2. Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in den USA

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2. Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in den USA
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Europäische Journalisten-Fellowships
der Freien Universität Berlin
Jahrgang 2004/2005
Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat:
ein Vergleich zwischen
Deutschland und den USA
Dr. Petra Krimphove
Deutschland
Dr. Petra Krimphove
Dolziger Str. 15
10247 Berlin
Tel: 0171 / 1947142
[email protected]
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .......................................................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
2. Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in den USA .Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.1. Ja zur Nation – Nein zum Staat...............................Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.2. Jeder ist seines Glückes Schmied............................Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.3. Gleiche Chancen für alle .........................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.4. In God we trust – der Einfluss der Religion............Fehler! Textmarke nicht definiert.
2.5. Schwacher Staat – starker Bürger?..........................Fehler! Textmarke nicht definiert.
3. Formen bürgerschaftlichen Engagements in den USA ..Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.1. Die großen Philanthropen: Von Carnegie zu Gates Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.2. „Why the Wealthy Give“ – Motive der Philanthropie in der amerikanischen Elite
........................................................................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.3. Der Einfluss von Stiftungen ....................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.4. Der amerikanische Spender – ein offenes Buch......Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.5. Die Kirche als Schule der Philanthropie .................Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.6. Volunteering – Engagement als Lernprozess..........Fehler! Textmarke nicht definiert.
3.7. Das Unternehmen als Bürger – Corporate Citizenship ........... Fehler! Textmarke nicht
definiert.
4. Die Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland ..... Fehler! Textmarke nicht
definiert.
4.1. „Philanthropie ist eine deutsche Erfindung“ ...........Fehler! Textmarke nicht definiert.
4.2. Von der sozialen Philanthropie zum Sozialstaat .....Fehler! Textmarke nicht definiert.
4.3. Engagement im Auftrag von Verband, Staat und Kirche........ Fehler! Textmarke nicht
definiert.
4.4. Mäzene in der Wissenschaft....................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
4.5. Rückzug aus Kunst und Kultur ...............................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5. Engagement im Wandel .............................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.1. Neue Wege – neue Definitionen .............................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.2. Abschied vom klassischen Ehrenamt ......................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.2.1. Exkurs: Ehrenamtswandel im Deutschen Roten Kreuz ... Fehler! Textmarke nicht
definiert.
5.3. Wo sind Deutschlands Philanthropen?....................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.4. Finanzierung: Vater Staat oder Fundraiser?............Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.5. Einsatz ohne Einfluss? Beispiel Museen.................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.5. Dann schon lieber Stifter werden ............................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.6. Bürgerstiftungen: Von Bürgern für Bürger.............Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.7. Macht Steuern sparen zum Mäzen? ........................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.8. Spenden folgen Katastrophen..................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
5.9. Corporate Citizenship in Deutschland.....................Fehler! Textmarke nicht definiert.
6. Fazit................................................................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
7. Literaturliste und Gespräche ..........................................Fehler! Textmarke nicht definiert.
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1. Einleitung
In den vergangenen Jahren erlebten die Deutschen einen für viele schmerzhaften Abbau
des zuvor sehr komfortablen Sozialstaats. Von der Wiege bis zur Bahre kümmerten sich einst
Behörden, Verbände und Sozialversicherungen um das Wohl und Weh ihrer Bürgerinnen und
Bürger. Privater Einsatz für das Gemeinwohl war lange Zeit weder erforderlich noch sonderlich gefördert. Es gab ja „Vater Staat“. Doch der – so ist mittlerweile allen klar – kann seine
einstigen Aufgaben nicht mehr alleine schultern. Nun rufen Politiker und Verbände nach engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Die vom Deutschen Bundestag im Jahr 2000 eingesetzte
Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ betont in ihrem zwei
Jahre später vorgelegten Abschlussbericht: „Bürgerschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Bedingung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“1 Die Menschen im Lande,
so der Aufruf der Kommission, sollen ihr Gemeinwesen wieder stärker selbst gestalten. Im
Gegenzug, so hat die Politik beschlossen, werden bürokratische Hürden abgebaut und die
Versicherung der freiwillig Engagierten verbessert. Sozusagen staatlich gesteuert soll das zivilgesellschaftliche Bewusstein der Deutschen angefacht werden.
In diesem Prozess werden häufig die USA als Vorbild genannt. Zwar hat die Amerikabegeisterung vieler Europäer mit den politischen Auswirkungen des 11. September 2001 einen
argen Dämpfer erlitten. Einem kann sich jedoch kaum ein USA-Besucher entziehen, selbst
wenn er voller Skepsis über den Atlantik reist: dem Optimismus und Tatendrang vieler Amerikaner; kurzum, einer Mentalität, die der kollektiven Lethargie in Deutschland so angenehm
diametral entgegensteht.2 Mit dieser Haltung verbindet sich anscheinend ein ausgeprägtes
zivilgesellschaftliches Engagement. Zahlreiche US-Bürger arbeiten freiwillig für ihre Nachbarschaft oder Gemeinde, engagieren sich in den Schulen, Kirchen und kulturellen Einrichtungen ihrer Kommune. Jeder, der einmal die USA bereist hat, kennt Schilder, mit denen Einzelne oder Gruppen kund tun, ein Stück Highway „adoptiert“ zu haben und die Meilen regelmäßig von Müll zu befreien; Nachbarschaften legen im öffentlichen Raum Gärten an und
pflegen sie, Schülerinnen und Schüler unterrichten Benachteiligte im Lesen und Schreiben;
Bürger arbeiten regelmäßig in Suppenküchen. Der Baum vor der eigenen Haustür wird selbst
gepflanzt und gepflegt, der Grünstreifen auf der Straße selbst gewässert.
Doch nicht nur der durchschnittliche Amerikaner, sondern auch die wohlhabende Schicht
scheint eine andere Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwesen zu verspüren. Wem die amerikanische Gesellschaft den Aufstieg zu Reichtum und Einfluss vergönnt hat, der gibt gemeinhin einen Teil davon an eben diese Gesellschaft zurück; in einer Mischung aus persönlicher Dankbarkeit und Reaktion auf eine öffentliche Erwartungshaltung. Ein eindrückliches
Beispiel jüngeren Datums ist dafür die Bill und Melinda Gates Stiftung, in die der MicrosoftGründer bisher über 31 Milliarden US-Dollar seines Privatvermögens eingebracht hat.3 Die
Stiftung schüttet jährlich 800 Millionen Dollar aus. Ein deutsches Pendant ist hier schwer zu
finden. Bill Gates engagiert sich auch, so meine These, weil es die amerikanische Gesellschaft
von ihm erwartet. In Deutschland hingegen gibt es, wie Rainer Sprengel vom Maecenata Institut treffend bemerkt, diese „Einforderungskultur“ nicht. Sie existiert in den USA jedoch
auch gegenüber der Wirtschaft. Aus Nordamerika und Großbritannien kommt der Begriff des
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Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 4: Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Gesellschaft. Opladen
2002. S. 5.
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„In den USA hast du das Gefühl, dass du immer noch eine Chance hat“, beschreibt es die Professorin Annette
Zimmer. „In Deutschland hast du immer das Gefühl, du hast keine Chance mehr.“ Gespräch mit Annette Zimmer, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster, am
31.03.2005 in Münster.
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Stand Mai 2005
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„Corporate Citizenship“, des Unternehmens als Bürger. Zahlreiche Firmen und Konzerne
engagieren sich in den Kommunen und fördern gesellschaftliche Projekte.
Jenseits des Atlantiks scheint also deutlich auf, was in deutschen Reden seit einigen Jahren
vehement eingefordert wird: Zeichen einer Bürgergesellschaft, die sich selbst, und nicht den
Staat als wichtigsten Akteur ihres Gemeinwesens sieht. In kaum einer deutschen Beschreibung der amerikanischen Zivilgesellschaft fehlt die Feststellung, „dass das nichtstaatliche,
freiwillige Engagement von Bürgern in den USA in allen Bereichen stärker ausgeprägt ist als
in vergleichbaren Ländern, wie zum Beispiel Deutschland und Frankreich“.4
Woher rühren diese Unterschiede? Warum bringen sich die US-Bürger stärker in ihr Gemeinwesen ein? Und warum ist es in Deutschland so schwer, eine ähnliche Bürgermentalität
zu erwecken? Warum existiert hierzulande offensichtlich keine ähnliche Verantwortungskultur der Elite wie in den USA? Diese Fragen haben mich besonders interessiert.
Wer diesen interkulturellen Vergleich anstellen will, kommt um eine genaue Betrachtung
der Begriffe und Konzepte nicht herum. In den USA stößt man immer wieder auf das Wort
„Philanthropy“. Die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen, Menschenliebe, weist bereits auf die semantische Breite des Wortes hin. Mit „Philanthropy“ wird im Amerikanischen
sowohl eine Art Geisteshaltung des Gebens der amerikanischen Elite beschrieben, als auch
die Formen, in denen diese Haltung ihren praktischen Ausdruck findet. Zumeist wird „Philanthropy“ dabei in Zusammenhang mit den Geldspenden der reichen Oberschicht verwendet
und umfasst sowohl Spenden, Mäzenatentum und Stiftungsgründungen als auch die damit
verbundenen ehrenamtlichen Tätigkeiten in Gremien. In Deutschland hat sich dieser umfassende Begriff nie durchgesetzt, obwohl es laut Duden eine Übersetzung gäbe, nämlich
schlicht Philanthropie. Hierzulande benennt man eher die individuellen Gönner: Stifter, Mäzene und Spender. Kurzum: Schon auf der semantischen Ebene wird in Deutschland der Einsatz für die Gesellschaft individualisiert. Das scheint kein Zufall, vielmehr spiegelt die Sprache die gesellschaftliche Realität. Hier setzt meine These an. Es gibt in Deutschland zahlreiche Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren – aber Philanthropie existiert in
Deutschland nicht als gesellschaftliches Konzept.
Auf ähnliche kulturelle Unterschiede trifft man auch bei dem Vergleich des bürgerschaftlichen Engagements des „Durchschnittsbürgers“ diesseits und jenseits des Atlantiks.5 Wie
lässt sich das deutsche Ehrenamt mit dem amerikanischen „volunteering“ vergleichen? Der
amerikanische Begriff „volunteer“ (Freiwilliger) umfasst ein anderes und auch breiteres
Spektrum an Tätigkeiten als das freiwillige Engagement in Deutschland, der deutsche „Vereinsmeier“ ist dem US-Bürger gänzlich fremd. Er agiert in anderen Strukturen. Wo in amerikanischen Kommunen Freiwillige Dienste in öffentlichen Bibliotheken leisten, verhindern in
Deutschland von Gewerkschaftsprotesten bis zu Absicherungsfragen zahlreiche Gründe eine
solche Lösung. Weiterhin bieten die zahlreichen Kirchen in den USA, den häufig karitative
Dienste angeschlossen sind, den Bürgern viele Möglichkeiten zur freiwilligen Beschäftigung.6
Viele dieser Tätigkeiten sind hierzulande in den Wohlfahrtverbänden aufgegangen und professionalisiert worden. Der amerikanische volunteer ist überall: In Wahlkämpfen sammelt er
oder sie Spenden für die Kandidaten, bittet telefonisch um Unterstützung, organisiert Veranstaltungen und begleitet die politisch Aktiven über Monate mit seiner Arbeit. In Schulen und
Universitäten engagieren sich Schülern und Studenten jenseits ihrer Kurse. Kurzum: Die Vereinigten Staaten bieten erheblich mehr Raum und Möglichkeiten zum volunteering, umge4
Willi P. Adams, Peter Lösche. Länderbericht USA. Frankfurt am Main 1990. S. 300.
Dass dieser Begriff auch in Deutschland nicht mehr zeitgemäß ist, werde ich später erläutern.
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„Die überwiegende Anzahl der amerikanischen Glaubensgemeinschaften basieren auf Ehrenamtlichkeit und der
Bereitschaft von Gemeindemitgliedern, auf freiwilliger Basis soziale Dienste örtlich und über Religionsgrenzen
hinweg anzubieten.“ Helmut K. Anheiner und Stefan Toepler. „Bürgerschaftliches Engagement zur Stärkung der
Zivilgesellschaft im internationalen Vergleich“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 11. Bürgerschaftliches Engagement im internationalen Vergleich. Opladen 2003. S. 13-56. Hier S. 17.
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5
kehrt erwartet die Gesellschaft von ihren Bürgern diesen freiwilligen Einsatz. Und, was nicht
weniger bedeutend ist: Die Gesellschaft belohnt bürgerschaftliches Engagement durch Anerkennung im privaten und beruflichen Bereich.
Wer hier mit Statistiken über die Bürgerbeteiligung eine Art Wettbewerb zwischen den
Nationen entfacht, vergleicht also zwangsläufig Äpfel mit Birnen. Denn bürgerschaftliches
Engagement findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Frage, in welchem Ausmaß und aus
welchen Antrieb sich Bürger für ihre Gesellschaft engagieren – sei es durch Geldspenden oder
ehrenamtliche Arbeit – steht in deutlichem Zusammenhang zum gesamtgesellschaftlichen
Staats- und Bürgerverständnis, zur Wirtschaftsordnung, aber auch zu den religiösen Wurzeln
der Volkes und der einzelnen Bürger.7 Und jede Erfassung des Engagements müsste diese
Hintergründe und die unterschiedlichen Strukturen mit berücksichtigen.
Diesen Wurzeln und Ausprägungen der amerikanischen Zivilgesellschaft sowie den Unterschieden in Deutschland widme ich einen großen Teil meiner Arbeit – nicht zuletzt, weil
sie einen Schlüssel zur deutschen Debatte liefern können. Dabei habe ich bestimmte Aspekte,
wie das Thema Stiftungen bewusst kurz gefasst, da Literatur zu deutschen und amerikanischen Stiftungslandschaft bereits Regale füllen könnte. Mich interessiert die Mentalität hinter
dem Engagement und wodurch diese geprägt wird.
Bei der Recherche konnte ich auf zahlreiche Quellen zurückgreifen. In den USA gibt es
mittlerweile über 130 hochschulverbundene Einrichtungen, die Kurse zum volunteering,
Fundraising und zu Fragen des Non-Profit-Managements anbieten. Zeitschriften geben monatlich einen Überblick über den Markt der Spenden, Stiftungen und des bürgerschaftlichen
Engagements und setzen sich sehr kritisch mit dem Geschäft und den Praktiken des guten
Willens auseinander. Hierzulande dominiert hingegen eine recht akademische Debatte über
zivilgesellschaftliche Prozesse. Die Enquete-Kommission hat zwar ein umfangreiches und
interessantes Werk zum Thema bürgerschaftliches Engagement hinterlassen, in der Gesellschaft angekommen ist davon bisher allerdings wenig. Bei Diskussionen und Tagungen bleiben die Experten zumeist unter sich. Eine wertvolle Ergänzung der Literatur waren für mich
daher die Gespräche mit zahlreichen Experten in Berlin und der Besuch von Kongressen, die
mir wichtige Einblicke in die zivilgesellschaftliche Debatte (auch im Vergleich mit den USA),
aber auch in die praktische Freiwilligenarbeit geliefert haben. Meinen Gesprächspartnern
möchte ich daher ebenso danken wie der Stiftung Presse-Haus NRZ, die mir die Arbeit an
diesem Projekt ermöglicht hat.
Die Zeit der Recherche hat mir auch abseits von Büchern und Interviews neue Einblicke
ermöglicht: Deutschland scheint sich in Punkto Bürgerkultur zu bewegen: Diese Erfahrung
habe ich während des vergangenen Jahres in Berlin gemacht. Kaum zog der Frühling in die
Stadt ein, vernetzten sich zum ersten Mal die Bürger des Kiezes und bepflanzten den öffentlichen Raum. Fast jede Baumscheibe entlang der Straße wurde liebevoll zum Kleinbeet umgestaltet. Auf brachliegenden Grundstücken legen junge Eltern kleine Gärten an, stellen Bänke
und Grill auf und laden auf Schildern die Nachbarn zur Beteiligung ein. Mit Unterstützung
der Berliner Stadtreinigung werden Parks am Wochenende vom Müll befreit. Hier entstehen
Engagement und Verantwortung für den öffentlichen Raum. Wahrscheinlich ist dies kein Zufall, Berlin ist bankrott, die Bürger wissen, dass sie – wenn etwas geschehen soll – selber aktiv werden müssen. So befinden sie sich nun in der gleichen Lage wie die US-Bürger. Der
Staat ist schwach – in den USA aus gewollter Überzeugung, hier, weil ihm schlicht das Geld
fehlt, um sich beispielsweise weiter um Straßen und Plätze zu kümmern. Und nun beginnen
die Menschen, sich für ihr Viertel verantwortlich zu fühlen. Das Engagement sprichwörtlich
vor der eigenen Haustür ist nur eine Facette bürgerschaftlichen Engagements, aber es ist eine
sehr sichtbare und eine, die Mut macht, zum Nachmachen anstiftet und auf ein Umdenken
hinweist.
7
Vgl. dazu auch Lester Salamon und Helmut K. Anheier. „Social Origins of Civil Society: Explaining the Nonprofit Sector Cross-Nationally. In: Voluntas 9 (1998). S. 213-248.
6
2. Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in den USA
2.1. Ja zur Nation – Nein zum Staat
Der deutsche Begriff vom „Vater Staat“ würde in den USA wohl ungläubiges Kopfschütteln, ja gar Unbehagen, auslösen. In „the land of the free and the home of the brave“8 (dem
Land der Freien und der Heimat der Tapferen) verlässt sich jeder zunächst einmal auf sich
selbst – und das aus tiefster Überzeugung. Der amerikanische Individualismus, die tiefe und
weit verbreitete Abneigung gegenüber staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger, hat
historische Wurzeln, ja die USA gründen eigentlich auf eben jener Einstellung. Die ersten
Siedler aus dem alten Europa flohen im 17. Jahrhundert vor der religiösen und politischen
Unterdrückung aus ihren Heimatländern. Sie landeten in einer Welt, die, was die gesellschaftliche Ordnung betraf, noch ein unbeackertes Feld war. Dort an der amerikanischen Ostküste
mussten sie „ihr Land“ von unten, der Basis her, aufbauen.
In dieser Zeit sehen viele Historiker nationale Charakterzüge begründet, die bis heute die
amerikanische Mentalität – gerade für den europäischen Beobachter – ausmachen. Nicht nur
der Wille, es durch harte Arbeit zu etwas zu bringen, trieb die Siedler an, auch die Basis der
ausgeprägten kommunalen Selbstverwaltung wurde hier gelegt. Während ein preußischer
Bürger sein Leben in einem engen Korsett von politischen und gesellschaftlichen Vorschriften
verbrachte, bauten die Auswanderer in der gleichen Zeit an den Fundamenten ihres eigenen
Staates und gaben sich schließlich 1776 eine demokratische Verfassung. Dabei spielte sich
das Leben in den jungen Vereinigten Staaten noch vorwiegend auf lokaler Ebene ab. Hier
wurden die amerikanischen Tugenden eingeübt.
„Jede Tätigkeit, sei es im Alltagsleben wie in der Arbeitswelt oder im politischen Bereich,
hatte daher zwangsläufig ein lokales, bestenfalls ein regionales Bezugsfeld, in dem Veränderungen eher von innen als von außen erfolgten. In dieser individualisierten Welt kam daher von Anbeginn der Eigenverantwortung und der Eigeninitiative ein hoher Stellenwert in
der Lebensbewältigung zu, ein Charakterzug, der sich bis zur Gegenwart im amerikanischen Leben – man denke nur an die Sozialstaatsproblematik – sehr viel folgenreicher bemerkbar macht als in Europa.“9
Die Tatkraft und Fähigkeit zur Selbstorganisation werden immer wieder bewundernd in europäischen Reiseberichten geschildert.10 Besonders berühmt und in der zivilgesellschaftlichen
Debatte fortwährend zitiert sind dabei die Beobachtungen des Franzosen Alexander de Tocqueville. Er bereiste die Vereinigten Staaten im Jahr 1830 und schrieb anschließend seine
Beobachtungen der amerikanischen Gesellschaft nieder. Tocqueville war fasziniert von den
zahlreichen Verbänden, Organisationen und Netzwerken, in den die Amerikaner auf kommunaler Ebene ihre Bürgertugenden einübten. Er sah darin einen lebendigen Ausdruck eines
funktionierenden Gemeinwesens und die Wiege des sozialen Kapitals. „Es gibt nur ein Volk
auf der Erde, in dem man von der unbeschränkten Freiheit der Vereinigung für politische Absichten täglich Gebrauch macht“11, schrieb Tocqueville. Und auch heute bietet wohl kaum
eine Demokratie seinen Bürger so viele Möglichkeiten, sich auf kommunaler Ebene zu engagieren – und sich dabei demokratisch legitimieren zu lassen: Das System der „local governance“ basiert auf vielen Wahlämtern, in den Schuldistrikten, den Wasserdistrikten, den Planungs- und Transportdistrikten. „Es werden in 83 000 kommunalen Verwaltungseinheiten
8
Zitat aus der amerikanischen Nationalhymne
Horst Dippel. Geschichte der USA. München 2003. S. 16.
10
Alexander Schmidt-Gernig (Hrsg). Amerika erfahren – Europa entdecken. Zum Vergleich der Gesellschaften
in europäischen Reiseberichten des 20. Jahrhundert. Edition q. Ohne Ort und Jahr.
11
Alexander de Tocqueville. Über die Demokratie in Amerika. 2. Teil. Stuttgart 1962. S. 132.
9
7
rund eine halbe Million Amtsträgerinnen und –träger direkt vom Volk gewählt“12, schreibt
Sabine Lang.
Erst der Amerikaner Robert Putnam versetzte der internationalen Bewunderung für die
amerikanische Engagementkultur einen Dämpfer und stellte sie in den 90er Jahren in seinem
vielbeachteten Buch Bowling Alone13 in Frage. Er beklagte das sinkende politische und gesellschaftliche Engagement der US-Bürger. Ob sich diese These halten lässt, wird heftig diskutiert. Viele widersprechen Putnam, und Umfragen über die Beteiligung amerikanischer
Bürger am öffentlichen Leben widerlegen seine These. Die Beteiligungsraten sind nach wie
vor sehr hoch. Dies hängt eng mit dem amerikanischen Staatsverständnis zusammen. Die
meisten Amerikaner hegen ein tiefes Misstrauen gegenüber der bundesstaatlichen Politik. Sie
definieren sich in erster Linie nicht als Staatsbürger, sondern als Individuen, die unter dem
Symbol der amerikanischen Flagge als Nation zusammenfinden14 – in vereinter Distanz zu
einem politischen System, das ihr Leben zu sehr einengen könnte.15 Ihr bürgerschaftliches
Engagement ist zugleich Ausdruck des Wunsches, lieber selbst gesellschaftlich gestalterisch
aktiv zu sein, als das ferne „Washington“ (als Synonym für die Bundespolitik) oder die Regierung des jeweiligen Bundesstaates zu sehr in ihr Leben eingreifen zu lassen.
2.2. Jeder ist seines Glückes Schmied
So wenig die Amerikaner von einem starken Staat halten, so ablehnend stehen sie als logische Konsequenz einem starken Sozialstaat gegenüber. Freiheit gilt den Amerikanern mehr
als gesellschaftliche Absicherung. „Folglich wird der individuellen Verantwortung der Vorzug gegenüber der kollektiven Daseinsfürsorge gegeben“16, schreibt Holger Backhaus-Maul.
US-Bürger reagieren mit ungläubigem Staunen, wenn ihnen deutsche Besucher von den Segnungen des deutschen Sozialstaats berichten. Sicher, es gibt auch ihrem Land Sozialversicherungen, wie eine Alters-, Hinterbliebenen und Invaliditätssicherung (für Arbeitnehmer) sowie
eine – äußerst löchrige – Krankenversicherung. Doch die ist zumeist an ein Arbeitsverhältnis
geknüpft und endet mit diesem. So sind viele Arbeitslose und insgesamt 35 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert. Manche im Land halten das für einen Skandal – die Mehrheit
offensichtlich nicht. Jedenfalls scheiterte Präsident Bill Clinton gemeinsam mit seiner Frau
Hillary in den neunziger Jahren mit dem Vorhaben, eine Krankenversicherung für alle Amerikaner durchsetzen. Das lag zum einen an einer massiven Gegenkampagne aus dem republikanischen Lager. Die wiederum konnte nur deshalb sehr erfolgreich sein, weil der Gedanke,
dass der Staat seine Bürger gegen alle Ungemach des Lebens schützen sollte, Amerikanern
sehr fremd ist. Die republikanischen Argumente fielen auf fruchtbaren Boden. In einer Umfrage im Jahr 1994 äußerten 41 Prozent der befragten US-Bürger die Meinung, der Staat habe
keine Verpflichtung, Bedürftigen zu helfen, wenn gleichzeitig dadurch die Staatsschulden
anstiegen. 44 Prozent machten für die Armut der Betroffenen deren Mangel an individueller
Anstrengung verantwortlich.17 In dieser Logik gilt: Wer sich selbstverschuldet in Not ge12
Sabine Lang. „Die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in US-amerikanischen Städten und Kommunen“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 11: Bürgerschaftliches Engagement im internationalen Vergleich. Opladen 2003. S.
57-90. Hier S. 70.
13
Robert Putnam. Bowling Alone: The collapse and revival of American community. New York 2000.
14
So besingt auch die amerikanische Nationalhymne das „Star spangled banner“, die amerikanische Flagge als
das Symbol des freien Landes.
15
Dass die US-Regierung „administration“ , also Verwaltung, genannt wird, drückt m.E. diese Distanz sehr
plastisch aus.
16
Holger Backhaus-Maul. „Engagementförderung durch Unternehmen in den USA. Über die produktive Balance
zwischen Erwerbsarbeit, Familienleben und bürgerschaftlichem Engagement“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.).
Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 2: Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen. Opladen 2003. S. 85-148. Hier S. 87.
17
Hans Vorländer. „Politische Kultur“. In: Länderbericht USA. S. 296.
8
bracht hat, kann nicht auf Hilfe der Gemeinschaft oder des Staates hoffen. „Die Sozialpolitik
spielt für die Identität des Landes eine weit geringere Rolle als in vielen europäischen Staaten“, schreibt Frank-Xaver Kaufmann.18
Wo jeder seines Glückes Schmied ist, da wird auch jeder für sein Unglück selbst verantwortlich gemacht. Wer die Vereinigten Staaten kennt, der weiß, wie viele verwahrloste Obdachlose in den Straßen der Großstädte leben und der hat auch die zahllosen Trailer-Parks
passiert, in den Millionen Amerikanern in ärmlichsten Behausungen leben. Darin zeigt sich
die Kehrseite des berühmten amerikanischen Traums, die jedoch von den meisten Amerikanern fraglos akzeptiert wird, auch von den Betroffenen selbst. Wo es (angeblich) jeder nach
oben schaffen kann, haben die „unten“ das Gefühl verinnerlicht, es entweder selber auch noch
zu schaffen zu können, oder selbst für ihr Versagen verantwortlich zu sein. Kaum jemand am
unteren Ende der sozialen Hierarchie käme auf die Idee, Politiker, den Staat oder Unternehmen, für ihre Lage verantwortlich zu machen.
Dabei war das amerikanische Sozialsystem durchaus einmal ausgeprägter als man heute
glauben mag. Es wurde jedoch – ohne großen Protest der Bevölkerung – sukzessive zurückgestutzt. Daran waren republikanische Präsidenten wie Ronald Reagan ebenso beteiligt wie
der Demokrat Bill Clinton. Die amerikanische Sozialpolitik begann 1862 mit der Einführung
eines Versorgungssystems für invalide Veteranen des Bürgerkriegs, dies lief allerdings in den
20er Jahren des 20. Jahrhunderts aus. Erst das durch die Weltwirtschaftskrise verursachte soziale Elend in den USA führte 1935 zu dem so genannten New Deal und dem „social security
act“. Er schuf erstmals einen bundesstaatlich geregelten generellen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe (welfare). Bis in die 80er Jahre hinein, bis zur Präsidentschaft Ronald Reagans, gab es
in der Folge in den USA eine in Ansätzen der Bundesrepublik vergleichbaren Sozialpolitik.
Doch bereits in den 60er Jahren wuchs der Druck auf Sozialhilfeempfänger. Unter Reagan
begannen dann die massiven Einschnitte in die Sozialhilfe, die bis heute anhalten.19
Wie erwähnt vollzieht sich dieser Abbau nicht – wie in Deutschland – unter massiven Protesten und einer großen gesellschaftlichen Debatte. Die Unterscheidung und die Wahrnehmung zwischen social security (Sozialversicherung: Renten- und Krankenversicherung) und
welfare (Sozialhilfe) wird in den USA strikter gezogen als in Deutschland. Ersteres ist eine
verdiente Leistung der Arbeitnehmer, letzteres ein „auf Kosten des Staates“ leben. Gegen
welfare-Zahlungen gab und gibt es in den Vereinigten Staaten in der breiten Bevölkerung eine
große Skepsis. Die weitgehende Erosion dieser Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten
findet konsequenterweise dann auch große Zustimmung. Dass Leistungsbezieher die Verpflichtung20 zur Arbeit haben, gilt als unumstritten. Keine Leistung ohne Gegenleistung –
auch dies ist Teil der amerikanischen Mentalität. Die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung knüpft nun an amerikanische Vorbilder an, indem sie den Bezug staatlicher Unterstützung an die Bereitschaft zur Arbeit koppelt. Dies ist in der Tat eine Anlehnung der deutschen an die amerikanische Sozialpolitik, doch die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber
Sozialleistungen unterscheidet sich in beiden Ländern nach wie vor erheblich. In den USA
muss sich eine Regierung nicht für soziale Einschnitte rechtfertigen, sondern eher für einen
18
Franz-Xaver Kaufmann. „Die Kraft des Nationalcharakters. Warum es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialstaat gibt“. FAZ. 21.12.2002.
19
Unter Präsident Clinton endete 1996 eine 60 Jahre dauernde Phase bundesstaatlicher Sozialhilfe. Seither liegt
die Verantwortung in den Händen der Einzelstaaten. Der Bund beteiligt sich mit Finanzhilfen, die Bundesstaaten
legen die Anspruchskriterien selber fest – innerhalb folgender Rahmenbedingungen (hier nur ein Ausschnitt):
Die Anspruchsdauer ist pro Erwachsenen auf fünf Jahre im Leben begrenzt, Drogenabhängige erhalten keine
Hilfe, Staaten können Unterstützung für Kinder verweigern, die während des Bezugs von welfare-Leistungen
geboren wurden. Kürzungen der Leistungen bei der Weigerung eine Arbeit aufzunehmen (siehe Hartz IV). Der
Länderbericht USA resümiert: „Für viele wird es kein soziales Netz mehr geben.“ (S. 703).
20
Theda Skcopol. „Religion, Civil Society , and Social Provision in the U.S.“. In:Mary Jo Bane, Brent Coffin
und Roland Thiemann (Hrsg.). Who Will Provide? The Changing Role of Religion in American Social Welfare.
Boulder 2000. S. 21-51. Hier S-27.
9
Ausbau der sozialen Sicherungssysteme. Eine ausgeprägte Sozialpolitik, wie sie Franklin D.
Roosevelt als Folge der Weltwirtschaftskrise mit dem Great Deal gestaltete, stieß auf erhebliche Skepsis und war nur mit der sichtbaren Not des amerikanischen Volkes in den 30er Jahren
zu rechtfertigen. Und Richard Nixon brachte die vorherrschende Meinung 30 Jahre später auf
den Punkt. „The welfare ethic breeds weak people.“ Sozialleistungen verweichlichen die
Menschen, weil sie keinen Anreiz bieten, durch eigene Kraft der misslichen Lage zu entkommen. Diese Logik wird in breiten Bevölkerungsschichten akzeptiert. Newt Gingrich, der Papst
der rechten Sozialpolitik in den USA, sagte 1995: „Nichts widerspricht den amerikanischen
Traditionen so sehr wie der moderne Wohlfahrtsstaat.“21 Entsprechend bietet das amerikanische Äquivalent nur dürftige welfare-Leistungen für die Ärmsten der Gesellschaft. Als Konsequenz hat das System auch kaum eine Lobby im Mittelstand, der – anders als in Deutschland – kaum von diesen Sozialleistungen profitiert.
„Die seit den 60er Jahren aufgelegten Welfare-Programme zielen auf die Minderheiten der
Armen, so dass sich im Verlauf der 70er Jahre in den unteren weißen Mittelschichten der
Eindruck verfestigen konnte, die Nutznießer sozialpolitischer Hilfs- und Fördermaßnahmen seien nicht sie selbst und ihre Kinder, sondern nur die Kinder verarmter, schwarzer
Innenstadtbewohner. Dementsprechend unterscheidet sich das amerikanische Modell fundamental von der europäischen Tradition, in der der sozialpolitische Steuerstaat nie nur für
die Armen da war, sondern auch den Mittelschichten massive monetäre Vorteile bot, etwa
bei der freien Einschreibung an Schulen und Hochschulen oder beim kostenlosen Frequentieren von Ärzten und Krankenhäusern.“22
Kritiker von sozialen Leistungen gehen in den USA sogar so weit, zu behaupten, der Staat
bringe die Wohlfahrtsempfänger überhaupt erst hervor. Als ein angeblich typisches Phänomen
wird die ´welfare-mom` genannt, eine arbeitslose, alleinerziehende Schwarze: Da die amerikanische Sozialhilfe an Kinder gebunden ist, bekämen – so das Vorurteil, gerade schwarze
Frauen immer mehr Kinder, um ihre Unterstützung zu erhöhen.
Franz-Xaver Kaufmann führt die Abneigung der Amerikaner gegenüber staatlichen Eingriffen auf die Grunderfahrung der „frontier“, der nach Westen offenen Grenze, zurück. In der
Tat sind wohl kaum gegensätzlichere Lebensentwürfe vorstellbar, als die eines in ein enges
Korsett aus Normen, Vorschriften und Zwängen gequetschten europäischen Bürgers und dem
eines amerikanischen Einwanderers, der völlig auf sich gestellt in den (Wilden) Westens des
Kontinents zieht und alles riskiert, um dort ein neues Leben frei von eben all diesen Zwängen
zu führen. Dass sich diese millionenfach gemachte Erfahrung tief in die nationale Psyche eingegraben hat, steht außer Frage.23
Zugleich weist Kaufmann darauf hin, dass es in den USA zwar sehr deutliche Klassenunterschiede, jedoch kaum spürbare Klassenkonflikte gebe. Gewerkschaften und Arbeiterbewegung haben in den USA nie richtig Fuß fassen können und haben bis heute wenig Einfluss.
Entsprechend schwach ist der organisierte Ruf nach einem Sozialstaat. Wenn sich Einwanderer organisierten, dann entlang ihrer ethnischen, nicht ihrer sozialen Zugehörigkeit. In der Tat
sind Europäer immer wieder erstaunt, mit welcher Gelassenheit Amerikaner soziale Unterschiede hinnehmen. Der Begriff Sozialneid findet kein Äquivalent in der englischen Sprache.
Das scheint nur konsequent, wenn viele nach wie vor fest an den amerikanischen Traum glau21
Zitiert nach Karl Gabriel und Hermann-Josef Große Kracht. „Abschied vom deutschen Sozialmodell?“. In:
Stimmen der Zeit 129 (2004). S. 227-243. Hier S. 229.
22
Ebd. S. 228. Als weitere Beispiele seien hier Kindergeld, Kinderfreibetrag oder Eigenheimzulage genannt.
Diese Leistung sind nicht an den finanziellen Status des Empfängers geknüpft und werden entsprechend von
allen Bevölkerungsgruppen verteidigt..
23
Mit dem Mut zum Wagnis einher ging in den frühen Jahren der Besiedlung das Fehlen staatlicher Strukturen,
geschweige denn einer funktionierenden Verwaltung und Bürokratie. Während sich in den USA erst die Demokratie und dann die Verwaltung entwickelte, war es in Deutschland eben umgekehrt
10
ben, wie die amerikanische Soziologin Barbara Ehrenreich anschaulich schildert. Sie hat sich
für ein Buchprojekt monatelang mit Billigjobs über Wasser gehalten, um mehr über das Leben der „working poor“, der arbeitenden Armen, zu erfahren. Erstaunt berichtet sie in ihrem
gleichnamigen Buch, dass ihre Kolleginnen in der Putzkolonne auf ihre extrem reichen Auftraggeber keinerlei Neid empfinden. Die junge Putzfrau Lori, verschuldet und rückenkrank,
antwortet auf die Frage nach ihren Gefühlen angesichts des Reichtums: „Ich denke da immer
nur, wow, so etwas würde ich irgendwann auch mal gerne haben. Es spornt mich an, ich empfinde überhaupt keinen Hass oder Neid, denn mein Ziel ist, dahin zu kommen, wo sie schon
sind.“24 Anders als in Deutschland, wo der soziale Ausgleich ein wichtiges gesellschaftliches
Ziel ist, definieren Amerikaner sich und ihr Land durch den Wert der Individualität und der
angeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Wenn ich daran glaube, meiner eigenen unbefriedigenden Lage durch Fleiß entkommen zu können, werde ich mich nicht mit jenen solidarisieren, denen es eben so schlecht geht. Der Mythos des Tellerwäschers, der zum Millionär wird
(oder amerikanisch: von rags to riches – von Lumpen zu Reichtum) wird in der Tat von der
Wirklichkeit immer wieder belebt. Es gibt genügend reale Vorbilder.
2.3. Gleiche Chancen für alle
Ökonomische Ungleichheit bedroht Amerikaner nicht, sondern scheint sie vielmehr herauszufordern. Sie steht nicht im Gegensatz zur Demokratie – sie ist Teil von ihr. Der europäische Demokratiegebriff misst sich an nivellierten Lebensbedingungen, der amerikanische geht
von Chancengleichheit aus, setzt also am Beginn und nicht am Resultat an. Jean Baudrillard
formuliert es so:
„Darin liegt der demokratische Theatercoup: Die Gleichheit steht am Anfang und nicht am
Ende. Das macht den Unterschied zwischen Demokratie und Egalitarismus aus: Demokratie setzt die Gleichheit an den Anfang, Egalitarismus setzt sie ans Ende. Democracy demands that all of its citizens begin the race even. Egalitarism insists that they all finish
even.” (A.d.A: Zweisprachigkeit im Original)25
Und so würden sich wohl, vermutet Welf Werner, „die meisten Amerikaner, wenn sie vor die
Wahl zwischen Gleichheit in den Lebensbedingungen und Chancengleichheit gestellt werden,
für das Prinzip der Chancengleichheit entscheiden. (...) Der American Dream ist eben nicht
der Traum von der Gleichheit der Lebensbedingungen, sondern von der Gleichheit der Chancen“.26 Das bestätigt in eindrücklicher Weise eine Umfrage: Darin stimmten 98 Prozent der
Befragten der Einschätzung zu, dass jedermann in Amerika die gleichen Chancen habe, voran
zu kommen.27
Ein interessanter Beleg für Baudrillards Aussage findet sich im amerikanischen Steuersystem. „Wir Deutschen haben hohe Abgaben bei den Lebenden und niedrige bei den Toten. In
den USA ist es umgekehrt“, sagte Rainer Sprengel, stellvertretender Direktor des Maecenata
Instituts in Berlin.28 Das amerikanische Steuersystem basiert auf der Überzeugung, dass der
Staat seinen Bürgern auch finanziell genügend Spielraum lassen muss, um aus eigener Kraft
erfolgreich zu sein. Wer es zu etwas bringen möchte, darf nicht durch hohe Abgaben belastet
werden. Erben, die nichts für den Geldsegen geleistet haben, müssen jedoch nicht geschützt
werden. Daraus folgt: Wer sich ein Vermögen selbst erarbeitet hat, genießt in den USA
höchsten Respekt und Bewunderung. Wer es ererbt, kann damit nicht rechnen.
24
Barbara Ehrenreich. Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft. München 2004. S.123.
Jean Baudrillard. „Die verwirklichte Utopie. In: Alexander Schmidt-Gernig (Hrsg). Amerika erfahren – Europa entdecken. S. 281-304. Hier S. 296.
26
Welf Werner. „Zurück in die Zeit des Great Gatsby?“ In: ders, und Fluck (Hrsg.). S. 23-46. Hier S. 44.
27
Hans Vorländer. „Politische Kultur“. In: Länderbericht USA. S. 293.
28
Gespräch mit Rainer Sprengel am 22.3.2205 in den Räumen des Maecenata Instituts.
25
11
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass sich im Jahr 2001 rund 120 Superreiche in
einer großen amerikanischen Tageszeitung mit einer Anzeige für den Erhalt der Erbschaftssteuer aussprachen.29 Dabei beträgt der Steuersatz für Nachlässe über fünf Millionen Dollar in
den USA beachtliche 55 Prozent. Doch diesen Steuersatz hielten die überaus vermögenden
Inserenten durchaus für angemessen. „In diesem Selbstverständnis wird nur das durch eigene
Leistung erworbene Vermögen moralisch legitimiert, wohingegen durch Erbschaft erlangter
Reichtum hochgradig problematisch ist: Erbschaften widersprechen der Rechtfertigung von
Vermögensverteilung aufgrund von individuellen Leistungsbeiträgen (…). sie widersprechen
dem Prinzip der Chancengleichheit“, erläutert Jan Beckert.30 Die Auffassung, jeder solle sich
sein Vermögen selbst erarbeiten, vertreten zahlreiche Reiche in den USA. Sie schonen dabei
auch nicht ihre eigenen Kinder. Ein erfolgreicher Geschäftsmann erzählt im Gespräch mit
Francie Ostrower: „I see no justification for self respecting people to expect to survive on
what their forebears have done. (…) I am not interested in endowing the ability of my children to live on Fifth Avenue or have Rolls Royces.”31 Natürlich gibt es auch in den USA zahlreiche Kinder milliardenschwerer Geschäftsleute (man denke nur an die medienbekannten
Hilton-Schwestern aus dem Hotel-Imperium) die sich mit dem Geld ihrer Eltern ein sorgenfreies Leben machen. Doch verbreiteter ist der Glaube, dass jeder aus eigenem Bemühen seinen Reichtum erarbeiten solle – und dass gerade darin eine enorme Befriedigung liegen kann.
Ja, dass dieser Ansporn letztlich die Motivation ist, die das amerikanische Lebensgefühl ausmacht.32
Dass die Bush-Regierung die Erbschaftssteuer radikal senken will, widerspricht dieser
Auffassung. Das Vorhaben hätte zudem vermutlich erhebliche Auswirkung auf die Gesellschaft: Auch weil die Erbschaftssteuer so hoch ist, legen US-Bürger jährlich milliardenschwere Vermögen in Stiftungen an oder vermachen immense Summen an gemeinnützige Einrichtungen. Vermutlich bliebe es nicht ohne Einfluss auf hohe Spenden, wenn es keinen und nur
noch einen geringen Anreiz gäbe, Geld auf diesem Weg vor dem Fiskus zu retten. So trägt die
hohe Erbschaftssteuer – und nicht die hohe Lohnsteuer – in den USA zu einer gewissen Umverteilung bei. Sie schützt zugleich bewusst vor einer Ansammlung von Geld und Macht.
2.4. In God we trust – der Einfluss der Religion
Amerika ist ein tief religiöses Land – wer mag daran in Zeiten von George W. Bush noch
zweifeln – und insbesondere vom Calvinismus geprägt. Schon Tocqueville stellte fest, dass
„die angloamerikanische Gesellschaft (...) aus der Religion hervorgegangen und (...) die Religion daher mit allen nationalen Gewohnheiten und mit fast allen vaterländischen Gefühlen“
verschmolzen sei.33 Der Geist der Puritaner, die die Ostküste der USA im 17. Jahrhundert zu
besiedeln begannen, hat deutliche Spuren im amerikanischen Denken hinterlassen. Sie flohen
vor Unterdrückung und Armut auf dem alten Kontinent, und sie kamen auch über den Atlantik, um Gott zu huldigen und zu gefallen. Bis heute dominieren protestantische und Freikirchen die religiöse Landschaft der USA.34
29
Jens Becker., „Demokratische Umverteilung: Erbschaftsbesteuerung und meritokratisches Eigentumsverständnis in den USA“. In: Fluck und Werner (Hrsg.). S. 119 – 144.
30
Ebd. S. 120.
31
Ostrower. S. 104.
32
Ein reicher New Yorker bekennt: „The greatest joy in my life has been earning money, and I would hate to
deprive my kids of that.“ Ostrower. S. 106.
33
Ebd. Zitiert nach Länderbericht USA. S. 288.
34
Laut einer Umfrage der City University of New York sind 76,5 Prozent der Amerikaner Christen, davon 52
Prozent Protestanten und 24,5 Prozent Katholiken, außerdem sind 1,3 Prozent der Bevölkerung Juden, 0,5 Prozent Moslems, 0,5 Buddhisten und 0,4 Hindus.34 Die Encyclopedia of American Religions listet 1584 religiöse
Organisationen in den USA und Kanada auf, die meisten von ihnen christliche.
12
Der deutsche Soziologe Max Weber hat eindrücklich dargestellt, in welch engem Zusammenhang Protestantismus und kapitalistische Wirtschaftsordnung stehen.35 Er schreibt in einem Aufsatz über Religionssoziologie: „`Kapitalismus` hat es auf dem Boden all dieser
(Anm.d.V. zuvor behandelten) Religiositäten gegeben. (...) Aber keine Entwicklung, auch
keine Ansätze einer solchen, zum modernen Kapitalismus und vor allem: keinen `kapitalistischen Geist` wie er dem protestantischen Asketismus eignet.“ (Hervorhebungen im Original)36
Was hat nun Max Webers These mit dem bürgerschaftlichen Engagement der US-Bürger
zu tun? Sehr viel: Denn die Glaubensgrundsätze der ersten Siedler – und der immer noch dominanten protestantischen Religion in den USA – sind eine wichtige Wurzel und Antriebsfeder gesellschaftlichen Handels in den Vereinigten Staaten, damals wie heute. Die strenge
Heilslehre der Puritaner mag den heutigen Protestanten nicht mehr im Originaltext präsent
sein, aber sie hat sich in die Volksseele eingegraben. Karl Gabriel und Hermann-Josef Große
Kracht nennen es die „freiheitlich-individualistische Grundüberzeugung des puritanischcalvinistischen Amerika“.37
Die puritanischen Siedler folgten Calvins Lehre. Diese beruhte nicht nur auf der strikten
Trennung von Kirche und Staat (hier findet sich also auch die Staatsskepsis wieder), sondern
sie betont auch gemeinschaftliche Selbsthilfe quasi als Gegenprogramm zum Staat. Zugleich
liefert der Calvinismus eine Erklärung für die Motivation der Amerikaner, aus eigener Kraft
erfolgreich zu sein. Um dies zu verstehen, muss man einen gedanklichen Haken schlagen:
Zwar waren die Calvinisten und Freikirchler der Überzeugung, dass Gottes Gnade nur aufgrund dessen Erwählung geschenkt werde – und der Mensch an diesem Umstand nicht viel
ändern könne, als in Ungewissheit darauf zu warten, ob er zu den Auserwählten gehören wird.
Da diese Unwissenheit über ihr Schicksal die Gläubigen aber quält, versuchen sie, Zeichen für
ihre Auserwähltheit zu finden – und sie schließlich selbst zu produzieren. Wirtschaftlicher
Tatendrang ist, so Max Weber, ein Mechanismus der Angstverdrängung: „So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu diesen (...), so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung. Sie sind das technische Mittel, nicht, die Seligkeit zu erkaufen, sondern: die Angst um die Seligkeit loszuwerden. (...) Das bedeutet nun aber
praktisch, im Grunde: dass Gott dem hilft, der sich selber hilft.“38
In diesen religiösen Überzeugungen und Motiven finden sich bis heute prägende Elemente
des amerikanischen Nationalcharakters: Das Misstrauen gegenüber dem Staat ebenso wie der
Glaube an die Selbsthilfe und den Wert der eigenen Tüchtigkeit.39 Erfolg gilt als Zeichen von
Durchsetzungskraft und im religiösen Sinne immer noch als Erwählung („one of the chosen
few“), Armut als moralische Schwäche und Versagen. Insofern kann man behaupten, dass
auch die amerikanische Sozialpolitik von den Puritanern geprägt ist. Ohne den Bezug auf Religionen sind die unterschiedlichen Typen westlicher Sozialpolitik nicht zu erklären, behauptet jedenfalls Philip Manow in einer Replik auf die bekannte Typologisierung von westlichen
Wohlfahrtsstaaten durch den Soziologen Esping-Andersen.40 Manow stellt fest,
35
Max Weber. „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“.
Max Weber. „Religionssoziologie“. In: Ders. Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1985. S 378.
37
Gabriel und Große Kracht. „Abschied vom deutschen Sozialmodell?“. In: Stimmen der Zeit 129 (2004). S.
227-243. Hier S. 228.
38
Max Weber. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen 1988. S. 106. Wichtige Einsichten in
die Bedeutung der Religion für die USA verdanke ich einem Hauptseminar an der FU im WS 2004/2005 mit
dem Titel „Die religiösen Wurzeln des amerikanischen Wohlfahrtsstaats“.
39
Gabriel und Große Kracht weisen in ihrem Aufsatz darauf hin, dass die katholische Kirche in den USA dagegen für einen „sozialpolitischen Interventionsstaat“ plädiere.
40
Esping-Andersen hat in seinem 1990 veröffentlichen Buch drei Formen des Wohlfahrts-Kapitalismus - „Three
Worlds of Welfare Capitalism“ - ausgemacht: Das liberale angelsächsische Modell (zu dem auch die USA gehören) , das konservative kontinentaleuropäische Modell (Deutschland) und das sozialdemokratische skandinavische Modell. Er begründet die Entstehung der einzelnen Typen (auf die hier nicht im Detail eingegangen werden
kann) vorrangig mit dem nationalen Entwicklung von Klassenkonflikten. Manow kritisiert diesen Ansatz, viel36
13
„dass der Protestantismus (...) einen eigenständigen und nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Wohlfahrtstaatentwicklung in den Ländern Europas (und darüber hinaus in den
USA und den Ländern des Commonwealth) geleistet hat, selbst wenn dieser Beitrag mittelbar und zum Teil negativ gewesen ist. Negativ in dem Sinne, dass vor allem die freikirchlichen Sekten und reformierten Strömungen des Protestantismus unter Betonung von
gemeinschaftlicher Selbsthilfe, strikter Trennung von Staat und Kirche, innerweltlicher
Askese und prudentia eine stark antistaatliche Programmatik entwickelt haben, die sich
vielfach verzögernd auf die Sozialstaatsentwicklung ausgewirkt hat.“41
Hier schließt sich der Bogen zu Max Weber. Der Geist des Protestantismus verfestigte die
Ablehnung kollektiver Sicherungssysteme. Die Abneigung gegenüber staatlichen Programmen bedeutet jedoch nicht, die Ärmsten in ihrer Not vollkommen allein zu lassen. Vielmehr
plädieren die Staatsskeptiker dafür, dass private Philanthropie und religiös motivierte Nächstenliebe staatliche Interventionen ersetzt. In der Tat sind religiöse Vereinigungen die Hauptquellen von Wohltätigkeit in den USA. Putnam unterstreicht die gesellschaftliche und soziale
Bedeutung der Kirchen in den USA: „Religion ist ein wichtiges formales soziales Kapital in
Amerika, vermutlich wichtiger als in Europa. Die Hälfte des sozialen Kapitals aller Amerikaner ist religiöser Art – die Hälfte unserer Wohltätigkeit, die Hälfte unserer Ehrenämter, die
Hälfte unserer Organisationsmitgliedschaft.“42
Unter George W. Bush ist diese Überzeugung zum politischen Programm geworden. Das
Schlagwort lautet „Compassionate Conservatism“. Der wiedergeborene Christ Bush hat sich
von dem Autor Marvin Olasky davon überzeugen lassen, dass in der Bekehrung der Schlüssel
zur Bekämpfung von Armut und Verbrechen liegt. Olasky plädiert dafür, einzelne religiöse
Gruppen mit Steuermitteln auszustatten, damit diese den Großteil der staatlichen Sozialpolitik
übernehmen können (Obdachlosenheime, Drogentherapiezentren, Beratung für Schwangere
etc). Eine Idee, die den Präsidenten – der selbst sein Leben durch ein Erweckungserlebnis
völlig änderte – begeisterte. Mit der Debatte einher ging eine moralische Aufladung der
Wohlfahrtsdebatte: In diesem Denken sind Hilfeempfänger vom rechten Weg abgekommen,
auf den es sie zurückzuführen gilt. Nur, wer sich kooperativ zeigt, hat Anspruch auf Unterstützung. Kritiker sehen hier Parallelen zur Sozialfürsorge des 19. Jahrhunderts.43 Religiosität
ist in diesem Modell die stärkste Antriebskraft gesellschaftlichen Handelns – sowohl für die
Helfer, die in den Strukturen ihrer Gemeinden arbeiten – als auch für jene, die durch den Weg
zu Gott wieder auf den rechten Weg finden.
Insofern ist der Glaube für viele US-Bürger auch eine starke Antriebsfeder für bürgerschaftliches Engagement. In den amerikanischen Gemeinden, deren Zahl auf 300 000 geschätzt wird, sind zahlreiche der freiwilligen Helfer (volunteers) zu finden, die die Quote für
das zivilgesellschaftliche Engagement Amerikaner so hoch treiben. Es sind diese „zahlreiche(n) religiöse(n) Glaubensgemeinschaften, die neben der Schule und der Familie seit jeher
zu den wichtigsten Sozialisationsinstanzen zählten, in denen gesellschaftliches und politisches
mehr müsse man auch den großen Einfluss des Protestantismus auf die Sozialstaatsentwicklung beachten. Philip
Manow. „`The Good, the Bad and the Ugly`. Esping Andersens Sozialstaats-Typologie und die konfessionellen
Wurzeln des westlichen Wohlfahrtsstaats”. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Jg. 54,
Heft 2 (2002). S.203-225. hier S. 203.
41
Ebd. S. 208.
42
Robert Putnam. “Soziales Kapital in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1:
Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Opladen 2002. S. 257-272. Hier S.264.
43
Über die enge Verbindung von Religion und Wohlfahrt empfiehlt sich die Lektüre von Mary Jo Bane, Brent
Coffin und Roland Thiemann (H.rsg). Who Will Provide? The Changing Role of Religion in American Social
Welfare. Boulder 2000.
14
Engagement und Verantwortung eingeübt wurden und wird“.44 Das Aspen-Institut geht davon
aus, dass in religiösen Kongregationen der USA rund 45 Millionen Freiwillige arbeiten, davon 60 Prozent in religiösen Aufgaben wie dem Gottesdienst oder der religiösen Erziehung.45
Viele andere sind mit karitativen Aufgaben beschäftigt. So unterhalten zahlreiche Gemeinden
Suppenküchen, Kleiderkammern oder Wohnungsprojekte. Sie übernehmen damit Aufgaben,
die in Deutschland von der staatlichen Sozialhilfe abgedeckt werden.
2.5. Schwacher Staat – starker Bürger?
Viele Löcher im Netz der (staatlichen) sozialen Sicherung werden also von den Bürgern
gestopft, in Einrichtungen der Kirchen oder Non-Profit-Organisationen. Sie tun dies nicht als
Ausfallbürgen, sondern häufig aus der Überzeugung, dass ein gewollt schwacher Staat engagierter Bürger bedarf, die ihre Freiräume nutzen. „Dem Verständnis vom schlanken Staat
steht eine größere Verantwortung der Zivilgesellschaft gegenüber“, betonen Winfried Fluck
und Welf Werner in der Einleitung eines interessanten Sammelbandes über Armut und Reichtum in den USA.46 Und Holger Backhaus-Maul schreibt: „Bürgerschaftliches Engagement ist
eine kulturelle Selbstverständlichkeit und ein integraler Bestandteil der US-amerikanischen
Gesellschaft.“47
Es mag auf den ersten Blick paradox klingen: Aber eben jene Betonung der individuellen
Freiheiten (und die Ablehnung eines Wohlfahrtsstaats) führt in den USA beim einzelnen Bürger zugleich zu einer stärkeren Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch gegenüber dem Gemeinwesen. Individualismus muss also nicht Egoismus heißen, ganz im Gegenteil. Wer lernt, für sich selbst verantwortlich zu sein, ist vielleicht eher bereit, auch Verantwortung für andere zu übernehmen. Wer hingegen rundum versorgt ist, schiebt diese Aufgabe
an seinen Versorger, den Staat ab. So ist es durchaus möglich, dass ein Land mit einem hohen
sozialen Sicherungsniveau eine Bürgermentalität hervorbringt, die sich um die Nöte des
Nächsten nicht mehr kümmert – weil dies schließlich in den Händen des Staates liegt. Zumal
Länder mit einem hohen sozialen Sicherungsniveau in der Regel auch hohe Steuern erheben –
und so die individuelle Bereitschaft schon mit Hinweis auf diese finanziellen Leistungen zu
sinken droht.
Bei aller Bewunderung, die man diesem Engagement bzw. dieser Engagementlandschaft
entgegenbringen kann, so ist sie nicht nur von Vorteil. Im Sozialbereich bedeutet das: Je stärker sich der Staat aus seiner sozialpolitischen Verantwortung herauszieht, desto eher ist der
Bedürftige auf private Hilfe angewiesen. Für deren Vergabe gibt es aber keine neutralen Kriterien. So kann es durchaus vorkommen, dass religiöse Einrichtungen im Zuge ihrer Mildtätigkeit missionieren, moralisieren oder dem Empfänger Bedingungen für den Bezug von Leistungen auferlegt. Ein staatliches System garantiert hingegen nach festen Kriterien verlässliche
Hilfe. Das Dilemma besteht nicht nur im sozialen Sektor: In den USA liegt auch die Kulturförderung zu einem Großteil in privater Hand, Stiftungen kontrollieren große Teile des bei
uns öffentlichen Sektors. Hier muss eine Balance zwischen Unterstützung und Einfluss gefunden werden.
44
Länderbericht USA. S. 711.
Anders als in Deutschland ist die Trennung in den USA zwischen Kirche und Staat viel strikter. An den Schulen gibt es keinen Religionsunterricht, dieser wird von den jeweiligen Gemeinden angeboten, häufig müssen die
Kinder am Sonntag dafür in die Gemeinde – zur Sonntagsschule.
46
Winfried Fluck, Werner Welf (Hrsg.). Wieviel Ungleichheit verträgt die Demokratie? Frankfurt/ New York
2003. S. 18.
47
Holger Backhaus-Maul.„Engagementförderung durch Unternehmen in den USA.“ S. 87.
45
15
3. Formen bürgerschaftlichen Engagements in den USA
3.1. Die großen Philanthropen: Von Carnegie zu Gates
Die Namen amerikanischer Philanthropen haben auch in Europa einen großen Klang. Der
Ölmagnat John D. Rockefeller und der Eisenbahnbaron Andrew Carnegie stehen für immensen wirtschaftlichen Erfolg – aber auch für ihre großzügigen Gaben an das amerikanische
Volk. Sie begründeten Anfang des 20. Jahrhunderts einen neuen Stil der amerikanischen Philanthropie, indem sie Stiftungen gründeten und sich damit selber Denkmäler setzten. Die Carnegie-Hall und das Rockefeller-Center sind bis heute berühmte Einrichtungen New Yorks.
Auch zuvor hatten vermögende Amerikaner ihrer Gesellschaft geholfen, aber bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die amerikanische Philanthropie noch ohne großen
Plan und Ziel. Sie fand dort statt, wo gerade die Not am größten war und war meist religiös
motiviert. In den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann sich dies zu ändern. Organisationen entwickelten systematische Pläne, um Armut und Elend zu bekämpfen und führten Management-Methoden ein. Philanthropie wurde ein Teil der offiziellen Geschäftswelt.
Der Boden für die großen Stiftungen wurde bereitet: 1907 wurde die Russel Sage Stiftung48
gegründet, 1911 die „Carnegie Corporation of New York“, 1913 die Rockefeller Stiftung.
„The modern age of giving had begun.”49, schreibt Thomas J. Billiteri und nennt zahlreiche
Belege für weitere Stiftungen und Initiativen. Auch eine spezielle Form der Philanthropie, die
community-foundation, auf deutsch Bürgerstiftung, wurde 1914 in den USA „erfunden“, von
Frederick H. Goff, Präsident der Cleveland Trust Company. Er gründete 1914 die Cleveland
Bürgerstiftung, hinter der folgendes Prinzip stand: Die Bürgerstiftung finanziert sich durch
lokale Spenden durch Bürger und Unternehmen, wird von lokalen Bankern verwaltet und überwacht und gibt ihr Geld nur für lokale Zwecke aus. Hier erhielten erstmals auch Menschen
ohne große Einkommen die Chance, ihren Beitrag in eine Stiftung einzubringen und etwas
Gutes zu tun. Heute gibt es nach diesem Vorbild über 600 Bürgerstiftungen mit einem Vermögen von mehr als 25 Milliarden US-Dollar.50
Eine der prägendsten Gestalten der amerikanischen Philanthropie war ohne Frage Andrew
Carnegie. Er wurde durch den Bau des Eisenbahnnetzes Ende des 19. Jahrhunderts zum
reichsten Mann Amerikas. Carnegie galt als knallharter Geschäftsmann, doch er war zugleich
der Überzeugung, dass Reichtum nicht an die nächste Generation vermacht werden solle,
sondern zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt gehöre. Wer reich stirbt, stirbt in Schande –
so Carnegie, und es waren keine leeren Worte. Im Jahr 1900 verkaufte Carnegie sein Unternehmen für 400 Millionen US-Dollar und stiftete bis zu seinem Tod über 350 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke.51
Eine veränderte Steuergesetzgebung machte die Philanthropie ab 1917 erst recht interessant. Ab diesem Zeitpunkt konnten Spenden von der Steuer abgesetzt werden. Je höher der
Steuersatz (und er stieg beständig durch die enormen Ausgaben der USA im zweiten Weltkrieg) desto stärker war der Anreiz, durch milde Gaben seine Steuerlast zu mindern – und
somit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. 1945 war das in Steuererklärungen angegebene Spendenvolumen fünfmal so hoch wie noch 1939.52 Und mit dem Spendenaufkommen
wuchs die Zahl der Non-Profit-Organisationen, die immer professioneller um das Geld poten48
Die Russel Sage Stiftung beispielsweise war ein Pionier der Sozialforschung und Sozialarbeit
Thomas J. Billitteri. „Donors Big and Small Propelled Philanthropie in the 20th Century“. Website des USMagazins The Chronicle of Philanthropy: (http://philanthropy.com/free/articles/v12/i06/06002901.htm). Die
Fachzeitschrift wendet sich an die vielen Beschäftigten im US-Philanthropie-Geschäft und gibt hochinteressante
Einblicke in den amerikanischen Hintergrund und Umgang mit Philanthropie.
50
Diese Idee wurde erst in den neunziger Jahren nach Deutschland importiert und beginnt sich langsam zu
verbreiten. Darauf werde ich später, im Zusammenhang mit den deutschen Bürgerstiftungen, genauer eingehen.
51
Vgl. Adrian Kreye. „Amerika du kannst es besser“. Der Essay findet sich auf der homepage des SZKorrespondenten: http://www.adriankreye.com/vorbildamerika.html
49
16
tieller Geber buhlten. Hier nimmt das moderne Fundraising-Geschäft in den USA seinen Ausgang. Es war bereits Mitte des 20. Jahrhunderts hochprofessionell. Immer mehr amerikanische Organisationen stellten Vollzeit-Fundraiser ein, 1960 gründete diese bereits ihren ersten
Berufsverband: The National Society of Fundraisers, später umbenannt in „National Society
of Fund Raising Executives“. Daneben gibt es noch die Association of Fundraising Professionals“, die in den USA heute 27 000 Fundraiser vertritt.
Philanthropie ist also nicht nur eine gesellschaftliche Einstellung. Sie ist in den USA selbst
zum wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Stiftungen und Non-Profit-Organisationen sind
große Arbeitgeber, keine Schule, kein College, kein Museum und Krankenhaus – kurzum
keine Einrichtung des öffentlichen Lebens in den USA – kommt (wegen mangelnder öffentlicher Gelder) ohne Fundraiser aus. Und so ist jeder Amerikaner häufig in seinem Leben mit
der Frage konfrontiert, ob er oder sie denn nicht den einen oder anderen Dollar für einen guten Zweck erübrigen könne. Kaum jemand sagt da nein – kaum jemand kann da nein sagen.
Die Spendenquote der US-Bürger liegt weit über der Deutschen. Schätzungen gehen davon
aus, dass (insgesamt rund 80 Millionen) deutsche Bürger im Jahr rund zehn Milliarden Euro
spenden, in den USA gaben 280 Millionen US-Bürger im Jahr 2004 laut Giving USA rund
248,5 Milliarden US-Dollar53 75 Prozent des Geldes kamen von einzelnen Bürgern, 12 Prozent von Stiftungen, 8 Prozent aus Erbschaften und 5 Prozent von Unternehmen.
Die Reichen und Super-Reichen US-Amerikaner haben an dem hohen Spendenaufkommen einen erheblichen Anteil. Allein die 60 größten Spender gaben soviel, wie alle Deutschen
zusammen: zehn Milliarden Dollar. Die durchschnittliche Zuwendung der großzügigsten 60
lag bei jeweils 40,8 Millionen Dollar.54 Viele Spender bringen das Geld in ihre eigenen Stiftungen ein und stocken so deren Kapital auf. Folgende, von der Zeitschrift The Chronicle of
Philanthropy auf deren Website veröffentliche Liste gibt einen anschaulichen Einblick:
Die größten Spender 2004 (in US-Dollar)
William H. (Bill) III and Melinda F. Gates
$3.4 Milliarden
Susan T. Buffett
$2.6 Milliarden
John M. Templeton
$550 Millionen
Caroline Wiess Law
$450 Millionen
George D. Cornell
$196 Millionen
Leo A. and Kay K. Drey
$180 Millionen
Pierre and Pam Omidyar
$173.2 Millionen
Bernard Marcus
$161 Millionen
Sidney E. Frank
$142 Millionen
Michael Bloomberg
$138 Millionen
An der Spitze steht der Microsoft-Gründer Bill Gates – der zugleich seit Jahren die Forbes
Liste der reichsten Männer der Welt anführt. Gates ist ein moderner Carnegie, knallhart im
Geschäftsgebaren und zugleich ein großzügiger Philanthrop. Gemeinsam mit seiner Frau Melinda gründete Bill Gates 1999 eine Stiftung, in die er bis heute (Mai 2005) 31,5 Milliarden
53
Die Zahlen stammen aus dem im Juni 2005 veröffentlichten Bericht „Giving USA 2005“ und wurden vorab im
Chronicle of Philanthropy veröffentlicht. In ihr sind auch Zuwendungen an Gemeinden enthalten. Der Bericht
vom wird vom „Center on Philanthropy at Indiana University“ erstellt.
54
Ich entnehme diese Zahlen aus „The Giving Spree“. In: The Chronicle of Philanthropy. Online Ausgabe der
Ausgabe vom 3. März 2005 (http://philanthropy.com/free/articles/v17/i10/10000601.htm). Dort finden sich einige eindrückliche Beispiele über Spenden an Hochschulen: Ein Immobilien-Makler namens Stephen M. Ross
schenkt der University of Michigan at Ann Arbor 100 Millionen Dollar, die angeschlossene Uni-Klinik erhält
von einem Ehepaar 44 Millionen Dollar. Das Museum of Fine Art in Houston erhielt 2003 400 Millionen Dollar.
17
Euro eingebracht hat, die Hälfte seines Privatvermögens. Allein 2004 führte er der Stiftung
weitere 3,4 Milliarden US-Dollar zu, seine Dividenden aus seinen Microsoft-Aktien. Damit
ist die Gates-Stiftung nun dreimal so groß wie die zweitgrößte des Landes, die FordFoundation mit elf Milliarden US-Dollar Stiftungsvermögen.55 Ein Pendant in Deutschland zu
finden, fällt schwer. Sicher, es gibt auch hierzulande zahlreiche großzügige Stifter und Spender – aber Milliardenstiftungen dieser Größenordnung, die aus dem Privatvermögen von Unternehmern hervorgehen, nicht.56 Diese Diskrepanz lässt sich nicht allein auf Vermögensunterschiede zurückführen: Unter den zehn reichsten Männern der Welt findet sich auch beispielsweise Karl Albrecht (Aldi-Süd) auf Platz acht. Sein Vermögen wird auf 18,5 Milliarden
Dollar geschätzt.57 Als gesellschaftliche Wohltäter ist er bisher nicht öffentlich in Erscheinung getreten.
Viele der derzeitigen amerikanischen Philanthropen haben ihr Geld mit neuen Technologien gemacht und sind noch jung – wie Bill Gates, der Ebay Gründer Pierre Omidyar oder der
Mitbegründer von Yahoo, David Filo. Sie warten nicht auf ihren Ruhestand oder gar ihren
Tod, um Philanthropen zu werden, sondern spenden Jahr für Jahr große Summen. In Deutschland sind sie wohl nur vergleichbar mit erfolgreichen IT-Unternehmern wie dem SAPMitbegründer Hasso Plattner, der ebenfalls etliche Millionen Euro für Hochschul-Projekte zur
Verfügung gestellt hat.58So manchen der ehemaligen IT-Millionäre hat die geplatzte IT-Blase
jedoch wieder ihres Reichtums beraubt, so dass die Anzahl potentieller Großspender zumindest im IT-Bereich in Deutschland vermutlich recht überschaubar ist.
Zudem fehlen für Deutschland vergleichbare Statistiken, was die Höhe von Einzelspenden
angeht. Dabei gibt es auch hierzulande durchaus Self-Made Milliardäre. Die beiden reichsten,
die Aldi-Brüder, habe ich bereits erwähnt. Auf eine schriftliche Nachfrage nach ihrem bürgerschaftlichem Engagement reagierte keines der Unternehmen – sie bestätigten lediglich den
Eingang der Anfrage. Falls sie sich engagieren, tun sie es in Verborgenen. Die Albrecht sollen
hier nicht an den Pranger gestellt werden – ihre Namen sind beliebig ersetzbar mit vielen anderen deutschen Reichen. Sie verdeutlichen jedoch eins: Es ist in Deutschland möglich, sich
nicht (oder nicht öffentlichkeitswirksam) zu engagieren, ohne dass der gesellschaftliche Ruf
darunter leidet. Positives Engagement, wie es viele deutsche Unternehmer leisten, wird von
den Deutschen wohlwollend zur Kenntnis genommen, Nicht-Engagement hingegen nicht. Das
war im Fall Bill Gates durchaus anders. Als er seine Stiftung gründete, gab es bereits massiven gesellschaftlichen Druck. Die Beliebtheitswerte von Microsoft waren auch aufgrund der
marktbeherrschenden Stellung und dem oft skrupellosen Umgang mit Konkurrenten in den
Keller gerutscht. Gates rettete mit der milliardenschweren Stiftung auch seinen Ruf.
Colleges und Universitäten sind in den USA häufig Empfänger großer Spenden, die
Dankbarkeit an die alte Alma Mater scheint in den USA sehr ausgeprägt. Nicht selten erhalten
Hochschulen Spenden in dreistelliger Millionenhöhe. Und häufig werden mit diesen Mitteln
Stipendien für begabte, aber finanziell schwache Studenten finanziert. So gab der Gründer des
„Grey Goose“ Wodka, Sidney E. Frank, 100 Millionen Dollar an die Brown-University, um
damit Studenten aus nicht wohlhabenden Elternhäusern zu unterstützen. Er selbst hatte die
Hochschule nach einem Semester verlassen müssen, weil er die Studiengebühren nicht bezahlen konnten. Neben den Hochschulen gehen Jahr für Jahr ähnliche hohe Spenden an Kranken55
Die Bill und Melinda Gates Stiftung fördert insbesondere die medizinische Versorgung in der Dritten Welt.
Rainer Sprengel, stellvertretender Direktor des 1997 gegründeten „Maecenata Instituts für Philanthropie und
Zivilgesellschaft“ in Berlin sieht den großen Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Stiftungslandschaft dann auch nicht in der Menge der Stiftungen, sondern in den Beträgen, die von den Stiftern
eingebracht werden. Gespräch am 22.3.2005. Das Maecenata Institut ist ein An-Institut der HumboldtUniversität (www.maecenata.de).
57
Die Forbes Liste der 40 reichsten Menschen der Welt wird jährlich aktualisiert und publiziert. Der zweite
„Aldi“ Bruder Theo (Aldi-Nord) rutschte 2004 von Rang 14 auf Rang 20 in der Liste. Insgesamt befinden sich
57 Deutsche unter den aufgelisteten 691 Milliardären.
58
Ich werde darauf später eingehen.
56
18
häuser und Museen. Ohne diese großzügigen Zuwendungen würde die öffentliche Infrastruktur an Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur wahrscheinlich bald zusammenbrechen.
Mit anderen Worten: Mäzene, Stifter und Stiftungen haben in den USA eine immens wichtige
Rolle – und dadurch auch erheblichen gesellschaftlichen Einfluss: eine Gefahr, die seit über
vier Jahrzehnten in den USA diskutiert wird. In den Augen einiger Politiker wurden Stiftungen sogar zur Bedrohung für die amerikanische Demokratie.59
3.2. „Why the Wealthy Give“ – Motive der Philanthropie in der amerikanischen Elite
Amerikanische Philanthropie bezieht seine Motivation natürlich nicht aus dem christlichen, jüdischen oder muslimischen Gebot der Nächstenliebe. Sie verfolgte von Beginn an,
insbesondere bei den sogenannten neureichen US-Bürgern, häufig auch einen gesellschaftlichen Zweck. Nicht ohne Grund begann die moderne Philanthropie mit dem Aufstieg der Neureichen an Amerikas Ostküste im 19. Jahrhundert. Sie waren wirtschaftlich erfolgreich und
wurden doch von der eingesessen Oberschicht mit Arroganz und Verachtung bedacht. Die alte
Elite schloss die Neuen konsequent aus ihren Zirkeln aus. „The members of the old elites did
not accept this emerging groups as their equals and did not allow them to participate in elite
social clubs, institutions and gatherings“,60 schreibt Thomas Adam. Die auf diese Weise Gedemütigten rächten sich auf ihre Weise. Sie bauten noch größere und schönere Museen und
Theater als jene, die ihnen den Zutritt zu ihrer Welt verwehrten. Aus diesem Antrieb entstanden letztlich eindrucksvolle Einrichtungen – wie das Metropolitan Museum of Art und das
American Museum of Natural History in New York City. Auch das Metropolitan Opera House entspringt letztendlich einem Disput zwischen alter und neuer Elite: Den stein- und neureichen Vanderbilts war eine Loge in der Academy of Music verwehrt worden, selbst als William H. Vanderbilt 1880 dafür 30000 Dollar bot, wurde er brüsk abgewiesen. Auch sein Vorschlag, einfach 26 neue Logen einzubauen, stieß auf taube Ohren. Vanderbilt hatte genug:
Gemeinsam mit J.P Morgan, Jay Gould und William Whitney baute er das Metropolitan Opera House – mit genügend Logen für die alte und neue Elite. Es wurde ein Sieg auf der ganzen
Linie. Die Academy of Music schloss 1885, die Snobs der alten Elite zogen in das Haus der
Neureichen mit ein.61
Es wäre jedoch zu einfach, die Spendenfreudigkeit der Oberschicht allein auf den Wunsch
der Umwandlung von monetärem in soziales Kapital – also gesellschaftliche Anerkennung, zu
reduzieren, wie Thomas W. Gaehtgens zu Recht betont. Die Motivlage ist fast immer vielschichtig.
„Es wäre aber ganz oberflächlich geurteilt, wenn die Tradition des Stiftens der bürgerlichen Wirtschaftselite in den Vereinigten Staaten nur mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung begründet würde. Es ist oft mit Recht darauf hingewiesen
worden, dass die aus dem Puritanismus und dem jüdischen Glauben stammende Philanthropy ein weiteres wesentliches Element des Handelns darstellte. Das Stiften im
sozialen und im kulturellen Bereich gilt in diesem Lande als eine humanitäre Aufgabe,
mit der die erfolgreichen Bürger der Gemeinschaft eine ursprünglich von ihr empfangene Leistung zurückgeben können.“62
59
Darauf werde ich später eingehen.
Thomas Adam. S. 27.
61
Ebd. S. 29.
62
Thomas W. Gaehtgens. „Der Bürger als Mäzen. Amerikanische Tradition – europäische Herausforderung?“
Der Vortrag, der auch in Ausschnitten in den Mitteilungen des WZB erschien (Heft 106, Dezember 2004), wurde
60
19
Gaehtgens weist hier auf einen wichtigen Punkt hin: Amerikanische Philanthropie basiert auf
den unterschiedlichsten Motivlagen: Aus dem humanitären und/oder religiösen Antrieb, etwas
Gutes für seine Mitmenschen zu tun, aus einem sozialen Verpflichtungsgefühl, der Gesellschaft etwas zurückzugeben – aber eben auch auf dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung. Dieses Motivations-Gemenge unterscheidet die amerikanische Philanthropie von
deutschen Mäzenen und Gönnern. In den USA stehen Nicht-Engagierte – anders als in
Deutschland – in der Gefahr, gesellschaftlich geächtet zu werden. Ihnen bleibt der Zugang zu
bestimmten Kreisen verschlossen und sie werden mit Missachtung belegt. Philanthropie ist in
den gesellschaftlichen Verhaltenskodex tief eingegraben. Karsten Borgmann schreibt dazu:
„Multimillionäre und Wohltäter werden nicht als die Ausnahme, sondern als die Regel begriffen.“ Ihre Philanthropie sei „Teil des kollektiven Erscheinungsbildes einer Elite. Diese Elite
und ihr gemeinnütziges Engagement gehören zur gesellschaftlichen Normalität in den Vereinigten Staaten“.63
Und so ist es auch kein Zufall, mit welcher Offenheit und Transparenz in den USA das
Engagement wohlhabender Bürger publiziert und diskutiert wird. Dadurch wird ihnen zum
einen Anerkennung zugedacht, zum anderen entsteht dadurch eine Art Wettbewerb im Einsatz
für das Gemeinwohl – den die Gesellschaft durchaus erwartet. In Deutschland ist eine solche
„Einforderungskultur“64 nicht vorhanden, an Reiche und Superreiche wird kein Anspruch
gestellt, einen Teil ihres Vermögens zum Wohl der Gemeinschaft einzubringen – obgleich
man dankbar ist, wenn sie es tun. Ohne Frage gibt es auch in Deutschland eine stattliche Anzahl großzügiger Vermögender, die aus den unterschiedlichsten Motiven heraus große Summen Geld für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. Was sie dennoch vom amerikanischen Konzept der Philanthropie unterscheidet, ist ihre Nicht-Einbettung in gesellschaftliche
Erwartungshaltung. Deutsche Wohltätigkeit ist individueller und nicht im gleichen Maße ein
gesellschaftlicher Akt wie in den USA.65 Thomas W. Gaehtgens grenzt daher europäische
Mäzene von amerikanischen Philanthropen ab.
„Das Mäzenatentum, wie wir es in Europa kennen, und Philanthropy sollten durchaus
unterschieden werden. Mäzenatentum ist eine individuelle Handlung, die aus Überzeugung und Verantwortungsbewusstsein entsteht. Philanthropy ist hingegen ein gesellschaftliches Verhalten, eine Aktivität einer privilegierten Schicht der Gemeinschaft
und nicht die individuelle Einzelleistung eines Mäzens.“66
Die Wurzeln und Ausprägungen der amerikanischen Philanthropie sind in Francie Ostrowers
Studie Why the Wealthy Give eindrücklich dargestellt.67 Die Autorin hat 99 reiche New Yorker Bürger nach ihren philanthropischen Aktivitäten und Motiven befragt. Heraus kamen für
den deutschen Leser verblüffend ehrliche Antworten und spannende Einblicke in das System
der Elitenbildung an der Ostküste. In den Interviews scheint immer wieder die Vielschichtigmir freundlicherweise von Professor Gaehtgens zur Verfügung gestellt. Ich zitiere aus dem Manuskript, hier S. 9.
Der vollständige Text erscheint als Heft 11 in der Reihe WZB-Vorlesungen.
63
Karsten Borgmann. “Kultur des Reichtums. Philanthropy, Wohltätigkeit und Elite in den Vereinigten Staaten
von Amerika“. In: Thomas W. Gaehtgens und Martin Schieder (Hrsg). Mäzenatisches Handeln. Studien zur
Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Fannei und Walz 1998. S. 216 – 234. Hier S. 229.
64
Diesen Begriff entlehne ich dem Gespräch mit Rainer Sprengel (Maecenata Institut): „Wir haben ein Problem
in dem Sinn, dass wir keine selbstverständliche Einforderungskultur haben. Wir sind dann immer schnell in der
Neiddebatte.“
65
Vielleicht ließe sich deshalb sogar argumentieren, dass diese Spenden in gewissem Sinne selbstloser sind – die
Gönner können nicht – wie in den USA – mit zwangsläufiger gesellschaftlicher Anerkennung rechnen, daher
spekulieren sie vermutlich häufig auch gar nicht darauf. Und in der Tat sind viele dieser guten Taten – wie ich in
Gesprächen mit Freunden feststellen konnte – weithin unbekannt.
66
Thomas W. Gaehtgens. Manuskript. S. 10
67
Francie Ostrower. Why the Wealthy Give: The Culture of Elite Philanthropy. Princeton 1995.
20
keit der Motive philanthropischen Handels auf – sie liegen im religiösen, persönlichen, gesellschaftlichen aber auch sozialen Bereich. Die guten Taten der Oberschicht sind – anders in
Deutschland – überall sichtbar, in Museen, Hospitälern und Universitäten:
„Signs of the philanthropic involvement of the wealthy are not hard to find. Buildings,
programs, and even entire institutions are named for the wealthy benefactors. The
playbills of many performing arts organizations offer long lists of their donors. In museums, placards next to works of art identify the men and women by whom they were
donated. Hospital wings and endowed university chairs carry the names of large contributors.”68
Die gute Tat, ihre öffentliche Demonstration und die gesellschaftliche Anerkennung des Handels sind in den USA untrennbar verknüpft. Dabei liegt der Schwerpunkt der amerikanischen
Philanthropie nicht auf sozialen, sondern auf prestigeträchtigen Projekten. Die reichen Spender wollen nicht Ausfallbürge für fehlende staatliche Sozialleistungen sein. „A comparatively
small amount of philanthropy in general is directed to the poor.“69 Der größte Teil der von
Ostrower befragten New Yorker Elite spendete an Bildungseinrichtungen, Museen, Kunstund Kulturprojekte.70 Eine Ausnahme bilden jüdische Philanthropen: Sie stellen ihr Geld weit
öfter als Protestanten für Sozialdienste zur Verfügung. Beiden Gruppen gemein ist trotz unterschiedlicher Zielrichtung des Gebens, dass die Philanthropie eine elitenstrukturierende Funktion besitzt.
Insofern ist die Beschäftigung mit diesem gesellschaftlichen Phänomen zugleich eine Studie der Oberschichtkultur in den USA. Philanthropie, betont Ostrower, findet im Klassenkontext statt, sie erfüllt eine wichtige Funktion innerhalb der Elite, ja an ihr lässt sich Elitenbildung gar studieren. „Philanthropy is an integral and defining element of elite culture (...) It
also provides a case study in the nature and functioning of upper-class-culture in American
society.“71 So ranken sich rund um das philanthropische Engagement zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse und Funktionen: Treffen von Stiftungsräten, Fundraising-Dinner und Abende
inklusive ihrer Organisation, Veranstaltungen, die nur großen Spendern offen stehen – hier
trifft sich und formiert sich die Elite des Landes. Wer dazu gehören will, muss sich engagieren. Daher haben große Spenden sowie das Engagement in angesehenen Organisationen für
die Gebenden immer auch einen integrativen Hintergrund. Sie möchten dazu gehören. Sehr
eindrücklich zeigt sich das in einer Aussage einer Befragten: “I don’t know if people do it out
of an obligation or that’s their way of being part of society. Everybody wants to belong. In our
culture, in our way of doing things, that is the role of the wealthy.”72
Ein Sitz im Aufsichtsrat einer wichtigen Kulturstiftung bringt wichtiges Prestige, und wird
auch deshalb von vielen angestrebt.73 Philanthropie, so sagt ein Befragter, ist der Weg zum
Sozialprestige, um am Wegesrande warten jede Menge wichtige Kontakte. Amerikas Reiche,
so der Eindruck nach der Lektüre, nehmen ihre philanthropischen Aufgaben genauso ernst
wie die Leitung ihres Unternehmens – sie betreiben sie professionell und mit viel Aufwand.
Während der deutsche Vereinsmeier und Ehrenamtliche eher belächelt wird, genießt er in den
USA gesellschaftliches Ansehen. Und das ist wiederum ein wichtiges Argument, sich zu engagieren. „While philanthropy needs money to survive, it needs status to attract money“,74
beschreibt Ostrower den Zirkel.
68
Ebd. S.3.
Ebd. S. 136.
70
Ebd. S. 138.
71
Ebd. S. 6.
72
Ebd. S. 36.
73
„If you move to x and you want to be accepted by the OK people, you break your back to get on board of the
museum.“ S.38
74
S. 68.
69
21
Allerdings ist dieses Prestige stark von der Art der Einrichtung abhängig – und in eben
diesem Punkt liegt aus europäischer Sicht eine Schwachstelle der amerikanischen Philanthropie: Für Amerikas Reiche bringen Spenden und Engagement für Kultur- und Bildungseinrichtungen mehr Prestige als ihr Engagement für eine karitative Sache. Ostrower nennt es eine
„philanthropische Hierarchie“75. Entsprechend führen Spenden für Schulen, Universitäten und
Kultureinrichtungen die Skala an, dann folgen medizinische Einrichtungen und erst an vierter
Stelle soziale Organisationen. Häufig unterstützen Reiche jene Einrichtungen, in denen sie
selbst erzogen wurden und jene Museen und Opern, die sie selbst besuchen – de facto also die
Infrastruktur, die für ihre eigene Klasse wichtig und interessant ist. Einrichtungen für die Unterschicht werden erheblich seltener mit Zuwendungen bedacht. Die Verlagerung der Finanzierung öffentlicher Einrichtungen wie Museen, Theater aber auch Schulen und Universitäten
auf Wohlhabende kann also dazu führen, dass diese ihre eigenen Schwerpunkte setzen – die
natürlich nicht automatisch mit dem Allgemeininteresse kongruent sind.76 Allerdings steht
diese Engagementverteilung durchaus in Einklang mit dem amerikanischen Gesellschaftsbild.
Weder Staat noch Gesellschaft haben in diesem Bild die Aufgabe, ein Auffangnetz für sozial
Schwache zu knüpfen. Der Einzelne selbst muss wieder aufstehen. Spenden an Bildungs- oder
Kultureinrichtungen stärken jedoch die Gesellschaft als Ganzes.
Für die New Yorker Reichen ist, so Ostrower, Geben die Norm, es ist eine moralische
Verpflichtung, die ihre gehobene Stellung in der Gesellschaft von ihnen verlangt. Wer dies
nicht tue, mit dem stimme wohl etwas nicht, gibt eine Befragte zu Protokoll77 – eine Aussage,
die sehr an Carnegies Satz erinnert, wer reich sterbe, sei entehrt. Neben Millionenspenden
sind viele Philanthropen zugleich in zahlreichen Stiftungen aktiv, organisieren Bälle, betreiben Fundraising unter Freunden für ihre Organisation – kurzum, sie verbringen viel Zeit und
häufig viele Jahrzehnten mit und in den Organisationen, in denen sie sich engagieren. Häufig
sitzen sie in den Aufsichtsräten und Kontrollgremien der Stiftungen, der Grad der Identifikation mit der guten Sache ist groß. Und sie bestätigen in ihren Aussagen, dass Philanthropie
nicht in den Genen liegt, sondern der kommenden Generation vermittelt werden muss. „Philanthropy is part of proper upbringing“ 78, Teil einer guten Erziehung. Dieser Aspekt betont
meines Erachtens zu Recht die Bedeutung von Bildung und Erziehung im Punkto gesellschaftlicher Verantwortung. Und er unterlegt die Definition von Philanthropie als gesellschaftlichem Konzept – als Teil der amerikanischen Kultur, die der nächsten Generation vorgelebt und vermittelt wird.
Allerdings können sich Amerikaner vor dieser Verantwortung kaum drücken. Immer wieder beschreiben Befragte in den Gesprächen mit der Autorin, dass sie fortwährend von
Fundraisern kontaktiert werden. Kaum haben sie es zu Geld gebracht, klingelt die alte Schule,
die Universität, das Museum, die Philharmonie, die Gemeinde und Freunde und Bekannte, die
für ihre eigenen Projekte Geld eintreiben. Diesem Druck kann man sich nur schwer entziehen,
höchsten mit dem Argument, bereits für ein Projekt erhebliche Summen gespendet zu haben.
Ein New Yorker drückt es treffend aus: „My obligation to be philanthropic was not something
I was allowed to forget.“79 Die meisten gehen dieser Verpflichtung nach – wie an den Steuererklärungen abzulesen ist. Laut Ostrower haben 94 Prozent jener US-Bürger mit einem Bruttoeinkommen von 100 000 Dollar und mehr gespendet.
Neben moralischen und gesellschaftlichen Antriebsfedern darf beim Thema Philanthropie
ein weiteres Motiv nicht vergessen werden: Wer spendet und stiftet, kann diese Beträge von
der Steuer absetzen. Das verbreitete Misstrauen gegenüber dem Staat in den USA stärkt die
75
S. 95.
Ostrower beschreibt, dass 47,5 Prozent der Interviewten, die eine Privatschule besucht haben, dieser später
etwas gespendet hat, jedoch nur 9,1 Prozent jener, die eine öffentliche Schule besuchten.
76
78
79
Ebd. S, 15.
Ebd. S. 18.
22
Ansicht, jeder Dollar sei besser in einer guten Sache als in der Steuer angelegt und bietet eine
wichtige Motivation zum Spenden und Stiften. Das gilt insbesondere für die Vererbung großer Vermögen. Hier verbinden sich gleich zwei Motivationen zum Stiften. Zum einen sind –
wie bereits an anderer Stelle dargelegt – viele vermögende Amerikaner der Ansicht, dass ihre
Sprösslinge sich ihr eigenes Vermögen erarbeiten sollen, statt sich in das gemachte Nest von
Vater und Mutter zu setzen. Zum anderen sparen die Reichen erhebliche Erbschaftssteuern,
wenn sie ihr Geld für gemeinnützige Zwecke hinterlassen oder eine Stiftung gründen. Sie
haben individuelle Fußstapfen hinterlassen, statt den Moloch Staat zu unterstützen, mit dem
sie sich nicht identifizieren.80 „One thing that donors clearly not want is to see their wealth
pass to government through taxes. Money that goes to government is seen as taken away,
while money donated to philanthropy is seen as money given away.”81 Hier eröffnet sich das
spannungsgeladene Feld zwischen Philanthropie und Staat. Die befragten Vermögenden engagieren sich, weil und damit sich der Staat nicht in diese Felder einmischt. Die beschreiben
es als Horrorvision, der Regierung die Finanzierung aller Kultur- und Bildungseinrichtungen
zu überlassen – denn dieser könne diesen Aufgaben eh nicht gerecht werden.
Auch die Religionszugehörigkeit spielt im philanthropischen Handeln eine bedeutende
Rolle. In Ostrowers Gesprächen geht es dabei aber weniger um eine ethische Antriebsfeder
als viel mehr um Philanthropie als Eintrittskarte in die protestantisch geprägte Welt der USA.
Bis 1980, so die Autorin, wurden Juden in vielen wichtigen Organisationen kaum ein Sitz im
Stiftungsbeirat zugedacht. Das „old boys network“ funktionierte – und die alten Jungs waren
WASP – White Anglo-Saxon Protestants. In der Parallelwelt fand eine hoch entwickelte jüdische Philanthropie statt. Der Jewish Fund erhält jährlich viele Milliarden von amerikanischen
Juden und verteilt sie innerhalb der Glaubensgruppe für vorwiegend soziale Zwecke. Eine
Befragte nannte die Zuwendungen an den Fund eine moralische Pflicht für jeden amerikanischen Juden82, eine Pflicht, der man sich tatsächlich nicht entziehen könne. „You can’t not do
it – they’d kill you. “83 Vielleicht ist auch deshalb das Engagement der amerikanischen Juden
so außergewöhnlich groß. In einer Telefonumfrage unter 2759 philanthropisch aktiven New
Yorkern stellte sich heraus, dass 59,1 Prozent Juden waren, 26,1 Prozent Protestanten und
10,2 Prozent Katholiken. Darüber hinaus spenden Juden die größeren Summen – im Durchschnitt 2,5 Prozent mehr von ihrem Einkommen als Protestanten und Katholiken, und sie
spenden – wie erwähnt – häufiger an soziale Einrichtungen.
Über alle Einflussfaktoren von Religion, Klasse über ethnische Zugehörigkeit lässt sich
über die amerikanische Philanthropie eine Klammer spannen: Sie ist „a social institution“84,
eine gesellschaftliche Institution, die sich aus mehreren Faktoren speist: Individualism, Misstrauen gegenüber dem Staat und seiner Bürokratie, Glaube an private Initiative – darüber hinaus dient sie einer Klassenidentität und einer gesellschaftlichen Identität. US-Bürger sind sich
im Großen und Ganzen einig, dass sie für ihr Land mitverantwortlich sind – und das gilt nicht
nur hinsichtlich von Geldspenden, sondern auch, was persönlichen Einsatz betrifft. Die Spender genießen den Einfluss, den sich durch ihre Großzügigkeit erhalten. Sie möchten die amerikanische Zivilgesellschaft mitgestalten. „Philanthropy (…) is seen as representing some of
the most valuable and even defining elements of American society. Thus, for one woman,
philanthropy is ´the idea of giving and citizen participation – and I think that’s what America’s all about´.”85
Die Gesellschaft als Bürger selbst gestalten und sie nicht vom Staat gestalten lassen – diese Einstellung wird schon von Tocqueville und in den zeitgenössischen Studien von Robert D.
80
Vgl. Ostrower. S. 101 und S. 112.
Ebd.
82
S.56.
83
S. 59.
84
Ostrower. S. 132.
85
Ebd. S. 115.
81
23
Putnam als amerikanische Tugend gepriesen. Putnam betont, dass der Nonprofit-Sektor in den
USA auch deshalb so erfolgreich sei, weil Amerikaner fest glaubten, dass jede private Initiative einer staatlichen überlegen ist. Dieser in den USA verbreitete Gedanke ist vielen Deutschen hingegen sehr suspekt. Die Verlagerung von immer mehr Bereichen von staatlichen in
private Hände wird hierzulande von vielen (man denke nur an die Gewerkschaften) sehr kritisch gesehen.
3.3. Der Einfluss von Stiftungen
Der gesellschaftliche Einfluss, den Philanthropen durch ihre Taten und Gaben erhalten,
wird durchaus auch in den USA kritisch gesehen. Insbesondere die großen Stiftungen stehen
dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zu viel Geld und Einfluss sei in den großen Stiftungen zentriert, lautete der häufigste Vorwurf, der in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhundert immer lauter wurden. Diese seien nur eine Steuersparanlage für reiche Familien. Die großen Stiftungen sahen sich aggressiven Attacken ausgesetzt. Dazu muss man wissen, dass sie
in der Tat über erheblichen politischen Einfluss verfügten und auch heute noch verfügen.
Große Stiftungen vom ultrakonservativen bis zum liberalen Flügel versuchen durch ihre Arbeit beispielsweise die Bevölkerung in ihrer politischen Einstellung zu beeinflussen. Unter
George W. Bush gewannen unter anderem Stiftungen, die konservative Familienwerte predigen, enorm an Einfluss. Die Frage, die bereits in den 60ern heftig diskutiert wurde, rankte sich
um die finanziellen Vorteile, die Unternehmen und Privatpersonen aus Stiftungen zogen.
Nach erhitzter Debatte verabschiedete der Kongress 1969 schließlich den sogenannten „Tax
Reform Act“, der den Stiftungen strenge Auflagen verschrieb. Sie sollten unter anderem verhindern, dass sich Stifter selbst von ihren Stiftungen profitierten.
Rainer Sprengel vom Maecenata Institut erläutert im Gespräch die Änderungen für die
amerikanischen Stiftungen:
ƒ
ƒ
ƒ
Die amerikanischen Stiftungen wurden verpflichtet, sechs Prozent ihres
Stiftungsvermögens jährlich auszugeben, egal ob die Stiftung diese Rendite
erwirtschaftet oder nicht. Tut sie es nicht, wird ihr Kapital zwangläufig
immer kleiner. Dieser Prozentsatz wurde später auf fünf Prozent gesenkt.
„In Deutschland gibt es keine solche Vorgaben“, sagt Sprengel. „Hier ist es
uninteressant, wie effektiv eine Stiftung gemanagt wird. Es gibt nur die
Vorgabe, dass Geld so angelegt werden muss, dass das Stiftungsvermögen
auf Dauer erhalten wird.“86
Es herrscht absolute Transparenzpflicht, sämtliche Zahlen liegen offen, bis
zum Gehalt der Sekretärin. Die Unterlagen sind im Internet einsehbar.
Es darf keine starke Verbindung zum Unternehmen geben. „Das Modell
der Bertelsmann-Stiftung würde es in den USA nicht geben“, sagt Sprengel.
Ein weiterer Meilenstein dieser Auseinandersetzung war die so genannte Filer Commission,
benannt nach ihrem Vorsitzenden John Filer. Die Kommission erstellte 1973 einen ersten umfassenden Bericht über die Tätigkeit und den Einfluss der amerikanischen Stiftungen auf Politik und Wirtschaft. Die Debatte über den Einfluss von Stiftungen auf die amerikanische Demokratie ist seither ist nicht abgerissen und wird sehr kontrovers und lebhaft geführt. Die amerikanische Öffentlichkeit ist sehr wachsam gegenüber möglichem Missbrauch. Anders als
86
Im Gespräch mit der Autorin
24
in Deutschland, wo Kritik an Stiftungen als nicht gesellschaftsfähig gilt und als Teil der Neiddebatte abgetan wird, ist diese in den USA Teil des Stiftungsalltags.
3.4. Der amerikanische Spender – ein offenes Buch
Von Bildungseinrichtungen über Kultur und Gesundheitseinrichtungen. Das Gros der Institutionen in den USA könnte ohne private Zuwendungen nicht überleben. Insofern kommt
dem professionellen Einwerben von Spenden eine besondere Bedeutung zu. Gute Fundraiser
sind das Fundament jeder Einrichtung, die auf Spenden angewiesen ist. Sie klopfen nicht nur
an die Türen der Reichen, vielmehr zeigen sich die meisten US-Bürger offen für Anfragen
und greifen häufig in ihr Portemonnaie.87 So gelang es der amerikanischen Heilsarmee im
vergangen Jahr (2004), Privatspenden in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar einzutreiben. Dahinter folgt die „American Cancer Society“ mit 794 Millionen Dollar – nicht ohne Grund: Die
Organisation hatte zuvor 50 neue Fundraiser eingestellt.88 Allein die 40 größten Wohlfahrtseinrichtungen (charities) erhielten 2002 zusammen 47,1 Milliarden Dollar. Der Chronicle beschreibt, wie die Organisationen es geschafft haben, nach einem Einbruch im Jahr 2002
das Spendenaufkommen wieder deutlich zu steigern: Sie stellten neues Personal ein, modernisierten ihre Strategien und konzentrierten sich auf Großspender und ungewöhnliche Objekte,
wie Immobilien oder geistiges Eigentum.
“Numerous groups expanded their fund-raising staffs so they could become more aggressive in seeking big gifts of cash or stock, as well as bequests and other planned
gifts. Others concentrated on training fund raisers to solicit donors for other lesscommon gifts, such as real estate, stock in family-owned businesses, or intellectual
property. And some organizations stepped up their efforts to seek donations from people they had not previously focused on, such as wealthy women and baby boomers.”89
Wealthy Women – wohlhabende Frauen dabei offensichtlich in den Fokus der Fundraiser
geraten. Am „Indiana University Center on Philanthropy“ existiert ein eigenes Institut für die
Erforschung und Unterstützung weiblicher Philanthropie, das „Women`s Philanthropy Institute“. Es wurde 1997 gegründet und ist – wie die Website etwas pathetisch formuliert –
„dedicated to the mission of inspiring, educating and encouraging women to effect change in
the world through philanthropy“.90 Das Institut und weitere Organisationen, die sich auf Frauen und Philanthropie spezialisieren, tragen der Entwicklung Rechnung, dass Frauen in den
nächsten Jahrzehnten viele Billionen Dollar spenden und vererben werden. Dabei handelt es
sich entweder um Geld, das ihnen ihre Ehemänner vermacht haben, immer häufiger jedoch
über selbst erworbenes Vermögen. Daher sind eine wichtige neue Zielgruppe der Fundraiser
erfolgreiche Geschäftsfrauen, die etwas in der Welt bewegen wollen. Auf der Homepage des
„Women`s Philanthropy Institute“ ist zu lesen, dass bereits 1998 fast 39 Prozent der reichsten
Bürger weiblich waren, sie verfügten über 4,2 Billionen Dollar. Jede elfte Frau in den USA
startet ihr eigenes Unternehmen, und ihre Firmen wachsen 1,5 bis zwei Mal so schnell wie der
Durchschnitt. Und sie sind – wir Männer auch – durchaus bereit, die Gesellschaft durch großzügige Spenden zu unterstützen. Ein prominentes Beispiel ist die bekannte Talkmasterin und
Autorin Oprah Winfrey, sie hat bisher 100 Millionen Dollar gespendet und eine eigene Stif-
87
Umso erstaunlicher ist es, dass in Deutschland das wichtige Thema selbst in großen Organisationen häufig
quasi nebenbei erledigt wird.
88
“Giving Slowly Rebounds”. In: The Chronicle of Philanthropy. Online Text aus der Print Ausgabe vom
28.10.2004 http://philanthropy.com/premium/articles/v17/i02/02002601.htm.
89
Ebd.
90
Zitiert von der homepage des Instituts: www.women-philanthropy.org
25
tung gegründet.91 Francie Ostrower weist darauf hin, dass Frauen doppelt so häufig für soziale
Organisationen spenden wie Männer, die eher in den Bereich Bildung und Kultur investieren.92
„This is a generation of women who don’t have to ask anyone’s permission to make philanthropic decisions“, sagt Kam Kelly, Direktorin of „Planned Giving“ am renommierten
Smith College in Massachusetts.93 Kelly spricht von einem “historic-shift moment”, einem
Wendepunkt im Umgang mit weiblichen Philanthropen. Und der Wissenschaftler Thomas J.
Stanley hat diesen „Millionaire Women Next Door“ sogar ein Buch gewidmet. Er hat 233
self-made Millionärinnen über ihr gesellschaftliches Engagement befragt. Heraus kam, dass
Frauen weit seltener als ihre männlichen Kollegen in Stiftungsräte gebeten wurden. Dabei
seien sie, so der Autor, durchaus bereit, Verantwortung in Non-Profit-Organisationen zu übernehmen – und auch ihr Geld einzubringen. Die Organisationen der philanthropischen Welt
müssen diesen Frauen also in Zukunft jene Plattform bieten, die auch Männer seit langem in
der Wohltätigkeit finden: Tue Gutes – auch für Deinen Ruf. Je wichtiger Frauen in der Geschäftswelt werden, desto stärker wird auch diese Motivation, öffentlich als Philanthropen
sichtbar zu sein.
Amerikanische Fundraiser sind Vollprofis und kennen ihre Zielgruppen sehr genau. Sie
können für ihre Arbeit auf zahlreiche Studien über das Spendenverhalten der US-Bevölkerung
zurückgreifen. Kaum eine Frage bleibt dort ausgespart, und die Ergebnisse werden regelmäßig in den Fachmagazinen veröffentlicht. Welchen Einfluss haben Geschlecht, Religion und
ethnische Zugehörigkeit? In welcher Region zeigen sich die Menschen am spendabelsten? Für
welche Zwecke spenden sie besonders gern? So sind die regionalen Unterschiede im Spendenverhalten erstaunlich. Bei der Untersuchung des Chronicle stellte sich heraus, dass die
großzügigsten Spender unter allen Amerikanern, die mehr als 50 000 Dollar jährlich verdienen, in Detroit sitzen. Sie gaben 12,5 Prozent ihres verfügbaren Jahreseinkommens für gute
Zwecke (einschließlich der Kirchen). In New York waren es noch 10,9 Prozent, in Miami
hingegen nur 4,6 Prozent. Dabei fanden die Statistiker noch ein weiteres interessantes Ergebnis: Schwarze geben 25 Prozent mehr ihres Einkommens für wohltätige Zwecke und ihre Kirchen als Weiße. Das heißt nicht, dass Schwarze generell großzügiger sind, aber sie sind es
gegenüber ihrer Kirche, während weiße US-Bürger eher Kultur- und Bildungseinrichtungen
großzügig unterstützen. So ergab die Auswertung von Steuererklärungen, dass die Bewohner
des religiösen amerikanischen Südens zwar sieben Prozent ihres Jahreseinkommens spenden,
jedoch fast alle Zuwendungen an religiöse Einrichtungen gehen. Nur ein Prozent des Geldes
wurde für säkulare Zwecke gespendet. Im religionsferneren Osten des Kontinents werden nur
2,7 Prozent des Einkommens an Kirchen und von ihnen geführten Wohlfahrsteinrichtungen
gespendet.
Derweil sind Fundraiser zuversichtlich, dass die Geldquellen nicht so schnell versiegen.
Nach Schätzungen werden zwischen 1998 und 2052 allein in den USA 41 Billionen US Dollar an die nächste Generation vermacht. Dass der Geist des Gebens nicht nachlässt, dafür sorgen auch die amerikanischen Bildungseinrichtungen. Der Dienst an der Gesellschaft ist Teil
des amerikanischen Lehrplans und wird auch in den Familien vorgelebt. Eine Studie an der
University of Indiana ergab, dass die Teilnahme an Aktivitäten außerhalb des Stundenplans
Kinder später für gesellschaftliches Engagement empfänglicher macht. Selbst dann, wenn die
Kinder aus Schichten kommen, die ansonsten weniger für den Dienst an der Gesellschaft of91
Siehe dazu auch Holly Hall. “Power of the Purse. Self-made women are making their mark on philanthropy”.
In: The Chronicle of Philanthropy. Online-Ausgabe der Ausgabe vom 17.Februar 2005.
(http://philanthropy.com/free/articles/v17/i09/09000701.htm). In Deutschland hat sich Marita Haibach besonders
in der Erforschung weiblicher Philanthropie hervorgetan. Die professionelle Fundraiserin hat nicht nur Standardwerke zum Thema Fundraising verfasst, sondern auch das Erbinnen-Netzwerk Pecunia mit ins Leben gerufen.
92
Ostrower. S. 72.
93
Ebd.
26
fen sind – wie solche mit niedrigem Einkommen. Als Konsequenz empfiehlt die Studie, möglichst früh mir dem Training von „civic engagement“, also bürgerschaftlichem Engagement,
zu beginnen. Bücher geben darüber hinaus Tipps, wie der Philanthropie-Gedanke an die
nächste Generation vermittelt werden kann.94 Philanthropie, so ist den Beteiligten klar, liegt
weder in den Genen noch ist es ein Selbstläufer, sondern ist ein Wert, der gepflegt und gefördert werden muss
3.5. Die Kirche als Schule der Philanthropie
Viele Amerikaner „üben“ zuallererst in ihren Gemeinden philanthropisches Verhalten. Da
sich – anders als in Deutschland – die amerikanischen Kirchengemeinden ausschließlich
durch Spenden finanzieren, und zudem die Bindung an ihre Kirche bei den meisten USBürgern ausgeprägter ist als in Europa, sind regelmäßige finanzielle Zuwendungen an die
Gemeinde quasi eine Selbstverständlichkeit. Der gespendete Betrag mag in vielen Fällen weit
unter jenem liegen, den deutsche Angestellte automatisch als Kirchensteuer von ihrem Lohn
abgezogen bekommen. Dadurch, dass die direkte Gabe an die eigene Gemeinde ein bewusster
Akt ist, wird mit ihm jedoch von Kindesbeinen an auch ein Stück Spendenkultur geübt. In der
Philanthropie gegenüber ihrer Kirche lernen Amerikaner zu Geben, und sie begreifen früh,
dass wichtige gesellschaftliche Institutionen auf ihre Unterstützung angewiesen sind.
Was für den religiösen Amerikaner eine moralische Verpflichtung und ein Bedürfnis ist –
nämlich die Spende an seine Gemeinden – ist für Deutsche, die Mitglieder in der protestantischen oder katholischen Kirche sind, unvermeidbar. Die Kirchensteuer ist in Deutschland für
Kirchenmitglieder mit eigenem Einkommen obligatorisch und wird von den Finanzbehörden
der Bundesländer eingezogen. Die monetäre Beziehung zwischen Geber und Nehmer ist vollkommen entpersonalisiert.95 Von Freiwilligkeit kann da eigentlich keine Rede sein, als Alternative bleibt nur der Kirchenaustritt, vor dem viele Christen zurückschrecken.
Dennoch muss die Gesamtsumme der Kirchensteuer eigentlich in einen Vergleich des
deutschen und amerikanischen Spendenvolumens eingehen. In Deutschland nahmen im Jahr
2003 die katholische Kirche 4 012 489 000 Euro und die Evangelische Kirche 4 499 433 000
Euro Kirchensteuer ein.96 Wenn man diese rund 8,5 Milliarden Euro Kirchensteuer zu dem
erwähnten durchschnittlichen Spendenbetrag der Deutschen (rund 10 Milliarden Euro) addiert, erhöht sich die gesamte Spendensumme in Deutschland auf 18,5 Milliarden Euro pro
Jahr. Sie reicht damit dennoch bei weitem nicht an das Spendenvolumen in den USA von
248,5 Milliarden im Jahr 200497 heran. Verdreifacht man die deutschen Spenden (und Kirchensteuern) gemäß der rund dreimal so großen Bevölkerung in den USA kommt man auf
45,5 Milliarden Euro – immerhin gut ein Fünftel der amerikanischen Summe. Diese Zahlenspielerei soll nur eins zeigen: Die deutschen Kirchensteuern machen einen erheblichen Anteil
der deutschen Zuwendungen aus und sollten in den Rechnungen nicht vergessen werden, sie
ändern aber nichts an dem frappierenden Unterschied im Spendenaufkommen zwischen
Deutschland und den USA.98
94
Z.B. Richard J. Bentley. The Roots of Giving and Serving. A Literature Review Studying how School-Age
Children Learn the Philanthropic Tradition. Indiana University Center on Philanthropie 1996.
95
Die Kirchensteuer ist an die Lohn- und Einkommensteuer gekoppelt und beträgt in Bayern und BadenWürttemberg acht Prozent, in allen anderen Bundesländern neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer.
96
Quelle: www.kirchensteuer de. Auf der website finden sich interessante Zahlen und Hintergründe zur Kirchensteuer. Zusätzlich zu diesen Summen erhalten die Kirchen jährlich rund 14 Milliarden Euro staatliche Gelder für
Religionsunterricht, Seelsorge etc.
97
Diese Zahl nennt der Bericht Giving USA 2005, den das „Center on Philanthropy“ der Indiana University
jährlich publiziert.
98
Zudem bleibt die Frage offen, wie viel Geld die Deutschen an ihre Gemeinden abführen würden, wenn sie
nicht dazu verpflichtet werden.
27
Ob die Spenden an Kirchen überhaupt in die Spendenstatistik gehören (in Deutschland
sind sie wie erläutert ja auch kein Teil) ist in den USA umstritten. Der Chronicle zitiert einen
Professor der Indiana University: „One could say that all religious giving is voluntary, but
many people feel some compulsion to give to their church that is not driven by philanthropy.
“99 Eine Zwangspende – so seine Argumentation – ist eigentlich keine Spende mehr. Also
könnte man auch in beiden Ländern Zuwendungen an religiöse Gemeinschaften aus der Statistik herausrechnen. In Deutschland wäre man damit wieder auf den zehn Milliarden Euro,
die als offizielle Spendensumme genannt werden. In den USA würde sich die Gesamtsumme
der Spenden von offiziell 248,5 Milliarden Dollar (2004) um 88,3 Milliarden Dollar reduzieren. Dieser hohe Betrag wurde laut Giving USA im Jahr 2004 an religiöse Organisationen gespendet.100 Ein Drittel des gesamten Spendenaufkommens geht danach an die Gemeinden –
eine Zahl, die die tiefen religiösen Bindungen der US-Bürger unterstreicht. Auch Francie Ostrower betont den hohen Anteil von Spenden an die Kirchen: “A great deal of philanthropic
giving by individuals in the United States goes to churches.”101 David Hammack weist darauf
hin, dass Mitte des 20. Jahrhundert sogar rund 50 Prozent des gespendeten Geldes an die Gemeinden floss.
Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass mit diesem Geld zahlreiche soziale
Projekt finanziert wurden und werden: Die Spenden fließen also nur zum Teil in die direkte
Gemeindearbeit, es wurden und werden damit jüdische, katholische und protestantische Schulen und Krankenhäuser gebaut, so dass eine Unterscheidung in religiöse und soziale Zuwendungen in den USA nicht leicht zu treffen ist. Die Kirche ist in vielen Fällen nicht das eigentliche Ziel der Spende, sondern der Kanal, der das Geld dann allerdings durchaus unter konfessionellen Kriterien weiterverwendet. „Working usually within the framework of the religious
institutions, members of many immigrant groups used their donations to advance cultural and
national aims.”102
3.6. Volunteering – Engagement als Lernprozess
Neben regelmäßigen Spenden zieht sich auch die freiwillige Arbeit für die Gemeinschaft
wie ein roter Faden durch viele amerikanische Biographien. Volunteer zu sein, das wird von
vielen Eltern vorgelebt, in der Schule geübt, und gehört spätestens an der Universität zum
guten Ton. Holger Backhaus-Maul beschreibt bürgerschaftliches Engagement in den USA
„als eine kulturelle Selbstverständlichkeit, die auf Gegenseitigkeit beruht und nicht als eine
lästige staatsbürgerliche Verpflichtung aufgefasst wird“. Er führt dies auch darauf zurück,
dass die in Deutschland traditionell eher strikte Trennung zwischen öffentlicher und privater
Sphäre in den USA weniger stark ausgeprägt sei. Sich in den lokalen „communities“, wie
Nachbarschaften und Schulen, zu engagieren sei ein „selbstverständlicher und integraler Bestandteil des Familienlebens“.103 Backhaus-Maul zitiert eine Gallup-Studie aus dem Jahr
1998: Danach sind 56 Prozent aller über 18-jährigen US-Amerikaner/innen bürgerschaftlich
engagiert. Das sind immerhin 109 Millionen US-Bürger. Etwa 59 Prozent der Jugendlichen
leisten Freiwilligenarbeit, und zwar durchschnittlich 3,5 Stunden in der Woche. 35 Prozent
der amerikanischen Haushalte gaben an, dass Engagement Teil ihres Familienlebens sei. „Als
Kerngruppe des Bürgerschaftlichen Engagements gelten Familien mit Kindern im schulpflich99
S. Fußnote 12
Nach Abzug für kirchliche Einrichtungen lägen die amerikanische Spendensumme jedoch immer noch bei
rund 160 Milliarden US-Dollar. 31,6 Milliarden davon gingen an Bildungseinrichtungen (Schulen, Colleges,
Universitäten etc) und 20,8 Milliarden Dollar an Gesundheitseinrichtungen. David C. Hammack. “Patronage and
the Great Institutions of U.S. Cities of the United States: Questions and Evidence, 1800-2000”. In: Thomas
Adam 2004. S. 79-100. Hier S. 86.
101
Ostrower. S. 98.
102
Hammack. S. 89.
103
Ebd. S. 90.
100
28
tigen Alter, Erwerbstätige, deren Arbeitszeit relativ flexibel gestaltbar ist, sowie auch ältere,
nicht mehr erwerbstätige Menschen.“104 Auffallend ist: Wer sich engagiert, spendet auch besonders viel. Spenden und Engagement sind also für viele keine Alternativen, sondern ergänzen sich in den Biographien. Engagierte spenden im Durchschnitt 2,5 Mal so viel wie nicht
Engagierte.
Auf diese Gallup-Umfrage stützt sich auch ein interessanter Beitrag von Marilyn W.
Smith, die in einem Band der Enquete-Kommission das Engagement an den staatlichen Schulen in den USA beschreibt.105 Diese haben zahlreiche Partnerschaften mit Gemeinden und
Unternehmen etabliert, in diesen Kooperationen lernen die Schüler in Programmen freiwilliges Engagement außerhalb der Schule. Umgekehrt kommen Angestellte der Firmen in die
Schulen und helfen den Schülern als Mentoren. Kurzum: Die Schule wird nicht als Mikrokosmos, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Netzwerks verstanden, dessen Fäden es früh
zu knüpfen gilt.
Der Staat wiederum fördert das Engagement durch bundesweite – sehr populäre Programme. In der „Corporation for National Service“, einem unabhängigen staatlichen Dienst,
sind drei bundesweite Programme zusammengefasst, in denen Amerikaner aller Altersgruppen auf kommunaler Ebene bürgerschaftlich aktiv werden können. Smith nennt beispielhaft
das Programm „AmeriCorps“, das jährlich 40 000 Freiwilligen eine Aufgabe in der Kommune
vermittelt. „Mitglieder von AmeriCorps unterstützen Kinder beim Lesenlernen, helfen Wohngebiete sicherer zu machen, investieren in sozialen Wohnungsbau und leisten Unterstützung
bei Naturkatastrophen mit über 1000 Umweltprojekten.“106
Was das amerikanische volunteering vom deutschen unterscheidet, ist auch erneut auf
struktureller Ebene zu sehen: Auch in Deutschland sind Kinder und Jugendliche aktiv, in Vereinen oder beim DRK, um nur zwei Felder zu nennen. In den USA bekommen sie dafür aber
eine Anerkennung, die sie auch weiterbringt. So erhalten Freiwillige des AmeriCorps am Ende ihres Einsatzes Bildungsgutscheine, um damit College-Gebühren zu finanzieren oder um
Schüler-Stipendien zurückzuzahlen. Das, und das Wissen, dass Unternehmen dem sozialen
Engagement von Bewerbern einen hohen Stellenwert einräumen, sind in der Tat motivierende
Faktoren, die es in Deutschland auf beiden Ebenen noch nicht so gibt. Sie sind allerdings in
der Diskussion.
Amerikaner scheinen davon auszugehen, dass die Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement vermittelt und vorgelebt werden muss. „Service-Learning“ – also wörtlich übersetzt
„das Lernen des Dienens“ – steht seit zwei Jahrzehnten auf dem Lehrplan vieler amerikanischer Schulen. Es soll zum einen eine zivilgesellschaftliche Mentalität fördern, aber auch die
persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler unterstützen. Marilyn Smith nennt
unter anderem folgende Definitionen des Service-Learning-Programms:
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
104
Service-Learning ist eine Methode, bei der Schüler durch die Teilnahme an
sorgfältig organisierten Aktivitäten im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements in ihren Gemeinden Kompetenzen erlangen können.
Diese Aktivitäten werden durch allgemeinbildende und weiterführende
Schulen sowie durch die Kommunen koordiniert.
Service-Learning fördert das bürgerschaftliche Bewusstein.
Service-Learning bietet Schülern und anderen Teilnehmern die Möglichkeit, Erfahrungen in der Freiwilligenarbeit zu sammeln und über die Erfahrungen zu reflektieren.
Holger Backhaus-Maul. „Engagementförderung durch Unternehmen in den USA.“. S. 89.
Marilyn W. Smith. „Bürgerschaftliches Engagement in den staatlichen Schulen der Vereinigten Staaten von
Amerika“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 3: Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat. Opladen 2003. S. 249-286.
106
Ebd. S. 265.
105
29
Der Erfolg des Programms ist beeindruckend. In allen 50 Bundesstaaten existieren diese Programme an nahezu der Hälfte aller High Schools107, 1997 (neuere Zahlen sind nicht verfügbar) nahmen 12,76 Millionen Schüler daran teil, mit steigender Tendenz. In Maryland ist die
Teilnahme seit 1993 Pflicht. Die Teilnehmer sammeln in zahlreichen kommunalen Einrichtungen Erfahrungen: in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Parkanlagen, Freizeiteinrichtungen und Schulen, wo sie beispielsweise schwächere Schüler unterstützen. Zugleich, so
zeigen wissenschaftliche Auswertungen des Programms, erhöhte sich die soziale Kompetenz
der Teilnehmer. In den teilnehmenden Schulen sank die Quote der Schulabbrecher, zugleich
stiegen der Zensurendurchschnitt und damit die Bildungschancen.
Smith nennt zahlreiche weitere Beispiele für Programme, die versuchen, Jugendliche an
ihre gesellschaftliche Verantwortung heranzuführen, unter ihnen „Youth Service America“,
„The National Youth Leadership Council“ und das Programm „Learn and Serve America“.
Dass sie nicht alle amerikanischen Jugendlichen zu „guten Staatbürgern“ erziehen können,
liegt auf der Hand und wird durch die Realität bezeugt. Die Programme spiegeln aber zumindest die Einsicht, dass gesellschaftliches Engagement ein Lernprozess ist, der Unterstützung
bedarf. Durch die Ansiedlung in den Schulen wird dieser Lernprozess aus den familiären
Strukturen gelöst. Wer zuhause keine Vorbilder in diesem Punkt findet, der findet sie in der
Schule. Von dieser Idee und seiner Durchführung, denke ich, könnte sich das deutsche Bildungssystem einiges abschauen.
3.7. Das Unternehmen als Bürger – Corporate Citizenship
Im Konzept der amerikanischen Bürgergesellschaft kommt auch den Unternehmen eine
tragende gesellschaftliche Rolle zu. Aus der liberalen angelsächsischen Tradition heraus sind
sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch bürgerschaftliche Akteure. Sie sind „Corporate
Citizens“, die ihre Gesellschaft mit gestalten und auch Verantwortung für sie übernehmen.
Hier zeigen sich auffällige Parallelen zur Philanthropie der amerikanischen Elite: Sie entspringt einem gesellschaftspolitischen Kontext, in dem der bewusst schwache Staat den einzelnen Akteuren – seien es Bürger, Unternehmen oder Organisationen – Freiräume bietet und
im Gegenzug dafür Engagement erwartet. So wird auch an US-Unternehmen, die im Vergleich zu Deutschland in einem wirtschaftsliberaleren Umfeld agieren, der gesellschaftliche
Anspruch gestellt, sich bürgerschaftlich zu engagieren. Zugleich gehört es für viele Konzerne
zu ihrem Selbstverständnis, in der community, in der ihre Angestellten und Kunden leben, als
Corporate Citizen in Erscheinung zu treten. Corporate Citizenship findet häufig in einem
Netzwerk aus Unternehmen, Kommunen, Schulen und Non-Profit-Organisationen statt. Das
Konzept unterscheidet sich vom reinen Spenden, wie es viele deutsche Unternehmen praktizieren. Vielmehr impliziert es die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung.
Definitorisch umfasst der Begriff des Corporate Citizenships (CC) zwei Bereiche: Zum
einen spenden Unternehmen Geld an gemeinnützige Organisationen und für Projekte, was als
Corporate Giving (CG) bezeichnet wird. Viele Experten fassen auch Sponsoring unter CG,
meines Erachtens gehört es jedoch nicht dazu, da Unternehmen hierfür vertraglich eine Gegenleistung zugesichert bekommen – wie Werbung um Umfeld einer Veranstaltung. 108
Daneben hat sich in der vergangenen 20 Jahren eine andere Art gesellschaftlichen Engagements von Seiten der Wirtschaft entwickelt: Sie unterstützen die Freiwilligenarbeit ihrer Angestellten, indem sie diese für gemeinnützige Aufgaben frei stellen oder an Non-ProfitOrganisationen ausleihen, um diesen kostenlos Experten-Know-how zur Verfügung zu stellen. In diesen Fällen spricht man von Corporate Volunteering (CV). So „verleiht“ Boing in
107
108
Ebd. S. 274.
Nicht ohne Grund behandelt daher das deutsche Steuerrecht Ausgaben für Sponsoring anders als Spenden.
30
Seattle beispielsweise hochrangige Manager zur Unterstützung an Non-Profit-Organisationen.
Viele Unternehmen stocken auch Mitarbeiterspenden um den zwei- oder dreifachen Betrag
auf. 1999 gaben 81 Prozent der befragten amerikanischen Unternehmen an, das ehrenamtliche
Engagement ihrer Mitarbeiter zur unterstützen.109 Dabei verbinden sich bürgerschaftliches
und unternehmerisches Engagement. Dieses Modell wird mittlerweile auch von amerikanischen Unternehmen in Deutschland praktiziert, wie bei Ford. Es hat den Vorteil, dass es die
Angestellten direkt mit einbezieht. In Deutschland wird der Begriff des Corporate Citizenship
gerne auf jenen der Corporate Social Responsibility (CSR) ausgeweitet. Er geht weiter als
der Bürger-Gedanke und umfasst die Verantwortung der Unternehmen im Sozialstaat.110
Das Konzept des Corporate Citizenship ist auch in den USA noch relativ jung. Holger
Backhaus-Maul, der zahlreiche Texte zu diesem Thema veröffentlicht hat, macht die Anfänge
unternehmerischen Engagements in der Präsidentschaft Jimmy Carters (1977-1981) fest. Dieser habe die Partnerschaft zwischen Unternehmen und Non-Profit-Organisationen stark befördert.
Corporate Citizenship muss und soll nicht selbstlos sein. Dass Unternehmen sich auch engagieren, um ihr Ansehen in der Gesellschaft zu erhöhen, ist nicht verwerflich. Es ist vielmehr
völlig legitim, dass sie sich von ihrem gesellschaftsbezogenen Engagement einen Imagegewinn versprechen. Kaevan Gazdar und Klaus Rainer Kirchhoff beschreiben diese Haltung
treffend als „aufgeklärtes Eigeninteresse, das das Fundament der Zivilgesellschaft bildet“111.
Interessant ist jedoch, dass die größten gesellschaftlichen Wohltäter sich zuweilen im Geschäftsleben und als Arbeitgeber als knallharte und zuweilen skrupellose Unternehmer zeigen.
Das gilt für die Vergangenheit wie für die Gegenwart gleichermaßen. Die Autoren nennen in
ihrer interessanten Studie über „Unternehmerische Wohltaten“112 Beispiele:
„Carnegie, Vanderbilt, Rockefeller wie auch später Ford durchliefen zwei Grundphasen:
Zuerst wurde das Geld rücksichtslos gescheffelt, dann fürsorglich verteilt. Erst der unternehmerische Erfolg im Zeichen weitgehend freier Markbedingungen bildet die Grundlage
für die empfundene Pflicht zum Stiften. Dazu passt, dass die großzügigen Spender ausgesprochen geizig und engstirnig bei der Behandlung ihrer Mitarbeiter vorgingen.“
Dieses Muster lässt sich zuweilen auch in der Gegenwart finden. Zum Beispiel beim Einzelhandelsriesen Wal-Mart. Wal-Mart wurde 1999 zum Corporate Citizen Nr. 1 in den USA gewählt und engagiert sich auf vielfältige Weise in den Gemeinden, in denen seine Filialen stehen. Zugleich steht Wal-Mart in beständigem Konflikt mit den Gewerkschaften, kämpft gegen
lokale Bürgerinitiativen mit harten Bandagen für neue Standorte und ist lauter Kritik wegen
der schlechten Bedingungen für die Angestellten ausgesetzt. Auch Bill Gates steht in dem
Ruf, im Geschäftsleben nicht zimperlich zu sein.
Hier muss jedoch eine Differenzierung eingefügt werden: Carnegie, Vanderbilt, Rockefeller und Ford haben sich – wie Bill Gates – nicht als Corporate Citizens, sondern als Philanthropen profiliert. Das heißt, ihre Wohltaten fanden nicht – wie heute bei Wal-Mart oder Ford –
im Rahmen ihres Unternehmens statt, sondern gingen von ihnen als Privatpersonen aus. So
wird die Bill und Melinda Gates Stiftung aus dem Privatvermögen von Bills Gates gespeist
und gehört im eigentlichen Sinn nicht zum Corporate Citizenship. Der Konzern Microsoft
engagiert sich darüber hinaus jährlich mit vielen Millionen Dollar in den unterschiedlichsten
Programmen.
109
Holger Backhaus-Maul. „Engagementförderung durch Unternehmen in den USA.“. S. 95.
Siehe auch Thomas Olk. „Unternehmen in der Zivilgesellschaft – eine neue Rolle?“. Der Text findet sich auf
der homepage des „Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement“ (www.b-b-e.de). Professor Thomas Kolk
ist Vorsitzender des Sprecherrats des BBE.
111
Ebd. S. 259.
112
Ebd.
110
31
Aus amerikanischer Sicht ist das beschriebene Verhalten reicher Unternehmer zwischen
Sozialdarwinismus und Philanthropie durchaus legitim. Sie sind erfolgreiche Geschäftsmänner, eben weil sie eine Härte gegenüber Angestellten und Konkurrenten zeigen. Die Gesellschaft erwartet von ihnen nicht, als Unternehmer gegenüber den Angestellten als Wohltäter in
Erscheinung zu treten. Doch als Gesamtunternehmen besitzen sie gegenüber der Gesellschaft
eine gewisse Verpflichtung – entweder, indem das Unternehmen als vorbildlicher Corporate
Citizen in Erscheinung tritt (wie bei Wal-Mart) oder indem die Eigentümer sich als Philanthropen betätigen (wie Bill Gates).
An dieser Stelle seien einige weitere Beispiele für Corporate Citizenship genannt: Der
Pharma Konzern Merck gab im Jahr 2003 843 Millionen Dollar in Form von Spenden und
Produkten, seine Konkurrenten Pfizer und Bristol Myers Squibb kamen auf je über 600 Millionen Dollar. Microsoft unterstützte gemeinnützige Einrichtungen mit 264 Millionen Dollar
(häufig in Form von Software), Wal-Mart gab 143,4 Millionen, Exxon 103, die Bank of America stellt 15 Millionen Euro für ihre „Neighborhood Excellence Initiative“ zur Verfügung.
Das Geld geht an Bürger und Organisationen, die das Leben in ihren Stadtvierteln verbessern
– zum Beispiel durch Bildungs- und Anti- Gewalt Programme.113
Dabei wissen die Unternehmen, dass sie mit ihrem Engagement auf vielen Ebenen gewinnen: zum einen demonstrieren sie, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen, sie verbessern ihren Ruf – aber sie verbessern auch das Arbeitsklima. Stefan Nährlich
zitiert eine amerikanische Studie, nach der 87 Prozent der befragten Angestellten von 3000
Unternehmen äußerten, dass sie eine größere Loyalität gegenüber ihren Unternehmen empfänden, wenn sich diese für eine gute Sache einsetzten.114 Zugleich bestätigten die gesellschaftlich aktiven Unternehmen, dass sich die Fähigkeit zur Teamarbeit unter ihren Mitarbeitern erhöht habe.
Die Grenze von Corporate Citizenship zu Eigen-PR und Sponsoring ist allerdings dünn.
Holger Backhaus Maul nennt als Negativbeispiele den Lebensmittelproduzenten Quaker Oats,
der während ehrenamtlicher Aktionen seiner Angestellten Zettel mit Produkthinweisen verteilt. Wenig überzeugend als Corporate Citizen zeigt sich auch die Kaffeekette Starbucks: Sie
sammelt in ihren Filialen von ihren Kunden Geld, das das Unternehmen anschließend öffentlichkeitswirksam als Starbucks-Spende überreicht. Und auch Coca Cola nutzte seine Unterstützung für Bildungseinrichtungen, indem es Universitäten verpflichtete, auf dem Campus
keinen andere Cola als Coca Cola zu verkaufen.115 Hier bedarf es einer wachen Zivilgesellschaft, die sich gegen die offensichtlichen Einflussnahmen oder den Missbrauch des Corporate Citizenship Gedankens wehrt.
113
Ian Wilhelm. „Big Business Doing more for charity“. In: Online Ausgabe des Chronicle of Philanthropy vom
20.1.2005. (www.philanthropy.com/premium/articels/v16/i20/200000701.htm)
114
Stefan Nährlich. „Unternehmer fördern Bürgerengagement“. In: Holger Backhaus-Maul und Hasso Brühl
(Hrsg.). Bürgergesellschaft und Wirtschaft – zur neuen Rolle von Bürgern, Verwaltungen und Unternehmen.
Berlin 2003.
115
Kaevan Gazdar und Klaus Rainer Kirchhoff. Unternehmerische Wohltaten: Last oder Lust? München 2004.
S. 51.
32
4. Die Wurzeln bürgerschaftlichen Engagements in
Deutschland
4.1. „Philanthropie ist eine deutsche Erfindung“
Wie die amerikanische Philanthropie steht auch das deutsche Pendant116 in einer Tradition
und ist eingebunden in gesellschaftliche und politische Strukturen und Erwartungen. Diese
sind jedoch weit weniger erforscht als in den USA. Zeitgenössische Philanthropie als gesellschaftliches Phänomen findet in der deutschen Forschungslandschaft bis auf wenige Ausnahmen wenig Beachtung. Der Blick geht eher zurück in die Geschichte der deutschen Mäzene
und auf den Stiftungsboom im wilhelminischen Deutschland. Die Studien werfen ein interessantes Licht auf die vergangene Hochzeit der deutschen Philanthropie und Stiftungskultur.
Allerorts wird derzeit deklariert, Deutschland erlebe einen Stiftungsboom. Das mag sein,
doch die angeführten Zahlen beziehen sich meist auf die Entwicklung der vergangenen 20
Jahre. Wissenschaftler wie Jürgen Kocka weisen jedoch darauf hin, dass es heute in Deutschland mit 18 000 zwar dreimal so viele Stiftungen gibt wie in den 80er Jahren , aber – und das
scheint ebenso interessant immer noch deutlich weniger als 1900. Damals lag ihre Zahl bei
rund 100 000, in der Gründerzeit erlebte Deutschland seinen eigentlichen Stiftungsboom.
Worin ist der dieser Schwund begründet? Wer sich diese Frage stellt, stößt auf eine interessante Entdeckung: Philanthropie war Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
fester Bestandteil der bürgerlichen Kultur, bis sie die politischen Verhältnisse zum Einbruch
brachten. Von dieser Zäsur hat sich die deutsche Philanthropie bis heute nicht erholt, der Staat
löste sie in vielen Bereichen ab. Jenseits des Atlantiks wurde sie hingegen zum gesellschaftsgestaltenden Faktor.
Thomas Adam, der die philanthropische Tradition in Deutschland, Großbritannien und den
USA untersucht hat, sieht das Engagement deutscher Mäzene im 19. Jahrhundert sogar als
Vorbild für amerikanische Philanthropen.117 Er widerspricht damit der verbreiteten Ansicht,
dass Philanthropie eine amerikanische Erfindung sei. „Philanthropy is a European, not an
American invention. “118 Als Beweis führt er an, dass im 19. Jahrhundert in Deutschland
durch privates Engagement und Geld zahlreiche Konzerthäuser, Museen und soziale Projekte
entstanden. Adam beschreibt, wie sich reiche amerikanische und kanadische Bürger in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Bildungsreise nach Europa begaben, anschließend begeistert von dem Engagement des deutschen Bürgertums berichteten und selbst zum Vorbild
ihrer eigenen Aktivitäten machten. Wer weiß heute schon, dass das Metropolitan Museum of
Art in New York nach Vorbildern in Leipzig, Gotha und Berlin geplant und umgesetzt wurde.119
In Deutschland blühte in der Gründerzeit das bürgerliche Engagement für Kultur und Wissenschaft. So wurde das bekannte Leipziger Gewandhaus-Orchester von Leipzigs Oberschicht
gegründet, finanziert und betrieben. Viele Museen und Kunstgalerien gehen auf private Initiative zurück, auch wenn der Staat sie schon damals unterstützte. „Nineteenth century Germany
was organized along philanthropic lines,“120 so Adams erstaunliche Feststellung. Erst mit der
116
Auch wenn Thomas W. Gaehtgens die deutschen Wohltaten als Mäzenatentum von der amerikanischen Philanthropie abgrenzt, werde ich den Begriff auch für Deutschland benutzen, die Unterschiede im Folgende aber
erläutern.
117
Thomas Adam (Hrsg). Philanthropy, Patronage and Civil Society. Experiences from Germany, Great Britain
and North America. Bloomington 2004.
118
Ebd. S. 5.
119
Ebd. S. 3.
120
Ebd.
33
Wende zum 20. Jahrhundert habe der Staat die bürgerliche philanthropische Tradition abgelöst, sie verschwand in den kommenden Jahrzehnten quasi in der Versenkung. Adam beschreibt diese Entwicklung am Beispiel des Leipziger Kunstmuseums: Dieses wurde 1854 aus
rein privaten Mitteln gegründet, erhielt 1880 die ersten öffentlichen Mittel, finanzierte sich
über viele Jahrzehnte über beide Stränge – doch je höher die staatlichen Zuschüsse wurden,
desto geringer waren die privaten Zuwendungen. 1909 übernahm die Stadt schließlich das
Museum. Die Leipziger Stifter vermachten der Stadt damit quasi ihre Schenkungen. Ein Vorgang, der laut Adam, in den USA schon allein aus dem beschriebenen Staatsverständnis nicht
denkbar gewesen sei. Die deutschen Mäzene setzten hingegen von Anfang an auf die enge
Zusammenarbeit von privater und öffentlicher Hand. Häufig kümmerten und kümmern sich
Stadt oder Staat um die Gebäude und Unterhalt, und private Mäzene brachten und bringen in
sehr großzügigem Umfang Werke ein.
Philanthropie erfüllte also damals in Deutschland und den USA gleichermaßen eine vitale
gesellschaftliche Funktion. Auf keiner Seite des Atlantiks, so Adams These, hätten die Gemeinden im 19. Jahrhundert ohne die Unterstützung ihrer Oberschicht existieren können. Die
Motivlagen der Gönner waren dabei in Nordamerika und Europa ähnlich – und unterscheiden
sich wenig von den heutigen: Der Wille, gesellschaftlich etwas zu bewegen – wenn auch häufig begrenzt auf die Interessen der Oberschicht – vermischte sich mit dem Wunsch nach sozialem Status. „Individuals in Leipzig and New York became philanthropic because they were
interested in confirming their status within the bourgeoisie. “121 Doch eine wichtige Einschränkung ist zu machen: In Deutschland war das Mäzenatentum schon damals (anders als in
den USA) keine unbedingte gesellschaftliche Verpflichtung und keine gruppenidentitätsstiftende Handlung. Karsten Borgmann: „For German high society, art museum philanthropy
never achieved this character of social obligation and identity confirmation. “122
Adams Beschreibung der bürgerlichen Philanthropie im Leipzig des 19. Jahrhunderts erinnert an Tocquevilles bewundernde Schilderung der amerikanischen Zivilgesellschaft in den
30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Ein großer Unterschied – auf den Adam nicht eingeht – ist
allerdings, dass amerikanische Bürger zu jener Zeit erheblich größeren politischen Einfluss
hatten, ja dass sie – in Abwesenheit feudaler Strukturen – das politische Leben in der noch
jungen Demokratie selbst bestimmten. So bildete sich in den USA bereits eine demokratische
Zivilgesellschaft, während das deutsche Mäzenatentum keinesfalls zivilgesellschaftliche Ziele
verfolgte und die Klassengesellschaft keinesfalls in Frage stellte.
4.2. Von der sozialen Philanthropie zum Sozialstaat
Wo liegen die Wurzeln der Philanthropie in der Gründerzeit? Adam sieht in der deutschen
(und auch der englischen) Philanthropie auch eine Reaktion auf die Industrialisierung. So entstanden philanthropische Projekte nicht nur im kulturellen und wissenschaftlichen, sondern
auch im sozialen Bereich. Engagierte und vom Elend der Arbeiterklasse berührte Bürger initiierten Wohnungsprogramme für die von der schweren Arbeit in den Fabriken und den niedrigen Löhnen häufig verelendeten Menschen. Auch Industrielle gründeten – auch als Abwehr
der erstarkenden Arbeiterbewegung – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Siedlungen
für ihre Arbeiter. Das prominenteste Beispiel ist Alfred Krupp. Er bot seinen Arbeitern – im
Gegenzug für treue Dienste – Wohnungen, eine Kranken-, Renten- und Hinterbliebenenversicherung sowie zahlreiche Privilegien im Alltag.123 Als Dank erwartete er Gehorsam und
121
Thomas Adam. „Philanthropy and the Shaping of Social Distinctions in Nineteenth-Century U.S., Canadian
and German Cities“. In: Adam 2004. S. 15-33. Hier S. 16.
122
Borgmann. S. 45.
123
Man mag darüber streiten, ob Sozialleistungen der Kruppschen Art als Philanthropie zu definieren sind – da
diese aber nie selbstlos ist (auch ein Museumsmäzen verfolgt mit seiner Gaben Ziele wie Anerkennung) würde
ich sie als solche gelten lassen. Krupp und andere soziale Industrielle waren schließlich nicht zu diesen Leistungen gegenüber ihren Arbeiten verpflichtet.
34
Arbeitsamkeit. Diese „Fabrikherrenpädagogik“124 war für die Arbeitnehmer natürlich nicht
nur angenehm. Sie spiegelte das Verhältnis eines strengen Vaters zu seinen fürchtigen Kindern – doch das war in den Augen vieler allemal besser als der Manchester Kapitalismus, der
zwar die Arbeitskraft der Arbeitnehmer ausbeutet, sie ansonsten in ihrer Not aber allein ließ.
Für die damalige Zeit waren die sozialen Errungenschaften für die Arbeiter revolutionär.
Man war stolz darauf, ein Kruppianer zu sein und Krupp wiederum verstand es, seine vorbildlichen Sozialleistungen für sein Image zu nutzen. Thomas Rother schreibt in seinem Buch
über die Krupp Dynastie:
„Das sozialpolitische Credo des Urahns (Alfred Krupp) und sein dem Gemeinwohl dienendes Engagement entsprachen dem Selbstverständnis des zu Reichtum gekommenen
Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Stiftungen haben ihre
Wurzeln in dieser Zeit. Doch in der Geschichte der Krupps wird dieses Bekenntnis zum
Gemeinwohl wie ein Banner vorangetragen, auf dem die Namen der jeweiligen Bannerträger selbst ruhmreich aufgestickt werden.“125
Hier fand sich ein heute amerikanisch anmutender Umgang mit seinen philanthropischen
Leistungen. Krupp nutzte sein Engagement gezielt für seinen Ruf – heutige deutsche Philanthropen wie der Besitzer des Schuhimperiums Deichmann oder auch SAP sind da erheblich
zurückhaltender.
Krupp begann bereits im Jahre 1836 seine Wohlfahrtspolitik, und zwar mit einer
„Hülfskasse in Fällen von Krankheit und Noth“. 1858 folgte eine Pensionskasse, 1861 die
Planung einer Wohnungskolonie für die Krupp-Arbeiter. Das war 20 Jahre vor Bismarcks
Sozialgesetzgebung. Der Reichskanzler orientierte sich dabei offensichtlich an dem
Kruppschen Vorbild – und machte es sukzessive überflüssig. Mit der Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1883, der Unfallversicherung 1884 und der Renten- und Invaliditätsversicherung im Jahr 1889 im deutschen Reich begann auf sozialem Gebiet – durchaus zum
Wohle der Arbeiterschaft – die staatliche Übernahme sozialer Sicherungsleistungen. Bismarcks Sozialgesetze waren der Beginn staatlicher Fürsorge – und der Anfang vom Ende eines Unternehmertyps, der sich allein um Wohl und Weh seiner Arbeiterschaft kümmerte.
Von den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts an nahm also der Staat den Unternehmern sukzessive die soziale Absicherung ihrer Arbeiterschaft aus den Händen – soweit es sie gegeben
hatte. Vielleicht war dies ein weiteres Stück des Anfangs vom Ende einer bürgerlichen Verantwortungskultur auf dem sozialen Sektor. Bismarck entließ die Unternehmer nicht aus ihrer
finanziellen Verantwortung; ganz im Gegenteil, die paritätische Finanzierung der sozialen
Sicherungssysteme in Deutschland bedeutet für die Wirtschaft auch heute noch enorme Ausgaben. Aber mit der Sozialgesetzgebung kann sich die unternehmerische Sozialinitiative theoretisch auf die monatlichen Überweisungen an die Sozialversicherungsträger beschränken.126
Zwar liegen Kranken- und Rentenversicherung heute in der Hand der Selbstverwaltung – also
einer paritätischen Besetzung der Organe durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die wesentlichen Rahmenbedingungen – wie Beitragssätze und Gesetze – werden allerdings von der Politik vorgeben.127 Der Staat wurde im sozialen Feld Hand in Hand mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden immer dominierender und verdrängte die private Philanthropie. Aus einer
freiwilligen Leistung wurde eine Zwangsabgabe (Sozialversicherung), verwaltet von einer
perfekten zentralisierten Bürokratie.
124
Ebd. S. 189
Thomas Rother Die Krupps. Durch fünf Generationen Stahl. Frankfurt am Main 2001. S. 39.
126
Für viele tut sie es nicht, sie bieten zusätzliche Sozialleistungen für ihre Arbeitnehmer an, wie betriebliche
Altersvorsorgesysteme.
127
Vgl. Adam S. 35. “Germany, with its history of a high welfare spending, a once powerful aristocracy, and a
well organized worker´s movement, is a clear counterexample for the preconditions for the emergence of a
strong nonprofit sector that we see in liberal states.”
125
35
Dieser Prozess ist natürlich nicht nur negativ zu bewerten: Es löste Sozialleistungen von
der Willkür der Unternehmer und garantierte sie zum ersten Mal allen Arbeitern. Insofern
stellen Bismarcks Sozialgesetze ohne Frage für das Gros der Arbeiterschaft eine erhebliche
Verbesserung dar. Sie hatten zum ersten Mal einen verlässlichen Anspruch auf eine Absicherung im Fall von Krankheit und Alter – die auch nicht durch Streiks oder dem Unternehmer
unangenehmes Verhalten gestrichen werden konnte. Für die Entwicklung der privaten Philanthropie waren sie aber unweigerlich ein erstickendes Element. Hier zeigt sich pointiert das
Dilemma, das in dem Spannungsfeld Staat und Eigenverantwortung steckt. Ein schwacher
Staat lässt Raum für individuelles Engagement – aber keiner legt dessen Regeln fest oder
macht es gar verpflichtend. So können sich in diesen Freiräumen wunderbare Beispiele von
Philanthropie entwickeln – und zur gleichen Zeit Felder, gerade im sozialen Bereich, gänzlich
brach liegen, weil sie für Philanthropen nicht interessant erscheinen. Ein starker Staat wiederum mag eine gerechtere soziale Sicherung garantieren, aber er lähmt zugleich die Eigeninitiative seiner Bürger.
4.3. Engagement im Auftrag von Verband, Staat und Kirche
Dieses Phänomen zeigt sich auch beim Blick auf das bürgerschaftliche Engagement der
Mittelschicht. Hier waren es in erster Linie die großen Wohlfahrtsverbände, die in Allianz mit
dem Staat Anfang des 20. Jahrhunderts die Initiative der Bürger kanalisierte und bürokratisierte. So nahm bürgerschaftliches Engagement im 20. Jahrhundert seinen Ausgang nicht –
wie in den USA – in einer politisch aktiven Bürgerschaft, die ihr Gemeinwesen selbst gestalten will, sondern entwickelte sich in einem paternalistischem und hierarchischen System.
Auch heute noch findet in Deutschland ehrenamtliche soziale Arbeit zumeist innerhalb von
Verbänden und Organisationen, insbesondere der konfessionellen Wohlfahrtsverbände, statt.
Insofern sind die Kirchen in Deutschland wie in den USA wichtige Orte und Vermittler bürgerschaftlichen Engagements. Doch nicht, weil hierzulande wie auf der anderen Seite des
Atlantiks ein Gros des sozialen Engagement im Mikrokosmos Gemeinde stattfindet. Vielmehr
haben die deutschen Kirchen das soziale Engagement in Kooperation mit dem Staat quasi
unter ihre Fittiche genommen haben, professionalisiert und bürokratisiert. Sie erstickte damit
zugleich das private soziale Engagement der Bürgerschaft.
Dabei hat die Allianz für beide Konfessionen unterschiedliche Beweggründe: Die lutherische Kirche zeichnete sich schon immer durch eine starke Staatsnähe aus. Laut Karl Gabriel
war sie „zusammen mit einer starken Arbeiterbewegung und sozialdemokratischen Parteien –
für die Ausbildung eines universalistisch ausgerichteten, starken Wohlfahrtstaat weitgehend
ohne staatsunabhängige, gesellschaftliche Kräfte in der Wohlfahrtspflege verantwortlich“.128
Die katholische Kirche war Ende des 19. Jahrhunderts vom Staat hingegen weit weniger
wohlgelitten. Sie war eher auf Eigenständigkeit und Staatsferne bedacht: Aus dem Kulturkampf zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat gingen dann jedoch laut Gabriel
quasi als Befriedung des Konflikts die von Gesellschaft und Staat getragene Wohlfahrtspflege
hervor.
Heute sind die großen konfessionellen Wohlfahrtsverbände – die Caritas und die Diakonie
– wesentliche Pfeiler des deutschen Sozialstaats und werden vorwiegend aus Steuermitteln
finanziert. Die Wohlfahrtpflege ist eine dauerhafte Allianz mit der Politik eingegangen. Diese
enge Verbrüderung hat auch das deutsche Denken über freiwilliges Engagement nachhaltig
geprägt – es hat im wahrsten Sinne des Wortes staatstragende Funktion. „Aus der korporatistischen Tradition stammt die bis heute in der Bundesrepublik noch anzutreffende Auffas128
Karl Gabriel. „Obsiegt das amerikanische Modell? Die religiösen Wurzeln der europäischen Sozialstaaten“.
In: Herder Korrespondenz 57. 11(2003). S. 550-554. Hier S. 552.
36
sung, bürgerschaftliches Engagement habe im Wesentlichen die Aufgabe, das Wirken des
Staates einschließlich der Gemeinden zu unterstützen oder zu ergänzen.“129 Diese Aussage
der Enquete-Kommission trifft einen wesentlichen Punkt, der hier zwar fast kritisch angemerkt wird, im Grunde von der Politik aber perpetuiert wird: Klassisches bürgerschaftliches
Engagement springt da ein, wo der Staat Lücken in der Versorgung aufweist, und stabilisiert
ihn dadurch zugleich. Erst langsam, mit den Folgen der 68er Bewegung, bildete sich ein Engagement heraus, das eigene Ziele (beispielsweise im politischen oder im Umweltbereich)
verfolgte und sich bewusst gegen staatliche Strukturen stellte. Doch davon später mehr.
Dass das soziale Engagement der Bürger in Deutschland lange Zeit hierarchisch gesteuert
und so wenig selbstbestimmt war, daran tragen die großen Wohlfahrtverbände einen wesentlichen Anteil. Ihr Aufstieg sei für die Entwicklung von freiwilligem Sozialengagement zutiefst
ambivalent130 gewesen, schreibt Christoph Saßche. Die Macht der Organisationen beendete
das durchaus vorhandene soziale Engagement der Bürgerschaft. Bis zur Weimarer Republik
hatten die Bürger in ihren Kommunen Verantwortung für die Alten und Schwachen übernommen, dann ging in der Weimarer Republik die Armenfürsorge, die bis dato häufig in privaten Vereinen geleistet wurde, an die großen Wohlfahrtverbände über: „Sie (die Wohlfahrtsverbände) leiten das Ende der Identität von freiwilligem Sozialengagement und privater
Wohlfahrtskultur ein“,131 so Saßche. Aus „bürgerlicher Selbstorganisation“ wurde eine „professionelle Großbürokratie“.132 Die Verbände, 1897 wurde der Caritasverband gegründet,
1919 die Arbeiterwohlfahrt, 1921 das Deutsche Rote Kreuz 1921, machten das private bürgerliche Engagement weitgehend überflüssig. Saßches Gegenüberstellung von „bürgerlicher
Selbstorganisation“ und „professioneller Großbürokratie“ beschreibt den deutschen Weg, sie
passt durchaus aber auch auf die interkulturelle Differenz. Die für die USA typische Selbstorganisation ist hierzulande von Professionalierungs- und Bürokratisierungstendenzen quasi
erstickt worden. Dieser Wendepunkt hat bis heute seine Spuren hinterlassen. Für viele – gerade für ältere Bürger – ist soziales Engagement häufig nur innerhalb von Verbandsstrukturen
denkbar.
In den USA entwickelte sich das bürgerschaftliche Engagement hingegen aus der Demokratie heraus. Volunteering ist eine wichtige Säule der amerikanischen Zivilgesellschaft. In
Deutschland ging das klassische Ehrenamt hingegen der Demokratisierung voraus. Dieses
Erbe wirkt bis heute nach. „Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten entwickelte sich das
deutsche Konzept des Voluntarismus als ein System von Ehrenämtern in einer grundsätzlich
immer noch autokratischen Gesellschaft, in der demokratische Institutionen auf kommunaler,
regionaler und insbesondere nationaler Ebene noch unterentwickelt blieben“,133 heißt es in
einem Beitrag für die Enquete-Kommission. Doch die Strukturen beginnen zu bröckeln – das
zeigen nicht nur die neuen Begriffe, sondern auch die neuen Formen des bürgerschaftlichen
Engagements, auf die ich später eingehen werde.
129
Enquete-Kommission. Band 4. S. 94.
Christoph Sachße. „Traditionslinien bürgerschaftlichen Engagement“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches
Engagement und Zivilgesellschaft. Opladen 2002. S.23-28. Hier S. 26.
131
Ebd.
132
Ebd.
133
Helmut K. Anheiner und Stefan Toepler. „Bürgerschaftliches Engagement zur Stärkung der Zivilgesellschaft
im internationalen Vergleich“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 11. Bürgerschaftliches Engagement im internationalen Vergleich. Opladen 2003. S. 13-56. Hier S. 23.
130
37
4.4. Mäzene in der Wissenschaft
Auch auf dem Gebiet der Wissenschaft waren deutsche Mäzene im wilhelminischen Zeitalter sehr aktiv. So basierte die Gründung der Kaiser Wilhelm Gesellschaft (die Vorläuferorganisation der Max Planck Gesellschaft) im Jahr 1910 auf privaten Mitgliedsbeiträgen und
Spenden. Die Gesellschaft schlug damit einen neuen Weg der Finanzierung ein, vergleichbar
mit dem amerikanischen, so Fuchs und Hoffman. In jener Zeit, so die Autoren, konnte das
private Engagement für die Wissenschaft durchaus mit jenem in den Vereinigten Staaten mithalten.134 Hinter der Gründung der Kaiser Wilhelm Gesellschaft standen das deutsche Bürgertum, aber auch Banker und Industrielle wie Ludwig Delbrück, Franz Krupp und Eduard Arnhold. Einen wesentlichen Anteil an der Finanzierung hatte der jüdische Geschäftsmann Leopold Koppel, der im Berlin der 1890er Jahre ein Vermögen als Finanzier der Deutschen Gasglühlicht AG gemacht hatte.
Ein weiterer großer Förderer der Wissenschaften im wilhelminischen Deutschland war
Werner von Siemens. Er stellt dem preußischen Staat Land für den Bau eines Instituts zur
Verfügung und unterstützte dies großzügig – wohlwissend, dass vom technischen Fortschritt
auch sein eigener unternehmerischer Erfolg abhing. Fuchs und Hoffmann weisen darauf hin,
dass private Philanthropie zu jener Zeit durchaus grenzüberschreitend war. Deutsche Sponsoren – die meisten von ihnen Juden – förderten den deutsch-amerikanischen Austausch von
Wissenschaftlern, der US-Magnat Carnegie überwies dem Robert-Koch-Institut wiederum im
Jahr 1909 500000 Dollar für die Forschung zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Fuchs und Hoffmann weisen explizit auf die große Bedeutung jüdischer Philanthropen im
wilhelminischen Deutschland hin, sie hätten die Mehrzahl der Spender ausgemacht. „The vast
majority of private sponsors were Jews.”135 Louise von Rothschild stiftete in Frankfurt eine
Bibliothek und eine Zahnklinik, der Bankier Georg Speyer Lehrstühle, wissenschaftliche Einrichtungen und Labors, ja sogar die Gründung der Frankfurter Universität geht auf den Einsatz und das Geld jüdischer Stifter zurück. Und in München trugen Juden die größten Summen zum Bau des Deutschen Museums bei. Auch unter den Mäzenen von Bodes Museumsprojekt befanden sich zahlreiche Juden.
Wie in den USA verfolgte auch in Deutschland philanthropisches Engagement häufig den
Zweck, gesellschaftliche Anerkennung und Integration zu erlangen. Der Antisemitismus in
der deutschen Gesellschaft führte allerdings dazu, dass viele Empfänger jüdischer Zuwendungen diese gar nicht erst publik machten – aus Angst vor negativen Reaktionen aus der Bevölkerung. Und bekanntlich schützte ihr Einsatz für die deutsche Kultur und Wissenschaft die
jüdischen Mäzene nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts erhielt zwar der ein oder andere – wie der Geschäftsmann Leopold Koppel –
noch eine Auszeichnung für seine Leistungen für das deutsche Volk – 30 Jahre später endete
die jüdische Philanthropie im Exil oder in der Gaskammer.
4.5. Rückzug aus Kunst und Kultur
Warum aber verkümmerte die deutsche Philanthropie bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf dem Feld der Kultur? Karsten Borgmann sieht den Wendepunkt gekommen, als die
staatlich verwalteten Museen mehr und mehr moderne Kunst in ihre Sammlungen integrieren
134
Eckhardt Fuchs und Dieter Hoffmann. „Philanthropy and Science in Wilhelmine Germany“. In: Adam 2004.
S. 103-119. Hier S. 107.
135
Fuchs und Hoffmann, S. 112. Siehe dazu auch im gleichen Band die Beiträge von Maria Benjamin Baader,
Tobias Brinkmann, und Simone Lässig. Alle drei untersuchen die jüdische Philanthropie in Deutschland.
38
wollten, die bürgerlichen Mäzene sich mit ihrem konservativem Geschmack gegen diesen
Trend aber sträubten. Der Niedergang der Philanthropie wird in dieser Argumentation zur
Geschmacksfrage. Überzeugender klingt da die Erklärung von Fuchs und Hoffmann, die das
schwindende Engagement in der Weimarer Republik in politische Prozesse einbetten:136 Die
deutsche Philanthropie des Kaiserreichs basierte, so die Wissenschaftler, häufig auf Patriotismus und Nationalstolz. Die Mäzene wollten das noch junge, vor Kraft und Selbstbewusstsein
strotzende Reich stärken und stützen. Doch dann kamen der Erste Weltkrieg und die für die
deutsche Bevölkerung so erniedrigenden Versailler Verträge. Geschwächt durch den ersten
Weltkrieg, international isoliert und unter dem Druck der Inflation und der politischen Instabilität sei das Engagement der Mäzene immer schwächer geworden, so Fuchs und Hoffmann.
Die mit privaten Mitteln gegründeten Institute und Einrichtungen wandten sich an die öffentliche Hand mit der Bitte um finanzielle Unterstützung.
Dieser Interpretation schließt sich auch Klaus Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung
preußischer Kulturbesitz, an. Er schreibt in einem Beitrag für die Welt: „Die radikalen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen der Weimarer Republik stellten nicht nur die materiellen, sondern auch die ideellen Grundlagen des traditionellen bürgerschaftlichen Engagements in Frage. Das war auch der Zeitpunkt, zu dem sich wegen Mangels privaten Engagements die Unterstützung von Kunst, Kultur und Wissenschaft so ausschließlich auf den
Staat verlagert hat.“ 137 Der Staat musste einspringen, wo die privaten Hände nicht mehr genug gaben. Er tat es, und übernahm damit auch die Verantwortung für die Einrichtungen.
Die Nationalsozialisten hätten, so Lehmann, die Grundlagen für bürgerschaftliches Engagement dann endgültig zerstört. Mit Hitler und seinem Feldzug gegen die „entartete Kunst“
wurde Deutschlands lebendige Museumslandschaft gleichgeschaltet und Mäzene wurden überflüssig. Viele der großzügigsten Stifter im deutschen Kaiserreich waren Juden, sie wurden
beraubt, aus dem Land getrieben oder in Konzentrationslagern vergast. Nazi-Deutschland hat
sich durch diesen barbarischen Akt nicht nur einer ganzen Kultur beraubt, einer breiten Riege
exzellenter Wissenschaftler und Künstler, sondern auch wichtiger und großzügiger Mäzene.
Ihre Namen sind heute in Vergessenheit geraten.
5. Engagement im Wandel
5.1. Neue Wege – neue Definitionen
Seit die deutsche Politik vor einigen Jahren den Wert des engagierten Bürgers entdeckt
hat, wird die deutsche Debatte von zahlreichen Begriffen geprägt. Vom klassischen Ehrenamt
ist da kaum mehr die Rede, vielmehr ist „Bürgerschaftliches Engagement“ oder „Bürgerengagement“ zum neuen Schlagwort avanciert – gefolgt oder umrahmt von Begriffen wie „Zivilgesellschaft“, „Bürgergesellschaft“ und dem „Dritten Sektor“. Einig ist allen Begriffen, dass
sie sich mit einer Sphäre jenseits des Staates und der Privatsphäre befassen, in der Bürger sich
im öffentlichen Raum engagieren. Annette Zimmer trifft eine Abgrenzung: „Während der
Begriff Bürgerengagement vorrangig auf die Aktivitäten des Einzelnen abzielt, und der Begriff Dritter Sektor sich hauptsächlich auf die Ebene der meist mitgliedschaftlichen Organisationen, in der Regel Vereine, bezieht, wird mit Bürger oder Zivilgesellschaft die gesellschaftliche Dimension angesprochen.“138
136
Eckhardt Fuchs, Dieter Hoffmann. „Philanthropy and Science in Wilhelmine Germany“. In: Adam 2004. S.
103-119.
137
Klaus –Dieter Lehmann. „Die Kunst braucht Mäzene“. Die Welt. 24.01.2005.
138
Annette Zimmer. „Empirische Befunde zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland“. In: Deutscher
Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band
1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Opladen 2002. S. 89-100. Hier S. 90.
39
Die Literatur zu diesen Themenkomplexen hat mittlerweile stark zugenommen.139 Allein
die Ergebnisse der Enquete-Kommission umfassen 16 dicke Bände. Da geht es um Demokratietheorie, um Stiftungen mit allen juristischen und historischen Aspekten, um Mäzenatentum,
Fundraising, das Ehrenamt, um NGOs, ihr Management, ihre Legitimation und ihre Rolle in
der Demokratie – und eben auch um Bürger, die sich gesellschaftlich engagieren.
Allein über die Frage, was hinter dem Begriff „Bürgerschaftliches Engagement“ zu verstehen ist, existiert in Deutschland eine breite Debatte – und über das Ausmaß der Bürgerbeteiligung ein Gros von Statistiken. Erstaunlich sind deren sehr unterschiedliche Ergebnisse:
Sie reichen von 18 bis 70 Prozent der Bevölkerung, die sich bürgerschaftlich engagieren. Diese Spanne lässt sich allerdings erklären. So dehnbar die Definition von Bürgerengagement
sich in der Diskussion darstellt, so flexibel erweist sich konsequenterweise die Statistik. Auffällig ist, dass die Beteiligungsquote mit dem politischen Interesse an dem Thema Ende der
neunziger Jahre in die Höhe schoss. Bevor es auf die politische Agenda rückte, war die offizielle Quote der bürgerschaftlich engagierten Deutschen im europäischen und transatlantischen Vergleich offiziell sehr niedrig. 16 Prozent, also 12 Millionen Deutsche seien ehrenamtlich aktiv, hieß es noch 1996 in einer Bundesdrucksache.140 Es folgte ein politischer Aufschrei. Im Vergleich zu den Niederlanden (38 Prozent) und auch zum europäischen Durchschnitt sei dies viel zu wenig. Diese Zurückhaltung der Deutschen müsse zum Thema werden,
forderte der Bundestag. Und so geschah es: Eine Enquete-Kommission wurde gebildet, während sie tagte, ergab bereits das erste „Freiwilligensurvey“141 im Jahr 1999 ein erstaunliches
Ergebnis. Nicht 16, sondern 34 Prozent aller Bürger seien in den Bereichen Sport, Kultur,
Kirchen, Umwelt und Soziales engagiert. Die Politik freute sich – und die Kommission auch.
Sie übernahm die Zahl in ihre Bericht und resümierte: „Somit engagieren sich in der Bundesrepublik Deutschland rund 22 Millionen Menschen bürgerschaftlich.“142 Der Ruf der Deutschen schien gerettet. Der 2004 durchgeführte zweite Freiwilligensurvey berichtete dann sogar von 36 Prozent bürgerschaftlich engagierter Deutscher – ein Anstieg, den die Bundesregierung auf der Homepage des Familienministeriums auf ihre Förderpolitik und auf die öffentliche Aufklärung über die Bedeutung des Ehrenamts zurückführt.143
Haben die Deutschen tatsächlich innerhalb von zehn Jahren ihre gemeinnützige Ader entdeckt. Wohl kaum, vielmehr liegt der Schlüssel dieser wundersamen Beteiligungsvermehrung
darin, dass die Definition des bürgerschaftlichen Engagements ausgeweitet wurde. Die alten
Befragungen stützten sich auf die klassische Definition des Ehrenamtes. Der Begriff entstand
in Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Kommunen sich durch die SteinHardenbergschen Reformen stärker selbst verwalten sollten. Das aufstrebende Bürgertum
sollte über das Ehrenamt an der Verwaltung beteiligt werden – und über diese Ausübung Ehre
erlangen. Heute zählen zu den ureigensten Ehrenämtern unter anderem die Tätigkeit als
Schöffe, ehrenamtlicher Richter oder Wahlmann bzw. -frau. Von diesen Funktionen wurde
das Wort Ehrenamt lange Zeit auf zahlreiche Tätigkeiten in Vereinen und Verbänden ausgeweitet. Das heutige Spektrum bürgerschaftlichen Engagements (beispielsweise in NichtRegierungsorganisationen) bildet der Begriff aber nicht ab. Konsequenterweise ist das „Ehrenamt“ mittlerweile dann auch als Oberbegriff durch jenen des „bürgerschaftlichen“ oder
„freiwilligen Engagements“ abgelöst worden. Diese Begriffe wiederum sind vielfältig zu füllen.
139
Die Bibliothek des Maecenata Instituts in Berlin ist ein eindrücklicher Beleg.
Drucksache 13/5674 vom 1.10.1996.
141
Der erste Freiwilligensurvey wurde 1999 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend von dem Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest Sozialforschung durchgeführt. Das Institut führte eine telefonische Befragung von 15000 Bürgerinnen und Bürgern über 14 Jahre durch. 2004 wurde die Befragung wiederholt. Die genauen Ergebnisse findet man auf der homepage des Ministerium: www.bmfsfj.de
142
Enquete-Kommission. Band 4. S. 63.
143
Eine Zusammenfassung des 2. Freiwilligensurveys findet sich auf der homepage des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
140
40
Der Freiwilligensurvey beispielsweise fragte die Bürger nach „freiwillig übernommenen
Aufgaben und Arbeiten, die man unbezahlt oder gegen geringe Aufwandsentschädigung ausübt“. Darunter fällt theoretisch auch das Einkaufen für die kranke Nachbarin oder das Hüten
der Nachbarskinder. „Wenn man nur lange genug fragt, findet schließlich jeder ein Feld, auf
dem er bürgerschaftlich aktiv ist“, räumt Annette Zimmer ein. Ihre Bewertung wird im Abschlussbericht der Kommission bestätigt. Dort ist zu lesen, dass das Gremium den Begriff
Engagement bewusst weit gefasst hat: „Auch durch Zivilcourage, gelegentliche Mitarbeit,
Spenden, die Beteiligung an einer Bürgerstiftung oder durch Kooperationsfähigkeit und Aufmerksamkeit einer Organisation, einer Initiative oder eines Verbandes für bürgerschaftliche
Anliegen kann Engagement erfolgen.“144 Angesichts dessen muss man sich nicht über die
Explosion der ermittelten Beteiligungsraten wundern.
Dass die Enquete-Kommission (die sich auf den Freiwilligensurvey stützt) die Definition
des Engagementsbegriffs so weit fasst, scheint auch politisch motiviert. Die rot-grüne Regierung, so ein Kenner der Enquete-Kommission, war durchaus an einem Beleg der hohen Bürgerbeteiligung interessiert. Und so sei es wenig überraschend, dass die Zahlen des zweiten
Freiwilligensurveys noch höher ausfallen als jene des ersten. Die Botschaft sollte sein: Schaut
her, es tut sich etwas im Land. Hohe Beteiligungsquoten dienen auch dem nationalen Selbstwertgefühl. So vermeldete ein Wissenschaftler stolz: „Deutschland rangiert unter Zugrundelegung dieser Kernzahl145 im oberen Mittelfeld vergleichbarer europäischer Länder und kann
sich somit im internationalen Vergleich erhobenen Hauptes sehen lassen.“146
Insofern muss bei jeder Statistik genau hinterfragt werden, welche Parameter angelegt
wurden. Die Definitionsschwierigkeit und -vielfalt verleitet Helmut Klages sogar zu der Feststellung, das eigentliche Problem der Deutschen mit dem Beteiligung sei rein linguistischer
Natur: „Dass wir in Deutschland in Verbindung mit dem Engagement ein Problem haben, ist
nicht wegzudiskutieren. Es handelt sich aber weniger um ein Problem des mangelnden Engagements, sondern vielmehr um ein Problem der Sprachreglung (kursiv im Originaltext).“147
Insofern scheint die Lösung wirklich einfach: Die Definition, nicht die Beteiligungskultur
muss sich ändern.
Die Grenzen sind in der Tat fließend und schwer zu erfassen.148 Roland Roth kritisiert in
einem Beitrag für die Enquete-Kommission, „wie gering die gemeinsame Schnittmenge der
verschiedenen Versionen von Bürgerschaftlichem Engagement ist.“149 Er selbst präsentiert
folgende Definition:
ƒ
ƒ
144
Politische Beteiligung, z.B. als Gemeinderat, in Parteien, Verbänden oder
Gewerkschaften, Agenda 21 Gruppen, Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen,
freiwillige bzw. ehrenamtliche Wahrnehmung öffentlicher Funktionen, z.B.
als Schöffe, Wahlhelfer oder Elternbeirat, freiwillige Feuerwehr usw.,
Enquete-Kommission. Band 4. S. 16.
Gemeint sind hier die 34 Prozent Beteiligungsquote, die der erste Freiwilligensurvey nennt.
146
Helmut Klages. „Die Deutschen - ein Volk von Ehrenämtlern?“. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen. Heft 2 (Juni 2000). Titel: In Amt und Ehren? Zukunft bürgerschaftlichen Engagements. S. 33-47. Hier
S.34.
147
Klages. S. 35.
148
Vgl. Roland Roth. „Bürgerschaftliches Engagement – Formen, Bedingungen, Perspektiven“. In: Zimmer/Nährlich. S. 25-48. Hier S.26. Roth schreibt, „dass sich der Begriff Bürgerschaftliches Engagement offensichtlich erst in der Anfangsphase seiner semantischen Karriere befindet. In ihr geht es besonders bunt und schillernd zu. Die Begriffskonturen sind unscharf und umstritten.“
149
Ebd. S.30. Siehe auch Sebastian Braun. „Begriffsbestimmungen, Dimensionen und Differenzierungskriterien
von bürgerschaftlichem Engagement.“ In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft.
Opladen 2002. S. 55-72.
145
41
ƒ
ƒ
ƒ
Klassische und neue Formen des sozialen Engagements, z.B. in Wohlfahrtverbänden, Hospiz Gruppen, Asylkreisen usw.,
Gemeinschaftsorientierte Eigenarbeit, wie Nachbarschaftshilfe, Tauschringe und Genossenschaften,
Gemeinschaftliche Selbsthilfe, z.B. In Selbsthilfegruppen, in der Kinder
und Jugendarbeit und Sportvereinen.
Zwei weitere Voraussetzungen müssen, so Roth, zudem erfüllt sein: Öffentlichkeit und Gemeinschaftsbezug. Eben dieser Gemeinschaftsbezug scheint nicht in allen Engagementformen, die das Freiwilligensurvey aufzählt, gegeben zu sein. Wer in einer Selbsthilfegruppe
aktiv ist, tut ohne Zweifel etwas sehr Sinnvolles für sich, aber hat sein Handeln auch positive
Auswirkungen auf die Gesellschaft? Und welchen gesellschaftlichen Bezug hat Nachbarschaftshilfe? Hier stehen Geben und Nehmen im direkten Austausch. Kurzum: Abgrenzungsund Definitionsfragen zum Thema bürgerschaftliches Engagement sind auch unter Experten
höchst umstritten, es gibt keine allgemeingültige Definition. Stefan Nährlich, Geschäftsführer
von „Aktive Bürgerschaft“ in Berlin, kritisiert: „Bürgerengagement ist im Vergleich zum Ehrenamt ein riesiger Containerbegriff geworden.“150 Auch Eckhard Otte, beim Bundesverband
des DRK in Berlin für das Thema Ehrenamtliche zuständig, stört die allzu umfassende Definition des Kommission: „Wir haben ein Problem in Deutschland, dass wir Äpfel und Birnen in
einen Topf werfen und behaupten, das sei das Gleiche. Die Enquete-Kommission subsumiert
unter dem Begriff Bürgerschaftliches Engagement wenn jemand einmal im Jahr 20 Euro
spendet bis hin zu jemandem, der sich 15 Stunden die Woche ehrenamtlich engagiert.“151 Ist
beides bürgerschaftliches Engagement – Geld und Zeit? Auch darüber gehen die Meinungen
auseinander. Otte lehnt die Einbeziehung von Geldspenden in die Definition ab: „Ich sehe
einen ganz großen Unterschied zwischen Geld- und Zeitspendern. Meiner Ansicht nach ist nur
derjenige ehrenamtlich aktiv, der etwas abgibt von seiner freien Zeit.“ Ganz anderer Meinung
ist Rainer Sprengel, stellvertretender Direktor des Maecenata Instituts in Berlin. Seiner Meinung nach fallen beide Formen des Engagements zu Recht in die Gruppe der bürgerschaftlich
Engagierten: „Es gibt keinen Grund zu sagen, wer seine freie Zeit einsetzt, ist engagierter als
jemand, der spendet.“152
Hier offenbart sich, dass bürgerschaftliches Engagement in der Tat gar nicht klar einzugrenzen ist. Jemand, der einen beachtlichen Teil seines Einkommens für gesellschaftliche
Zwecke zur Verfügung stellt oder gar eine Stiftung gründet, wäre in meinem Verständnis
durchaus bürgerschaftlich aktiv. Jemand, der vor Weihnachten 20 Euro an die Caritas spendet,
hingegen nicht. Bei Geldspenden liegt die Grenze m.E. da, wenn der Spender sowohl einen
bewussten als auch für ihn spürbaren finanziellen Beitrag leistet und wenn er sich über Sinn
und Zweck seiner Spende Gedanken macht. Das kann für einen Studenten die monatliche
Überweisung von 20 Euro an Greenpeace sein, bei Vermögenden müsste der Betrag entsprechend höher liegen.
5.2. Abschied vom klassischen Ehrenamt
Die gravierendste Veränderung in der Ausübung und Wahrnehmung bürgerschaftlichen
Engagements hat sich zweifellos Ende der 60er Jahre angebahnt. Mit dem Staatsskeptizismus
der 68er Bewegung entstanden mehr und mehr Zusammenschlüsse außerhalb der traditionellen Strukturen: von Protestgruppen bis zu sogenannten NGOs (zu deutsch: Nicht Regierungsorganisationen). Sie agieren in einem Bereich zwischen Staat und Markt und werden daher
150
Stefan Nährlich im Gespräch mit der Autorin am 18.3.2005 in den Räumen des Verbandes Aktive Bürgschaft.
Gespräch mit Eckhard Otte vom DRK am 23.03. in der DRK-Zentrale in Berlin.
152
Gespräch mit Rainer Sprengel, stellvertretender Direktor des Maecenata Instituts, am 22.3. 2005 in den Räumen des Instituts .
151
42
auch 3. Sektor genannt. Prominente Beispiele sind Bürgerinitiativen, Umweltverbände wie
Greenpeace oder der WWF, oder auch Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen. Gerade
jüngere Menschen finden in diesem Sektor eher ein für sie passendes Engagement als in den
„klassischen“ Tätigkeiten in Vereinen oder großen Wohlfahrtsverbänden. Gleichzeitig nimmt
das klassische Engagement aber keineswegs ab. Immer noch werden jährlich viele tausend
neue Sportvereine gegründet.153 Ihre Zahl stieg zwischen 1950 und 2001 von 20 000 auf 88
500.
Insgesamt gab es in Deutschland 2001 über 544 700 eingetragene Vereine154 mit 80 Millionen Mitgliedern. In diesen Organisationen findet 43 Prozent des bürgerschaftlichen Engagements statt155, davon 14 Prozent innerhalb von Kirchen und religiösen Vereinigungen, 13
Prozent in Selbsthilfegruppen und Projekten und 11 Prozent in staatlichen und kommunalen
Einrichtungen. Den größten Teil der Vereine stellen mit fast 40 Prozent die Sportvereine.
„Die Vereine sind daher nach wie vor die dominierende organisatorische Form des bürgerschaftlichen Engagements, auch wenn sich mit Selbsthilfegruppen, neuen sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und ähnlichen Formen eine neue Form des weniger formalisierten Ehrenamtes etabliert hat.“156
Das alte Ehrenamt ist also nicht tot. Doch Vereinstreue ein Leben lang – diese Tendenz
nimmt spürbar ab. Annette Zimmer berichtet von Ergebnissen aus Umfragen: „Wenn Sie fragen, wer sich langfristig in einem bestimmten Verein engagiert, gehen die Werte massiv runter.“ Immer mehr Menschen gestalten ihre Vereinskarriere so flexibel wie ihr Arbeitsleben.
Die Bindung an einen Verein lässt insbesondere bei jungen Menschen nach. Auch deshalb,
weil viele ältere Vereine die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt haben und sehr traditionell
und hierarchisch organisiert sind. „Die Vereine sind noch nicht recht drauf eingestellt, sich als
Sozialisationsagenturen für Bürgerkompetenzen zu begreifen und so einen Nährboden für die
Demokratie zu bilden“,157 heißt es in einem kritischen Beitrag über das Beharrungsvermögen
so mancher „Vereinsmeier“. Da werden in abgeschlossenen Zirkeln Gemütlichkeit und Hobbies gepflegt, Vorstände regieren jahrzehntelang ihr kleines Reich. Dabei könnten Vereine
eine wichtige Sozialisationsinstanzen für Jugendliche sein, Orte, an denen Teamfähigkeit und
demokratische Prozesse eingeübt werden. Allerdings wird diese Chance selten genutzt. Gemütlich in der Nische verschließen sich viele den zivilgesellschaftlichen Prozessen.
So engagieren sich immer mehr Bürger außerhalb der klassischen Vereinsstrukturen.158
Standen beim klassischen Ehrenamt noch Pflichtmotive, Gemeinschaftsorientierung und eine
enge soziale Bindung an den Verein und seine Mitglieder im Zentrum, so sind die Hauptmotive des neuen Engagements laut Sebastian Braun Selbstverwirklichung, Selbsterfahrung, Aneignung neuer Kompetenzen und Qualifikationen.159 Viele suchen einen Sinn in ihrer Tätigkeit:
153
Die Zahl der Mitglieder in Sportvereinen stieg zwischen 1979 und 2001 von 16,5 Millionen auf beachtliche
26,8 Millionen. Damit ist fast jeder dritte Deutsche Mitglied in einem Sportverein. Enquete-Kommission. Band
4. S. 161.
154
„Bürgerengagement und Zivilgesellschaft in Deutschland, Stand und Perspektiven 1. Januar 2005“. Schrift
des Maecenata Instituts. Der findet sich unter www.maecenata.de . Hier S. 6.
155
Rudolf Speth, Ansgar Klein, Sebastian Braun. „Zwischen Meier und Verein – Modernisierungspotentiale im
Ehrenamt. In: Forschungsjournal Neue Sozial Bewegungen. 1 (2004). Editorial.
156
Ebd.
157
Ebd.
158
Eckhard Priller. „Zum Stand empirischer Befunde und sozialwissenschaftlicher Theorie zur Zivilgesellschaft
und zur Notwendigkeit ihrer Weiterentwicklung“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Opladen 2002. S. 39-54.
159
Sebastian Braun. „Begriffsbestimmungen, Dimensionen und Differenzierungskriterien von bürgerschaftlichem Engagement“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen
Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft, Opladen 2002. S.
55-72.
43
„Die Erwartungen und Ansprüche an freiwilliges Engagement sind gestiegen. Während Erwerbsarbeit (…) notwendig ist, um den Lebensunterhalt zu verdienen, ist freiwilliges Engagement eher sinnstiftend. Freiwilliges Engagement wird insbesondere
dann als befriedigend empfunden, wenn es sich um zeitlich befristete und sachlich begrenzte Projekte mit eigener (Mit)Verantwortung handelt.“160
Für die Engagementlandschaft bleibt diese Entwicklung nicht ohne Folgen. Eckart Pankoke
spricht gar von einer „Spaltung der Bürgergesellschaft“.161 Auf der einen Seite steht das „neue
Ehrenamt“ mit seinen hohen Ansprüchen, auf der anderen Seite das traditionelle Engagement
in Massenorganisationen wie Sport- und Musikvereinen. Pankoke sieht eine bedrohliche Entwicklung: Volksparteien und Gewerkschaften – die Heimat der „bildungsfernen Schichten“ –
bröckeln, während „anspruchsvolleres Engagement“ beispielsweise bei NGOs, boomt. „Die
offensichtliche Attraktivität eines eher punktuellen, dafür aber `steilen´ Engagements der
kleinen und feinen Kreise wird also konfrontiert mit einer jedes Engagement lähmenden sozialen und politischen Verdrossenheit der `kleinen Leute´“.162 Sein Credo lautet, eben diese
niedrigschwelligen Angebote zu fördern, um nicht ganze Schichten aus dem Engagement zu
verdrängen.
Bei der Frage, wer sich engagiert, zeigen sich Ähnlichkeiten zu den USA: Die meisten
Engagierten in Deutschen kommen aus der Mittelschicht, stehen im Erwerbsleben und schultern die freiwillige Tätigkeit nebenbei. Sie stehen mitten in der Gesellschaft und sind daher
auch eher bereit, sich für diese einzusetzen. Diese Motivation wird durch eigene Kinder noch
verstärkt – auch, weil sich durch diese zahlreiche Anknüpfungspunkte für ein Engagement
bieten, beispielsweise im Kontext von Kita, Kindergarten oder Schule. Das 2. Freiwilligensurvey der Bundesregierung betont, dass Kinder insbesondere für Frauen die Brücke in das
Engagement sind. Auch die Gruppe der „jungen Alten“, also die ab 55-Jährigen, hätten ihren
Einsatz in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert. Dies wird – nicht überraschenderweise – darauf zurückgeführt, dass Senioren heutzutage länger aktiv sind und nach ihrer Berufsphase noch nicht die Hände in den Schoß legen möchten.
Eines funktioniert jedoch nicht: Arbeitslosen über bürgerschaftliches Engagement eine
sinnvolle Beschäftigung für die Gesellschaft anbieten. „Gemeinhin gilt als gesicherte Erkenntnis, dass Erwerbslose, SozialhilfeempfängerInnen und insbesondere die Gruppe der so
genannten ´Geringqualifizierten´ nur sehr schwer dazu motiviert werden können, ihre Zeitressourcen in bürgerschaftliches Engagement einzubringen.“163 Ganz im Gegenteil, wer auf der
Suche nach einer Erwerbsarbeit ist, will sich in den meisten Fällen eben nicht ohne Bezahlung
engagieren – zumal in unserer Gesellschaft das Ansehen der Erwerbsarbeit immer noch erheblich höher ist als das des bürgerschaftlichen Engagements. Vermutlich bedarf es zunächst
in dieser Hinsicht eines Bewusstseinswandels, bevor Engagement als Alternative zur Erwerbsarbeit oder doch zumindest als wertvoller Lückenfüller in Zeiten der Arbeitslosigkeit
gesehen wird.
Experten erwarten von der Entwicklung eines „neuen Ehrenamt“ dann auch weniger die
Lösung sozialer Probleme als in erster Linie eine „Rückkehr der Bürger“. Für sie ist der Zulauf zu den 3.Sektor-Organisationen ein Zeichen für eine erstarkende Zivilgesellschaft. Statt
160
Holger Backhaus-Maul. „Engagementförderung durch Unternehmen in den USA“. S. 122.
Eckart Pankoke. „Freies Engagement, zivile Kompetenz, soziales Kapital. Forderung und Förderung aktivierender Netzwerke und Lernprozesse“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft.
Opladen 2002. S. 73-88. Hier S. 74.
162
Ebd. S. 74.
163
Katja Barloschky. „Bürgerschaftliches Engagement im Feld Arbeitslosigkeit und soziale Integration“. In:
Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 3: Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat. Opladen 2003. S. 139-156. Hier S. 142.
161
44
sich im Verein zu organisieren, kümmern sich die neuen Bürgerinnen und Bürger um ihre
„community“ und mischen sich gesellschaftlich ein. Dieses neue Bürgerverständnis – das sich
jenem in den USA annähert – kann natürlich nicht ohne Einfluss auf das Verhältnis von Staat
und Bürger bleiben. Wo dieser sich einmischt und mitmischen will, wo er oder sie zivilgesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, da muss der Staat Platz machen. Die Balance
zwischen Bürger und Staat muss neu ausgehandelt werden. „Eine Stärkung der Bürgergesellschaft bedeutet daher eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürgerinnen
und Bürgern, eine ´neue bürgerschaftliche Verantwortungsteilung`“.164 So hat das neue bürgerschaftliche Engagement auch hohe politische Implikationen. Wissenschaftler sprechen in
dem Zusammenhang von dem „ermöglichenden Staat“, der die Beteiligung der Bürger fördert
– auch wenn sie manches Mal unbequem ist. Wenn der bürgerschaftliche Eifer nicht verebben
soll, muss er zudem auch Konsequenzen im Sinne der Agierenden haben. Das Englische
kennt dafür den Begriff des „empowerment“. Dass es im Deutschen dafür keine adäquate Übersetzung gibt, ist ein weiterer Beleg für die so unterschiedliche angelsächsische Tradition
der Bürgerbeteiligung.
5.2.1. Exkurs: Ehrenamtswandel im Deutschen Roten Kreuz
Die Ansprüche der Engagierten steigen, die klassischen Vereine und Verbände stehen in
zunehmender Konkurrenz mit neuen Angeboten des bürgerschaftlichen Engagements. Also
müssen sie sich modernisieren, wenn sie den Anforderungen der neuen Generation von Engagierten gerecht werden wollen. Die großen Wohlfahrtverbände und Organisationen wie die
Caritas und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sind sich des Wandels sehr wohl bewusst und
haben bereits in den 90er Jahren begonnen, das Verhältnis zu ihren Freiwilligen neu zu überdenken. Am Beispiel der DRK lässt sich diese Diskussion veranschaulichen:165
Das DRK hat in Deutschland rund 4,5 Millionen Mitglieder, weitere 900 000 Geldspender und
über 400 000 Ehrenamtliche, davon rund 60 Prozent Männer. Fast 30 Millionen ehrenamtlich erbrachte Dienst und Einsatzstunden nennt der Jahresbericht 2003166, davon allein 10 Millionen im
Sanitätsdienst. Nachwuchssorgen kennt der Verband derzeit – außer bei den sozialen Diensten
nicht. Der Trend nach unten hat sich wieder umgekehrt. In den 80er Jahren bis Mitte der 90er Jahre
verzeichnete das DRK jedoch, so Eckhard Otte, einen Rückgang an freiwillig Engagierten um sieben bis acht Prozent, danach sei die Zahl der Aktiven aber wieder angestiegen. „Die Tendenz, dass
das Ehrenamt sich wandelt, war schon vor sieben bis acht Jahren sichtbar“, sagt Otte.
Das DRK unterteilt seine Ehrenamtlichen in fünf „Gemeinschaften“. Insgesamt sind in
diesen fünf Gruppen über 320 000 Menschen aktiv, die restlichen 100 000 sind in Vorstandsfunktionen in den 5200 Ortvereinen tätig. Die fünf Gemeinschaften sind:
1.
2.
3.
4.
5.
Bereitschaft: wie Sanitätsdienste, Rettungsdienst, Katastrophendienst.
Sie bilden die größte Gruppe unter den DRK Ehrenamtlichen.
Spezialtruppen wie Bergwacht
Wasserwacht
Sozialer Bereich
Jugendrotkreuz
In den ersten drei Gruppen engagieren sich vornehmlich Männer, sie sind „relativ stark formalisiert“ (Otte), tragen Berufsbekleidung und haben einen gemeinsamen Ethos. Nachwuchsprobleme
164
Enquete-Kommission, Band 4, Seite 100. Mit diesem veränderten Machtverhältnis beschäftigt sich zahlreiche
Literatur der 3.Sektor-Forschung in Deutschland.
165
Die Angaben und Hintergrundinformationen sind das Resultat eines Gesprächs mit Eckhard Otte, der beim
Zentralverband des DRK den Bereich Ehrenamt leitet. Das Gespräch fand am 23.03.2005 in der DRK-Zentrale
in Berlin statt.
166
Pro Jahr und Helfer sind das 73,5 Stunden.
45
gibt es bei diesen Tätigkeiten laut Otte nicht: „Rettungswagen mit Blaulicht, Rettungsboot, Hubschrauber – das zieht eine ganz bestimmte Form von Menschen an. Raus aus dem Alltag, ein bisschen Abenteuer.“ Dafür seien vor allem junge Männer nach wie vor zu begeistern. Nachwuchssorgen hat das DRK eher bei den sozialen Diensten. Hier sind zu 80 Prozent Frauen tätig – es sind
häufig Tätigkeiten des klassischen traditionellen Ehrenamtes wie die Alten-, Behinderten- und
Jugendhilfe. Hier gibt es weder eine starre Hierarchie noch Uniformen. Besonders „ältere Bildungsschichten“ (Otte) engagieren sich hier. „Diese Bereiche sind schwerer zu besetzen.“ Auch
deshalb, weil die Politik sukzessive Ehrenamtliche aus den sozialen Diensten herausgedrängt habe
und eine Professionalisierung verlangte. Er seit kurzem, so Otte, werde der Wert der Ehrenamtlichen wieder erkannt.
Für die Ehrenamtlichen im DRK gelten vier Kriterien:
1. Freiwilligkeit – es darf kein Zwang damit verbunden sein
2. Gemeinwohlorientierung
3. man darf etwas davon haben / Eigennutz
4. keine Vergütung
Den Verantwortlichen wie Otte ist klar, dass die enorme Zahl von 400 000 ehrenamtlich Aktiven
nicht von allein stabil bleibt. Besonders im sozialen Bereich kämpft das DRK mit EngagementRückgängen. „Der Idealtyp der caritativ-religiös motivierten Hausfrau der Mittelschicht als Ehrenamtliche alten Typs, vor allem in den sozialen Diensten, ist deutlich im Schwinden begriffen“,
heißt es in einem Strategiepapier des DRK.167 Bereits Mitte 1996 beschloss daher die Organisation,
„das Ehrenamt im DRK aufgrund der besonderen Bedeutung einer eigenen strategischen Planung
zu unterziehen“ und „überprüfbare Empfehlungen und Maßnahmenvorschläge zur Sicherung des
Ehrenamts in den unterschiedlichen Funktionen im DRK“ zu erarbeiten.168 Eckhard Otte nennt im
Gespräch das Grundproblem: „Es findet ein Generationswandel statt. Es kommen jüngere Leute,
die beruflich viel aufzuweisen haben, die sich engagieren wollen, die aber auch ganz andere Anforderungen an das DRK stellen.“ Die Organisation muss diesen Anforderungen begegnen – und
so lautet das Motto über der Strategiedebatte: „Das traditionelle Ehrenamt bewahren – das neue
gewinnen.“ Dabei sieht sich der Verband in immer stärkerem Wettbewerb mit anderen Engagementformen und Orten. Otte verweist in dem Zusammenhang auch auf die vielen Freiwilligenagenturen, die sich auf kommunaler Ebene in den vergangenen zehn Jahren gebildet haben. Sie
sind eine Anlaufstelle für Bürger, die auf der Suche nach einem freiwilligen Engagement sind und
sich von den traditionellen Angeboten nicht angesprochen fühlen.
Eine gleichrangige Konkurrenz sieht Otte in diesen Agenturen allerdings nicht. Jene Menschen,
die sich an die Agenturen wenden, seien, so Otte, eh nicht das klassische DRK Klientel. „Das ist
ein zusätzliches Potenzial, das wir auch versuchen abzuschöpfen.“ Und so haben auch die großen
Verbänden nun eigene Freiwilligenzentralen gegründet, die Caritas allein 35 bundesweit.169
Ohne Frage haben die neuen Engagementformen und auch die neuen Vermittlungswege neuen
Wind in die traditionellen Verbänden gebracht. Otte bestätigt das. „Wir diskutieren über ein moderneres Freiwilligenmanagement. Beispielsweise bilden wir jetzt Freiwilligen- und Ehrenamtsko167
DRK. „Ehrenamt im Deutschen Roten Kreuz: Strategische und verbandspolitische Empfehlungen“, Stand
11.10.1997. Hier S. 10. Dieses interne 45-seitige Papier wurde mir freundlicherweise von Ewald Otte zur Verfügung gestellt.. Zur parallelen Diskussion in der Caritas siehe: Teresa Bock. „Ehrenamtliches Engagement in der
Caritas – auf der Suche nach innovativen Konzepten“. In Zimmer und Nährlich. S. 89-103.
168
s.o.
169
Gisela Jakob und Heinz Janning weisen darauf hin, dass eine Freiwilligenagentur in einem Wohlfahrtsverband eigentlich ein Widerspruch ist. „Mit ihrem Anspruch einer verbandsunabhängigen und verbandsübergreifenden Tätigkeit geht es den Freiwilligenagenturen um eine breite Engagementförderung (...).“ Jakob/Jannig.
„Freiwilligenagenturen“. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 2 Juni 2000. S. 64 – 67. Hier S.
68. Darüber hinaus werde in diesen angebundenen Agenturen nur das Klientel erreicht, das sich sonst auch an
den Wohlfahrtsverband gewandt hätte.
46
ordinatoren aus. Es ist ein Wettbewerb um die Leute, die sich engagieren wollen“, sagt Otte – und
fügt hinzu: „Aber es ist bislang nicht zu Lasten der traditionellen Verbände gegangen.“
Wie kann nun dem befürchteten Schwund an Ehrenamtlichen entgegengewirkt werden?
Ein Fazit des DRK lautet, dass die alten verkrusteten Strukturen gelockert werden müssen, um
Raum für das neue soziale Engagement zu schaffen. Nicht jede Aktive möchte sich heute
gleich fest in hierarchische Verbandsstrukturen einfügen, sondern seine Zeit flexibel einbringen. Das DRK denkt in seinem Strategiepapier unter anderem darüber nach, Ehrenamtliche
professioneller einzubinden und sie mit Werkzeugen der Personalentwicklung zu fördern.
Fördergespräche, Qualifizierungsangebote und Supervision sind nur einige Wege, um den
Anspruch der jüngeren Ehrenamtlichen, vom Engagement auch selbst zu profitieren, gerecht
zu werden. Der Engagementswandel ist also im vollen Gange, und es wird spannend sein, zu
beobachten, wie das Verhältnis zwischen klassischen und zivilgesellschaftlichen Tätigkeiten
sich in Zukunft entwickeln wird.
5.3. Wo sind Deutschlands Philanthropen?
760 300 Millionäre gab es 2004 laut dem internationalen Wohlstandsreport, dem „World
Wealth Report“170 in Deutschland. Ihre Zahl ist nach einer Berechnung der Investmentbank
Merril Lynch zwischen 1997 und 2004 um über 50 Prozent gestiegen.171 Manche der reichen
Bürger gründen Stiftungen, andere betätigen sich als Mäzene, indem sie in erster Linie kulturelle Projekte mit Geldspenden oder der Überlassung von Kulturgütern unterstützen. Von Berlin aus muss man da gar nicht weit blicken. Da ist zum Beispiel Peter Dussmann, der in einigen Jahrzehnten aus einem kleinen Dienstleistungsbetrieb ein Imperium mit 47 000 Angestellten aufgebaut hat und zu den großzügigsten Förderern der Staatsoper und der Dresdner Frauenkirche gehört172, da sind der Kunstmäzen Günter Braun und der Unternehmer Hans Wall,
der Projekte im öffentlichen Raum finanziert. In Hamburg engagiert sich der Reeder und Milliardär Peter Krämer gemeinsam mit der Nelson Mandela Stiftung für den Aufbau von Schulen in Afrika. Dafür, dass der Alt Linke Reeder eines seiner Schiffe nach Nelson Mandela
benennen durfte, überwies er der Stiftung 1 Millionen Euro, weitere drei Millionen Euro investiert Krämer in das Schulprojekt. Krämer ist ein Gegenbeispiel für die These, in Deutschland könne man nicht wirtschaftlich erfolgreich sein. Er hat es geschafft und will nun – wie in
bester amerikanischer Tradition – „der Gesellschaft etwas zurückgeben“173 Zahlreiche weitere
Stiftungen im Lande stellen ihre Erträge kulturellen und mildtätigen Zwecken zur Verfügung,
fördern Begabte oder Benachteiligte. Andere Millionäre oder Milliardäre investieren in den
Ausbau von Forschung und Wissenschaft – ganz nach amerikanischem Vorbild. Ganz oben
steht dabei derzeit der SAP-Gründer Hasso Plattner. Plattner hat bisher 200 Millionen Euro
für die Gründung und den Betrieb des Potsdamer Instituts für Softwaresystemtechnik bereitgestellt. Zehn Millionen Euro bekam im Jahre 2003 die Mannheimer Hochschule für Renovierungszwecke von ihm überwiesen. Die Familie Otto vom gleichnamigen Versandhaus spendete in den vergangenen Jahren viele Millionen für unterschiedliche Projekte, wie 2,8 Millionen
Euro für die staatliche Jugendmusikschule in Hamburg oder 2003 fünf Millionen Euro für die
Neugestaltung des Jungfernstieges; Michael Schumacher gab 2002 eine Million Euro für die
170
Er wird von der Unternehmensberatung Capgemini und der Investmentbank Merril Lynch herausgegeben.
Die Ergebnisse finden sich auf der homepage des Spiegel.
(http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,359785,00.html)
171
Wolfgang Uchatius, “Wo stehen die Reichen?” Die Zeit, 40/2004
172
Peter Dussmann kann dabei durchaus ein starrköpfiger Gönner sein. Als die Orgel für die wiedererbaute
Frauenkirche in Dresden, die er finanzierte, nicht seinen Vorstellungen entsprach, wollte er seine Zusage zurückziehen. Man einigte sich schließlich.
173
Ludwig Greven. “Tue Gutes und Rede darüber”. Financial Times Deutschland. 12.05.2005.
47
Flutopfer in Deutschland, und Ende 2004 zehn weitere Millionen Euro für die TsunamiOpfer. Interessant und aufschlussreich sind die Reaktionen der Formel-1-Fans auf diese großzügige Geste. Der Online- Nachrichtendienst F1Total.com veröffentlichte nach einer Umfrage
mit mehr als 5.300 abgegebenen Stimmen folgendes Meinungsbild: 20,67 Prozent der
deutschsprachigen Formel-1-Fans waren der Meinung, dass der Betrag für den siebenfachen
Weltmeister „ein Klacks“ sei und er sich damit nur profilieren wollte. Weitere 16,35 Prozent
empfanden eine solche Geste bei einem Top-Verdiener, wie es Schumacher nun einmal ist, als
selbstverständlich. Insgesamt betrachten somit rund 37 Prozent die Spende kritisch. So wundert es nicht, dass viel Engagement im Verborgenen stattfindet. 174
Die oben genannten Mäzene können jedoch nicht überdecken, dass Philanthropie in der
deutschen Elite, anders als in den USA oder auch im wilhelminischen Deutschland, keine
gesellschaftliche Norm ist. Das zeigt der Vergleich des gespendeten Vermögens eben so wie
das Volumen der großen Stiftungen. Doch warum hat sich in Deutschlands Nachkriegsgesellschaft nicht eine ähnliche philanthropische Verantwortung der reichen Oberschicht für ihre
Gesellschaft entwickelt wie in den USA? Diese Fragen, betont Karsten Borgmann zu Recht,
haben in der deutschen Forschung bisher wenig Beachtung gefunden.175 Das Thema Armut
stößt auf großes wissenschaftliches Interesse, über die sozialen Implikationen des Themas
Reichtums wird hierzulande jedoch wenig debattiert. Wenn es darum geht, die „Reichen“ an
ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern, dann greift die Politik zu einem einfachen
Mittel: SPD und Grüne diskutierten vor der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 (erneut) eine
höhere Besteuerung großer Vermögen. Das ist äußerst populär, meines Erachtens aber kontraproduktiv bei dem Bemühen, eine Verantwortungskultur in der reichen Oberschicht des Landes zu etablieren. Vielmehr bedient die Diskussion die Neiddebatte und drängt begüterte Bürger in eine Rechtfertigungsecke, die einen schlechten Ausgangspunkt für gesellschaftliches
Engagement darstellt. Anders als in den USA sind große Vermögen und Einkünfte in
Deutschland nicht Anlass für Bewunderung, sondern für Misstauen und Neid. Aus eben diesem Grund wagen sich viele Vermögende gar nicht an die Öffentlichkeit. Marita Haibach,
profilierte Fundraiserin und Autorin, stellt fest: „Wer sich als vermögend outet, muss mit
Schimpf, Schmäh und Neid fürchten. Doch vermögende Menschen, die sich verstecken (müssen), nützen der Gesellschaft wenig.“176 Diese Wirtschaftselite durch höhere Steuern an ihre
„Verantwortung“ zu erinnern, bietet der wohlhabenden Schicht gute Argumente, sich dem
Thema gesellschaftliche Verantwortung nicht stellen zu müssen: Je höher der Steuersatz, desto überzeugender ist eine Argumentation, die besagt, man tue schließlich schon genug für den
Staat. Dabei ist die Zeit für Philanthropie eigentlich nicht schlecht: Die Zahl der Millionäre
und Milliardäre wächst, und mit ihnen ihr Vermögen. Das häufig vorgebrachte Argument, den
Deutschen gehe es eben nicht so gut wie den Amerikanern, deshalb sei die Philanthropie hierzulande so wenig ausgeprägt, kann man also so nicht gelten lassen..177
Der Wissenschaftler Thomas W. Gaehtgens ist eine der wenigen Stimmen in der Diskussion, die kritische Fragen zum Engagement der Gutverdienenden in Deutschland zumindest
stellen. Er stellt fest, dass das Geld der Fördervereine deutscher Museen zum großen Teil aus
den Taschen von Bürgern stammt, die eben nicht zu den Spitzenverdienern gehören. Für ihn
ist das ein erstaunlicher Befund. Gaehtgens: „In der Presse ist immer wieder zu lesen, welche
gewaltigen Summen bei Übernahmen von Unternehmen gezahlt wurden. Wenig liest man
174
Anders stellt sich das dar, wenn Unternehmen sich großzügig zeigen. Darauf werde ich in einem anderen
Kapitel eingehen.
175
Karsten Borgmann. “Kultur des Reichtums. Philanthropy, Wohltätigkeit und Elite in den Vereinigten Staaten
von Amerika“. In: Thomas W. Gaehtgens und Martin Schieder (Hrsg). Mäzenatisches Handeln. Studien zur
Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Fannei und Walz 1998. S. 230.
176
Marita Haibach. „Erbinnen als Spenderinnen und Stifterinnen“. In: Durchblick. 3 (2003). S. 13-15. Hier S. 13.
177
Derweil wächst der Abstand zwischen Arm und Reich: „Zwischen 1990 und 2002 konnten Unternehmer und
Vermögende in Deutschland ihr durchschnittliches Bruttoeinkommen preisbereinigt um rund 40 Prozent steigern. Die Bruttolöhne und –gehälter pro Arbeitnehmer dagegen stiegen lediglich um sieben Prozent.“ Ebd.
48
darüber, dass die so großzügig Ausgestatteten im selben Atemzug einen Teil des Betrages
gestiftet hätten. Diese Tugend ist in der amerikanischen Gesellschaft weiter verbreitet.“
Es scheinen also vor allem zwei Faktoren zu sein, die verhindern, dass Philanthropie in
Deutschland zu einem ähnlich gesellschaftsgestaltenden Element geworden ist wie in den
USA. Zum einen hat sich die staatliche Bürokratie nach dem zweiten Weltkrieg weiter ausgeweitet und dem Bürger sukzessive Verantwortung aus der Hand genommen. Er wurde
Schritt für Schritt demotiviert, sich selber zu engagieren – denn ein solches Engagement
schien schlichtweg nicht erwünscht. Steuern zahlen und ruhig halten, hieß die Devise, die erst
seit einigen Jahren massiv hinterfragt wird. Zum andern hat Philanthropie aber in Deutschland
auch keine identitätsstiftende Funktion innerhalb der Elite mehr. Wer sich engagiert, wird
gelobt (wenn überhaupt), wer es nicht tut, wird deshalb nicht weniger geachtet oder gar geächtet. Es fehlt, wie Rainer Sprengel vom Maecenata Institut sagt, eine Einforderung- und
eine Anerkennungskultur. Nur eine Gesellschaft, die Bürgerengagement anerkennt, kann es
auch einfordern. Und eine Gesellschaft, die Engagement einfordert, muss auch möglichst viel
Spielraum für private Initiativen lassen. Mangelndes Engagement hat meines Erachtens häufig
seine Ursache in mangelnder Mitgestaltungsmöglichkeit. Staat und Verwaltung müssen aktive
Bürger einbeziehen, nicht nur als Financiers, sondern als kreative Köpfe, denen auch Einfluss
und Mitsprache zugestanden wird.
5.4. Finanzierung: Vater Staat oder Fundraiser?
Am Beispiel der deutschen Museen lässt sich zeigen, wie eng dieser Spielraum hierzulande im Vergleich zu den USA ist. Die meisten Museen in Deutschland sind öffentliche Institutionen – es sind im Grunde Behörden, und sie werden auch wie solche geführt. Anders in die
USA: Dort sind die weitaus meisten Museen private Einrichtungen178, von Mäzenen gegründet in der zweiten Hälfte des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sie finanzieren
sich heute zum großen Teil aus privaten Einnahmen, erhalten aber auch staatliche Zuschüsse
von rund 20 Prozent. In Deutschland ist das Finanzierungsverhältnis genau umgekehrt.
Anders als in Deutschland, sieht der US-amerikanische Staat die Förderung der Kunst
nicht als seine Aufgabe, er bietet somit dem privaten Engagement ein breites Betätigungsfeld.
Hier ist Philanthropie und Einfallsreichtum gefragt. Die amerikanischen Museen müssen sich
Jahr für Jahr um private Einnahmen bemühen. Um ihre Etats zu finanzieren, haben sie (wie
andere Einrichtungen auch) eigene, häufig mit zahlreichen Angestellten besetzte Fundraising
Abteilungen. Allein die Fundraiser des New Yorker „Museum of Modern Art“ trieben im Jahr
2003 über 85 Millionen Dollar ein. In Deutschland steckt das Fundraising-Geschäft jedoch
noch in den Kinderschuhen. Die Zurückhaltung beim Thema Fundraising können sich hingegen nur jene Organisationen leisten, die in erster Linie von öffentlichen Mitteln leben – wie
der etablierte Kulturbetrieb. Doch je geringer das Maß an staatlicher Subventionierung, desto
größer ist zwangsläufig auch hierzulande die Notwendigkeit, sich um andere Einnahmen zu
bemühen.
Dabei ist eines zu beachten: Je jünger die Organisationen und je staatsferner, desto näher
kommen sie beim Thema Fundraising dem amerikanischen Modell. Zwangsläufig – denn wo
es – wie in vielen 3. Sektor Organisationen – keine öffentlichen Gelder gibt, sind die Organisationen auf Spenden angewiesen und werben entsprechend professionell um sie. Ein Beispiel
für modernes Fundraising in Deutschland ist die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Laut
178
„Die meisten Museen in den Vereinigten Staaten, und gerade die bedeutenden unter ihnen, wie das Metropolitan Museum of Art, das Boston Museum of Art, das Philadelphia Museum of Art, das Museum of Modern Art,
das Art Institute in Chicago, die Museen in Los Angeles, Detroit, St. Louis oder Houston, werden, jedenfalls
zum weitaus größten Teil, aus privaten Mitteln, das heißt aus Zuwendungen der Bürger sowie Stiftungen, getragen. Dies gilt für die Personalmittel in gleicher Weise.“ Gaehtgens. „Der Bürger als Mäzen“. S. 8
49
Cheffundraiserin Melanie Stöhr hat ihre Abteilung mit neun Kollegen im Jahr 2004 rund 41,5
Millionen Euro eingeworben – den gesamten Etat von Greenpeace Deutschland.179 Zwei Prozent des Gesamtetats fließen ins Fundraising. Dabei geht Stöhrs Team so professionell vor
wie ihre amerikanischen Kollegen – wenn es auch nach ihren Aussagen in Deutschland noch
gesellschaftliche Tabus zu beachten gibt. So ist das Thema Erbschaften lange Zeit hierzulande
gemieden worden, mit einem Menschen über seinen Tod und seine zu vermachendes Vermögen zu reden, galt als unschicklich – in den USA findet niemand daran etwas anstößiges.
Dabei liegt in Erbschaften für Fundraiser ein ungeheures Potential: Eine repräsentative
Umfrage der BBE Unternehmensberatung aus dem Jahr 1999 ergab folgende Zahlen: 1999
wurden in Deutschland mehr als 133 Milliarden Euro vererbt. Zwischen 2000 und 2010, so
BBE, liegt die Summe aller Erbschaften vermutlich bei etwas 2,2 Billionen Euro.
Es gibt jedoch auch 3. Sektor Organisationen – wie das DRK – die auf ein aufwändiges
Fundraising scheinbar verzichten können. Auch das DRK trägt sich allein aus Einnahmen
seiner Mitglieder, deren Basis ist jedoch so groß, dass zusätzliche Aktionen kaum nötig zu
sein schein, so Adrian Teetz. Er ist beim Generalsekretariat des DRK in Berlin Bereichsleiter
für Kommunikation und Marketing. Eigenes Fundraising-Personal gebe es nicht, aber einige
Stellen für die Verwaltung der Spendenmanagements, so Teetz im Gespräch. Er will jedoch
nicht ausschließen, dass sich dies in Zukunft ändert.180 Ein Blick in den Stellenmarkt zeigt,
dass in der Tat ein Veränderungsprozess in Gang gebracht ist. In der Süddeutschen Zeitung
vom 12. Juni 2005 suchten gleich zwei Organisationen professionelle Fundraiser: Zum einen
die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg, zum anderen das Unionhilfwerk, ein Träger der freien Wohlfahrtspflege.
Für öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen scheinen private Spenden aber noch nicht
überlebensnotwendig, das zeigt ein Blick auf die Staatlichen Museen zu Berlin. Deren Pressesprecher, Matthias Henkel, ist in Personalunion für Pressearbeit, Sponsoring und Marketing
der gesamten staatlichen Museen in Berliner zuständig!181 Die einzelnen Museen verfügen
ebenfalls nicht über eigenes Personal für Fundraising-Aktivitäten. Henkel sagt, dass jedoch
jedes Museum einen eigenen Freundeskreis habe, der sich auch um Ankäufe von Objekten
kümmere. Die bekanntesten sind der bereits erwähnte Kaiser-Friedrich-Museumsverein, der
älteste seiner Art, und der Freundeskreise der Neuen Nationalgalerie. Unter der Leitung ihres
pfiffigen Vorsitzenden holten sie im Jahr 2004 die Sammlung des New Yorker Museums of
Modern Art (MoMa) während deren Umbaus182 nach Berlin und erzielten damit einen Reingewinn von 6,5 Millionen Euro, die der Nationalgalerie zufließen. Die MoMa Ausstellung
war privat organisiert, professionell organisiert und vermarktet und Gespräch in ganz
Deutschland. Hier zeigte sich, was private Förderer auf die Beine stellen können, wenn sie
etwas wagen. Gaehtgens nennt die Berliner Ausstellung dann auch „ein Beispiel für bürgerliches Engagement zur Förderung der Kunst par excellence“.183
Doch dieses Engagement findet quasi in einer Parallelwelt zur öffentlichen Museumsverwaltung statt, nicht wie in den USA, eingebettet in diese. Die monetäre Unterstützung durch
die Freundeskreise dient zumeist der Anschaffung neuer Ausstellungsstücke, den Unterhalt
des Gebäudes und die Finanzierung des Personals bleibt dem Staat überlassen.
Thomas W. Gaehtgens weist zudem darauf hin, dass sich in Deutschland zwar etliche
Freundeskreise zur Unterstützung von Museen und Theatern gegründet haben – die Zahl der
in ihnen engagierten Deutschen jedoch weit hinter amerikanischen (und französischen) Ver179
Vortrag auf dem Deutschen Fundraising Kongress in Magdeburg am 21.04.2005.
Persönliches Gespräch am 5. April 2005 in den Räumen der DRK-Zentrale in Berlin.
181
Persönliches Gespräch mit Matthias Henkel.
182
Das New Yorker MoMa wurde nach einem aufwändigen Umbau am 15.11.2004 wiedereröffnet. Finanziert
wurde das 125 Millionen Dollar teure Projekt durch „großzügige Spenden. Die Gönner sind verewigt“. Quelle:
Tagesschau. 15.11.2004.
183
Gaehtgens. “Der Bürger als Mäzen”. Manuskript, S.1.
180
50
hältnissen zurückbleibt: „In einer Stadt wie Berlin mit über drei Millionen Einwohnern beträgt die Mitgliederzahl bei den Freunden der Nationalgalerie kaum über 1000 (und davon
wohnt eine erhebliche Zahl nicht in Berlin), bei den Freunden der Preußischen Schlösser und
Gärten sind es 1300. Viele Mitglieder sind in beiden Vereinen. Zum Vergleich, die Société
des amis du Louvre hat 70.000, der Freundeskreis des Metropolitan Museums umfasst weit
über 100.000 Mitglieder.“184
5.5. Einsatz ohne Einfluss? Beispiel Museen
Nicht nur in der Finanzierung, auch in der Führung unterscheiden sich deutsche und amerikanische Museen fundamental. Gaehtgens berichtet aus seiner Erfahrung als Trustee (Treuhänder) des Clark Art Institute in Williamstown/USA. Das Gebäude sowie die hochrangige
Sammlung des Clark Instituts wurden von dem Ehepaar Clark hinterlassen. Sie gründeten
auch eine Stiftung, um langfristig den Fortbestand des Museums zu sichern. Eine Reihe von
Trustees ist für die Institution verantwortlich, ihnen ist auch der Direktor unterstellt. Trustee
zu sein, macht Gaehtgens deutlich, hat vielfältige Implikationen:
„Eine Gruppe von in Wirtschaft und Kultur erfolgreichen Bürgern kommt mehrfach im
Jahr zusammen, um ein oder zwei Tage lang intensiv über die Museumsangelegenheiten zu
beraten. (...) Es ist eine Ehre, Trustee in einem amerikanischen Museum zu werden. Aber
den Trustee erwartet ein hohes Maß an Arbeit, an Mitwirkung und Verantwortung, denn
die Beschlüsse dieses Gremiums sind absolut verbindlich. Dieses System gilt auf mehr oder weniger ähnliche Weise in den meisten amerikanischen Museen. (...) Ein Museumsdirektor kann weder ein Bild oder eine Zeichnung erwerben, noch sie auf eine Ausstellung
ausleihen, ohne die Zustimmung der Trustees. Jede Finanzierung einer Ausstellung oder
einer Erwerbung wird vollständig durchleuchtet und sehr ernsthaft abgewogen. Und
selbstverständlich werden alle Einstellungen und Entlassungen des leitenden Museumspersonals von den Trustees vorgenommen. (...) Ein solches Museum hat damit nicht nur einen
zusätzlichen Beraterstab von erfahrenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Sondern
die Trustees zeichnen sich darüber hinaus durch ihr commitment aus, durch ihren leidenschaftlichen Einsatz, ihre Einrichtung weiterzuentwickeln.“185
Hier verbindet sich Engagement mit gesellschaftlicher Verantwortung. Das Engagement bezieht seinen Reiz zum großen Teil aus dem Einfluss, der sich damit verbindet. „In den Vereinigten Staaten ist das Stiften viel selbstverständlicher, gerade für die erfolgreichen Bürger,
weil sie an der Entwicklung einer lebendigen Kulturinstitution, wie dem Museum, selbst mitwirken können, “186so Gaehtgens. Anders in Deutschland: Die Freundeskreise unterstützen
die Museen, das eigentliche Sagen hat jedoch der öffentliche Träger des Museums beziehungsweise die von ihm eingesetzte Leitung.187 Hier vermischen sich zwei zentrale Aspekte
für bürgerschaftliches Engagement in den USA: Die Beteiligungskultur – die Bürgern
bestimmen maßgeblich über das Museum mit – und die Einforderungskultur von Engagement
vor allem innerhalb der Oberschicht. Wer zur Elite des Landes zählen will, muss sich quasi
als Trustee in einer wichtigen Organisation engagieren.
Die sehr andersartige Beziehung zwischen Mäzen und Museum in Deutschland (der eine
gibt Geld, der andere gestaltet) hat Tradition. Karsten Borgmann beschreibt diese Beziehung
zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland, aber seine Beobachtung lässt sich meines
184
Gaehtgens. Manuskript. S. 13. Aus eigener Erfahrung kann ich ergänzen, dass in San Francisco die Mitgliedschaft im Freundeskreis des MoMa für die Mittelschicht quasi eine Selbstverständlichkeit ist.
185
Ebd. S. 14f.
186
Ebd. S. 16.
187
Karsten Borgmann. „´The Glue of Cicvil Society´: A Comparative Approach to Art Museums Philanthropy at
the Turn of the Twentieth Century”. In: Adam 2004. S. 34 – 54. Hier S. 42.
51
Erachtens problemlos auf die Gegenwart übertragen. Borgmann erläutert, dass deutsche Mäzene die Verwaltung ihrer Werke gerne der öffentlichen Museumsverwaltung überließen, sie
gaben Geld und Kunst und vertrauten sie der öffentlichen Hand an, die sie in Kunst und
Verwaltungsfragen als kompetenter erachteten. Ein prominentes Beispiel für dieses Verhältnis
ist der Direktor des Königlichen Sammlung in Berlin, Wilhelm von Bode, an den heute noch
ein Museumsname auf der Berliner Museumsinsel erinnert. Er verstand es vorzüglich, private
Mäzene an die öffentliche Sammlung zu binden, ohne ihnen zuviel Einfluss zuzugestehen.
1897 gründete Bode den Kaiser-Friedrich-Museumsverein, ein (immer noch bestehendes)
Vorbild für die vielen hundert Freundeskreise, die es heute in Deutschland gibt. Dessen Mitglieder sollten Geld für das Museum sammeln, sich ansonsten aber zurückhalten. Als Gruppe
trat der Verein kaum in Erscheinung, vielmehr pflegte Bode zu Kontakt zu den einzelnen Mäzenen. So blieben diese – anders als in den USA – von allen wichtigen Fragen die Sammlung,
die Führung und Verwaltung betreffend, quasi außen vor. Sie wiederum vertrauten Bode und
seiner Kompetenz.188
So ist es auch heute noch in vielen Fällen. In den USA hat die Elite ihr Mäzenatentum
immer als Möglichkeit gesehen, Macht und Kontrolle im Kulturbereich zu erlangen und auszuüben. In Deutschland verließen sich die Mäzene in dieser Beziehung häufig auf den Staat
(wie in vielen anderen auch), sie gaben willig Geld ohne Einfluss zu fordern.189
5.5. Dann schon lieber Stifter werden
Die Stiftungskultur wird von der Politik immer wieder als Beispiel für den engagierten
deutschen Bürger hervorgehoben, doch ist vieles für den Betrachter verwirrend und intransparent. Für deutsche Stiftungen gilt ähnliches wie für das Thema Reichtum in Deutschland generell. Vieles bleibt im Verborgenen.190
So sind die Motive der neuen Stiftergeneration noch wenig erforscht. Ein junges und seltenes Gegenbeispiel ist die Stifterstudie der Bertelsmann Stiftung191, die deutsche Stifter auch
zu ihren Beweggründen und Zielen befragt: Ihr Autor Karsten Timmer wertete 629 von Stiftern192 ausgefüllte Fragebögen aus und führte 20 Interviews. Dabei fragte er die Stifter auch
nach ihren Motiven. Sie ähneln denen der von Francie Ostrower befragten New Yorker Reichen: Die persönliche Motivation, etwas bewirken zu wollen, gesellschaftliche Verantwortung
zu übernehmen und auch der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Doch der am
häufigsten genannte Grund, eine Stiftung zu gründen, war mit 37 Prozent die Sorge um einen
geordneten Nachlass, mit 27 Prozent die Tatsache, dass keine Erben vorhanden sind und 26
Prozent die Angabe, dass die Stifter sich gefragt hatten, was sie mit ihrem Nachlass Sinnvolles anstellen könnten.
188
So geschieht es auch heute noch häufig. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung preußischer Kulturbesitz, zählt zahlreiche Beispiele auf, in denen private Sammler ihre Exponate den staatlichen Museen zu Berlin
zur Verfügung stellen, die sich wiederum um die Ausstellung kümmert. Die Sammlungen von Helmut Newton
und Christian Flick sind nur zwei Beispiele.
189
In letzter Zeit zeigt sich jedoch, wie Abhängig die öffentlichen Museen von ihren Mäzenen ist. Diese haben
mit ihren Sammlungen ein Druckmittel in der Hand und können bei Nichterfüllung von Forderungen mit dem
Abzug ihrer Kollektion oder deren Verkauf drohen. Schlagzeilen machte im Juli 2005 der Großsammler Hans
Grothe, der seine in mehreren Museen untergebrachte Sammlung verkaufte. Die Museen, die die Konservierung
und Versicherung von Grothes Werken getragen hatten, waren letztlich machtlos. Zudem hatte der Sammler
beim Ankauf der Werke häufig Museumsrabatt bekommen. Siehe Bernhard Schulz. „Szenen einer Ehe“. Der
Tagesspiegel. 9.Juli 2005.
190
„Nach wie vor zu wenig bekannt ist die Vielfalt von Ansätzen, Ausprägungen und Verwirklichungsformen
von Stiftungsarbeit. Die weitverbreitete Intransparenz führt dazu, dass nur einige große, für die Gesamtheit nicht
repräsentative Stiftungen im Blick der Öffentlichkeit stehen.“ Maecenata Institut. „Bürgerengagement und Zivilgesellschaft in Deutschland“. S.7.
191
Wesentliche Plattformen zur Förderung des Stiftungsgedankens sind die Bertelsmann Stiftung und der Bundesverband Deutscher Stiftungen.
192
Alle Befragten hatten in den vergangenen 15 Jahren ihre Stiftung gegründet.
52
Bei der Höhe der Stiftungen offenbart sich allerdings ein wesentlicher Unterschied zu den
amerikanischen Pendants. Deutsche Stiftungen sind in der Mehrheit mit erheblich weniger
Kapital ausgestattet als US-amerikanische. 16 Prozent haben weniger als 50 000 Euro Stiftungskapital, die jährlichen Ausschüttungen bewegen sich also im einstelligen Tausenderbereich. Nur sieben Prozent der Stifter haben mehr als 2,5 Millionen Euro eingebracht.193 „Die
amerikanischen Stiftungen sind vom Finanzvolumen her erheblich größer“, sagt Rainer
Sprengel, stellvertretender Direktor des Maecenata Instituts in Berlin.
Daraus folgt, dass auch das Ausgabevolumen der deutschen Stiftungen begrenzt ist – da
sie ihr Vermögen nicht antasten dürfen. Laut Maecenata Institut gaben die deutschen Stiftungen im Jahr 2004 rund 25 Milliarden Euro aus. 18 Milliarden davon investierten die zahlenmäßig überwiegenden operativen Stiftungen in ihre Anstalten oder Projekte. Knapp sieben
Milliarden Euro gaben nicht operative Stiftungen zur Förderungen fremder Projekte aus.194
Timmers Studie ist ein wichtiger Anfang. Aber auch sie ist nur innerhalb akademischer
Zirkel ein Thema. Eine öffentliche Diskussion über die Vor- und Nachteile von Stiftungen,
über ihre Gefahren und Chancen, wie sie es in den Vereinigten Staaten bereits in den 60er
Jahren erhitzt geführt wurde, findet sich in Deutschland nicht, und wenn, dann in den verborgenen Kammern der Wissenschaft statt. Stattdessen werden Stiftungen und Stifter landauf
landab als gesellschaftliche Vorbilder auf das Schild gehoben. Wer es wagt, kritisch zu hinterfragen, gilt schnell als Miesmacher. Doch kritische Fragen sind angesichts des deutschen Stiftungsbooms durchaus erlaubt und auch vonnöten: Da ist zum einen jene nach der Institutionalisierung von Einfluss. „Sie (Stiftungen) können Mechanismen sein, sozialökonomische Vorsprünge in politische und kulturelle Macht zu übersetzen“, weist Jürgen Kocka auf einen Aspekt hin.195 So gibt es durchaus Kritik am Einfluss der Bertelsmann-Stiftung auf den Politikbetrieb. Wo eine Unternehmens Stiftung regierungsberatende Aufgaben übernimmt, ist die
Grenze der Beeinflussung leicht überschritten.
Ein zweiter Aspekt betrifft die Finanzierung und Transparenz: Wer sein Vermögen in eine
Stiftung einbringt oder für einen guten Zweck spendet, spart in hohem Maße Steuern. Dieses
Geld geht dem Staat verloren – zugleich könnte man also sagen, dass jede Stiftung quasi öffentlich subventioniert ist: 30-50 Prozent des Stiftungsvermögens wären sonst beim Fiskus
gelandet und wären letztendlich der Gesellschaft zugute gekommen. Daraus sollte man
schließen, dass Stifter und alle gemeinnützigen Organisationen Rechenschaft über die Verwendung ihres Geldes ablegen müssen – doch dem ist in Deutschland nicht so. In den USA
müssen im Formular 990 alle Non-Profit-Organisationen detailliert ihre Finanzen sowie die
Gehälter der fünf bestbezahlten Angestellten aufschlüsseln, im Internet sind alle Auskünfte
abrufbar. Deutschland sind solche strikten Vorschriften fremd, einige üben aus Selbstverpflichtung Offenheit, andere sind völlig verschwiegen. Das soll nicht bedeuten, dass in der
Stiftungslandschaft im großen Maße Missbrauch betrieben würde – aber er ist durch die mangelhafte Transparenzpflicht zumindest möglich. Experten sehen insbesondere die nicht gemeinnützigen Stiftungen von Firmen sehr kritisch. Dazu gehören auch die Lidl- oder Kaufland-Stiftung. Sie wurde weniger aus Steuerspargründen ins Leben gerufen (denn die Möglichkeiten sind bei dem Typus gering) als dafür, Publizitätspflichten und Mitbestimmungsregeln zu umgehen.196 Auch gemeinnützige Stiftungen halten häufig wenig von Offenheit und
betrachten ihre Stiftungen eher als Privatangelegenheit denn als öffentlich geförderte Unternehmung.
193
Zahlreiche Materialien zu Timmers Studie finden sich auf der homepage der Bertelsmann-Stiftung:
www.bertelsmann-stiftung.de. Die Studie selbst: Karsten Timmer. Stiften in Deutschland. Die Ergebnisse der
Stifter Studie. 1. Auflage 2005. 184 Seiten.
194
Maecenata Institut. „Bürgerengagement und Zivilgesellschaft in Deutschland, Stand und Perspektiven 1.
Januar 2005“. www.maecenata-institut.de.
195
Kocka. S.6.
196
Vgl Kristina Läsker. „Wohltaten im stillen Winkel.“ Süddeutsche Zeitung,. 28./29.05.2005.
53
Kritik üben Experten auch an dem Verhalten gemeinnütziger Organisationen. Der ehemalige Vorsitzende der Enquete-Kommission für Bürgerschaftliches Engagement fordert laut der
Süddeutschen Zeitung für den gesamten Non Profit Bereich größere Transparenz. Bislang
fehlt sogar ein bundesweites Register aller als gemeinnützig anerkannten Organisationen – da
dies Ländersache ist. Und die Länderverzeichnisse enthielten häufig nur Namen und Zweck,
nicht aber Einnahmen und Ausgaben. Die erhält man nur, wenn die Organisation dies möchte.
Wer aber kann da überhaupt prüfen, dass Sinn und Zweck der Gemeinnützigkeit wirklich erfüllt werden?
5.6. Bürgerstiftungen: Von Bürgern für Bürger
Über 80 Jahre dauerte es, bis ein besonderer Stiftungsgedanke seinen Weg über den Atlantik fand. Bereits 1914 wurde in Ohio/USA die erste Bürgerstiftung (community foundation)
gegründet, heute gibt es in den USA 600 solcher kommunalen Initiativen. In den 90er Jahren
brachte Reinhard Mohn, Gründervater des Bertelsmann Imperiums, die Bürgerstiftung nach
Deutschland. 1996 wurde die erste deutsche Bürgerstiftung in Gütersloh, dem Sitz der Bertelsmann Zentrale gegründet, heute gibt es 60 bis 170 (je nach Definition) ihrer Art. Ihre Zahl
wächst so schnell, dass Stefan Nährlich vom Verein „Aktive Bürgerschaft“ Deutschland als
Boomland der Bürgerstiftungen bezeichnet.197 In keinem anderen Land verbreite sich dieser
Gedanke so schnell wie hier.
Bürgerstiftungen sind auf eine Gemeinde oder Region bezogen. Sie sind im Idealfall unabhängig von staatlichen oder kommunalen Strukturen. Sie gründen auf dem Gedanken, dass
Stiftungen nicht nur von reichen Bürgern mit großem Stiftungskapital gegründet werden können, sondern auch von „Normal“bürgern – wenn sich diese zusammenschließen. Im letzteren
Fall entsteht eine Stiftung von Bürgern für Bürger, denn die Erträge einer Bürgerstiftung fließen in die Kommune. In der Regel unterstützen die Stiftungen Projekte im Bildungs-, Jugendoder Kulturbereich. „Bürgerstiftungen sind ganz besonders geeignet, die Identität einer Bürgergesellschaft von unten aufzubauen“, sagt Stefan Nährlich.198 Jeder könne es sich leisten,
einen Stiftungsbeitrag zu leisten. Bürgerstiftungen dürfen jedoch nicht von einer Einzelperson
oder einem Unternehmen dominiert werden. Dies ist einer der Grundsätze, die auch für community foundations in den USA gelten. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat Merkmale für eine Bürgerstiftung festgelegt. Die wichtigsten sind:
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Eine Bürgerstiftung ist gemeinnützig und stärkt das Gemeinwesen.
Eine Bürgerstiftung wird von mehreren Stiftern errichtet.
Eine Bürgerstiftung ist wirtschaftlich und politisch unabhängig und darf
nicht von einzelnen Stiftern, Parteien oder Unternehmen dominiert werden.
Das Aktionsgebiet ist regional begrenzt.
Eine Bürgerstiftung baut kontinuierlich Kapital auf.
Eine Bürgerstiftung macht ihre Projekte öffentlich.
Eine Bürgerstiftung wirkt in einem breiten Spektrum des städtischen und
regionalen Lebens.
Häufig sitzen als Geldgeber neben einfachen Bürgern auch Geschäftsleute oder Banken mit
im Boot. Letztere haben sich in Deutschland sogar aktiv an der Verbreitung von Bürgerstiftungen engagiert. So wird das Netzwerk „Aktive Bürgerschaft“ in Berlin von den Genossenschaftsbanken getragen.199 Sie sind in vielen Städten und Gemeinden an der Gründung der
198
199
Im Gespräch mit der Autorin im 18. März 2005 in den Räumen des Vereins in Berlin.
siehe www.aktive-buergerschaft.de.
54
lokalen Bürgerstiftungen beteiligt bzw. treiben diese von Berlin aus voran. Laut Stefan Nährlich wurden bisher rund 30 Bürgerstiftungen in Deutschland mit Unterstützung des Vereins
„Aktive Bürgerschaft“ ins Leben gerufen. Häufig sei ein lokales Bankjubiläum der Anlass für
die Gründung. Die Banken, so sehen es die Statuten vor, dürfen die Bürgerstiftungen allerdings nicht dominieren.200 Weitere große Förderer des Gedankens sind die Bertelsmann Stiftung und der Bundesverband Deutscher Stiftungen. Sie alle begleiten Interessierte bei der
Gründunge einer Bürgerstiftung.
Bürgerstiftungen erfüllen, was die Förderung der Bürgersgesellschaft angeht, mehrere
wichtige Funktionen. Sie bieten unter anderem auch nicht vermögenden Menschen die Möglichkeit, sich an einer Stiftung zu beteiligen und sich in ihr zu engagieren. Ab 1000 Euro wird
der Bürger Mitglied der Stifterversammlung. Innerhalb der Bürgerstiftung kann zivilgesellschaftlichen Verhalten geübt und ausgeübt werden, beispielsweise durch die Entscheidungsprozesse, in welche kommunalen Projekte die Erträge fließen sollen. Bürgerschaftliches Engagement löst sich hier von staatlichen Strukturen und von großen Organisationen.
Es bleibt allerdings auch hier mittelstandszentriert. Stefan Nährlich räumt ein, dass die
meisten Akteure der Bürgerstiftungen aus dem bürgerlichen Milieu kommen. „Die Idee trifft
den Zeitgeist von in die Jahre gekommenen Akademikern mit liberalem, konservativem oder
grünem Touch.“ Daraus resultiert, dass die mit Geld bedachten Projekte häufig in der Kulturarbeit angesiedelt sind. Allerdings seien auch Jugendprojekte bei den Bürgerstiftern beliebt.
Weniger Geld fließe in den Sozialbereich. „Das unterstützte Projekt muss für möglichst viele
in der Stadt Bedeutung haben“, sagt Stefan Nährlich, sonst sei die Akzeptanz der Stiftung
nicht so groß.“ Er geht davon aus, dass sich der Förderschwerpunkt der Bürgerstiftungen in
den kommenden Jahren verlagern wird – allein aus dem Grund „dass man nicht immer das
Gleiche fördern könne“. Dass sich in Bürgerstiftungen irgendwann Bürger aller Schichten
wiederfinden, hält er für hingegen für unwahrscheinlich.
Weniger euphorisch angesichts des Booms der Bürgerstiftungen ist Professor Annette
Zimmer. Sie weist darauf hin, dass die Erträge der Stiftungen häufig „lächerlich klein“ seien.
Aus den Erträgen der noch jungen Münsteraner Bürgerstiftung, die ein Kapital von 560 000
Euro habe, „können sie jedem Schüler in Münster einmal im Jahr ein Eis kaufen“, rechnet sie
vor. Viele Bürgerstiftungen verfügen nur über ein Drittel dieses Betrags. Zimmer weist zudem
darauf hin, dass Bürgerstiftungen häufig sehr konservativ seien und sich dies auch in der
Auswahl der geförderten Projekte niederschlage.
Vielleicht ändert sich beides im Laufe der Zeit – schließlich sind die meisten Bürgerstiftungen noch sehr jung und beginnen erst, ihren Kapitalstock aufzubauen. In den USA verfügten die Bürgerstiftungen im Jahr 1998201 gemeinsam über ein Vermögen von 25,2 Milliarden
Dollar und vergaben 1,5 Milliarden Dollar an Fördermitteln. Das Gesamtvermögen der deutschen Bürgerstiftungen belief sich im Jahr 2003 auf 18 Millionen Dollar – allerdings wurden
nicht alle befragt. Zudem ist ihre Zahl weiter gestiegen. Dennoch zeigt der Vergleich, welch
wichtige Rolle im bürgerschaftlichen Engagement die Bürgerstiftungen in den USA bereits
spielen. Für Deutschland kann diese Idee im Konzept der Zivilgesellschaft zu einem wesentlichen Pfeiler werden.
5.7. Macht Steuern sparen zum Mäzen?
Bei der Diskussion um die großzügige Philanthropie in den USA wird in Deutschland
immer wieder ein Argument vorgebracht: Die Amerikaner seien deshalb so großzügig, weil in
200
Bei der Gründung von Bürgerstiftungen ist, so ein Experte im Gespräch, ein Wettbewerb zwischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken entbrannt, wer die Initiative begleitet und sich so kommunal profilieren kann.
201
Aktueller Zahlen liegen mir leider nicht vor..
55
ihrem Steuersystem Spenden und Stiftungsgelder in viel größerem Maße absetzbar seien und
weil ihre Steuersätze erheblich unter den deutschen lägen. Das Steuersystem mache das Volk
zu Mäzenen.
An diesem Argument ist etwas Wahres, als alleiniges Erklärungsmuster halte ich es aber
für zu kurz gegriffen. Ich zitiere zunächst aus der Antwort zu meiner Anfrage an das Maecenata Institut in Berlin, die die Abzugsmöglichkeiten in den USA erläutert:
„Die abzugsfähigen Höchstsätze variieren nach dem Status der Organisation. Von der persönlichen Einkommensteuer können finanzielle Zuwendungen an public charities und an
operative Stiftungen bis zu 50 Prozent des Bruttoeinkommens abgezogen werden, an andere Stiftungen nur bis 30 Prozent. Bei Spenden von Gütern (property gifts) betragen die
Höchstsätze 30 Prozent resp. 20 Prozent bei Förderstiftungen. Bei Zuwendungen von Seiten gewinnorientierter Unternehmen gelten diese Unterschiede nicht. Geld- und Sachspenden sind aber nur bis zu zehn Prozent des Einkommens abzugsfähig. Bei Überschreiten der
Höchstsätze ist sowohl für natürliche Personen als auch Körperschaften eine Verteilung
auf die folgenden fünf Jahre zulässig. Neben der Einkommensteuer sind weiterhin die Regelungen der Erbschaftsteuer von Bedeutung für Stiftungsgründungen von Todes wegen.
Grundsätzlich unterliegt, sowohl in den USA als auch in Deutschland, die Erbmasse, die
gemeinnützigen Stiftungen als Erbnehmern überlassen wird, nicht der Erbschaftsteuerpflicht.“202
Für einen Vergleich mit Deutschland ist zu beachten, wie viel Prozent seines Bruttoeinkommens der Spender oder Stifter steuermindernd geltend machen kann. Geht das Geld an Stiftungen, ist das amerikanische Steuerrecht in der Tat sehr großzügig, bis zu 50 Prozent des
Bruttoeinkommens können in der Steuererklärung geltend gemacht werden.
In Deutschland gelten folgende Grenzen: Zuwendungen an Stiftungen können bis zu einer
Höhe von 20 450 Euro pro Jahr abgesetzt werden. Wer (s)eine Stiftung erstmalig mit Vermögen ausstattet, kann bis zu 307 000 Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren steuerlich absetzten. Im Erbschaftsrecht gilt: Zuwendungen für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche
Zwecke sind von der Erbschafts- und Schenkungssteuer befreit.203 Für Spenden gilt eine
Höchstgrenze der Abzugsfähigkeit von fünf Prozent des Bruttoeinkommens bei Förderung
gemeinnütziger Zwecke und zehn Prozent bei Förderung mildtätiger Zwecke. Durch die unterschiedlichen Höchstbeträge gibt es eine Lenkungswirkung der Spenden.
Es bleibt aber die Frage, ob dieser (in den USA großzügigere) steuerrechtliche Aspekt tatsächlich das ausschlaggebende Motiv ist, mehr Geld zu spenden. Mehrere Experten, mit denen ich gesprochen habe, glauben dies nicht. Rainer Sprengel vom Maecenata Institut verweist auf eine amerikanische Studie, in der Großspender bekunden, sie interessiere das Projekt, für das sie spenden, und die Menschen, die dahinter stehen, viel mehr als Steuerfragen.
In der Studie heißt es: “Although the United States is often cited as having very favorable tax
regulation for stimulating gifts, surveys of donor motivations consistently point out that tax
benefits are secondary motivations; the cause and the person asking are more important for
donors.”204 Auch Francie Ostrower sieht nach ihren Gesprächen mit der New Yorker Elite
keinen Motivationsschwerpunkt in der Abzugsmöglichkeit.
Dies bestätigt auch Matthias Henkel, der bei der Stiftung Staatlicher Museen zu Berlin für
das Sponsoring zuständig ist: Potentielle Geber fragten nicht in erster Linie nach steuerlichen
202
Zitiert nach Stefan Toepler, aus einem noch nicht veröffentlichten Manuskript. Das Zitat hat mir freundlicherweise Rainer Sprengel, vorab zur Verfügung gestellt.
203
Nach einer Rede des Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum 60. Jahrestag des Bundesverbandes Deutscher
Stiftungen in Trier am 14. Mai 2004. Sie ist im Internet auf der homepage des Maecenata Instituts nachzulesen
www.maecenata.de in der online-Version der Publikation Maecanata Actuell Nr. 46.
204
Lilya Wagner/J. Patrick Ryan. In: Thomas Harris (Hrsg.). International Fund-Raising for Not-for-Profits, ACountry-by-Country Profile. New York 1999. Abschnitt United States. S. 381-425. Hier S. 387.
56
Absetzmöglichkeiten, sondern seien eher von der Motivation, etwas Gutes tun zu wollen, angetrieben. Und auch Rainer Sprengel sagt, dass Steuervorteile hilfreich, aber nicht ausschlaggebend seien:
„Nach meiner persönlichen Einschätzung erleichtert es dann der fragenden Person sein
Fragen, wenn er zugleich auf die Anerkenntnis via steuerlicher Abzugsfähigkeit verweisen kann. Zugleich kann jeder halbwegs normal begabte Steuerbürger zugleich die
Abzugsfähigkeit als einen steuerlichen Matching-Fund ansehen, also nicht: ich gebe
euch 500 Dollar und freue mich über 200 Dollar Steuerersparnis, sondern: Ich will
Euch ja 500 Dollar geben, da ich aber dann noch mindestens 200 Dollar von der Steuer bekomme, kann ich Euch ja 700 geben.“205
Steuerliche Anreize können nicht mehr sein als das: Anreize. Sie scheinen aber nicht die eigentliche Motivation. Wer nicht davon überzeugt ist, dass er sich gemeinnützig engagieren
sollte, wird es auch nicht tun, wenn er dadurch Steuern spart.
5.8. Spenden folgen Katastrophen
Natürlich sind nicht nur die Spenden von Großspendern oder Mäzenen für das Gemeinwesen
von Bedeutung. Wie sich in Deutschland gerade die Katastrophenzeiten immer wieder zeigt,
addieren sich auch die Spenden von Bürgern mit kleinem und mittlerem Einkommen zu großen Beträgen. So wurden in Deutschland allein für die Opfer der Tsunami Katastrophen bis
Ende Januar über 500 Millionen Euro gespendet. Wenige Jahre zuvor, im Jahr 2002, löste die
sogenannte Jahrhundertflut eine ähnliche Spendenbereitschaft aus. Sie ließ in dem besagten
Jahr beispielsweise die Spendeneinnahmen des DRK um 731 Prozent auf 167,75 Millionen
Euro steigen. Als Folge der Tsunami-Katastrophe Ende Dezember 2004 verzeichnet allein das
DRK bis März 2005 Spenden in Höhe von 107 Millionen Euro mit der Zweckbindung für den
Wiederaufbau in Asien. In normalen Jahren liegen die gesamten Spendeneinnahmen des
DRK-Bundesverbandes laut Marketingchef Adrian Teetz bei rund 40 Millionen Euro.
Deutsche Bürger zeigen sich also durchaus großzügig angesichts von Elend und Katastrophen, nimmt man die Sonderjahre aus der Entwicklung heraus, ergibt sich laut dem „TNS
Emnid Spendenmonitor 2004“ eine Spendensumme pro Spender von 101 Euro.206 Die Spenderquote der Deutschen liegt laut Emnid bei 40 Prozent der Bevölkerung. Emnid befragt für
den Spendenmonitor in jedem Jahr rund 4000 Bundesbürger über 14 Jahre zum persönlichen
Spendenverhalten. Bei den Spendenzielen ergab die Befragung aus dem September 2004 (also
vor der Tsunami Katastrophe) folgende Ergebnisse: Ganz vorne lag die Behinderten und
Krankenhilfe, gefolgte von der Sofort und Nothilfe (in Katastrophenjahre rückt dieser Bereich an die Spitze), auf dem drittem Platz stehen die gemeinnützigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gefolgt von den Kirchen, die laut Emnid in den vergangen Jahre erheblich Einbußen an Spenden hinnehmen mussten. Am untersten Ende der Spendenziele stehen
Kunst und Kultur sowie politische Arbeit. Die Spenderquote im Osten lag 2004 mit 30 Prozent deutlich unter der im Westen (42 Prozent). Wie viel Geld die Deutschen insgesamt im
Jahr spenden, weiß dabei niemand ganz genau. Die Zahlen schwanken zwischen vier und
zehn Milliarden Euro.
Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) will diese Wissenslücke noch 2005 schließen. In
einem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekt
über „Spenden und ihre Erfassung in Deutschland: Vergangenheit Gegenwart – Zukunft“
werden derzeit Statistiken und Umfragen analysiert.207 Zugleich wird eine Methodik für die
205
Antwort auf eine Email Anfrage.
Siehe www.tns-emnid.com im Pressebereich. Dort finden sich auch interessante Grafiken und Tabellen zur
Entwicklung der Spendenbereitschaft.
207
Vgl.“ Wer spendet in Deutschland?“, WZB-Mitteilungen, Heft 108, Juni 2005
206
57
künftige Spendenberichterstattung entwickelt. Denn: „Im Unterschied zu Zeitspenden in Form
bürgerschaftlichem oder – traditionell – ehrenamtlichem Engagement, zu denen bereits zahlreiche Ergebnisse vorliegen, hat sich der Kenntnisstand über die Geldspenden in den letzten
Jahren nicht grundlegend verbessert.“208
Hier liegt in der Tat ein wesentlicher Unterschied zu den USA. Wie dargelegt ist die amerikanische Bevölkerung genauestens hinsichtlich ihres Spendenverhaltens untersucht worden
– auch um die Zielgruppen für Fundraiser besser benennen zu können.209 Es ist voraussehbar,
dass mit einer Professionalisierung der Fundraising-Branche in Deutschland auch hierzulande
in den kommenden Jahren die Nachfrage nach ähnlichen Statistiken steigen wird. Bislang
liegt der Schwerpunkt der Forschungsarbeit – unterstützt durch die politischen Zielsetzungen
– jedenfalls eindeutig auf dem Thema bürgerschaftliches Engagement. Im Abschlussbericht
der Enquete-Kommission ist genauestens nachzulesen, welche Bürger vor welchem sozialen
und finanziellen Hintergrund bürgerschaftlich aktiv sind. Dies spiegelt den Fokus der deutschen Debatte wider: Deutschland möchte das gesellschaftliche Engagement unterstützen,
öffentliche Appelle der Politik, mehr zu spenden, gibt es nicht. Aus gutem Grund, sie würden
vermutlich Entrüstung auslösen: Die Belastungen durch Steuern und Abgaben sind in
Deutschland in der Tat im Vergleich zu den USA so hoch, dass der Spielraum zum Spenden
kleiner ist. Dieser Aspekt darf im Vergleich des deutschen und amerikanischen Spendenvolumens nicht vergessen werden.
US-Bürger haben weniger Abzüge und können über einen größeren Teil ihres Einkommens frei verfügen. So ist es auf der einen Seite bewundernswert, wie großzügig sich USBürger gegenüber Kirchen, Bildungs-, Kultur- und medizinischen Einrichtungen zeigen. Auf
der anderen Seite sind in Deutschland diese Einrichtungen mit Steuermitteln oder Sozialbeiträgen – also mit Geld des Bürgers – erheblich besser versorgt als amerikanische. Die Argumentation der Deutschen könnte also berechtigterweise lauten: Ich finanziere durch hohe
Steuern, wofür die Amerikaner später spenden. Beides sind Transferleistungen. Mit einem
Unterschied: Während der deutsche Bürger wenig Einfluss darauf hat, welche Einrichtung
letztlich welche Summen aus dem Steuertopf erhält, kann der amerikanische Spender sein
Geld gezielt verteilen. Die Bürger entscheiden, wohin ihr Geld fließt – und die Einrichtungen
stehen mit ihren Konzepten und Handlungen in einem enormen Wettbewerb um die Gunst der
Geber. So sind Amerikaner durch ihre Spenden viel stärker in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einbezogen: Gebe ich mein Geld der Bibliothek, dem Krankenhaus oder der
Universität – das muss jede und jeder mit sich selber ausmachen. Und auch hier verbirgt sich
hinter der individuellen Entscheidungsfreiheit auch eine „Gefahr“: Wo der Bürger entscheidet, welche Einrichtung förderungswürdig ist, wo er als Spender massiv und höchst professionell umworben wird, könnte am Ende jene Organisation das Geld davon tragen, die die besten Fundraiser hat. Viele andere, die in diesem Spendenwettbewerb nicht mit einer Armada
von Fundraisern oder mit persönlichen Kontakten aufwarten können, werden es schwer haben
– egal wie gut ihr Projekt ist.
Es fügt sich in diese Zusammenhänge ein, dass Deutschland, was die Spendenfreudigkeit
betrifft, in der Gesamtsumme weit hinter den USA liegt. Die Johns Hopkins Universität, an
der seit einigen Jahren eine zentrale Studie zum internationalen Vergleich von Philanthropie
läuft (the Comparative Nonprofit Sector Project), hat folgende Zahlen für Deutschland und
die USA ermittelt: In den USA wurden in den Jahren 1995 bis 2000 durchschnittlich jährlich
1,01 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gespendet, in Deutschland waren es jährlich 0,13 Prozent, also nur ein Achtel in Relation zur Wirtschaftskraft des Landes. Im Vergleich der ehrenamtlichen Arbeit schneidet Deutschland allerdings erheblich besser ab. An ehrenamtlicher
Arbeit erbrachten die Deutschen im Schnitt 1,97 Prozent des BIP, die US Amerikaner „nur“
208
Ebd.
In den USA gibt hingegen alljährlich die wissenschaftliche Publikation Giving USA, herausgegeben vom
American Association of Fundraising Counsel, darüber genau Auskunft
209
58
1,48 Prozent ihres BIPs. Das hohe Maß an ehrenamtlicher Arbeit verschafft Deutschland im
internationalen Vergleich von Geld- und Zeitspenden noch einen Platz im oberen Drittel,
nimmt man allein die Spenden, lägen nur noch Mexiko, Indien und Italien hinter ihm.210 Zusammengefasst heißt das: Deutsche investieren viel Zeit in bürgerschaftliches Engagement,
aber nicht so sehr ihr Geld. Das entspricht durchaus der politischen Zielsetzung, die die Rahmenbedingungen für Zeitspenden in den vergangenen Jahren sukzessive verbessert hat – zum
Beispiel durch eine Unfallversicherung für Engagierte oder durch höhere Übungsleiterpauschalen – für eine größere Spendenkultur auch unter Vermögenden jedoch nicht aktiv wird.
210
http://www.jhu.edu/~cnp/pdf/comptable5_dec04.pdf
59
60
5.9. Corporate Citizenship in Deutschland
Dass sich auch deutsche Unternehmen gesellschaftlich engagieren, hat Tradition: Der Mittelstand unterstützt lokale Sportvereine und Schulen, die so genannten Global Player stiften
Kunst und Kultur oder gründen eigene Stiftungen, wie Bosch oder VW, die Allianz oder die
Deutsche Bank. Was jedoch – abgesehen von der ausgegliederten Stiftungsarbeit – in den
meisten Unternehmen lange Zeit fehlte, ist eine langfristige Planung und Ausrichtung ihres
Engagements.211 Noch steht eine „überwiegend karitativ ausgerichtete Spendenkultur in deutschen Unternehmen“ im Vordergrund.
„Gespendet wird zwar regelmäßig, aber ohne dass sich die Wirtschaft bislang mit entsprechenden Erwartungen der Öffentlichkeit konfrontiert sähe und zum weitaus größten Teil nach dem Gießkannenprinzip. Solches Engagement ist weder gezielt auf
nachhaltige Entwicklung des Gemeinwesens gerichtet noch mit einem Nutzen für die
Unternehmen verbunden, und es gibt keinen Anlass, offensiv darüber zu kommunizieren, “
kritisiert Reinhard Lang in einer Veröffentlichung der Enquete-Kommission.212 Seit Mitte der
neunziger Jahre wird allerdings auch in Deutschland über die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen diskutiert. Corporate Citizenship ist zum neuen Schlagwort geworden. Welche
Rolle spielen Unternehmer in der Gesellschaft, welche Rechte und Pflichten haben sie als
„Bürger“ des Gemeinwesens? Im staatsorientierten Deutschland mit starken sozialen Sicherungssystemen kommt den Unternehmen dabei zwangsläufig eine andere Aufgabe zu als in
den neoliberalen USA. Ihnen wurde und wird in Deutschland in erster Linie die Aufgabe als
Arbeitgeber, Steuer- und Beitragszahlerzahler zugewiesen. Und so erwarten die Bürger zunächst einmal wirtschaftliches Wachstum von der Wirtschaft, und keine gesellschaftlichen
Wohltaten. Auch die Wirtschaft selbst hat sich diese Auffassung zueigen gemacht. „Oberste
Aufgabe der Unternehmen ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, alles andere ist Beiwerk“, sagt
Christian Ramthun, Initiator der „Initiative Freiheit und Verantwortung“ und Redakteur der
Wirtschaftswoche.213 Er weist darauf hin, dass die starke Regulierung und die hohen Steuersätze in Deutschland den Unternehmen wenig Spielraum für Engagement ließen.
Doch der gesellschaftliche Druck auf Unternehmen, sich zu engagieren, wachse enorm, so
Ramthun: von Seiten der Gesellschaft, von beratenden Organisationen und auch von NGOs,
die Unternehmen zum Teil drohen würden, sie an den Pranger zu stellen, wenn diese nicht zu
einer Kooperation bereit seien. Ramthun sieht den Antrieb für Corporate Citizenship jedoch
nicht in moralischen oder gesellschaftlichen Verpflichtungen, sondern im marktwirtschaftlichen Kontext: Wenn gesellschaftliches Engagement den Marktwert der Firmen steigert, wenn
die Käufer das Engagement honorieren, werden sie aktiv. „Letztlich entscheidet der Bürger“,
sagt Ramthun.
Die Einflüsse des amerikanischen Vorbildes sind unübersehbar. Das Automobilunternehmen Ford hat in Deutschland den Freiwilligentag für seine Mitarbeiter eingeführt, an dem
diese sich gemeinnützigen Aufgaben widmen. BP stockt Spenden seiner Mitarbeiter auf und
fördert deren soziales Engagement, Novartis hat einen „Tag der Partnerschaft“ für gemeinnüt211
„Unternehmerische Sozialförderung in Deutschland zeichnet sich durch eine Vielzahl von wertvollen Einzelinitiativen aus. Was bisher gefehlt hat, ist eine Koordination der Aktivitäten.“ Kaevan Gazdar und Klaus Rainer
Kirchhoff. Unternehmerische Wohltaten. S. 53.
212
Reinhard Lang. „Erfahrungen mit Corporate Citizenship in Deutschland: Die Bundesinitiative ´Unternehmen:
Partner der Jugend´ (UPJ)“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 2. Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen. Opladen 2003.
S. 219-248.
213
Persönliches Gespräch mit Dr. Christian Ramthun am 25.2.2005 in den Berliner Redaktionsräumen der Wirtschaftswoche.
61
zige Zwecke eingeführt. Die Liste ließe sich fortsetzen, es fehlt allerdings noch eine systematische Erfassung der Aktivitäten.
Und es mangelt häufig an einem Konzept:„Nur wenige Betriebe integrieren Corporate Citizenship und insbesondere Corporate Volunteering Programme systematisch in ihr Leitbild
und ihr strategisches Unternehmenskonzept“, heißt es in der Einleitung des zweiten Bandes
der Enquete-Kommission.214 Das räumt auch Wirtschaftswochen-Redakteur Christian
Ramthun ein: „In Deutschland mangelt es an Professionalisierung, da gibt es viel Engagement
und viel Wildwuchs.“ Da es keine definierten Standards für Corporate Citizenship gebe, lasse
sich alles und nichts darunter fassen. Eine Umfrage der Wirtschaftswoche unter Deutschlands
führenden Konzernen über deren Aktivitäten bestätigt dies. Dabei unterschieden sich die Aussagen deutsche Töchter amerikanischer Unternehmen – wie IBM – erheblich von den ureigenen deutschen Konzernen wie der Deutschen Bahn. Während IBM genaue Angaben über seine Aktivitäten macht, sowohl was das Budget als auch die Inhalte angeht, verharrt die Bahn in
allgemeinen Aussagen, die auch dem Geschäftsbericht oder einer PR-Broschüre entstammen
könnten. Allerdings scheint die Bahn AG selbst unzufrieden mit diesem Status und merkt
selbstkritisch an „Auf grund der zahlreichen kleinen und großen Aktivitäten, die die Bahn
jährlich unterstützt, wurden bislang noch keine klassische Evaluation durchgeführt.“215 Die
Post AG wiederum zählt auch seine Umweltschutzmaßnahmen unter Corporate Citizenship,
wie „die Schonung von Ressourcen, zum Beispiel bei Druckerzeugnissen und Papierprodukten“216
Andere deutsche Firmen sind da schon erheblich weiter. Beispiel BMW: Der Automobilkonzern engagiert sich seit 20 Jahren im Bildungssektor und hat unter anderem das Projekt
„Schulen im gesellschaftlichen Verbund“ initiiert.1 Kaevan Gazdar und Klaus Rainer Kirchhoff nennen in ihrem Buch217 zahlreiche weitere Beispiele vorbildlicher deutscher Unternehmer. Manche profilieren sich eher als Philanthropen – also außerhalb ihres Unternehmens –
andere setzen Konzepte des Corporate Citizenships in ihren Unternehmen um und werden so
gesellschaftlich aktiv.
Unbestreitbar hat die Wirtschaft das Thema entdeckt und geschickt besetzt. Die von vier
Wirtschaftsverbänden und der Wirtschaftswoche getragene „Initiative Freiheit und Verantwortung“ lobt jedes Jahr einen Preis für ein vorbildliches Unternehmen aus und verleiht ihn
medienwirksam. Ein wirklich kritischer Umgang mit dem Thema findet in diesem Rahmen
nicht statt. Vielmehr nutzen die Vertreter der Wirtschaftsverbände diese Plattform gerne, um
mehr Freiheiten von der Politik einzufordern und zum Beispiel auch die Befreiung der Unternehmen aus der Sozialversicherung als Voraussetzung für gesellschaftlichen Einsatz zu fordern.218
Auf ein Dilemma weisen die Unternehmen jedoch zu recht hin. Wer in Deutschland etwas
Gutes tut, dem wird schnell Eigennutz und ein „Hintergedanke“ unterstellt. Das Misstrauen
gegenüber der Wirtschaft ist in Deutschland sehr viel größer als in den USA und Ressentiments sind leicht geschürt.219 Wer von den Unternehmen blanken Altruismus erwartet, kann
in der Tat enttäuscht werden. Natürlich geht es den meisten bei ihrem bürgerschaftlichen En214
Ebd. S. 9.
Die Texte der Wirtschaftswoche-Serie über Corporate Citizenship sind auf der website www.freiheit-undverantwortung.de/aktuell_archiv1.htm nachzulesen. Die Initiative Freiheit und Verantwortung ist ein Zusammenschluss der vier Spitzenorganisationen der Wirtschaft (BDI, BDA, DIHK, ZDH) und der Wirtschaftswoche.
Die Initiative lobt jährlich den Preis „Freiheit und Verantwortung“ für vorbildliche Aktivitäten von Unternehmen
im Bereich des Corporate Citizenship aus.
216
Ebd.
217
Kaevan Gazdar und Klaus Rainer Kirchhoff. Unternehmerische Wohltaten. S. 51.
218
Wie Michael Rogowski, damaliger Präsident des BDI, auf seiner Ansprache auf einem Symposium der Initiative im Juli 2003 in Berlin.
219
Ein aktuelles Beispiel ist die von SPD-Parteichef Franz Müntefering entfachte „Heuschrecken-Debatte“, die
eine breite Kapitalismus-Kritik ausgelöst hat.
215
62
gagement auch um einen Imagegewinn, doch das scheint legitim, solange bei den Kooperationen nicht unternehmerische Ziele, sondern gesellschaftliche im Vordergrund stehen. Dennoch ist Wachsamkeit angebracht, insbesondere bei der Zusammenarbeit von Unternehmen
und Bildungseinrichtungen. Vor wenigen Jahren schüttelten Deutsche noch befremdet den
Kopf, als aus amerikanischen Schulen Folgendes berichtet wurde: Unter anderem hatte McDonalds dort Schulbücher gesponsert, die mit Produkten der Fast-Food-Kette durchzogen
waren. Nun scheinen an deutschen Schulen ähnliche Kooperationen einzuziehen. Matthias
Holland Letz berichte in der Zeit von Partnerschaften zwischen Unternehmen und Schülern, in
denen Schüler zum „Inventurpraktikum“ in eine Filiale der Metro-Konzerns geladen wurden.
In einem Fall beorderte der örtliche Kaufhauschef im Rahmen einer Kooperation Schüler ohne Entlohnung zum Aufbau der Weihnachtsdekoration in die Filiale. Siemens wiederum
sponsert den Geschichtsunterricht, wenn er Unterrichtseinheiten über die Firmengeschichte
enthält und in einem vom Lebensmittelkonzern Thomy geförderten Hauswirtschaftsunterricht
steht Kochen mit Thomy-Produkten auf dem Programm. In diesen Fällen scheinen die Unternehmen ihre Unterstützung zu deutlich mit ihren kommerziellen Interessen zu verknüpfen.
1000 Verträge zwischen Unternehmen und öffentlichen Lehranstalten gibt es in Deutschland, schätzt der Zeit Autor. Im Grundsatz ist diese Kooperation – gerade in Zeiten knapper
Kassen – hoch willkommen und in vielen Fällen durchaus hilfreich. Die Schüler profitieren
nicht nur von gesponserten Materialien, sondern auch vom Einblick in die wirtschaftliche
Praxis. Doch es fehlen klare Regeln der Zusammenarbeit und eine Definition der Grenzen.
„Bislang ist völlig unklar, wo eine sinnvolle Unterstützung in kommerzielle Beeinflussung
der Schüler umschlägt“, heißt es in der Zeit.220 Auch Holger Backhaus Maul weist auf die
Gefahr hin: „Unternehmen neigen dazu, Corporate Citizenship eindimensional als einen Beitrag zur Personalpolitik, als Wettbewerbsvorteil und als Teil der Marketingstrategie zu definieren.“221
Auf der anderen Seite darf es nicht als unmoralisch betrachtet werden, wenn auch Unternehmen von ihrem Engagement profitieren. Corporate Citizenship wird häufig als klassische
win-win Situation bezeichnet: Es ist eine Verknüpfung von Unternehmens- und Gemeinwohlinteressen, bei dem beide Seiten gewinnen können: Das Unternehmen an Ansehen, die Gesellschaft an Projekten und Initiativen, die es ohne den Einsatz der Unternehmen nicht gegeben hätte.
Doch die Debatte um den Nutzen dieser Kooperationen steht in Deutschland erst am Anfang. Thomas Olk weist auf folgende offene Fragen hin: „Welche Rolle wollen Unternehmen
in der Zivilgesellschaft spielen und welche Konzepte haben sie zur Verfügung und welche
Rolle spielen sie tatsächlich? Dies ist sowohl eine konzept-strategische als auch eine empirische Frage. Wirft man einen Blick auf die vorherrschende Meinung in Deutschland, dann
müsste man sogar zuspitzend fragen: Können Unternehmen überhaupt eine positive Rolle in
der Zivilgesellschaft spielen? Wird ihnen das überhaupt zugetraut?“222
Der Anspruch von Seiten der Bürger ist in der Tat hoch, sie verlangen von Unternehmen
sozialpolitische Verantwortung, und so landet die Debatte um den „guten Unternehmer“
schnell bei Thema Arbeitsplätze. Damit werden in der Debatte Unternehmensführung und
Engagement vermischt, viel stärker, so scheint mir, als in den USA. Wer Angestellte entlässt
oder Sozialleistungen kürzt, wird es in Deutschland schwer haben, als guter Corporate Citizen
220
Matthias Holland-Letz. „Lehrfach Mayonnaise“. Zeit (25) vom 16.6.2005.
Holger Backhaus-Maul. „Corporate Citizenship im deutschen Sozialstaat“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte
14(2004). S. 23-30. Hier S. 30.
222
Siehe auch Thomas Olk, „Unternehmen in der Zivilgesellschaft – eine neue Rolle?“. Der Text findet sich auf
der homepage des „Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement“ (www.b-b-e.de) . Professor Thomas Kolk
ist Vorsitzender des Sprecherrats des BBE.
222
Da auch Wal-Mart in den USA die Verbraucher mit günstigen Produkten versorgt, ist es möglich, dass WalMarts Platz 1 als Corporate Citizen auch eher auf den Preisen als auf dem bürgerschaftlichen Engagement des
Konzerns beruht
221
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angesehen zu werden – selbst wenn er sich außerhalb des Betriebs für die Gesellschaft engagiert. Wie das Beispiel Wal-Mart zeigt, scheinen amerikanische Bürger diese Bereiche stärker
zu trennen. Sie fordern von den Unternehmen nicht sozialpolitisch korrektes Handeln.
Zugleich fällt ins Auge, dass Unternehmen, die sich als gute Bürger profilieren, zwar
wahrgenommen werden, jene, die sich nicht engagieren, werden aber keinesfalls vom Bürger
abgestraft. Was für den deutschen Konsumenten zählt, ist in erster Linie der Preis, wie der
Erfolg deutscher Discounter beweist. Weder Aldi, Lidl noch Schlecker sind je – ganz anders
als BMW, Mercedes, Siemens und viele andere – durch gesellschaftliches Engagement aufgefallen. Dennoch ist Aldi nach Porsche das beliebteste Unternehmen in Deutschland. Das ergab
der „The Annual Reputation Quotient 2004” für Deutschland. Wichtiger ist als die guten Taten scheint, so die Auswertung der Studie, die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens. Aldi
verspricht nicht in emotionalen Werbekampagnen eine bessere Welt, sondern in schlichten
Anzeigen niedrige Preise – und hält dieses Versprechen auch.223
Jene Firmen, die sich engagieren, haben somit mit einem doppelten „Hindernis“ zu kämpfen. Zum einen begegnet ihnen viel Misstrauen, zum anderen gibt es scheinbar keinen kausalen Zusammenhang zum Image bzw. zum Geschäftserfolg. Zudem liegt das Interesse der Öffentlichkeit – fokussiert durch die Medien – zumeist auf den großen Konzernen. Was viele
kleine und mittelständische Betriebe zum Teil seit Generationen für Beiträge für die Gesellschaft leisten, bleibt zumeist unbeachtet. Dabei, so Olk, sind sie es, die seit Jahrzehnten maßgeblich für die Vielfalt und Quantität des gesellschaftlichen Engagements in Deutschland die
Verantwortung tragen.
6. Fazit
„Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass die Deutschen sich weniger bürgerschaftlich engagieren als die Amerikaner?“, fragte mich Annette Zimmer erstaunt, als ich mit ihr über
mein Thema sprach. Die Professorin für 3.-Sektor-Forschung und Expertin zum Thema Bürgergesellschaft brachte damit eine meine Grundthesen ins Wanken, die zum Ausgang meiner
Recherchen lautete: US-Bürger fühlen sich anders als die Deutschen dem Gemeinwesen verpflichtet und engagieren sich erheblich stärker für ihre Gesellschaft als die Bundesbürger.
Nach vielen Gesprächen, nach der Lektüre zahlreicher Aufsätze und Bücher kann ich Zimmers skeptische Frage verstehen – und ich muss diese Ausgangsthese einschränken: zumindest, was das Ausmaß des Engagements betrifft. Deutsche engagieren sich in der Tat in hohem Maße: in Vereinen, in Bürgerinitiativen, in Elternbeiräten, in Non-Profit-Organisationen
wie Greenpeace, als Schöffen, in Selbsthilfegruppen: Aber sie tun es – anders als die Amerikaner, häufig in festen Strukturen und Gruppen und nicht so häufig im öffentlichen Raum.
Der Deutsche als Vereinsmeier, an diesem Bild ist immer noch etwas Wahres. Er braucht seine Gruppe, um zu agieren. Amerikaner handeln individueller und unabhängiger: Wenn jemand einen Baum vor seiner Tür pflanzen will, dann tut er es – ohne eine Bürgerinitiative zu
gründen oder mit den Behörden zu verhandeln.
So mag das Bürgerengagement in beiden Ländern ausprägt sein, aber es findet einen unterschiedlichen Ausdruck. Um das zu verstehen, habe ich mich mit den Wurzeln des bürgerschaftlichen Engagements und mit seiner Entwicklung befasst und es auf zwei Ebenen untersucht: Das ist zum einen das große bürgerschaftliche Engagement des „Durchschnittsbürgers“, der sich ohne Entlohnung für die Gemeinschaft betätigt. Aus der amerikanischen Ge-
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schichte heraus, aus den religiösen und politischen Wurzeln des Landes, hat sich ein Nationalcharakter entwickelt, der einen starken Staat ablehnt und auf Eigeninitiative setzt. Amerikaner glauben daran, dass ihr Land jedem die gleichen Chancen bietet, sie sehen sich als Mitgestalter ihrer Gesellschaft. Insofern ist zivilgesellschaftliches Engagement Teil ihrer Identität. Und insofern sind es nicht nur die vielzitierten Beteiligungsraten, die bei einem Vergleich
des bürgerschaftlichen Engagements interessieren, es sollten vielmehr die Inhalte sein.
Der deutsche Vereinsvorsitzende und der amerikanische Bürger, der in einer Suppenküche
hilft, sind beide bürgerschaftlich aktiv, aber in völlig unterschiedlichen Strukturen. Das deutsche Engagement, das klassische Ehrenamt, ist seit hundert Jahren an Hierarchien und Bürokratie ausgerichtet. Dass dies nicht immer so war, gehört für mich zu den Entdeckungen meiner Recherche. Vielmehr hat der erstarkende Staat in Deutschland und die zunehmende Bürokratisierung den einstmals aktiven Bürger in ein Korsett gezwängt. Seit fast einem Jahrhundert hat er seinen Bürgern immer mehr Initiative und Verantwortung aus der Hand genommen
und in die Obhut von Bürokraten verlagert. Aus einem einst durchaus aktiven Bürger wurde
ein Staatsbürger, der, belastet mit hohen Steuern und Abgaben, häufig nun schlicht nicht mehr
einsieht, warum er einspringen soll, da nun der Staat es nicht mehr überall kann.
Die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten Wohlfahrtsverbände hatten an dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anteil. Aus bürgerlicher Selbstorganisation wurde eine professionelle Großbürokratie, schreibt Christoph Saßche pointiert. Mit diesem Erbe kämpft bürgerschaftliches Engagement in Deutschland noch heute. Erst mit der 68-Bewegung löste es sich
aus diesen staatstragenden Strukturen. Derzeit erlebt Deutschland auf vielen Ebenen einen
Wandel vom alten Ehrenamt zum neuen kritischen Engagement, das dem in den USA viel
näher steht. Wenn dies weiter keimen soll, muss der Staat Räume schaffen und Bürokratien
abbauen. Derzeit besteht allerdings die Gefahr, dass eben dieser Staat sich zum Förderer eines
neuen Engagements aufschwingen will. Als Konsequenz der „Enquete-Kommission bürgerschaftliches Engagement“ erhöhte er die Übungsleiterpauschale und will die Absicherung von
Ehrenamtlichen verbessern. Hier macht sie meines Erachtens der Bock unwidersprochen selber zum Gärtner. Eine neue Bürgerkultur, die derzeit auch in Deutschland aufscheint, muss
sich eben von diesem Staat lösen und eigene Wege gehen.
Fraglich ist jedoch, ob ein solcher mündiger und aus eigenen Überzeugungen aktiver Bürger von der Politik tatsächlich gewünscht wird. Dort scheint man unter stärkerem Bürgerschaftlichem Engagement in erster Linie zu verstehen, dass Menschen sich stärker für ihre
Gemeinden und ihre Mitbürger engagieren, indem sie karitative oder kommunale Aufgaben
übernehmen oder sich der schwächeren Mitglieder annehmen. Politisches Engagement in
3.Sektor-Organisationen werden in den Reden der Politiker zu dem Thema kaum erwähnt
oder gewürdigt. Ihr Leitbild ist der Bürger, der sich gesellschaftlich engagiert, ohne sich zu
sehr in die gesellschaftlichen Strukturen einzumischen.
Das Verhältnis Staat-Bürger, so wird deutlich, spielt eine entscheidende Rolle bei der Betrachtung des Themas, es ist der Dreh- und Angelpunkt der Diskussion. Man kann nicht nach
amerikanischem Vorbild den eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Bürger fordern,
ohne zugleich darüber zu reflektieren, in welchen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen dieser agiert. Wer weiterhin einen starken Staat möchte, wird aller Voraussicht nach
nicht zugleich einen zivilgesellschaftlich starken Bürger bekommen. Wenn beispielsweise die
Umzäunung eine angelegten Beetes vor der Haustür mit Anträgen, Bescheiden und Mahnungen wegen Stolpergefahr beantwortet wird, zeigt dies im Kleinen sehr plastisch das Spannungsfeld. In Bezirk Berlin Tempelhof-Schöneberg werden Holzzäune, die selbstangelegte Beete schützen sollen „wegen Verletzungsgefahr“ rigoros abgerissen (Berliner Zeitung vom
24.5.2005). Eigeninitiative zum Wohl der Allgemeinheit prallt auf Bürokratie.
Ebenso spannend wie der Blick auf den Durchschnittbürger ist jener auf das Engagement
der Elite und ihre Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. In diesem Punkt sind die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland noch evidenter. Dass das Spendenaufkommen
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der Amerikaner pro Kopf acht Mal so hoch ist wie jenes der Deutschen, liegt nicht zuletzt an
den vielen Milliarden Dollar, die die Reichen des Landes jedes Jahr spenden. Sie fühlen eine
moralische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, die der deutschen Elite fremd ist. Es
gibt hierzulande weder eine Einforderungs-, noch eine Anerkennungskultur gegenüber Reichen, sagte mir ein Experte im Gespräch. Dies trifft den Nagel auf den Kopf. Dabei gab es
einst auch deutsche Philanthropen, die in der Gründerzeit den finanziellen Grundstein für etliche kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen legten. Sie wurden sukzessive verdrängt
oder zogen sich zurück – anders als in den USA, wo Philanthropie für die Oberschicht eine
Selbstverständlichkeit aber auch eine Reaktion auf gesellschaftliche Erwartungshaltung ist.
Die amerikanische Philanthropie hat sich über Jahrhunderte entwickelt, sie ist eine soziale
Institution, sowohl was den Zusammenhalt innerhalb der Elite betrifft als auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext. In Deutschland fand sie mit dem Ende der Gründerzeit zunächst ein
Ende, es gibt für heutige deutsche Philanthropen keine sichtbare Tradition, an die sie anknüpfen können.
Wer – wie ich – bedauert, dass die deutsche Elite sich nicht im gleichen Maße für ihre Gesellschaft engagiert wie die amerikanische, muss wiederum einen Blick auf die Rahmenbedingungen werfen. Deutschlands Reiche sind nicht generell egoistischer als ihre amerikanischen Pendants. Sie sind auch nicht ärmer – sie sind aber Teil einer völlig anderen Kultur. In
Deutschland wird Reichtum mit Argwohn und Neid betrachtet, in den USA löst er Anerkennung und Bewunderung aus. Amerikas High Society weiß, dass ihre Wohltaten von der Bevölkerung wahrgenommen, gewertschätzt aber auch erwartet werden. Hier offenbart sich die
Kodependenz von Einforderung und Anerkennung. Wer sich hierzulande für die Allgemeinheit engagiert, wird eher misstrauisch betrachtet, ignoriert oder mit Bemerkungen wie: „der
kann es sich ja auch leisten“, oder „der will wohl was für seinen Ruf tun“ bedacht. Eine Reaktion, die Wohlhabende verständlicherweise nicht zu Wohltaten animiert. Auf der anderen Seite sind sie auch nicht, wie in den USA, einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung ausgesetzt.
Und etliche, so ist anzunehmen, sind darüber sicher nicht traurig. Nicht in jedem Reichen
steckt vermutlich ein durch Neid und Missgunst verhinderter Philanthrop.
Was fehlt Deutschland, um die positiven Facetten des amerikanischen Engagements auch
hierzulande zu entwickeln? Meiner Ansicht nach zwei Dinge: Die Einsicht des Staates, dass
er mehr Raum für Eigeninitiative lassen muss. Meines Erachtens werden Menschen nicht
durch Steuererleichterungen und bessere Versicherungen zu mehr bürgerschaftlichem Engagement motiviert, sondern viel eher von der Aussicht, mit ihrem Handeln Einfluss ausüben zu
können und tatsächlich gestalten zu können. Aus Furcht vor anarchischen Zuständen rücken
deutsche Behörden jedoch nur millimeterweise von ihren dichten Vorschriften ab.
Der zweite Punkt setzt bei den Bürgern selber an: Die wirtschaftliche Elite dieses Land
könnte (und würde wahrscheinlich) einen größeren Beitrag zum Gemeinwohl leisten, wenn
sie in einem anderen Licht gesehen würde. Neiddebatten und politische Forderungen nach
einer Reichensteuer sind da kontraproduktiv und führen eher dazu, dass sich viele der Wohlhabenden weiter abschotten. Wer Einsatz erwartet, muss diesen auch durch Anerkennung belohnen. In diesem sehr wesentlichen Punkt kann sich die deutsche Bevölkerung einiges bei
den US-Bürgern abschauen. Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Das gilt für
Reiche wie für den Normalverdiener gleichermaßen. Wem sie zuteil wird, der wird sich motiviert fühlen, sich für andere einzusetzen. Anerkennung kann auf individueller Ebene durch
einen schlichten Dank erfolgen. Sie kann und sollte aber auch in die Strukturen eingebaut
werden. Auch hier lohnt sich ein Blick auf die USA: Ehrenamtliches Engagement kann dort
Studiengebühren senken und spielt bei Arbeitgebern und Universitäten bei der Auswahl von
Bewerbern und Unis eine entscheidende Rolle. Hier vermischen sich institutionelle und gesellschaftliche Anerkennung.
Philanthropie und Engagement sind in den USA in die Kultur eingegraben – und es gibt
kein Rezept, diese Haltung auf Deutschland zu übertragen. Die erste Frage vielmehr müsste
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lauten, ob dies überhaupt wünschenswert ist. Beide Länder stehen, was das Verhältnis von
Staat und Bürger betrifft, in völlig unterschiedlichen Traditionen. Da mag man die Lethargie
vieler Deutscher nun beklagen – doch sie ist Resultat einer langen Geschichte. Mehr Verantwortung für sich und das Gemeinwesen zu übernehmen – ein solcher Prozess braucht Zeit und
die Einsicht, dass es dazu vieler Akteure und vieler Stellschrauben bedarf. Beispiele aus den
USA können da nur Anregungen geben, sie müssen aber in den spezifisch deutschen Kontext
übertragen werden. Dabei wäre es wünschenswert, wenn sich die deutsche Debatte nicht nur
auf das bürgerschaftliche Engagement der Mittelschicht beschränken würde, sondern abseits
von Neid und Missgunst auch den Beitrag der Elite zu dieser Engagementkultur in den Blick
nähme.
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Staaten von Amerika“. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 3: Bürgerschaftliches Engagement
und Sozialstaat. Opladen 2003. S. 249-286.
Sprengel, Rainer. „Stiftungen und Bürgergesellschaft: Ein empirischer, kritischer Überblick“. In:
Zimmer/Nährlich, S. 231-245.
Tocqueville, Alexander de. Über die Demokratie in Amerika. 2. Teil. Stuttgart 1962.
Uchatius, Wolfgang. “Wo stehen die Reichen?” Die Zeit. 40 (2004).
Wagner, Lilya /J. Patrick Ryan. In: Thomas Harris (Hrsg.). International Fund-Raising for Notfor-Profits, A-Country-by-Country Profile. New York 1999. Abschnitt United States. S. 381425.
Weber, Max. Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1985.
Welf, Werner. „Zurück in die Zeit des Great Gatsby?“ In: Ders, und Winfried Fluck (Hrsg.). S.
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In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft.
Opladen 2002, S. 89-100.
Gespräche:
73
Professor Dr. Annette Zimmer, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster und Expertin für 3.-Sektor-Forschung. Gespräch am
31.03.2005 in Münster.
Dr. Rainer Sprengel, stellvertretender Direktor des „Maecenata Instituts für Philanthropie und
Zivilgesellschaft“ in Berlin. Das Maecenata Institut ist ein An-Institut der HumboldtUniversität (www.maecenata.de). Gespräch am 22.3.2005 in den Räumen des Instituts.
Dr. Christian Ramthun, Redakteur der Wirtschaftswoche, Büro Berlin, und Initiator der von der
Wirtschaft getragenen „Initiative Freiheit und Verantwortung“. Gespräch am 25.02.2005 im
Berliner Büro der Wirtschaftswoche.
Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des „Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“
(www.b-b-e.de). Das Netzwerk wurde als Konsequenz der Enquete-Kommission eingerichtet
und hat die Aufgabe, die Akteure besser zu vernetzen. Gespräch am 21.03.2005 in den Räumen des BBE.
Eckhard Otte, Teamleiter „Ehrenamtliche“ beim Generalsekretariat des Deutschen Roten
Kreuzes in Berlin. Gespräch am 23.03.2005 in der DRK-Zentrale in Berlin.
Dr. Stefan Nährlich, Geschäftsführer von „Aktive Bürgerschaft“ (www.aktivebuergerschaft.de), einem von den Genossenschaftsbanken finanzierten Verein, der die Gründung von Bürgerstiftungen fördert und begleitet. Gespräch am 18.03.2005.
Adrian Teetz, Teamleiter „Kommunikation und Marketing“ beim Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes. Gespräch am 05.04.2005 in der DRK-Zentrale in Berlin.