Inhalt - Rotary Distrikt 1930

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Inhalt - Rotary Distrikt 1930
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Inhalt
Andreas Oschwald
Dr. Conrad Gröber Str. 18
88605 Meßkirch
Vorwort
Einführung in die Wirtschaftsethik
I. Wirtschaftsethische Ansätze
1) Die „Moralökonomik“ von Karl Homann
2) Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
3) Vergleich und Kritik
II. Wirtschaftsethik in der Praxis
- Unternehmensethik
1) „Good Corporate Governance“
2) „Corporate Social Responsibility“
3) Die Instrumente der Unternehmensethik
III. Gerechtigkeit im Sozialstaat
- Die Verteilungsfrage
f
1) Die Problematik der Verteilung – am Beispiel
Deutschlands
2) Die Aufgabe des Sozialstaats
Nachwort
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Vorwort
„Nach neuesten Erkenntnissen der Wertestudie „Ethik-Monitor“ der Stiftung „Wertevolle
Zukunft“ halten nur 13 Prozent der deutschen Bevölkerung das Wirtschaftssystem für gerecht.
Über die Hälfte sprechen der Wirtschaft das Interesse am Gemeinwohl ab.“
-Pressemitteilung „Wertevolle Zukunft“, 18.12.2006
Der „Ethik-Monitor“ schlug zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung Ende 2006 hohe Wellen
innerhalb der Pressewelt. Die Reaktionen reichten von Verwunderung angesichts der
dramatischen Daten bis hin zur Verharmlosung. Dabei ist die Brisanz dieser Studie nicht zu
unterschätzen, denn insbesondere den hohen Wirtschaftsführern wird dabei ein
besorgniserregendes Zeugnis ausgestellt: Demnach halten 43 Prozent der Deutschen die
Führungskräfte der Wirtschaft für korrupt. 80 Prozent der deutschen Bevölkerung glauben,
dass die Wirtschaftsführer lediglich ihre eigenen Interessen verfolgen.
Woran liegt dieses tiefgreifende Misstrauen in die Führungsschichten der deutschen
Wirtschaft? Ein Blick in den Wirtschaftsteil einer beliebigen Tageszeitung mag darüber
Auskunft geben.
Dort häufen sich regelmäßig zum Jahresende Meldungen der deutschen Konzerne von
Rekordgewinnen und –Ausschüttungen an ihre Anteilseigner. Jedoch gehen diese Nachrichten
oft einher mit Ankündigungen, die weniger Erfreuliches für die Arbeitnehmer dieser
Konzerne bedeuten: „Umstrukturierung“ oder „Freisetzung von Humankapital“ wurden zu
Schlagwörtern, der jedem Angestellten der Schreck in die Glieder fahren lässt. Während die
Aktionäre von ihren beträchtlichen Renditen profitieren können, macht sich unter der
Arbeitnehmerschaft große Unsicherheit breit.
Roland Koch sagte bei einer Podiumsdiskussion 2005, dass es zu Ludwig Ehrhards Zeiten für
die Politik leicht gewesen sei, liberale Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen.
„Damals galt: Geht es der Wirtschaft gut, geht es auch den Menschen gut.“ Heute gelte die
Prämisse bei einer wachsenden Anzahl von Arbeitnehmern: „Je besser es der Wirtschaft geht,
desto schlechter geht es mir.“ Wen darf es bei dieser Diskrepanz wundern, dass der Deutsche
das Vertrauen in sein Wirtschaftssystem verloren hat? Man könnte sich fragen, woran es liegt,
dass diese Verhältnisse sich seit der Zeit Ehrhards derart drastisch verändert haben.
Die Annahme, bei einem gesunden Betrieb müsse es auch den Arbeitnehmern gut gehen, war
in den Gründerjahren der BRD noch Realität. Die Grundannahmen von Adam Smith, dem
Begründer der Marktwirtschaft, waren problemlos anwendbar. Smith selbst sagte:
„Nicht vom Wohlwollen der Metzger, Bäcker und Brauer erwarten wir das, was wir zum
Leben brauchen, sondern weil diese ihre eigenen Ziele verfolgen“. Der Egoismus jedes
Individuums innerhalb einer Volkswirtschaft sei die treibende Kraft hinter dem Wachstum
- und nütze in der Konsequenz allen Beteiligten. Dieses Grundprinzip ist in dieser Form heute
nicht mehr anwendbar.
Die Globalisierung hat den weltweiten Wettbewerb um ein hohes Maß verschärft, der
Kapitalismus fordert Opfer. Staaten müssen in ihrer Standortattraktivität um die Gunst der
großen Weltkonzerne buhlen, und die Verlierer haben das Nachsehen. Deutsche Konzerne
verlagern ihre Produktion ins Ausland und billig produzierte Ware aus Fernost überschwemmt
den Markt. Als Konsequenz dieser Wettbewerbsverschärfung ergab sich auch ein neues
System der Finanzierung: Die des Aktionärs als Anteilseigner. Nun waren Konzerne nicht
mehr nur den Arbeitnehmern und den Kunden verpflichtet, sondern hatten die Erwartungen
ihrer Aktionäre zu erfüllen. Als wichtigstes Unternehmensziel galt und gilt die Maximierung
des Unternehmenswertes; das Kapital des Anteilseigners hat eine möglichst hohe Rendite zu
erreichen. Das bedeutet: Die Dividenden sowie die Aktienkurse sollen möglichst hoch sein.
Begriffe wie „Shareholder-Value“ gelangten in den 90er Jahren zu zweifelhaftem Ruhm. Oft
negativ belegt, meint er, Mehrwert für die Eigentümer zu schaffen. Manchmal um jeden Preis.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Der Begriff wurde gelegentlich als Synonym für die rücksichtslose Gewinnmaximierung frei
von jeden ethischen Maßstäben und Werten verstanden.
Etwa 15 bis 18 Prozent sollen die deutschen Konzerne auf das von den Aktionären investierte
Kapital verdienen: Allein schwarze Zahlen zu schreiben genügt schon lange nicht mehr. Doch
das Streben nach möglichst viel Rendite ist heutzutage freilich nicht nur auf die Bedürfnisse
der Aktionäre zurückzuführen. Vielmehr müssen diese Konzerne möglichst viel Eigenkapital
erwirtschaften, um bei den Banken kreditwürdig zu bleiben und damit das langfristige
Überleben des Unternehmens zu sichern.
Es ist damit ersichtlich, dass viele Unternehmen durch den Druck von mehreren Seiten zu
einer Strategie gelangen, die eine möglichst hohe Rendite als primäres Ziel voraussetzt.
Die Verlierer dieses Konzepts sind offensichtlich: Höhere Renditen werden durch
stagnierende Löhne und Arbeitsplatzabbau „erkauft“.
Als die deutsche Bank im April 2005 erheblichen Beschäftigungsabbau ankündigte, kam in
der der Pressewelt für eine kurze Zeit wieder die Frage nach der Ethik im Wirtschaftssystem
auf. Heiner Geißler (CDU) sagte dazu in einem SPIEGEL - Interview: "Wegen der Erhöhung
der Kapitalrendite auf 25 Prozent, das erleben wir dort jetzt, wird die Existenz von
sechstausend Menschen aufs Spiel gesetzt. ... Ein Wirtschaftssystem, das sich so definiert,
dass der Börsenwert eines Unternehmens umso höher steigt, je mehr Menschen entlassen
werden, ist zutiefst unsittlich. Und auch ökonomisch falsch."
Wenn man diese Zusammenhänge zwischen Renditeziele und Beschäftigung versteht, wird
es nicht überraschen, dass ein Konzern mit Rekordgewinnen gleichzeitig
Beschäftigungsabbau ankündigt. Moralisch aber ist eine solche Entscheidung oft nicht
nachzuvollziehen. Es stimmt nach wie vor nachdenklich.
„Als Manager zu sagen: Ich bin den Finanzmärkten und der Globalisierung ausgeliefert, ist
zu wenig“, sagt der Autor und Unternehmensethiker Ulrich Hemel. Viele Unternehmen
würden sich hohem Druck ausgesetzt sehen, so Hemel: „Sie haben aber eine Wahl“. Ein
Unternehmen müsse sich neben wirtschaftlichen auch ethisch-moralischen Grundprinzipien
unterordnen. Wirtschaft und Ethik: Ist das zu vereinbaren? Der Zweig der Wirtschaftsethik,
der das Thema dieser Ausarbeitung darstellt, beschäftigt sich mit dieser Fragestellung.
Kann man ein anscheinend wertefreies System moralischen Grundprinzipien unterwerfen?
Der Soziologe Niklas Luhmann ging sogar so weit zu sagen: „Es gibt Wirtschaft, es gibt Ethik
– es gibt aber keine Wirtschaftsethik.“
Einführung in die Wirtschaftsethik
Will man sich die Bedeutung des Wortes „Wirtschaftsethik“ begrifflich machen, hilft ein
Blick ins Wörterbuch: Ethik ist die Lehre vom richtigen bzw. falschen Handeln, sie
beschäftigt sich mit Werten und Normen und wie dadurch ein geregeltes Zusammenleben
ermöglicht wird. Schon lange hat diese Lehre auf andere akademische Disziplinen
übergegriffen: Es gibt eine Medizin – und Bioethik, eine Sozial- und Wissenschaftsethik.
Darum kam bei einigen Ökonomen des vorherigen Jahrhunderts die Frage auf, warum gerade
ein gesellschaftlich so enorm wichtiges Feld wie die Ökonomie nicht auf moralischer Ebene
kritisch hinterfragt werden könnte. Fragt man heute einen Ökonomen, welche der
verschiedenen Wirtschaftswissenschaften wie Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsmathematik
oder Wirtschaftsingenieurwesen die jüngste darstellt, wird man oft „Wirtschaftsethik“ zu
hören bekommen. Dabei drang die Diskussion um die moralischen Grundwerte der Wirtschaft
sicherlich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts in das öffentliche Bewusstsein, doch die
Frage nach der Ethik in der Wirtschaft ist viel, viel älter.
Schon Aristoteles’ Gedanken zufolge sollten Ethik, Politik und Ökonomie eine Einheit bilden.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Und selbst Adam Smith, der Begründer der Wirtschaftswissenschaften, war bekanntlich
Moralphilosoph. Seinen Überlegungen zufolge war das individuelle Streben nach dem
eigenen Nutzen sowohl von der staatlichen Rahmenordnung als auch von der Moral des
Einzelnen begrenzt. Die Ökonomen des 19. Jahrhunderts erkannten schon das Grundproblem,
das auch heute diskutiert wird: Das System der Ökonomie, das allein auf Effizienz durch
rationale Vorgehensweisen ausgerichtet ist, steht einer ethisch-moralischen Wertegrundlage
gegenüber, das als höchstes Ziel den Menschen betrachtet. Wie also sollte man die
ökonomische, „kalte“ Rationalität mit einer wertegebundenen Vernunft vermitteln?
Der Schritt der Politik zur „neoklassischen“ Wirtschaftstheorie, die z.T. moralische Aspekte
des Wirtschaftens bewusst ausklammert, machte deutlich, wie sehr man eine Ethik in der
Wirtschaft benötigte. Die Mitte der 1980er Jahre, als hohe Arbeitslosigkeit, soziale
Missstände und Umweltverschmutzung ins das allgemeine Bewusstsein vordrangen, gilt als
die Geburtstunde viele Ansätze zur Wirtschaftsethik, die heute diskutiert werden. Man suchte
verstärkt nach Wegen des Wirtschaftens, die gleichzeitig moralisch verantwortbar und
ökonomisch erfolgreich sind.
Im Folgenden werden vor allem deutsche Ansätze zur Wirtschaftsethik behandelt. Doch auch
die Amerikaner entdeckten solche Konzepte. Die Verbraucherschutzbewegung, die aus den
Studentenunruhen Ende der 60er Jahre hervorging, zwang amerikanische Unternehmen, sich
verstärkt mit sozialem Engagement und Unternehmensethik zu beschäftigen. Das
Selbstverständnis amerikanischer Unternehmen hat sich deshalb bis heute grundlegend
gewandelt: Viele Unternehmen entwerfen ein eigenes „Unternehmens-Leitbild“, die als
moralische Richtlinien zu verstehen sind. Dass große Konzerne eine ausgiebige
Spendenpolitik betreiben, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Doch geschieht solches
Engagement auch aus Eigennutz. Viele Unternehmer haben erkannt, dass ein ethisch
handelndes Unternehmen nach außen einen besseren Ruf genießt, und dass diese
Unternehmen damit erfolgreicher wirtschaften können. Konsumenten fragen nicht nur nach
dem Preis und der Qualität eines Produkts, sondern auch, ob es nach moralisch
verantwortbaren Gesichtspunkten gefertigt wurde. Genießt ein Unternehmen einen schlechten
Ruf, kann die Nachfrage schnell einbrechen. Ethik kann sich also rentieren. Dabei kann
jedoch die Frage aufkommen: Ist es wirklich moralisch, aus Gründen des Profits moralisch zu
sein?
Die Konzerne bewegen sich jedenfalls oft auf dünnem Eis. Wer mit Moral wirbt, diese Moral
aber nicht glaubwürdig vertritt, wird schnell abgestraft – von Konsument und Investor.
Deutsche Unternehmen entdeckten die Verbindung von Ethik und Profit erst später – lange
galt das Prinzip der „Arbeitsteilung“ zwischen Unternehmen und Staat. Die Unternehmen
kümmerten sich lediglich um das Wachstum – das Soziale übernahm der Staat. Frei von
jeglicher sozialer Verantwortung, konnten die Unternehmen nach Herzenslust wirtschaften,
solange sie nur Beschäftigung und Güterversorgung sicherstellten. Doch die Nachteile dieser
Politik offenbarten sich bald – in Form von externen Kosten wie Luft- und
Umweltverschmutzung, aber auch Massenarbeitslosigkeit. Es wurde Zeit, die wertefreie
Unternehmenspolitik durch ein Führungskonzept zu ersetzen, das sich ethischen Maßstäben
unterzuordnen hatte. Doch nicht von der Regierung, sondern von unabhängigen
Organisationen gingen diese neuen Ansätze aus. Die Wiederentdeckung der Wirtschaftsethik
während der 80er Jahre ist vor allem verschiedenen Universitäten, dem Verein für
Socialpolitik und kirchlichen Akademien zuzuschreiben. Zahlreichen Vorlesungen,
Seminaren und der Fachliteratur Anfang der 90er Jahre ist es zu verdanken, dass der Zweig
der Wirtschaftsethik in dieser Zeit zu neuer Blüte gebracht wurde. Grundsätzlich wird im
Bereich der Wirtschaftsethik zwischen Volkswirtschafts- und Unternehmensethik
unterschieden.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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I. Wirtschaftsethische Ansätze
1) Die „Moralökonomik“ von Karl Homann
"Der systematische Ort der Moral in einer Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung."
Mit diesem Satz fasst der Wirtschaftsethiker Karl Homann sein theoretisches Modell einer
wirtschaftlichen Ethik zusammen. Er geht bei seinem Konzept der „Moralökonomik“ von
seiner Analyse vom sog. „Gefangenendilemma“ aus: Wieso sollte sich ein Wirtschaftssubjekt
moralisch verhalten, also z.B. die Umwelt schützen oder sparsam mit Ressourcen umgehen,
wenn ein anderes Subjekt sich verschwenderisch verhält? An einem aktuellen Beispiel
erläutert: Warum sollte ein Unternehmer seine Produktion nicht ins Ausland verlagern, wenn
es die Konkurrenz doch tut und somit die ökonomisch-rational richtige Entscheidung trifft?
Homann sagt dazu: „In einer Volkswirtschaft darf der Gute nicht auch der Dumme sein.“
Da in einem Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft das Streben nach Effizienz die höchste
Priorität darstellt, kommt Homann zu folgender Schlussfolgerung: Da die Moral sich bei
ökonomischen Entscheidungen als „hinderlich“ erweisen kann, muss der Maßstab der Moral
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmen. Das Wirtschaftssubjekt wird also
sozusagen von moralischen Gesichtpunkten seiner Entscheidung „befreit“, da die
Rahmenordnung bereits die Moral seiner Entscheidung vorgibt. Man muss also ausdrücklich
von der Rahmenordnung und dem Handeln innerhalb dieser Ordnung unterscheiden.
Homann und seine Schüler fassen ihr Konzept wie folgt zusammen: „Die Moral in den
Spielregeln, die Effizienz in den Spielzügen“. Die Spielzüge allein sind also vom Prinzip des
Wettbewerbs bestimmt und sorgen für Effizienz (Gewinn/Rendite), während die Moral in den
Spielregeln (Rahmenordnung) verwirklich wird.
Homann lehnt ausdrücklich den Dualismus (Trennung) von Moral und Wettbewerb ab. Der
Widerspruch von Wettbewerb und Moral ist für ihn nur scheinbar und es gelte, ihn
aufzulösen. Homann selbst sagt dazu: „In der öffentlichen Diskussion, in der Politik und in
den Medien werden wirtschaftsethische Probleme nicht selten durch eine dualistische Brille
betrachtet. Moral und Wirtschaft, Ethik und Ökonomik, Ökologie und Ökonomie, Solidarität
und Wettbewerb werden gegeneinander ausgespielt. […] Ausgeblendet wird dabei aber vor
allem die Möglichkeit, Ethik und Ökonomik als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, nicht als
einander ausschließende Alternativen, sondern als zusammengehörige Zwillingsschwestern.“
Nach Homanns Lehre stellt die Wirtschaftsethik nicht lediglich einen Zweig der
Wirtschaftswissenschaften dar, sondern soll als „allgemeine Ethik mit ökonomischer
Methode“ verstanden werden. Dadurch erhofft sich Homann ein völlig neues Verständnis von
Ethik: Ethik als Wissenschaft soll nicht nur nach einer Begründung von Normen und Werten
forschen, sondern auch Möglichkeiten aufzeigen, wie man diese Normen in die Gesellschaft
einbettet, damit sie akzeptiert werden. Da Homann davon ausgeht, dass Menschen diese
Normen nur dann befolgen, wenn sie sich davon persönliche Vorteile versprechen, könnten
nur auf diese Weise Normen durchgesetzt werden.
Homanns Ansatz, dass Moral nur dann durchgesetzt werden kann, wenn sich dabei jeder
einen persönlichen Vorteil verspricht, stellt den größten Kritikpunkt seiner Lehre dar.
Zusammenfassung der „Moralökonomie“:
• Der Ort der Moral in der Wirtschaft ist hauptsächlich die Rahmenordnung
• „Die Effizienz in den Spielzügen, die Moral in den Spielregeln“
• Moralische Werte sind nur durchsetzbar, wenn sich jedes Subjekt einen Vorteil davon
verspricht oder diese Moral bereits von der Rahmenordnung vorgegeben wird
• Wg. Rahmenordnung: Keine Individual-, sondern Ordnungsethik!
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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2) Die "Integrative Wirtschaftsethik" von Peter Ulrich
Peter Ulrich gilt als prominentester Kritiker Homanns und zählt ebenso zu den Mitbegründern
der deutschsprachigen Wirtschaftsethik. Ulrich kritisiert Homanns Ansatz, dass der einzige
Ort der Moral in der Wirtschaft die Rahmenbedingungen darstellt. Er hält die Annahme, dass
einzelne Unternehmer sich von einer Rahmenordnung „fremddisziplinieren“ lassen, für einen
modelltheoretischen Idealfall und damit für praxisfern. Das Gewinnmaximierungsverhalten
eines Unternehmers, das bei Homann als „natürlich“ akzeptiert und nie angezweifelt wird,
wird von Ulrich prinzipiell in Frage gestellt. Ulrich hält Homanns Ansatz, dass das Streben
nach Profit unter einer geeigneten Rahmenordnung sogar zu einer „moralischen Pflicht“ des
Unternehmers wird, für falsch.
Ulrich sagt dazu: "Gewinnstreben ist kategorisch der normativen Bedingung der Legitimität
unterzuordnen." Nach seiner Lehre sollte ein Unternehmer jede seiner Entscheidungen
zunächst einer moralischen Prüfung unterziehen, und im Konfliktfall sogar auf Gewinn
verzichten. Damit weicht Ulrich wesentlich von der Annahme Homann’s ab, denn nach
seinem Konzept muss sich nicht nur die Rahmenordnung, sondern auch die
Wirtschaftssubjekte selbst moralischen Normen unterwerfen. Das Gewinnstreben eines
Unternehmens wird erst dann legitim, wenn es sich um ein „moralisch begrenztes Streben“
handelt. Der Handlungsspielraum eines Unternehmers findet sich im „Schnittmengenbereich“
von Ethik und Erfolg. Wenn ein Konfliktfall zwischen Moral und Gewinn vorliegt, muss der
Unternehmer nach Ulrich’s Lehre sich für die Moral entscheiden. Seine „Integrative
Wirtschaftsethik“ beschränkt sich jedoch nicht nur auf unternehmensethische Aspekte.
Vielmehr sollten alle Wirtschaftssubjekte auch eine Mitverantwortung über die Qualität der
Rahmenbedingungen tragen (z.B. durch Wirtschaftsverbände, Politik usw).
Der eigentliche Ort der Moral sei aber nicht die Rahmenordnung, sondern der einzelne Bürger
oder Unternehmer, der sein eigenes Handeln und die Rahmenordnung stets unter moralischen
Gesichtspunkten hinterfragt. Homann’s Konzept einer „Moral von außen“ hingegen würde
nach Ulrich in der Praxis scheitern. Dazu führt er aus: „Der Versuch der strikten
Lokalisierung der Moral in der Rahmenordnung und die restlosen Entlastung der
Wirtschaftssubjekte von Moralzumutungen nicht nur im Markt, sondern auch in ihren
politischen Strategien, bricht in sich zusammen und mit ihm das ordnungsethische Prinzip,
...die Effizienz in den Spielzügen, die Moral in den Spielregeln."
Die Rahmenordnung sei nicht Ort der Moral, sondern der Moralimplementierung
(-Einsetzung): Die Moralbegründung findet beim Menschen selbst statt. Deshalb würde
Homann nach Ulrich hier einen grundlegenden Fehler machen. Er kritisiert Homann’s Lehre
als „ordnungsethischen Ökonomismus“.
Die „integrative Wirtschaftsethik“ stellt diesen „Ökonomismus“ in Frage und will den
Vorrang der Politik vor der Ökonomik sicherstellen. Die „ökonomische Rationalität“ soll
soweit ausgebaut werden, dass sie lebensdienlich wird.
Im Grunde sieht Ulrich drei wesentliche Aufgaben der Wirtschaftsethik:
1. Kritik an der „reinen“ ökonomischen Vernunft (Ökonomismus)
2. Das Konzept der „lebensdienlichen Wirtschaft“ durch moralischen Ausbau
3. Die Bestimmung der „Orte“ der Moral in der Volkswirtschaft (Rahmenordnung/Menschen)
Die Position von Moral und Ökonomie ist bei Ulrich klar festgelegt. Da die Wirtschaft ein
von Menschen geschaffenes System ist, das das Wohlergehen des Menschen zur Aufgabe hat,
muss immer zunächst vom Standpunkt der Moral ausgegangen werden.
Zusammenfassung der „integrativen Wirtschaftsethik“:
• Nicht die Rahmenordnung, sondern der Mensch selbst ist Ort der Moral
• Gewinnstreben muss sich immer moralischen Gesichtspunkten unterordnen
• Politik soll Vorrang vor der Ökonomie haben
• Wirtschaft muss immer lebensdienlich bleiben!
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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3) Vergleich und Kritik
Homanns „Moralökonomik“ und Ulrichs „integrative Wirtschaftsethik“ stellen die beiden
hauptsächlichen deutschsprachigen Konzepte zur Wirtschaftsethik dar. Ulrichs Konzept
jedoch leitet sich in wesentlichen Zügen an der Kritik von Homann’s „Moralökonomik“ ab.
Ihnen gemeinsam ist der gedankliche Ansatz: Beide beschränken sich in ihren Überlegungen
auf die Theorie, d.h. auf das Verhältnis von Ökonomik und Ethik. Hingegen bei
amerikanischen Ansätzen zur Unternehmensethik oder „Business ethics“ liegt der Fokus auf
anwendungsbezogenen Fragestellungen, sie sind also mehr praxisorientiert (siehe Kap. III)
Ulrichs Kritik an dem Konzept der Moralökonomik beschränkt sich in wesentlichen Teilen
auf Homanns These, dass die Rahmenordnungen einer Volkswirtschaft der gedankliche Ort
der Moral sein sollen. Homann jedoch ist mitnichten der Ansicht, dass damit alle Subjekte
innerhalb einer Volkswirtschaft (z.B. Unternehmer) völlig von einer Pflicht der Moral befreit
werden können. Nur im Idealfall einer „perfekten Rahmenordnung“ könne ein Unternehmen
von allen moralischen Anforderungen befreit werden. Da in der Praxis die Rahmenordnung
immer lückenhaft bleibt, d.h. niemals alle moralischen Ansprüche der Gesellschaft abdecken
kann, bleibt den Unternehmen Raum für moralisches Handeln. Die Ausgangslage für
Homann’s Thesen jedoch stellt nach wie vor die Modellvorstellung einer „perfekten
Rahmenordnung“ dar. Damit wird eine Gemeinsamkeit der beiden Konzepte deutlich: Auch
Ulrich ist sich der Unvollkommenheit der Rahmenordnung bewusst und bezeichnet sie als Ort
der Moralentlastung, jedoch nicht der Moralbefreiung.
Der wesentliche Unterschied der Konzepte liegt in der Verantwortung der Unternehmer. Auch
bei Homann muss der Unternehmer die Rahmenordnung kritisch hinterfragen und Fehler
erkennen, um diese Fehler durch eigene moralische Entscheidungen auszugleichen. Doch hier
endet bei Homann die unternehmerische Verantwortung. Das Prinzip der
Gewinnmaximierung hält Homann jedoch für unumstößlich und genießt höchste Priorität.
Sein Modell der Moralökonomik geht von diesem Paradigma aus und hinterfragt sie an keiner
Stelle. Er geht sogar noch weiter: In seinem Konzept wird die langfristige
Gewinnmaximierung „zur sittlichen Pflicht der Unternehmen“. Es stellt sich also die Frage,
ob es nicht abwegig ist anzunehmen, dass „die Quantität der Gewinne nicht von der ethischen
Qualität ihrer Realisierung abzulösen ist“ (Ulrich).
Doch auch Ulrichs Konzept von einem „Primat der Ethik“ wurde zwischenzeitlich
angezweifelt. Der Konstanzer Ökonom Josef Wieland sieht die Sonderstellung der Ethik in
Ulrichs Konzept durch nichts begründet. Er selbst drückt es folgendermaßen aus: "Ethik, die
um ihrer selbst willen betrieben werden will, ist in der Wirtschaft irrelevant". Die
hierarchische Ordnung von Ethik und Ökonomie, die Ulrich in seinem Konzept hervorhebt,
wird von Wieland abgelehnt. Seiner Lehre einer „Governanceethik“ zufolge gebe es zwischen
Ethik und Ökonomie bestimmte Verhältnisse, und keines sollte das andere dominieren. Es
gebe ökonomische Voraussetzungen von Moral und moralische Voraussetzungen von
Ökonomie. Weiterhin gebe es moralische Konsequenzen von Ökonomie und ökonomische
Konsequenzen von Moral. Sowohl eine einseitig ethische als auch eine einseitig ökonomische
Strategie sei also zum Scheitern verurteilt. Wieland zufolge sollte die „Tugendethik des
Einzelnen“ in einem Unternehmen zur Geltung kommen, damit Werte wie Ehrlichkeit,
Loyalität und Fairness die Entscheidungen des Unternehmens prägen.
Den meisten deutschen Konzepten zur Wirtschaftsethik ist gemeinsam, dass sie von
Modellvorstellungen ausgehen und deshalb nur bedingt praktisch anwendbar sind. Doch auch
aus praktischer Sicht gab es Strömungen im Bereich der Unternehmensethik, die es sich zur
Hauptaufgabe gemacht hat, einen gemeinsamen Nenner von Ethik und Profit ausfindig zu
machen. Diese Strömungen gingen hauptsächlich von den USA aus und werden im nächsten
Kapitel behandelt.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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II. Wirtschaftsethik in der Praxis
- Unternehmensethik
Die wesentlich pragmatischeren Ansätze der Unternehmensethik sind hauptsächlich
angloamerikanischer Herkunft und beschäftigen sich mit der Frage, welchen moralischen
Wertvorstellungen Unternehmen entsprechen sollen und wie Gewinnstreben mit Moral zu
vereinbaren ist. Paradoxerweise gingen die Konzepte zur Unternehmensethik hauptsächlich
von den Unternehmen selbst aus, da im Lauf der 20. Jahrhunderts der Ruf und die
gesellschaftliche Akzeptanz eines Unternehmens immer wichtiger für den Erfolg wurde.
Im amerikanischen Raum nannte man diesen Umstand die „Licence-to-operate“, also die
Legitimation von Seiten der Öffentlichkeit, die ein Unternehmen zu verlieren drohte, wenn es
moralische Normen eklatant verletzte. Ein Beispiel: Firmen wie Nike wurden von der
Öffentlichkeit abgestraft, weil sie ihre Waren zu Hungerlöhnen in Entwicklungsländern
fertigen ließen (sog. „Sweat-Shops“). Nachdem die Presse von diesem Umständen erfuhr und
veröffentlichte, brach die Nachfrage nach Nike-Produkten empfindlich ein. Das Unternehmen
sah sich in diesem Beispiel gezwungen, den gängigen moralischen Werten zu entsprechen und
entsprechende Maßnahmen zu treffen, um die Lebensumstände dieser Arbeiter zu verbessern.
Auf diese „Sensibilisierung der Öffentlichkeit“ gegenüber Verletzung von moralischen
Werten reagierten zahlreiche amerikanische Konzerne und Regierungsausschüsse mit der
Ausarbeitung von Unternehmensethik-Konzepten. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass
Unternehmen im Wesentlichen zwei Grundsätzen verpflichtet sind: Einer guten und
transparenten Unternehmensführung („Good Corporate Governance“) und einer
gesellschaftlichen Verantwortung sowohl im sozialen als auch im ökologischen Bereich
(„Corporate Social Responsibility“). Diese Prinzipien und ihre Umsetzung in der Praxis wird
im Folgenden behandelt. Beispiele für die strikte Missachtung dieser Prinzipien werden in
Exkurs Kästchen erläutert.
1. Good Corporate Governance
Ein Unternehmer, der eine „Good Corporate Governance“ betreibt, muss sein Unternehmen
gewissenhaft und verantwortungsvoll führen und kontrollieren. Negativ-Beispiele wie z.B.
der Bilanzskandal um den Energiekonzern Enron oder WorldCom und eine wachsenden
Kritik an zu hohen Managergehältern führte Anfang des 21. Jahrhunderts zu einer
einflussreichen Initiative seitens der
Exkurs: Der Enron-Bilanzskandal
Bürger und der Regierungen, um das
Enron war zu Anfang des 21. Jahrhunderts noch
Prinzip der „Good Corporate
einer der größten Gashändler der Welt und
Governance“ in die Praxis umzusetzen.
gehörte zu den zehn größten Konzernen den USA
In den USA wurde dieses Prinzip durch
mit über 20.000 Mitarbeitern. Ab 2001 ermittelte
die Börsenaufsicht SEC gegen den Konzern .
das sog. „Sarbanes-Oxley-Gesetz“
Aufgrund einer gescheiterten Übernahme musste
umgesetzt, das den Unternehmen mehr
Enron Ende 2001 Insolvenz anmelden. Daraufhin
Transparenz und Kontrollsysteme
wird bekannt, dass sich 500 Enron-Manager kurz
vorschreibt und die Haftung von
vor der Pleite kräftige Bonuszahlungen in Höhe von
Managern infolge einer Insolvenz
200 Mio.$ auszahlen ließen. Weiterhin werden
erhebliche Unstimmigkeiten der
deutlich verschärft. Auch in
Unternehmensbilanzen aufgedeckt. Es wird klar,
Deutschland ging diese Entwicklung
dass die Enron-Manager über Jahre hinweg die
nicht spurlos vorüber: 2001 entwickelte
Aktionäre mit Bilanzfälschungen betrogen haben.
eine Regierungskomission den
Es handelte sich um einen der größten
„Corporate Governance Kodex“, der
Unternehmensskandale, die die USA je erlebt
haben. Durch die Insolvenz wurde ein Börsenwert
von 60 Mrd. $ vernichtet. Bisher wurden 7,1 Mio $
zurückgezahlt.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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die Unternehmensleitung und –Überwachung transparenter machen sollte. Dieser Kodex
diente jedoch nicht nur dazu, das Vertrauen der Investoren und der Bürger in die
Unternehmen zu stärken, sondern sollte auch den Unternehmen zur Selbstkontrolle dienen.
Dieser Kodex enthält z.Z. über 70 Empfehlungen, die unter anderem die Transparenz von
Managergehältern und die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte betreffen. Die Empfehlungen des
Kodex sind nicht bindend und können bei Bedarf angepasst werden. Allerdings müssen
börsennotierte Unternehmen Abweichungen von diesem Kodex offen legen.
Nach einer Studie des Berlin Center of Corporate Governance (BCCG) werden ca. 70% der
Empfehlungen von den deutschen Konzernen befolgt (Stand: 2005). Besonders die Angabe
der Vorstandsvergütungen werde oft nicht befolgt.
Dennoch kann man bei der Einführung des „Corporate Governance Kodex“ von einem Erfolg
sprechen: Eine verantwortungsvolle und –bewusste Unternehmensführung wird auch von
immer mehr Anlegern und Investoren begrüßt – einige Studien belegen sogar einen
Zusammenhang von „Good Corporate Governance" und dem Aktienkurs eines
Unternehmens.
2. Corporate Social Responsibility
Im Gegensatz zu „Good Corporate Governance“ beschränkt sich dieses Prinzip nicht nur auf
das Unternehmen selbst, sondern geht darüber hinaus. „Corporate Social Responsibility“
beschreibt die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Diese
Verantwortung besteht nämlich nicht nur darin, Gewinne zu machen, wie es Milton Friedman,
Gründervater der neoliberalen Wirtschaftslehre, postulierte. Nein, abermals leitet sich dieses
Prinzip aus den Forderungen der Gesellschaft ab. Zahlreiche Umfragen kommen zu dem
Ergebnis: Die Allgemeinheit fordert unternehmerisches Bemühen um mehr Gerechtigkeit und
gesellschaftliche Probleme. Nach einer Umfrage der Universität St. Gallen halten drei Viertel
der Deutschen es für eine Grundaufgabe der Unternehmen, etwas gegen gesellschaftliche
Probleme wie Kriminalität oder Armut zu tun. Verteilungsgerechtigkeit – eher eine Aufgabe
der Unternehmen wie des Staates?
Shell – Der „Brent Spar“ Skandal
Da inzwischen viele Unternehmen wissen, dass ihr
1995 geriet der Energiekonzern Shell
Erfolg auch vom „Ruf“ ihres Unternehmens
in die öffentliche Kritik, als es die
abhängt, bemühen sie sich, diesen Forderungen
Ölplattform „Brent Spar“ im Meer
gerecht zu werden. Andernfalls laufen die
versenken wollte. Die Kritiker,
Unternehmen nämlich Gefahr, die „Licence to
darunter Greenpeace, befürchteten
operate“ zu verlieren, also den Verlust der
erhebliche Umweltschäden als
allgemeinöffentlichen Akzeptanz (siehe ShellKonsequenz.
Exkurs). Einige Unternehmen sehen diese
Zahlreiche Organisationen reifen
Forderungen dann verwirklicht, wenn sie
sogar zum Boycott von Shellbeträchtliche Summen an wohltätige
Produkten auf, falls der Konzern sein
Organisationen spenden (z.B. Microsoft). Vielen
Vorhaben in die Tat umsetzen sollte.
Menschen reicht das jedoch nicht – es sollte doch
Aufgrund des enormen öffentlichen
vielmehr der Gewinn selbst in verantwortlicher
Drucks und einbrechenden
Weise erwirtschaftet werden.
Aktienkursen gab Shell schließlich
Es gibt auch Unternehmen, die versuchen, ihre
nach und erklärte sich bereit, die
Plattform an Land zu demontieren.
soziale und ökologische Verantwortung mit ihrem
Dieser Vorfall gibt ein gutes Beispiel
Gewinnstreben direkt zu koppeln. Manch einer
für die Macht der Öffentlichkeit ab.
mag sich vielleicht noch an die KrombacherAktion erinnern, bei der Günther Jauch den
Fernsehzuschauern glaubhaft versichern konnte, dass ein gewisser Anteil jedes verkauften
Kasten Bieres dem Regenwald zukommen sollte – oder wahlweise dem deutschen
Kinderhilfswerk.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Es gibt zahlreiche Versuche, Kriterien für eine „Corporate Social Responsibility“ festzulegen.
Der bekannteste ist der „Global Compact“ der UN (Vereinte Nationen). Unternehmen, die den
„Global Compact“ unterzeichnen, verpflichten
sich zur Einhaltung sozialer Prinzipien wie die
Fallbeispiel Nestlé
Zwischen Moral und Profit
Einhaltung von Menschenrechten, des weiteren
müssen sie ökologische Richtlinien wie die
Seit den 1980ern sieht sich der größte
Förderung umweltschonender Techniken
Lebensmittelkonzern der Welt teils heftiger
einhalten. Der „Global Compact“ ist zwar
Kritik ausgesetzt. Insbesondere wegen der
freiwillig, jedoch haben ihn schon über 2000
aggressiven Vermarktungsmethoden von
Unternehmen unterschrieben (darunter BMW und
Milchpulverprodukten in der dritten Welt
geriet der Konzern in die Schlagzeilen. Das
BASF).
Milchpulver wird in diesen Ländern als
Muttermilchersatz angeboten. Nestlé hatte die
teuren Produkte jedoch so stark verdünnt,
dann z.T. Säuglinge an Unterernährung
starben. Todesfälle aufgrund von Infektionen wegen Zubereitung mit verkeimtem Wasser –
wurden billigend in Kauf genommen. Aufgrund
des hohen Drucks von internationalen
Organisationen und der Weltöffentlichkeit
erklärte sich Nestlé 1984 nach einem
Gerichtsurteil bereit, den „ Internationalen
Kodex für die Vermarktung von
Muttermilchersatzprodukten“ einzuhalten.
Wie bei der „Good Corporate Governance“ wurde
auch das Prinzip der „Corporate Social
Responsibility“ in den letzten Jahren mehr und
mehr zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Eine
Umfrage des Marktforschungsinstituts Mori hat
ergeben, dass für 70% aller Deutschen bei der
Auswahl eines Produkts das soziale Engagement
des Unternehmens eine wesentliche Rolle spielt.
Beträchtliche 44% aller Konsumenten sind bereit,
dafür einen höheren Preis in Kauf zu nehmen.
Sogar in der vielgescholtenen Branche der
Finanzinvestoren gewinnt CSR eine wichtigere Rolle. Die investieren zunehmend in
Unternehmen, denen CSR nachgesagt wird – von Ratingagenturen wie der Münchner Oecom,
die sich auf „ethisches Investment“ spezialisieren.
Dennoch mehren sich zum aufkommenden Zweig der Unternehmensethik kritische Stimmen.
Diese weisen darauf hin, dass es sich bei den meisten Maßnahmen der Unternehmen lediglich
um punktuelle Einsätze ohne nachhaltige Wirkung handele, also um den „Tropfen auf dem
heißen Stein“. Des weiteren wird nach Meinung der Kritiker die Unternehmensethik zuweilen
als „Ablenkungsmanöver“ missbraucht, um das Unternehmen von schlechtem Image zu
entlasten. Reine PR-Aktionen zur Verbesserung des Rufes werden als „Augenwischerei“
abgetan. Leider wird diese „Augenwischerei“ den meisten großen Konzernen bescheinigt.
Ethik wird somit selten um ihrer selbst willen betrieben, sondern verkommt zur bloßen
Image-Aufpolierung.
3. Die Instrumente der Unternehmensethik
Die Konzepte der „Good Corporate Governance“ und der „Corporate Social Resonsibility“
umfassen im Wesentlichen neun Instrumente, die im Folgenden aufgeführt werden. Diese
Instrumente können von Unternehmen nach dem „Baukastenprinzip“ zu einer individuellen
unternehmensethischen Strategie zusammengesetzt werden, um den moralischen
Anforderungen der Gesellschaft zu genügen. Die Unternehmensgröße spielt dabei eine
untergeordnete Rolle. Auch ein mittelständisches Unternehmen könnte theoretisch sämtliche
Instrumente einsetzen, sofern es über die benötigten Ressourcen verfügt. Jedoch sehen
mittelständische Unternehmen oft keinen Anlass zu ethischem Engagement, da sie keine
Imagestrategie verfolgen. Sie erfahren im Bewusstsein der Öffentlichkeit wenig Interesse.
Die Instrumente lauten wie folgt:
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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•
Unternehmensspenden (Corporate Giving) ist der Oberbegriff für ethisch motiviertes
selbstloses Überlassen, Spenden oder Zustiften von Geld oder Sachmitteln. Beispiel:
Geldspende an gemeinnützige Organisationen.
•
Sozialsponsoring (Social Sponsoring) ist die Übertragung der gängigen
Marketingmaßnahme Sponsoring - als ein Geschäft auf Gegenseitigkeit - auf den
sozialen Bereich, womit dem Unternehmen neue Kommunikationskanäle und der
gemeinnützigen Organisation neue Finanzierungswege eröffnet werden. Beispiel:
Sponsoring von Fußballtrikots.
•
Zweckgebundenes Marketing (Cause Related Marketing) ist ein Marketinginstrument,
bei dem der Kauf eines Produkts damit beworben wird, dass das Unternehmen einen
Teil der Erlöse einem sozialen Zweck oder einer Organisation als "Spende"
zukommen lässt. Beispiel: Krombacher Regenwald-Aktion. (s.o.)
•
Unternehmensstiftungen (Corporate Foundations) bezeichnet das Gründen von
Stiftungen durch Unternehmen - eine Art des Engagements, die auch von
mittelständischen Unternehmen immer häufiger benutzt wird. Beispiel:
Chemieunternehmen gründet eine Stiftung zum Umweltschutz.
•
Gemeinnütziges Arbeitnehmerengagement (Corporate Volunteering) bezeichnet das
gesellschaftliche Engagement von Unternehmen durch die Investition der Zeit, des
Know-hows und Wissens ihrer Mitarbeiter in und außerhalb der Arbeitszeit. Beispiel:
Schreinerbetrieb zeigt Kindergartenkindern, wie man Vogelhäuser baut.
•
Auftragsvergabe an soziale Organisationen (Social Commissioning) bezeichnet die
gezielte geschäftliche Partnerschaft mit gemeinnützigen Organisationen, mit der
Absicht, die Organisationen durch die Auftragsvergabe zu unterstützen. Beispiel: Lidl
kauft Fair Trade-Produkte.
•
Gemeinwesen Joint-Venture (Community Joint-Venture bzw. Public Private
Partnership) bezeichnet eine gemeinsame Unternehmung von einer gemeinnützigen
Organisation und einem Unternehmen, in die beide Partner Ressourcen und Knowhow einbringen und die keiner allein durchführen könnte. Beispiel: Ein
Schreibwarenhersteller und eine Stiftung zur Bekämpfung des Analphabetismus
starten eine Aktion, Kindern der Dritten Welt Lesen und Schreiben beizubringen.
•
Lobbying für soziale Anliegen (Social Lobbying) bezeichnet den Einsatz von
Kontakten und Einfluss des Unternehmens für die Ziele gemeinnütziger
Organisationen. Beispiel: Ein einflussreicher Textilkonzern macht Druck, die
Kinderarbeit in Entwicklungsländern einzuschränken.
•
Soziales Risiko-Kapital (Venture Philanthropy) bezeichnet unternehmerisch agierende
Risiko-Kapitalgeber, die für eine begrenzte Zeit und ein bestimmtes Vorhaben sowohl
Geld als auch Know-how in gemeinnützige Organisationen investieren. Beispiel: Ein
großer Konzern investiert in die Ausrichtung eines wohltätigen Galakonzerts.
Durch die vorangegangenen Schilderungen wurde ersichtlich, dass sich das unternehmerische
Selbstverständnis in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert hat. Dieses Kapitel möchte
ich mit einem Zitat beschließen, das diese Veränderungen prägnant zusammenfasst:
„Für ein Unternehmen ist es überlebenswichtig, nach ethischen Grundsätzen zu handeln.“
- Jürgen Dormann, Top-Manager
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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III. Gerechtigkeit im Sozialstaat
– Die Verteilungsfrage
„Dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleiche Verteilung der Güter. Dem
Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends.“
- Sir Winston Churchill, englischer Premierminister
1. Die Problematik der Verteilung - Am Beispiel
Deutschlands
Wer sich ein Bild von der Lage in Deutschland machen will, der wird derzeit von zwei
unterschiedlichen Bildern konfrontiert. Zwei, wie sie gegensätzlicher kaum sein können. Auf
der einen Seite ein üppiges Gemälde von steigendem Wirtschaftswachstum und sinkenden
Arbeitslosenzahlen, anschwellenden Reichtums und ungehemmter Konsumfreude. Auf der
anderen Seite sieht man das düstere Bild einer Armutslandschaft. Dieses drückt sich aus in
einer ansteigenden Zahl von Sozialhilfeempfängern, Statistiken von abgehängten OstRegionen und aussichtlosen Schülerkarrieren. Es fällt schwer, diese beiden Bilder als ein
Ganzes zu sehen. Diese Schwierigkeit wird zunehmen in dem Maße, wie die wirtschaftliche
Belebung anhalten wird. Schon sagen Experten eine Zweiteilung des Arbeitsmarktes voraus:
Auf der einen Seite
die Qualifizierten, die
gesucht werden, auf
der anderen Seite die
Unqualifizierten, die
abgehängt bleiben.
Arm und reich, Glanz
und Elend werden in
Zukunft noch stärker
auseinanderdriften.
Diese Teilung
spiegeln sich auch in
der
Gesellschaftswahrneh
mung wider: Gut die
Hälfte aller Deutschen schauen wieder optimistisch in die Zukunft. Die andere Hälfte erwartet
sich von ihr nichts Besseres. Viele dieser Pessimisten sind eher davon überzeugt, dass es in
Deutschland ungerecht zugeht. Im Gegensatz zu den Optimisten machen sie diese
Ungerechtigkeit vor allem an der Frage der Lohnhöhe fest. Während bei den einen also die
Zuversicht wächst, aus eigener Kraft vorwärts zu kommen, haben die anderen noch mit ihrer
Chancenlosigkeit zu kämpfen. Schon in der Vergangenheit hatten sowohl die Deutschen als
auch die Politiker Schwierigkeiten, sich mit dieser Auseinanderdriftung der Gesellschaft
auseinanderzusetzen. Während die kleineren Parteien, FDP und Linkspartei, sich auf jeweils
eine Seite der Teilung geschlagen hatten, schwanken die Volksparteien heute zwischen der
Hinwendung zu den Leistungsträgern und der Fürsorge für die Benachteiligten.
Meistens zur Enttäuschung beider Gruppen.
Die Volksparteien müssen den schwierigen Spagat zustande bringen, den
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Gerechtigkeitsvorstellungen aller sozialen Milieus zu genügen. Sie sprechen dann von „Neuer
Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“ oder von der Einheit von Gerechtigkeit und Freiheit. Was
passiert, wenn Politiker mit diesem Spagat scheitern, zeigt die Initiative von Jürgen Rüttgers,
die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes an die Dauer der Erwerbstätigkeit zu knüpfen. Das
entspricht zwar nicht der Logik der Risikoversicherung, wohl aber der Erfahrung vieler
Arbeitnehmer.
Es ist zu erwarten, dass mit dem allgemeinen Aufschwung wieder die Fragen
leistungsgerechter Verteilung in den Vordergrund rücken. Die Debatte um das
Arbeitslosengeld und um den Investivlohn, das Eintreten für kräftige Lohnerhöhungen usw.
sind erste Anzeichen dafür. Viel schwieriger zu realisieren sind hingegen
Gerechtigkeitserwartungen, die in die Richtung der Bedürftigen zielen. Ihre Verwirklichung
stellt höhere Anforderungen an die solidarische Gesellschaft, denn es kann keine
Gegenleistung erwartet werden. Bei den Arbeitnehmern hingegen handelt es sich um einen
gegenseitigen Tausch: Wenn die Arbeitsproduktivität steigt, kann dieser Erfolg mit
Lohnerhöhungen „belohnt“ werden.
Der lediglich verteilende
Sozialstaat der
Vergangenheit hat zur
Verfestigung der
Bedürftigkeit geführt. Da
er allein „Almosen“
verteilt, aber keine
Anreize zur Befreiung
aus dieser Bedürftigkeit
aufzeigt, bleibt die
Möglichkeit einer
„sozialen Hängematte“
bestehen.
Gegen
Bedürftigkeit an sich
wird damit wenig getan.
Der aktivierende Sozialstaat jedoch, der die Bedürftigkeit an sich beenden soll, scheitert an
den Bedingungen des Arbeitsmarktes. Steckt also der Sozialstaat in einem Dilemma fest?
Den Ausweg aus diesem Dilemma sehen die meisten politischen Ansätze in einem Programm,
das auf die bestehende soziale Bedürftigkeit mit der Vermeidung zukünftiger Bedürftigkeit
antwortet. Wo das aktuelle Elend nicht mehr beseitigt werden kann, soll zumindest dem
drohenden Elend vorgebeugt werden. Die Instrumente dieser Politik liegen auf der Hand:
Bildung, Bildung und nochmals Bildung. Dass die Wurzel aller Bedürftigkeit vor allem in
mangelhafter Ausbildung begründet liegt, darin sind sich die meisten Politiker einig.
2. Die Aufgabe des Sozialstaats
Der Sozialstaat ist verpflichtet, soziale Ungleichheiten bis zu einer gesetzlichen Limitation
auszugleichen. In Deutschland ergibt sich dies aus Artikel 14 des Grundgesetzes, der sich auf
die Sozialpflichtigkeit des Eigentums bezieht. Somit hat der Staat die Aufgabe, bis zu einem
bestimmten Grad für Gerechtigkeit im Land zu sorgen. Der Sozialstaat hat also unter anderem
die Aufgabe, für eine ökonomische Rahmenordnung zu sorgen, die wirtschaftlichen
Ungerechtigkeiten vorbeugen soll. Die Rahmenordnung soll also die „Lebensdienlichkeit“ der
Marktwirtschaft sicherstellen, wie bereits erläuterte Konzepte zur Wirtschaftsethik fordern.
Der Staat nimmt also die Rolle einer „ethischen Instanz“ ein. Da diese Rahmenordnung
jedoch niemals perfekt sein kann (siehe Kap. 1), müssen auftretende Ungerechtigkeiten
nachträglich durch Umverteilung ausgeglichen werden.
Die Sozialsysteme für Hilfsbedürftige werden durch Transferzahlungen finanziert, d.h.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Menschen, die eine Arbeit haben, finanzieren durch ihre Steuerabgaben die Hilfen für sozial
Schwache. Die Ungleichverteilung der Gehälter soll im Wesentlichen durch
Steuerprogression abgemildert werden. Das bedeutet, dass mit steigendem Einkommen auch
der Steuersatz steigt. Die Progression führt dazu, dass höhere Einkommen nicht nur absolut
höher besteuert werden, sondern auch prozentual. Einfach gesagt, soll ein Spitzenverdiener
eben die Hälfte seines Einkommens abgeben, ein Geringverdiener z.B. nur ein Fünftel.
Durch progressive Einkommensbesteuerung wird die Ungleichverteilung der
Bruttoeinkommen im Netto mehr oder weniger stark vermindert. Im Jahr 2001 wurde in
Deutschland zu diesem Zweck ein Betrag in der Höhe von etwa 3% der
Bruttoeinkommenssumme umverteilt. Den sozial Bedürftigen wird dadurch geholfen, dass sie
Transferzahlungen von Seiten des Staates erhalten.
Es gibt zahlreiche Ansätze, die Aufgabe des Staates betreffend die Gerechtigkeit innerhalb
einer sozialen Marktwirtschaft zu definieren. Die „Friedrich-Ebert-Stiftung“ entwickelte aus
einigen zeitgenössischen Gerechtigkeitsdefinitionen die „Prinzipien für soziale
Gerechtigkeit“:
•
•
die Gleichverteilung der Zugangsmöglichkeiten zu den notwendigen Grundgütern für
die Entfaltung von Lebenschancen (z.B. schulische Bildung)
die Stärkung der individuellen Fähigkeiten, die persönliche Autonomie, Würde,
Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt schützen, sichern und
erweitern.
Aus diesen Prinzipien leiten sich folgende sozialen Aufgaben des Staates ab:
•
•
•
•
•
Vermeidung von Armut
Soziale Chancen durch Bildung
Soziale Chancen durch einen integrativen Markt (angemessene
Einkommensverteilung)
Berücksichtigung der besonderen Rolle der Frau
Soziale Sicherung (Gesundheits- und Sozialausgaben im Verhältnis zum
Sozialprodukt)
Dieser Ansatz, als Beispiel für soziale Gerechtigkeit, ist auf die gerechte Verteilung von
Zugangschancen gerichtet. Demnach ist die nachträgliche Umverteilung weniger dazu geeignet,
Klassenstrukturen zu brechen, Lebenschancen zu erweitern und Armutsfallen zu vermeiden. Wenn
jedoch trotzdem Armut auftritt, müsse unbedingt Wohlstand umverteilt werden, da „Armut die Würde
des Menschen beschädigt und zu einer Falle für die nachfolgenden Generationen in armen Familien
werden kann.“. Der Sozialstaat muss also Armut und soziale Ungerechtigkeit im Keim ersticken, da
die Armut aber niemals völlig ausgemerzt werden kann, muss sozial Bedürftigen „nachträglich“ eine
Existenz sichergestellt werden. Vor- und Nachsorge ist also das Stichwort.
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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Nachwort
Ethik wird immer dann zum Gesprächsthema, wenn große gesellschaftliche Veränderungen
auftreten und damit die Menschen verunsichern. Dabei beginnen die Menschen, über eigene
Wertvorstellungen nachzudenken und inwieweit diese noch in den heutigen Strukturen
vertreten sind. Eine solche Entwicklung, die die Spielregeln der Marktwirtschaft bis in die
Grundfesten erschüttert und die Wirtschaftsstrukturen verändert hat, ist die Globalisierung.
Die eklatante Verschärfung des internationalen Wettbewerbs hat es immer wichtiger gemacht,
darüber nachzudenken, wie Moral in die Marktwirtschaft zu implementieren ist. Die
bestehenden Konzepte wurden ausführlich behandelt und auch die praktischen Strömungen
der unternehmerischen Ethik wurden besprochen, und doch werden kritische Stimmen zur
„lebensfeindlichen“ Marktwirtschaft immer lauter. Obwohl die Wirtschaftsethik inzwischen
als vollwertige und wichtige Wissenschaft anerkannt wird, sind ihre Beiträge zur wirklichen
Verbesserung des Wirtschaftssystems vor allem theoretischer Natur. Die zentrale Frage bleibt:
Wie kann das Prinzip der (Verteilungs-)Gerechtigkeit unter den extremen
Konkurrenzbedingungen der Globalisierung aufrechterhalten werden? Weder die Wirtschaft
noch die Politik hat bis heute eine überzeugende Antwort gefunden.
Würde man einen Top-Manager fragen, wieso er gerade mehrere tausend Stellen gestrichen
hat, obwohl das Unternehmen zur Zeit Rekordgewinne erzielt, würde er wohl antworten:
Niemand, der in der Wirtschaft oder der Politik Verantwortung trägt, kann sich den Zwängen,
die sich aus der Globalisierung ergeben, widersetzen. Niemand will Arbeitsplätze ins Ausland
verlagern oder die Umwelt vernichten, aber die Konkurrenz erzwingt es so.
Als Ausrede taugt dieses Statement jedoch nur bedingt. Schließlich sind
gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung kein unabwendbares
Schicksal, sondern das Ergebnis unserer eigenen Entscheidungen und Verhaltensweisen.
Da die Globalisierung ein globales, also weltweites Phänomen darstellt, ist es extrem
schwierig, die Strukturen dieser Entwicklung lebensdienlicher zu machen. Die einzige
Möglichkeit, etwas daran zu ändern, ist ein internationaler Dialog der wichtigsten
Entscheidungsträger, d.h. Regierungen und Konzerne. Einzelne Aktionen von diversen
Regierungen sind machtlos angesichts der enormen Macht des Welthandels. Die einzige
Chance, die Globalisierung zu „zähmen“, ist gemeinsam daran zu arbeiten. Globalisierung ist
keine unkontrollierbare Naturgewalt, sondern das Ergebnis unserer Entscheidungen, deshalb
haben wir auch die Macht darüber. Es ist unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass
Marktwirtschaft nicht um ihrer Selbst willen betrieben wird, sondern dazu dient, mehr
Wohlstand für alle zu schaffen. Aber wieso gibt es noch keine Anzeichen für eine solche
globale Bewegung?
Die Antwort liegt auf der Hand: Bei der Globalisierung gibt es Gewinner und Verlierer.
Während die Verlierer sich darum bemühen, im globalen Konkurrenzkampf zu überleben,
vermehrt die Gewinnerseite seinen Reichtum. Diese Seite sieht bisher keinen Anlass dazu,
sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Verlierer der Globalisierung an den
Sonnenseiten des globalen Welthandels beteiligt werden können. Das mag vielleicht
polemisch klingen, aber erst wenn alle Entscheidungsträger der Weltwirtschaft an einem
Tisch sitzen und in die gleiche Richtung arbeiten, darf man spürbare Veränderungen
zugunsten der Verlierer der Globalisierung erhoffen. Dort muss man Spielräume im System
der Marktwirtschaft entdecken, um die „Abgehängten“ am Wohlstand zu beteiligen.
Die Wirtschafts- und Unternehmensethik glaubt daran, dass es solche Spielräume gibt, und
daran, dass es sich lohnt, sie zu nutzen. Besonders im Bereich der Unternehmensethik sind
spürbare Erfolge zu vermelden. Heutige Konzerne sind sich meist ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung bewusst. In Zeiten der Globalisierung sind sie längst keine reinen Produzenten
Markt und Moral – Vom Sinn und Konzept der Wirtschaftsethik
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mehr, sie machen Politik. Viele Konzerne haben sich aus eigenem Antrieb ein Leitbild
gegeben, ein Wertegerüst, das zwar auch ökonomische Interessen berührt, aber trotzdem zur
Verbesserung von Missständen beitragen kann. Ein unternehmerisches Verhalten, das den
allgemeinen Wertvorstellungen widerspricht, wird heutzutage meistens von der Öffentlichkeit
gnadenlos abgestraft – glücklicherweise. Beispiele gibt es zuhauf, man werfe nur einen Blick
in die Zeitung: Da häufen sich Korruptionsskandale und schamlose Selbstbedienung von
Unternehmensführern. Ein solches Verhalten wird in heutigen Zeiten nicht mehr toleriert, das
Ansehen eines Unternehmens ist empfindlich geworden.
Wirtschaft und Politik müssen die Ungleichheitsprobleme der Zukunft gemeinsam lösen.
Einseitige Ansätze sind nämlich zum Scheitern verurteilt. Wenn das Soziale in der „sozialen
Marktwirtschaft“ allein in die Rahmenbedingungen verlegt wird, ist das Konzept ebenso zum
Scheitern verurteilt, wie wenn allein den Wirtschaftssubjekten das Feld überlassen wird.
Weder die Einen noch die anderen dürfen sich auf ihre jeweiligen Sachzwänge berufen, denn
es gibt „nicht nur wirtschaftliche Handlungszwänge und politische Gestaltungsspielräume,
sondern auch politische Handlungszwänge bei wirtschaftlichen Gestaltungsspielräumen“
(Norbert Lammert, CDU).
Den großen Konzernen muss bewusst sein, dass große Macht auch große Verantwortung
bedeutet. Und die Politik muss für Rahmenbedingungen sorgen, die ethisches Handeln fördert
und fordert. Die Stiftung Wertevolle Zukunft, von der im Vorwort gesprochen wurde, sagt zu
dieser Herausforderung:
„Dazu bedarf es dem Mut der politischen Führungsträger - aber auch einer Gesellschaft, in
der die Orientierung an moralischen Werten gewollt und geschätzt wird.“
Andreas Oschwald
Februar 2007