No. 4 / 2007
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No. 4 / 2007
April 2007 N° 4/2007 Paramilitarismusdebatte: Präsident Uribe auf der Anklagebank Die Debatte über die Verbindungen zwischen den Paramilitärs und den PolitikerInnen in Kolumbien hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Senator Petro (Polo) wies in einer Parlamentsdebatte Präsident Uribe Beziehungen zu den Paramilitärs nach. Uribe ergriff das Wort zur Selbstverteidigung, geriet trotzdem aber in eine seiner schwersten aussenpolitischen Krisen. Dieser Monatsbericht versucht die Ereignisse und Hintergründe nachzuzeichnen. Gustavo Petro hat sich über Wochen auf die lang vorher angekündigte Debatte über den Paramilitarismus in Antioquia vorbereitet. Ebenso die Regierung: Der Fall Antioquia betrifft direkt Präsident Uribe. Er war von 1995-97, in der Zeit der Entstehung des heutigen Paramilitarismus, Gouverneur im Departement Antioquia. Antioquia: eine Wiege des Paramilitarismus Zur Erinnerung: Anfangs der 90-er Jahre kam es zu Friedensabkommen mit verschiedenen Guerillagruppen (EPL; M-19, Quintin Lame, PRT). Diese gipfelten in einer Verfassunggebenden Versammlung. Am 4. Juli 1991 wurde die heute noch gültige aber stark abgeänderte Verfassung feierlich in Kraft gesetzt – eine Verfassung, welche sich trotz Mängeln ursprünglich durch ihre Betonung der Menschenrechte und der partizipativen Demokratie auszeichnete. Ein moderner, sozialer, multiethnischer Staat sollte entstehen. Bei der traditionellen, korrupten Classe politique vor allem in den Regionen stiess die neue Verfassung auf grosse Ablehnung. Sie sahen ihren privilegierten status quo durch den Geist der Verfassung 91 in Gefahr und begannen ihren Widerstand zielbewusst zu organisieren. Mit einem Gesetz, welches den Aufbau von ländlichen Selbstverteidigungsgruppen (CONVIVIR) legalisierte, hat der damalige Präsident Cesar Gaviria 1994 grünes Licht für die Paramilitarisierung Kolumbiens gegeben1. Die Convivirs sollten das Militär in ihrem Kampf gegen die Guerillagruppen unterstützen. Dieses Projekt stiess von allem Anfang an auf starke Kritik bei Menschenrechtsorganisationen, weil man davon ausging, dass 1 Petro kommentierte die Schaffung der Convivirs durch den Staat als Prämie an die Paramilitärs für ihre Mitarbeit bei der Jagd und Ermordung von Pablo Escobar im Dezember 1993. Bedrohte und Gegner von Pablo Escobar (u.a. das Cali Kartell und die Castaños) taten sich in der Vereinigung der Pepes (Perseguidos por Pablo Escobar) zusammen, um Escobar zu eliminieren. Aus den Pepes entstanden die AUC. sie vom Paramilitarismus und vom Drogenhandel dominiert werden. Präsident Uribe war als Gouverneur in Antioquia einer der überzeugtesten Förderer dieser Convivirs. In seiner Amtszeit legalisierte er mehr als 60 solcher Gruppen. 1997 erklärte das Verfassungsgericht gewisse Paragrafen des Convivirstatuts als verfassungswidrig, vor allem die Bewaffnung dieser Selbstverteidigungsgruppen. Daraufhin lösten sich die meisten Convivirs selbst auf. Viele von ihnen integrierten sich direkt ins paramilitärische Aufbauprojekt unter der Führung von Carlos Castaño, welcher einen nationalen Para-Verband (Autodefensas Unidas de Colombia AUC) aufbaute, um die Guerilla zu bekämpfen und ihre Friedensverhandlungen mit der Regierung Pastrana zu torpedieren. Ihr Projekt wurde zu 70 Prozent mit Geldern aus dem Drogenhandel finanziert, wie 1998 Castaño selbst erklärte. Petro klagt Uribe an In der Parlamentsdebatte vom 17. April 07 zeigte Petro aufgrund von Zeugenaussagen und Geheimdokumenten auf, dass viele Convivirs von bekannten Paraführern geleitet wurden: Salvatore Mancuso, „Cadena“, „Monoleche“, Feris Chadid usw. Nach Petro hat Uribe die Convivirs von zwei damals bereits bekannten Paras und Narcos als Gouverneur mit seiner Unterschrift legalisiert 2. Im weiteren erklärte er, dass auf einem Landgut der Familie Uribe Guerilleros ermordet wurden und auf einem anderen, dem Landgut „Guacharacas“, Paramilitärs ein und aus gingen3. Er zeigte ein Foto des Präsidenten in „guter“ Gesellschaft von PolitikerInnen der Costa, welche heute alle im Untersuchungsgefängnis sitzen wegen ihren vermuteten Verbindungen mit den Paras4. Auf einem anderen Foto erscheint sein Bruder Santiago Uribe neben dem Drogenhändler Fabio Ochoa Vásquez. Er stellte ebenso fest, dass Santiago Uribe eine Convivir koordinierte, welche Bauern umbrachte oder verschwinden liess, weil sie angebliche Helfershelfer der Guerilla gewesen sein sollen. Ziel seiner Enthüllungen war zu zeigen, „dass die ‚Convivirs’ d.h. die Gruppen von bewaffneten BürgerInnen, welche Polizeifunktionen ausübten, automatisch in die Kriminalität und in den Drogenhandel abdrifteten und dass diese Politik auf nationaler Ebene durch diese Regierung sich nicht wiederholen darf. Das ist der Sinn dieser Debatte.“ 5 Es scheint, dass die Regierungsvertreter, welche Uribe zu verteidigen suchten, den Sinn der Debatte nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, sondern zu einer Gegenattacke anhoben. Der Innenminister führte Petro seine Vergangenheit als Guerillero des M-19 vor Augen und kritisierte ihn auf schärfste, dass er in den USA politische Lobbyarbeit mache. „Das sind Ausflüchte, die wenig überzeugen...vielleicht erreichen sie Wirkungen bei den bedingungslosesten RegierungsverteidigerInnen, aber 2 Julián Bolivar in Yarumal und 'Chepe Barrera' in La Ceja In der Finca Guacharacas wurde der Vater von Uribe durch die FARC ermordet. Auf diesen Mord führen viele AnalytikerInnen den abgrundtiefen Hass Uribes gegen die FARC zurück. In einem am 18.4.07 veröffentlichen Text von Farc-Kommandant Raul Reyes in der Jungen Welt, erklärt Reyes zu diesem Mord: „Uribe hat die Aufmerksamkeit der US-Regierung mit dem Mythos geweckt, die FARC, die revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, hätten seinen Vater, einen seinerzeit bekannten Drogenhändler im Departement Antioquia, ermordet.“ Vgl. http://www.jungewelt.de/2007/04-18/021.php?sstr=raul%7Creyes 4 vgl. http://www.polodemocratico.net/Uribe-autorizo-varias-Convivir-a 5 Die Gefahr eines solchen Abdriftens ist heute durchaus im Falle des angeblich 3 Mio. Personen umfassenden Informantennetzes, das Uribe aufbaute, gegeben. 3 ausserhalb des Landes und bei den denkenden Schichten im Land wirken sie als schwach,“ kritisierte der Kommentator von El Tiempo 6. Uribe gibt Antwort – vor allem auf nicht gestellte Fragen Am 19. April 07, kurz nach 21.30 Uhr wurden sämtliche Fernsehprogramme in Kolumbien unterbrochen7. Präsident Uribe wollte in einem Interviewgespräch live mit auserkorenen Journalisten – RedaktorInnen von El Tiempo oder Semana waren nicht eingeladen - auf die Anschuldigungen Petros reagieren. Als er vor die Kameras trat, kam er rasch zum Kern der Sache. Er gab bekannt, dass der ehemalige USVizepräsident Al Gore morgen nicht an einem Umweltforum teilnehmen werde, wenn er - Präsident Uribe - anwesend sei. Damit war Uribe und allen klar: Die Paramilitarismusdebatte zieht immer weitere Kreise und beginnt Wirkung zu erzielen, vor allem in den USA. Dort steht nämlich die Annahme des Freihandelsabkommens TLC auf der Schwebe und auch die Überweisung von 55 Millionen US-Dollars zugunsten des Plan Colombia wurden wegen offenen Fragen über Verbindungen des Armeekommandanten Montoya mit den Paramilitärs gestoppt. Dem paraverdächtigen Ex-Chef des Geheimdienstes DAS Noguera wurde das Visum in die USA entzogen. Uribe „zeigte das Gesicht, um die nationalen Interessen und seine Familie zu verteidigen“ wie er während des Fernsehauftrittes immer wieder betonte8. Wer die kritischen Fragen der Journalisten, ihre kurzen Statements und ihr Nachbohren sowie die Antwortdiskurse Uribes genauer analysiert, muss Daniel Coronell, dem Redaktor von Semana zustimmen, wenn er schreibt: “Der Präsident konnte die ihn belastenden Anklagen nicht befriedigend entschärfen. Seine Antworten drehten sich immer in einem langen ausweichenden Kreis, ohne meist zu einem klaren Ende zu kommen.“ Beispiel: Ein Journalist stellt fest, dass viele der Anschuldigungen von Petro ungeklärt bleiben, weil ein ehemaliger Generalstaatsanwalt die früher schon gemachten Anschuldigungen nicht weiter aufklärte, die Untersuchungen nie zu einem definitiven Schluss kamen, die Dossiers vorzeitig geschlossen wurden und die ehemals Anklagenden heute tot sind. Er fragte Uribe, ob er nicht auch finde, dass diese Untersuchungen wieder aufgenommen werden sollten, um Klarheit über die Ereignisse zu schaffen. Nach einem langen Diskurs, der nicht Antwort gab auf die Frage, wiederholte der Journalist seine Frage, um wiederum keine Antwort zu erhalten. Uribe verstand es meisterlich, seine Verteidigung zum Angriff zu machen, seine Themen und sich selbst zur Darstellung zu bringen und nicht wirklich auf die ihn offensichtlich belastenden Fakten einzutreten9. Der Inhalt seines wortreichen Diskurses war: Schaut 6 vgl. http://www.eltiempo.com/tiempoimpreso/edicionimpresa/opinion/2007-04-19/ARTICULO-WEBNOTA_INTERIOR-3519476.html 7 Der erste Journalist, welcher bei diesem Mediengespräch das Wort erhält, stellt kritisch fest, „dass diese unübliche Medienkonferenz eine ungleiche Verteilung der Medienverbreitung bestätigen würde. Während die Debatte über die Parapolitik, die Anklagen und die Dokumente, welche diese Anklagen unterstützen im Regierungskanal nachmittags um drei bei einem Rating von 2 Punkten stattgefunden haben, kann diese Sendung mit dem höchsten Rating rechnen“. 8 vgl. http://www.presidencia.gov.co/prensa_new/discursos/discursos2007/abril/alocucion.htm 9 Mit seinem Auftritt gab Uribe ein meisterliches Anschauungsbeispiel für den Tefloneffekt seiner Kommunikationsstruktur: Nichts bleibt haften, was von aussen kommt! her, ich stelle meinen Mann, denn ich habe nichts zu verbergen. Ich gebe allen Antwort, um die angeschlagenen nationalen Interessen zu verteidigen, welche durch ein paar oppositionelle Verleumder verursacht wurden10. Sein Diskurs hatte in Kolumbien Erfolg: Die Umfragen nach seiner Pressekonferenz zeigten, dass die Mehrheit der KolumbianerInnen mit seiner Verteidigung zufrieden waren und er sein Image verbessern konnte. Die Kolumnistin Maria Jimena Duzan fragte in ihrer Kolumne deshalb „Ist das Herzchen der KolumbianerInnen ‚para’?“ und gibt ernüchtert selbst die Antwort. Dieser Rechtsrutsch sei nach den gescheiterten Friedensverhandlungen mit den FARC in der öffentlichen Meinung nicht zu negieren, mehr noch, „dass heute der Paramilitarismus als das kleinere Übel wahrgenommen wird und man ihnen ihre Exzesse verzeiht, denn sie werden als die bedingungslosen Allianzpartner im Kampf gegen die Subversion verstanden“. Paramilitarismusdebatte und US-Kontext Al Gores Feststellung, dass „die Anschuldigungen, welche im vergangenen Monat und in der vergangenen Woche vorgetragen wurden, höchst besorgniserregend seien“ und er deshalb seine Teilnahme an einer gemeinsamen Veranstaltung neben Uribe ausschlug, markieren den Beginn eines Wandels im Verhältnis USA-Kolumbien. Er ist durch den Machtzuwachs der US-Demokraten zu erklären. Diese streben die Präsidentschaft im 2008 an und hüten sich in dieser Vorwahlphase, fragwürdige Allianzen der Bush-Administration weiterzuführen. Durch die Paramilitarismusdebatte ist Kolumbiens Regime und dessen Präsident bei gewissen demokratischen Kreisen in Frage gestellt, ob das Uribe will oder nicht. Ob er mit seinem Medieninterview in Miami am Morgen nach dem Fernsehauftritt in Kolumbien die offenen Fragen in den USA vom Tisch räumen konnte, ist eher unwahrscheinlich. Die Journalistin Claudia Lopez empfiehlt dagegen dem Präsidenten: “Der Kreuzweg der vergangenen Woche hat verschiedene Dinge gezeigt. Die Regierung täte gut daran, diese zu evaluieren, statt militärische Bespitzelung der Opposition zu betreiben. Erstens: Die Strategie von Uribe, das schwerwiegende paramilitärische Problem zu verkennen oder zu verniedlichen sind national und international gefährlich. Zweitens: Die Strategie zu behaupten, das Problem sei ein Problem des Landes und nicht des Präsidenten, hat auch Schiffbruch erlitten. Drittens: Die präsidiale Straflosigkeit, den Paramilitarismus zu schützen und mit ihm zu regieren ist an sein Ende gekommen. Der nationale Teflon und der internationale Kontext, welche diese Straflosigkeit erlaubten, sind unwiderruflich im Abstieg begriffen. Viertens: Mit dem Ende der Straflosigkeit setzt der Beginn der Kosten ein. Die Glaubwürdigkeit des Präsidenten und die Legitimität seiner Politik werden immer mehr hinterfragt.(...) Es wäre sehr hilfreich, wenn der Präsident sich dafür einsetzen würde, dass seine Präsidentschaftskampagnen untersucht werden, um zu zeigen, dass diese nicht durch die Parapolitik begünstigt wurden. Fürchtet er sich vor etwas, das er nicht gemacht hat?“11 10 Er eröffnete, dass er den militärischen Geheimdienst einsetzt, um die Opposition zu bespitzeln, welche in die USA pilgert, um dort mit Anschuldigungen gegen ihn das Freihandelsabkommen TLC zu torpedieren. 11 Vgl. http://www.eltiempo.com/tiempoimpreso/edicionimpresa/opinion/2007-04-24/ARTICULO-WEBNOTA_INTERIOR-3524723.html