen und überdies oft beobachten, nämlich die universalistische Weltwahrnehmung und das Weltreich. Die meisten der alten Hochkulturen hatten eine Vorstellung von „Barbaren“, als die sie all jene bezeichneten, die sie nicht zu ihrer Welt zählten und die daher außerhalb ihres Universums lagen. Sie zogen damit eine Grenze, die sie nicht überwinden wollten oder konnten, innerhalb dieses Bereichs kam es aber zu einer kulturellen Angleichung – nicht im Sinne einer – 13 – Assimilierung der Eroberten, sondern meist in Form einer Synthese zwischen Kulturen. Dazu kam außerdem, dass diese Kultur oder diese Religion einen umfassenden, alle Lebensbereiche beeinflussenden Charakter aufwies und auch in dieser Hinsicht der Idee eines Universalismus verpflichtet war. Am deutlichsten wird diese Verknüpfung im bei vielen Hochkulturen verbreiteten Gottkönig- oder Priesterfürstentum. Die Kontakte dieser Kulturen (manche nennen sie auch „Zivilisationen“) erstreckten sich teils über große Distanzen. So unterhielten etwa die Ägypter, die Babylonier oder die Perser Handelsrouten über Tausende von Kilometern im Viereck zwischen dem Indus, dem Aralsee, der Ägäis und Äthiopien. Keine dieser Kulturen konnte zwar je das gesamte Gebiet erobern, wenngleich es den Ägyptern, den Babyloniern, den Assyrern und vor allem den Persern immer wieder in bemerkenswertem Umfang gelungen ist. So stellen sich gerade diese Reiche als die frühesten Formen einer kulturellen und militärischen Globalisierung in verschiedenen Facetten dar, wobei dahinter ein Wirtschaftssystem lag, das sogar noch ausgedehnter war. Nicht anders war es in China, in Indien und in Altamerika, wobei die Prozesse meist regional begrenzter und kurzlebiger waren. Die Hellenistische Welt: Alexandrinische Globalisierung Der Schritt zur Vereinnahmung eines Weltreiches durch eine konkurrierende universalistische Weltanschauung ist dann nur kurz. Dieser Prozess vollzog sich mehrfach im schnellen Wechsel von einer zusammenbrechenden Ordnung auf eine neue, nicht selten ebenso dauerhafte und nachhaltige, wenngleich mit neuem Zentrum. Er schließt auch die Wiederkehr des Überwundenen nicht aus, in Ägypten ebenso wenig wie in Mesopotamien, Mexiko oder China. Ein solcher Prozess der Vereinnahmung vollzog sich jedenfalls in der relativ kurzen Zeit des Jahrzehnts der Kriegszüge von Alexander, dem so genannten „Großen“. Er brachte das Persische Weltreich zum Einsturz und setzte seine eigene Welt an dessen Stelle. Wenngleich er Mazedonier war und damit selbst „Barbar“, war es ein griechisches Großreich, das fast das gesamte antike Wirtschaftssystem einnahm. Er betrieb eine Globalisierung durch Krieg, wie andere vor ihm, doch die Welt, die er erschuf, war aus anderen Gründen eine globalisierte: die hellenistische Kultur breitete sich in der gesamten damals bekannten Welt aus und beeinflusste in einer Mischung mit ihren orientalischen Vorgängern die Politik, die Kultur, die Baukunst und den Lebensstil der Menschen in dieser neuen Welt, die sich aber auch durch Abgrenzungen von verschiedenen neuen „Barbaren“ selbst neu schuf. Doch sie hinterließ zahlreiche Zeugnisse und sie zeichnete sich auch dadurch aus, dass sie das Politische einem übergeordneten kulturellen Zusammenhang unterordnete. Während das Alexanderreich innerhalb sehr kurzer Zeit in verschiedene „Diadochen“-Reiche zerfiel, blieb der kulturelle Überbau, die einigende Klammer des später auch die Römer beseelenden Hellenismus, noch über Jahrhunderte erhalten. Das Imperium Romanum: Augustinische Globalisierung Diese Römer waren zu Alexanders Zeiten kaum über ihren Stadtstaat hinausgekommen. Innerhalb von drei Jahrhunderten änderte sich das grundlegend. Die Republik verbreitete sich zuerst im westlichen Mittelmeerraum, dann immer weiter auch im östlichen und erreichte schließlich die Atlantikküsten Galliens. Mit der Ermordung Cäsars reichte die immer wieder zwischen verschiedenen Statthaltern aufgeteilte Republik von Syrien über Griechenland und Italien nach Nordafrika und Britannien. Nun vollzog sich der Lückenschluss im Zuge der Reichseinung bis zum Jahr 27 vor Christus, als Oktavian sich nach der Annexion von Ägypten den Titel Augustus aufdrängen ließ, sich über die Republik setzte und – 14 – damit das Kaiserreich begründete. Er begründete die seither sprichwörtliche Pax Romana, die für etwa 200 Jahre Frieden im Reich bedeutete, denn nach außen hin wurde weiter eifrig Krieg geführt (siehe auch den Beitrag von Dominik Schatzmann in diesem Band). Jedenfalls stellte sich das Imperium Romanum als Ergebnis dieses Prozesses als ein stark integriertes Gebiet dar, in dem eine einheitliche Sprache, einheitliche Gesetze, eine einheitliche Verwaltung, ein einheitliches Münzwesen und auch eine gewisse kulturelle Einheit (die freilich vor allem in der Toleranz lag) verwirklicht war. Zudem war das Reich ein gelenkter Wirtschaftsraum mit ausgeprägter Arbeitsteilung, einem hohen Maß an innerer Autarkie und schnellen Transportwegen. So wird gerne das Beispiel bemüht, dass die Kommunikation und der Transport von Waren zwischen London und Damaskus zur Zeit Christi Geburt wesentlich schneller und leichter möglich war, als um 1800 (nach Christus). Der Zusammenbruch des Reiches, der sich vom zweiten bis zum fünften nachchristlichen Jahrhundert vollzog, war dann einer der bemerkenswertesten Deglobalisierungsprozesse der Geschichte. Hauptmerkmale waren die steigende innere Unsicherheit, der Zerfall der Arbeitsteilung und die kulturelle Verarmung. Christentum und „Mittelalter“ In Europa trat aber jedenfalls schon während dieses Zusammenbruchs eine neue einigende Kraft an die Oberfläche, eine universalistische Idee, die sich als noch vereinnahmender erweisen sollte, als die orientalischen Kulturen und die mit ihnen verknüpften religiösen Vorstellungen. Es dauerte fast ein Jahrtausend, bis das Christentum sich in Europa wirklich durchgesetzt hatte. Das Christentum war im ersten Jahrhundert als nach Meinung der Römer „jüdische Sekte“ entstanden und hatte es durch mehrere Verfolgungswellen hindurch bis zum vierten Jahrhundert zur römischen Staatsreligion gebracht, die sich nun im gesamten Reich ausbreiten und auch die Nachbargebiete infiltrieren konnte. Zur Zeit der germanischen Eroberungen war es bereits stark genug, um bestehen zu bleiben, und es bildete ausgehend von einer Missionierungbewegung aus Irland in seinem religiösen Zentrum in Rom vielmehr einen Anknüpfungspunkt für die Erhaltung einer gemeinsamen Kultur in Westeuropa während der größten Wirren. Trotz einer Geschichte, die man auch als Geschichte der Kirchenspaltung schreiben könnte, gelang es dem (katholischen) Christentum, sich gegen alle Anfeindungen (durch „Barbaren“ wie Wikinger, Slawen, Araber und Ungarn) als dominierende Kultur in Europa durchzusetzen, was sicher nicht zuletzt der wirtschaftlichen Kapazitäten der Klöster zu verdanken war. Die Mönche sorgten in der sich zunehmend in kleine, autarke Gemeinschaften zurückziehenden Welt für Inseln der Produktivität. Aus dem Zusammenspiel des Christentums mit den politischen und wirtschaftlichen Prozessen dieser Zeit (Feudalismus, Aufstieg der Städte, Lehenswesen) entstand schließlich die Kulturform „Mittelalter“, in dem sich die Kirche als Mittelpunkt der Welt und der Menschheit intepretierte, ein universeller Anspruch, der weit über eine bloße „Globalisierung“ hinausging und bis in den Himmel reichte. Der andere Blickwinkel: der Wurmfortsatz Europa Ein anderer Blickwinkel auf Europa tut angesichts so viel Eurozentrismus not. Denn auch wenn der Blick des Historikers auf Europa gerade im Zusammenhang mit Globalisierung wichtig ist, weil von diesem Kontinent fast alle wesentlichen Prozesse ausgegangen sind, die mit den Globalisierungstendenzen seit dem 16. Jahrhundert verknüpft werden, so ist er doch globalgeschichtlichen Prozessen unangemessen. Europa wird von manchen Autoren wie Eric Jones (vgl. Jones 1991) schließlich bewusst provokant und plakativ als „Wurmfortsatz“ Asiens dargestellt, der es vom geographischen – 15 – her ja auch ist. Aber nicht nur: Europa war vielmehr der Endpunkt von zahlreichen in OstWest-Richtung verlaufenden Wanderbewegungen in der Geschichte des eurasischen Kontinents und nur in sehr wenigen Fällen der Ausgangspunkt. Die Landwirtschaft und damit die Basis des sesshaften Lebens kam vor etwa 8.000 Jahren aus dem Vorderen Orient, die Indogermanen und damit die heutige Bevölkerung kamen vor etwa 5.000 Jahren aus Zentralasien und in den vergangenen zweitausend Jahren ereigneten sich weitere große Zuwanderungswellen aus dem Osten mit folgenschweren politischen Konsequenzen. Um das Jahr 1000 (nach Christus) waren die kulturellen Weltzentren waren anderswo: in China, der wissenschaftlich am weitesten fortgeschrittenen und zugleich am dichtesten besiedelten Region der Erde; in der Islamischen Welt, deren Zentren in Bagdad, Damaskus, Kairo und Cordoba (neben anderen) die „Zentren“ der Christenheit an Einwohnerzahl, Prunk und Anziehungskraft bei weitem in den Schatten stellten; im zwar christlichen, sonst aber vielmehr orientalischen Konstantinopel, einer der größten Städte der damaligen Welt und einem der größten Handelszentren; ja selbst in Amerika fanden sich vergleichbare Kulturen, vor allem größere Städte als in Europa. Westeuropa hatte demgegenüber kaum kulturelle Leistungen, nur wenig wissenschaftlichen Fortschritt, war militärisch in der Defensive, es hatte keine besondere Wirtschaftskraft oder sonstigen Reichtum und daher auch keine größeren Städte (wenngleich sich all das in den folgenden Jahrhunderten ändern sollte). Rom war von wahrscheinlich mehr als einer Million auf nur noch wenige Zehntausend Einwohner geschrumpft, die anderen Zentren wie etwa das langsam wachsende Paris waren noch kleiner. Städte wie Wien, Berlin, Madrid oder London waren entweder noch nicht einmal gegründet oder mittelgroße „Dörfer“. Auch im Hinblick auf Globalisierungstendenzen waren andere weiter als das auf die christliche Kirche angewiesene Europa. Zwar fand man überall in Westeuropa durch die Kirchen auch einigermaßen einheitliche Denkmäler der Baukunst, aber sie waren unscheinbar verglichen mit den Palästen des Orients; zwar war mit der lateinischen Sprache eine Art kollektives Verständigungsmittel erhalten worden, aber das galt für andere Regionen mindestens ebenso; zwar herrschte durch die Kirche vermittelt eine einigermaßen einheitliche Vorstellung von Werten und Kultur, doch gemeinsame Gesetze, eine einheitliche Verwaltung oder Politik, oder auch eine überall anerkannte Währung fehlten völlig. China hingegen schickte sich gerade an, mit der Sung-Dynastie eine wissenschaftliche und wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung einzuleiten. Es bildete sich als relativ einheitliches Reich über einen großen Raum hinweg. Die chinesische Kultur entwickelte eine Strahlkraft, die bereits früher die Nachbarn von Japan bis Burma stark beeinflusst hatte. Die Anbauflächen und die Städte wuchsen, die Menschen wurden produktiver, technische Errungenschaften entfalteten ihre Wirkung. Bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als riesige chinesische Flotten den gesamten Indischen Ozean von Indonesien bis Südafrika durchfuhren, hatten sie nicht nur Händlerkolonien überall im für sie interessanten Ausland errichtet, sondern auch die Vorherrschaft über die Meere und die völlig unbestrittene wissenschaftlich-technische Führungsrolle übernommen. Eine andere universalistische Weltanschauung mit großer politischer Macht war der Islam, der es ebenfalls um die Wende zum zweiten Jahrtausend nicht nur zu großer politischer Macht, sondern auch zu größter wissenschaftlicher und kultureller Blüte gebracht hatte. Das Kalifat von Bagdad gab dieser Globalisierungswelle auch politisch Ausdruck (vor allem im 9. und 10. Jahrhundert). Zu einer einheitlichen Sprache (Arabisch) gesellte sich aber auch eine gewisse politische, mehr noch aber architektonische und kulturelle, und vor allem aber religiöse Einheitlichkeit, die – vielleicht abgesehen von der Religion – in Europa keine Parallelen hatte. Über das Arabische vermittelt lernte Europa schließlich auch seine Klassiker von Aristoteles bis Xenophon wieder kennen. – 16 – Der amerikanische Kontinent schließlich erlebte ebenfalls vergleichbare Globalisierungstendenzen in Form von mit der Waffe des universalen Anspruchs auftretenden Mächten, die im Laufe einer gewissen Zeit einem bestimmten, nach Außen durch die Grenze der Zivilisation abgetrennten geographischen Bereich ihren kulturellen und politischen Stempel aufdrückten. Für die Azteken trifft dies vielleicht am wenigsten zu, für die Maya und die Inka hingegen sicher, wobei es ältere und meist regional noch begrenztere Kulturen gab, die bereits ähnliche Projekte verfolgten. Im Reich der Inka etwa waren Politik und Wirtschaft zentralisiert, es existierte ein weit entwickeltes Transport- und Kommunikationssystem (allerdings ohne Schrift) und der Herrscher war ein Gottkönig. Ihre Geschichte entsprach der Schöpfungsgeschichte der Welt und ihre Religion war im gesamten Reich verbreitet. Zweifellos handelte es sich bei diesem Reich um eine mindestens ebenso globalisierte Gesellschaft wie beim Reich der Pharaonen. Um 1500 stieß es überall an vergleichsweise natürliche Grenzen – den Ozean (im Westen), die Tiefländer und die Regenwälder (vor allem im Osten, aber auch im Norden und Süden) und extreme Jahreszeiten (im Süden). Die Außenwelt war von unzivilisierten Barbaren bevölkert und lohnte die Eroberung nicht. Innerhalb von zwanzig Jahren brach dieses gigantische Reich unter dem Ansturm der Conquistadores vollkommen zusammen. Als die Welt zum Globus wurde Von Alexandria nach Nowgorod Bisher konnte man nur von regionalen Globalisierungen sprechen, die freilich eine bestimmte Bedeutung haben und wesentliche Charakteristika offen legen. Manche dieser betrachteten Zeit-Räume waren wohl sogar in bestimmter (vor allem geistiger) Hinsicht globalisierter, als die heutige Welt. Von dieser Welt hatten alle vor etwa einem Jahrtausend lebenden Menschen aber kaum eine Ahnung, nicht nur jene in Europa. Auch die Asiaten, Afrikaner und Amerikaner kannten nur Ausschnitte des Globus. Der Horizont des Mittelalters – vor allem seiner Kaufleute und Kreuzfahrer – endete in etwa an den Extrempunkten Alexandria und Nowgorod, nur sehr wenige kamen über diese Punkte hinaus (einige freilich erreichten auf dem Landweg auch Indien und China). In Alexandria kontrollierten die muslimischen Händler den Austausch der indischen Gewürze mit den Christen (vor allem Venezianern und Genuesen), in Nowgorod kontrollierten russische Autoritäten den Austausch von nordischen und auch weit gereisten orientalischen Gütern mit den Hansischen Kaufleuten. Zwischen diesen beiden Punkten spannte sich ein weiter Bogen, der ganz Westeuropa umfasste, wobei Island und eine Zeitlang auch Grönland dazugehörten, die nordafrikanische Atlantikküste hingegen kaum. Wie weit dieser Bogen ins Landesinnere des Kontinents reichte, darüber lässt sich streiten. Während in Westeuropa höchstens die entlegendsten Gebirgsregionen nicht dazugehörten, finden sich in Osteuropa größere weiße Flecken. Letztlich reichte das Mittelalter dort kaum über die Küstenstädte der Ostsee, die Binnenstädte Krakau, Lemberg und Kiew und den Fluss Moldau hinaus. Auch am Balkan ging das Mittelalter irgendwo im ungarisch-bulgarisch-serbischen Grenzgebiet in das orientalisch geprägte byzantinische Reich über, später in die Islamische Welt. Der Aufbruch auf die Weltmeere und die Schlüsseldaten Dieser Horizont erweitere sich, als die Europäer auf die Weltmeere aufbrachen. Bereits die Wikinger hatten den Horizont weit auf das Nordmeer hinausgetragen, letztlich – wenn auch wenig folgenreich und bald völlig vergessen – bis Amerika. Die europäischen Seefahrer waren dabei oft die damals in dieser Kunst am besten bewanderten Italiener, aber kaum auf – 17 – eigene Rechnung, sondern vielmehr in Diensten der Anrainerstaaten: Portugiesen, Spanier, Engländer, Franzosen. Später kamen auch die Niederländer dazu und mit ihnen die eigenständige nordische (wikingisch-hanseatisch-friesische) Seefahrtstradition. Im Rahmen dieses Prozesses sollen drei Jahreszahlen und damit verbundene Ereignisse kurz diskutiert werden: das unterschätzte 1434, das überschätzte 1492 und das symbolische 1522. 1434 gelang einem portugiesischen Seefahrer namens Gil Eanes etwas damals Unglaubliches, das uns heute völlig zu Unrecht als Kleinigkeit gilt: er umfuhr das Kap Bojador an der marokkanischen Küste. Dieses Kap zeichnete sich durch weit in den Ozean hinausreichendes Flachwasser und Gegenströmungen aus, die Gerüchte von zähflüssigem und kochendem Meer und von Ungeheuern nährten. Um es zu umfahren, mussten die damals nur in der Kunst der Küstenschifffahrt geübten Portugiesen weit außer Sicht der flachen Küste um eine riesige Sandbank herumfahren und dahinter das Festland wieder finden. Mehr als ein Dutzend Versuche waren bereits gescheitert, ehe Eanes mit dem Erfolg nach Hause zurückkehrte. Die Umsegelung des Kaps sorgte für ein zügiges Weiterfahren, auch wenn die Portugiesen betont langsam und sorgsam vorgingen und einige Jahrzehnte brauchten, bis sie erstmals den Äquator überquerten. Der Weg nach Indien war aber geebnet und sein Erreichen war nur noch eine Frage der Zeit. Was 1492 geschehen ist, darf – bezeichnend genug – als bekannt vorausgesetzt werden. Dass es auch das Jahr der Eroberung der letzten muslimischen Besitzungen auf der iberischen Halbinsel war und damit das Jahr des Abschlusses der Reconquista (der „Rückeroberung“ der iberischen Halbinsel von den Mauren, die sie 711-18 erobert hatten), ist weniger bekannt, vielleicht aber wichtiger. Denn das Unternehmen des Kolumbus wird zweifellos in seiner historischen Bedeutung überschätzt, vor allem weil der längst allgemein ausgebrochene Drang auf die Meere in absehbarer Zeit sicher zur „Entdeckung“ Amerikas geführt hätte. Dass es letztlich Kolumbus war, ist für ihn persönlich sehr bedeutend und für Spanien nicht unwichtig, historisch aber belanglos. 1522 schließlich ist speziell für die Globalisierung von großer symbolischer Bedeutung, wenngleich dieses Jahr praktisch noch weniger wichtig als 1492 ist. In diesem Jahr kam in Südspanien ein Schiff mit nicht einmal 20 Personen an Bord an, dessen Ankunft als „Magellans Weltumsegelung“ in die Geschichte eingehen sollte. Ironischerweise war der (übrigens portugiesische) Namensgeber längst nicht mehr an Bord, sondern bei einem Scharmützel mit Einheimischen auf den späteren Philippinen ums Leben gekommen. Zudem war das Unternehmen nicht als Weltumsegelung angelegt, sondern vielmehr ging es um die Suche nach einem alternativen Seeweg nach Indien über den Westen. Symbolisch wichtig wird dieses Ereignis mit dem originellen Namen aber dadurch, dass es empirisch durch Versuch nachwies, dass die Erde ein Globus ist. Man kann sie umrunden. Das anerkannten die meisten Gelehrten zwar längst und größtenteils schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts, doch hat der Beweis eine eigene Qualität. Der koloniale Startschuss: Portugal und Spanien Die ersten globalen Kolonialmächte waren daher Portugal und Spanien. Was ihren Charakter als globale Mächte ausmachte, waren nicht zuletzt drei Verträge, mit denen sie sich die Erdkugel aufteilten. Folge war eine massive und sehr gewaltsame Kolonisierung von Amerika durch Spanien und von Brasilien durch Portugal, die viele Millionen Opfer forderten. Afrika fiel in den Einflussbereich von Portugal, wurde aber nur durch einige Stützpunkte und über seine Inseln kolonisiert, vor allem für den organisierten Menschenraub. Der Indische Ozean fiel ebenfalls den Portugiesen zu, dort dienten die zahlreichen Stützpunkte vor allem dem Erwerb von und dem Handel mit Gewürzen, mit denen in Europa ebenso wie in Asien hohe Gewinne zu machen waren. Umstritten war das Gebiet des heutigen Indone– 18 – sien, wo die Philippinen von Spanien beansprucht wurden, die eigentlich interessanten „Gewürzinseln“ (die Molukken) aber von Portugal. Grund für diese Aufteilung war die chronische Finanzmisere des spanischen Königs Karl, der 1529 sogar seine „Eventualansprüche“ (also Ansprüche, die er vielleicht aufgrund von Verträgen haben könnte) auf die Molukken verkaufte. Ab 1530 war damit die Welt geteilt zwischen zwei europäischen Mächten, die in Übersee Stützpunkte unterhielten. Respekt vor den vertraglich fixierten Grenzen war letztlich keine Frage solcher Verträge (speziell in Ostasien), sondern eine Frage der verfügbaren militärischen Ressourcen. Und da hatte das auf Amerika konzentrierte Spanien denn doch zu wenige, um das in Asien gut organisierte Portugal dort ernsthaft herauszufordern. „Ein Reich, in dem die Sonne nie untergeht“ Doch schuf Spanien innerhalb der folgenden Jahrzehnte ein Reich, in dem sprichwörtliche „die Sonne nie unterging“. Mit der Landnahme auf den nach dem spanischen König Philip I. benannten Philippinen, dem Nachfolger von Carlos I., der als Karl V. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Vertreter einer paneuropäischen, geradezu universellen, weil christlichen Reichsidee war (daher auch sein Kampf gegen die Reformation), war es vervollkommnet. Es bestand zwar nur aus wenigen Stützpunkten und sehr, sehr vielen Ansprüchen auf dem Papier, doch schien tatsächlich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf irgendeinen Punkt in diesem Reich die Sonne. Es spannte sich von den Philippinen über Europa und die Kanaren bis Amerika mit Acapulco als seinem damals westlichsten Ausläufer, dem Starthafen der so lukrativen und berühmten Manila-Galeone über den Pazifik, die längst ununterbrochene Seestrecke des Segelschiffzeitalters. Mit dem portugiesischen Kolonialreich verhielt es sich fast gleich. Es reichte von Brasilien über Portugal und einige afrikanische Stützpunkte bis Indien und Macao in China. Ins Extreme gesteigert wurde diese Metapher des ewig von der Sonne (und damit implizit vom Glück) beschienenen Reiches, als 1581 Spanien und Portugal durch eine Personalunion vereinigt wurden. Damit kann sich die Globalisierungsdiskussion erstmals wirklich auf den Globus beziehen und sofort geht es um die Lenkung dieses Ausgreifens auf den Globus, es geht darum, den Prozess als von Menschen bestimmt zu zeigen, ihn zur Globalisierung im eigentlichen Sinn zu machen. Einige dieser Menschen waren die Finanziers der Globalisierung, Bankiers wie etwa die Familie Fugger (siehe dazu den Beitrag von Matthias Neeff und Tobias Rüf in diesem Band). Vom Globus zur Globalisierung Portugal und Spanien: Globalisierung durch Verträge Portugal und Spanien waren auch die ersten, die diesen Prozess ins Laufen brachten, und zwar durch drei Verträge mittels denen sie die Welt aufteilten. 1479 wurde der Vertrag von Alcacovas geschlossen und darin vereinbart, dass die lange umkämpften und als strategisch wichtig angesehenen Kanarischen Inseln Spanien gehören sollten und die Inseln und Küsten südlich davon (also praktisch ganz Afrika) Portugal. 1494 folgte der Vertrag von Tordesillas, der dieser Nord-Süd-Grenze auch eine Ost-West-Grenze quer durch den Atlantik hinzufügte. Nach diesem Vertrag gehörte alles Land westlich der Azoren Spanien (abgesehen von Brasilien), alles Land östlich Portugal. Beide Geschäfte zeigen, dass Portugal damals noch eine zumindest ebenbürtige Macht war, denn der sichere Ertrag im Osten wurde ihm zugeschlagen, der unsichere im Westen Spanien. Doch auch Spanien gewann letztlich, denn vorher hatte es nichts. – 19 – Untermalt wurden diese Ansprüche stets vom Papst, der Portugals Ansprüche auf Afrika bereits 1455 erstmals anerkannt hatte und Spaniens Ansprüche auf Amerika 1493. Der Papst war zu dieser Zeit bekannt dafür, mit dem Eigentum anderer Menschen recht sorglos zu verfahren, in diesem Fall der Bewohner Afrikas und Amerikas. Er fühlte sich dabei im Recht, denn der römische Kaiser Konstantin, der im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich erhoben hatte, hatte anlässlich dessen den Westteil des Reiches dem Bischof von Rom zum Geschenk gemacht. Diese so genannte „Konstantinische Schenkung“ – das Dokument ist eine plumpe Fälschung aus dem 8. Jahrhundert – bildete die Basis für den nun artikulierten Rechtsanspruch des Papstes weit über das alte römische Westreich hinaus: im 15. Jahrhundert sah sich der Papst als Besitzer über alles Land im Westen, also auch die afrikanische Küste, die atlantischen Inseln und in weiterer Konsequenz Amerika. Dieses Gebiet verschenkte er nicht unbedingt an die Entdecker, sondern an weltliche Herrscher seiner Wahl, und da hatten die glaubenskämpferisch veranlagten Könige von Spanien (bzw. von Kastilien) und Portugal gute Karten. Der Schritt zur endgültigen Globalisierung vollzog sich fünfunddreißig Jahre später nach der ersten Weltumseglung. 1529 wurde in Zaragoza ein dritter Vertrag geschlossen, der die im Atlantik bereits gezogene Grenze durch den Pazifik verlängerte, der einschließlich der Philippinen an Spanien fiel. Es umspannte nun erstmals eine Grenze den Globus und der Erdball war zwischen zwei kleinen europäischen Randstaaten aufgeteilt, ehe diese Teilung durch die Personalunion nur noch eine formelle war. Aber das ist im Hinblick auf Globalisierungstendenzen ohnehin weniger wichtig, als dass sie in den folgenden Jahrzehnten schrumpften, vor allem das portugiesische. Die Niederlande und der erste Weltkrieg: Globalisierung durch Krieg Die militärische, politische und ökonomische Überlegenheit dieser beiden Länder hielt nämlich nur ein Jahrhundert. Der Widerstand gegen diese Hegemonie entlud sich schon im 16. Jahrhundert, besonders folgenschwer in den damals spanischen Niederlanden (sie waren als burgundisches Erbe an die Habsburger gefallen und damit seit 1519 ebenfalls Teil des Weltreichs Karls V.). Deren Süden (das heutige Belgien) blieb bis 1713 spanisch, der Norden aber löste sich weltlich und geistlich. Die mehrheitlich protestantischen Niederlande brauchten dazu letztlich einen Jahrhundertkrieg von den 1560er bis in die 1660er Jahre, der überdies der erste Weltkrieg im eigentlichen Sinn war. Denn die Kämpfe in diesem Krieg wurden auf allen Kontinenten ausgefochten: in der Karibik plünderten die Niederländer eifrig spanische Galeonen und bedrohten die Stützpunkte, in Brasilien eroberten sie den Großteil der portugiesischen Kolonie für zwanzig Jahre, ebenso verfuhren sie in Afrika mit den meisten portugiesischen Stützpunkten, wo sie außerdem dauerhaft in den Sklavenhandel einbrachen und schließlich etablierten sie nicht nur eine eigenständige Präsenz im Indischen Ozean (in Batavia auf Java), sondern bedrohten und eroberten auch dort die Prunkstücke des portugiesischen Netzwerkes – teilweise freilich erst, nachdem der Freiheitskampf 1648 im Rahmen des Westfälischen Friedens formell abgeschlossen wurde. Dieser Krieg endete letztlich 1661 mit dem Frieden zwischen den Niederlanden und dem seit 1640 wieder selbständigen Portugal. Die Niederlande hatten bis auf Goa und Macao praktisch den gesamten portugiesischen Besitz dort an sich gebracht, Portugal blieb dafür in Brasilien siegreich. Zu dieser Zeit waren die Niederlande auch sonst längst selbst zu einem globalen Imperium geworden. Sie hatten Besitzungen in der Karibik, hatten sich in West- und Südafrika festgesetzt und unterhielten in Asien ein ebenso weit verzeigtes Stützpunktnetz wie zuvor die Portugiesen, dessen Schwerpunkt Indonesien war. Schließlich gelang es dem Niederländer Tasman, als „Entdecker“ Australiens, des letzten noch unbekannten bewohnbaren Erdteils in die Geschichte einzugehen. – 20 – England und die Handelskompanien: Globalisierung durch Kaufleute Ein anderer europäischer Randstaat entwickelte sich ebenfalls im 16. Jahrhundert zu einer aufstrebenden Weltmacht. Die Herrschaft der Dynastie der Tudors (von Henry VIII. bis Elizabeth I.) verschaffte dem Land diesen Aufstieg, auch wenn er auf früheren Entwicklungen aufsetzte und auch eine gehörige Portion Zufall dabei eine Rolle spielte. Jedenfalls erschienen die Engländer als zweite Seemacht an Amerikas Küsten, sorgten schon bald in der Karibik für Unruhe unter den Spaniern (wobei die Spanier sie „Piraten“ nannten, sie selbst zogen „Freibeuter“ vor) und waren auch in Asien bald präsent. Francis Drake war der zweite Weltumsegler der Geschichte, bereits Ende des 16. Jahrhunderts hatte England eine Seemacht, die auf den Weltmeeren Präsenz zeigen und die spanische Armada besiegen konnte, und auch das britische Kolonialreich war schon im 17. Jahrhundert global, es bestand aus Siedlungskolonien in Nordamerika, Stützpunkten in der Karibik, Sklavenstationen in Afrika und Handelskolonien in Asien. Besonders bemerkenswert war England auch wegen der erfolgreichsten Handelskompanie in der Geschichte. Zwar waren die Niederländer etwas früher mit der V.O.C. (der Vereinigten Ostindischen Kompanie) aktiv und im 17. Jahrhundert auch erfolgreicher, doch war die East India Company im 18. Jahrhundert führend und schließlich das Vehikel für die britische Kolonialherrschaft an vielen Plätzen, allen voran Indien, dem wichtigsten dieser Plätze (siehe zu den Kompanien auch den Beitrag von Martin Haitzmann in diesem Band). Interessant sind die Handelskompanien als Frühformen der Aktiengesellschaften nicht zuletzt, weil sie eine andere koloniale Strategie darstellten, als die Herrschafts- und Ausbeutungsstrategie der Spanier oder die Strategie der staatlichen Handelsstützpunkte der Portugiesen. Die Engländer und Niederländer privatisierten das Risiko und einen Teil der Kosten für die koloniale Expansion und verzichteten dafür im Gegenzug für eine sichere Rente auf den unsicheren und dafür deutlich höheren Gewinn. Doch achteten die privaten Betreiber fast noch akribischer als die staatlichen auf die Monopolisierung ihrer Einflusssphären. Ergebnis waren verschiedene Globalisierungen, denn jedes Kolonialreich war im merkantilistischen Geist eine abgeschlossene Welt für sich: das englische, das niederländische, das französische, das spanische, das portugiesische und das dänische. Doch waren die interessanten Handels- und Siedlungsplätze angesichts der beschränkten Ressourcen all dieser europäischen Staaten auf dem Globus beschränkt und daher kam es oft zu kriegerischen Zusammenstößen zwischen ihnen auf den Überlappungsfalten, vor allem in der Karibik, in Westafrika und in Indien. Frankreich und der zweite Weltkrieg: Konkurrenzierende Globalisierungen Frankreich war selbst im Vergleich mit England und den Niederlanden, die ein Jahrhundert nach Spanien und Portugal auf der globalen Bühne erschienen, ein Spätstarter. Zwar waren französische Schiffe früher aktiv, Siedlungen entwickelten sich aber langsamer und die Handelskompanie (die im Gegensatz zu den „ostindischen“ Kompanien der Konkurrenten global ausgerichtete Companie des Indes) war erst im 18. Jahrhundert wirklich in den Vordergrund getreten. Doch hatte Frankreich nach dem in Europa erfolgreich verlaufenen Spanischen Erbfolgekrieg (1700-13) ein nicht weniger globales Reich: eine weit ausgedehnte Siedlungskolonie im Amerika (von Quebec bis Nouvelle Orleans), Zuckerkolonien in der Karibik, Sklavenkolonien in Afrika und vier Stützpunkte in Indien. Auf all diesen Schauplätzen musste Frankreich mit dem dort ebenfalls expandierenden England (ab 1707 Großbritannien) in Konflikt geraten. Es kam daher ständig zu Konflikten, speziell in Nordamerika und Indien, ebenso wie sich England in ständige, wenngleich letztlich erfolgreiche Kriege mit den Niederlanden verwickeln ließ. Das galt schlussendlich – 21 – auch für den zweiten Weltkrieg zwischen Großbritannien und Frankreich, der allgemein als Siebenjähriger Krieg bekannt ist (obwohl er von 1754 bis 1763 und damit neun Jahre dauerte). Auch dieser Krieg hatte Schauplätze auf allen Kontinenten, vor allem in Nordamerika, wo sich die Briten schließlich entscheidend und nach hartem Kampf durchsetzten und Kanada besetzten. Die Folgen dieses Krieges waren aber weitreichender und auf den beiden wichtigsten außereuropäischen Schauplätzen eindeutig: Frankreich verlor alle seine Festlandbesitzungen in Nordamerika an Großbritannien und jeden Einfluss in Indien, wo sich nun die britische Expansion im Laufe eines Jahrhunderts bis zur Kontrolle über praktisch den gesamten Subkontinent ausbreiten konnte. Kaum bekannt ist freilich, dass Frankreich noch heute einige Kanada vorgelagerte Inseln besitzt und schließlich sogar in Indien länger als Großbritannien präsent war. Seine vier Stützpunkte dort behielt es und übergab sie erst 1954 an die Indische Union. Als die Kinder laufen lernten: Globalisierung als Exportprodukt Doch konnte sich Großbritannien über den Erfolg in Amerika nicht lange freuen. Bereits zwölf Jahre nach der Vereinigung der „alten“ Kolonien an der Ostküste mit Kanada und dem Territorium von „Louisiana“ kam es 1775 zu einem „Kontinentalkongress“ in Philadelphia, auf dem Ruf nach Autonomie vom britischen Parlament und seinen Besteuerungsbemühungen erhoben wurde und der binnen Jahresfrist in eine Unabhängigkeitserklärung von dreizehn Kolonien samt dazugehörigem Krieg mündete. Bis 1781 waren die entscheidenden Schlachten gewonnen, 1783 kam es im Vertrag von Paris zur Loslösung der Kolonien als „Vereinigte Staaten von Amerika“ vom Mutterland. Ausgerechnet die gerade erst erworbenen Besitzungen in Kanada blieben loyal zu Großbritannien. In Lateinamerika machte dieses Beispiel Schule. Zwischen 1810 und 1830 errangen alle ehemals spanischen Festlandkolonien in Mittel- und Südamerika die Unabhängigkeit vom Mutterland, ebenso wie Brasilien von Portugal. Letztlich blieb es zwar den USA vorbehalten, nach einem Jahrhundert der Aufbauarbeit selbst zu einer Quelle der Globalisierung zu werden, doch waren auch diese lateinamerikanischen Länder eine wichtige Kraft, indem sie die Schlingen des Merkantilismus durchbrachen und sich dem Weltmarkt öffneten. Vor allem aber Argentinien mit seinen Agrargütern (Rinder, Getreide) und Brasilien mit seinen Luxusgütern (Kaffee, Kautschuk), sowie Kanada und Australien, ehemals britische Kolonien, die noch im 19. Jahrhundert faktisch selbständig wurden, trieben diesen Prozess mit vergleichsweise billigen Produkten weiter voran. 1803 bis 1903 Das Napoleonische Zeitalter Doch so weit sind wir noch nicht. Noch befinden wir uns im 18. Jahrhundert und allerorten herrschen merkantilistische Beschränkungen und Monopole. Noch waren Kriege eine wichtigere unmittelbare Kraft der Globalisierung, als die Wirtschaft, auch wenn hinter den Kriegen wirtschaftliche Interessen standen. Mit der Niederlage im Weltkrieg von 1754-63 war für Frankreich jedenfalls der Konflikt mit Großbritannien (der ja eigentlich seit der Schlacht von Hastings 1066 tobte), nicht ohne weiteres vorbei. Napoleon I machte sich im Gefolge der Französischen Revolution (1789-92) als Kaiser der Franzosen an die Unterwerfung der bekannten Welt, wobei er sich nach dem Scheitern seiner Ambitionen in Amerika und seines Ägyptenabenteuers konsequent der „Befriedung“ Europas zuwandte. Es war ihm zweifellos ein Anliegen, die Ideale der Aufklärung in die „finsteren“ europäischen Monar– 22 – chien zu tragen, doch betrieb er dieses „pazifistische“ Projekt höchst kriegerisch und scheiterte damit schließlich 1815 katastrophal. Zuvor freilich war er einer „Globalisierung“ in Form einer politischen Vereinigung der vordringlich interessanten Welt (also Europas) entweder unter seiner Krone oder der von Verwandten, einer Art familieninternen „Europäischen Union“ der Monarchen und der Gewalt, recht nahe gekommen. Österreich und Preußen waren geschlagen, Spanien, die deutschen und italienischen Länder praktisch erobert, Großbritannien und Russland geschwächt. Doch war das Vorhaben zu ambitioniert und überspannt und brach daher in sich zusammen. Im Wiener Kongress ordneten die Monarchen Europa in seltener Einigkeit neu und schufen damit – wenngleich ganz anders als vom Schöpfer des einflussreichen und schließlich nachhaltiger als seine politischen Pläne wirkenden Code Civil beabsichtigt – ein friedlicheres Europa. Innereuropäische Kriege gab es während des gesamten 19. Jahrhunderts nur wenige und zudem kurze (der wichtigste war der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71), freilich um den Preis eines repressiven Klimas und damit innerer Zerrüttung, wie sie in den großen Aufständen von 1830 und 1848 zum Ausdruck kam. Freilich war das bereits durch die Industrielle Revolution und ihre sozialen Folgen mitverursacht. Aufstieg des Britischen Empire Zu beidem, dem Frieden zwischen den Staaten wie den sozialen Spannungen, erheblich beigetragen hat gerade Großbritannien mit seiner Ausgleichspolitik auf dem Kontinent und den Weltmeeren, wo die Macht der damals größten Marine der Weltgeschichte unangefochten war. Doch entfaltete sich durch diese relative Ruhe in Europa auch der britische Imperialismus voll und erfasste bisher kaum berührte Weltgegenden. Neben dem Kronjuwel des Empire, Indien, das bereits um 1820 dominiert und teilweise besetzt, letztlich aber erst in den 1870er Jahren völlig unterworfen war, füllten die Briten Lücken in Amerika und im Pazifik, sie drangen in Afrika langsam vor, vor allem aber betätigten sie sich in Asien an mehreren Fronten. Deren wichtigste war die Öffnung Chinas, die durch den Opiumkrieg von 1842 erfolgte, als das „Reich der Mitte“ gezwungen wurde, seine Selbstisolation aufzugeben und sich dem europäischen Handel zu öffnen (zehn Jahre später folgte unter USamerikanischer Führung auch Japan). Im Laufe des 19. Jahrhunderts jedenfalls etablierte sich Großbritannien aufgrund seiner großen maritimen Dominanz als führende militärische Weltmacht und es etablierte sich unterstützt von dieser Macht durch seine fortschrittliche Industrie auch als Vorkämpfer des Freihandels und wirtschaftliche Weltmacht. Als konkurrenzfähigster Produzent von verarbeiteten Waren konnte sich Großbritannien den Freihandel auch leisten, konnte es doch davon am meisten profitieren. Es zahlte freilich auch den Preis, nicht nur in Form hoher Militärausgaben, sondern vor allem in Form unzufriedener Landbesitzer: Freihandel bedeutete auch billige Lebensmittel aus dem Ausland, was zwar gut für die arbeitenden Massen war und deren Lebensstandard hob, aber schlecht für den Landadel, dessen Profite stark litten. Kevin O’Rourke und Jeffrey Williamson haben gezeigt, dass es im 19. Jahrhundert tatsächlich zu einer Öffnung des britischen Marktes gekommen war. Eine ökonometrische Analyse hat gezeigt, dass vor 1828 die ökonomischen Entwicklungen in Großbritannien noch durch die Verhältnisse am Binnenmarkt bestimmt wurden, während es nach 1828 bereits der Weltmarkt war und der Binnenmarkt keinen entscheidenden Einfluss mehr ausübte (vgl. O’Rourke/Williamson 2002). – 23 – Kolonialimperien und Liberalisierung Folge dieser Vorreiterrolle Großbritanniens war vor allem zweierlei: erstens kam es zu einer Welle der (relativen) Liberalisierung des Handels zwischen den wichtigen Wirtschaftsmächten dieser Zeit und ihren Kolonialimperien, der Merkantilismus war überwunden; zweitens und damit zusammenhängend bildete sich insbesondere eine atlantische Wirtschaft, im Rahmen derer vor allem die USA stark in diesen Kreislauf einbezogen wurde, sodass sich dies- und jenseits dieses Meeres sogar eine Art gemeinsamer Arbeitsmarkt bildete. Begleiterscheinung dieses Prozesses auf der Ebene des Warenhandels war der Goldstandard als flankierendes Weltwährungssystem, dem bis Ende des 19. Jahrhunderts alle wichtigen Länder beitraten. Trotzdem freilich blieben abgesehen von Großbritannien, dessen Industrie in beinahe allen Bereichen führend und das das kapitalkräftigste Land war, die Zölle aufrecht. Ab den späten 1870er Jahren stiegen sie sogar wieder, noch ehe sich größere Auswirkungen auf den Weltmarkt zeigen konnten. Grund dafür war der steigende Nationalismus und eine Welle der Protektion, die man zum Aufbau eigener, konkurrenzfähiger Industrien einsetzen wollte (Schutzzollargument). Die eigentliche Globalisierung, eine „erste Welle“ wie sie viele nennen, begann damals aber erst. Mit Knut Borchert kann man daher speziell im Vergleich mit der Globalisierungswelle des 20. Jahrhunderts festhalten, dass es weniger die wirtschaftliche Liberalisierung als vielmehr die Produktions-, Transport- und Handelsrevolution war, die Globalisierung ausgelöst hat (vgl. Borchardt 2001). Produktions-, Transport- und Handelsrevolution Die Produktionsrevolution erstreckte sich auf die Methode der Produktion, die im späten 18. Jahrhundert ausgehend von Großbritannien eine industrielle im heutigen Sinn wurde. Fabriken zur Massenfertigung wuchsen aus dem Boden, wobei die Arbeiter in der Regel zu Niedrigstlöhnen beschäftigt wurden. Mit dieser Industrialisierung in Europa (und den USA) ging aber zugleich eine fortschreitende Deindustrialisierung in vielen außereuropäischen Ländern einher, vor allem in China und Indien sank gemessen pro Kopf und relativ betrachtet die industrielle Produktion sogar ab. Diese Länder konzentrierten sich infolge ihrer Nachteile in der Produktivität verstärkt auf die Erzeugung von Rohstoffen. So wurde im 19. Jahrhundert aus einer anfangs relativ gleichmäßig industrialisierten Welt (eigentlich einer fast ausschließlich agrarischen) zum Ende dieses Jahrhunderts eine ungleiche Welt mit Ländern wie Großbritannien, den USA, Deutschland oder Frankreich, die bereits den größeren Teil ihres Volkseinkommens aus industrieller Produktion schöpften und vielen anderen, die agrarisch blieben. Folge waren steigende Einkommensunterschiede in der Welt (vgl. Maddison 2002, S 44ff oder Baldwin/Martin 1999, S 11ff). Die noch heute zu beobachtende Einkommensschere zwischen Arm und Reich ging auf der Ebene von Staaten in der Geschichte erstmals auf, wenngleich es sie bei Individuen schon viel länger gegeben hat. Mit dieser Produktionsrevolution ging eine Transportrevolution einher, teils ging sie ihr voraus, teils folgte sie ihr auf dem Fuße. Vor allem mit der Eisenbahn und dem Dampfschiff wurden der Land- und Seeverkehr revolutioniert, die Transportkosten und -zeiten sanken erheblich. Die Folge dieser Entwicklung war sehr weitreichend, denn – wie etwa Kevin O’Rourke und Jeffrey Williamson darstellen – erstmals in der Geschichte bildete sich ein Weltmarkt für bestimmte Produkte. Die Preisdifferenzen zwischen Amerika und Europa sanken ebenso wie die Differenzen zwischen Asien und Europa und auch die Kosten innerhalb der Länder und Kontinente wurden geringer (vgl. O’Rourke/Williamson 1999, S 29ff). Mit dem Suezkanal und dem Panamakanal wurden zudem die größten Hindernisse auf dem Weg um die Weltmeere beseitigt, das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika und das Kap – 24 – Hoorn in Südamerika. Die Zeiten für den Transport von Menschen und Gütern schwanden teils auf die Hälfte, durch die Kontinente sogar noch stärker (von New York nach San Francisco zwischen 1850 und 1880 etwa von vier Monaten auf weniger als zwei Wochen), für den Transport von Nachrichten mittels Telegraphenleitungen und Tiefseekabeln von mehreren Wochen auf wenige Minuten. Was um 1500 mindestens ein Jahr gedauerte hätte und 1850 jedenfalls viele Wochen, wurde nun innerhalb eines Tages möglich: aus Indien eine Antwort auf eine geschäftliche Anfrage zu erhalten. Damit war der Weg für eine Handelsrevolution bereitet, der Güterverkehr auf den Weltmeeren stieg ebenso wie die Außenhandelsquote fast aller Länder explosionsartig an. Der Großteil des Handels beruhte dabei auf dem Austausch gegenseitiger Mangelgüter: die neuen Industrien lieferten Fertigprodukte in alle Welt, diese Welt lieferte Nahrungsmittel zur Ernährung der Arbeiter und Rohstoffe für die Produktion zurück. Damit hing das System der Kapitalströme eng zusammen, denn der Großteil des Kapitals floss aus den reichen Ländern in die wenig industrialisierten und half dort dabei, selbst eine konkurrenzfähige Produktion (sei es von Primärgütern, sei es von Halbfertigwaren) aufzubauen (vgl. Baldwin/ Martin 1999, S 34ff). Ermöglicht wurde dieser Strom, der relativ betrachtet größer war, als heutige Kapitalströme es sind, nicht zuletzt durch ein System fester, aber dennoch anpassungsfähiger Wechselkurse, den Goldstandard. Migrationsströme Ein besonders wichtiger Aspekt dieser Welle waren die massiven Migrationsströme. Millionen von Menschen und damit ein oftmals beträchtlicher Teil (manchmal mehr als ein Zehntel) der Bevölkerungen vieler europäischer Länder wie Irlands, Italiens, Schwedens, Polens oder Portugals suchten ihr Glück in anderen Weltgegenden (vgl. O’Rourke/Williamson 1999, S 122). Folge war eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt in Europa und eine langsame Verbesserung der lange Zeit katastrophalen Lebenssituation der Arbeiter, unterstützt von der Tätigkeit immer mächtiger werdender Gewerkschaften. Gegen Ende des Jahrhunderts war auch China speziell für die USA ein Lieferant von billigen Arbeitskräften. In den Auswandererländern zu verloren daher die „Eingesessenen“ durch die neue Billigkonkurrenz und es kam daher ebenfalls zu sozialen Spannungen. Am absolut stärksten war die Zuwanderung in die USA, wohin im Laufe des 19. Jahrhunderts fast zwanzig Millionen Menschen auswanderten, anfangs vor allem aus Irland und Deutschland, später verstärkt aus Süd- und Osteuropa, vor allem in den 1900er Jahren. Doch gab es auch andere Auswanderungsländer die von diesem Zustrom an Arbeitskräften profitierten, an denen es ihnen bei ihrem Reichtum an Land, Naturschätzen und teils auch schon Kapital so bitter mangelte, vor allem Kanada, Australien, Neuseeland, Argentinien und Brasilien. 1903 bis 2003 Der Höhepunkt der Globalisierung Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Höhepunkt dieser so genannten „ersten Welle“ der Globalisierung erreicht, sehr hohe relative Handels- und Kapitalströme hatten sich zwischen allen Ländern der Welt (nicht nur zwischen Kolonien und Mutterländern) eingestellt, selbst als die Zölle wieder stiegen. Niedrige Transportkosten hatten die Preisunterschiede zwischen den Kontinenten verwischt und speziell Rohstoffe und Nahrungsmittel massiv verbilligt. Die neue Technik der Kühlung erlaubte nun auch den Transport verderblicher Waren über große Distanzen zu Lande und zu Wasser. So konnten sich auch Großstädte geradezu als Sammelstellen solcher Waren entwickelt, wie etwa Chicago in den USA. – 25 – Der erste Rückschlag Die Entwicklung setzte sich aber nicht ununterbrochen fort, sondern erlebte zwei katastrophale Rückschläge. Der erste dieser Rückschläge war jenes Ereignis, das man historisch den „Ersten Weltkrieg“ nennt (der tatsächlich von den Kampfhandlungen her stark auf Europa konzentriert war). Er brach 1914 auf dem Höhepunkt der Globalisierung aus, als sich Nationalismus, Chauvinismus und Technikgläubigkeit ins Unermessliche gesteigert hatten. Seine Folgen waren verheerend: nicht nur wurden Millionen Menschen getötet (viele erst durch unmittelbare Folgen wie die Grippeepidemie von 1919/20 und den Hunger der frühen 1920er Jahre) und ganze Landstriche verwüstet, sondern vor allem das politische und wirtschaftliche Klima vergiftet. Wie gar nicht so selten in der Geschichte machte die angeblich so unaufhaltsame und ewig fortschreitende Entwicklung einfach kehrt und stürzte die ganze Welt in den Strudel der Verwirrung. Damals wurden sogar Hilfspakete von Auswanderern aus Südamerika nach Österreich geschickt, weil der Lebensstandard dort höher war. Die Zölle wurden weiter erhöht und bis etwa 1930 war das liberale Welthandelsregime zerstört und durch auf Autarkie bedachte nationale Einheiten (einige davon waren freilich globale Kolonialreiche) ersetzt. Kapitalverkehrskontrollen wurden wieder eingeführt und der Goldstandard schließlich abgeschafft, nachdem es zu Abwertungswettläufen gekommen war. Migration wurde durch Einwanderungsbehörden fast verunmöglicht. All das gehorchte einem neuen, protektionistischen Paradigma, wonach die Sicherung von eigenem Wohlstand nur auf Kosten des Nachbarn möglich wäre (die so genannte „Beggar-thy-Neighbour“Politik). Folge war ein radikales Absacken der Handels- und Kapitalströme und eine hartnäckige Stagnation der Weltwirtschaft, zwischen 1929 und 1932 in Form einer sehr tiefen und praktisch globalen Wirtschaftskrise, im Zuge derer manche Länder ein Drittel ihres Volkseinkommens einbüßten. Das freilich förderte radikale politische Bewegungen, die Politik und Wirtschaft als Kampf aller gegen alle interpretierten und die schließlich direkt in den zweiten schweren Rückschlag mündeten. Am radikalsten war diese Bewegung in Deutschland, gefolgt von Japan und Italien, aber auch in praktisch allen anderen damals politisch unabhängigen Ländern gab es vergleichbare Strömungen. In Großbritannien, Frankreich und den USA schafften sie es freilich nie an die Schalthebel der Macht, während sie in Ost- und Südeuropa vielfach auch die Regierungsgewalt übernahmen, auch in Österreich. Auf die Spitze getrieben wurden diese Entwicklung, als die ihrem Wesen nach geradezu radikal internationalen Weltanschauungen „Sozialismus“ und „Kommunismus“ in Deutschland in den National-Sozialismus (Hitler) und in der Sowjetunion in den „Kommunismus in einem Lande“ (Stalin) umgedeutet wurden. In diesem Klima hatte die erste ernsthafte politische Institution mit globalem Charakter, der Völkerbund, keine Chance. Der zweite Rückschlag Deliberalisierung, Protektionismus und Wirtschaftskrise führten daher direkt in den verheerenden politischen Totalitarismus, der ausbeuterische Wirtschaftssysteme propagierte und auf fortschreitender Expansion beruhte. Solche Expansionstendenzen führen unweigerlich zum Zusammenstoß mit davon Betroffenen oder anderen Expansionstendenzen. Beides geschah in Europa und führte in den bis dahin totalsten und verheerendsten aller Weltkriege, den man als „Zweiten Weltkrieg“ kennt. Die Expansion des Deutschen Reiches gegen Österreich, die Tschechoslowakei und schließlich Polen führte zum Ausbruch dieses Krieges, der schließlich etwa sechzig Millionen Menschen das Leben kostete, wenigstens ein Zehntel davon im negativen Höhepunkt der Industriellen Revolution, der industriellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern des „Dritten Reiches“. – 26 – Dieser Krieg brachte noch weitere Zerstörungen (vor allem in Deutschland, Japan, Frankreich, Belgien und den Niederlanden) und eine noch weiter reichende Reduktion der Volkseinkommen, abgesehen von den USA, die als einziges Land eine Art Kriegskonjunktur erlebten. Die Folgen waren diesmal aber völlig andere: statt noch weiter steigender Ressentiments folgte eine Art Bekehrung zur Demokratie und das Anerkenntnis der Notwendigkeit, international zusammenzuarbeiten, politisch wie wirtschaftlich. Aufstieg internationaler Institutionen und Golden Age Diese Anerkenntnis führte zu einem wahren Boom für internationale Institutionen. Bereits 1944/45 wurden die Vereinten Nationen (UNO) und zahlreiche Teilorganisationen gegründet. Für die Zukunft besonders wichtig waren dabei die so genannten „Bretton-Woods“Institutionen oder Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs), der Währungsfond (IMF) und die Weltbank (für eine Betrachtung der Rolle des IMF heute am Beispiel Argentinien siehe den Beitrag von David Andersen, Christina Gaio und Christoph Rief in diesem Band), in deren Schoß ein neues Weltwährungssystem fester Wechselkurse entstand, das auf dem USDollar als Leitwährung basierte. Für Europa sorgte nicht zuletzt die Angst vor der Sowjetunion, die bis 1949 den Ostteil des Kontinents durch einen Ring von „Satellitenstaaten“ unter Kontrolle gebracht hatte, für massive Kapitaltransfers aus den USA, die den Namen „Marshall-Plan“ erhielten. Damit wurde die danieder liegende Wirtschaft Westeuropas wieder aufgebaut und konnte in eine Zeit exorbitanter Wachstumsraten eintreten. Das Goldene Zeitalter der Weltwirtschaft, das Golden Age, hatte damit begonnen, in Deutschland erhielt diese Zeit den Namen „Wirtschaftswunder“. Die durchschnittlichen Wachstumsraten dieser Epoche waren unvergleichlich höher als zu jeder anderen historischen Epoche. Vor allem in den Ländern Europas waren die Wachstumsraten des Pro-KopfBIP besonders hoch und betrugen 1950 bis 1973 zwischen 3 und 5 % im jährlichen Schnitt. Weltweit betrug das Wachstum im selben Zeitraum im Schnitt 2,9 %, in Japan war es mit 8 % am höchsten. Diese Raten sanken nach 1973 auf nur noch etwa 2 % (in Europa), etwa 3 % (in Japan) und nur 1,3 % (weltweit). Der so genannten „Kalte Krieg“ zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. deren Stellvertretern begleitete diesen Prozess, die so genannte „Ölkrise“ machte ihm ein Ende. Als Anfang der 1970er Jahre die ölexportierenden Staaten ein Kartell bildeten und den Preis für Rohöl innerhalb kurzer Zeit vervierfachten, gerieten alle ölabhängigen Industriestaaten in Wachstumskrisen, teils begleitet von starker Inflation. Ende der 1970er Jahre wurde der Ölpreis nochmals verdreifacht und der Prozess wiederholte sich abgeschwächt.5 (Neo-)Liberalisierung und Globalisierung Die Reaktion auf diese Probleme war ein politisches Programm, das als Washington Consensus bezeichnet wird, weil es in den Hochburgen der IFIs in Washington erdacht wurde. Politischer Hauptvertreter dieser Richtung waren der US-Präsident Ronald Reagan und die Britische Premierministerin Margarethe Thatcher, die die 1980er Jahre mit ihrem Programm der wirtschaftlichen Liberalisierung, der Privatisierung von Staatseigentum und der Steuersenkung für Reiche die Politik bestimmten. Geistige Väter des Konzepts waren die Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass der Preisverfall bei Rohöl in den 1980er Jahren, der manchen der Exportländer die Hälfte ihres Volkseinkommens kostete, nirgends als „Ölkrise“ bezeichnet wurde, ebenso wie man von einer Schuldenkrise nicht sprach, als sich in den 1970er Jahren viele Entwicklungsländer erstmals hoffnungslos verschuldeten, sondern erst, als 1982 Mexiko seine Zahlungsunfähigkeit erklärte und die Verschuldung damit für die Industriestaaten ein Problem war. 5 – 27 – Monetaristen um Milton Friedman und seine Chicago-Boys. Manche sehen gerade in diesem antikeynesianischen wirtschaftspolitischen Projekt die eigentliche Globalisierung, die gerade so besonders stark als von Menschen gemacht entlarvt werden kann. Der Zusammenbruch des Kommunismus als angeblicher Systemalternative hat zu diesem Erfolg dieses neoliberalen Projekts, das aus der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre geboren worden war, erheblich beigetragen. Dadurch wurde (und wird) der Eindruck verstärkt, es gäbe keine Alternative, die Entwicklung wäre unausweichlich. Zudem wurden dem expansionsbedürftigen kapitalistischen System damit neue Räume in Osteuropa und Russland erschlossen, immer stärker auch in China. Diese Länder öffneten sich dem kapitalistischen Weltmarkt und deren Volkswirtschaften den Regeln der liberalen Marktwirtschaft. Es muss aber ergänzt werden, dass sie Zeit ihres Bestehens in einen Austausch auch mit dem Weltmarkt einbezogen waren, und zwar zu kapitalistischen Bedingungen. Auch wenn man es je nach politischem Standpunkt vielleicht ungern wahr haben will, bestätigten Wahlergebnisse bis in die 1990er Jahre letztlich dieses neoliberale politische Programm in den USA und Europa. Zugleich etablierte sich in Ostasien (Japan, Taiwan, Südkorea) ein Erfolgsmodell, das auf einem starken, in die Wirtschaft eingreifenden und den Außenhandel regulierenden Staat basierte. International aber fuhr der Zug in eine andere Richtung, speziell für Länder, die verschuldet waren (und das waren die meisten) oder keine strategische Bedeutung im Kalten Krieg hatten (und das waren viele). Die Strategie hatte neben den zentralen Inhalten Privatisierung zugunsten transnationaler Kapitalgeber, ausgabenseitiger Budgetsanierung und Umverteilung vom Produktionsfaktor „Arbeit“ auf den Produktionsfaktor „Kapital“ zwei Standbeine: die Einführung eines Währungs-„Systems“ der flexiblen Wechselkurse bereits in den 1970er Jahren und die beschleunigte Liberalisierung des Welthandels durch Intensivierung des GATT-Prozesses. Das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) war bereits 1948 aus der Taufe gehoben wurden und war eines der wichtigsten Vehikel für die beispiellose Reduktion der Zölle und Öffnung der nationalen Märkte nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1970er Jahren war es aber zunehmend in eine Krise gerate und drohte zu zerfallen. Folge war im Rahmen des Washington Consensus eine Neuverhandlung bei der so genannten „Uruguay-Runde“, die 1995 in die Gründung der WTO mündete. Nun hat nicht nur die Politik, sondern auch die Weltwirtschaft erstmals eine internationale Institution (siehe dazu auch den Beitrag von Elisabeth Mauernböck und Gerald Wurzinger in diesem Band, speziell zum Zusammenhang mit Entwicklungsländern). Diese „zweite Welle“ der Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg unterschied sich jedenfalls von der ersten in einigen wesentlichen Punkten. Freilich, einige relative Kennzahlen erreichen ähnliche Ausmaße, die globale Ungleichheit zwischen Staaten steigt weiter und das wirtschaftspolitische Klima ist vergleichbar offen, doch sind wichtige Grundlagen anders. Statt Industrialisierung trug nun eine Deindustrialisierung die Entwicklung, die entwickelten Wirtschaften wandten sich immer mehr von der Produktion ab und dem Dienstleistungssektor zu. Handel und Kapitalverkehr unterscheiden sich ebenfalls deutlich, viel stärker dominieren nun intra-industrielle Muster, das heißt, der Handel spielt sich vorrangig bei relativ ähnlichen Produkten zwischen Industrieländern ab (nach dem Muster deutsche gegen französische Autos) und die bei weitem breitesten Kapitalströme laufen zwischen Industrieländern hin und her. Nicht zuletzt deshalb spielen nun transnationale Konzerne eine wesentlich wichtigere Rolle, der relativ größte Teil der globalen Güter- und Geldströme läuft ja sogar zwischen Tochtergesellschaften solcher Konzerne ab, während die Migration von Menschen heute wesentlich weniger ausgeprägt ist (nicht nur relativ, sondern auch absolut). Zuletzt spielt Kommunikation nun eine größere Rolle. Wenden wir uns zuletzt diesem Faktor zu. – 28 – Kommunikationsrevolution? Während die Transportkosten für Güter und Menschen (abgesehen von Flugreisen) nach 1950 kaum mehr gesunken sind, sind die Kommunikationskosten stark gefallen. Das gilt ganz auffällig für Telefonkosten, die noch während der 1990er Jahren und nicht zuletzt wegen der Liberalisierung der Märkte auf fast nichts geschrumpft sind. Diese Entwicklung wird noch verstärkt, wenn man auch die Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung vergleicht, die heute durch das Internet revolutioniert sind. Selbst das Versenden von großen Datenmengen ist innerhalb von Sekunden und praktisch kostenlos möglich und die vernetzte Struktur schafft die Möglichkeit, viele Menschen gleichzeitig mit Gratisinformationen zu versorgen. Das Internet ermöglicht den weltweiten, relativ unkontrollierten Austausch von Nachrichten, was es zwar schon länger gab (mindestens seit den transozeanischen Telegraphenleitungen), die Reichweite, die Geschwindigkeit, die Datenmengen und die Kommunikationskosten (anders als die Einstiegskosten) sind freilich historisch einzigartig. Der Vergleich mit den Kosten und Möglichkeiten auf dem Postweg oder den üblichen Publikationskanälen macht die Entwicklung deutlich. Doch sollte man die „Globalität“ dieser Entwicklung nicht überschätzen, bloß weil man selbst mit diesem qualitativ neuen Medium vertraut ist. Denn wer kommuniziert eigentlich mit den Möglichkeiten der modernen Massenmedien mit wem? Nicht nur stehen diese Medien größtenteils unter der Kontrolle einiger weniger globaler Konzerne – was zwar ein Indiz für Globalisierung ist, aber keine sehr wünschenswerte Entwicklung, denn Konkurrenz ist schließlich eine Grundlage des Wohlstandes durch Kapitalismus – sondern auch deren Reichweite ist weit beschränkter, als man meint. Der Betrieb der meisten dieser Medien ist von der Verfügbarkeit von Elektrizität abhängig, die global alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, vor allem in Afrika. So ist ein großer Teil Afrikas nicht nur vom ohnehin passiven Medium „Fernsehen“ ausgeschlossen, sondern noch mehr vom „Internet“, das überdies vor allem für seine aktive Nutzung bestimmte Fähigkeiten im Umgang mit Computern erfordert – und das auf einem Kontinent, wo selbst Grundschulbildung für viele immer noch ein Luxus ist. Das gilt aber nicht nur für Afrika, sondern auch für viele Teile der so genannten entwickelten Welt. Wie viele Menschen, die über 65 Jahre alt sind, nutzen denn das Internet6 und mit wem kommunizieren sie, falls ja? Das Internet verstärkt damit in gewisser Hinsicht die globale Ungleichheit, auch wenn es andererseits ironischerweise gerade für die so genannten „Globalisierungsgegner“ das wichtigste Kommunikationsmedium geworden ist. Das Fernsehen als eines der ersten eigentlichen Massenmedien von globaler Dimension wäre ein weiterer Aspekt dieser Kommunikationsrevolution, auch wenn es sich immer öfter durch eine Zerstreuung des Angebots und eine Nivellierung des Niveaus nach unten selbst ad absurdum führt. Damit sind wir beim Thema „Weltöffentlichkeit“, die nicht nur durch das Internet, sondern vor allem durch ein globales Nachrichtenwesen und eine durch das fast überall präsente Fernsehen garantierte Verbreitung dieser Nachrichten entsteht. Auch dieser Prozess ist zweischneidig, denn gerade dieses Medium ist in besonderem Maße von der industrialisierten Welt, vor allem von Medienkonzernen aus den USA, Großbritannien und Deutschland kontrolliert. Entsprechend gestaltet sich der Inhalt dieses „Infotainment“.7 Die Bedürfnisse der Konsumenten in Nordamerika, Europa und Japan sind übermächtig, während die Bedürfnisse der Afrikaner, Lateinamerikaner oder Araber kaum vorkommen und selbst Menschen aus diesen Regionen meist nur in Form von Stereotypen. Antwort laut Statistik Austria: 3 % in Österreich, der Schnitt über alle Altersgruppen liegt bei 37 %. Eine Wortschöpfung aus „Information“ und „Entertainment“, die auf den doppelten Charakter der dabei vermittelten Botschaft als „Nachricht“ und „Unterhaltung“ abstellt. 6 7 – 29 – Eine weitere zweischneidige Erscheinung, die mit Globalisierung zusammenhängt, ist eine unbestreitbare Entwicklung der letzten Jahrzehnte: der internationalen Massentourismus, bei dem Millionen von Menschen aus entwickelten Ländern die nicht-entwickelten Länder und ihre Menschen bereisen. Dennoch gehört auch diese Art von „Kommunikation“ in das Gesamtbild und verstärkt den Eindruck des unmittelbar Neuen an der aktuellen Globalisierungswelle. In Europa begann das Zeitalter des Massentourismus bereits in den 1960er Jahren, weltweit in den 1980er Jahren, so dass heute eine Reise auf die Malediven, in die Karibik oder nach Indonesien zur billigen Massenware geworden ist, während sie 1970 noch eine teure und aufwendige Abenteuerreise gewesen war. Was also ist Globalisierung? Gängige Begriffsbestimmungen und verschiedene Wellen Fügt man die Begriffsbestimmungen zusammen, die am häufigsten explizit oder implizit in Diskussionen zum Thema Globalisierung vorkommen, kann man sie als „verstärkte Interdependenz und transnationale, grenzüberschreitende Integration politischer, wirtschaftlicher und kultureller Prozesse“ bezeichnen. Tut man das, dann bräuchte es dreierlei, damit Globalisierung vorliegt: erstens eine „Steigerung“ der gegenseitigen Abhängigkeit, was eine in der Geschichte zumindest in Friedenszeiten ständig zu beobachtende Konstante von Wachstumsprozessen ist; zweitens aber braucht es „Nationen“ und „Grenzen“, denn sonst kann man beides nicht „überschreiten“, ersteres gibt es aber nicht einmal vereinzelt vor dem 15. Jahrhundert und verbreitet erst seit dem späten 19., letzteres gibt es teils seit dem 13., in Europa verbreitet ab dem 17. und global ebenfalls erst seit dem späten 19. Jahrhundert; drittens braucht es solche Veränderungen sowohl in der Politik, wie in der Wirtschaft und in der Kultur, das freilich ist wieder eine Konstante, denn Veränderungen in diesen Bereichen treten nie isoliert auf und beeinflussen sich gegenseitig, ja historisch betrachtet wurden diese Sphären viel häufiger zusammen gedacht als in ihrer künstlichen Trennung, in Europa wenigstens bis ins 14. Jahrhundert. Eine solche Begriffsbestimmung deutet daher auf die Absicht hin, die Diskussion auf das 20. Jahrhundert beschränken zu wollen, implizit oder explizit sogar die weltwirtschaftliche Umbruchsituation in den 1970er Jahren. Eigentlich aber öffnet sie die Diskussion für die „erste Welle“ zum Ende des 19. Jahrhunderts, weil alle Grundlagen der Begriffsbestimmung damals schon vorlagen. Nach Richard Baldwin und Philippe Martin gibt es sechs wichtige Unterschiede zwischen dieser und der aktuellen Welle seit etwa 1950 (vgl. Baldwin/Martin 1999, S 52ff): 1. Die Ausgangsposition ist grundlegend anders: die zweite Welle startete mit den Einkommens- und Strukturunterschieden einer durch Kolonialismus und die erste Globalisierungswelle veränderten Welt, während die erste auf einer einigermaßen gleichen Welt mit relativ geringen Unterschieden an Macht, Technik und Wirtschaftskraft aufsetzte. 2. Die Interdependenz im internationalen Wirtschaftssystem ist in der zweiten Welle wesentlich größer, ebenso der Institutionalisierungsgrad von Weltpolitik und Weltwirtschaft. Eine Rückkehr zu Autarkie, Nationalismus und Protektionismus ist daher wesentlich schwieriger. 3. Die erste Welle spielte sich im gesellschaftlich autoritären Klima der konstitutionellen Monarchien ab, die zweite im Zeitalter der Massendemokratie. Das führte – 30 – auch zu einer größeren Notwendigkeit, im Interesse der Wiederwahl Stabilität und wachsenden Wohlstand zu garantieren. 4. Das Wirtschaftsleitende Paradigma der zweiten Welle ist der Freihandel (im nationalen Interesse), das der ersten war der Protektionismus (im nationalen Interesse). 5. Der „Handel mit Ideen“ ist heute wichtiger als vor hundert Jahren, was sowohl für Dienstleistungen wie auch für Theorien gilt. 6. Ein Zusammenbruch des Systems ist aus all diesen Gründen unwahrscheinlicher. Diese Aufzählung beantwortet natürlich nicht die Frage, was Globalisierung ist, genauso wenig wie die eingangs vorgestellte allgemeine Begriffsbestimmung. Sie zeigt aber etwas sehr Wichtiges: auch Globalisierung ist abhängig von den Rahmenbedingungen. Letztlich gibt es eine einfache und allgemeine Antwort auf die Frage auch nicht. Sie muss für jedes Forschungsinteresse neu beantwortet werden und auch für jede politische und wirtschaftspolitische Diskussion, sei sie lokal, national oder international. Wichtig ist, zu wissen, was man im jeweils relevanten Zusammenhang unter Globalisierung versteht. Meist bezieht sich nämlich das Erkenntnisinteresse nicht auf den Gesamtkomplex, sondern auf ein durchaus zuverlässiger zu bestimmendes Problem, das man in den größeren Zusammenhang einzubetten versucht – sei es als Abwehrstrategie nach dem Motto „da kann man nichts machen …“, sei es als Generalangriff nach dem Motto „nur der Systemwechsel bringt das Heil …“. Wichtig ist außerdem, dass man bei genauerem Hinsehen viele der angeblich völlig neuen Charakteristika unserer heutigen Welt und Weltwirtschaft, mit einem Begriff des „aktuellen Globalisierungsprozesses“, mit nur wenig Mühe 50, 100, 500 oder auch 5000 Jahre in der Geschichte zurückverfolgen kann. Wann begann Globalisierung? Wenig überraschend hängt daher auch hier die Antwort unmittelbar an der Begriffsbestimmung. Da es also auch auf diese Frage keine allgemeine und einfache Antwort gibt, seien hier die wichtigsten Eckpunkte dieser einleitenden Untersuchung aufgezeigt: 1. Findet man universelle Ansprüche wichtig (also: der „einzig wahre“ Glauben, die „beste“ Politik, „Heil“ für alle Menschen, aber auch „universelle“ Menschenrechte), ist Globalisierung ein uraltes Phänomen, wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. 2. Hält man Dinge wie das Vordringen einer gemeinsamen Sprache, einer gemeinsamen Währung, einer koordinierten Infrastruktur oder einer einigenden Ideologie oder Religion für wichtig, ist Globalisierung beinahe ebenso alt, denn all das findet sich in den ältesten Reichsgebilden. 3. Geht es um „Zusammenhänge“ oder „Interaktionen“ über weite Distanzen, egal ob wirtschaftlich oder nicht, ist Globalisierung ebenfalls sehr alt. 4. Verlangt man für echte Globalisierungsprozesse eine wirklich globale Bühne, dann braucht man dafür eine vollständige Erfassung der Welt. Der Beginn von Globalisierungsprozessen kann dann keinesfalls vor der ersten Weltumsegelung (1522) liegen, wobei der konkrete Beginn von den sonst bestimmten Kriterien abhängt. 5. Sind in dieser Bedeutung die „Welt“ umspannende Geschäfte (privater oder staatlicher Akteure) wichtig, dann liegt der Anfang eindeutig im 16. Jahrhundert, wobei sich dies im 17. und 18. Jahrhundert verstärkt hat. 6. Verlangt man für Globalisierung den Einfluss von Weltmärkten auf nationale Märkte, dann ist die Antwort offen, wobei am meisten für einen Beginn im 19. Jahrhundert spricht, weil sich solche Einflüsse nur sporadisch davor finden lassen. 7. Interessiert vor allem echte Preiskonvergenz, dann hängt die Antwort davon ab, ob ein dramatischer Rückgang der Preisunterschiede schon genügt oder echte Überein– 31 – stimmung als erforderlich erachtet wird und welcher geographische Umfang erwartet wird. Übereinstimmung ist größtenteils heute noch nicht der Fall, große Fortschritte bei der Preiskonvergenz findet man erstmals im 16. Jahrhundert in Europa, vor allem aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weltweit. 8. Die meisten oft zitierten quantitativen Indikatoren (Handelsquoten, Kapitalmobilität) lassen ab dem späten 19. Jahrhundert von Globalisierung sprechen, einige (vor allem absolute Größen) erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, manche (Migration) haben sich in den letzten hundert Jahren auch zurückentwickelt. 9. Massenkommunikation hat einige Aspekte, die sich in die Antike zurückverfolgen lassen (Post), einige, die im 19. Jahrhundert erstmals auftreten (Telegraph) und einige, die es nicht vor der Gegenwart gab (Internet). Je wichtiger man die Größe der transportierten Mengen, möglichst geringe Kosten, möglichst hohes Tempo oder Massenwirkung findet, desto „gegenwärtiger“ wird das Phänomen. 10. In den meisten Fällen gilt freilich, dass wenn man diese Prozesse konsequent in der Geschichte zurückführt und sich nicht vor weit verzweigten Zusammenhängen scheut, dass dann Globalisierung aufgrund des Vorlaufs der sie bedingenden Prozesse „altert“. Letztlich aber ist es der Vorlauf, der eine Entwicklung auslöst. Gerade die allgemein gehaltenen Begriffsbestimmungen zeigen dieses Dilemma auf. Letztlich findet sich bei kaum einem der mit Globalisierung assoziierten Phänomene kein Vorlauf zu den angeblich so einzigartigen und aktuellen Entwicklungen der 1990er Jahre. Wichtig ist jedenfalls, dass das „Neue“ an der Globalisierung sicher nicht in quantitativen Änderungen liegen kann, sondern nur in qualitativen. Ich habe jedenfalls nichts dagegen, Globalisierungen immer in der Geschichte zu suchen und zu finden. Man muss nur wissen, wovon man spricht und was man (oder andere) damit beabsichtigt. Man kann in jedem Fall zumindest lernen, was das Besondere an unserer Gegenwart ist. Resümee Grundsätzlich ist Globalisierung kein Zustand, sondern ein hochgradig widersprüchlicher Prozess, der weder gleichzeitig, noch gleichmäßig, noch gleichräumig verläuft und der von Menschen gemacht wird. Es handelt sich zumindest auch um ein ideologisches Projekt, weil es heute um die Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse (von der „Arbeit“ zum „Kapital“) und den Umbau gesellschaftlicher Institutionen geht. Dies gilt nicht nur, wenn man Globalisierung als einen Prozess der um 1973 ausgebrochenen „Krise“ der kapitalistischen Weltwirtschaft analysiert, wie das etwa Peter Feldbauer tut, sondern auch, wenn man sie auf die 1950er Jahre zurückführt, wo sie eine Waffe im Kalten Krieg ist, oder auf das 19. Jahrhundert, wo sie imperialen Britischen Freihandelsinteressen dient. Dass sie für ältere Formen ebenfalls gilt, versteht sich angesichts der politischen Motivation merkantilistischer Kolonialreiche und der Ideologielastigkeit vor allem antiker Globalisierungsprozesse von selbst. Damit aber wird das Problem der Marginalisierung vieler Menschen im Zuge dieser Prozesse zum moralischen Problem, weil dann Menschen als Träger der Prozesse ursächlich dafür verantwortlich sind. Im Zeitalter der Massendemokratie gilt das letztlich für uns alle. Wie alle Systeme hat sich Globalisierung nicht selbst erfunden, sie ist für sich allein genommen weder ein „Sachzwang“ zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes noch ein bloßes „Schicksal“, sondern bedarf zu ihrer Aufrechterhaltung einer systematischen und fortdauernden Politik. Damit ist Einflussnahme nicht nur durch ihre Befürworter nötig, sondern auch durch ihre Gegner möglich und der Prozess ist zumindest teilweise auch umkehrbar, wenngleich keinesfalls kostenlos, wie die Geschichte verheerend in den 1930er Jahren gezeigt hat. – 32 – Ich hoffe, verdeutlicht zu haben, dass die Analyse von Globalisierung stets in einer Dialektik von Altem und Neuem liegt, denn beides macht sie aus. Ob man dabei zu einer Synthese kommt oder doch vielmehr den Widerspruch aufrechterhält, ist dabei nicht nur philosophisch interessant. Wäre Globalisierung eine Synthese aus Altem und Neuem, liegt eine Entwicklung vor, ein historischer Trend, ist sie aber ein Widerspruch, liegt in ihr der Übergang, der Bruch im Trend. Die Antwort auf diese Frage erfordert noch viel Forschungsarbeit. Sie muss aber geleistet werden, denn die Antwort bestimmt unser aller Zukunft und damit möglicherweise unser aller Überleben. Literatur Altvater, Elmar und Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, 1996. Baldwin, Richard E. und Philippe Martin: „Two Waves of Globalization: Superficial Similarities, Fundamental Differences“, in: Siebert, Horst (Hrsg.): Globalization and Labour, Mohr Siebeck, Tübingen, 1999, S 3-58. Borchert, Knut: Globalisierung in historischer Perspektive, Bayrische Akademie der Wissenschaften, München, 2001. Braudel, Fernand: Schriften zur Geschichte 1: Gesellschaften und Zeitstrukturen, KlettCotta, Stuttgart, 1992. Diamond, Jared: Arm und Reich, S. Fischer, Frankfurt am Main, 1998. Eichengreen, Barry: Vom Goldstandard zum Euro, 2000, Wagenbach, Berlin. Feldbauer, Peter: Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierungskrise, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main, 1999. Frank, Andre G. (Hrsg.): The World System: Five Hundred Years or Five Thousand? Routledge, London, 1999. George, Susan, Der Lugano-Report oder Ist der Kapitalismus noch zu retten? Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2001. Jones, Eric, Das Wunder Europa, Umwelt, Wirtschaft und Geopolitik in der Geschichte Europas und Asiens, Mohr, Tübingen, 1991. Maddison, Angus: The World Economy, OECD, Paris, 2002. Nussbaumer, Josef und Andreas Exenberger: „Chiffren zur Globalisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (ca. 1850- 1914)“, Working Paper, wird Anfang 2004 veröffentlicht. O’Rourke, Kevin und Jeffrey G. Williamson: „When Did Globalization Begin?“, in: European Review of Economic History 6/01 (2002), S 23-50. O’Rourke, Kevin und Jeffrey G. Williamson: Globalisation and History: The Evolution of a Nineteenth-Century Atlantic Economy, MIT Press, Cambridge (Mass.), 1999. Polanyi, Karl: The Great Transformation: Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1977. Stiglitz, Joseph E., Die Schatten der Globalisierung, Siedler, Berlin, 2002. Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem: Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert, Syndikat, Frankfurt am Main, 1986. Wallerstein, Immanuel: Die Sozialwissenschaften ‚kaputtdenken’: Die Grenzen der Paradigmen des 19. Jahrhunderts, Beltz/Athenäum, Weinheim, 1995. – 33 – – 34 – Sumerer und Globalisierung Bettina Altmann Vorwort Im Zuge des Proseminars „Globalisierungsgeschichte“ wurden wir dazu aufgefordert, uns im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Thema Globalisierung zu beschäftigen. Da ich mich auch für alte Geschichte interessiere, lag es nahe ein Thema zu wählen, das sich mit diesem Interesse verbinden ließ. So entstand der Gedanke mich mit dem Volk der Sumerer auseinander zusetzen und der Frage nach zugehen, ob man bei ihnen schon von einer globalisierten Welt sprechen kann. Bevor diese Frage allerdings beantwortet werden kann, muss abgeklärt werden, was unter Globalisierung zu verstehen ist. Da es eine Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen gibt, möchte ich hier zuerst einige vorstellen, mich dann den Sumerern widmen und schließlich meine Schlussfolgerungen ziehen. Globalisierung Der Begriff Globalisierung ist zurzeit bei wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Debatten in aller Munde, es gibt kaum eine Tageszeitung in der nicht das Wort „Globalisierung“ zu finden ist. Fragt man allerdings nach, wie denn Globalisierung definiert wird, erhält man eine Vielzahl von Antworten: „Das Entstehen weltweiter Finanzmärkte“, „Internationalisierung“, „die Herausbildung einer Weltgesellschaft“, „globale Vernetzung“, … die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Grund genug sich einmal näher damit zu beschäftigen, was denn die Wissenschaft unter „Globalisierung“ versteht. Definitionen Das Wort „Globalisierung“ ist relativ jung. Es taucht erst Anfang der 80er des 20. Jahrhunderts auf, wobei sich sein Gebrauch ab der zweiten Hälfte der 80er enorm steigerte.8 Mittlerweile ist Globalisierung zu einem Schlagwort geworden, das ein so komplexes Phänomen bezeichnet, dass keine einheitliche und „richtige“ Definition gefunden werden kann. Hier folgen nun einige Beispiele unterschiedlicher Definitionen. Im Brockhaus von 1989 wird der Begriff „Globalisierung“ erstmals erwähnt, und wie folgt definiert: „Globalisierung, Bezeichnung für die Entstehung weltweiter Finanzmärkte für Wertpapiere, Geld- und Devisengeschäfte sowie Kredite, begünstigt durch neue Informations- und Kommunikationstechniken, sowie durch Finanzinnovationen; neuerdings bezeichnet Globalisierung auch den verstärkten internationalen Wettbewerb von Unternehmen auf den Weltmärkten.“ 8 Vgl. Robertson R. (1992): Globalization: Social Theory and Global Culture, S. 8 zitiert in: Steernberg, S. 47. – 35 – Friedrichs versteht unter Globalisierung „die weltweite Vernetzung ökonomischer Aktivitäten“.9 Jäger fasst den Begriff weiter: „Als Globalisierung wird die Gesamtheit der Entwicklungen bezeichnet, die zu äußerst engen Verbindungen zwischen Akteuren und Aktionen in der internationalen Politik führen. Diese zunehmende Vernetzung ist zwar unterschiedlich stark geprägt, im handelspolitischen Bereich weit enger als im kulturpolitischen, […]. Die Welt wird aber zumindest teilweise zum globalen Dorf.“10 Beginn der Globalisierung Auch über den Zeitpunkt, wann Globalisierung begann, herrscht in der wissenschaftlichen Debatte Uneinigkeit. Waters sieht Ansätze einer Globalisierung schon in den antiken Reichen und ist der Meinung, dass es einige Merkmale der Globalisierung schon immer gegeben hat: „…globalization has been in process since the dawn of history, …“11 O’Rourke und Williamson wiederum bestreiten das. Sie sehen den Beginn der Globalisierung erst im 19. Jahrhundert und begründen dies mit gesunkenen Transportkosten und einer weltweiten Preiskonvergenz.12 Gehen wir dieser Frage nun anhand der Sumerer näher nach. Die Kultur der Sumerer Die Entstehung einer Hochkultur Die Gegend des fruchtbaren Halbmondes wurde schon früh von Menschen besiedelt, es sollte die Wiege der Zivilisation werden. Die erste Hochkultur der Menschheit entstand um die Wende des 4. und 3. vorchristlichen Jahrtausends.13 Das Land wurde Sumer genannt, was soviel bedeutet wie „Kulturland“, und das Volk Sumerer, die „Kulturbringer“.14 Das Gebiet Sumers umfasst Teile des modernen Syriens und Irans und den ganzen heutigen Irak.15 Diese erste Hochkultur bildete sich um 3300 v. Chr., am Ende des Chalkolithikums (Kupfersteinzeit).16 Die Natur machte es den Menschen nicht leicht zu überleben. Landwirtschaft war zwar durch den fruchtbaren Schlamm der Flüsse Euphrat und Tigris möglich, doch bereiteten Überschwemmungen und Stürme den Menschen große Schwierigkeiten. Diese Übermacht der Natur17 zwang die Menschen dazu, zusammen zu arbeiten. Man be- und entwässerte das Land gemeinsam, zog Kanäle und baute Schiffe, Häuser und Tempel. Die ersten Städte entstanden. Die sumerische Hochkultur war kein einheitliches, größeres Gebilde, sondern es handelte sich um zahlreiche kleinere oder größere Stadtstaaten (Eridu, Ur, Nipur). Uruk, das heutige Warka, dürfte das Zentrum gewesen sein. Ob die Sumerer Einwanderer waren oder ob das dort ansässige Volk eine Hochkultur entwickelte, ist bis heute umstritten. Vgl. Friedrichs J. (1997): Globalisierung – Begriff und grundlegende Annahmen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 33-34, S 3-11, dort S 3, zitiert in: Steernberg, S 52. 10 Vgl. Jäger T. (1995): Die internationale Kräftekonstellation. Globale sozipolitische Entwicklungen, in: Eichholzbrief 4, S 1-11, dort S 2, zitiert in Steernberg, S 52. 11 Vgl. Waters, M. (1995): Globalization, S 4, zitiert in: Steernberg, S 48. 12 Vgl. O’Rourke/Williamson. 13 Vgl. Mortgaat, S 4. 14 Vgl. Uhlig, S 16. 15 Vgl. Crawford, S 5. 16 Vgl. Eggebrecht. 17 Vgl. Uhlig, S 16f. 9 – 36 – Zu Beginn war die Gesellschaft noch sehr religiös geprägt. Der Mann an der Spitze der Tempelwirtschaft vereinte priesterliche und weltliche Funktionen. Große Tempelbauten bildeten den Mittelpunkt des Gemeinwesens, Paläste kannte man noch nicht. Am Ende der frühgeschichtlichen Zeit – zwischen 3100 und 2900 v. Chr. – kam es zu kulturellen Umwälzungen im südlichen Mesopotamien, die wahrscheinlich durch semitisch sprechende Einwanderer ausgelöst worden waren. Die folgende Periode (2900 – 2350 v. Chr.) wird als Frühdynastische Zeit bezeichnet. Man geht davon aus, dass ein Nebeneinander von sumerisch- und Semitischsprechender Gruppen herrschte. Zu dieser Zeit entstanden auch Paläste. Sumer fand sein Ende durch die Nachfahren der semitisch sprechenden Einwanderer. Sargon von Akkad (2334 – 2279 v. Chr.) gelang es erstmalig Mesopotamien zu einem Reich zu vereinigen und die Dynastie von Akkad (2350 – 2150 v. Chr.) begann. Die Gesellschaft in Sumer Das vorherrschende religiöse Element der frühsten Zeit scheint im Laufe des dritten vorchristlichen Jahrtausends mehr und mehr von praktischen, auf Meisterung des Alltags gerichteten Lebensvorstellungen verdrängt worden zu sein. Lebenslust dürfte als Gegengewicht zur harten Tagesarbeit eine wesentliche Rolle im sumerischen Dasein gespielt haben. Religiöse Feste waren ein willkommener Anlass für weltliches Feiern.18 Zwischen der Priesterkaste und der Herrscherschicht vollzog sich bis zur Mitte des dritten Jahrtausends eine deutliche Trennung. Die Priesterfürsten übernehmen immer mehr weltliche Funktionen in der sich diversifizierenden Gesellschaft. Sie gaben ihren traditionellen Wohnsitz im Tempel auf und errichteten Paläste. Königliches und priesterliches Amt entfernten sich mehr und mehr voneinander und es kam schon bald zu Rivalitäten zwischen Tempel und Palast. Ihre Auseinandersetzungen drehten sich jedoch nicht nur um Macht und Einfluss, sondern auch um konkrete Dinge wie Häuser, Landbesitz, Steueranteile oder Handelsvorrechte. Die sumerischen Städte hatten sich immer mehr zu Zentren wirtschaftlicher Macht entwickelt, für die der Außenhandel bald wichtiger wurde als eine politische Vormachtstellung. Die Macht auf wirtschaftlichem Gebiet hatten zuerst die Herrscher selbst inne. Sie waren die Stellvertreter des Stadtgottes, der wiederum der Besitzer von Land, Vieh und Ernte war. Die Position des Stadtfürsten wurde wahrscheinlich früh erblich erworben, wodurch die Familien persönliches Interesse am Besitz hatten. Mit der Zeit entstand eine Schicht gebildeter Bürger, die sich um das öffentliche Leben kümmerten und nach Besitz strebten. König und Priester verpachteten ihnen ein Drittel des Tempelbesitzes. Mit dieser Pachtregelung gab es zwar noch immer keinen Privatbesitz, doch ermöglichte sie der Bürgerschicht eine Anhäufung von beträchtlichem Reichtum, der durch den Handel noch vermehrt wurde. Neben dieser im Wohlstand lebenden gesellschaftlichen Schicht gab es noch Sklaven und Menschen in abhängigen und niederen Stellungen, wie Bauarbeiter, Landarbeiter und Hirten. Das ausschweifende Leben des Königs und der Priester musste finanziert werden, und so sahen sich die Bürger einer wachsenden Steuerlast und immer neuen Gebühren und Beiträgen gegenüber. Durch diese ständigen Forderungen entstand ein neuer Beruf: der des Bankiers. Er vergab Darlehen und ließ sich als Sicherheit den meist kärglichen Besitz überschreiben. Die Darlehen wurden dann zu einem für den Bankier günstigen Zeitpunkt gekündigt: kurz vor der Ernte, wo die Preise hoch und die Taschen leer waren. Der Besitz fiel somit an den Bankier. Die Folge war ein wachsendes soziales Gefälle, das durch stei- 18 Vgl. Uhlig, S 176. – 37 – gende Preise noch zunahm. Dies könnte man als erste Inflation bezeichnen. Die Armen verloren ihren Besitz und teilweise auch ihre persönliche Freiheit und wurden zu Taglöhnern der Palastverwaltung oder Priesterschaft. Die Reichen konnten sich gegen Palast und Krone behaupten und schufen zwischen dem Indus und dem Mittelmeer, sowie zwischen Ägypten und den nordöstlichen Gebirgen das erste Welthandelsnetz mit beachtlichen Umsätzen.19 Schrift und Kultur Die Sumerer wurden nicht nur wegen ihrer weiten Handelsnetze bekannt, sondern gingen vor allem als Erfinder der Schrift in die Geschichte ein. Die Schrift entstand ursprünglich zur Vereinfachung der sumerischen Tempelwirtschaft. Durch wirtschaftliche und administrative Bedürfnisse war man auf die Idee gekommen, Tontafeln zu beschriften. Diese erste Bilderschrift, die gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. entstand, war noch recht plump. Im Laufe der Zeit gelang es, sie so zu modifizieren, dass sie zu einer streng gesetzmäßigen, rein phonetischen Schrift wurde. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. war die Keilschrift bereits so weit, dass man mit ihr historische und literarische Text verfassen konnte. Bereits Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. begannen Literaten damit dichterische Schöpfungen, die bis dahin nur mündlich überliefert worden waren, auf Tafeln, Prismen und Zylindern aus Ton aufzuzeichnen. Es ist vermutlich eher zufällig, dass nur sehr wenige literarische Dokumente aus dieser Frühzeit ausgegraben wurden, obwohl man Zehntausende ökonomischer und administrativer Dokumente dieser Periode gefunden hat. Erst in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. fand man Tausende Tafeln und Fragmente mit literarischen Werken der Sumerer, eine reiche Sammlung aus Mythen, epischen Erzählungen, Hymnen, Klagegesängen, zahllose Sammlungen von Sprichwörtern, Fabeln und Abhandlungen. Die sumerischen Tondokumente gewähren Einsicht in die Religion, Ethik und Philosophie der Sumerer. Sie haben somit nicht nur die Schrift erfunden, sondern sie zu einem wirksamen Verständigungsmittel entwickelt.20 Die Wirtschaft der Sumerer Schrift und Wirtschaft Schreiben und Rechnen haben den gleichen Ursprung: Zeichen um Dinge festzuhalten und Zahlen um Mengen anzugeben, gehören zusammen. Sie bilden die Fundamente der Wirtschaft.21 Bei mehr als 90 % der ältesten Schriftzeugnisse handelt es sich um Aufzeichnungen aus dem Wirtschaftsleben22, wie z.B. Kaufverträge, Lieferscheine und Rechnungen. Aus einer einfachen Buchführung über Viehbestände und Ernteerträge wurde im Laufe der Jahrhunderte eine umfassende, alles Wichtige dokumentierende Gesamtbuchhaltung. Wir wissen daher über das wirtschaftliche Leben der Sumerer besser Bescheid als über ihre politische Geschichte. Diese zahlenmäßige Erfassung aller Arbeitsvorgänge und erwirtschafteten Produkte brachte erhebliche Vorteile mit sich. Mit konkreten Informationen kann man besser planen. So wussten die sumerischen Stadtfürsten ob die Getreidevorräte für einen Feldzug ausreichen Vgl. Uhlig, S 187ff. Vgl. Kramer. 21 Vgl. Uhlig, S 192ff. 22 Vgl. http://www.stadtmuseum-duisburg.de/vorbei/schrift/texte/frhehoch.doc. 19 20 – 38 – würden, ob die Ernährungslage neue Bewässerungsanlagen erforderlich machten oder wie viele Ziegel für den Neubau eines Tempels gebraucht wurden. Erhaltene Tontafeln geben uns Aufschluss darüber, dass die Sumerer auch schnelle Fortschritte auf dem Gebiet der Wirtschaftsmathematik machten. Man fand Tafeln mit genauen Angaben über Grundstücksvermessungen, geometrische Zeichnungen und Flächenberechnungen. Voraussetzung für diese schnelle Entwicklung war die Erhaltung und kontinuierliche Weitergabe des Wissens an nachfolgende Generationen, was in den ersten Schulen der Menschheit geschah. Diese, man kann getrost sagen, revolutionären Fortschritte, schufen die Voraussetzungen für den schon früh einsetzenden Außenhandel mit anderen Städten Sumers und weiter entfernt liegenden Gebieten.23 Das Land und seine Rohstoffe Sumer liegt im fruchtbaren Halbmond, einem Gebiet in dem die Menschen schon 8500 v. Chr. begannen Pflanzen und Tiere zu domestizieren.24 Die beiden Flüsse Euphrat und Tigris lieferten Schlamm zur Düngung der Felder und Wasser für Bewässerungskanäle, die die Sumerer bauten. Auch Fisch war durch die Flüsse leicht erhältlich, und die Vegetation an den Ufern bot Lebensraum für Wild. Schafe und Rinder wurden gezüchtet. Das Land bot seinen Bewohnern also reichlich Nahrung. Dennoch fehlte in Sumer etwas wichtiges, nämlich Rohstoffe. Im Land gibt es weder Erze, noch Holz oder edle Steine, ja selbst Bausteine waren eine Kostbarkeit.25 Der Handel Mesopotamien besaß also keine Rohstoffe und genau das gab wahrscheinlich einen wichtigen Impuls für die Entstehung der ältesten Hochkultur. Da man im eigenen Land das Material, das man zu bearbeiten wusste, nicht besaß, war es kein Wunder, dass man sich bemühte, es zu beschaffen. Damit brachte der Rohstoffmangel den sumerischen Handel in Gang, der sich bald zum Welthandel ausweitete. Sumer exportierte Getreide, Datteln, Schlachtvieh, Felle, Wolle und Wollerzeugnisse. Nahrungsmittel waren für einen weiten Transport nicht geeignet und wurden daher auch nur in die nördlichen Gebirgsgegenden und unfruchtbare Wüstengebiete im Südwesten verkauft. Wichtig im Bezug auf den Export war der Textilsektor. Viele Frauen und Mädchen arbeiteten im Tempel und Palast als Weberinnen.26 Wolle, Stoffe und Gewänder konnte man bis nach Syrien und die Mittelmeerküste exportieren. Die Sumerer machten das große Geschäft aber weniger mit landeseigenen Produkten, als vielmehr mit hochwertigen Erzeugnissen, einer schon früh einsetzenden Veredelungs-„Industrie“.27 Die Importbedürfnisse waren jedoch größer als die Exportmöglichkeiten. Den größten Teil an importierten Gütern machte das Holz aus. Es wurde für Bauzwecke, Möbel, Handwerksgeräte und Musikinstrumente verwendet. Zedern kamen über den Euphrat aus dem Libanon und Anatolien, Zypressen aus dem armenischen Bergland, Buchsbaum und Ebenholz sogar aus Nubien. Vgl. Uhlig, S 192ff. Vgl. Diamond, S 109. 25 Vgl. Crawford, S 9. 26 Vgl. Crawford, S 124f. 27 Industrie ist keinesfalls in der heutigen Bedeutung des Wortes zu verstehen, dennoch gab es schon eine Art frühe Massenproduktion; vgl. Crawford, S 124. 23 24 – 39 – Fast ebenso wichtig wie Holz waren für die sumerischen Handwerker Metalle. Obwohl sie in Mesopotamien gänzlich fehlen, wurden sie nachweislich schon Ende des 4. Jahrhunderts verarbeitet. Um diese Zeit lässt sich auch eine rasche Entwicklung der technischen Fähigkeiten feststellen. Vielleicht gab es Kontakte zu Handwerkern in Gebieten außerhalb Mesopotamiens, mit einer längeren metallurgischen Tradition. Die Sumerer entwickelten jedenfalls gute Techniken der Verarbeitung von Kupfer, Silber, Gold und Zinn. Kupfer kam aus Kleinasien, Silber aus dem Taurus, Gold aus Ägypten und vielleicht sogar Indien. Mit der Nachfrage nach Metall wuchs auch der Bedarf an edlen Steinen für Schmuck und Einlegearbeiten. Karneol, Beryll, Jaspis und Türkis wurden neben Lapislazuli, für den die Sumerer eine besondere Vorliebe hatten, eingeführt. Eselkarawanen mit oft mehr als 200 Tieren brachten die Steine aus Pamir und dem Osten Afghanistans. Straßen durch den asiatischen Kontinent von der Mittelmeerküste und den ägyptischen Besitzungen auf der Sinaihalbinsel bis nach Indien haben bereits in sumerischer Zeit bestanden und waren die Vorläufer der späteren Seidenstraße. Völker und Stämme siedelten sich entlang der Straßen an, um Handel mit den Sumerern zu treiben oder von den hohen Zöllen der durchziehenden Karawanen zu leben. Der Handel war ein gefährliches Geschäft, denn Wegelagerer, kriegerische Nomaden und Straßenräuber bedrohten die Karawanen. Diese Gefahren verringerten sich wahrscheinlich erst, als an wichtigen Knotenpunkten Städte oder zumindest befreundete Siedlungen entstanden. Die sumerischen Stadtstaaten unterhielten zu diesen befestigten Warenumschlagsplätzen diplomatische Beziehungen. Der Handel wurde zunächst von den Städten selbst betrieben, doch rückten bald internationale Händler in den Vordergrund. Sie unterhielten an wichtigen Verkehrsknotenpunkten, wie z.B. an den Häfen des Persischen Golfs ihre Warenlager. Als ein wichtiger Warenumschlagsplatz wird in einer sumerischen Inschrift aus der Mitte des 3. Jahrtausends Bahrain genannt. Mitte des 3. Jahrtausends erfolgte der überwiegende Teil des Fernhandels mit den Gebieten im Osten auf dem Seeweg. Der Ägyptenhandel Der Einfluss der sumerischen Hochkultur auf Ägypten ist viel diskutiert und heftig umstritten. Es gibt wenige Informationen und man wird wahrscheinlich auch nicht viel mehr erfahren, da die entscheidenden Städte Sais und Buto infolge von Nilaufschüttungen nicht mehr ausgegraben werden können. Andere in Schriften erwähnten Orte lassen sich nicht einmal lokalisieren. Beziehungen zwischen Mesopotamien und Ägypten sind aber schon gegen Ende des 4. Jahrtausends nachweisbar. Es gibt Funde die auf Schiffshandel zwischen der asiatischen Küste und dem Nildelta schließen lassen. Dennoch dürften sich die sumerischen Einflüsse auf den Handel beschränkt haben.28 Von einer Geldwirtschaft kann im 4./3. Jahrtausend noch nicht gesprochen werden, dennoch gab es ein gut reguliertes Austauschsystem. Der Wert einer Ware wurde im Wert eines Standardgutes ausgedrückt. Zuerst in Kupfer, später im 3. Jahrtausend wurde dann Silber zur anerkannten Handelswährung im ganzen Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Indus.29 28 29 Vgl. Uhlig, S 202ff. Vgl. Crawford, S 124, und Postgate, S 202. – 40 – Schlussfolgerung Ob man nun bei den Sumerern von einer Globalisierten Welt sprechen kann oder nicht, hängt davon ab, welcher Definition von Globalisierung man sich anschließt. Von der Brockhaus-Definition ausgehend, kann man wohl kaum von einer Globalisierung sprechen. Finanzmärkte, neue Informationstechniken wie das Internet oder internationalen Wettbewerb im heutigen Sinn, gab es damals selbstverständlich noch nicht. Friedrichs Definition, die weltweite Vernetzung ökonomischer Aktivitäten, ließe allerdings darauf schließen, dass man durchaus von einer Globalisierung sprechen kann. Die Handelsnetze der Sumerer umspannten zwar nicht den gesamten Globus, dennoch aber fast die gesamte ihnen bekannte Welt. Meiner Meinung nach greifen beide Ansätze zu kurz. Sie beschreiben Globalisierung als rein wirtschaftliches Phänomen und lassen politische, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte völlig außer Acht. Doch gerade dies unterscheidet die Globalisierung vom Welthandel. Globalisierung spielt in der Wirtschaft sicherlich im Moment die größte Rolle, dennoch sollte nicht vergessen werden wie sehr unsere Welt vernetzt ist. In Internet-Chats trifft man Menschen aus der ganzen Welt und kommuniziert mit ihnen gleichzeitig. An internationalen Organisationen sind weltweit Staaten beteiligt, an der UNO sogar 194 der weltweit ca. 200 Staaten. McDonalds findet man in so gut wie allen Ländern. Ob man dies nun gut oder schlecht findet sei dahingestellt. Ich sehe Globalisierung als gesamtgesellschaftliches Phänomen, das sich nicht nur auf Teilbereiche wie die Wirtschaft beschränkt. Welthandel sehe ich als eine reine Austauschbeziehung zwischen Volkswirtschaften. Gewisse Beeinflussungen gehen sicherlich von den gehandelten Waren aus, außerdem schließt man Abkommen über Zölle usw., was eine Beeinflussung auf politischer Ebene darstellt. Dennoch sind die einzelnen Volkswirtschaften unabhängig voneinander. Dass die Sumerer weit verbreitete Handelsnetze betrieben, ist unumstritten. Inwieweit sie allerdings Kultur und Gesellschaft ihrer Handelspartner beeinflussten, lässt sich nicht feststellen und steht nach wie vor in wissenschaftlicher Diskussion (wie etwa im Fall Ägyptens) Politische Bündnisse mag es gegeben haben, dennoch wären diese sicherlich nicht mit Bündnissen wie der EU oder Organisationen wie der UNO vergleichbar. Daher verneine ich eine Globalisierung der Sumerer, wenn ich auch der Meinung bin, dass es 3000 vor Christus schon einen umfangreichen Welthandel gab. Literaturverzeichnis Crawford, Harriet, Sumer and the Sumerians, Cambridge University Press, Cambridge, 1991. Diamond, Jared: Arm und Reich, S. Fischer, Frankfurt am Main, 1998. Eggebrecht, Arne, Sumer – Assur - Babylon – 7000 Jahre Kunst und Kultur zwischen Euphrat und Tigris, von Zabern, Mainz,1978. Kramer, Samuel N., Geschichte beginnt mit Sumer – Berichte von den Ursprüngen der Kultur, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1959. Moortgat Anton, Die Entstehung der sumerischen Hochkultur, Tartous, Bonn, 1987. O’Rourke, Kevin und Jeffrey G. Williamson: „When Did Globalization Begin?“, in: European Review of Economic History 6/01 (2002), S 23-50. Postgate, J.N., Early Mesopotamia – Society and Economy at the Dawn of History, Routledge, London, 1994. – 41 – Steernberg, Yvonne M.A., Darstellung von „Globalisierung“ in wissenschaftlicher Literatur sowie in ausgewählten deutschen Zeitungen der Jahre 1995 – 1998, Logos-Verlag, Berlin, 2002. Uhlig, Helmut, Die Sumerer – Volk am Anfang der Geschichte, C. Bertelsmann Verlag, München, 1976. – 42 – Das Imperium Romanum – Eine globalisierte Gesellschaft? Dominik Schatzmann Einleitung Ich habe mich für dieses Thema entschieden, da ich von der römischen Kultur fasziniert bin und auch denke, dass die Römer uns mehr prägten, als es uns wahrscheinlich bewusst ist. Zu beginn meiner Arbeit möchte ich auf die unzähligen Definitionen von „Globalisierung“ hinweisen, die eine jeweils andere Sicht im Bezug auf ein globalisiertes Imperium Romanum zulassen. Hierbei hat mir besonders jene Definition gefallen, die ich im Internet auf www.wissen.de gefunden habe: „Globalisierung ist die schlagwortartige Bezeichnung für die strategische Ausrichtung international operierender Unternehmen und Finanzmärkte; unter Ausnutzung der in den verschiedenen Ländern jeweils möglichen Kosten- und Standortvorteile wird eine Erhöhung der Wettbewerbschancen erreicht.“ Dieser Definition zufolge könnte man von einem „globalisierten“ römischen Weltreich sprechen. Doch nun auf den nächsten Seiten mehr dazu. Abbildung 1: Kaiser Augustus (27 v. Chr. – 11 n. Chr.), Quelle: ww.waldgirmes.de/roemer/augustus.htm Das Reich des Augustus Ende der Bürgerkriege: Oktavian wird princeps Aus den Wirren des römischen Bürgerkrieges nach der Ermordung Caesars ging ein Gaius Oktavian als Sieger hervor, der später den Namen Augustus, was soviel bedeutet wie „der Erhabene“, erhielt. Seine Mutter Atia war eine Tochter der Schwester Julius Caesars, aus diesem Grund hatte Caesar Oktavian adoptiert und ihn später auch zu seinem Nachkommen ernannt, da Caesar selbst keine Kinder nach römischem Recht hatte.30 So wurde Augustus schon sehr früh gefördert und war z.B. schon im Alter von 15 Jahren Pontifex. Oktavian 30 Caesar hatte ein Kind mit Kleopatra. – 43 – dient auch militärisch unter Caesar, unter anderem in Spanien. Gegen die Ratschläge seiner Familie nahm Oktavian nach Caesars Ermordung dessen Erbe an. Oktavian konnte schnell das Volk gewinnen, da er oft Spiele zugunsten seines verstorbenen Vaters veranstaltete. Zeitgleich entstehen in Rom zwei Parteien: Die Republikaner, welche die alte Republik wieder herstellen wollten und den Caesarianer, den Anhängern des ermordeten Quasi-Alleinherrschers. Nachdem er die Republikaner militärisch und politisch besiegt hatte, stellte er sich seinem letzten Widersacher: Marcus Antonius, den er im Auftrag des Senats „zum Schutz des Staates“ bei Muntia besiegte. Nun wird das römische Reich in drei Teile geteilt. Antonius erhält den Osten, Lepidus, der sich mit Oktavian verbündet hatte, Afrika (Lepidus wurde allerdings bald „abgesetzt“ blieb aber bis zu seinem Tod pontifex maximus) und Oktavian selbst den Westen. Als es nach einer kurzen Zeit des Friedens wieder zu Spannungen kommt, kann Oktavian Antonius in der Seeschlacht von Actium vernichtend schlagen (Antonius vermerkte in seinem Testament die Kinder der Kleopatra, mit der er in Ägypten eine Beziehung hatte, mehr als großzügig). Antonius begeht daraufhin Selbstmord. Oktavian hingegen zieht als Triumphator in Rom ein und erhält den Ehrentitel „Augustus“, der Erhabene. Pax Romana – Der römische Friede als stabile Ausgangslage Augustus schaffte es, die Phase der Bürgerkriege zu beenden und durch geschickte Innenpolitik eine lange (innenpolitische) Friedensperiode einzuläuten, die später pax romana (römischer Friede) bzw. pax augusta genannt wird. Außenpolitisch führt Augustus Kriege gegen die Parther, Araber, in Spanien und lässt durch seine Söhne unter Anderem den Alpenraum erobern. Nach dem Tod des Lepidus erhält er auch das Amt des pontifex maximus, zuvor hatte er den Titel „princeps“ erhalten, der „Oberste“. Abbildung 2: Das Römische Reich um 100 n.Chr. (Quelle: www.lateinforum.de/karte1.htm) – 44 – Augustus verstand es allerdings hervorragend, die Bevölkerung im Glauben zu lassen, dass die Republik weiter bestehe, da er z.B. den Senat und andere republikanische Einrichtungen weiter bestehen ließ (deren Macht allerdings stark einschränkte). In seinen Memoiren, den res gestae, schreibt er, eine Stadt aus Stein vorgefunden zu haben und eine Stadt aus Marmor zu hinterlassen. In diesem Zusammenhang sollte sein wohl treuester Freund Agrippa nicht unerwähnt bleiben, der unzählige Bauten in Rom errichten ließ. Zweifelsohne war es der lange ersehnte Friede, der dem römischen Imperium nach einem Jahrhundert der Bürgerkriege seine eigentliche Blütezeit brachte. Die innenpolitische Stabilität brachte eine ausgezeichnete wirtschaftliche Basis, die das römische Reich zu dem werden ließ, was wir heute darunter verstehen. Wie auf der Karte (Abbildung 2) erkennbar, teilten die Römer ihr Reich in Provinzen ein, was die Administration erleichterte. Leider ist auf der Karte das hervorragende römische Straßennetz nicht ersichtlich, das nicht nur die wichtigsten Städte verband (die Handelszentren sind eingezeichnet). „Globaler Handel“ und die Stellung der Colonia Die Römer ließen den eroberten Gebieten relativ viele Freiheiten. So übernahmen sie z.B. auch oft die Götterwelt der vormaligen Feinde in ihre eigene und „(…) selbst dort, wo die Römer die direkte Form der Herrschaft ausübten und zu diesem Zwecke besondere Verwaltungsbezirke, nämlich die Provinzen, errichteten, stützten sie sich zur Ausübung der Herrschaft auf bestehende Verwaltungsträger. Der Statthalter der Provinz schwebte als allmächtige Instanz über den mannigfaltigen Organisationstypen, die er ohne weitere große römische Bürokratie – er war mit einem Finanzbeamten praktisch das einzige Stück römischer Verwaltung – mit Hilfe der einheimischen Verwaltung „regierte“.“31 Auch die lokale Verwaltung und niedere Gerichtsbarkeit blieb den lokalen Gemeinden. Der Statthalter beaufsichtigte sie nach den Grundsätzen seines Provinzialediktes: er achtete darauf, dass romtreue Aristokraten die Gemeindeämter besetzten und hielten Gerichtstage. Eine globalisierte Gesellschaft? Wie auf der Karte (Abbildung 2) ersichtlich, bestand das römische Reich allerdings nicht aus der ganzen (globalen) Welt, kann man also von einer globalisierten Gesellschaft sprechen? In den vorchristlichen Jahrhunderten und im ersten nachchristlichen Jahrhundert waren die Römer stets bestrebt, ihr Reich zu erweitern. Dass ihnen das nicht immer gelang, bezeugt z.B. die schwere Niederlage im Teutoburger Wald in der so genannten VarusSchlacht, aber auch ständigen Grenzwechsel im heutigen Nordirak gegen die Parther. Man kann also nicht behaupten, dass die Römer die damals bekannte Welt beherrschten, auch wenn Augustus sich gerne als imperator orbi (in etwa „Herrscher des Erdkreises“) bezeichnete – was ihm im übrigen kein Römer absprach – und dies auch über etliche Münzen zum Ausdruck brachte. Nichtsdestotrotz trieben die Römer sicherlich mit der ihnen damals bekannten Welt zumindest regen Handel. Römische Handelskarawanen reisten bis nach Indien und in den Sudan, man betrieb auch Handel mit den Germanen und den keltischen Stämmen der britischen Inseln. Unter diesem Gesichtspunkt kann man also prinzipiell von einer globalisierten römischen Welt sprechen, da es für einen (reichen) Römer auch durchaus üblich war, mitten auf dem Forum Romanum Gewürze aus dem Orient und Sklaven aus Germanien zu erwerben. 31 Bleicken, S 226. – 45 – Das römische Wirtschaftssystem Handel Der Handel spielte gegenüber der Landwirtschaft bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. in der Wirtschaft Mittelitaliens eine deutlich untergeordnete Rolle. Erst die im 3. Jahrhundert v. Chr. einsetzende Münzprägung und die zunehmenden Kontakte haben einen grundlegenden Wandel der rückständigen Wirtschaftsstruktur Roms bewirkt. Roms Handelsbilanz war passiv (negativ): Es wurde mehr importiert als exportiert, schon in der Frühzeit aus griechischen Kolonien. Rom konnte aber einen blühenden Handel und eine gute Wirtschaft verzeichnen, wahrscheinlich aus diesem Grunde gab es sogar schon Ansätze für bargeldlosen Zahlungsverkehr. „Über den Umfang des Handels sind jedoch nur grobe Schätzungen möglich. Bei einer geschätzten Überlieferung zwischen einem Prozent und einem Promille einst vorhandener Stücke erlauben die dokumentierten Mengen importierter römischer Metall- und Glasgefäße jedoch den Rückschluss auf erhebliche Zahlen.“32 Rund um das Forum Romanum waren große Markthallen, die „Kaiserforen“, um das alte Einkaufs- und Verwaltungszentrum angelegt, sie dienten auch als Gerichtshallen. Diese Foren können durchaus mit heutigen Groß-Einkaufszentren verglichen werden. Ressourcenumverteilung und Arbeitsteilung Der Lebensstandard stieg allgemein, vor allem in den größer werdenden Städten. Die Handwerker stellten sich darauf ein, und Händler belieferten die Verbraucher mit einer Vielzahl von Produkten. Die Lebensgewohnheiten der Menschen, die Ausstattung ihrer Wohnungen und die Gebrauchsgegenstände glichen einander im ganzen Imperium: Bei allen sozialen Unterschieden gab es eine einheitliche Lebensweise. Die Versorgung von Rom wurde durch die Stadtverwaltung organisiert, wobei Getreide von den Provinzen Afrika und Ägypten, Öl, Wein und Garum (eine damals sehr begehrte pikante Fischsoße) von spanischen Provinzen geliefert wurden. Daneben bestand aber ein freier Getreidemarkt in Rom. Eine der Grundlagen des Wirtschaftslebens während der späten Republik und des Kaiserreiches war die kostenlose Getreideversorgung. Lediglich ein geringer Teil wurde an Bäcker verkauft, das meiste verteilte man an Bürger aller Schichten. Diese Billigimporte führten schon im 3. Jahrhundert zur Verarmung der Kleinbauern und zur Entstehung des Proletariats. Spätestens hier wird klar, dass diese frühe Form der Globalisierung genauso Gegner hatte, wie heute. Sklavenwirtschaft Der Sklavenhandel besaß während des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. große wirtschaftliche Bedeutung: Vor allem Gallier verkauften Kriegsgefangene oder Schuldsklaven in großer Zahl nach Italien und aus dem östlichen Mittelmeerraum gelangten viele Menschen – teilweise als Opfer der Piraterie – auf den Sklavenmarkt. Sklaven sahen die Römer als Sachen an, mit denen man nach Belieben umgehen konnte und die der Gewalt ihres Besitzers völlig unterworfen waren. Deswegen war es üblich, dass man sie auf Sklavenmärkten handelte: Es gab Sklavenhändler, die ihre „Ware“ zum Verkauf anboten oder gute Sklaven ankauften. Lediglich am Gewinn ihres Herrn beteiligte Sklaven konnten später ihre Freiheit erkaufen. So schufen die Römer – sicherlich unbewusst – auch eine Frühform der uns heute bekannten GmbH, denn der Sklave haftete bei Rechtsge32 Harris, S 111. – 46 – schäften die er für seinen Herren tätigte nur mit seinem „peculium“33, dem „Einlagekapital“ das ihm sein Herr zugestand. Der Seehandel Seit ältesten Zeiten gab es im Mittelmeerraum einen regen Handelsverkehr. Er verband über weite Distanzen die nordwestlichen Provinzen mit dem vorderen Orient und hatte einen erheblichen Umfang, was allein an der Ladekapazität der Schiffe ablesbar ist. Schiffe waren im Altertum das leistungsfähigste und billigste Transportmittel. Der Seehandel an den Küsten des Arabischen Meeres, des Indischen Ozeans und des Nordatlantiks war sehr bedeutend. In der Zeit des Ersten und Zweiten Punischen Krieges wurde Rom zur Seemacht, römische Händler folgten den Legionen sogar nach Afrika, um von der Beute zu profitieren. Spätestens seit der LEX CLAUDIA DE NAVE SENATORUM (218 v. Chr.) – einem Gesetz, das Senatoren den Besitz von Schiffen mit einer Ladekapazität von mehr als 300 Amphoren untersagte – betrieb man mit erheblichen finanziellen Mitteln Handel. In großen Hafenstädten wie Ostia, dem Hafen Roms an der Tibermündung, wurden fortlaufend Schiffe be- und entladen und stachen in See. Es gab sogar eine Hafenpolizei, die das rege Treiben überwachte und gegen Schmuggler vorging. Das Risiko für die Kaufleute war offensichtlich immer groß: Nur selten waren die Transportwege zu Lande und zu Wasser sicher. Eine besondere Plage stellte die Seeräuberei dar. Im 1. Jahrhundert v. Chr. gelang es den Piraten zeitweilig, das gesamte Mittelmeer unter Kontrolle zu bringen und Handelsfahrten nahezu unmöglich zu machen. Pompeius begann als erster systematisch gegen die Seeräuber vorzugehen. Unter Kaiser Augustus konnten die Piraten schlussendlich aus dem Mittelmeer vertrieben werden. Es wurden regelrechte Kriege geführt, um das Piratenunwesen zu beseitigen. 1300 Piratenschiffe wurden damals verbrannt, 300 im Kampf erobert. So wurde der Handel im Mittelmeer wieder sichergestellt. Globales Rom - Fernhandel Seit dem Beginn der Kaiserzeit hatte sich das Fernhandelsnetz beständig erweitert. Es umspannte nicht nur das gesamte Römische Reich, sondern erstreckte sich in vereinzelten Routen bis an die Ostsee und über das Schwarze Meer hinaus bis nach Russland. Von Petra und Palmyra im Osten des Reiches führten Karawanenstraßen durch das Zweistromland (Mesopotamien) an den Persischen Golf und gewannen hier Anschluss an den Fernhandel mit China, Südindien und Ceylon. Eine der bekanntesten frühen Fernhandelsrouten ist die Seidenstraße zwischen China und dem kaiserlichen Rom. Sie entstand etwa um 100 v. Chr., als die Han-Dynastie einen großen Teil Zentralasiens für den Karawanenverkehr sicher machte. Auf der 6000 Kilometer langen Strecke beförderte man die bei den Römern sehr begehrte chinesische Seide, römische Wolle und wertvolle Metalle sowie viele andere hochwertige Luxusgüter über Zwischenstationen in Indien und Arabien. Mit folgenden Worten beklagte aber schon Plinius der Ältere die Verschwendungssucht seiner Zeitgenossen, die damals Luxusgüter vom ganzen (damals bekannten) Erdkreis begehrten – dabei zahlten sie immense Preise, die sich gelegentlich verhundertfachten! „(…) minimaque conputatione miliens centena milia sestertium annis omnibus India et Seres et paeninsula illa (scil. Arabia) imperio nostro adimunt: tanti nobis deliciae et feminae constant!“ (Plinius, historia naturalis)34 Hausmanninger/Selb, S 131ff. Übersetzung nach Weber, S 60: „Nach den niedrigsten Schätzungen entziehen Indien, die Serer und die Halbinsel Arabien unserem Staate alle Jahre 100 Millionen Sesterzen: Soviel kosten uns Luxus und Frauen!“ 33 34 – 47 – Abbildung 3: Der Handelsraum des Römischen Reiches (Quelle: home.hetnet.nl/~hans98765/rome.htm) Binnenhandel zwischen Provinzen In der Kaiserzeit nahmen die zum Römischen Reich gehörenden Gebiete einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die pax romana förderte ungestörte Handelsbeziehungen im ganzen Imperium Romanum. Die aufstrebenden Provinzen trieben nicht mehr nur mit dem zentralen Italien Handel, sondern auch untereinander. Das Imperium Romanum entwickelte sich im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. zu einem geschlossenen und sich selbst versorgenden Wirtschaftsgebiet. Nordafrika oder Ägypten exportierten Getreide, Metalle kamen von der Iberischen Halbinsel, Luxusartikel aus Italien, Griechenland oder dem Orient, Töpferwaren und Glas aus Gallien und dem Rheinland, exotische Tiere aus Afrika oder Asien, Leder und Pelze vom Nordrand des Reiches und die Randgebiete des Imperiums lieferten auch Sklaven. Träger des römischen Handels nach Germanien waren in der Regel römische Kaufleute, so genannte mercatores, die sich meist zu Vereinigungen zusammenschlossen. Vor- und Nachteile des „imperium orbs“35 Wie schon angesprochen waren die Leidtragenden der zunehmenden Globalisierung die unteren Schichten bzw. anfangs die lateinischen Kleinbauern. Im „internationalen“ (interpovinzialen) Wettbewerb konnten sie nicht mithalten und wurden zunehmend abhängig von Großgrundbesitzern und Investoren. Dieser Prozess zeichnete sich allerdings schon zu Beginn der römischen Expansion ab, als die Bauern Militärdienste leisten musste und die Felder zuhause brach lagen – kann aber durchaus auch als Folge der dadurch stärker werdenden Konkurrenz gesehen werden. Als unmittelbare Folge bildete sich in Rom das 35 lat. orbs, orbis = Erdkreis („des weltumspannende Reich“, also global) – 48 – Proletariat, eine verarmte Unterschicht die mehr oder weniger von „Brot-und-Spiele“Programmen reicher Politiker abhängig war. Wie so oft in der Geschichte profitierten die Reichen durch das größere Angebot und neue Einnahmenquellen während die unteren Schichten aus dem entstehenden Wettbewerb gänzlich – mangels finanzieller Mittel – ausgeschlossen wurden. Basis für den erfolgreichen Handel Rechtssicherheit – das ius civile Von grundlegender Bedeutung für funktionierenden Handel und funktionierende Arbeitsteilung sind gesetzliche Rahmenbedingungen. Dass das römische jus civile vor allem in seiner klassischen Ausprägung eine juristische Meisterleistung war, steht außer Diskussion, es gehört heute noch zu jeder klassisch juristischen Ausbildung. Das römische Zivilrecht kannte bereits den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum, ein umfangreiches Schuldund Vertragsrecht und natürlich auch Verfahren zum Schutz bzw. zur Begründung eben dieser Rechte. Rechtliche Beziehungen zwischen Römern und Römern wurden von Beziehungen von Römern zu Nicht-Römern (Pelegrinen) strikt getrennt, aber klar definiert. Geldwesen Die Römer benutzten für Geld zwei Wörter: pecunia, abgeleitet von pecus (Vieh), erinnert an die Zeit des Tauschhandels, und argentum, das lateinische Wort für Silber, weist auf das Material vieler Münzen hin. Die Münzen der Römer – die durchaus auch zu Propagandazwecken eingesetzt wurden, da meist ein Bildnis des gerade regierenden Kaisers sie zierte – hatten durchaus den Stellenwert wie heute z.B. der Euro in der Europäischen Union bzw. der Dollar in den Vereinigten Staaten und wurden auch in anderen (angrenzenden) Ländern akzeptiert. Fiskalpolitisch wurden „(…) 80 % der öffentlichen Ausgaben durch Steuereinnahmen gedeckt und 20 % neu geprägt. Es gab zudem weder ein festes Budget, das langfristige Planungen ermöglichte, noch eine ausdifferenzierte Finanzverwaltung, sondern die Ausgabenseite wurde nach den Erfordernissen gestaltet.“36 Diese Art der Fiskalpolitik führte während des 3. Jahrhunderts schließlich auch zu großen wirtschaftspolitischen Problemen, da aufgrund der Germaneneinfälle ständig die Steuern erhöht werden mussten, um neue Truppen bereitstellen zu können. Steuern wurden in Form von Naturalien, in verpflichtenden Arbeitsleistungen aber auch in Form von Geld bezahlt. Wahrscheinlich am meisten Reichtum erhielt der römische Staat durch die ständigen Kriege und die Enteignung (innen-)politischer Gegner. Latein – Sprache und Schrift Das Latein zur Zeit des Römischen Imperiums ist in etwa mit der Englischen Sprache in der heutigen Welt zu vergleichen. Latein war – sowohl in Sprache als auch Schrift – Handelssprache Nummer eins und trug sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Teil zum wachsenden Handel unter den Provinzen bei. So wurden alle Verträge in Latein geschlossen, es wurde aber auch auf den Basaren in Alexandria auf lateinisch ge- und verhandelt. Man kann durchaus davon sprechen, dass Latein die Weltsprache der Zeit um Christi Geburt war, denn die besiegten Völker nahmen – bis auf die Griechen – relativ schnell 36 Crawford, S 88. – 49 – Latein als Grundlage für „internationale“ (und auch „nationale“!) Tätigkeiten zumeist freiwillig an. Infrastruktur Die vom römischen Militär errichteten Straßennetze sind noch heute berühmt und bestehen zum Teil heute noch. Sie beschleunigten den Waren- und Personentransport zunehmend und machten es z.B. möglich, dass man in nur wenigen Wochen von Britannien nach Alexandria reisen konnte. Auch das Informations- und Postwesen, welches damals bereits hervorragend funktionierte, wurde dadurch beschleunigt, und nicht zu vernachlässigen sind die militärischen Vorteile, die sich durch schnelle Truppenbewegungen innerhalb des Imperiums ergaben. Vergleiche mit heute Der Beginn einer Globalisierung Das römische Reich des Kaiser Augustus war sicherlich noch keine komplett globalisierte Welt, sondern stand bestenfalls am Anfang eines Globalisierungsprozesses und ist folglich am ehesten mit der frühen Nachkriegszeit der 1950er-Jahre zu vergleichen. „Wenn man (…) für das Imperium Romanum der Kaiserzeit von ‚global’ spricht, so bezieht sich – und diese Einschränkung ist wichtig – die Globalisierung eben nicht auf die ganze uns heute bekannte Welt, sondern auf den historischen Vorgang, dass Rom als alleinige mittelmeerische Macht über mehrere Jahrhunderte hinweg einen stabilen Großraum errichtet und bewahrt hat, der einen Großteil der damals bekannten Welt umfasste.“37 In etwa um Christi Geburt begann sich eben dieser Wirtschaftsraum, den das Römische Imperium bildete, zu entwickeln: Nach zahlreichen Kriegen und den Siegen über die Seeräuber im Mittelmeer konnten sich die zahlreichen besiegten Völker in gemeinsamen Grenzen näher kommen, miteinander handeln, voneinander abschauen und schlussendlich auch fremde Traditionen übernehmen. Wenn wir von unserer Anfangsdefinition ausgehen, kann man erkennen, dass die Römer eigentlich alle Faktoren einer „global village“ erfüllen: Es gab zahlreiche „internationale“ Unternehmen, Ressourcenbeschaffung und Weiterverarbeitung fanden oft nicht am selben Ort statt, römisches Geld floss nicht nur im gesamten Mittelmeerraum. Die Römer schufen sich so auch durchaus Wettbewerbsvorteile, da es z.B. günstiger war, Getreide in Ägypten zu produzieren, als in Italien. Sie wussten also bestens bescheid, wie man Standortvorteile ausnützen kann und so den Gesamtoutput und die Produktivität zu maximiert. Die globalisierte Welt von heute „macht“ im Prinzip nichts Anderes. Probleme Fremdenhass, Assimilierung und Rassismus gibt es nicht erst seit dem 19. Jahrhundert, sondern schon viel früher: z.B. Rom selbst war/ist das Paradebeispiel einer frühen multikulturellen Stadt, wo Spannungen vorprogrammiert sind. So wurden z.B. später für die Brände der Stadt zur Regierungszeit Kaiser Neros die Christen in „Sippenhaftung“ genommen. Schon damals waren viele Menschen mit ihrer sozialen Lage unzufrieden und fanden meist zu Recht die Ursachen ihrer Armut im globalen Handel innerhalb des römischen Reiches. So wurde z.B. aus Ägypten billig Weizen importiert, was natürlich die „alten“ lateinischen 37 Weber, S 54. – 50 – Bauern in den Ruin bzw. ins Proletariat trieb. Auch heute wäre z.B. Landwirtschaft in vielen Teilen Österreichs ohne staatliche/EU- Förderungen nicht mehr machbar – zu groß (und billig) ist die Konkurrenz aus dem (EU-)Ausland. Auch sahen sich die Römer in vielerlei Hinsicht als „Übervolk“, der Rest der Welt wurde erniedrigend als Barbaren bezeichnet. Gerade in der gegenwärtigen Irak-Krise ist ein solcher Vergleich sicherlich höchst interessant, denn sehen z.B. die USA (und vielfach auch wir Europäer) oft solche Kulturen, die sich nicht „unserem Weltsystem“ anpassen wollen ebenfalls als Barbaren? Das römische Reich ist schlussendlich zum Teil an eben dieser Ignoranz untergegangen. Vielleicht wäre es an der Zeit aus der Geschichte zu lernen. Literaturverzeichnis Bleicken, Jochen, Die Verfassung der Römischen Republik, Schönigh, Paderborn, 1982 (3.Auflage). Crawford, Tad, Das geheime Leben des Geldes, Oesch Verlag, Zürich, 2000. Harries, Nathaniel, Römisches Reich: Staatswesen, Alltagsleben, Kultur, Tosa Verlag, Wien, 2001. Hausmaninger, Herbert und Walter Selb, Römisches Privatrecht, Böhlau Verlag, Wien, 1997 (8. Auflage). Weber, Gregor, „Das Imperium Romanum als Wirtschaftsraum“ in: Schreiber W. (Hrsg.), Vom Imperium Romanum zum Global Village. ‚Globalisierungen' im Spiegel der Geschichte, Ars Una, Neuried, 2000, S 53-74. – 51 – – 52 – Die Fugger – Ein frühes Beispiel multinationaler/globaler Wirtschaftsaktivitäten Matthias Neeff und Tobias Rüf Einführung Grund für unsere Wahl der Geschichte der Familie Fugger, als einer möglichen Frühform der Globalisierung bzw. Internationalisierung des Handelswesens, ist die starke Verflechtung der Fugger mit der Geschichte des Landes Tirol, sowie Österreichs und schlussendlich auch Europas. Am Höhepunkt ihrer Macht, • waren sie reicher und mächtiger als die 100 größten Unternehmen der Gegenwart, • bestachen sie Könige, Kaiser und selbst Päpste, • finanzierten sie den Krieg gegen die Protestanten und die Eroberung Südamerikas, • retteten sie Europa vor den Türken und die Habsburger vor dem Untergang, • ließen sie aufständische Bauern niedermetzeln und organisierten den Ablasshandel, • sammelten sie die wertvollsten Kunstschätze und gründeten den ersten Sozialfonds der Geschichte und • erfanden sie die Gleichung Weltgeschichte = Geldgeschichte. Ziel unserer Arbeit ist es, zu erörtern, ob und wenn ja, warum der Fugger-Clan in seiner Blütezeit (15. und 16. Jahrhundert) global aktiv war. Aufgrund der Fülle an historischen Ereignissen, die durch die Fugger mitgestaltet wurden, haben wir uns dazu entschlossen, uns auf Jakob Fugger den Reichen und dessen Neffen Anton Fugger, als die wohl bedeutendsten Vertreter des Fugger-Clans, zu konzentrieren. Anhand eines historischen Abrisses bzw. einer zeitlichen Einordnung des 15. und 16. Jahrhunderts, soll dem Leser die spezielle Konstellation, in der die Fugger wirkten, verdeutlicht werden. Im Folgenden beschäftigt sich die Arbeit mit Jakob dem Reichen und Anton Fugger als „Global Player“ ihrer Zeit, sowie den Tätigkeitsbereichen und dem Ausdehnungsgrad ihrer geschäftlichen Aktivitäten. Des Weiteren sollen Parallelen zur Globalisierung von Heute erarbeitet werden. Zu guter Letzt werden noch die Gründe für den Niedergang des Fuggerschen Imperiums dargestellt. Historisches Umfeld – zeitliche Einordnung Konzentrieren wir uns auf die Zeit, in der Jakob der Reiche und Anton Fugger tätig waren, so muss näher auf das 15. und 16. Jahrhundert eingegangen werden. Jene Zeit, die auch die frühe Neuzeit genannt wird, war vor allem eine Zeit des Umbruchs: Renaissance (zwischen 1350 und 16. Jahrhundert), Frühkapitalismus und Reformation galten als die Herausforderungen, denen sich der Adel, der Klerus und nicht zuletzt Kaufleute wie die Fugger zu stellen hatten. – 53 – Die Wirtschaft Bis Mitte des 15. Jahrhunderts war die Wirtschaft in Europa hauptsächlich durch Stagnation oder Rückgang, als Folge von Umwälzungen und Krisen geprägt. Doch auch in dieser Zeit gab es Branchen und Länder, die sich behaupten konnten. Es wäre einerseits Frankreich zu nennen, dessen Wirtschaft aufgrund von Missernten, Kriegswirren (Hundertjähriger Krieg) und anderen Nöten fast zusammenbrach und andererseits Flandern (Tuchgewerbe) als Beispiel zu erwähnen, dem es wirtschaftlich gesehen sehr gut ging. Das Ende des 14. und der Beginn des 15. Jahrhunderts waren noch von der Landflucht geprägt, da nach wie vor ein Großteil der ländlichen Bevölkerung ihr Glück in den Städten wagen wollte. Das Motto dieser Zeit, „Stadtluft macht frei!“, brachte auch den ersten Fugger nach Augsburg. Zurückzuführen war diese Landflucht auf schlechte Ernten und harte Winter, die Hungersnöte und Epidemien auslösten, welche die Geburtenraten drastisch reduzierten und letztlich eine enorme Überproduktion an landwirtschaftlichen Gütern nach sich zogen. Daraus resultierte ein enormer Preisverfall für landwirtschaftliche Güter, was schließlich eine Menge Leute vom Land in die Städte trieb (vgl. Herre, S 7-12). Die verbleibenden Bauern fingen zunehmend an, sich zu spezialisieren (Viehhandel, Getreideanbau, Weinbau usw.). Ostpreußen und polnische Anbaugebiete betrieben beispielsweise damals bereits regen Fernhandel mit Getreide. Durch die technischen Beschränkungen, die das damalige Transportwesen kennzeichneten, war der Transport auf dem Landweg über weite Strecken nur dann rentabel, wenn es sich um hochwertige und/oder unverderbliche Waren handelte (vgl. Schlögel). Transportiert wurden die Waren übrigens per Ochsenkarren oder per Boot bzw. Schiff. Aber auch das Handwerk erlebte in Folge der Landflucht einen enormen Aufschwung. Beispielhaft hierfür sind die Gründungen der ersten Zünfte und Verbände. In Augsburg, der Heimatstadt der Fugger wurde bereits 1368 die erste Zunftverfassung der Weber niedergelegt (vgl. Hering, S 25). Diese wurde übrigens auf Anweisung der Fugger 1548 durch Kaiser Karl V. wieder aufgehoben (vgl. Hering, S 101). Die Entdeckungen und Erfindungen Gilt es die Erfindungen jener Epoche aufzuzählen, ist vor allem Johannes Gutenberg zu nennen, der den beweglichen Satz und damit auch den Buchdruck erfand, von dem die Fugger enorm profitierten, da Gutenberg in Mainz Ablassbriefe für sie druckte. Eingehoben wurden diese Ablassgelder natürlich auch von den Fuggern, die daran prozentuell beteiligt waren. Leonardo Da Vinci zeichnete seine erste Flugmaschine, die Mona Lisa und das Abendmahl. Der erste Globus wird von Martin Behaim in Nürnberg gebaut. Um Erfindungen zu nennen, die unmittelbar die Wirtschaft betreffen, sollte die Einführung von Wechseln und der doppelten Buchhaltung erwähnt werden, die sich bereits im Spätmittelalter in Italien entwickelt hatte. Wesentliche Triebkräfte, die zur Entwicklung des damaligen Handels bzw. als Initialzündung zu Erfolgsversprechenden Entdeckungen und der damit eng verbundenen Globalisierung beitrugen, waren die Erfindung von Kompass und Seekarten. Sie erleichterten den Seeleuten die Fahrt und es konnte durch deren Einsatz Zeit gespart werden, da man nun die kürzesten Wege kannte. Diese Technologische Entwicklung ermöglichte den Seefahrern dieser Zeit, ihre Entdeckungen außerhalb Europas. Die Portugiesen gründeten bereits um 1420 die ersten Niederlassungen an auf atlantischen Inseln. Als besonders erwähnenswert gelten jedoch die Endeckung Amerikas unter Christoph Columbus (1492) und die Erschließung des Seeweges nach Indien, unter Vasco da Gama im Jahr 1498. 1519-22 gelang bereits die erste Weltumsegelung. Diesen Entdeckungen ist es zu verdanken, dass die Fugger ihre transnationalen – 54 – Geschäftsbeziehungen ausweiten konnten und somit eines der ersten Unternehmen in der Geschichte waren, die „weltweit“ tätig wurden. Die Ereignisse Diese Epoche war von kleineren und größeren Kriegen geprägt, die ständig irgendwo in Europa ausgefochten wurden und von denen die Fugger teils mehr, teils weniger profitierten. Die bekanntesten Kriege jener Epoche waren wohl der Schmalkaldische Krieg, der mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) endete, und der Schwabenkrieg (1499). Unter den zahlreichen Kriegen, die sonst stattfanden, wären noch die ständigen Angriffe der Türken während dieser Zeit zu erwähnen. Es handelt sich auch um die Zeit der Reformation, die durch die Kritik am Papsttum und durch die Auswüchse der Kirche (Ablasshandel) angetrieben wurde. So schlug Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg und löste dadurch die Reformation und die Kirchenspaltung aus (vgl. Herre, S 65). Die Persönlichkeiten jener Zeit Neben denen, die unter den vorherigen Punkten bereits angeführt worden sind, sollte noch auf einige allgemein wichtige Persönlichkeiten, die im Zeitraum von Jakob und Anton Fugger gelebt haben, eingegangen werden. So bestimmten neben der Familie Fugger, die Medici, die Welser, Strozzi und Grimaldis, um nur einige zu nennen, den damaligen multinationalen Handel. Niccolo Machiavelli schreibt „Il Principe“ (1513) und König Heinrich VIII. regiert England ab 1509. Es die Zeit Kaiser Maximilian I. (1459-1519) und später Kaiser Karl V. (1500-1558), die nacheinander als wichtigste Geschäftspartner und Verbündete der Fugger galten. Jakob Fugger der Reiche & Anton Fugger als „Global Player“ ihrer Zeit Jakob der Reiche (1459-1525) Jakob Fugger, auch Jakob der Reiche genannt, wurde am 6. März 1459 in Augsburg geboren und gehörte zum Stamm der „Fugger von der Lilie“. Er war der jüngste Sohn von Jakob dem alten und Barbara Fugger geb. Bäsinger und ist wohl eine der, ja sogar die herausragende Persönlichkeit der Geschichte des Aufstiegs und Falls der Familie Fugger. Ursprünglich für einen geistlichen Beruf vorgesehen, wurde der jüngste von insgesamt acht Geschwistern, nach dem unerwarteten Tod einiger seiner Brüder mit 19 Jahren, nach einer Zwischenstation an der „Wall-Street“ des 15. Jahrhunderts, Venedig, doch nach Augsburg beordert und startete von dort aus eine Karriere im Handel, die bis heute ihresgleichen sucht (vgl. Pöllnitz, S 249ff). Gerade in unserer jetzigen Zeit, wo Politik weitestgehend Wirtschaftspolitik ist, hat die Geschichte dieses Mannes nichts an ihrer Aktualität verloren, da gerade zu Zeiten Jakob Fuggers des Reichen, die Weltpolitik durch die Wirtschaft bestimmt wurde. Er hielt als privater Unternehmer die Macht der Welt in Händen. So entschied er, wann Kriege geführt wurden und wann Frieden geschlossen wurde. Von seinem Wohlwollen hing es auch ab, ob ein Habsburger oder ein Valois zum römischdeutschen Kaiser gewählt wurde. Sogar in Glaubensangelegenheiten mischte er sich massiv ein und sorgte so z.B. mit seinen Ablassgeschäften maßgeblich mit für die Reformation. Ob als Handelsherr oder als Montanindustrieller und Wirtschaftspolitiker – immer war er der wagende, schaffende und gestaltende Mensch (vgl. Hering, S 183). – 55 – Gerade zur großen Zeit der Fugger, also zwischen 1480 und 1560 (Jakob der Reiche und Anton) existierten viele Probleme, die in der Gegenwart, also unserer zunehmend globalisierten Welt sehr ähnlich sind. Beispiele hierfür wären die Ausbeutung der dritten Welt, ungleiche Verteilung der Rohstoffe, Massenarbeitslosigkeit, Preiswucher und technologischer Fortschritt. Jakob der Reiche schuf einen multinationalen Konzern, dessen Organisationsform den global operierenden Konzernen von heute ziemlich ähnlich war, abgesehen von der damals nicht existierenden Technologie. Er verstand es wie kein anderer, sich die Errungenschaften der Seefahrer zu Nutze zu machen und war überall dort anzutreffen, wo Bodenschätze zu erbeuten waren. Die Macht der Fugger, insbesondere die Jakob des Reichen, war jedoch größer als die der Konzerne von heute: „Als Jakob Fugger beispielsweise sämtliche Erzgruben Tirols in der Hand hatte, ließ er den Herrscher des Alpenlandes, Herzog Sigismund, kurzerhand absetzen.“ (Ogger, S 12) Sein Einflussbereich reichte von der Westküste Südamerikas über den gesamten Europäischen Kontinent bis zu den Gewürzinseln der Molukken (Indonesien). Jakob steuerte die größte Bank der Welt und das mit Abstand größte Handelshaus. Über das Herrschaftsgebiet Kaiser Karl V. sagt man bis heute, dass dort die Sonne niemals unterging und dort war, den Kaiser eingeschlossen, der Augsburger Kaufmann der mächtigste Mann. Jakob Fugger war es, der die Wahl des Kaisers finanzierte, der seine Heere bezahlte und letztlich auch dessen Politik mitbestimmte (vgl. Herre, S 62). Natürlich ist das Ausmaß der Unternehmungen Jakob Fuggers, nicht unmittelbar vergleichbar mit der Ausdehnung der global operierenden Konzerne von heute, dennoch waren die Aktivitäten der Fugger und insbesondere die Jakob des Reichen stark internationalisiert und für damalige Verhältnisse global. Diese These wird im Folgenden anhand ausgewählter Beispiele der Aktivitäten Jakob Fuggers des Reichen belegt. Die Informationspolitik Jakobs des Reichen Einen großen Anteil ihres Reichtums und ihrer Macht verdanken die Fugger dem Pioniergeist Jakob Fuggers des Reichen in Sachen Informationspolitik. Lange vor seinen Konkurrenten erkannte Jakob die Informationsversorgung als entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Er baute, lange vor den Thurn und Taxis, den ersten weltweit operierenden privaten Nachrichtendienst auf. Den ihm so zuteil gewordenen Nachrichtenvorsprung nutzte er dazu, sich Kaiser und Könige zu Verbündeten zu machen. Durch gezielte Falschinformationen manipulierte er seine Konkurrenten und trieb sie teilweise sogar in den Ruin. Um an die notwendigen Informationen zu gelangen, beschäftigte Jakob tausende von Agenten in allen Teilen seines Handelsimperiums, die ständig alle relevanten Informationen sammelten und diese mit dem normalen Warenverkehr laufend über die nächstgelegenen Faktoreien nach Augsburg schickten. Besonders eilige Nachrichten wurden sogar mittels Spiegeln weitergeschickt. So soll es möglich gewesen sein, Nachrichten von den Fuggerschen Quecksilberbergwerken in Südspanien in weniger als zwei Stunden nach Augsburg zu übermitteln (vgl. Ogger, S 23). Anfänglich war dieses Nachrichtensystem eher wie das eines Geheimdienstes aufgebaut. Jakob erkannte jedoch sehr schnell, dass aus der Fülle der Informationen auch ein Geschäft zu machen war. Mittels des neu erfundenen Buchdrucks veröffentliche man die Informationen, die man nicht exklusiv benötigte und konnte so ganz bewusst Falschmeldungen unter die Leute bringen. Der erste multinationale Konzern Mit unglaublicher Zähigkeit trieb Jakob die Expansion seines Konzerns voran. Seine Vision war es, eine weltumspannende Handelsorganisation aufzubauen. In der damaligen Zeit ge– 56 – staltete es sich jedoch schon schwierig, nationale Grenzen und die unterschiedlichen Hoheitsrechte der unzähligen Landesherren zu überwinden. Dadurch, dass sich jedoch die meisten der Landesherren bereits finanziell in Fuggerscher Abhängigkeit befanden, war es für Jakob ein Leichtes, durch Bestechung und einseitige Abhängigkeit einen relativ liberalen, grenzüberschreitenden Warenfluss aufzubauen. Er setzte daher seine ganze Energie in den Aufbau des ersten multinationalen Konzerns der Wirtschaftsgeschichte. Indem er Außenposten an allen strategisch wichtigen Plätzen errichtete, glaubte er diesem Ziel einen entscheidenden Schritt näher zu kommen. So entstand ein weit verzweigtes Verkehrs- und Handelsnetz. Ab 1510 verfügten die Fugger über Niederlassungen in Nürnberg, Frankfurt, Köln, Antwerpen, Hohenkirchen, Leipzig, Breslau, Wien, Fuggerau (Kärnten), Budapest, Neusohl, Schwaz, Hall, Bozen, Venedig, Rom, Lyon und Madrid. Dies waren jedoch längst nicht alle (vgl. Ogger, S 144). Jakob verkaufte hier alles, was Geld brachte, so z.B. Gewürze aus Lissabon, Seide aus Venedig und Kupfer aus Ungarn. Antwerpen war zu dieser Zeit die bedeutendste Außenstelle der Firma, da von hier aus der Handelsverkehr mit den Hansestädten, England, Spanien und Portugal abgewickelt wurde. Natürlich übersah Jakob Fugger nicht die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Entdeckungen der Seefahrer für ihn ergaben. Seit 1485, als der Nürnberger Martin Behaim gemeinsam mit dem portugiesischen Abenteurer Diego Cao am Kongo war, lies sich Jakob ständig über den Stand der Entdeckungsreisen informieren. Er war der Meinung, an den Entdeckungen fremder Länder mitverdienen zu können, indem er Waren wie Gewürze importierte und des Weiteren billige Arbeitskräfte (Sklaven) einführte. Zudem versprach er sich durch den Export von Waren, im speziellen von Metallen, in die neu entdeckten Märkte satte Gewinne. Als die Welser von Lissabon aus den Gewürzhandel mit Indien aufnahmen, schickte Jakob umgehend einen Gesandten nach Portugal, der es mit dem Vertreter der Welser, Lukas Rem, aufnehmen konnte. Die Fugger waren auch finanziell beteiligt, als die Portugiesen im Jahr 1505 mit einer großen Flotte nach Asien aufbrachen. Es waren drei große Schiffe, die San Hieronymo, die Raffael und die Lionardo, die allesamt von ausländischen Kaufleuten finanziert wurden. Es waren Florentiner und Genueser Bankiers beteiligt, die insgesamt 29.400 Cruzados beisteuerten. Ebenso beteiligt waren neben den bereits erwähnten Fuggern weitere Deutsche Finanziers, wie Welser, Höchstetter, Imhof, Gossembrot und Hirschvogel, die sogar 36.000 Cruzados bezahlten, um dieses Projekt zu ermöglichen. Den größten Anteil dieser 36.000 Cruzados zahlten allerdings nicht die Fugger, sondern die Welser, mit allein 20.000 Cruzados. Dies lag daran, dass Jakob Fugger bei aller Verlockung des möglichen Gewinnes aus diesem Projekt sehr wohl auch das Risiko bewusst war, dass damit verbunden war. Auch bei späteren Expeditionen hielt er sich stark zurück. Er machte es klüger und wartete zunächst ab, was an Waren nach Hause gebracht wurde, um diese Ladungen dann komplett aufzukaufen und an der Antwerpener Börse weiterzuverkaufen. Für Gewürze wie Nelken, Pfeffer und Zimt konnte man dort höchste Preise erzielen. Somit waren die Fugger, wenn auch nicht direkt, immer an der Erschließung der neuen Märkte beteiligt und zogen zumeist sogar den größten Nutzen von Allen daraus. Jakob der Reiche starb am 30. Dezember des Jahres 1525 in Augsburg. Zum Zeitpunkt seines Todes betrug sein Vermögen über 2 Millionen Gulden (ca. 40 Millionen Euro), was für die damalige Zeit schlichtweg gigantisch war. Damit war er der allererste Guldenmillionär in Europa. Da er keine Kinder hatte, vererbte er das gesamte Geschäft seinem Neffen Anton, den er als einzigen der Söhne seiner Brüder für fähig hielt, die Geschäfte erfolgreich weiterzuführen. Auf eben diesen Anton soll nun etwas genauer eingegangen werden, da auch seine Aktivitäten im Zusammenhang mit den Begriffen Internationalisierung und Globalisierung von Bedeutung sind. – 57 – Anton Fugger (1493-1560) Anton Fugger wurde am 10. Juni 1493 in Augsburg geboren, war jedoch bis zum Tode Jakobs des Reichen so gut wie überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Dies lag daran, dass er bereits frühzeitig in die Außenstellen des Imperiums, so z.B. Rom und Breslau entsandt wurde, um dort die notwendigen Erfahrungen zu sammeln. „Dort hatte er sich als unabhängiger Kopf, phantasievoller Unternehmer, sowie als geschickter Diplomat erwiesen und sich allmählich das Vertrauen des Konzernchefs erworben“. (Ogger, S 227) Obwohl sich Jakob zunächst ob der Fähigkeiten des Neffen nicht ganz sicher war, übertrug er ihm doch die wohl schwerste Aufgabe der damaligen Weltwirtschaft. So sah sich Anton mit 32 Jahren einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber, nämlich aus dem Schatten seiner unglaublich erfolgreichen Vorfahren und im speziellen aus dem seines Onkels zu treten. Doch anstatt sich mit spektakulären Transaktionen zu profilieren, tat er genau das Richtige. Er ließ zunächst alles so weiterlaufen wie bisher und arbeitete sich fleißig ein. So brachte er es auf das höchste jemals erreichte Gesellschaftsvermögen der Fugger, nämlich 5 Millionen Gulden (vgl. Herre, S 91). Nach einiger Zeit, als er sich als erfolgreicher Geschäftsmann bewiesen hatte, erwachte auch in Anton, wie bereits in seinem Vorgänger, der unbedingte Drang zur Expansion, zur Erschließung neuer Märkte. Sein Traum war es, an das sagenumwobene Inka-Gold zu gelangen. Immer wieder wurde in Kaufmannskreisen davon gesprochen. Anton war alles andere als ein Spieler, aber als die Nachrichten der zunehmenden Erfolge der Expeditionen, bspw. der Welser, aus Sevilla nach Augsburg gelangten, wollte auch der Fugger daran partizipieren. So beteiligte sich Anton im Jahr 1527 an einer Expedition des in englischen Diensten stehenden Italieners Sebastiano Caboto nach Amerika. Diese Expedition verlief jedoch erfolglos. Eine weitere Reise führte die Entdecker drei Jahre später auf der Nordroute zur Halbinsel Yukatan in Mexiko. Dort wurden die Azteken allerdings bereits von den Spaniern ausgebeutet und so schien ein weiteres Engagement durch die Fugger nicht ratsam. Wenig später jedoch nutzte Jakob die Chance, intensiver in das Kolonialgeschäft einzusteigen und ging eine Kooperation mit den Welsern ein. Nachdem die ersten Karten des neuen Kontinents eingetroffen waren, intensivierte er seine Aktivitäten dort nochmals. Geschäft wurde mit Gold, Sklaven, Perlen, Farbstoffen wie Indigo, Edelhölzern, Drogen und Medikamenten gemacht. Darauf folgten Coca-Nüsse, Winteranis zur Behandlung von Skorbut und Tabak. Zum Bestseller entwickelte sich allerdings das Guajakholz, das zur Behandlung von Syphilis diente. Noch waren die Welser die führende Familie im Südamerika-Geschäft, damit gab sich Anton allerdings nicht lange zufrieden. Als Karl V. wieder einmal Geld benötigte, um Krieg zu führen, witterte Anton seine große Chance, auch die Nummer eins im Kolonialgeschäft zu werden. Für ein Darlehen in Höhe von 1,5 Millionen Gulden, verlangte Anton das größte Stück vom Südamerika Kuchen. Er forderte die gesamte südamerikanische Pazifikküste von Chincha in Peru, bis nach Feuerland auf einer Breite von 200 Meilen. Natürlich bekam er diese auch und zwar für einen Zeitraum von drei Generationen bzw. 100 Jahren, ab 1531. Doch blieben die durchschlagenden Erfolge der Fugger in Südamerika im Vergleich zu den Welsern aus. Dies mag zu einem Großteil daran gelegen haben, dass man sich schlichtweg nicht genug darum kümmerte. Von den zunehmend schlechten Nachrichten verärgert, beschloss Anton nach dem Scheitern einer Kolonialflotte im Jahr 1533 den Rückzug aus Südamerika (vgl. Pöllnitz, S 359). Dies war seine erste große Niederlage. Im Laufe der Jahre wurde die Abhängigkeit des Fuggerkonzerns von den Habsburgern immer stärker und die Geschäfte wurden immer mühsamer. Dies änderte sich bis zum Tod Antons im Jahr 1560 auch nicht mehr. Dennoch gibt Anton Fugger ein weiteres Beispiel für frühe globale Aktivitäten. – 58 – Parallelen zur Globalisierung von heute Globalisierung als Begriff wurde erst Anfang der 1990er Jahre populär. Da es keine einheitliche Definition des Begriffs Globalisierung gibt, wird darunter die zunehmende internationale Verflechtung und Durchdringung der Nationalstaaten in den Bereichen Wirtschaft, Handel; Industrie, Verkehr, Finanzen, Kultur, Sport, Information und Kommunikation verstanden (vgl. Koch). Außerdem sollten in Zusammenhang mit der Globalisierung noch die Umweltprobleme berücksichtigt werden. Sie entstehen zwar lokal, können aber globale Auswirkungen nach sich ziehen, wie z.B. im Bereich des Weltklimas. Es herrschen verschiedene Meinungen darüber vor, seit wann es Globalisierung wirklich gibt. Die Fugger jedenfalls betrieben bereits vor den großen Entdeckungen überall in der damals bekannten Welt Handel und Faktoreien und waren an Entdeckungsreisen direkt oder auch indirekt beteiligt. Sie trugen daher maßgeblich zur Globalisierung bzw. zu deren Entstehen bei. Inwieweit dies im Lichte der Globalisierung etwa des 19. Jahrhunderts stimmt, sei nun anhand einiger dabei wichtiger Punkte gezeigt. Transportkosten: Hierunter fallen die Kosten für Transport und Kommunikation, die eigentlich erst ab 1870 wirklich verbilligt wurden und in Folge dessen einen wesentlichen, wenn nicht den Hauptanteil an der Entwicklung der Globalisierung tragen. Blickt man nun zurück ins Zeitalter der Fugger, zeigt sich dass sie im Vergleich zu anderen jener Zeit, in Sachen Kommunikation, weit voraus waren und so von Augsburg aus ständigen Kontakt zu den einzelnen Faktoreien hatten. Durch die revolutionäre Erfindung des Buchdrucks etablierten sie das erste Zeitungswesen. Die so genannten „Fuggerzeitungen“ waren keine Zeitungen in heutigem Sinne, da sie nicht periodisch erschienen und vor allem nicht für das breite Publikum bestimmt waren, sondern nur für Geschäftspartner der Familie Fugger (vgl. Herre, S 45). Migration: Die Migration spielte in jener Zeit noch eine untergeordnete Rolle, wurde aber durch die Entdeckung Amerikas und die anderen Entdeckungen jener Zeit langsam ins Rollen gebracht. Technologie: Die Technologie der damaligen Zeit war vergleichsweise bescheiden und trug noch nicht maßgeblich zur Globalisierung bei. Die Fugger waren jedoch bestrebt, den technologischen Fortschritt anzutreiben und den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, um maximale Kapazitätsauslastungen zu günstigsten Verhältnissen zu erreichen. Die Fugger unterstützen direkt oder indirekt Entdeckungsreisen, von denen sie sich wirtschaftlichen Nutzen erwarteten. Kapitalverkehr: Da Kapitalverkehr und die damit verbundenen Finanzmärkte einen Schwerpunkt der Globalisierung darstellen, ist es besonders erwähnenswert, dass die Fugger stets für den freien Kapitalverkehr eingetreten sind und ihn zu ihrer Zeit auch herstellen konnten. Sie meisterten die damaligen Währungsschwierigkeiten und Zahlungsmöglichkeiten durch die Einführung von Wechseln und trugen mit den Italienern wesentlich zum Entstehen des Bankensystems bei. Güterhandel: Der Güterhandel der damaligen Zeit ist sicherlich nicht mit der Freiheit des Warenhandels Ende des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. Gerade für die Fugger jedoch, die von den Habsburgern protegiert wurden, gab es kaum Beschränkungen und falls doch, wusste man sie durch Bestechung oder die Abhängigkeit ihrer Schuldner zu umgehen. So wird klar, dass die damaligen Verhältnisse noch wenig mit der Globalisierung, die wir heute kennen, zu tun hatten. Doch betrachtet man die damalige Zeit und den Einfluss, den die Fugger ausübten, kann von Globalisierung im Sinne interkontinentalen Handels gesprochen werden, da die Fugger ihr Netzwerk für Handelsaktivitäten mit der gesamten zu dieser Zeit erreichbaren Welt nutzten. Außerdem machten sie sich viele Vorteile, die mit – 59 – der heutigen Globalisierung verknüpft werden, zunutze. Ein zentrales Merkmal des globalen Warenaustausches bis weit ins 20. Jahrhundert bestand darin, dass Großhandelsaktivitäten dominierten (vgl. Beisheim). Internationale Handelsfirmen wie damals die Fugger beschafften ihre Güter in Kolonien und verteilten diese in den Stammländern über lokale Einzelhandelsfirmen, die im Falle der Fugger die einzelnen Faktoreien und Handelsniederlassungen darstellten. Die Fugger betrieben damals bereits „global“ Handel und bauten Ihre Geschäftsniederlassungen überall an strategisch wichtigen Orten der damals bekannten Welt auf, um eine Produktions- und Nutzenmaximierung, günstige Produktionsstätten, günstigen Zugang zu Rohstoffen und Arbeitskräften, usw., zu erlangen. Im Prinzip bewegten die Fugger also die gleichen Motive, die heutige Unternehmen zur Teilnahme am globalen Wettbewerb veranlassen. Gründe für den Niedergang des Fuggerschen Imperiums Streng genommen war der Untergang des Fuggerschen Imperiums und damit des ersten multinationalen Konzerns bereits zu einem Zeitpunkt vorprogrammiert, als die breite Öffentlichkeit noch staunend dessen Aufstieg verfolgte. Zu stark war die Verknüpfung von Staat und Wirtschaft im Fall der Fugger. Zwar führte die wechselseitige Abhängigkeit den Staat in den Bankrott, doch andererseits kostete dieser Bankrott die Augsburger Familie langfristig den Grossteil ihres Vermögens. Jakob der Reiche hatte Karl V. zum römischdeutschen Kaiser und damit zum mächtigsten Mann Europas gemacht, aber zum Kaiser von Fuggers Gnaden. Zum Spielball des gewitzten Augsburgers wollte sich der Monarch allerdings nicht machen lassen. Sein Selbstbewusstsein war wesentlich größer, als das seines Großvaters Maximilian, und so versuchte er mit allen Mitteln die lästigen Augsburger abzuschütteln. Natürlich war er im Vorteil, obwohl er der Schuldner war, denn was sollte selbst Jakob Fugger tun, um den Kaiser zur Rechenschaft zu ziehen (vgl. Ogger, S 189). Sein eiserner Wille und seine Fähigkeiten hatten ihn zwar zum heimlichen Herrscher Europas gemacht, doch von da an konnte es nur noch bergab gehen. Dies resultierte auch daraus, dass keiner der Nachfolger Jakobs auch nur annähernd seine Fähigkeiten besaß. So versanken seine Nachfolger zunehmend in den sie überfordernden Verstrickungen der europäischen Großmachtpolitik. Der Hauptgrund des Untergangs liegt darin begründet, dass der Ausbreitungsgrad und die Komplexität der Fuggerschen Aktivitäten in dem von Umbrüchen gekennzeichneten Umfeld nicht länger kontrollierbar waren. So konnten die Nachfolger Jakobs des Reichen maximal versuchen, den Wohlstand zu halten, jedoch nie mehr an seine Erfolge anknüpfen. Anton erkannte diese Komplexität und den schleichenden Untergang des Imperiums und sicherte deshalb das Vermögen zu seiner Wirkungszeit durch den Kauf von Immobilien ab. Zusätzlich wurde das Vermögen durch streng geregelte Erbfolge und Erbschaftsverträge gesichert. Von einem wirklichen Bankrott kann im Fall der Familie Fugger daher bis heute nicht gesprochen werden, da das Vermögen der einzelnen Linien nach wie vor beträchtlich ist. Als Beispiel wäre die Fürst Fugger Privatbank, sowie unzählige Schlösser, Ländereien und Kunstgegenstände zu nennen, die nach wie vor im Besitz der Familie sind. Bedeutung im Sinne eines „Global Player“ konnte ihnen jedoch später nie mehr zugeschrieben werden. – 60 – Schlussfolgerungen Unserer Meinung nach zeigt die Geschichte der Familie Fugger, die wir am Beispiel Jakobs des Reichen und dessen Neffen Anton aufzuzeigen versuchten, eine frühe Phase multinationaler Wirtschaftsverflechtungen bzw. globaler Aktivitäten. Dies deshalb, weil sie in sämtlichen damals erschließbaren Regionen der Welt Handel betrieben. Man kann also gewissermaßen von Globalisierung sprechen, wenn man die wirtschaftlichen Verflechtungen der Fugger und deren Ausdehnungsgrad betrachtet. Ihre wirtschaftlichen Beziehungen dehnten sich schließlich auf den kompletten europäischen Kontinent aus und sie betrieben regen Handel mit Südamerika, Afrika und Asien. Gerade die Ausbeutung der Ressourcen in den neu erschlossenen Regionen und Ländern ähnelt sehr stark dem Verhalten der global tätigen Konzerne unserer Zeit. Dennoch soll unsere Arbeit verdeutlichen, dass die Globalisierung der damaligen Zeit nicht unmittelbar mit der Globalisierung von heute vergleichbar ist. Der Einfluss und das Wirken der Familie Fugger ist jedoch bis heute unerreicht und dient nach wie vor vielen großen Unternehmen als Vorbild. Literaturverzeichnis Bücher Bagusch, J., Illustrierte Weltgeschichte, Corvus Verlag, Berlin, 1981. Beisheim, O. (Hrsg.), Distribution im Aufbruch, Vahlen, München, 1999. Hering, E., Die Fugger, Wilhelm Goldmann Verlag, Leipzig, 1942. Herre, F., Die Fugger in ihrer Zeit, Presse-Druck und Verlags-GmbH, Augsburg, 1985. Mann, G. und Nitschke, A., Propyläen Weltgeschichte, Propyläen Verlag, Berlin und Frankfurt am Main,1986. Ogger, G., Kauf dir einen Kaiser: Die Geschichte der Fugger, Droemer Knaur, München, 1979. Pölnitz, G., Jakob Fugger: Kaiser, Kirche und Kapital in der oberdeutschen Renaissance, J.C.B. Mohr, Tübingen, 1949. Pölnitz, G., Die Fugger, Verlag Heinrich Schäffler, Frankfurt am Main, 1960. Pölnitz, G. und Kellenbenz, H., Anton Fugger, J.C.B. Mohr, Tübingen, 1986. Internetquellen 15. Jahrhundert aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie: Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/15._Jahrhundert (Abrufdatum: 16. April 2003) Aurora Magazin Interview mit Helmut Bräuer: Quelle: http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/global_braeuer.htm (Abrufdatum: 15. April 2003) Europa zur Zeit der Renaissance: Quelle: http://www.egsf.s.schule-bw.de/seminar/9899/tradition/renaissance.html (Abrufdatum: 12. April 2003) Geisz, M.: Tipps für den Unterricht zum Schlagwort "Globalisierung" Quelle: http://www.globlern21.de/Globalisierung.html#Zum (Abrufdatum: 17. April 2003) Gèrard, P.: Was ist eigentlich Globalisierung: Quelle: http://www.zeitdenken.de/druckfrisch/11 (Abrufdatum: 17. April 2003) Globalisierung: – 61 – Quelle: http://www.weinreichpeter.de/schule/wwwtexteg/globalisierung.htm (Abrufdatum: 20. April 2003) Gutenberg und seine Zeit: Quelle: http://www.gutenberg.de/zeit.htm (Abrufdatum: 15. April 2003) Koch, J.: Globalisierung – Chancen und Gefahren: Quelle: http://www.vdst.net/halle/SemProg/koch/glob-cug.htm (Abrufdatum: 17. April 2003) Schlögel, R.: Die Wirtschaft Europas: Quelle: www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Grundkurs/Vortrag/V4/v4.html (Abrufdatum: 16. April 2003) Zeitgeist?! Damals wie Heute: Quelle: http://www.inkultura-online.de/ogger.htm (Abrufdatum: 11. April 2003) – 62 – Der Handel mit Asien im 17. Jahrhundert – Die Gründung der Ostindienkompanien Martin Haitzmann Einleitung Die Diskussionen über die Anfänge von Globalisierung sind in heutiger Zeit kontrovers. Anhand verschiedener Begriffsbestimmungen von „Globalisierung“ sollte vorab nur eines klar sein. Der Begriff „Globalisierung“ scheint auf jeden Fall eine Kreation der heutigen Wirtschaft zu sein (vgl. Borchert, S 3). Versucht man allerdings, dieses Phänomen anhand von geschichtlichen Ereignissen zu datieren, scheint klar zu werden, dass man nicht nur von einem Phänomen der heutigen Zeit sprechen kann. In dieser Arbeit wird der Begriff im Sinne der „rasch zunehmenden Verflechtung zuvor räumlich weit entfernter Wirtschaften“ (Borchert, S 3f) verstanden. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Zeit der Gründungen der ostindischen Handelskompanien, die, wie noch zu zeigen sein wird, um 1600 auch aufgrund von Globalisierungstendenzen gegründet wurden. Es werden die Beispiele der beiden wichtigsten Vertreter (Ostindienkompanie der Niederlande und Englands) betrachtet, denn diese bestimmten den Handel von Europa nach Asien für mehr als zwei Jahrhunderte, wobei der Fokus in dieser Arbeit speziell auf dem 17. Jahrhundert liegt. Anhand von diesen beiden Beispielen soll gezeigt werden, dass es schon zu dieser Zeit zu einer Art von Globalisierungsprozess kam, der die Länder im asiatischen Raum zu einem wichtigen Faktor in der europäischen Wirtschaft werden ließ. Einführend soll die handelspolitische Ausgangssituation für diese Zeit kurz skizziert werden, denn darin liegt eigentlich die Wurzel des Globalisierungsprozesses. Ausgehend von der Entdeckung neuer Handelswege durch die Iberischen Länder, über die Vormachtstellung Portugals bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, soll dargestellt werden, wie dann aber peu a peu vor allem die um 1600 gegründeten Handelskompanien neue Maßstäbe im Welthandel setzten. Deshalb beschäftigt sich der zweite Abschnitt zuerst mit der Gründung der niederländischen „Vereinigten ostindischen Compagnie“, die eigentlich die Brücke vom Handel des Indischen Ozeans nach Westeuropa schlug (Rothermund, S 28), und danach mit jener der englischen Ostindienkompanie. Nach einer kurzen Entwicklungsgeschichte im 17. Jahrhundert, die auch noch einmal den Expansions- bzw. Globalisierungsschub darlegt, liegt der Schwerpunkt auf dem Monopolcharakter der Handelskompanien, sowie auf den gehandelten Waren, um zu zeigen, wie der Import von Gewürzen aus weit entfernten Gebieten den Handel in Europa beeinflusst hat. Zum Abschluss wird noch die Entwicklung der beiden Handelskompanien nach dem 17. Jahrhundert bis zu ihrer jeweiligen Auflösung dargestellt. Es wird sich der Schluss aufdrängen, dass es schon im 17. Jahrhundert eine „globale Wirtschaft“ gegeben hat, die eigentlich durch die Entdeckungen der Portugiesen zu begründen ist, denn wie sonst lässt – 63 – sich erklären, dass die Gründungen der Ostindienkompanien in Ursachen zu finden sind, die räumlich Tausende von Kilometern entfernt lagen. Die Entdeckung neuer Handelswege nach Asien Durch die erheblichen technischen Fortschritte im Spätmittelalter, was den Schiffsbau, die Schiffstypen und die Navigation betrifft, kam es zu wichtigen seefahrerischen Leistungen, die nachhaltig das Geschehen des 17. Jahrhunderts beeinflussen sollten (vgl. Cameron, S 146-148). Vor allem die Portugiesen und Spanier entwickelten eine hohe seefahrerische Kunst und waren somit für wichtige Entdeckungen verantwortlich. An dieser Stelle seien nur Bartolomeu Diaz mit seiner Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung im Jahre 1488 und Vasco da Gama erwähnt, der 1497-98 um Afrika herum nach Indien segelte. Die Vorherrschaft der Portugiesen im 16. Jahrhundert Dieser neue Handelsweg nach Indien und anderen Handelsgebieten im asiatischen Raum, bildete somit eine Alternative zur Handelsroute „Mittelmeer-Rotes Meer“. Dieser Handel wurde vor allem von Arabern und Italienern beherrscht, wobei der Levante Handel, der stark von Venedig geprägt war, am bedeutendsten war (vgl. Rothermund, S 14). Von der bereits erwähnten Expedition Vasco da Gamas kehrten zwar nur zwei Drittel der Besatzung zurück, die rein materiell jedoch sehr hohen zu erwartenden Gewinnchancen durch die mitgebrachten Gewürzladungen führte dazu, dass die Portugiesen die Araber aus dem indischen Ozean vertrieben und „überall auf der Strecke zwischen Mocambique und dem Persischen Golf bis zu den legendären Gewürzinseln, den Molukken, befestigte Handelsniederlassungen“ (Cameron, S 149) errichteten, und sich somit bis zum 17. Jahrhundert eine Vorreiterrolle in dieser Region sicherten. Jedoch konnten sie dem Handel über Venedig langfristig keine ernsthafte Konkurrenz machen, da ihr Handelssystem, auch aufgrund von Kapitalmangel, einige Schwächen hatte (vgl. Rothermund, S 19f). Bedeutend ist jedoch ohne Zweifel, dass ein Weg in den asiatischen Raum gefunden wurde, der es erlaubte, Güter auf einer alternativen Handelsroute nach Europa zu importieren. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen in den Niederlanden Schon im Mittelalter bildeten sich in Nord- Westeuropa und somit auch in Holland einige wirtschaftliche Brennpunkte heraus, da in diesem Gebiet der Asien- Levante- und Ostseehandel ideal verbunden werden konnte (vgl. Rothermund, S 22). Die führende Rolle im Handel machte zuerst Antwerpen und nach dessen Krise 1585 Amsterdam zum bedeutendsten Warenumschlagplatz in diesem Gebiet. Die niederländischen Kaufleute waren indirekt, durch Handelsbeziehungen mit Lissabon, am Handel mit Gewürzen beteiligt (vgl. Reinhard, S 109-111). Als jedoch der befeindete spanische König Philipp II. im Jahre 1580 auch König von Portugal wurde, konnten die Niederländer durch Handel nicht mehr von Portugals Gewinnen aus dem Gewürzhandel profitieren. Es gibt aber auch andere Meinungen, wonach es keinen direkten Zusammenhang mit der Verhängung des Embargos für niederländische Schiffe durch König Philipp II. und der Suche nach einem Seeweg nach Asien gäbe (vgl. Schmitt et al, S 3), und außerdem trug auch „die hervorragende wirtschaftliche Konjunktur (...) dazu bei, dass das überschüssige niederländische Kapital neue Anlagemöglichkeiten suchte“ (Valentinitsch, S 56). Jedenfalls, sei es durch den drohenden Ausschluß vom Markt oder das „überschüssige“ Kapital, wurden die niederländischen Kaufleute dazu bewegt, eine direkte Verbindung zu – 64 – den ostindischen Erzeugern zu suchen. Zuerst wurde versucht, die Portugiesen zu umgehen, indem eine direkte Verbindung über das Nordmeer (Sibirien) gesucht wurde. Dies scheiterte jedoch, und deshalb schlugen die Niederländer auch die Handelswege um Afrika ein, von denen sie wichtige Informationen durch den niederländischen Landsmann Huyghen van Linschoten, der in den Diensten der Portugiesen Stand, erhalten hatten (vgl. Reinhard, S 111). Wirtschaftliche Rahmenbedingungen in England Auch in England hatten die neuen Handelswege Auswirkungen auf die Wirtschaft, was schließlich auch zur Gründung der Handelskompanien führte. Wolfgang Reinhard führt dazu aus, dass für England am Ende des 16. Jahrhunderts vor allem der Levante- und der Ostseehandel von großer Bedeutung waren. Nachdem sich die Augen der Engländer nach den grossen Entdeckungen um 1500 vor allem auf Amerika gerichtet hatten, wurde dann aber auch, durch die Erfolge der Portugiesen, der Handel mit dem Osten interessanter. Zu dieser Zeit war der englische Außenhandel hauptsächlich auf die Ausfuhr von Wolltuche nach Antwerpen (dort hatte man nach Bedarf alle gewünschten Waren bekommen und mit internationalen Wechseln bezahlen können) fixiert, als aber Antwerpen nach der Krise 1585 am Ende war, mussten die Kaufleute selbst den Zugang zu den Absatzmärkten für Tuche finden (vgl. Reinhard, S 131). Gründung der ostindischen Handelskompanien Diese eben dargestellten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Ostindienkompanien gegründet wurden, um den Handel mit entfernten Wirtschaften aufzunehmen, und somit scheint die These eines Globalisierungsprozesses im 17. Jahrhundert neuen Nährboden zu erhalten. Die ostindische Handelskompanie, dessen Wurzel im Allgemeinen in den kaufmännischen Genossenschaften des Mittelalters zu finden ist (vgl. Valentinitsch, S 54), ist eigentlich eine kollektive Bezeichnung für Handelsgesellschaften, die im 17. und 18. Jahrhundert zum Ausbau des Handels mit Asien in Westeuropa gegründet wurden, und sie entwickelten sich aus Zusammenschlüssen von Kaufleuten. Es wurden diverse Kompanien von den verschiedensten Ländern (England, Niederlande, Frankreich, Dänemark, …) gegründet. Rückblickend auf diese Zeit der europäischen Expansion im 17. und 18. Jahrhundert, waren sie die „maßgebenden Träger der Beziehungen zwischen Asien und Europa“ (Reinhard, S 156). Die „Verenigde oostindische Compagnie“ der Niederlande Wie bereits angedeutet, „motivierte sowohl der Ausschluß vom Markt, als auch die günstige Preisentwicklung die niederländischen Kaufleute dazu, die Pfeffereinfuhr aus Asien selbst in die Hand zu nehmen.“ (Schmitt et al, S 4) Im Jahre 1594 gründeten neun Kaufleute daher die „Gesellschaft für Freihandel“ (compagnie van verre) und es kam zu einer ersten Handelsreise zu den Gewürzinseln im indischen Ozean. Von dort kamen zwar nur drei Schiffe zurück, nichtsdestotrotz war aber wichtiger, dass der Weg zum Gewürzmarkt in Westjava eröffnet worden war (vgl. Reinhard, S 113). Bis 1601 wurden so weitere acht verschiedene Gesellschaften gegründet, deren Konkurrenz untereinander (durch zu großes Angebot sanken die Preise) aber so stark war, dass es zum Zusammenschluss dieser so genannten „Vorkompanien“ zur „Verenigden oostindischen Compagnie“ (VOC) kam. Am 20. März 1602 wurde dann der VOC das „Monopol für die von der Republik ausgehende Schiffahrt östlich des Kaps der Guten Hoffnung und jenseits der Magellan-Straße (...) für die – 65 – Dauer von 21 Jahren verliehen“ (Schmitt et al, S 5). Dabei wurden ihr als Kennzeichen einer konzessionierten Kompanie souveräne Rechte übertragen. Inkludiert waren das Recht, Krieg zu führen, Verträge zu schliessen, Land in Besitz zu nehmen sowie Festungen zu bauen (vgl. Schmitt et al, S 6). Die VOC wird auch als erste Aktiengesellschaft bezeichnet, weil das Kapital auf Dauer zur Verfügung stand, die Kapitalanteile gehandelt wurden und die Haftung auf den Nominalwert der „actie“, wie sie seit 1606 bezeichnet wurden, beschränkt war (vgl. Reinhard, S 114). Die englische „East India Company“ In England kam es zwar bereits 1581 zu einem Zusammenschluss der Orientkaufleute zur Levante-Kompanie (Handelsroute Mittelmeer-Rotes Meer), aber der eigentliche Anstoß zur Gründung einer Ostindienkompanie lag in der Rückkehr einer Vorkompanie der Niederländer 1599 mit ihrer reichen Gewürzladung. Die Levante-Kompanie war bedroht, da durch den niederländischen Handel die Warenströme umgeleitet wurden, und ausserdem wollten die Kaufleute den eigenen Bedarf unabhängig von den Exporten der Holländer decken (vgl. Rothermund, S 42). So baten englische Kaufleute der Levant-Kompanie im Jahre 1599 die Königin Elizabeth I. um eine Genehmigung für eine Indienfahrt, die jedoch aus aussenpolitischen Gründen abgelehnt wurde (Friedensverhandlungen mit Spanien). Jedoch die Hoffnung auf neue Geldquellen führte am 31. Dezember 1600, nachdem wieder energisch eine Indienfahrt vorbereitet wurde, dazu, dass der Gesellschaft die „Charter of Incorporance“ zugesprochen wurde. So entstand „The Governor and Company of Merchants of London trading into the East Indies“ mit Privilegien betreffend das Monopol für den englischen Ostindienhandel, Zollfreiheit für die ersten vier Jahre, sowie dem Recht, Edelmetall im Wert von 30.000 Pfund ausführen zu dürfen. Die Privilegien wurden auf 15 Jahre beschränkt (vgl. Reinhard, S 134). Die erste Reise der Kompanie unter Captain James Lancester im Februar 1601 konnte zwar als Erfolg bezeichnet werden, jedoch gravierender war, dass er es im Gegensatz zu den Niederländern nicht schaffte, eine direkte Handelsverbindung mit den Gewürzinseln zu etablieren (vgl. Wild, S 15-17). Europäische Expansion nach Asien im 17. Jahrhundert Im 17. Jahrhundert war, bedingt durch die eben erwähnten Gründungen der ostindischen Kompanien, die Zeit der stärksten europäischen Expansion in Asien (vgl. Reinhard, S 166). Deshalb wird als nächstes das Wirken der niederländischen VOC und der englischen EIC im 17. Jahrhundert in Asien beschrieben. Die Errichtung von Niederlassungen und die sich schnell ausbreitenden Handelsbeziehungen, drängen wieder die Gedanken an eine globale Wirtschaft auf, unter anderem auch, weil die Engländer zum Beispiel die Waren in Asien ausschließlich mit Silber aus Minen in Amerika, wonach in Asien große Nachfrage herrschte, bezahlten. Die „Vereinigte ostindische Compagnie“ in Asien Die VOC wurde sofort nach ihrer Gründung in Südostasien aktiv und besetzte mit Gewalt nach und nach die portugiesischen Schlüsselstellen (vgl. Valentinitsch, S 54). Des Weiteren unterzeichneten sie sofort diverse Monopolverträge, zum Beispiel jenen für Nelken mit dem Sultanat Ternate (Molukken) 1609. Im Kampf um die Freiheit des Seehandels gegen das spanisch-portugiesische Monopol, wurde unter Coen für die VOC auch der Landhandel in Asien interessant, von dem er die Portugiesen und Spanier ausschliessen wollte. Da dieser – 66 – gewinnbringender als der Handel mit Europa war, wurde er auch zur Finanzierung für diesen herangezogen (vgl. Reinhard, S 118). Von Batavia, das seit Coen die Zentrale der VOC war, erstreckten sich der Einfluss und die Aktivitäten der Niederländer über ganz Malaysia und bis nach China, sowie bis zum Kap der Guten Hoffnung. Die Kompanie vertrieb auch ihre britischen Rivalen aus Malaysia und von den Molukken. „In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erreichte die VOC den Höhepunkt ihrer Macht“ (Valentinitsch, S 59). Die englische „East India Company“ in Asien Auf ihren ersten Reisen stieß die Kompanie bis nach Japan vor, und 1610/11 errichtete sie ihre ersten Handelsniederlassungen in Indien und in den Provinzen Madras und Bombay. Jedoch hatte die EIC zu Beginn ihrer Laufbahn einige schwierigere Probleme zu bewältigen. Nennenswert wären die wirtschaftlichen Probleme aufgrund der geringen Nachfrage englischer Produkte in Asien, aufgrund des hohen Silberexports, der im Zuge der merkantilistischen Lehrmeinung für Diskussion gesorgt hat (vgl. Reinhard, S 138f und S 170f), oder aber aufgrund der Interessensgegensätze zwischen London und den übrigen Hafenstädten, die zu Auseinandersetzungen im Parlament führten (vgl. Reinhard, S 138). Überdies kam es zu Gründungen noch anderer Gesellschaften, was in Verbindung mit dem ersten englischholländischen Krieg 1652-54 und der faktischen Freigabe des Indienhandels 1654-57 zum Ruin der EIC führte. Die Anteilseigner setzten beim Staatsrat aber die Gewährung einer neuen Monopolcharter durch Cromwell 1657 durch, wodurch es zur Einrichtung eines auf Dauer angelegten Gesellschaftskapitals kam und die Rechte an die der VOC angeglichen wurden (Recht, Krieg zu führen, Festungen zu unterhalten und Verträge zu schliessen) (vgl. Reinhard, S 139). Trotz zweier weiterer englisch-holländischer Kriege (1665-67 bzw. 167274) kam es dann zu einem Aufschwung der EIC, der bis ins 18. Jahrhundert hinein anhalten sollte. Der Monopolcharakter der Handelskompanien Die Handelsgesellschaften mit Monopolcharakter waren zu dieser Zeit zumindest im Handel mit Asien die wirksamste Organisationsform (vgl. Valentinitsch, S 58). Im Zuge der bereits erwähnten Vorherrschaft der Portugiesen um 1600, versuchte der Niederländer Grotius in seinem Werk „Mare Liberum“ (1609) die Freiheit der Holländer am Meer zu sichern. Es stellte sich nun aber die Frage, ob sie durch die Einführung des Monopolcharakters der Handelsgesellschaften nicht gegen ihr eigenes Prinzip verstossen hatten. Nun war es wieder Grotius, der die Monopolstellung als Entlohnung sah, um die Gebiete im asiatischen Raum gegen Übergriffe anderer Mächte zu schützen (vgl. Rothermund, S 30). Es scheint also angebracht, den Monopolcharakter der Kompanien genauer zu betrachten, da er in gewisser Weise den globalen Charakter der damaligen Wirtschaft erklärt. Nationale Handelsmonopole in einer bereits „globalen“ Wirtschaft Wie bereits bei der Gründung erwähnt, wurde der Monopolcharakter von der Republik der Niederlande bzw. von der englischen Krone verliehen. Augenscheinlich ist, dass die Erneuerungen der Konzessionen, durch die die Monopolstellung verliehen wurde, vor allem in der Entwicklung der EIC, immer wieder stark mit Korruption in Verbindung gebracht werden. Nennenswert ist vor allem der Anstieg der Geschenke ab 1680 an den König oder an Parlamentarier, die verhinderten dass andere Gesellschaften ebenfalls Rechte zugesprochen bekommen (vgl. Marx). – 67 – Holland konnte scheinbar in der Anfangszeit die ihr gewährten Möglichkeiten durch die Monopolstellung besser nützen. Dies unter anderem auch dadurch, weil sie mit den heimgebrachten Produkten in Europa durch Re-Exporte auch wirklich gehandelt haben. England wollte zu Beginn eigentlich nur den eigenen Bedarf decken. Erst später erkannten sie die Möglichkeit der Re-Exporte als gewinnbringendes Dienstleistungsgewerbe, und England schaffte es daraufhin, von 1660 bis 1700 zum eigentlichen Entrepôt für Europa zu werden. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete unter anderem der „Navigation Act“, der besagte, dass generell der Handel auf englischen Schiffen zu führen sei. Man konnte so die Doppelrolle der Holländer als Exporteur einschränken (vgl. Rothermund, S 43f). Man sieht hier schon, dass man es keineswegs mit einer eindeutigen Monopolstellung zu tun hatte. Vielmehr war es in dieser bereits global integrierten Wirtschaft nicht mehr eindeutig möglich, sich Monopole nur durch eine national eingeschränkte Konzession zu sichern, denn auf diese Weise konnte man die Interdependenzen, die die Wirtschaft bereits aufwies, nicht ausschalten. So konnten die Kompanien nicht für jedes Produkt ein Monopol behaupten. Wo dies aber möglich war, konnte man sich Vorteile erhoffen. Importgüter mit Monopolcharakter Eingehend auf die verschiedenen Güter, auf die es Monopole gab, ist zu sagen, dass in der Anfangszeit der Kompanien vor allem der Import von Pfeffer eine grosse Rolle spielte. Bei Pfeffer gab es aber kein Monopol im eigentlichen Sinne, sondern nur ein nationales Exklusivrecht, denn sowohl die VOC als auch die EIC importierten Pfeffer nach Europa. Da jedoch aufgrund der relativ offenen Wirtschaft vorerst niemand verboten hatte, dass ein niederländischer Kaufmann Pfeffer von der EIC kaufen konnte, kam es durch die starke Konkurrenz und den somit grossen Importen in Zusammenhang mit der sinkenden relativen Bedeutung von Pfeffer bei der Nachfrage, zu einem Preisverfall (vgl. Reinhard, S 170), der dazu führte, dass andere Güter in den Vordergrund rückten, wie zum Beispiel Textilien, die im 18. Jahrhundert für den rasanten Aufstieg der EIC verantwortlich zeichnen. Für andere, feinere Gewürze, wie zum Beispiel Nelken, Zimt oder Muskat, konnte die VOC aber dennoch eine Monopolstellung durchsetzen, und es kam durch gewaltsame Produktionsbeschränkungen (zum Beispiel die Vernichtung von Nelkenbäumen), durch extrem niedrig angesetzte Einkaufspreise und hohe Verkaufspreise zu großen Profiten. Es darf jedoch auch nicht ausser Acht gelassen werden, dass auch hier die Marktgesetze nicht vollkommen ausgeschaltet werden konnten. Preise mussten hoch angesetzt werden, damit sich Einkäufe der Konkurrenz zwecks Wiederverkauf nicht lohnten, aber gleichzeitig sank durch zu hohe Preise die Nachfrage (vgl. Reinhard, S 170). Die aus Asien importierten Güter und ihre Produktion unterlagen somit auch den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage in Europa, wo die Produkte hauptsächlich abgesetzt wurden, was für eine globale Wirtschaft auch charakteristisch ist. Entwicklung der Ostindienkompanien nach dem 17. Jahrhundert Im ausgehenden 17. Jahrhundert wurde die bereits angedeutete Vormachtstellung der VOC durch die Engländer gebrochen. Der Niedergang der niederländischen Kompanie im 18. Jahrhundert ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen, unter anderem auf Korruption innerhalb der Kompanie, auf die wachsende Macht Großbritanniens und Frankreichs. In Europa wurden des Weiteren auch immer mehr Güter nachgefragt, auf die die Kompanie – 68 – kein Monopol besaß (vgl. Valentinitsch, S 59f). Nach 1724 konnte die Gesellschaft keine Dividende mehr auszahlen, 1799 ging sie Bankrott. Laut Marx liegen die eigentlichen Anfänge der englischen EIC eigentlich erst im Jahre 1702, als zwischen der „New Company“ (Händler durften sie aufgrund des Beschlusses des Parlaments für freien Handel im Jahre 1698 gründen) und der „eigentlichen EIC“ eine Zusammenarbeit vereinbart wurde (vgl. Marx) und 1708 per Gesetz verordnet wurde. Der Handel verlagerte sich auf andere Produkte (z.B. Tee, ...), und die britische EIC wurde auch bekannt als Territorialmacht in Indien. Bei jeder Erneuerung der Charter gab es aber Anstrengungen anderer Kaufleute, das Handelsmonopol zu brechen. 1813 war sie dann nicht mehr in der Lage, dem Druck des nicht monopolisierten Handels standzuhalten (vgl. Marx). 1833 wurde ihr dann jeglicher Handel verboten und 1874 wurde sie endgültig aufgelöst. Schlussfolgerungen Die Gründung der Ostindienkompanien basierte auf der Entdeckung neuer Handelswege und der damit verbundenen billigen Einfuhr von Gütern aus entfernten Regionen. Die Tatsache, dass in weiterer Folge der Handel mit den asiatischen Gebieten derart forciert und zu einer bedeutenden Rolle in der niederländischen bzw. englischen Wirtschaft wurde, deutet darauf hin, dass Europa in seinen wirtschaftlichen Beziehungen nicht mehr für sich alleine stand. Güter wurden aus Asien importiert, dann durch die Handelskompanien wieder teilweise re-exportiert. Es wurde nicht nur für die Nachfrage im eigenen Staat gewirtschaftet. Vielmehr stehen dahinter Strukturen, die die globale Wirtschaft noch heute prägen. Güter werden in räumlich weit entfernten Gebieten billig produziert und gekauft, um dann auf Märkten in völlig anderen Teilen der Welt verkauft zu werden. Man denke auch nur an das bereits erwähnte Beispiel des Silberexports der Engländer. Das Silber wurde in Minen in Amerika erzeugt und diente als Zahlungsmittel für Produkte aus dem asiatischen Raum. Allein dieses Beispiel sollte deutlich machen, dass im 17. Jahrhundert die verschiedenen Wirtschaften der Welt schon zu einem gewissen Grad global integriert waren. Abschliessend sei es noch einmal auf den Punkt gebracht. Es gibt eine Reihe von gängigen Definitionen bezüglich Globalisierung. Betrachtet man sie als ein Zusammenwachsen von räumlich weit entfernten Gebieten, sowie den Güteraustausch der damit verbunden ist, sollte feststehen, dass Globalisierung auch schon ein Phänomen des 17. Jahrhunderts war, einer Zeit reger europäischer Expansion. Literaturverzeichnis Borchert, Knut, Globalisierung in historischer Perspektive, Verlag der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, München, 2001. Cameron, Rondo, Geschichte der Weltwirtschaft, Klett- Cotta, Stuttgart, 1991. Marx, Karl: „Die ostindische Kompanie, ihre Geschichte und die Resultate ihres Wirkens“, in: New York Daily Tribune Nr. 3816 vom 11. Juli 1853 (aufgerufen am 21.5.03 von: http://www.mlwerke.de/me/me09/me09_148.htm) Reinhard, Wolfgang, Geschichte der europäischen Expansion, Band 1, Die alte Welt bis 1818, Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1983. Rothermund, Dietmar, Europa und Asien im Zeitalter des Merkantilismus, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1978. Schmitt, Eberhard, Schleich, Thomas und Thomas Beck (Hrsg.), Kaufleute als Kolonialher- ren: Die Handelswelt der Niederländer vom Kap der guten Hoffnung bis Nagasaki 1600-1800, C.C. Buchners Verlag, Bamberg, 1988. – 69 – Valentinitsch, Helfried, „Ost- und westindische Kompanien – Ein Wettlauf der europäischen Mächte“, in: Edelmayer, Friedrich, Landsteiner, Erich und Renate Pieper (Hrsg.), Die Geschichte des europäischen Welthandels und der wirtschaftliche Globalisierungsprozess, Oldenbourg, München, 2001, S. 54-75. Wild, Anthony, The East India Company – Trade and conquest from 1600, Harper Collins Illustraded, London, 1999. – 70 – Die Rolle der WTO im Globalisierungsprozess Elisabeth Mauernböck und Gerald Wurzinger Das Anliegen Globalisierung ist heute in aller Munde. Eine Protestkundgebung da und ein Gipfel hier. Auf der einen Seite Befürworter mit Ihren Pros und auf der anderen Seite Gegner mit Ihren Contras. Den eigentlichen Prozess des freien Warenaustausches hat es schon immer gegeben, nur noch nicht in dieser Form, wie es seit dem zweiten Weltkrieg der Fall ist. Im Laufe der Entwicklung wurden einige Arbeitsgruppen, Ausschüsse und Institutionen gegründet, um den Austausch der Waren zu regulieren, zu fördern und zu kontrollieren. Im Zuge dieser Arbeit wollen wir eine Institution besonders herausheben und näher betrachten: die World Trade Organisation (WTO). Es sollen ihre Entstehungsgeschichte, ihre Struktur, ihre Position im weltweiten Globalisierungsprozess, ihre Aufgaben und Funktionen, ihre Macht und die Beeinflussung auf den Prozess der Globalisierung selbst näher beleuchtet werden. Globalisierung und deren historische Betrachtung Was bedeutet Globalisierung? Der Begriff Globalisierung scheint in der heutigen Zeit zu einem sehr beliebten Modewort geworden zu sein. Man verwendet ihn, ohne genau zu wissen, was er bedeutet, beziehungsweise ohne mit dem Gegenüber abzuklären, was man selber darunter versteht. Es gibt in den heutigen Texten eine Vielzahl von möglichen Erklärungsversuchen, jeder mit seiner Richtigkeit und Existenzberechtigung. Der Duden beispielsweise erklärt den Begriff folgendermaßen: „globalisieren: auf die gesamte Erde ausdehnen“ (Duden, S 294). Weitere Definitionen Das freilich ist bei weitem nicht die einzige Definition für Globalisierung. Andere wären etwa: • „The phenomenon that the degree of global human interaction increases to such an extent that both its primary effects and the reactions it provokes gives rise to numerous new developments. Globalization is caused by three prime movers: technological globalization, political globalization and economic globalization.“ (http://globalize.kub.nl/) • „Globalization refers to all those processes by which the peoples of the world are incorporated into a single world society, global society.“ (Martin Albrow, 1990, in: http://globalize.kub.nl/ ) • „Globalization can ... be defined as the intensification of worldwide social relations which link distant localities in such a way that local happenings are shaped by – 71 – events occurring many miles away and vice versa.“ (Anthony Giddens, 1990, in: http://globalize.kub.nl/) Trotz unterschiedlicher Ausführungen ist den Definitionen gemein, dass sie die geographische Distanz als einen immer weniger wichtigen Faktor betrachten und grenzüberschreitende Beziehungen (nicht nur) wirtschaftlicher Natur immer mehr dominieren. Generell geht es um den Tatbestand, dass technologische, institutionelle und politische Wandlungen in jüngerer Zeit den Prozess der Integration der Weltwirtschaft merklich beschleunigt haben. Durch die Integration erhält man, egal ob als Nachfrager oder als Anbieter von Güter und Dienstleistungen, immer eine günstigere Alternative für Produktionsfaktoren oder Kapital, welche weit über die eigenen Landesgrenzen hinausgeht. Der Rahmen der möglichen Optionen hat sich dadurch drastisch erhöht. Die weltweiten Märkte verbinden sich zu einem einzigen Weltmarkt, alle operieren auf dem gleichen Markt, es wird der Wettbewerb verstärkt und die Zahl der Lieferanten und Konsumenten erhöht, um nur einige Ausprägungen zu nennen. In unserer Arbeit verstehen wir Globalisierung als den Prozess, welcher den weltweiten, freien Warenaustausch jeglicher Art von Gütern und Dienstleistungen für jeden begünstigt und fördert. Somit stimmen wir primär mit der Definiton des Begriffes von Anthony Giddens überein. Historische Entwicklung der Globalisierung Blickt man auf die menschliche Geschichte zurück, hat es schon immer Handel gegeben. Zuerst zwar nur regional, wurde später jedoch durch die Schifffahrt auch ein weltumspannendes Netz mit bedeutenden Handelszentren geschaffen. Bereits im 19 Jahrhundert hat die weltweite Verflechtung von Produktion und Konsum beträchtlich zugenommen. Durch die Entstehung von territorial beziehungsweise politisch abgetrennten Gebieten – sei es durch Isolation oder durch Eroberungskriege – wurde der Handel durch die Willkür der dort herrschenden Klassen bestimmt. Je nach politischer oder ökonomischer Situation wurde der Güteraustausch vereinfacht, behindert oder verboten. Im Verlauf der Geschichte wurden Handelbündnisse zum gegenseitigen Vorteil geschlossen, die es den Parteien ermöglichte, eine dominante Stellung einzunehmen oder aber zumindest den Zugang zu den neu geschaffenen Märkten für anderen zu verhindern. Es gab zumindest einen kleinen rechtlichen Rahmen, die weltweite Steuerung hielt sich einstweilen noch in Grenzen. Es fehlte aber ein einheitlicher, weltweiter Rahmen wie er heute existiert. Durch das Fehlen kam kein reger internationaler Handel zustande. Genauso wie es eine exakte Begriffsdefinition nicht gibt, ist sich die Wissenschaft uneinig darüber, wann der Prozess der Globalisierung eigentlich begonnen hat. Einige Gelehrte bezeichnen bereits die großen Weltreiche der Römer, Griechen und Ägypter als Anfänge der Globalisierung (wenn auch in kleinerem Rahmen als es heute möglich wäre), da jene bereits damals die ihnen bekannte und als relevant erachtete Welt nicht nur wirtschaftlich beherrschten. Andere hingegen vertreten die Auffassung, dass das Phänomen der Globalisierung erst im vergangenen Jahrtausend aufgetreten ist. Weiters könnte man den Beginn von Globalisierungsbestrebungen, so wie wir sie heute kennen, erst nach dem zweiten Weltkrieg mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 ansiedeln. – 72 – Die Vorläufer der WTO Das GATT Bis 1994 bestand ein allgemeines Zoll- und Handelsabkommen für Güter, das GATT (General Agreement of Tariffs and Trade). Es war ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, welcher 1947 unterzeichnet wurde und 1948 in Kraft trat. Durch die große Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre empfand man den Bedarf nach einer liberalen Welthandelsordnung. Zu diesem Zweck plante man die Gründung der International Trade Organization (ITO), ersatzweise entstand aufgrund der Ablehnung der USA provisorisch das GATT (vgl. Rode in: Klein/Meng/Rode, S 5). Man wollte das kooperative Verhalten zwischen einzelnen Staaten stabilisieren und versprach sich von einer internationalen Institution bessere Ergebnisse als von einer Unmenge bilateraler Vereinbarungen (zwischen jeweils zwei Staaten). Als Initiator für das GATT können die USA gesehen werden, es gehört zum System der Vereinten Nationen. Das GATT hatte im großen und ganzen drei Hauptaufgaben zu erfüllen (vgl. Schraepler, S 48): • Beeinflussung der staatlichen Handelspolitik durch Aufstellung von Regeln für den Welthandel • Forum für Verhandlungen, die die Handelsbeziehungen liberalisieren und berechenbar machen • Beilegung von Streitigkeiten Zu den Zielen gehörten die Bewahrung von Sicherheit und Berechenbarkeit der internationalen Handelsbeziehungen durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken, die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung im internationalen Handel zur Erhöhung des Lebensstandards und der Steigerung der Produktion und des Handelsaustausches. Wichtigste Mitglieder des GATT waren die OECD-Länder (die OECD ist die weltweite Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), also vor allem die USA, die Länder der EG und Japan. Die zweitwichtigste Ländergruppe im GATT waren die so genannten Schwellenländer, die sich zwar primär als Importverweigerer auszeichneten, durch ihre wichtige Rolle als Exporteure allerdings auf lange Sicht als Neo-Liberale einen wichtigen Stellenwert in der internationalen Handelswelt einnehmen. Alle zuletzt 128 Mitglieder des GATT verpflichteten sich, die übergeordneten Prinzipien wie Handel ohne Diskriminierung, Schutz durch Zölle, Förderung des fairen Wettbewerbs, Konsultation, Schlichtung und Streitbeilegung, Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer und mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen zu unterschreiben Die Verhandlungsrunden Die Entwicklung des GATT und seiner Prinzipien fand primär in acht so genannten Handelsrunden statt, in welchen die Liberalisierung des Welthandels und die Eliminierung von Handelshindernissen, speziell durch Senkung der Zölle, behandelt wurden. Die wichtigsten Daten und Errungenschaften durch die Handelsrunden sind: • 1947: Das GATT wird von 23 Staaten angenommen. Die durchschnittliche Zollbelastung liegt bei 40 %; eine durchschnittliche Zollsenkung von 19 % ist erwünscht. • 1949: Annecy-Runde: durchschnittliche Zollbelastung 30 %; durchschnittliche Zollsenkung bei 2 %. • 1950-51: Torquay-Runde: durchschnittliche Zollbelastung bei 25 %; durchschnittliche Zollsenkung bei 3 %. – 73 – • • • • • 1956: Geneva-Runde: durchschnittliche Zollbelastung bei 23 %; durschnittliche Zollsenkung bei 2 bis 3 %. 1961-62: Dillon Runde. 1964-67: Kennedy-Runde: durschnittliche Zollsenkung bei 3,5 %. 1973-79: Tokyo-Runde: durschnittliche Zollbelastung bei 6,5%. 1986-94: Uruguay-Runde: Die Uruguay-Runde ist eine der wichtigsten Runden und wurde von den USA initiiert. Diese letzte Runde wurde vor allem begonnen, um die nicht gelösten Probleme in der Tokyo-Runde in den Bereichen der nicht tarifären Handelshemmnissen und dem Agrar- und Textilhandel zu beseitigen. Weiters betrieben die Entwicklungsländer in der Weltwirtschaftskrise von 1980 Protektionismus im steigenden Maße. Da sie aber Vertragsparteien waren, gab es verstärkt Kritik an der Wirkungslosigkeit des GATT. Man argumentierte, dass wenn schon eine Institution für die Liberalisierung bestünde, sie auch mit mehr Macht ausgestatten sein müsste, um die Mitglieder zu disziplinieren und bestrafen zu können, um weiterhin eine Existenzberechtigung zu haben. Die Schlussakte der UruguayRunde wurde 1994 unterzeichnet, dadurch entstand die heute bekannte WTO, die Welthandelsorganisation. Das GATS Das General Agreement on Trade in Services (allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) wurde 1994 im Rahmen der Uruguay-Runde beschlossen. Seine Beschlüsse müssen gemäss den Weisungen der WTO bis 2005 vollständig umgesetzt werden. Inhaltlich bestimmt das GATS die Privatisierung sämtlicher Dienstleistungen (Bildung, Forschung, Telekommunikation, Verkehr und Tourismus, um hier nur einige wichtige zu nennen). Durch die Privatisierung verspricht sich die WTO die Schaffung von neuen Märkten für Dienstleistungen. Das TRIPS Im TRIPS-Abkommen (Trade-Related Intellectual Property System) werden handelsbezogene Urheberrechte geregelt. Mit dieser Vereinbarung sollen die einzelstaatlichen Gesetze unter einen einheitlichen Hut gebracht werden. Nutznießer sind hauptsächlich Künstler und Technologiefirmen, die dadurch ihre Produkte einfacher international verkaufen können. Als Basis des TRIPS wird das Patentrecht der Vereinigten Staaten bezeichnet. Mit der Gründung der WTO 1995 wurde das TRIPS beschlossen. Es entstand aus einem geheimen Paket von 15 Abkommen (unter anderem auch das GATS), welches die Länder, die an der WTO teilnehmen wollten, unterzeichnen mussten. Somit ist ein weiterer Sanktionsmechanismus für den freien Handel geschaffen worden. Verstöße gegen das TRIPS sind einklagbar und werden mit Geldstrafen und Handelsbarrieren geahndet. Das TRIPS gilt derzeit noch nicht für alle Mitgliedsstaaten. Zum Beispiel tritt es in den weniger entwickelten Staaten erst ab 2006 in Kraft. Der Grund hiefür liegt darin, dass solche Staaten ein unzureichendes Patentrecht besitzen. Es sollte dadurch eigentlich der Zugang zu neuen Ideen und Technologien vereinfacht und ein struktureller Aufbau des Staates gefördert werden. Die meisten Patentinhaber sind aber Industriestaaten, deshalb ist das TRIPS auch starken Kritiken seitens der Entwicklungsländer ausgesetzt. – 74 – Die Institution WTO Geschichte und Ziele der WTO Die Geschichte der WTO beginnt 1995 und fußt, wie schon das GATT, in dem Gedanken, dass nur eine freie Marktwirtschaft Wohlstand bringen kann. Die Schutzzölle, die in den Depressionen des späten 20 Jahrhunderts etabliert wurden, um die eigene Wirtschaft zu schützen, sollten sukzessive abgebaut werden. Durch die Öffnung erwartete man sich Wettbewerbsvorteile für die heimische Wirtschaft. Die WTO mit Sitz in Genf zälhte Ende 2002 146 Mitgliedsstaaten und verfügt für 2003 über ein Jahresbudget von 154 Millionen Schweizer Franken (circa 90 Millionen Euro). Weiters sind 550 Personen bei der Institution beschäftigt, was im Vergleich zu den Schwesterinstitutionen Weltbank und Währungsfond eine relativ kleine Behörde darstellt. Die WTO geniesst aber den gleichen Status. Die WTO an sich ist also sehr jung, gerade einmal 8 Jahre alt. Doch die Institution, aus der sie hervorging, das GATT, leistet schon seit 50 Jahren gute Arbeit. Man verband drei große Handelsabkommen: das GATT, das GATS (bezieht sich vorrangig auf den Handel mit Dienstleistungen) und das TRIPS (beinhaltet die handelsbezogenen Rechte an geistigem Eigentum) und führte sie in der Welthandelsorganisation zusammen. Dies sind somit die drei Vertragspfeiler, auf denen die WTO steht. Ziele der World Trade Organisation sind unter anderem (vgl. Schraepler, S 54): • Kommerzielle und wirtschaftliche Orientierung der Mitgliedsstaaten auf o Die Erhöhung des Lebensstandards o Die Verwirklichung der Vollbeschäftigung o Eine Steigerung der Produktion und des Handelsaustausches bei Waren und Dienstleistungen. • Eine optimale Nutzung der Rohstoffquellen mit dem Ziel einer dauerhaften Entwicklung zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt einerseits und zur Stärkung der entsprechenden Einsatzmittel andererseits. Die WTO fördert den freien Handel, Hemmnisse für internationalen Handel sind vor allem drei Dinge: • An erster Stelle sind hier Zölle und Einfuhrabgaben zu nennen, die vor dem Absetzen der Waren entrichtet werden müssen. • An zweiter Stelle stehen nicht-tarifäre Handelshindernisse wie bestimmte technische Normen, die eingehalten werden müssen. • In weiterer Folge können auch politische Maßnahmen für den Handel hinderlich sein. Trotz aller Vorteile und guten Absichten der WTO-Ziele und -Prinzipien tun sich viele Mitgliedsstaaten auch nach 8 Jahren WTO schwer mit der Umsetzung der Abkommen und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis alles so in geregelten Bahnen läuft wie in der Theorie niedergeschrieben beziehungsweise verhandelt worden ist.38 Die aktuelle Mitgliederanzahl sowie Informationen über die einzelnen Länder und wann welches Land beigetreten ist findet sich unter: http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm 38 – 75 – Organisation der WTO Die 146 Mitgliedsstaaten zeichnen für 97 % des weltweiten Handels verantwortlich. Um einen reibungslosen Austausch zu gewährleisten, benötigt es feste und klare Rahmenbedingungen. Die gesamten notwendigen Entscheidungen werden von allen Mitgliedsstaaten getroffen, vorwiegend durch Konsens. Konsens bedeutet aber nicht Einstimmigkeit. Konsens ist dann erreicht, wenn kein Land in der Versammlung deutlich gegen den Beschluss eines Diskussionspunktes stimmt. Mehrheitsentscheidungen sind generell möglich, traten aber bis jetzt noch nicht auf und waren auch unter dem Regime des GATT äußerst selten. Die WTO-Beschlüsse werden anschliessend in den Parlamenten der einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert. Die oberste Beschlussebene ist die Ministerkonferenz (Ministerial Conference), die mindestens einmal alle zwei Jahre tagt. Darunter gibt es den „Allgemeinen Rat“ (General Council; besteht normalerweise aus den Botschaftern und Verhandlungsleitern aus den jeweiligen Ländern, manchmal aber auch aus von den einzelnen Staaten speziell Entsandte), der sich mehrmals im Jahr in Genf trifft. Auf der nächsten Ebene existieren Ausschüsse für Waren, Dienstleistungen und Intellektuelles Eigentum (Goods Council, Services Council und Intellectual Property Council). Des weiteren gibt es Komitees und Arbeitskreise, die sich mit speziellen Themen wie z.B. Umwelt, Entwicklungshilfe, Beitrittsvoraussetzungen, regionalen Handelsabkommen und verschiedensten anderen Themen befassen. 1996 wurden drei neue Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, die sich mit dem Verhältnis von Handel und Investition, der Interaktion von Handel und Wettbewerbspolitik und der Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen beschäftigen. 1998 wurde auf der Ministerkonferenz beschlossen, sich auch mit „e-commerce“ zu befassen. Im WTO-Hauptsitz in Genf steht zur Zeit unter der Leitung des Generaldirektors Dr. Supachai Panitchpakdi (Thailand). Damit ist nun erstmals ein Einwohner eines Entwicklungslandes das Oberhaupt der WTO. Die Aufgaben des unterstützenden Sekretariats bestehen darin, die einzelnen Gremien technisch zu unterstützen, Entwicklungsländern technischen Beistand zu leisten, den Welthandel zu analysieren und die WTO-Angelegenheiten der Öffentlichkeit und den Medien zu erläutern. Die Beitragsanteile der Mitglieder an die WTO orientieren sich am jeweiligen Anteil des Mitgliedsstaates am weltweiten Handel. Im Anhang befindet sich eine graphische Darstellung der Organisationsstruktur. Wirkungsbereich und Prinzipien der WTO Die WTO steht für die Entwicklung eines integrierten, funktionsfähigen und dauerhaften multilateralen Handelssystems. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die WTO die globalen Regeln für den Welthandel mit Waren und Dienstleistungen umsetzen. Es wird angestrebt, in den Mitgliedstaaten den Lebensstandard und die Realeinkommen zu erhöhen, Vollbeschäftigung zu erreichen und zu sichern. Zu diesem Zweck soll der Handel ausgeweitet werden. Dem der WTO unterstellten Liberalisierungsabkommen über Waren- und Dienstleistungshandel (GATT, GATS) sowie dem Schutz der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) liegen folgende drei Prinzipien zugrunde: • Abbau außenwirtschaftlicher Schranken. • Meistbegünstigung: gegenüber einem Mitglied eingeräumte Vorteile in bezug auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen ohne Gegenleistung müssen auch den anderen Mitgliedern gewährt werden. – 76 – • Nichtdiskriminierung: Gleichstellung ausländischer Wettbewerber mit inländischen Anbietern von Gütern und Dienstleistungen (Inländerbehandlung der Ausländer). Die Bedeutung der WTO im Globalisierungsprozess Institutionalisierte Rahmenbedingungen für den Warenaustausch Wir wollen hier die besondere Wichtigkeit eines weltweit einheitlichen Handelsabkommen hervorheben. Der weltweite Handel hat in den letzten 50 Jahren überproportional zugenommen und beträgt heute mehr als 22mal soviel als dies noch 1950 der Fall war. Um ein ungehindertes Exportwachstum gewährleisten zu können, benötigt man ein starkes (im Sinne von durchsetzungsfähiges) und einheitliches Handelssystem. Sonst würde alles wieder auf Willkür beruhen, wie zu den Anfängen der „organisierten Globalisierung“. Das GATT und insbesondere die WTO sollten diese Willkürlichkeit unterbinden. Generell verfolgte man das Ziel, die WTO mit einer größeren Macht auszustatten als es das GATT jemals hätte erlangen können. Dieses Anliegen wurde erst in der letzten Handelsrunde des GATT (der Uruguay-Runde) erreicht. Nur dadurch kann ein gerechteter und geregelter Warenhandel entstehen. Infolgedessen wurden in den Industriestaaten Subventionen abgebaut und Quoten abgeschafft. Das Bestreben der WTO hat seit einigen Jahren einen Namen: „Globalisierung“. Die WTO subsumiert unter diesem Begriff den freien Welthandel als Grundlage für Wohlfahrtssteigerung. Es wird dort produziert, wo es am günstigsten ist, man produziert nicht mehr selbst, wenn der Import weniger Kosten verursacht. In der Volkswirtschaftslehre wird das als optimale Ressourcenallokation gesehen. Ein Stolperstein waren lange die handelsspezifischen Regelungen, die die Staaten unabhängig voneinander trafen. Damit behinderten sich die Staaten teilweise gegenseitig, was den globalen Handel erschwerte und dem Wohlstand entgegenwirkte. Kurz gefasst kann das Bestreben der WTO mit dem Ziel, freien Handel zwischen den Ländern entstehen zu lassen, beschrieben werden. Für einen freien Handel sprechen vor allem folgende ökonomische Faktoren: • Optimale Allokation der Ressourcen. • Länder können sich auf die Produktion eines Gutes spezialisieren, wenn sie dadurch einen Vorteil haben. Dadurch können mehr Güter importiert und mehr Güter konsumiert werden, als wenn man selbst produziert hätte.. • Durch Spezialisierung erlangt man Größenvorteile, sogenannte Economics of Scale. Diese führen zu sinkenden Kosten und zu sinkenden Preisen. • Es wird ein Technologietransfer ermöglicht, wodurch Innovationen gefördert werden. Innovationen sind ein wesentlicher Schlüssel, um Wettbewerbsvorteile zu erhalten. • Es werden Märkte geöffnet und dies fördert das Wachstum. • Marktverzerrungen und Ineffizienzen werden vermieden. Mit der WTO will man ein institutionales Rahmenwerk für den Warenaustausch schaffen. Dadurch spielt die WTO eine entscheidende Rolle in dem gerade stattfindenden Globalisierungsprozess. Indem Rahmenbedingungen und Strukturen geschaffen werden ist der Warenaustausch nicht mehr auf die Willkür einzelner Staatsoberhäupter angewiesen. Es werden keine Länder benachteiligt, einseitige Verträge gibt es nicht mehr, somit gelten für alle die selben Bedingungen. Genau durch diesen Punkt unterscheidet sich dieser Globalisierungsprozess so sehr von den anderen. Außerdem hat es noch nie einen so weitreichen– 77 – den Globalisierungsprozess gegeben. Dies führen einige Theoretiker ebenfalls darauf zurück, dass früher kein einheitliches Regelwerk bestanden hat. Unter der übergeordneten Aussage, dass „die ganze Welt ein Dorf wird“, ist es auch absolut unerlässlich, dass jenes „Dorf“ Welt eine einheitliche Gesetzgebung und allgemein gültige Richtlinien erhält, unter denen es agiert. Es macht keinen Sinn, wenn jedes Land versucht, sich auf seine Art und Weise Vorteile zu schaffen. Vielmehr ist eine übergeordnete Instanz notwendig, welche allen Ländern, die in der World Trade Organisation Mitglied sind, die gleichen Rechte einräumt und unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Entwicklung einzelner Länder den schlechter gestellten speziell unter die Arme greift, indem Regeln gelockert werden oder der Export von Gütern (und Dienstleistungen) aus Entwicklungsund Schwellenländern besonders gefördert wird. Diese Maßnahmen sind unerlässlich, wenn man das Ziel verfolgt, dass sich diese Schwellenländer (oder auch noch zu entwickelnden Länder) früher oder später der bereits entwickelten Welt annähern sollen, anders gesagt, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht unnötig vergrößert wird. Natürlich mag es für die einzelnen Staaten ein Problem darstellen, wenn sie bemerken, dass ihre Autorität beziehungsweise Souveränität eingeschränkt wird, weil sie einer länderübergreifenden Institution Rechte abtreten und sich infolgedessen selber Befugnisse wegnehmen. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Welt nur „überleben“ kann, wenn sie früher oder später an einem gemeinsamen Strang zieht und nicht jedes Land sein Glück im Alleingang versucht. Hier seien als Beispiele die länderübergreifenden Umweltschutzbestimmungen zu nennen, die zwar erst in den Kinderschuhen stecken und wo noch vieles getan werden muss, die aber auch nur gemeinsam durchsetzbar sind. Als Beispiele für den Souveränitätsverlust der einzelnen Länder stellt sich einerseits die Möglichkeit der WTO dar, dass sie Strafen bei Nichteinhaltung von Regelungen verhängen kann. Weiters kommt der WTO die Rolle des Streitschlichters zu, um den Frieden unter den Handelspartnern zu gewährleisten. Das Streitschlichtungssystem wird nun noch etwas ausführlicher behandelt, da dies ein immenser Einschnitt in die Souveränität eines einzelnen Landes ist. Eine Besonderheit der WTO: das Steitschlichtungsverfahren Die WTO weist einen besonderen Vorzug gegenüber dem GATT auf: die Streitschlichtungsstelle. Bereits das GATT verfügte über allgemeingültige Regelungen und übergeordnete Prinzipien, an welche sich die Mitgliedsstaaten halten mussten. Es hatte aber keinerlei Handhabe, die Vorschriften auch durchzusetzen. Mit der neuen Schlichtungsstelle gewinnt die WTO aber an Einfluss, um eigene Interessen (und somit auch die Interessen der Allgemeinheit) besser vertreten zu können. Zielsetzung des Streitschlichtungssystems ist es, einen Beitrag zur effektiven Implementierung der in internationalen Verhandlungen vereinbarten GATT-Prinzipien – beispielsweise des Diskriminierungsverbotes, des Verbotes mengenmäßiger Beschränkungen oder des Subventionsverbotes – zu leisten. Mit dem System soll durch die „Verrechtlichung“ der Welthandelsbeziehungen und deren Überführung in ein regelbasiertes System außerdem ein Beitrag zur Entschärfung von Handelskonflikten geleistet werden, wie sie gerade zwischen den Triade-Regionen Europa, Japan und USA häufig auftreten. Durch ein übergeordnetes rechtliches System und die damit verbundenen Möglichkeiten, in Problemfällen einzugreifen und gestaltend zu wirken, verläuft die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten in geordneteren Bahnen als vorher. Die einzelnen Staaten können nicht mehr in jener Art und Weise als vorher agieren (ausschliesslich auf die Verwirklichung der inländischen Interessen ausgerichtet) und müssen sich an die Richtlinien ihrer übergeordneten Institution halten. Durch die Überordnung der WTO-Interessen über jene der einzelnen – 78 – Länder werden auch einzelne „egoistische Tendenzen“ verhindert, die in früheren Zeiten zu den Handelskonflikten geführt haben. Die Streitschlichtung verläuft in folgenden Phasen: 1. Feststellung des Handelsstreits 2. Konsulation zwischen den Vertragsparteien 3. Konsultationen bringen eine Einigung zustande oder es wird ein offizielles Verfahren beantragt und eingeleitet 4. Untersuchungen durch die Streitschlichtungsstelle und mögliche Beratung durch Expertengruppen, Erstellung eines Zwischenberichts 5. Erstellung eines Panelberichts 6. Annahmen der Entscheidung oder Beurteilung der Entscheidung durch eine Rekursivinstanz 7. Umsetzung der Panelentscheidung oder Kompensation Am Ende steht somit ein Abschlussbericht (steht zirka vier bis fünf Monate, nachdem der Panelbericht erstellt wurde, zur Verfügung). Dieser wird der Streitschlichtungsstelle übermittelt. Stimmt die Stelle nicht einstimmig gegen den Bericht und legt keine der Parteien Berufung ein, tritt er innerhalb von 60 Tagen in Kraft. Im Unterschied zum GATT-Verfahren in Streitangelegenheiten kann die Annahme des Berichtes nun nicht mehr durch irgendeine Partei blockiert werden. Conclusio Man keine allgemeingültigen Aussagen treffen, ob generell Freihandel betrieben werden soll oder ob Protektionismus die bessere Alternative ist. Darüber gibt es auch unter bedeutenden Wissenschaftern hitzige Diskussionen. Da es sich aber, wie so oft in der idealtypichen Vorstellung, um „reine Marktformen“ handelt, das heisst, um Extreme, wird man diese in dieser Ausprägung in der Wirklichkeit kaum antreffen. Zu beobachten sind Mischformen dieser Typen, je nach Land, dessen Entwicklungsstand, politischem System und der Stellung in der Weltwirtschaft unterschiedlich. Auch im Zuge der Diskussion um die WTO kann man keine einheitliche klare Linie erkennen. Auf der einen Seite ermöglicht erst ein international gültiges System an Regeln und Vorschriften den internationalen Warenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten, auf der anderen Seite schränken genau dieselben Regeln die einzelnen Staaten in ihrem Handlungsspielraum ein. Nun stellt sich aber die Frage, warum Staaten die Einschränkung ihres Handlungsspielraumes in Kauf nehmen, beziehungsweise kann davon ausgegangen werden, dass sich die Staaten Vorteile versprechen und diese auch erhalten. Das Stichwort hierzu ist der Tradeoff zwischen dem Souveränitätsverlust der einzelnen Staaten und der Wohlfahrtssteigerung. Ein weiterer Zusammenhang, den wir in dieser Arbeit zu erklären versuchten, war jener zwischen der Globalisierung und dem Bestehen oder auch der Notwendigkeit übergeordneter internationaler Institutionen, im speziellen der WTO. Hier kann man von einer wechselseitigen Abhängigkeit sprechen. Erst ermöglichen neue Technologien und andere Innovationen den Handel über weitere Distanzen, dies bedingt aber in weiterer Folge ein Mindestmass an Regelungen, die diesen Handel in geordnete Bahnen lenken beziehungsweise ihn dort halten. In weiterer Folge wird somit der Weg frei gemacht zum Güteraustausch in einem immer grösseren geographischen Rahmen. – 79 – Literaturverzeichnis Albert M., Brock L., Hessler St., Menzel U., Neyer J., Die neue Weltwirtschaft – Entstofflichung und Entgrenzung der Ökonomie, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1999. Amin, Samir, Die Zukunft des Weltsystems – Herausforderungen der Globalisierung, VSAVerlag, Hamburg, 1997. 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WTO: http://www.wto.org/ – 80 – Anhang: Organigramm der WTO Quelle: http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org2_e.htm Erklärungen Reporting to General Council (or a subsidiary) Reporting to Dispute Settlement Body Plurilateral committees inform the General Council of their activities although these agreements are not signed by all WTO Members This Committee informs the Council for Trade in Goods of its activities although not every WTO Member is a participant to this Committee Bodies established by the Trade Negotiations Committee – 81 – – 82 – Globalisierung und Finanzkrisen – Der fragwürdige Beitrag des Internationalen Währungsfond an einer Finanzkrise: Fallbeispiel Argentinien David Andersen, Christina Gaio und Christoph Rief Überblick über den Ablauf unserer Arbeit Unsere Arbeit beginnen wir zunächst mit einem allgemeinen Überblick über Finanzkrisen. Es werden auch die verschiedenen Typen von Finanzkrisen kurz beschrieben. Danach definieren wir den Term Globalisierung und gehen auf den für uns relevanten Teilaspekt ein. Im Weiteren analysieren wir, wie Globalisierung Finanzkrisen beeinflusst. Am Fallbeispiel Argentiniens wird anschließend aufgezeigt, welche Faktoren zum Auslösen einer Finanzkrise führen können. Wir nehmen diese Auslöser genau unter die Lupe, führen eine Auflistung der wichtigsten Schlüsselereignisse an, und geben Einblick in die sozialen Auswirkungen der Finanzkrise. In weiterer Folge beschäftigen wir uns genauer mit dem Internationalen Währungsfond (IWF). Wir stellen seinen Aufbau dar, erörtern seine Schwachpunkte und fokussieren besonders auf seine Fehlhaltung in Bezug auf die Finanzkrise in Argentinien. Zum Schluss geben wir Verbesserungsvorschläge für den IWF an. Finanzkrisen – Ein allgemeiner Überblick Speziell die Finanzkrisen der neunziger Jahre39 haben gezeigt, dass das Funktionieren des internationalen Finanzsystems durch verschiedenste Einflüsse gestört werden kann. Es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die den Hauptgrund für wirtschaftliche und finanzielle Probleme darstellen können, die in der Folge und/oder durch Kombination der einzelnen Störungen zu einer Finanzkrise führen können. Anders ausgedrückt kann man eine Finanzkrise als „eine schnelle erhebliche Verschlechterung finanzieller Indikatoren“40 definieren. Die Verwundbarkeit bzw. die Anfälligkeit eines nationalen System, d.h. einer Volkswirtschaft wird maßgeblich von der Art der jeweiligen Störung, weiters von der Fähigkeit der Wirtschaftspolitik(er), Korrekturmaßnahmen einzuleiten und schließlich von der Stabilität des Finanzsystems des betreffenden Landes beeinflusst. Im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet man den Begriff „Finanzkrise“ oft zu inflationär. Grundsätzlich kann man nach der Art der ursächlichen Störung verschiedene Typen von Finanzkrisen nämlich Währungs-, Banken-, Finanzmarkt- und Verschuldungskrisen unterscheiden. Im folgenden Kapitel sollen kurz die unterschiedlichen Typen von Finanzkrisen mit ihren Merkmalen beschrieben werden um die später diskutierte Argentinienkrise von mehreren Perspektiven betrachten zu können. Typen von Finanzkrisen Eines der Hauptprobleme der Finanzkrisen ist, dass sie meist nicht als „Lehrbuchtyp“ auftreten, sondern oft durch neue, noch nicht in diesem Ausmaß beobachtbare Merkmale begleitet werden. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Krisen der neunziger Jahre zwar einige Indikatoren aufwiesen, die den Beginn einer Krise andeuteten, es aber zu diesem Zeitpunkt oft für Präventivmaßnahmen schon zu spät war. Ein weiteres Problem, speziell in Hinblick auf die Erkennung der ursächlichen Störung, ist die Tatsache, dass viele Typen von Finanzkrisen oftmals zeitgleich auftreten und es aus diesem Grund schwierig ist, zwischen den einzelnen Typen zu differenzieren. Trotzdem kann man anhand einiger Merkmale die verschiedenen Typen unterscheiden. Währungskrise Eine Währungskrise bezeichnet das Phänomen, wenn die Notenbanken, getrieben durch spekulative Attacken der Anleger, zu einer Geldpolitik gezwungen werden, die das Aufgeben der ursprünglichen bzw. geplanten Ziele für den Wechselkurs der nationalen (heimischen) Währung verlangt.41 Die Notenbank des betreffenden Landes stützt die Geldpolitik auf einen festen Wechselkurs oder auf eine andere starke Währung, meist den Euro oder den US Dollar. Diese Währung wird „Ankerwährung“ genannt. Das Hauptproblem tritt aber dann auf, wenn das Land eine Zinspolitik verfolgt, die nicht mit der Wechselkurspolitik (Bindung an eine Ankerwährung) vereinbar ist. Das Resultat dieser nicht kohärenten Politiken ist ein Doppeltes. Einerseits ist das Zinsniveau zu niedrig, um ein nationales Gleichgewicht herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten. Nicht selten steigen die Tendenz zu Überinvestitionen und auch die Preise. Andererseits ist das Zinsniveau wiederum zu hoch um ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu gewährleisten. Die 39 Wichtige Finanzkrisen der neunziger Jahre waren: Mexiko (1994/ 95), Südostasien (1997/ 98), Brasilien (1998), Russland (1998), Türkei (2001), Argentinien (2001/ 02) 40 Aschinger, S 11. 41 Vgl. Ivanova/Rosenbusch. – 84 – Folge sind hohe Kapitalflüsse und eine Tendenz der Inländer, ausländische Währung zu kaufen, was das nationale Finanzsystem enorm störungsanfällig macht.42 Bankenkrise Eine Bankenkrise ist oft das Resultat des Misstrauens der (inländischen) Bevölkerung in die eigene Währung. Es kann zu einem regelrechten Ansturm auf die Banken bzw. auf die Kassen der Banken des Landes kommen. Die auf den unerwartete Ansturm nicht vorbereiteten Banken geraten in einer solchen Situation leicht in Zahlungsschwierigkeit und in der Folge in eine Krise. Nicht selten greift die Regierung in eine Bankenkrise regulierend (von vielen Kritikern auch „diktatorisch“ bezeichnet) ein, wie z.B. auch im Fall Argentiniens. Die Regierung blockiert den freien Zugang zu privaten Bankkonten. Jeder darf nur noch 1000 US-Dollar im Monat abheben.43 Neben dieser Ursache können natürlich auch andere Gründe Auslöser einer Bankenkrise sein.44 Finanzmarktkrise Dieser Typ ist durch einen enormen Fall der Aktienkurse gekennzeichnet. Ein anschauliches Beispiel der letzten Jahre war das „Platzen der Internetblase“.45 Verschuldungskrise Sobald ein Land seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, d.h. seinen Schuldendienst nicht mehr leisten kann spricht man von einer Verschuldungskrise. Zunächst versucht man durch einen zeitlichen Aufschub der Schulden dem Land die Möglichkeit zu geben, sich ein bisschen zu stabilisieren, aber oft reicht dies nicht mehr aus und es muss dem Land ein Teil seiner Schulden erlassen werden: „Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Argentinien einen einjährigen Aufschub für die Rückzahlung eines Kredites über 141 Mio. $ gewährt.“46 In den letzten Jahren wurde daher immer öfter die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens für Staaten ähnlich dem US-Insolvenzrecht (speziell Chapter 9) diskutiert. Bislang wurde diese Möglichkeit allerdings noch nicht ernsthaft umgesetzt. Dieser kurze Überblick zeigt sehr deutlich, dass die Argentinienkrise 2001/ 02 aus mehreren Aspekten bestand, die als Summe diese gravierende Störung des Finanzsystems auslösten. Wie werden Finanzkrisen durch Globalisierung beeinflusst? Unter Globalisierung verstehen wir in unserer Arbeit die wachsende gegenseitige Abhängigkeit zwischen verschiedenen Ländern in der ganzen Welt, wobei wir uns auf die wirtschaftliche und politische Komponente konzentrieren wollen. Der wirtschaftliche Teilaspekt der Globalisierung wird durch ansteigendes Volumen und eine größere Vielfalt von grenzüberschreitenden Transaktionen von Gütern, Leistungen und internationalen Kapitalflüssen gekennzeichnet.47 Vgl. Zabczyk. Vgl. Economist („The end“) 44 Aschinger, S 11-15. 45 Vgl. etwa Simeonova. 46 Vgl. ftd.de. 47 Vgl. Wagner, S 19. 42 43 – 85 – Ein deutliches Zeichen hierfür ist der Abbau von Restriktionen auf die grenzüberschreitende Kapitalmobilität zwischen 1970 und 1995. Des Weiteren wurden die inländischen Finanzsysteme von Regulationen befreit. Resultat dieser Liberalisierung der Finanzmärkte und der Verringerung der Transaktionskosten war ein dramatischer Anstieg der transnationalen Finanztransaktionen.48 Der durchschnittliche tägliche Kauf und Verkauf von Fremdwährungen betrug 1977 18 Mrd. US-Dollar, in 2000 waren es bereits 2 Billionen USDollar.49 Dieser Anstieg um mehr als 11.000 % veranschaulicht die explosionsartige Globalisierung der Finanzmärkte. Die Komplexität der Finanzmärkte hat sich durch die Globalisierung deutlich erhöht.50 Ursachen dieses Komplexitätsanstiegs sind: • der numerische Anstieg der Finanzinstitutionen und Akteure, • die verschiedenen nationalen Regulierungen und Gesetzgebungen und • die kulturellen Unterschiede51 und das fehlende länderspezifische Wissen der Finanzmarktteilnehmer. Der technologische Fortschritt, d.h. die Vernetzung der einzelnen Finanzmärkte und die erhöhte Geschwindigkeit von weltweiten Transaktionen erhöhen die Störanfälligkeit des Finanzsystems. Der Ausbruch einer anfangs nationalen Finanzkrise kann dadurch leichter globale Konsequenzen nach sich ziehen. Dieses Phänomen wird durch „Fund Managers“ verstärkt, die in kurzer Zeit enorme Transaktionen tätigen und dadurch so genannte „Electronic Herds“ bilden. Diese „elektronischen Herden“ haben aufgrund ihrer Finanzkraft einen großen Einfluss und können speziell in instabilen Finanzmärkten schwerwiegende Probleme verursachen. Die beliebtesten Investitionen der „elektronischen Herden“ sind Portfolioinvestitionen. Diese instabilen Portfolioinvestitionen haben den Anfang der Asienkrise in Thailand teilweise verursacht.52 Während der Asienkrise betrug die Verschlechterung der Zahlungsbilanz in einige Länder bis zu 15 %. Ein anderes Beispiel einer kurzfristigen Verflüchtigung des Kapitals war während der Asienkrise zu beobachten. Grenville53 argumentiert, dass große „Hedge Funds“ durch ihr Handeln den Währungsmarkt zu destabilisieren versuchten. Die Akteure versuchten, den Wert des japanischen Yens abzuwerten, um die chinesische Währung, den Renminbi, zu schwächen. Dies würde den fixen Wechselkurs des Hong-Kong-Dollar zum Renminbi auflösen, aber unter anderem die russische Krise hat diesen Plan zerstört. Das Resultat war, dass sich der Wert der Yens an einem Tag um 15 % erhöhte. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie erhöhte Kapitalflüsse durch Instabilisierung direkt Schaden verursachen können. Es zeigt daher, wie Globalisierung Finanzkrisen verstärken kann. Fallbeispiel Argentinien – ein Absturz sondergleichen Argentinien gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den zehn reichsten Ländern der Welt. Im Jahre 1913 war es wirtschaftlich stärker als etwa Deutschland und Frankreich. Ausgestattet mit einem der fruchtbarsten Böden weltweit, zog es im 19. Jahrhundert große Mengen an britischem Kapital und europäischen Immigranten an.54 Heutzutage hingegen leben Vgl. Wagner, S 20. Vgl. Businessline. 50 Vgl. Sheng, A. in Harwood/Litan/Pomerleano, S 418. 51 Cooper, R. N. in Harwood/Litan/Pomerleano, S 27. 52 Vgl. Dasgupta/Uzan/Wilson, S 26. 53 Vgl. Dasgupta/Uzan/Wilson, S 33. 54 Vgl. Economist („A decline without parallel”). 48 49 – 86 – 60 % der argentinischen Bevölkerung, das sind 20 Millionen Menschen, unter der offiziellen Armutsgrenze von 410 Pesos pro Monat (umgerechnet ca. 110 US-Dollar).55 Was ist mit diesem einst reichen Land passiert? Wie kam es zu dieser gewaltigen finanziellen Krise, die Argentinien heimgesucht hat und die das Land in enorme Aufruhr versetzt und in teilweise extreme Armut gestürzt hat? Im Folgenden möchten wir darstellen, dass Argentiniens Finanzkrise durch das Zusammenspiel von mehreren Faktoren verursacht worden ist. Besondere Einflussnahme über Argentiniens schwerwiegendes Schicksals übten dabei besonders die Regierung und internationale Institutionen wie IWF und Weltbank aus. Auch die Konsequenzen der Globalisierung bekam Argentinien vor allem in Form von exogenen Schocks zu spüren. Nun jedoch zu den wichtigsten Ereignissen. Argentinien war jahrzehntelang mit Problemen konfrontiert, die von politischen Turbulenzen über Terrorismus und gewalttätigen Aufständen bis hin zu immer wieder fehlgeschlagenen Stabilisierungsprogrammen reichten.56 In den 1980er Jahren, als Argentinien von Hyperinflation gekennzeichnet war, nahm die Finanzkrise von 2001/2002 ihren Anfang. Im Jahr 1983 betrug beispielsweise die Inflation mehr als 900 Prozent.57 Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde vom argentinischen Präsidenten Carlos Menem (1989-99) in den frühen 1990er Jahren schwerwiegende wirtschaftspolitische Veränderungen, „Reformen“ durchgeführt. Dazu gehörte vor allem die Einführung eines „Currency Boards“ und des „Convertibility Law“ (Konvertibilitätsgesetz). Somit wurde der Kurs des Peso fest an den US-Dollar gebunden. Dieser fixe Wechselkurs wurde besonders vom IWF angespornt.58 Darin sah die Regierung die Lösung zu vielen Problemen, was sich in wirtschaftlichem Wachstum zwischen 1991 und 1994 niederschlug. Schon bald allerdings, entpuppte sich die Politik des festen Wechselkurses als eine der Hauptauslöser einer Finanzkrise. Argentinien, nicht der IWF, zahlt nun den Preis dafür.59 Der wesentlichste Nachteil des Konvertibilitätsgesetzes ist seine Starrheit. Auch im Angesicht von internen und externen wirtschaftlichen Veränderungen konnte sich die Währung den Gegebenheiten nicht anpassen. So war der Peso total überbewertet und machte Argentinien wettbewerbsunfähig. Die Situation verschärfte sich besonders, als es zu einer Wertsteigerung des US-Dollar kam, während es zu einer Währungsabwertung von internationalen Konkurrenten Argentiniens kam (z.B. durch die mexikanische Peso-Krise). Bis 1998 führte diese Überbewertung des Pesos zu einem enormen Handelsdefizit – die Importe überstiegen bei weitem die Exporte. Argentinien besaß somit auch nicht die nötigen Devisen um die Zinsen der Auslandsverschuldung zu zahlen.60 Andere Fehler im Reformprogramm von Präsident Menem tauchten auf. Argentinien war gepriesen dafür, dass es erlaubte, dass ein großer Teil der Banken in ausländischem Besitz sei. Zunächst stellte sich dies als ein stabileres Bankensystem heraus, jedoch versagte dieses System, da es keine Kredite an Firmen von kleiner und mittlerer Größe vergab. Wirtschaftliches Wachstum sank ständig, da es an ausreichender Finanzierung von Firmen in Argentinien fehlte.61 Von Carlos Menem wurde in den 1990er Jahren auch ein weitreichendes Privatisierungsprogramm durchgeführt. Davon betroffen waren die Öl-, Telefon-, Wasserverteilungs-, Strassen- und Eisenbahnindustrie. Menem deregulierte auch den Elektrizitätssektor. Während sich Auslandsinvestitionen dadurch rasch erhöhten, war Menems Durchgriff für den Durchschnittsargentinier eher eine Katastrophe. Die Einnahmen wurden Vgl. WSWS („The social costs of Argentina’s crisis”). Vgl. Commanding Heights. 57 Vgl. BBC News (“Timeline: Argentina”). 58 Vgl. Taipei Times. 59 Vgl. Taipei Times. 60 Vgl. Schrottshammer, S 42. 61 Vgl. Taipei Times. 55 56 – 87 – in Regierungshänden gehalten, während die Preise für die Konsumenten unverschämt in die Höhe schnellten. Beispielsweise erhöhten privatisierte öffentliche Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser und Strom) ihre Preise um bis zu 70 Prozent.62 Durch Stellenabbau und Kosteneinsparungsmaßnahmen wurde außerdem die Arbeitslosigkeit verstärkt.63 Negative Effekte der Globalisierung bekam Argentinien in Form von exogenen Schocks zu spüren. Zunächst wirkte sich die Mexikanische Finanzkrise von 1994/95 auf Argentinien aus. Als der mexikanische Peso abgewertet wurde, wurden die internationalen Investoren in Schrecken versetzt und sie befürchteten ein Überspringen der Krise auf Argentinien. Daher zogen sie große Summen an Geld aus Argentinien ab. Durch die sich verbreitende Unsicherheit stiegen außerdem die Zinssätze mächtig an, wodurch die Kosten von Krediten hochgetrieben wurden. Des weiteren brachte die Ostasien-Krise von 1997 globale Konsequenzen mit sich, was teilweise durch die Misswirtschaft des IWF hervorgerufen wurde. Diese Krise trieb die Zinssätze aller Schwellenländer, inklusive Argentinien, in die Höhe. Durch diese von Asien ausgelöste globale Krise wurde eine Reihe von großen Wechselkursänderungen vorgenommen. Argentiniens fixes Wechselkurssystem blieb allerdings zu einem hohen Preis bestehen – dem Ausbruch von zweistelligen Arbeitslosenraten.64 Der USDollar gewann stark an Wert (somit auch der argentinische Peso), während der brasilianische Real an Wert verlor. Argentinien, das Brasiliens Haupthandelspartner innerhalb des Mercosur war, verlor somit an Konkurrenzfähigkeit in der Exportwirtschaft.65 Zusätzlich kam es zu einer Abwanderung von Industrien nach Brasilien. Die „Convertibility Law“ stand noch immer aufrecht, obwohl der fixe Wechselkurs Argentinien immer stärker in ein wirtschaftliches Chaos stürzte. Eine andere Auswirkung von Globalisierung zeigte sich im Markteintritt von ausländischen Firmen in Argentinien. Der Eintritt von Einzelhandelsketten, wie Wal-Mart und Carrefour, trieb Hunderttausende kleine Einzelhändler in den Bankrott und zerrüttelte Argentinien immer weiter.66 Das Zusammenspiel dieser Faktoren und Argentiniens immer größer werdende Schuldenberg verschlimmerten die Situation zunehmend. Das Wirtschaftswachstum fiel stetig und 1999 zeichnete sich erstmals ein negatives Wirtschaftswachstum von minus 3,5 Prozent ab. Argentiniens Finanzkrise befand sich somit bereits im ersten Jahr. Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse in Argentinien: • Dezember 2000: Ausländische Investoren befürchten eine baldige Zahlungsunfähigkeit Argentiniens. Präsident Fernando de la Rua führt mit dem IWF Verhandlungen über einen „Notfallskredit“.67 • Januar 2001: Der IWF gewährt Argentinien neue Kredite und Kreditgarantien über 39,7 Mrd. US-Dollar. Erleichterung macht sich breit. Der neue Slogan der Regierungspropaganda: „Risk-free – Argentina is growing“.68 • März 2001: Investoren und die Regierung packt die Panik. Argentiniens Kreditkosten sind stark angestiegen, da Investoren höchste Zinsraten verlangen, um die Gefahr einer möglichen Zahlungsunfähigkeit zu kompensieren.69 • Juli 2001: Wirtschaftsminister Domingo Cavallo gibt zu, dass Argentinien keinen internationalen Kredit mehr hat. Die Bevölkerung stürmt daraufhin die Banken, um Vgl. WSWS (“The social costs of Argentina´s crisis”). Vgl. Gimenez. 64 Vgl. Taipei Times. 65 Vgl. Taipei Times. 66 Vgl. Gimenez. 67 Vgl. Economist (“The slow road to reform”). 68 Vgl. Economist (“Argentina´s distant allies and the fiscal gap”). 69 Vgl. Economist (“Cavallo pawns an uncertain future”). 62 63 – 88 – • ihr Geld vor einer Abwertung zu retten. Der Bedarf an Bankschließfächern steigt rapide, während die Banken nicht genug US-Dollar zur Verfügung haben.70 August 2001: „Patacones“ (Anleihen mit 7 % Zinsen, einlösbar in einem Jahr) werden zur teilweisen Auszahlung von Gehältern eingeführt.71 Die Anzahl an Bankkonten und die internationalen Reserven sinken stark. Im Juli und August werden 8 Mrd. USD von den Banken abgehoben.72 Es kommt zu Demonstrationen in ganz Argentinien. Ein neuer Kredit in der Höhe von 8 Mrd. US-Dollar wird vom IWF gewährt. Die Staatsverschuldung beträgt 127 Mrd. US-Dollar.73 Graphik 1: Entwicklung der argentinischen Bankkonten 200174 • • • Oktober 2001: Bei den Parlamentswahlen am 20. Oktober zeigt die Bevölkerung ihre Wut gegen die Regierung durch viele ungültige Wahlzettel oder Nichterscheinen. Gehälter im privaten Sektor sind in drei Jahren um 20 % gefallen.75 November 2001: Die offizielle Arbeitslosigkeit steht nun bei 16 %, weitere 15 % sind „unterbeschäftigt“. Buenos Aires versinkt in Hunger und Hoffnungslosigkeit. Jose Inacio de Mendiguren (von der Industriegewerkschaft) fasst die Situation in seine Worte: „There have been two Argentinas, privatised services and foreign bank branches have been fantastically profitable. The Argentina that has to compete with the world has done very badly“.76 Dezember 2001: Die Regierung verhängt Restriktionen über private Bankkonten – nur mehr 1.000 US-Dollar pro Monat dürfen Argentinier in Bar abheben. Mitte Dezember beschließt der IWF einen Teil seines Kredites nicht an Argentinien auszuzahlen. Die Regierung zwingt Lokalbanken und Rentenkassen praktisch wertlose Bonds gegen Geld auf. Sparkonten werden eingefroren. Es kommt zum Generalstreik, zu Demonstrationen,77 zu gewalttätigen Ausschreitungen, wobei 30 Menschen sterben. Präsident de la Rua legt sein Amt nieder. In den nächsten zehn Tagen bekommt Argentinien vier Übergangspräsidenten.78 Graphik 2: Argentinisches BIP und Wechselkurs des Peso 1998-200379 Vgl. Economist (“Austerity, or bust”). Vgl. BBC News – Vanessa Heaney. 72 Vgl. Economist (“Down, and almost out, in Buenos Aires”). 73 Vgl. Economist (“The austerity diet”). 74 Economist (“Dreading the cure”). 75 Vgl. Economist (“Calling for chance – but in which direction?”). 76 Vgl. Economist (“Down, and almost out, in Buenos Aires”). 77 Vgl. Economist (“Strapped for Cash“, „The end“ und „Patience wears thin“). 78 Vgl. Schrottshammer, S 41. 79 Economist (“Poised for Growth?”). 70 71 – 89 – • • • • Januar 2002: Argentinien ist bankrott. Argentiniens Zahlungsunfähigkeit von Staatsschulden in der Höhe von 155 Mrd. USD ist der höchste jemals da gewesene Zahlungsverzug weltweit. Der neu gewählte Präsident Eduardo Duhalde hebt die „Convertibility Law“ auf und gibt den Wechselkurs des Pesos frei. Es kommt zu einer extremen Abwertung des Pesos.80 Argentiniens Wirtschaft ist zum größten Teil dollarisiert. 70 Prozent der Bankkonten und 79 Prozent der Kredite lauten auf US-Dollar. Bei einer Abwertung des Pesos, aber nicht der Kredite, würde fast jeder Bankrott gehen. Somit konvertiert Präsident Duhalde alle Dollars in Pesos. Allerdings werden fast alle Kredite zu pari umgewandelt, während Bankkonten zu einer Rate von 1,4 Pesos zu 1 Dollar konvertiert werden. Die Abwertung des Pesos bringt ein zusätzliches finanzielles Chaos.81 November 2002: Argentiniens Regierung kommt in Zahlungsverzug mit einem 800 Millionen USD Kredit von der WB. Präsident Duhalde macht Druck auf die internationalen Organisationen – ohne weitere IWF Kredite ist die Chance auf weitere Zahlungsverzüge leicht möglich.82 Januar 2003: Wirtschaftsminister Roberto Lavagna erklärt, dass Argentiniens VierJahres-Rezession vorüber sei. Solcher Optimismus ist eher fehl am Platz. Das totale Zusammenbrechen der Wirtschaft ist zwar vorbei, aber Argentinien ist nach wie vor hoch verschuldet und die Konsequenzen der Finanzkrise sind in der Armut der Bevölkerung veranschaulicht.83 Am 17. Januar gewährt der IWF Argentinien einen „kleinen“ Kredit von 3 Mrd. US-Dollar. Am selben Tag läuft für Argentinien die Frist ab, dem IWF eine Milliarde US-Dollar von früheren Krediten zu zahlen. In Wirklichkeit wird somit Argentinien vom IWF Geld geborgt, dass es nicht in Verzug mit Zahlungen an den IWF selbst gerät.84 April 2003: Am 27. April ist Präsidentenwahl. Der 72-jährige frühere Präsident Carlos Menem erhält 23,93 Prozent und Nestor Kirchner, der Gouverneur von der Provinz Santa Cruz, bekommt 21,69 Prozent der Stimmen. Da niemand 45 Prozent oder mehr der Stimmen erhalten hat, hätte es am 18. Mai 2003 zu einer Stichwahl zwischen den beiden kommen sollen. Sie findet nicht statt, weil Menem auf seine Kandidatur verzichtet. Nestor Kirchner ist somit neuer argentinischer Präsident.85 Die sozialen Auswirkungen der Finanzkrise sind für Argentiniens Bevölkerung fatal. Der Lebensstandard ist um 70 Prozent gefallen. Mindestens 2,3 Millionen Kinder sind unterernährt, was sich besonders negativ auf ihre weitere Entwicklung auswirken wird. 20 Millionen Argentinier leben unter der offiziellen Armutsgrenze, während 7 Millionen in extremer Armut leben. Das Bild in Buenos Aires hat sich sehr verändert. Familien betteln auf der Strasse, Hungrige essen Restaurantabfälle und am Abend wird die Stadt von 100.000 so genannten „Cartoneros“ (Altpapiersammler) aufgesucht, die Altpapier, Kartons und Glas sammeln, um sie an Recyclingfirmen zu verkaufen. Damit verdienen sie gerade genug, um ihre Familien zu ernähren.86 Die Krise hinterlässt auch bezüglich der Einkommensverteilung Spuren. Zwischen 1996 und 2001 ist die Kaufkraft der unteren 85 Prozent der Argentinier um 40 Prozent gefallen, während die Top 5 Prozent der argentinischen Bevölkerung einen spektakulären Anstieg ihres realen Einkommens erlebten. Weltweit gesehen, liegt ArgentiVgl. Economist (“A decline without parallel”). Vgl. Economist (“Defaulter of last resort” ). 82 Vgl. Economist (“Storm abated, outlook still unsettled”). 83 Vgl. Economist (“Storm abated, outlook still unsettled”). 84 Vgl. Economist (“Storm abated, outlook still unsettled”). 85 Vgl. BBC News („Excerpts: Kirchner´s inaugural speech“). 86 Vgl. WSWS (“The social costs of Argentina’s crisis”). 80 81 – 90 – nien in Bezug auf seine soziale Ungleichheit auf Rang 15. In den 1970er Jahren verdienten die Top 20 Prozent der Bevölkerung 8 Mal mehr als die untersten 20 Prozent. 2001 lag dieses Verhältnis bei 14 zu 1. Die ungleiche Einkommensverteilung ist schlimmer als etwa in Mexiko oder Malaysia.87 Der Internationale Währungsfond (IWF) – Die Institution Der IWF wurde 1944 gemeinsam mit der Weltbank gegründet. Diese beiden Institutionen stellen die Bretton-Woods-Institutionen dar. Im Moment hat der IWF über 180 Mitglieder. Der Hauptgrund für die Schaffung des IWF war die Absicht, die internationale Kooperation in Geldangelegenheiten, Wechselkursstabilität, das wirtschaftliche Wachstum und einen hohen Beschäftigungsstand zu fördern und Ländern mit Zahlungsschwierigkeiten finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. Anders ausgedrückt besteht die Aufgabe des IWF aus drei Teilen. Als ersten Teilbereich ist die Überwachung, die sich auf eine Entwicklung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht richtet, zu nennen, zweitens die Kreditvergabe an Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten mittels verschiedener IWF-Fazilitäten und drittens bietet der IWF jenen Mitgliedern, die mit finanziellen und/oder wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben, technische Unterstützung an, die auch von Marktstudien und Statistiken, erstellt vom IWF, untermauert wird. Allgemeine Schwachpunkte des IWF Die folgenden Schwachpunkte spielen bei den meisten bzw. nahezu allen IWF-Interventionen eine Rolle. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit aber nur kurz auf diese Probleme eingegangen, da das Ziel dieser Arbeit das Aufzeigen und Analysieren der Schwachpunkte im Fall Argentiniens ist. Die Asymmetrie der Machtverhältnisse Sowohl die Weltbank, als auch der IWF, auf den sich diese Arbeit konzentriert, sind von einem Wahlsystem gekennzeichnet, das sich an der wirtschaftlichen Stärke der Mitglieder orientiert. Dieses Wahlsystem findet seinen Ursprung in den „Quoten“. Jedes Mitglied muss gemäß den Quoten (drückt die Wirtschaftskraft des Landes aus) Geld an den IWF bezahlen. Die Quote bestimmt die Stimmkraft, den einzuzahlenden Betrag und den Betrag, den ein Land als finanzielle Unterstützung erhalten kann Mit anderen Worten bedeutet das, dass wirtschaftlich mächtigere Länder, d.h. Industrieländer überproportional mehr Einfluss auf die Aktionen des IWF ausüben, als wirtschaftlich schwächere Länder. Dies gilt vor allem für die Länder der Triade (USA, Europa, Japan), wobei die USA sogar ein Vetorecht haben, da für einen Beschluss mindestens 85 % der Quoten erforderlich sind.88 Vgl. WSWS (“Political crisis deepens in Argentina after De la Rua´s fall”). Nachdem die USA einen Teil ihrer Stimmen wieder abgegeben hatten, wurden die Satzungen dahingehend geändert, dass ihnen auch weiterhin ein Vetorecht zustand. 87 88 – 91 – Graphik 3: Quoten der größten IMF-Mitgliedsländer89 Konditionalität Neben dieser Asymmetrie der Machtverhältnisse ist als weiterer Schwachpunkt die „Konditionalität“ der Hilfeleistungen seitens des IWF zu nennen, die ebenfalls Einfluss auf die Art und Weise der Integration der Entwicklungsländer bzw. auf deren Globalisierungsprozess hat. Die (Krisen-)Hilfeleistungen sind immer an bestimmte Bedingungen geknüpft. Nahezu alle multilateralen Institutionen fordern von ihren Kreditnehmern eine Veränderung der Politik, sei es der Geld-, Zins-, oder Wirtschaftspolitik. Das Hauptproblem neben dieser Abhängigkeit vom Geld bzw. vom Wohlwollen der Industrieländer, allen voran den USA stellt die Tatsache dar, dass die Verpflichtung, seine Politik den Wünschen des IWF anzupassen, von „Outsiders“ diktiert wird, die oftmals nicht (ausreichend) über die nationalen wirtschaftlichen, politischen und strukturellen Umstände informiert sind und sicher manchmal auch nicht bereit, die dafür nötige Zeit für das Sammeln der notwendigen Informationen zu investieren, da sie sich nicht verantwortlich fühlen („Missing Ownership“). Das ist die Ursache, warum die meisten dieser „neuen Politiken“ auf der einen Seite ohne Überzeugung und fundierte Informationen implementiert werden und auf der anderen Seite aufgegeben werden, sobald unerwartete Probleme auftauchen.90 Grundsätzlich werden, nach Angaben des IWF und der Weltbank alle Politikanpassungen zwischen den Kreditgebern (IWF, d.h. Industrieländer) und den Kreditempfängern diskutiert und verhandelt. Besonders pikant wird damit der Artikel IV der Satzung, wo es unter anderem heißt: Article IV (3)(b): „These principles shall respect the domestic social and political policies of members, and in applying these principles the Fund shall pay due regard to the circumstances of members.”91 Driscoll. Vgl. Ryrie, S 47. 91 Articles of Agreement des IWF (www.imf.org). 89 90 – 92 – Obwohl dieser Artikel in den Satzungen festgehalten ist, werden Entwicklungsländer dazu „gezwungen“, ihre Politik den Vorstellungen des IWF anzupassen. In Zusammenhang mit der Konditionalität muss auch der Begriff „one-size-fits-all“-Politiken erläutert werden. Viele Skeptiker der internationalen Finanzinstitutionen kritisieren, dass oft Standardlösungen eingesetzt werden, die nie die aktuellen und vor allem nationalen Umstände des betroffenen Landes miteinbeziehen. Das folgende Zitat soll dieses Problem anschaulich erklären: „When the IMF decides to assist a country, it dispatches a ‚mission’ of economists. These economists frequently lack extensive experience in the country; they are more likely to have firsthand knowledge of its five-star hotels than of the villages that dot its countryside. […] Critics accuse the institution of taking a cookie-cutter approach to economics, and they’re right. Country teams have been known to compose draft reports before visiting. I heard stories of one unfortunate incident when team members copied large parts of the text for one country's report and transferred them wholesale to another. They might have gotten away with it, except the ‚search and replace’ function on the word processor didn't work properly, leaving the original country's name in a few places. Oops.“92 Die fehlende bevorzugte Behandlung Grundsätzlich ist auf allen Internetseiten der internationalen Finanzorganisationen (IWF, Weltbank, WTO, etc.) die Rede von bevorzugter Behandlung der wirtschaftlich schwächeren Entwicklungs- und Schwellenländern durch niedrigere Zinssätze oder längeren Zahlungsperioden. Tatsache ist aber, dass viele dieser ärmeren Länder nach wie vor, insbesondere im landwirtschaftlichen Bereich, durch viele tarifäre und/oder nicht tarifäre Handelsbarrieren an einer aktiven Teilnahme am Weltmarkt gehindert werden. Dieses Verhalten seitens der Industrieländer stellt eine massive Bremse für eine bessere und erfolgreichere Integration der Entwicklungsländer in den Globalisierungsprozess dar. Die fehlende finanzielle Verantwortlichkeit Erinnern wir uns an den Vorfall, wo Mitarbeiter beim Kopieren einer auf das betroffene Land „maßgeschneiderten“ Strukturanpassungen unglücklicherweise den Ländernamen eines anderen Landes, das die gleichen Strukturempfehlungen verordnet bekam, nicht ersetzt hatten. Vermutlich hätte jedes Unternehmen des privaten Sektors (z.B. Unternehmungsberater) nach einer solchen Fahrlässigkeit mit großen Schadenersatzklagen zu kämpfen. Im Falle des IWF sieht dies allerdings ganz anders aus, da diese Institution für seine Ratschläge und Empfehlungen, mögen sie auch noch so unangebracht sein, nicht finanziell zur Verantwortung gezogen werden kann. Das erscheint aus rein wirtschaftlicher Sicht nicht verständlich, da durch die Merkmale des IWF (z.B. Asymmetrie der Stimmverteilung, Konditionalität, fehlende bevorzugte Behandlung) der IWF grundsätzlich schon gegenüber den Mitgliedern in einer bevorteilten Position befindet. Kritik am IWF und seinen Handlungen in der Argentinienkrise 2001/02 Wie oben dargestellt, ist die Argentinienkrise von 2001/02 das Resultat von mehreren Faktoren, die ihren Ausgangspunkt oft schon zehn oder mehr Jahre früher finden. 92 Stiglitz. – 93 – Die Politik des fixen Wechselkurses – das „Currency Board“ Schon 1991 bindet Argentinien, auf Empfehlung des IWF, den Kurs der nationalen Währung an den US-Dollar, d.h. ein Peso für einen US Dollar. Diese „Methode“ beschert Argentinien in den ersten Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, da es ausländische Direktinvestitionen anzieht. Allerdings stellte sich diese anfangs vielversprechende Methode des „Currency Board“ im nachhinein als eine der Hauptursachen für die Schwere der Krise heraus. Mit der Überbewertung des Peso, die aufgrund des fixen Wechselkurses mit der Überbewertung des USDollars einherging, begann das Wirtschaftswachstum zu sinken (1998: 4 %), da die Exporte teurer und die Importe künstlich billig wurden.93 Um das Versagen der Politik des fixen Wechselkurses besser verstehen zu können, muss das Currency Board kurz genauer beschrieben werden. Grundsätzlich ist dieses Konzept nichts Neues. Bereits in der Kolonialzeit wurde dieses System vor allem von den Briten in ihren Kolonien eingesetzt, um durch den festen Wechselkurs den Warenhandel, den Kapitalverkehr und die Einbindung der Finanzinstitute in das britische Bankensystem zu erleichtern. Dieses Modell verschwand nahezu vollständig während der Zeit der Dekolonialisierung und wurde zu Beginn der neunziger Jahre wieder eingeführt.94 Grundsätzlich ist ein Currency Board durch drei Merkmale charakterisiert, nämlich durch: • einen festen Wechselkurs gegenüber einer (starken) Ankerwährung (meist der USDollar oder der Euro), • die unbeschränkte Konvertibilität der nationalen Währung in die Ankerwährung • und die vollständige Deckung der inländischen Geldmenge durch Devisenreserven. Dieser letzte Punkt war mit dafür verantwortlich, warum der IWF Argentinien enorme Kredite gewährte, deren Ziel die Aufrechterhaltung des Wechselkurses war: „Um eine überbewertete Währung zu verteidigen, braucht ein Land große Dollar-Reserven, die Regierung muss garantieren, dass jedermann, der einen Peso für einen Dollar eintauschen will, dies auch kann.“95 Aus diesem Aufbau von Währungsreserven entspringt aber auch ein Schwachpunkt. Entwicklungs- und Schwellenländer müssen als Schutzmaßnahmen vor eventuellen Währungsund Finanzkrisen knappes Kapital, das sonst sicher gewinnbringender eingesetzt werden könnte, für den Aufbau der Reserven verwenden. Ein weiterer gravierender Nachteil dieses Konzeptes ist der Verzicht eines (Entwicklungs-) Landes auf eine eigene, unabhängige Geldpolitik, die eine Ohnmacht der nationalen Finanzinstitutionen, vor allem der Notenbank, nach sich zieht, da sie keine Möglichkeit zur Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung mehr besitzen. Da Investoren (vor allem) durch hohe Zinsen angezogen werden, müssen die inländischen Zinsen stets höher, als im Ankerwährungsland sein. Verständlicherweis stellt ein konjunkturbedingter Anstieg des Zinsniveaus im Ankerwährungsland speziell in einer Rezession ein großes Problem dar. Ein weiterer Schwachpunkt des Currency-Board-Modells ist die geringe Flexibilität, der fehlende Spielraum um auf externe Schocks schnell und angemessen antworten zu können. Einen solchen Schock stellte die, durch Mexiko ausgelöste „Tequila-Krise“ 1995 dar, die nach Angaben einiger Experten bereits zu diesem Zeitpunkt den Ausstieg aus dem argentinischen Currency Board hätte auslösen sollen. Dieser Ausstieg ist aber meistens sehr kostspielig und eine Rezession oder sogar eine Krise erschweren diesen erheblich. Vgl. Weisbrot. Einführung eines Currency Board in Argentinien (1991), in Estland (1992) und in Litauen (1994). 95 Weisbrot; die Devisenreserven der Entwicklungs- und Schwellenländer stiegen zw. 1994 und 2001 von 521 Mrd. US-Dollar auf 1.187 Mrd. US-Dollar an; vgl. Heribert, Kapitel 3. 93 94 – 94 – Abschließend muss noch erwähnt werden, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Währung, die nach dem Ausstieg oft durch eine starke Inflation gekennzeichnet ist, verloren geht, was drastische Auswirkungen auf Investitionen, finanziert aus inländischer Ersparnis haben wird.96 Aufgrund der enormen Störungsanfälligkeit durch externe Schocks sollte diese Methode des fixen Wechselkurses bei Entwicklungs- und Schwellenländern, deren wirtschaftliche Situation grundsätzlich nicht ganz stabil sind, nicht angewandt werden. Warum empfiehlt der IWF trotzdem dieses Konzept oder das Konzept der flexiblen Wechselkurse, das ebenfalls keine optimale Lösung für Entwicklungs- und Schwellenländer darstellt? Nur diese beiden Extremlösungen sind ohne Kapitalbeschränkungen realisierbar und diesen freien Kapitalverkehr strebt der IWF an.97 Diese Erklärung betont einmal mehr die Machtverhältnisse des IWF. Moral Hazard – Bailing Out Das „Moral-Hazard-Problem“ gewann besonders in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung, da die Größe der IWF-Kredite stark angestiegen ist. Es bleibt die Frage, ob größere Kredite immer zielführender sind, oder ob nicht gerade dadurch das Moral Hazard Problem und/oder Korruption gefördert werden. „Moral Hazard“ beschreibt ein Verhalten bzw. eine Situation, in der ein Akteur den gesamten positiven Gewinn seines Handelns erhält, aber im Falle von Schwierigkeiten nicht die gesamten Kosten seines Handelns zu tragen hat: „Moral hazards problems occur in any situation in which someone is tempted to take an inefficient action or to provide distorted information (making others take inefficient actions) in order to pursue personal goals and the person cannot be easily checked or monitored. Often, these decision makers do not bear the full impact of their decisions.“98 Dieses Verhalten des IWF, ein Land immer und immer wieder durch Kredite zu unterstützen, fördert das Moral-Hazard-Verhalten, da Investoren bereit sind, ein höheres Risiko einzugehen, da im Falle einer Krise oder anderen Schwierigkeiten immer noch die Chance besteht, das investierte Kapital durch Kredite des IWF wieder zurück zu bekommen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Höhe des Kredites „angemessen“ sein sollte, d.h. das Land sollte in der Lage sein, seine Schulden fristgerecht zu bezahlen, aber die Kredite dürfen nicht so hoch sein, dass die ungewöhnlich risikofreudigen Investoren sich ohne größere Verluste aus dem Staub machen können. Ein Bail-In der Investoren, das bedeutet insbesondere auch den privaten Sektor mit einzubeziehen, wird sich als schwierig erweisen, da sich vor allem die USA gegen diese „systematische Einbeziehung des Privatsektors in die Krisenprävention und -vermeidung“99 aussprechen. Panik bzw. eine Kettenreaktion Wie schon bei anderen Finanzkrisen der neunziger Jahre (Südostasienkrise) wurde auch die Argentinienkrise durch die Umkehr der Kapitalströme verstärkt. Zu Beginn der neunziger Jahre verzeichnete dieses lateinamerikanische Land enorme Wachstumszahlen (1993 und 1994: ca. 6 % BIP-Zuwachs100) und viele Investoren wollten an diesem Wachstum teilhaben und investierten, oft ohne sich genauer zu informieren, große Beträge in den argentinischen Markt. Mit anderen Worten folgten viele diesem Trend um von dieser Aufwärtsbewegung Vgl. Heribert (Kapitel: Currency Boards. Nach Argentinien nicht mehr plausibel). Vgl. Heribert (Kapitel: Intermediäre Regime mit Kapitalbeschränkungen). 98 Milgrom/Roberts. 99 Mildner. 100 Vgl. Heribert (Kapitel: Currency Boards: Nach Argentinien nicht mehr plausibel). 96 97 – 95 – der Konjunktur zu profitieren. Sobald aber die Situation in Argentinien zunehmend schlechter wurde, z.B. das BIP Wachstum deutlich abnahm, verschwanden viele Investoren ebenso schnell wieder, wie sie anfangs in den Markt investiert hatten. Verbesserungsvorschläge bzw. Reformen des IWF In diesem abschließenden Kapitel möchten wir versuchen einige Verbesserungsvorschläge zu nennen, die das aktuelle Finanzsystem aus mehreren Richtungen her sicherer gestalten können. Vermutlich lassen sich Finanzkrisen aufgrund des immer komplexer werdenden Weltmarktes sicher nie vollkommen verhindern, doch die folgenden Reformen und Vorschläge sind mit Sicherheit ein schritt in die richtige Richtung. Einführung eines adäquaten Wechselkurssystems Die Finanzkrisen oder besser gesagt die Wechselkurskrisen der neunziger Jahre waren meist durch ein System der fixen Wechselkurse gekennzeichnet. Aus diesem Grund stellt für Entwicklungsländer ein System der flexiblen Wechselkurse ein bessere Lösung dar, da es im Falle von leichten Problemen und Schwankungen einen bestimmten Sicherheitsspielraum bietet und dadurch wahrscheinlich leichte Krisen abgewandt werden können. Allerdings schützt dieses System auch nicht immer vor finanziellen und wirtschaftlichen Problemen oder Störungen, wie das Beispiel Südafrika zeigt, das seit 1994 eine Politik der Liberalisierung verfolgt. Wieder andere Länder haben eine ganz andere Wechselkurspolitik implementiert und hatten damit auch Erfolg. China führte ein Wechselkursregime ein, das von rigorosen Kapitalverkehrskontrollen und einem festen Wechselkurs charakterisiert ist.101 Wichtig bei der Wahl des Wechselkursregimes ist die gründliche Untersuchung der nationalen Struktureigenheiten und die Implementierung des erfolgversprechendsten Modells. Einmal mehr ist hier das Gebot an den IWF, diese Entscheidung gemeinsam mit dem Staat zu treffen. Demokratie innerhalb des IWF „The IMF and the World Bank will not be able to do their job effectively if they remain tied to structures that reflect the balance of power of the Second World War.“102 Dieser Vorschlag beinhaltet weit mehr, als eine Änderung des Wahlsystems von dem „Ein-Dollar-eineStimme“-System zu einem „Ein-Land-eine-Stimme“-System. Nicht nur die Verteilung der Stimmen muss geändert werden, sondern wirtschaftlich schwächere Länder müssen auch angehört werden bzw. die Möglichkeit haben mit zu diskutieren und sollten nicht erst nach „Green-Room“-Besprechungen zw. einzelnen (eingeladenen) Vertretern der Industrieländer über die bereits getroffenen Entscheidungen informiert werden. Transparenz der Institutionen und Systeme Obwohl in den letzten Jahren immer mehr Dokumente öffentlich zugänglich gemacht werden, ist dem Anspruch auf ausreichende Transparenz noch nicht Genüge getan. Vor allem Berichte über aktuelle Geschehnisse sind oft erst nach Vollendung der Handlungen zugänglich. Vorschläge und Expertenmeinungen von Ökonomen oder anderen Einrichtungen 101 102 Vgl. Heribert. Vgl. o. N. (“UN report urges greater IMF and WB accountability”). – 96 – haben auf diese Handlungen leider keinen Einfluss mehr. Insgesamt wäre eine Beteiligung von mehreren unabhängigen Stellen wünschenswert. Einen weiteren Aspekt stellt die neu eingerichtete „Evaluierungsstelle“ (Independent Evaluation Office) des IWF dar, die laut Aussagen von Dr. Horst Köhler, dem Geschäftsführenden Direktor des IWF, die Transparenz des Fonds auch verbessern soll.103 Es bleibt offen, wie „unabhängig“ diese IWF-interne Einrichtung die Handlungen evaluieren wird. Doch nicht nur internationale Finanzinstitutionen sind zu mehr Offenheit der Informationen und Dokumente aufgerufen. Auch Staaten und Banken sollten an diesem Prozess beteiligt werden. Besonders der Bankensektor soll durch das in naher Zukunft eingeführte Basel-IIAbkommen durch einheitliche Überwachungssysteme und Anpassungsprogramme sicherer gestaltet werden. Konzentration des IWF auf die ursprünglichen Aufgaben Dieser Vorschlag fasst auch mehrere Punkte zusammen. Zunächst sollte der IWF sein im Moment sehr breit gefächertes Angebot an Hilfeleistungen wieder auf die ursprüngliche, monetäre Rolle reduzieren und sich aus Entwicklungs- und Strukturaufgaben zurückziehen, da dies in den letzten Jahren oft zu Überlappungen mit den Aufgaben geführt hat und Machtspiele bezüglich Kompetenzbereiche in Krisensituationen sicherlich nicht hilfreich sind. Anders ausgedrückt sollte sich der IWF auf wirtschaftspolitische Beratung konzentrieren. Weiters sollten Kredite nicht wahllos vergeben werden, sondern nur in Fällen, wo kein prinzipieller Kapitalmarktzugang vorhanden ist, da das „Bail out“ zu einer Verzerrung von Anlageentscheidungen führt und das Moral Hazard Problem verstärkt. „Schuldner und private Gläubiger müssen zu jeder Zeit wissen, daß Finanzhilfen des IWF nicht dazu da sind, ihnen die Verantwortung für eingegangene Risiken abzunehmen.“104 Der IWF sollte nicht versuchen, die Funktion des „Lender of last Resort“ zu übernehmen. Viel eher sollte der IWF für eine Einbeziehung des privaten Sektors eintreten.105 Insolvenzverfahren für Staaten Der Vorschlag über die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Staaten wurde von vielen Ökonomen, darunter Prof. Raffer106 von der WU Wien, aber auch von Anne Krueger, der Vizedirektorin des IWF, schon mehrmals angesprochen. Dieses Verfahren, dessen Struktur und Aufbau im Wesentlichen dem US-Insolvenzrecht entspricht, sieht einen Schuldenzahlungsstop vor, der dem Staat die Möglichkeit bieten soll, seine Funktion aufrechtzuerhalten und vielleicht neue Investoren zu bewegen, sich zu beteiligen.107 Vgl. Köhler. Köhler. 105 Vgl. Krämer. 106 Vgl. etwa Raffer, K.: „Applying Chapter 9 Insolvency to International Debt: An Economically Efficient Solution with a Human Face” in: World Development, 18(2), S 301ff. 107 Eine ausführliche Erläuterung zu diesem Verfahren kann man im Internet finden, und zwar unter der Adresse http://www.bmz.de/infothek/fachinformationen/spezial/spezial038/a8.html (staatliche Schuldenregulierung: Verfahren und mögliche Inhalte. Kapitel II. Chapter 9-Verfahren). 103 104 – 97 – Kontraktualität – Internationales Schiedsgericht „Konditionalität bleibt unverzichtbar, um die Ressourcen des Fonds zu schützen und die notwendigen Anpassungsprozesse zu fördern. [...] Ich halte es für sehr wichtig, daß Länder, die ein Programm mit dem IWF vereinbaren, von sich aus Reformen bejahen.“108 Diesem Zitat von Dr. Horst Köhler, dem Direktor des IWF können wir uns nicht ganz anschließen, da wir der Meinung sind, dass der Globalisierungsprozess, wenn er langfristig erfolgreich sein soll, für beide Seiten, d.h. IWF und Entwicklungsland, vielleicht einen Kompromiss, aber letztendlich einen Vorteil bedeuten soll. Aus diesem Grund sollte die Verpflichtung von einseitigen Anpassungen ohne irgendeine Verantwortlichkeit der diktierenden Institution in ein wechselseitiges Abkommen geändert werden. Der Vorschlag verlangt also „Kontraktualität“ anstelle von „Konditionalität“. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen sollte auch der IWF Verträge mit den Mitgliedern abschließen, in denen eventuelle notwendige Anpassungen, aber auch Verfahren des Schadenersatzes im Falle von grober Fahrlässigkeit des IWF festgehalten werden. Vermutlich würde diese Variante wirklich die Effizienz, Transparenz und vor allem die Globalisierung und Integration erhöhen und zugleich das Risiko von Finanzkrisen reduzieren. Zur Erreichung einer fairen vertraglichen Regelung reicht allerdings die IWF-Evaluierungsstelle nicht aus, sondern es müsste ein Internationales Schiedsgericht (Court of Arbitration) geschaffen werden, das Probleme zw. einer Regierung und einer internationalen Finanzinstitution lösen soll. Tobin-Steuer Abschließend möchten wir noch die Möglichkeit der Tobin-Steuer als Reduktionsmöglichkeit der Störanfälligkeit des internationalen Finanzsystems nennen. Speziell die Finanzkrisen in Asien, Brasilien und Argentinien waren durch extreme Kapitalflüsse determiniert. Investoren legen ihr Geld nur noch sehr kurzfristig an und „entziehen“ es dem Land bei der geringsten Kursschwankung oder anderen (oft unproblematischen) Ereignissen. Dieses Verhalten löst oft ein Welle der Investorenflucht aus, was wiederum ein Land innerhalb weniger Tage in massive Probleme führen kann. Diesem Verhalten des kurzfristigen Geldtransfers wirkt die Tobin Steuer entgegen, die eine Steuer auf die Kapitalmobilität bedeutet. Einerseits würde eine solche Steuer die Volatilität des Geldes reduzieren und andererseits könnte man das dadurch gewonnene Geld dazu verwenden, Entwicklungsländer finanziell zu unterstützen. Literatur Bücher und Aufsätze Aschinger G., Währungs- und Finanzkrisen, Vahlen Verlag, München, 2001. Browne, S., Foreign aid in practice, New York University Press, New York, 1990. Dasgupta, D., Uzan, M. und Wilson, D., Capital Flows Without Crisis, Routledge, London, 2001. Harwood, A., Litan, R. E. und Pomerleano, M., Financial Markets and Development, The Brookings Institution, Washington, 1999. Raffer, K., Singer, H. W., The foreign aid business: economic assistance and development cooperation, Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, 1996. 108 Köhler. – 98 – Schrottshammer Eva, The International Monetary Fund – a critical view on the example of Argentina, Diplomarbeit, Innsbruck, 2002. Wagner, H., Globalization and Unemployment, Springer-Verlag, Berlin und Heidelberg, 2000. Internetquellen BBC News: „Excerpts: Kirchner´s inaugural speech“, 26. Mai 2003 Quelle: http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/2938070.stm (Abrufdatum: 27. Mai 2003) BBC News: “Timeline: Argentina” Quelle: http://newsvote.bbc.co.uk/mpapps/pagetools/print/news.bbc.co.uk/1/hi/world/americas/1196005.stm (Abrufdatum: 16.04.03) BBC News – Vanessa Heaney: “Argentina pays workers in bonds”, 21. 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Die Wertreduzierung auf den kommerziellen Wert und die Aufhebung aller ethischen, ökologischen, kulturellen und sozialen Grenzen der Ausbeutung sind ein Prozess, der mit der Industrialisierung begann und mit der Globalisierung nun vollendet wird. Die Natur wird immer mehr übernutzt und zerstört, die Selbstregenerationskraft nimmt ab und die ökologische Krise verstärkt sich schleichend. Die Welt befindet sich am Abgrund. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 154 ff) Michael Zürn spricht von „gesellschaftlicher Denationalisierung“ anstatt von Globalisierung. Viele soziale Handlungszusammenhänge überschreiten zwar immer mehr nationale Grenzen, sind aber weder global, noch lässt sich eine Entwicklung hin zur Globalität beobachten. Vielmehr entstehen neue Grenzen am Rande der OECD-Welt. 70 % des Welthandels erfolgt durch die USA, Kanada, Japan sowie die Länder der EU und EFTA. 14 % wird durch die zehn wichtigsten Schwellenländer abgewickelt. Das heisst, 84 % des Welthandels vollzieht sich zwischen Ländern in denen ca. 28 % der Weltbevölkerung wohnen. (vgl. Zürn, S 66) Die Globalisierung scheint eine absurde und surreale Angelegenheit zu sein. Surreal deshalb, weil sie unkontrolliert, getrieben von vernünftigen Entscheidungen vieler Menschen und im Ergebnis doch unvernünftig ist. Der Weltmarkt berücksichtigt eben keine moralischen und ästhetischen Kriterien. Absurdität sieht man darin, dass der Prozess der Globalisierung nicht zum Stillstand gelangen kann und grenzenlos ist. Sie wird soweit fortgesetzt bis dass der Mensch selbst zu einem Antiquitätsstück in einer auf den Kopf gestellten Welt geworden ist. Es stellt sich natürlich die Frage, wie lange der Planet Erde, die mit der Globalisierung verbundene ökologische Beanspruchung aushält. Für zukünftigen Diskurs ist daher die Frage der Nachhaltigkeit essentiell, im wahrsten Sinne des Wortes. (vgl. Altvater/ Mahnkopf, S 15ff) – 103 – Zielsetzung Ziel dieser Arbeit ist es, die Globalisierung in ihrer heutigen Form und die damit verbundenen Risiken und Gefahren darzustellen. Dabei wird auf einige Folgen der Globalisierung bzw. des neuen Kapitalismus eingegangen. Im weiteren wird versucht, auf die folgende Frage eine Antwort zu finden: Welche Zukunftsperspektiven lassen sich aus den globalen Kapitalismus ableiten? Zum Abschluss werden noch mögliche Lösungsvorschläge aufgezeigt, die versuchen das vorhandene System aufrechtzuerhalten bzw. zu verbessern. Die neue Form des Kapitalismus Drei grundlegende Eigenschaften des Kapitalismus sind: (1) er ist ein System des Privatbesitzes von Vermögen, (2) die wirtschaftliche Aktivität wird vom Markt durch die Preissignale gesteuert und (3) er setzt voraus, dass die Handlungsmotivation das Streben nach Profit ist. Das impliziert, dass alle Inputs des Wirtschaftsprozesses durch die Märkte in Waren verwandelt werden. Jedoch keine Gesellschaft lässt zu, dass nur die Logik von Angebot und Nachfrage zählt. Die Arbeitskraft wird vom Menschen bereitgestellt, die mehr oder weniger streng geregelt ist. Das Ausmaß der Deregulierung des Arbeitsmarktes bestimmt somit, wieweit eine Gesellschaft den Kapitalismus zulässt. (vgl. Hutton/Giddens, S 24) Die neue Form des Kapitalismus ist härter, mobiler und rücksichtsloser. Edward Luttwark nennt dies Turbo-Kapitalismus, der weniger kontrolliert und reguliert ist. Das vorrangige Ziel der Unternehmen ist es, ihren Shareholder Value zu maximieren. In diesem neuen Kapitalismus liegt die Ideologie zugrunde, dass alles was ihn hindert, wie Regulierung, Kontrolle, Gewerkschaften, Besteuerung, öffentliches Eigentum usw., ungerechtfertigt ist und daher beseitigt werden muss. Die Ideologie besagt weiter, dass die Arbeitskräfte flexibel sein sollten (vgl. Hutton/Giddens, S 21ff). Dieser Kapitalismus hat weltweit keine Rivalen außer die Natur. Eine wichtige Rolle im neuen Kapitalismus spielt der Zugang zu den Informationen. Die derzeitige Informationstechnologie ermöglicht, dass Daten, Informationen, Wissen in Lichtgeschwindigkeit an jeden Ort des Globus transportiert werden. Distanzen werden somit bedeutungslos. Aufgrund der deregulierten, liberalisierten Märkte und extrem verkürzter Produktlebenszyklen wird der „Zeitwettbewerb“ neben den „Wettbewerb um die Informationen“ zur kritischen Erfolgsgröße (vgl. Altvater/Mahnkopf, S 336). Joseph Schumpeter hat den Genius des Kapitalismus als kreative Destruktion beschrieben, denn er entwickelt sich aus der Innovation. Demnach glaubt Will Hutton, dass wir gerade eine klassische Orgie kreativer Selbstzerstörung erleben. (vgl. Hutton/Giddens, S 21ff) Der technologische Wandel (IT und Biotechnologie) kann Quantensprünge auslösen, die zur Restrukturierung der ganzen kapitalistischen Ökonomie führt, wie zur Zeit die Auswirkungen der Informationsrevolution. Folgen des neuen Kapitalismus Verstärkung der Ungleichheit Durch Deregulierung der Waren- und Finanzmärkte wurde eine internationale Klasse von Investoren und Unternehmern reich gemacht. Die Befürworter des deregulierten Marktes (Neo-Liberalismus) versprechen dadurch einen höheren Lebensstandard und höhere konvergierende Einkommen. Bislang konnten jedoch eher gegenteilige Tendenzen festgestellt werden. Die Gleichheit zwischen Völkern ist nicht gewachsen und viele der ärmsten Länder – 104 – haben sogar absolute Einkommensrückgänge erlitten. (vgl. Faux und Mishel in Hutton/ Giddens, S 113) Die steigende Ungleichheit findet sich sowie zwischen Staaten als auch zwischen Ländern. Die Ungleichheit zwischen Völkern wird durch schlechte Führung und falschen Strategien der ärmeren Staaten begründet. Noch beunruhigender ist der nicht übersehbare Anstieg der Ungleichheit der Länder speziell in den fortgeschrittensten Staaten. Wachstumsgewinne werden einseitig verteilt und es stellt sich die Frage der ökonomischen Gerechtigkeit einer Volkswirtschaft (z. B. Mitte der 1960er Jahre lag das Verhältnis zwischen den Einkünften der Verwaltungsspitzen amerikanischer Konzerne und dem Lohn des Durchschnittsarbeiters in der Produktion bei 39:1; Im Jahr 1997 bei 254:1). Weiter muss man fragen, ob ein solches System auch nachhaltig ist. Könnte nicht eine fortsetzende Ungleichverteilung der Einkommen die Aufrechterhaltung der Nachfrage gefährden und so das wirtschaftliche Wachstum unterhöhlen? Der globale Markt hat keine Institutionen, die das Gleichgewicht bewahren. „Freihandels-Abkommen“ schützen zwar globale Investoren, liefern aber Arbeiter, Bauern und kleine Geschäftsleute dem Markt aus. Auch der IMF übernimmt keine Verantwortung für globales Wachstum und Stabilität. Er ist ein Kreditgeber, der vom Darlehen seiner Mitgliedstaaten und von Privatbanken abhängig ist. Kredite an Staaten knüpft er an Sparauflagen, die auf Schuldenrückzahlung abzielen. (vgl. Faux und Mishel in Hutton/Giddens, S 134) Die Globalisierung der Umweltapartheid Wir kennen nicht das Ausmaß der Risiken, wie Deregulierung des Umweltschutzes oder Zerstörung der ökologisch nachhaltigen Lebensweise der Bauern, Stämme und Handwerker der Dritten Welt. Die ärmeren zwei Drittel der Menschheit sind auf das Kapital der Natur angewiesen um überleben zu können. Die Zerstörung und Veränderung oder auch Übernahme dieser Ökosysteme um natürliche Ressourcen auszubeuten oder Müll abzulagern, verschlechtert die Situation der Armen. So wandern im globalen Kapitalismus, wo nur die wirtschaftliche Stärke über Macht und Kontrolle entscheidet, die Ressourcen von den Armen zu den Reichen, während die Umweltverschmutzung umgekehrt von den Reichen zu den Armen verlagert wird. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 138) Die Weltwirtschaft sollte sich an ökologische Grenzen und an den Bedürfnissen menschlichen Überlebens anpassen. In den LDC-Ländern sind die Maßnahmen zur Strukturanpassung und zur Handelsliberalisierung zur größten Bedrohung für das Überleben der Menschen geworden. Die globale Politik, bestimmt von der „heiligen Dreifaltigkeit“, wie sie Vandana Shiva nennt (ich nehme an, es handelt sich um die EU, Japan und USA), und westliche transnationale Konzerne, die von den Regierungen unterstützt werden, versuchen die Wirtschaftsmacht des Nordens und den Lebensstil der Reichen aufrechtzuerhalten. Das bedeutet aber, dass ressourcen- und verschmutzungsintensive Industrien mittels Freihandel in den Süden ausgelagert werden (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 138). Zum Beispiel wird Indien zur Giftmüllentsorgung bevorzugt. Da in Indien keine Kosten für Mülldeponien entstehen, machen die Profite, die aus dem Handel mit Müll entstehen, diese Industrien noch attraktiver (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 141). Internationale Wettbewerbsfähigkeit – ein Erfolgsgarant in der globalisierten Welt – bedeutet auf die Umwelt übertragen, dass die größten Unternehmen um die natürlichen Ressourcen konkurrieren, die die Armen in der Dritten Welt zum Überleben brauchen. Globalisierung schafft also Wachstum durch die Zerstörung der Umwelt und lokaler Lebensräume. Dadurch wird Armut geschaffen und nicht verringert. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/ Giddens, S 138 ff) – 105 – Globalisierung der Umweltbelastung Zu den ökologischen Problemen wie Klimawandel, dem Schwund der Artenvielfalt, der Verknappung und Verschmutzung der Wasserressourcen, der Zunahme von Giftmüll kommen noch weitere ökologische Risiken dazu, wie etwa die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 137) Das Ökosystem ist sehr komplex und kann erhebliche Belastungen aushalten, jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt und nicht für immer. Die zunehmende Umweltzerstörung führt zur Verknappung der Produktions- und Absorptionskapazität der Erde. Die Regeneration ist nicht mehr gewährleistet. Der ständige Bevölkerungszuwachs stellt ebenfalls eine Gefahr dar. Wenn die Bevölkerung steigt, sinkt der Lebensstandard und auch der Pro-Kopf-Ertrag. Ausgeglichen wird dieser durch technischen Fortschritt, freien Handel, usw. was wieder die Umwelt stärker belastet. (vgl. George, S 65ff) Die wirtschaftliche Globalisierung trägt zur Instabilität des Weltklimas bei, indem sie ein energieintensives und exportorientiertes Wachstum fördert. Ein Beispiel dazu: Ein Hühnchen ist im Durchschnitt 2.000 Kilometer unterwegs, bevor es verzehrt wird. Joghurt samt Zutaten kommen auf 3.500 Kilometer und weitere 4.500 Kilometer entstehen durch den Vertrieb. So gehen 90 % der CO2-Emissionen und 90 % des Giftmülls weltweit auf das Konto der reichen Industrieländer. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 140ff) Die Macht und die Gefahren der „Life-Science-Unternehmen“ Wenn Chemiekonzerne, Saatgut- und Biotechnologieunternehmen fusionieren, entstehen die „Life-Sciences-Unternehmen“. Grenzen zwischen den Bereichen Pharmazie, Biotechnologie, Agrobusiness, Nahrungsmittelerzeugung, Chemie, Kosmetik und Energie lösen sich auf. „Life Sciences“ steht symbolisch für diese Konsolidierung und Konzentration. Nahrungsmittelkonzerne gehen Joint Ventures mit Saatgutunternehmen ein und kontrollieren somit das angebaute Getreide und die Nahrungsmittel. „Life-Science-Unternehmen“ benutzen z. B. Gentechnik um Saatgutmarken zu entwickeln, die ohne chemische Zusätze der Unternehmen nicht auskommen. Darüber hinaus werden Anti-Lebens-Modifikatoren wie etwa die „Terminator-Technologie“ entwickelt, die es ermöglicht, ein steriles Saatgut zu kreieren, indem man die DNA einer Pflanze selektiv darauf programmiert, die eigenen Embryonen abzutöten. Auf diese Art werden die Bauern gezwungen jedes Jahr Saatgut von den Unternehmen zu kaufen. Die verheerenden Folgen, die durch die Verbreitung der „Terminator“-Funktion auf andere Wildpflanzen und angrenzende Getreidesorten entstehen können, kann sich jeder vorstellen – niemand möchte sie wahrhaben. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 144ff) Die Macht der transnationalen Unternehmen Deregulierungsmaßnahmen, die ökonomische Integration in Westeuropa, technische und Finanzinnovationen haben den brancheninternen Handel und somit die Rolle der transnationalen Unternehmen (TNUs) gestärkt. Aber auch Liberalisierungsmaßnahmen bezüglich ausländischer Direktinvestitionen sorgen dafür, dass TNUs zu den treibenden Kräften der Globalisierung gehören. Ungefähr 25 bis 30 % des internationalen Handels (nach OECD Angaben) wird von transnational operierenden Unternehmen abgewickelt (vgl. Altvater/ Mahnkopf, S 247ff). Gefahr für den Nationalstaat und dessen institutionellen Regulierungsmechanismen besteht dann, wenn TNUs „heimatlos“ werden, d.h. sie verlieren alte Bindungen an nationale und regionale Kulturen und institutionelle Arrangements und entziehen – 106 – dadurch dem Nationalstaat seine wirtschaftspolitische Grundlage (vgl. Altvater/Mahnkopf, S 338ff). Alle Stadien der Wertschöpfung sind bei TNUs einem Prozess von „global sourcing“ unterworfen, auch der Arbeitsmarkt wird internationalisiert, was bedeutet, dass nationale Arbeitsstandards an Bedeutung verlieren (vgl. Altvater/Mahnkopf, S 338) Die Flexibilität des einen Arbeitsmarktes lässt andere rigide erscheinen. Die Arbeitsmarktpolitik des einen Landes ist somit abhängig von der Politik anderer Länder (vgl. Altvater/Mahnkopf, S 343). Die Macht der transnationalen Unternehmen (TNU) wird in Frage gestellt und zwar einerseits durch die Staaten, die sie zu regulieren versuchen, sondern auch durch Bürgerinitiativen und Konsumentenorganisationen. Nur als ein Beispiel von vielen möchte ich auf das Unternehmen Monsanto zurückgreifen: 88 % aller angebauten genmanipulierten Nutzpflanzen stammen aus transgenem Saatgut von Monsanto. 1999 stieg Monsanto auch ins Wassergeschäft ein und rechnet für 2008 mit einem Nettogewinn von 63 Millionen Dollar (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 147ff). Ein weiterer Geschäftsbereich seit 1999 ist die Aquakultur, die auf Kompetenzen der Biotechnologie, Fischzucht und Fischfutter aufbaut und wodurch Nettoeinkünfte von 266 Millionen Dollar im Jahr 2008 erwartet werden. Aquakultur, eigentlich ein schönes Wort, steht für industriell betriebene ShrimpsZucht, die katastrophale Folgen hat. Deshalb hat der Oberste Gerichtshof Indiens sie verboten. Die Regierung steht jedoch unter dem Druck der Aquakultur-Industrie und ist daher bestrebt, die Gesetze abzuändern und so das Urteil des Obersten Gerichtshofes rückgängig zu machen. In Hinblick auf das Wassergeschäft hat Monsanto die Absicht, Joint Ventures mit anderen Unternehmen einzugehen, die für den Marktzugang, die Herstellung und den Vertrieb von Wassersystemen, sorgen. Die Weltbank versucht, die Wasserressourcen zu privatisieren und hat bereits Monsanto beim Einstieg ins Wassergeschäft ihr Hilfe angeboten. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 152ff) Die ökologische Bedrohung der Nahrungskette Die Industrialisierung des Nahrungssystem hat uns den Rinderwahnsinn, Krebserkrankungen und endokrine Störungen gebracht. Weitere Risiken werden durch die Gentechnik geschaffen. 1998 wurden auf weltweit ca. 28 Millionen Hektar Land genmanipulierte Nutzpflanzen angebaut. Der Rückgang der Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren und die Abnahme der Nahrungsvielfalt hat enorme Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Das Unternehmen Monsanto argumentiert, dass die Biotechnologie eine Lösung gegen zukünftigen weltweiten Hunger sei, wo doch die Bevölkerung ständig zunimmt. Zunehmend werden die Verbraucher gezwungen, genmanipulierte Nahrung zu essen, die sie gar nicht haben wollen. Das Recht auf freien Welthandel ist das höchst Recht, und das Recht auf sichere Nahrung gilt als nicht-tarifäre Handelsbeschränkung, die abzuschaffen sei. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 147ff) Wasserverschmutzung und -mangel Wasser ist lebensnotwendig, in über 30 Ländern droht eine Überbelastung und Verknappung von Wasser und über eine Milliarde Menschen haben keinen angemessenen Zugang zu sauberen Wasser, trotzdem wird diese Ressource missbraucht. Der Wasserverbrauch verdoppelt sich alle 20 Jahre. Bis zum Jahr 2025 werden zwei Drittel der Menschheit von schweren Wassermangel bedroht sein. Im Maquiladora-Gebiet in Mexiko trinken Babies Coca-Cola, weil kein Wasser vorhanden ist. Wasserknappheit leistet also einen Beitrag zu den Gewinnen der Unternehmen. Die Wasserknappheit als Chance für fortwährendes – 107 – Wachstum zu sehen, ist der Grundgedanke der Wasserprivatisierung. Man kann das als Privatisierung von Leben bezeichnen. (vgl. Vandana Shiva in Hutton/Giddens, S 151) Gefährdung der Sicherheit Wenn man von einer Regierung spricht, die Sicherheit gewährleisten soll, dann meint man damit die Verteidigungs-, die Rechts-, die Herrschafts- und die Schutzaufgabe. In Zeiten der Denationalisierung werden die ersten beiden Aufgaben besser als je zuvor bewältigt, aber die Herrschafts- und Schutzaufgabe wird schlechter als in den 1960er und 1970er Jahren erfüllt. Der Nationalstaat ist mit den zunehmenden Gefahren, Bedrohungen und Risiken konfrontiert. Es ist anzunehmen, dass die nationalstaatlichen Fähigkeiten Sicherheit zu gewährleisten mit den zunehmenden gesellschaftlichen (nicht-staatlichen) Quellen von Unsicherheit überfordert ist. (vgl. Zürn, S 96) Das Dilemma des Sozialstaates Der Nationalstaat verliert in dem Maße, wie ihm seine nationalökonomische Basis abhanden kommt an wirtschaftspolitischer und umverteilender Kompetenz. Es ist bereits heute ein wachsender Widerstand im Inneren der Nationalstaaten gegen den sich abzeichnenden Kompetenzverlust zu beobachten. Globalisierung kennzeichnet ja gerade die höhere Mobilität auf den Finanz-, Kapital- und Gütermärkten. Die Globalisierungsverlierer in den Industrieländer, die dort die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, werden weiterhin auf ihren Nationalstaat setzen, der ihnen als Sozialstaat die wichtigsten Lebensrisiken abgenommen hat. Das hohe materielles Lebensniveau wird als selbstverständliches Bürgerrecht angesehen und dies wird auch vom Sozialstaat weiterhin verlangt. Ein staatenloses System mit rein ökonomischen Strukturen wird sich also nicht sobald bilden. Wenn der Sozialstaat versucht, die schwindenden ökonomischen Handlungsspielräume und Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen durch verschärften Zugriff auf die Globalisierungsgewinner (z. B. durch höhere Steuern) im Nationalstaat auszugleichen, werden dadurch die industriellen Standortbedingungen in diesem Nationalstaat verschlechtert. Letztendlich wird es zu einem Niedergang des Sozialstaates führen. Weder die Zahl der Anspruchsberechtigten, die durch die ständige Zuwanderung wächst, noch die mobilisierbaren Mittel, die Elemente globaler Finanzströme sind, können vom Nationalstaat beeinflusst werden. Ein Ausweg aus dieser Lage könnte eventuell eine übernationale Kontrolle sein. Die europäische Integration würde somit eine Auflösung der Nationalstaaten bedeuten und an Stelle dieser einen neuen europäischen Nationalstaat erzeugen. (vgl. Bielmeier/Oberreuter, S 77ff) Zukunftsperspektiven Überangebot von Waren Das Weltsystem ist einem enormen Risiko ausgesetzt wie nie zuvor. Es existiert ein weltweites Überangebot an Waren in allen Branchen. Daher sollten transnationale Unternehmen kooperieren, doch im Gegenteil wird mit verstärktem Wettbewerb reagiert. Global Player in Europa, den USA und Japan versuchen immer noch, kostensparende Technologie einzusetzen, was zu chronischen Überkapazitäten führt. Durch die Entlassung der Arbeiter rationalisieren sich die Unternehmen ihre Kunden weg. Henry Ford sagte einmal: „[...] Bezahle deine Arbeiter genug, damit sie deine Autos kaufen können!“ Diese These konnte – 108 – bis heute nicht widerlegt werden. Wenn die Löhne so stark sinken, können sich die Arbeitnehmer die Autos nicht mehr leisten. (vgl. George, S 44ff) Unbeständige Finanzmärkte Die Finanzmärkte sind unbeständig. Sie stehen in keinem Zusammenhang mit der „realen Wirtschaft“ oder zum Welthandel. Im Mittelpunkt des globalen Finanzsystems steht der Handel mit Informationen und Wissen. Die Geldmenge, die zirkuliert, ist das fünfzigfache des gesamten Marktwertes, was ein enormes Risiko darstellt. Durch die Besteuerung der internationalen Finanztransaktionen und durch die Einrichtung von „Sicherungsfonds“ könnte man einem globalen Unfall entgegenwirken. (vgl. George, S 47ff) „Die vor uns liegenden Jahrzehnte könnten von wirtschaftlicher Stagnation oder Rezession gezeichnet sein, ausgelöst durch einen Börsenkrach an der Wall Street, durch den das Missverhältnis zwischen dem globalen Überangebot und dem Mangel an entsprechender Nachfrage sichtbar wird.“ (Hutton/Giddens, S 260) Die Gegenwart könnte auch ein Höchststand der zweiten Welle der Globalisierung sein, die die Welt noch nicht fähig ist zu handzuhaben, weil noch politische, kulturelle und soziale Instrumente fehlen. Ein Rückfall ist daher nicht auszuschließen (vgl. Hutton/Giddens, S 261). Bestimmungsfaktoren der Zukunft Susan George befasst sich mit drei wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Zukunft – Konsum, Technologie und Bevölkerung –, die sie in einer Gleichung ausdrückt: Belastung der Erde = Konsum x Technologie x Bevölkerung. Die Umweltbelastung hängt von diesen Faktoren ab. Sieht man nun die Natur als Gesamtsystem und akzeptiert die Marktwirtschaft als Subsystem, dann werden zukünftige Gefahren sichtbar. Eine lebensfähige, wirtschaftliche Zukunft innerhalb der Beschränkungen der Biosphäre ist somit von der Bevölkerungszahl, von der Quantität, Qualität und Art ihres Konsums und von der verwendeten Technologie zur Güterproduktion und zur Müllentsorgung abhängig. Radikale Verbesserungen der Technologie verringern jedoch nicht die Gesamtbelastung, weil die erhöhte Menge, die produziert wird, die Auswirkungen von Verbesserungen wieder aufhebt. Es müssen wirtschaftliche Anreize geschaffen und Zwangsmaßnahmen eingeführt werden, um die Umweltverschmutzung und die Verschwendung zu verringern. Um Wohlstand für die größte Zahl von Menschen zu schaffen und den Kapitalismus zu erhalten ist es notwendig die Bevölkerungszahl zu reduzieren, ansonsten folgt die soziale Anarchie und ein ökologischer Kollaps. Letztlich muss die westliche Kultur und die freie Marktwirtschaft selbst entscheiden, ob sie ihre ursprünglichen Ziele weiter verfolgen will oder dem Ende zugehen will. (vgl. George, S 99ff) Lösung durch „global governance“ Der Fortschritt kann nicht rückgängig gemacht werden und es würde auch keinen Sinn ergeben. Es gibt keine Alternativen. Daher besteht die Aufgabe das vorhandene System funktionsfähig zu erhalten und zu verbessern. Wichtig ist, dass globale Institutionen geschaffen werden, um den Erhalt der globalen Wirtschaft zu sichern. Die Zusammenarbeit transnationaler Unternehmen ist ebenfalls wichtig. Es muss ein politischer Kontrollmechanismus geschaffen werden, der auf globaler Ebene agiert, um das System erhalten zu können. Ein ungeregeltes System bricht früher oder später zusammen. Der liberale Kapitalismus kann unmöglich unter der Bedingung der unregulierten Globalisierung und Marktfreiheit überleben. (vgl. George, S 68) – 109 – Eigeninteresse und Profit bilden die Grundlage der freien Marktwirtschaft, nicht Altruismus und Opferbereitschaft. Daher ist es notwendig, nicht nur den Gütermarkt global zu regeln, sondern auch den Finanzmarkt, um Finanzkrisen zu vermeiden, und den Arbeitsmarkt, um ihn nicht allein den Marktkräften zu überlassen und so Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen entstehen zu lassen. Als letztes ist noch der Umweltmarkt zu nennen, der mit harter Konsequenz global reguliert sein sollte, um die Umwelt und das Leben erhalten zu können. Die oben genannten Probleme sind oft für die Gesellschaft nicht akzeptabel, daher ist auch die Einführung von globalen Regeln schwierig aber unerlässlich. (vgl. George, S 47ff) Schlussbetrachtung Wenn das Weltsystem funktionieren soll, so muss es der Mehrheit Vorteile bringen, d.h. wirtschaftlichen Wohlstand, ökologische Erneuerung und zivilisatorische Werte, ansonsten werden die Außenseiter revoltieren und die Kriminalität wird zunehmen. Die Welt muss sich im 21. Jahrhundert zwischen Disziplin und Kontrolle einerseits oder Tumult und Chaos andererseits entscheiden. Um die Vorteile der voranschreitenden Globalisierung nutzen und sichern und das Weltsystem erhalten zu können, ist eine „Re-regulierung“ notwendig. Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die innerhalb der Nationalstaaten stattfanden, müssen zukünftig global erneuert werden. Literatur Altvater, Elmar und Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, 1996. Bielmeier, Josef und Heinrich Oberreuter, Der bezahlbare Wohlstand, Olzog Verlag, Landsberg am Lech, 1997. George, Susan, Der Lugano-Report oder Ist der Kapitalismus noch zu retten? Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 2001. Hutton, Will und Anthony Giddens, Die Zukunft des globalen Kapitalismus, Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2001. Zürn, Michael: Regieren jenseits des Nationalstaates, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1998. – 110 –