Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte

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Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte
ÖZK
2010 / 2
Abhandlungen
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Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte
Verhaltensweisen
Art 101 AEUV1 enthält eine „umfassende und zugleich abschließende materiellrechtliche
Regelung der vom EG-Recht erfassten wettbewerbsbeschränkenden Absprachen“.2 Nach dem
Wortlaut dieser Bestimmung gibt es drei Formen von Absprachen, nämlich Vereinbarungen
zwischen Unternehmen,3 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen (zusammen kurz: „Absprachen“). Diese Unterscheidung des Vertrags halten die
meisten Kommentatoren für zweitrangig,4 manche für (praktisch) bedeutungslos.5 Der folgende Artikel soll zeigen, dass für alle drei Formen übereinstimmende Willenserklärungen erforderlich und ausreichend sind, sodass die Dreiteilung ein überflüssiger Formalismus ist. Art 101
AEUV verbietet „wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen“,6 nicht mehr und nicht weniger.
Von Johannes Peter Gruber
Parteien eine Willensübereinstimmung7 erreichen
oder – wie es in einer Reihe von Entscheidungen
heißt – wenn sie „ihren gemeinsamen Willen zum
Ausdruck gebracht haben“, sich am Markt in wettbewerbsbeschränkender Weise zu verhalten;8 in
I. Vereinbarungen zwischen Unternehmen
1.Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine Vereinbarung im Sinn des Art 101 AEUV vor, wenn die
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Art 101 Abs 1 AEUV, erster Teil: „Mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine
Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken,
[…].“
2 Schröter in Schröter / Jakob / Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht (2003) Art 81, Einführung, Rdn 1.
3 Wozu auch Vereinbarungen zwischen Unternehmensvereinigungen gehören, Kom 10.7.1986 ABl 1986 L 232, 15 – Dach und
Dichtungsbahnen, Rdn 114 f; Kom 7.12.1984, ABl 1985 L 35, 35
– Milchförderungsfonds, Rdn 27 („Beschlüsse von Vereinigungen
von Unternehmensvereinigungen“); Kom 17.12.1981, ABl 1982
L 167, 39 – NAVEWA-ANSEAU, Rdn 38 uVa EuGH 15.5.1975,
Rs 71/74 – Frubo / Kommission, Rdn 30/31.
4 Rose / Roth in Bellamy / Child, European Community Law of
Competition6 (2008) Rdn 2.022, FN 95; Faull / Nikpay, The Law
of Competition2 (2007) Rdn 3.120; Emmerich in Immenga / Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 (2007) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 101;
Bunte in Langen / Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht11 (2010) Art 81, Generelle Prinzipien, Rdn 17
(„geringe Relevanz“); Gippini-Fournier in Loewenheim / Meessen
/ Riesenkampff, Kartellrecht (2006) Rdn 77 („Trend zu einer Relativierung der Unterscheidung“); Ritter / Braun, European Competition Law3 (2004) 98; Loewenheim / Hirsch, Kommentar zum
EG-Kartellrecht4 (1993) Art 85 (1) Rdn 73 („Die Differenzierung
zwischen Vereinbarung und Beschlu[ss] spielt keine rechtlich erhebliche Rolle“); aA möglicherweise Schröter in Schröter / Jakob /
Mederer (FN 2) Rdn 67 ff.
5 Grill in Lenz / Borchardt, EU- und EG-Vertrag3 (2003) Art 81
Rdn 1 („nur theoretisches Interesse“).
6Genauer gesagt: Vereinbarungen, die tatsächlich zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führen („bewirken“), aber auch Vereinbarungen, mit denen eine Wettbewerbsbeschränkung beabsichtigt ist („bezwecken“, vgl jeweils FN 1).
ZB EuGH 21.9.2006, C‑113/04 P – Technische Unie / Kommission, Rdn 128 (Willensübereinstimmung durch „Teilnahme“ an einem Gentlemen‘s Agreement); EuGH 21.9.2006, C‑105/04 P –
Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op
Elektrotechnisch Gebied / Kommission, Rdn 124 ff (synonyme
Verwendung der Begriffe Willensübereinstimmung, Vereinbarung
und Absprache); EuGH 13.7.2006, C-74/04 P – Kommission /
Volkswagen, Rdn 40 („Vorliegen einer Willensübereinstimmung“),
vgl auch Rdn 12, 21; EuGH 7.1.2004, C-204/00 P, C-205/00 P,
C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P – Aalborg
Portland / Kommission, Rdn 244 („Beweiskraft dafür, dass die­
für den Abschluss einer Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag erforderliche Willensübereinstimmung vorhanden war“), vgl auch Rdn 243 f, 249, 253, 323; EuGH 6.1.2004,
C-2, 3/01 P – Kommission / Bayer („Adalat“), Rdn 97 („Willensübereinstimmung […], deren Ausdrucksform unerheblich ist, sofern sie den Willen der Parteien getreu wiedergibt“); in den Polypropylen-Fällen: EuGH 8.7.1999, C-235/92 – Montecatini / Kommission, Rdn 162 („[…] hat das Gericht […] aus gutem Grund zur
Bezeichnung eines als Vereinbarung subsumierbaren Verhaltens
den Ausdruck ‚Willensübereinstimmung‘ verwendet“); EuGH
8.7.1999, C-199/92 – Hüls / Kommission (Polypropylen), Rdn
179 (Zustimmung zu der in Rdn 177 zitierten Entscheidung des
EuG, wonach „die Kommission die Willensübereinstimmungen
[…], zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 81 Ab­satz 1 EG angesehen habe“); EuGH 8.7.1999, C-51/92 – Hercules
Chemicals / Kommission, Rdn 111 („die Rechtsmittelführerin [gehörte] zu den Polypropylenherstellern […], zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen über die Festlegung von Verkaufsmengenzielen für die erste Hälfte des Jahres 1983 gekommen ist“);
EuGH 8.7.1999, C-49/92 – Kommission / Anic Partecipazioni
(Polypropylen), Rdn 100 iVm 98; EuGH 24.10.1996, C-73/95 –
Viho Europe, Rdn 51 („Folglich können mangels Willensübereinstimmung zwischen wirtschaftlich voneinander unabhängigen Beteiligten die Beziehungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit
keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder abgestimmte
Verhaltensweise von Unternehmen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellen“).
8Das ist das nächste Tatbestandsmerkmal des Art 101 AEUV, das
von der Definition des EuGH nicht verwendet wird. Nach dem
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manchen Entscheidungen wird auch auf den Ausdruck oder die Äußerung des übereinstimmenden
Willens abgestellt.9 Mit diesen Formulierungen ist
aber dasselbe gemeint: Ob der jeweilige Wille von
zwei Parteien ein gemeinsamer oder übereinstimmender Wille ist (der EuGH verwendet die Begriffe
gemeinsam und übereinstimmend synonym), lässt
sich nur beurteilen, wenn er in irgendeiner Form –
sei es auch nur stillschweigend10 – zum Ausdruck
kommt. Es macht daher keinen inhaltlichen Unterschied, ob man von einem gemeinsamen, zum Ausdruck gebrachten Willen, oder, wie etwa im deutschen oder österreichischen Privatrecht,11 von über-
EuGH reicht es, dass die Parteien ihren „gemeinsamen Willen zum
Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten“, seit EuGH 15.7.1970, Rs 41/69 – ACF
Chemiefarma / Commission, Rdn 110/114; für viele zuletzt zB
EuGH 6.1.2004, C-2, 3/01 – Kommission / Bayer („Adalat“),
Rdn 118 („das Gericht [ist] von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, dass ‚[e]ine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages … schon dann vor[liegt], wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu
verhalten‘“); EuGH 8.7.1999, C-235/92 – Montecatini / Kommission, Rdn 162; EuGH 8.7.1999, C-49/92 – Kommission / Anic
Partecipazioni, Rdn 130; EuGH 11.1.1990, C-277/87 – Sandoz
Prodotti Farmaceutici / Kommission, Leitsatz 2 (verkürzte Ausfertigung).
9 EuGH 13.7.2006, C-74/04 P – Kommission / Volkswagen, Rdn 37;
EuG 8.7.2008, T‑99/04 – AC‑Treuhand / Kommission, Rdn 118
(„Außerdem liegt eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1
EG [nunmehr: Art 101 Abs 1 AEUV] schon dann vor, wenn ein
scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, wobei die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, als solche nicht entscheidend ist“) und Rdn 125
(„Äußerung eines übereinstimmenden Willens der beteiligten Unternehmen“); EuG 27.9.2006, T-168/01 – GlaxoSmithKline Services / Kommission, Rdn 65 („Gegebenenfalls ist […] zu prüfen, ob
GW und die Großhändler einen übereinstimmenden Willen erklärt
haben und ob die Kommission es somit mit einem bilateralen Vorgehen und nicht mit jeweils einseitigem Verhalten zu tun hatte“)
EuG 8.7.2008, T-52/03 – Knauf Gips / Kommission, Rdn 158
(„Eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG [nunmehr:
Art 101 Abs 1 AEUV] liegt folglich schon dann vor, wenn ein
scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Unternehmen ist; die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, ist als solche nicht entscheidend“).
10Diese übereinstimmenden Willenserklärungen können nicht nur
ausdrücklich (schriftlich oder mündlich), sondern auch stillschweigend (schlüssig) zum Ausdruck kommen; zB EuGH 6.1.2004, C-2,
3/01 – Kommission / Bayer („Adalat“), Rdn 88 ff, 97 ff („ausdrücklich oder stillschweigend, schriftlich oder formlos“); EuGH
8.7.1999, C-49/92 – Kommission / Anic Partecipazioni, Rdn 130;
EuGH 8.7.1999, C-235/92 – Montecatini / Kommission, Rdn 162;
EuGH 29.10.1980, Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk /
Kommission („FEDETAB“), Rdn 86; EuGH 15.7.1970, Rs 41/69
– ACF Chemiefarma / Commission, Rdn 110/114.
11 ZB Köhler, BGB Allgemeiner Teil (2008)32 § 8 Rdn 1; § 861
ABGB; Koziol / Welser, Bürgerliches Recht13 (2007) 121; Lord
Denning, Storer v Manchester City Council [1974] 3 All ER 824
[828]: “In contracts you do not look into the actual intend of
a man’s mind. You look at what he said and did. A contract
is formed when there is, to all outward appearances, a contract”;
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einstimmenden Willenserklärungen als Voraussetzung für eine Vereinbarung spricht.
2.Der wesentliche Unterschied ist, dass eine Willenserklärung im Privatrecht mehr als bloß eine Erklärung
des Willens ist. Übereinstimmende Willenserklärungen führen zwar zu einer Vereinbarung; das Privatrecht regelt aber nicht Vereinbarungen, sondern –
genau genommen – Rechtsgeschäfte. Die herrschende Auffassung verlangt für ein Rechtsgeschäft, dass
die Parteien einen (Rechts-)Geschäftswillen haben:
Ihre Willenserklärungen müssen auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder
Rechtsverhältnissen gerichtet sein. Die Parteien müssen Rechtsfolgen auslösen wollen12 und nicht bloß
soziale oder wirtschaftliche Folgen.13 Andernfalls –
so wird argumentiert – könnte man das Rechtsgeschäft nicht von den unverbindlichen Vorgängen des
täglichen Lebens abgrenzen.14 Als typisches Beispiel
für das Fehlen eines Geschäftswillens wird das
Gentlemen’s Agreement angesehen, also eine unverbindliche Vereinbarung, mit der die Parteien typischerweise keine Rechtsfolgen auslösen wollen.
Gentlemen’s Agreements werden insbesondere dann
verwendet, wenn zwingende Vorschriften keine verbindlichen Rechtsgeschäfte zulassen.15
3.Die Parteien einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung haben typischerweise keinen Geschäftswillen: Art 101 AEUV erfasst alle wettbewerbs­
beschränkenden Absprachen, und zwar sowohl verbindliche als auch unverbindliche16 und erklärt sie in
Art 1101 Code Civil: “Le contrat est une convention par laquelle
une ou plusieurs personnes s’obligent, envers une ou plusieurs autres, à donner, à faire ou à ne pas faire quelque chose»; ähnlich
1326 Codice Civile: «Il contratto è concluso nel momento in cui
chi ha fatto la proposta ha conoscenza dell’accettazione dell’altra
parte».
12 „Rechtsfolgentheorie“, zB BGH 17.5.1971, VII ZR 146/69,
BGHZ 56, 204 (210); BGH 2.6.1956, I ZR 198/54, BGHZ 21,
102 (106 f); Bamberger / Roth / Wendtland, BGB2 (2007) § 133
Rdn 7; MünchkommBGB5 / Kramer (2006) Vor § 116 Rdn 14;
Gernhuber, Das Schuldverhältnis (1989) 123 ff; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre (1986) 8 ff; Willoweit, Die Rechtsprechung zum Gefälligkeitshandeln, JuS 1986, 96; Willoweit,
Schuldverhältnis und Gefälligkeit, JuS 1984, 909; Flume, Das
Rechtsgeschäft3 (1979) 51 ff; Bydlinski, Privatautonomie (1967) 7.
13 „Grundfolgentheorie“, zB Mayer-Maly, Einführung in die allgemeinen Lehren des österreichischen Privatrechts (1984) 39; Lenel,
Parteiabsicht und Rechtserfolg, JherJb 19. 154 ff; dagegen Bydlinski, Verträge über ärztliche Leistungen, Kralik-FS (1986) 345 (352
FN 23).
14 Siehe aber FN 21.
15 Koziol / Welser, Bürgerliches Recht I13 (2006) 97; ähnlich Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 72.
16Nach Schröter stimmt der Begriff Vereinbarung in Art 81 EG
[nunmehr: Art 101 AEUV] „im Kern“ mit dem Vereinbarungsbegriff der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten überein, Schröter
in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 71 unter
Verweis auf EuGH 30.1.1985, Rs 123/83 – Bureau National Interprofessionnel de Cognac (BNIC) / Guy Clair, Rdn 17. Das hängt
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seinem zweiten Absatz grundsätzlich für unwirksam.17 Nach dem dritten Absatz sind sie allerdings
„ausnahmsweise“18 erlaubt, wenn die Vorteile die
Nachteile überwiegen.19 Die entscheidenden Sank­
tionen des Wettbewerbsrechts (Unwirksamkeit, Geld­
bußen und Schadenersatz) treffen nur unverbindliche Vereinbarungen. Gegenstand des Wettbewerbsrechts sind daher typischerweise Gentlemen’s Agreements, also unverbindliche Vereinbarungen, und
nicht Rechtsgeschäfte wie im Privatrecht. Die überwiegende Auffassung zählt daher richtigerweise
Gentlemen’s Agreements zu den Vereinbarungen im
Sinn des Art 101 AEUV.20 Mehr noch: Gerade die
unverbindlichen Vereinbarungen sind das zentrale
Thema des Wettbewerbsrechts.21
allerdings davon ab, wie weit man den Begriff der bürgerlichrechtlichen Vereinbarung zieht. Zu den verschiedenen Meinungen vgl
zB Koziol / Welser, Bürgerliches Recht I13 (2006) 97 f; Emmerich
sieht ihn „zumindest in enger Nachbarschaft“, Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 65.
17 Art 101 Abs 2 AEUV.
18 Auch wenn Art 101 Abs 3 AEUV eine „Ausnahme“ vom grundsätzlichen Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
nach Art 101 Abs 1 AEUV regelt, so gibt es doch – wie Schröter
Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 68
zutreffend festhält – eine „große Masse“ von Vereinbarungen, die
unter diese „Ausnahme“ fallen.
19 Art 101 Abs 3 AEUV; Schröter in Schröter / Jakob / Mederer
(FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 68.
20 Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner, EG-Kartellrecht2 (2009)
Art 81 Rdn 34; Rose / Roth in Bellamy / Child (FN 4) Rdn 2.023;
Faull / Nikpay (FN 4) Rdn 3.49 ff; Paschke in Hirsch / Montag /
Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 12 ff, 27; Emmerich in Immenga /
Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 72; Bunte in Langen
/ Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 23; Gippini-Fournier in Loewenheim /
Meessen / Riesenkampff (FN 4) Art 81 Abs 1 Rdn 80; Van Bael /
Bellis (FN 20) 41; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 3;
Ritter / Braun (FN 4) 102; Gleiss / Hirsch, Kommentar zum EGKartellrecht4 (1993) Art 85 (1) Rdn 76 ff; in diese Richtung gehen
auch die neueren Entscheidungen EuG 14.5.1998, T-347/94 –
Meyr-Melnhof Kartongesellschaft / Kommission, Rdn 65; Kom
2.4.2003 ABl 2003 L 209,12 – Französischer Rindfleischmarkt,
Rdn 118; Kom 9.12.1998, ABl 1999 L 109, 24 – Griechische
Fährschiffe, Rdn 141; Kom 21.10.1998, ABl 1999 L 24, 1 – Fernwärmetechnik-Kartell, Rdn 129; Kom 30.11.1994, ABl 1994
L 343, 1 – Zement, Kapitel 8, Punkt 25, Rdn (6); wohl auch Kom
13.7.1994 ABl 1994 L 243, 1 – Karton, Rdn 12; nach Schröter
in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 67; vgl
auch: Kom 21.1.1998, ABl 1998 L 100, 55 – Legierungszuschlag,
Rdn 43.
21Nur nach Schröter gehören sie zu den abgestimmten Verhaltensweisen, Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1
Rdn 67 ff, argumentiert, dass nach dem Wortlaut des Art 81 Abs 2
EG [nunmehr: Art 101 Abs 2 AEUV] nur „Vereinbarungen oder
Beschlüsse“ nichtig seien, nicht aber aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen (Art 81 Abs 2 EG / Art 101 Abs 2 AEUV: „Die
nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse
sind nichtig.“). Unverbindliche Vereinbarungen würden daher zu
den abgestimmten Verhaltensweisen zählen, weil es „sinnlos“ sei,
unverbindliche Vereinbarungen für nichtig zu erklären. Dazu ist
anzumerken: Diese Argumentation ist nur dann schlüssig, wenn
man – wie das Privatrecht – zu den Vereinbarungen des Art 101
AEUV nur Vereinbarungen mit Rechtsfolgenwillen (Rechtsgeschäfte, vgl FN 12) zählt: Wenn unverbindliche Rechtsgeschäfte
überhaupt nicht Gegenstand des Privatrechts sind, dann wäre es in
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II. Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
1. „Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen“ sind
alle Handlungen, mit denen eine Unternehmensvereinigung ihren Willen bildet.22 Dieser Wille der Unternehmensvereinigung gilt als gemeinsamer Wille
ihrer Mitglieder.23 Durch die Aufnahme der „Beschlüsse“ in Art 101 AEUV sollte nur sichergestellt
werden, dass das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nicht durch Zwischenschaltung
eines Dritten, der Unternehmensvereinigung, umgangen wird.24 Zum selben Ergebnis würde man
allerdings auch nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen25 kommen,26 sodass der Begriff „nur“
zusätzlich verdeutlicht, was zumindest auch als
Willensübereinstimmung nach Art 101 AEUV27 an-
der Tat unschlüssig, sie vom Privatrecht nichtig erklären zu lassen.
Gegenstand des Wettbewerbsrechts sind in erster Linie unverbindliche Vereinbarungen, die von den Parteien (trotzdem) befolgt werden. Es ist daher nicht völlig unschlüssig, solche Vereinbarungen
für unwirksam zu erklären und auf das sich daraus ergebende Verhalten abzustellen. Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4)
Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 72, 91, fordert für Vereinbarungen im
Sinn des Art 81 EG zumindest eine faktische Verbindlichkeit, um
die „völlig freiwilligen“ zu den abgestimmten Verhaltensweisen
zählen zu können, vgl aber FN 60.
22EuGH 27.1.1987, Rs 45/85 – Verband der Sachversicherer / Kommission, Rdn 32; Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20)
Art 81 Rdn 45; Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 11; Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Rdn 89; Paschke in Hirsch
/ Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 51; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10; Schröter in Schröter / Jakob / Mederer
(FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 81.
23EuGH 29.10.1980, Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk /
Kommission („FEDETAB“), Rdn 86; wohl auch EuGH 15.5.1975,
Rs 71/74 – Frubo / Kommission, Rdn 30/31.
24 Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 11 (um „Umgehungen des
Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen […] auszuschließen“); Faull / Nikpay (FN 4) Rdn 3.100 („collusion can take
place through the medium of an association“); Paschke in Hirsch
/ Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 47; Emmerich in Immenga
/ Mestmäcker (FN 4) Rdn 87 („Umgehungstatbestand […], durch
den verhindert werden soll, dass das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen […] umgangen wird“); Bunte in Langen /
Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 26 („faktisch“ eine „Sonderform der
Vereinbarung“); Van Bael / Bellis (FN 20) 49; Mestmäcker /
Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10 („Beschlüsse und Vereinbarungen
lassen sich nicht immer klar abgrenzen“); Schröter in Schröter /
Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 81 („Beschlüsse kommen durch gleichgerichtete Willensäußerungen der Mitgliedsunternehmen oder der Mitglieder ihrer geschäftsführenden Organe
zustande“) und Rdn 83 („Die Abgrenzung zwischen den Tatbeständen des Beschlusses und der Vereinbarung ist problematisch“);
wohl auch Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20) Art 81
Rdn 45.
25 Vgl zu den Auslegungsregeln vgl zB Immenga / Mestmäcker in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Einleitung, C, Rdn 1 ff; Mestmäcker /
Schweitzer (FN 20) § 3 Rdn 31 ff.
26 So werden auch im amerikanischen Antitrustrecht ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage Entscheidungen von Unternehmensvereinigungen als Vereinbarungen der Mitglieder der Unternehmensvereinigung angesehen, zB Hovenkamp, Federal Antitrust
Policy3 (2005) 175.
27 Auch der Sherman Act verwendet für die Willensübereinstimmung
mehrere Begriffe, 15 U.S.C. § 1, Satz 1: “Every contract, combina-
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zusehen ist.28 Es bestehen daher „keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken“, wenn die Kommission im Einzelfall auf eine Unterscheidung verzichtet
und beide Begriffe synonym verwendet.29 In einigen
Fällen hat die Kommission die Satzung einer Unternehmensvereinigung als Vereinigung und die Entscheidung des Vertretungsorgans als Beschluss gewertet.30 Diese Unterscheidung klingt zwar schlüssig, ist aber letztlich nicht notwendig. Sie ist im
Ansatz sogar irreführend, weil für dieselbe Sache
(übereinstimmende Willenserklärungen) zwei verschiedene Begriffe verwendet werden. Auch eine
„faktische Verbindlichkeit“ des Beschlusses – wie
das von manchen gefordert wird – ist nicht er­for­derlich, wird in der Realität aber praktisch immer vorliegen (weil niemand ohne jeden Grund
eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung ab­
schließt).31
2.Die Besonderheit von Beschlüssen liegt nicht darin,
dass Mehrheitsbeschlüsse auch den Mitgliedern zugerechnet werden, die nicht abgestimmt, sich der
tion in the form of trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of
trade or commerce among the several States, or with foreign nations, is declared to be illegal.”
28 Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 83;
ebenso Rose / Roth in Bellamy / Child (FN 4) Rdn 2.060; ähnlich
Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20) Art 81 Rdn 45
(„muss den einer Vereinbarung entsprechenden Inhalt haben“);
Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 53;
Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 93 („nahezu ununterscheidbar“); Bunte in Langen / Bunte
(FN 4) Art 81 Rdn 26 („Sonderform der Vereinbarung“); Mest­
mäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10, 14; wohl auch GippiniFournier in Loewenheim / Meessen / Riesenkampff (FN 4) Rdn 103.
29 ZB Kom 4.12.1992, ABl 1993 L 4, 26 – Lloyd’s Underwriters,
Rdn 28; Kom 30.7.1991 ABl 1991 L 258, 29 – IATA Cargo Agency Programme, Rdn 42; Kom 30.7.1991, ABl 1991 L 258, 18 –
IATA Passenger Agency Programme, Rdn 47.
30 ZB Kom 26.10.1999, ABl 2000 L 39,1 – FEG und TU, Rdn 95;
Kom 13.4.1994, ABl 1994 L 117, 30 – Stichting Certificatie
Kraanverhuurbedrijf und Federatie van Nederlands Kraanverhuurbedrijven, wonach die Geschäftsordnung einer Unternehmensvereinigung als Beschluss gewertet wird, Rdn 18, sonst aber offen
lassend („eine Vereinbarung und/oder ein […] Beschlu[ss]“), zB
Rdn 21.
31 Vgl dazu unten FN 60; so auch Paschke in Hirsch / Montag /
Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 56; wohl auch Gippini-Fournier in
Loewenheim / Meessen / Riesenkampff (FN 4) Rdn 103; aA Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 11, der sich meines Erachtens
zu Unrecht auf EuGH 15.5.1975, Rs 71/74 – Frubo / Kommission
beruft); Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Rdn 91; Bunte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 27; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10; Schröter in Schröter / Jakob / Mederer
(FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 82.
32EuGH 29.10.1980, Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk /
Kommission („FEDETAB“), Rdn 91, 156; Lübbig in Wiedemann
(FN 4) § 7 Rdn 11; Rose / Roth in Bellamy / Child (FN 4)
Rdn 2.060; Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81
Abs 1 EGV, Rdn 92; Bunte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81
Rdn 26; Ritter / Braun (FN 4) 106; Schröter in Schröter / Jakob /
Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 81; kritisch Paschke in Hirsch /
Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 57. Nach Mestmäcker /
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2010 / 2
Stimme enthalten oder dagegen gestimmt haben.32
Das kann – auch wenn das bisher noch nicht entschieden ist – schließlich nur dann gelten, wenn
entsprechende (Mehrheits-)Beschlüsse in der vereinbarten Satzung33 der Unternehmensvereinigung vorgesehen sind34 und der Beschluss insoweit (wieder)
auf eine Willensübereinstimmung der Mitglieder zurückgeführt werden kann.35 Eine Willensübereinstimmung wird insbesondere angenommen, wenn
die Beschlüsse nach der Satzung für die Mitglieder
„verbindlich“36 sind.37 Ist demgegenüber der Beschluss von der Satzung nicht gedeckt oder kann er
Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10 sollen überstimmte Mitglieder
(offenbar: nur) haften, wenn sie sich an den Beschluss gehalten
haben; das ist zwar richtig, aber insoweit unvollständig als bereits
reicht, dass der Beschluss von der Satzung gedeckt ist. Würde das
Mitglied aber als Reaktion auf den Beschluss aus der Unternehmensvereinigung austreten, wird es an einer Willensübereinstimmung – zumindest ab dem Austritt – fehlen (natürlich nur, wenn es
nicht trotz des Austritts zu einer neuerlichen Willensübereinstimmung, zB durch tatsächliches Befolgen kommt.
33Die Satzung einer Unternehmensvereinigung wird zwar nur in seltenen Ausnahmefällen die Organe der Vereinigung ausdrücklich
zu einem wettbewerbswidrigen Handeln ermächtigen, vgl aber zB
EuGH 27.1.1987, 45/85 – Verband der Sachversicherer / Kommission, Rdn 31; vor allem ältere Satzungen können aber Bestimmungen enthalten, die – als sie vereinbart wurden – unbedenklich waren und aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbar sind. Da eine
Unternehmensvereinigung definitionsgemäß die Interessen ihrer
Mitglieder zu vertreten hat, sind im Einzelfall Abgrenzungsprobleme durchaus vorprogrammiert.
34 Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20) Art 81 Rdn 45;
Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 11; Rose / Roth in Bellamy
/ Child (FN 4) Rdn 2.060; Emmerich in Immenga / Mestmäcker
(FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 92; Bunte in Langen / Bunte (FN 4)
Art 81 Rdn 26; Gippini-Fournier in Loewenheim / Meessen / Riesenkampff (FN 4) Rdn 103; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9
Rdn 10; Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1
Rdn 81. Zu relativieren ist die Auffassung, dass „das Zustandekommen des Beschlusses nicht von der Einhaltung in der Verbandssatzung vorgeschriebener Formalitäten“ abhängig ist, so
Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 54; ähnlich Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 11. Damit sind offensichtlich nur Verfahrensmängel gemeint, die für die Bildung des
übereinstimmenden Willens unerheblich waren; so unterscheiden
die von Paschke dafür zitierten Mestmäcker / Schweitzer (FN 20)
§ 9 Rdn 10 auch zutreffend zwischen den „formalisierten Regeln
der Beschlussfassung“, die nicht eingehalten werden müssen, und
der erforderlichen Übereinstimmung mit der Satzung, aus der eine
Willensübereinstimmung abgeleitet werden kann.
35 Ansatzweise allenfalls: Kom 22.4.1994, ABl 1994 L 122, 37 –
COAPI, Rdn 35; daher äußert Paschke zu Recht Bedenken, wenn
gegen den Beschluss stimmende oder nicht abstimmende Mit­
glieder verantwortlich gemacht werden (wie in EuGH 29.10.1980,
Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk / Kommission [„FEDE­
TAB“], Rdn 91, 156), Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20)
Art 81 Rdn 57.
36 Wenn Beschlüsse wettbewerbswidrig sind, sind sie nach Art 101
Abs 2 AEUV unwirksam und damit nie verbindlich; sie können
daher nur von den Mitgliedern – in Unkenntnis der Rechtslage –
als verbindlich gewollt oder als verbindlich empfunden worden sein.
37EuGH 29.10.1980, Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk /
Kommission („FEDETAB“), Rdn 88; EuGH 27.1.1987, 45/85 –
Verband der Sachversicherer / Kommission, Rdn 29; wohl auch
EuGH 15.5.1975, Rs 71/74 – Frubo / Kommission, Rdn 42.
ÖZK
2010 / 2
Abhandlungen
sonst nicht als Ausdruck eines übereinstimmenden
Willens gewertet werden, müssen zusätzliche Indi­
zien für eine Willensübereinstimmung vorliegen, zB
dass sich die Mitglieder an den Beschluss gehalten
haben38 oder sich zumindest daran halten wollten.39
Art 101 AEUV gilt zwar auch für Unternehmens­
vereinigungen mit gesetzlicher (= automatischer)
Mit­gliedschaft;40 in diesen Fällen kann aber ein
durch die Satzung gedeckter Beschluss nicht für eine
Willensübereinstimmung reichen, weil die Satzung
einer Unternehmensvereinigung für die Mitglieder
verbindlich ist, auch wenn sie das nicht wollen.
Auch in diesem Fall müssen noch zusätzliche In­di­zien erforderlich sein, damit man eine Willens­
über­einstimmung nach Art 101 AEUV annehmen
kann.
3.Dass eine Willensübereinstimmung notwendig ist,
bestätigt – zumindest ansatzweise – auch die mit der
VO 1/200341 eingeführte Haftung der Mitglieder für
Geldbußen:
a.Die Kommission kann seit 2004 von den Mitgliedern einer Unternehmensvereinigung „verlangen“, dass sie die über die Unternehmens­
vereinigung verhängte Geldbuße zahlen, wenn
38EuGH 8.11.1983, Rs 96 bis 102, 104, 105, 108, 110/83 – IAZ /
Kommission („Navewa“), Rdn 20, unter Verweis auf EuGH
15.5.1975, Rs 71/74 – Frubo / Kommission und EuGH 29.10.1980,
Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk / Kommission („FEDETAB“); EuG 11.3.1999, T-136/94 – Eurofer / Kommission,
Rdn 116; EuG 15.9.2005, T-325/01 – DaimlerChrysler / Kommission, Rdn 210; Kom 24.6.2004, ABl 2005 L 4, 10 – Belgische Architektenkammer, Rdn 10; Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20) Art 81 Rdn 45; Lübbig in Wiedemann (FN 4) § 7
Rdn 11; Rose / Roth in Bellamy / Child (FN 4) Rdn 2.060; Faull /
Nikpay (FN 4) 3.102; Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4)
Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 128; Paschke in Hirsch / Montag / Säcker
(FN 20) Art 81 Rdn 56; Bunte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81,
Generelle Prinzipien, Rdn 34a; wohl auch Gippini-Fournier in
Loewenheim / Meessen / Riesenkampff (FN 4) Rdn 103, letzter
Satz; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 10; Schröter in
Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 82.
39EuGH 29.10.1980, Rs 209 bis 215, 218/78 – Van Landewyk /
Kommission („FEDETAB“), Rdn 88; Paschke verweist zurecht
darauf, dass eine Befolgung des Beschlusses nicht notwendig ist,
und bereits eine Willensübereinstimmung genügt, die den Zweck
hat den Wettbewerb zu beschränken. Die Befolgung ist aber das
deutlichste Indiz für eine solche Willensübereinstimung, Paschke
in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 56.
40 Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 80
unter Berufung auf EuGH 3.12.1987, Rs 136/86 – Bureau National Interprofessionnel de Cognac (BNIC) / Aubert; EuGH 30.1.
1985, Rs 123/83 – Bureau National Interprofessionnel de Cognac
(BNIC) / Guy Clair; Kom 15.12.1982 ABl 1982 L 379, 1 – UGEL
/ BNIC; Kom 26.7.1976 ABl 1976 L 231, 24 – Pabst + Richarz /
BNIA; wobei sich aus diesen Entscheidungen (selbstverständlich)
nicht ergibt, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Mitgliedschaft
für eine wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit reicht.
41 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002
zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags
niedergelegten Wettbewerbsregeln (kurz: VO 1/2003), ABl 2003
L 1, 1.
47
die Unternehmensvereinigung „zahlungsunfähig“
ist. Die Kommission hatte zunächst vorgeschla­
gen,42 die Mitglieder ohne weitere materiellrechtliche Voraussetzungen solidarisch haften zu lassen.43 Nach der letztlich beschlossenen Regelung44 können die Mitglieder nun aber „nachweisen“, dass sie den Beschluss der Unternehmensvereinigung „nicht umgesetzt haben und entweder von dessen Existenz keine Kenntnis hatten
oder sich aktiv davon distanziert haben, noch
ehe die Kommission mit der Untersuchung des
Falls begonnen hat.“
b.Die VO 1/2003 geht dabei davon aus, dass die
Kommission zunächst die Buße über die Unternehmensvereinigung verhängt, die Unternehmensvereinigung nicht zahlen kann und dann ein
weiteres Verfahren gegen die haftenden Mitglieder geführt wird. In diesem Verfahren können
die Mitglieder dann „nachweisen“, dass sie sich
vom Beschluss distanziert und ihn nicht umgesetzt haben.45 Daraus ergibt sich systematisch
zwingend, dass dieser Einwand den Mitgliedern
einer Unternehmenseinrichtung auch dann zu­
stehen muss, wenn die Kommission unmittelbar
gegen die Mitglieder oder gegen die Unterneh-
42 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in
den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr 1017/68,
(EWG) Nr 2988/74, (EWG) Nr 4056/86 und (EWG) Nr 3975/87
(„Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag“) vom 27.9.2000, KOM (2000) 582 endgültig – 2000/0243
(CNS), kurz: Vorschlag.
43 Vorschlag (FN 42) 50; so auch noch Schröter in Schröter / Jakob /
Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 80 zur Rechtslage vor der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur
Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (kurz: VO 1/2003), ABl 2003 L 1, 1,
kurz: VO 1/2003.
44Nach Art 23 Abs 4 der VO 1/2003 (FN 43) muss eine Unternehmensvereinigung, wenn sie eine Geldbuße nicht zahlen kann, von
ihren Mitgliedern „Beiträge zur Deckung“ der Geldbuße fordern.
Werden diese Beiträge innerhalb einer von der Kommission bestimmten Frist nicht geleistet, kann die Kommission die Geldbuße
unmittelbar von jedem Mitglied verlangen, das im Entscheidungsgremium der Vereinigung vertreten war, und subsidiär von jedem
Mitglied, das auf dem Markt tätig war, auf dem die Zuwiderhandlung erfolgt ist. Keine Buße darf von Mitgliedern (direkt) verlangt
werden, die nachweisen, dass sie die beschlossene Zuwiderhandlung nicht umgesetzt haben und entweder den Beschluss nicht gekannt oder „sich aktiv davon distanziert“ haben, bevor die Kommission mit der Untersuchung begonnen hat und ohne jeweils
selbst eine Zuwiderhandlung begangen zu haben (wörtlich: „den
die Zuwiderhandlung begründenden Beschluss der Vereinigung
nicht umgesetzt haben“).
45 ZB Dannecker / Biermann in Immenga / Mestmäcker (FN 4) VO
1/2003, Rdn 269 ff; Sura in Langen / Bunte (FN 4) VO Nr. 1/2003
Art 23 Rdn 13 ff; Dalheimer / Feddersen / Miersch, EU- Kartellverfahrensverordnung (2005) VO 1/2003, nach Art 83 EGV, Art 23
Rdn 67 ff; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht (2005) Art 23 Rdn 19.
48
Abhandlungen
mensvereinigung und deren Mitglieder46 vorgeht.47
4.Die Bestätigung ist nur eine „ansatzweise“, weil diese Regelung des Art 23 Abs 4 VO 1/2003 ungenau
formuliert ist; er enthält eine irreführende Verfahrensregel und eine unvollständige materiellrechtliche
Regel:
a. Irreführend ist die Verwendung des Wortes „nach­
weisen“: Es ist – wie in Art 2 der VO 1/2003
festgehalten wird48 – selbstverständlich die Kommission, die das Vorliegen einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung nachweisen muss.
Dazu wird es manchmal schon reichen, dass das
Unternehmen durch Vereinbarung / Willensübereinstimmung eine Unternehmensvereinigung gegründet oder sich einer Unternehmensvereinigung angeschlossen hat (eine automatische gesetzliche Mitgliedschaft wird aber immer zuwenig sein). In den meisten Fällen wird man aber
noch zusätzliche Indizien verlangen müssen, so
zB dass das Unternehmen in den Entscheidungsgremien mitgewirkt oder dass es an regelmäßigen
Treffen teilgenommen hat.49 Erst wenn die Kommission belastende Umstände beweisen kann,
muss das Unternehmen Einwände erheben und
die in den Einwänden enthaltenen Tatsachenbehauptungen durch Beweismittel „nachweisen“.50
b. Art 23 Abs 4 der VO 1/2003 ist insoweit irreführend, als er für nur zwei Einwände zu gelten
scheint: Den Einwand, dass das Unternehmen die
wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung („Be­
schluss“) nicht gekannt hat, und den Einwand,
dass es sie zwar gekannt hat, aber sich aktiv von
ihr distanziert hat. Diese Regelung ist unvoll-
46 Vor der Neuregelung war die Kommission gezwungen, die Geldbußen möglichst direkt von den einzelnen Mitgliedern zu verlangen; vgl Mitteilung der Kommission (Leitlinien für das Verfahren
zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag
festgesetzt werden), ABl 1998 C 9, 3, Punkt 5. c): „Bei Vorgängen,
an denen Unternehmensvereinigungen beteiligt sind, sollten soweit
wie möglich die Entscheidungen an die Mitgliederunternehmen
der Vereinigungen gerichtet und die Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen einzeln festgesetzt werden. Sollte diese Vorgehensweise nicht möglich sein (zB bei mehreren Tausend Mitgliedsunternehmen) und mit Ausnahme von Verfahren gemäß EGKSVertrag, ist gegenüber der Vereinigung eine Gesamtgeldbuße festzusetzen, die nach den vorgenannten Grundsätzen ermittelt wurde
und dem Gesamtbetrag der Einzelgeldbußen entspricht, die gegenüber jedem einzelnen Mitgliedsunternehmen hätten festgesetzt
werden müssen.“
47 Wie zB in Kom 10.12.2003, ABl 2005 L 110,44 – Organische
Peroxide.
48 Art 2 VO 1/2003 (FN 43).
49 Vgl dazu unten IV.3.
50Ebenso Dannecker / Biermann in Immenga / Mestmäcker (FN 4)
VO 1/2003, Rdn 286; Dalheimer / Feddersen / Miersch (FN 45)
VO 1/2003, nach Art 83 EGV, Rdn 91.
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2010 / 2
ständig: Es muss jeder Einwand zulässig sein, aus
dem sich ergibt, dass es zu keiner Willensübereinstimmung zwischen dem Mitglied und den
anderen Mitgliedern der Unternehmensvereinigung gekommen ist. Es ist ohne Weiteres denkbar, dass zB ein Beschluss nicht von der Satzung
der Unternehmensvereinigung gedeckt war und
sich das Mitglied neutral verhalten hat (ohne sich
aktiv vom Beschluss zu distanzieren). Auch in
solchen Fällen begeht das Mitglied keinen Wettbewerbsverstoß.51
III. Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
1.Der EuGH verwendet seit den Entscheidungen zum
Farbstoffkartell die gleichen Leitsätze: Aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen sollen danach „eine
Form der Koordinierung zwischen Unternehmen“
sein, „die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines
Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch
bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die
Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt.“ Aufeinander abgestimmte Verhaltens­
weisen würden „schon ihrem Wesen nach nicht alle
Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung erfüllen,
sondern können sich insbesondere auch aus einer im
Verhalten der Beteiligten zutage tretenden Koordinierung ergeben“.52 Ein „Parallelverhalten“ reiche
dafür zwar noch nicht, könne aber ein „wichtiges
Indiz“ für eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise sein. Dabei seien alle Umstände des Einzelfalls
in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen.53
51 So wohl auch Dannecker / Biermann in Immenga / Mestmäcker
(FN 4) VO 1/2003, Rdn 285 („Aus dieser Regelung ergibt sich,
dass Voraussetzung der Haftung ein schuldhaftes Verhalten des in
Anspruch genommenen Unternehmens ist.“).
52 Vgl die Entscheidungen zum Polypropylen-Kartell [EuGH 8.7.
1999, C-199/92 – Hüls / Kommission, Rdn 158 ff; EuGH 8.7.1999,
C-49/92 – Kommission / Anic Partecipazioni, Rdn 115]; EuGH
31.3.1993, C-89, 104, 114, 116, 117, 125 bis 129/85 – Ahlström
(Zellstoff), Rdn 63; EuGH 14.7.1981, Rs 172/80 – Züchner /
Bayrische Vereinsbank, Rdn 12; EuGH 16.12.1975, Rs 40 bis 48,
50, 54 bis 56, 111, 113, 114/73 – Suiker Unie / Kommission,
Rdn 26/28; die Entscheidungen zum Farbstoff-Kartell [EuGH
14.7.1972, Rs 48/69 – Imperial Chemical Industries (ICI) / Kommission, Rdn 64/67; EuGH 14.7.1972, Rs 49/69 – BASF / Kommission, Rdn 22; EuGH 14.7.1972, Rs 51/69 – Bayer / Kommis­
sion, Rdn 25; EuGH 14.7.1972, Rs 52/69 – Geigy / Kommission,
Rdn 25]; EuGH 14.7.1972, Rs 54/69 – Francolor, Rdn 51/54;
EuGH 14.7.1972, Rs 55/69 – Cassella Farbwerke, Rdn 30; EuGH
14.7.1972, Rs 57/69 – ACNA, Rdn 55/58]; ebenso das EuG, zuletzt EuG 8.8.2008, T-69/04 – Schunk / Kommission, Rdn 116,
und die Kommission, zuletzt Kom 20.12.2001, ABl 2004 L 115, 1
– Selbstdurchschreibepapier, Rdn 315.
53EuGH 13.7.1989, Rs 110, 241, 242/89 – Lucazeau / Société des
auteurs compositeurs et éditeurs de musique (Sacem), Rdn 18;
EuGH 14.7.1972, Rs 48/69 – Imperial Chemical Industries (ICI) /
Kommission, Rdn 64.
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2010 / 2
Abhandlungen
2.Diese Rechtsprechung wird man – trotz der scheinbar entgegenstehenden Formulierung – als (mittelbare) Bestätigung werten können, dass aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen genauso wie Vereinbarungen zumindest übereinstimmende Willenserklärungen voraussetzen: Eine „praktische Zusammenarbeit“ und „Koordinierung“ ist ohne übereinstimmende Willenserklärungen nicht denkbar. Die
Formulierung des EuGH, dass es dabei noch nicht
„zu einem Vertrag“ komme und „nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung“ erfüllt seien,
darf man offensichtlich nicht zu wörtlich nehmen:
Mit Vertrag und Vereinbarung im Sinn des Art 101
AEUV kann dabei nur eine Absprache gemeint sein,
die über das bloße Übereinstimmen von Willens­
erklärungen hinausgeht und zusätzlich zur Übereinstimmung von Willenserklärungen (zumindest) noch
eine weitere Eigenschaft hat. Nach der Rechtsprechung dürfte dazu notwendig sein, dass die Übereinstimmung der Willenserklärungen mit einer gewissen Deutlichkeit zum Ausdruck kommt und damit
– im Gegensatz zu aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen – als solche unmittelbar (und nicht
bloß mittelbar über Indizien) beweisbar sind.54 Nur
so lässt sich erklären, dass die Rechtsprechung regelmäßig auf eine genauere Unterscheidung zwischen
Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen verzichtet.55
3. In der Literatur ist man sich mehr oder wenig einig,
dass auch für abgestimmte Verhaltensweisen übereinstimmende Willenserklärungen notwendig sind
(wenngleich die Kommentare oft missverständliche
Formulierungen enthalten).56 Was aber eine abgestimmte Verhaltensweise von einer Vereinbarung im
Sinn des Art 101 AEUV unterscheidet, wird sehr unterschiedlich – und meist sehr unbestimmt – beantwortet.
a. Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sollen nach Emmerich „eine besondere Form der
54 So unterscheidet zB auch Emmerich zwischen dem „,echten‘ d.h.
bindenden Vertrag“, dem Gentlemen’s Agreement, den abgestimmten Verhaltensweisen und befolgten Empfehlungen, Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 102.
55 Zum Verhältnis Vereinbarungen und Beschlüsse: EuGH 8.7.1999,
C-49/92 – Kommission / Anic Partecipazioni (Polypropylen),
Rdn 114; zum Verhältnis Beschlüsse und aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen: EuGH 27.1.1987, 45/85 – Verband der Sachversicherer / Kommission, Rdn 31; EuGH 29.10.1980, Rs 209
bis 215, 218/78 – Van Landewyk / Kommission („FEDETAB“),
Rdn 86 f.
56EuGH 8.7.1999, C-49/92 – Kommission / Anic Partecipazioni
(Polypropylen), Rdn 131: „Der Vergleich zwischen diesem Begriff
der Vereinbarung und dem […] Begriff der abgestimmten Verhaltensweise zeigt, da[ss] beide in subjektiver Hinsicht Formen der
Kollusion erfassen, die in ihrer Art übereinstimmen, und da[ss] sie
sich nur in ihrer Intensität und ihren Ausdrucksformen unterschei-
49
Willensübereinstimmung“57 sein.58 Sie sollen mit
Vereinbarungen „eng verwandt“ und wie Vereinbarungen „Entscheidungsformen der willentlichen Koordinierung des Verhaltens von mindestens zwei selbständigen Unternehmen“ sein; sie
würden „in der Praxis häufig ununterscheid­­bar ineinander übergehen“.59 Und: Eine „exakte
Grenz­ziehung“ zwischen beiden sei daher „letztlich nicht erforderlich“.60
b.Nach Paschke soll der „Verbotsbereich“ abgestimmter Verhaltensweisen „im Vorfeld des Vereinbarungstatbestandes“ liegen, ohne dass die
Verhaltensabstimmung zu einer „Willensübereinstimmung im Sinne des Vereinbarungstat­
bestandes geronnen“ sei; sie sollen im „Zwischenbereich verbotener Vereinbarungen […]
und erlaubtem Parallelverhalten […] angesie-
57
58
59
60
den“; Rose / Roth in Bellamy / Child (FN 4) Rdn 2.022; Faull /
Nikpay (FN 4) Rdn 3.109; Paschke in Hirsch / Montag / Säcker
(FN 20) Art 81 Rdn 5; Emmerich in Immenga / Mestmäcker
(FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 105, ähnlich Rdn 104; Bunte
in Langen / Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 15; Gippini-Fournier in
Loewenheim / Meessen / Riesenkampff (FN 4) Art 81 Abs 1 Rdn 75;
wohl auch Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 20) Art 81
Rdn 46, und Van Bael / Bellis (FN 20) 61 f; Mestmäcker / Schweitzer (FN 20) § 9 Rdn 2 („bewusstes und gewolltes Zusammenwirken“); Ritter / Braun (FN 4) 98 ff; nicht ganz klar ist die Auffassung von Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81
Abs 1 Rdn 87, der unter Abstimmung jedes „Zusammenwirken“
von Unternehmen versteht, das „noch nicht zur Bildung eines gemeinsamen Willens über ihr zukünftiges Marktverhalten geführt
hat oder – anders ausgedrückt – alle Handlungen im Vorfeld einer
sachlich oder praktisch verbindlichen [sic!] Absprache“, der aber
andererseits alle unverbindlichen Absprachen als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen beurteilt, Schröter in Schröter / Jakob
/ Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 1, 84; unbestimmt auch Gleiss
/ Hirsch (FN 20) Art 85 (1) Rdn 97, wonach gegenüber einer Vereinbarung „ein Weniger an Willensübereinstimmung genügt“.
Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 105, ähnlich Rdn 101, 104.
Als nicht besonders überzeugend würde ich vage Formulierungen
ansehen, die eine rechtstheoretische Einordnung unmöglich machen: So meint etwa Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20)
Art 81 Rdn 59, 61, dass der „Verbotsbereich“ abgestimmter Verhaltensweisen „im Vorfeld des Vereinbarungstatbestandes“ liege,
ohne dass die Verhaltensabstimmung zu einer „Willensübereinstimmung im Sinne des Vereinbarungstatbestandes geronnen“ sei;
sie sollen daher im „Zwischenbereich verbotener Vereinbarungen
[…] und erlaubtem Parallelverhalten […] angesiedelt“ sein. Andererseits soll die „Bedeutung der drei in Art. 81 [nunmehr: Art 101
AEUV] angeführten Koordinationsmittel darin“ liegen, „dass sie
eine Willensübereinstimmung der beteiligten Unternehmen voraussetzen“, Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81
Rdn 5.
Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 101.
Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 72. Emmerich zählt allerdings das Gentlemen‘s Agreement zu
den Vereinbarungen, weil es zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch verbindlich sei. Eine faktische Verbindlichkeit liege vor, wenn
nur eine wirtschaftliche, moralische oder gesellschaftliche Bindung
bestehe, Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1
EGV, Rdn 101. Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen würden sich von einem Gentlemen‘s Agreement „in erster Linie durch
50
Abhandlungen
delt“ sein.61 Andererseits soll aber die „Bedeutung aller drei in Art. 81 [nunmehr: Art 101
AEUV] angeführten Koordinationsmittel darin“
liegen, „dass sie eine Willensübereinstimmung
der beteiligten Unternehmen voraussetzen“.62
Auch diese Aussagen sind nur dann nicht widersprüchlich, wenn man den Begriff der Vereinbarung im Sinn des Art 101 AEUV – wie oben II.2.
– als übereinstimmende Willenserklärungen versteht, die zumindest noch eine zusätzliche Voraussetzung erfüllen müssen.
c. Für Schröter sind alle verbindlichen (und offensichtlich auch alle als verbindlich gewollten63)
Absprachen Vereinbarungen und alle übrigen,
unverbindlichen Absprachen aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Daher zählt er Gentle­
men’s Agreements zu den aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen.64 Diese Einteilung
hat den Vorteil, dass der Begriff aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einen verständlichen
Inhalt bekommt.65 Andererseits ist aber die Unterscheidung in verbindliche und unverbindliche
Vereinbarungen unerheblich, weil gegen Art 101
AEUV verstoßende Vereinbarungen immer nichtig – und damit immer unverbindlich – sind.66
61
62
63
64
65
66
den generellen Verzicht auf jede Form einer faktischen oder gar
rechtlichen Verbindlichkeit der Abreden“ unterscheiden; die Beteiligten würden sich „ihre vollständige Freiheit hinsichtlich der Befolgung der Abreden bewahren“, Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 103; ähnlich Lübbig in
Wiedemann (FN 4) § 7 Rdn 9. Diese Unterscheidung überzeugt
nicht restlos: Eine „faktische“ Bindung soll keine rechtliche Bindung sein, sodass niemand das Einhalten der Bindung rechtlich
durchsetzen kann. Unter diesen Voraussetzungen wird ein Unternehmen einem abgestimmten Verhalten nur zustimmen (und sich
„faktisch“ gebunden fühlen), wenn es davon irgendeinen Vorteil
hat. Das wird in der Regel ein wirtschaftlicher Vorteil (höherer
Preis) sein, denkbar sind aber auch moralische und gesellschaftliche Vorteile (Erhalt von Arbeitsplätzen). Dass Unternehmen ihr
Verhalten mit anderen Unternehmen – noch dazu in verbotener
Weise – abstimmen, ohne davon irgendeinen Vorteil zu haben
(oder zumindest daran zu glauben), ist (meines Erachtens) unrealistisch. Folgte man der Abgrenzung von Emmerich, würden abgestimmte Verhaltensweisen praktisch nicht vorkommen.
Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 59, 61.
Paschke in Hirsch / Montag / Säcker (FN 20) Art 81 Rdn 5.
Vgl FN 36.
Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 66;
nach Bunte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 28, hingegen ist
die „Verhaltensabstimmung dadurch gekennzeichnet, dass sie keinerlei Bindungen bezweckt oder bewirkt“, wenngleich aber auch
Vereinbarungen iSd Art 81 EG verbindlich oder unverbindlich sein
können, Bunte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81 Rdn 20.
Alle Kommentatoren, die auch unverbindliche Absprachen zu den
Vereinbarungen des Art 81 EG [nunmehr: Art 101 Abs 1 AEUV]
zählen (wie zB die zitierten Emmerich und Paschke, vgl oben
FN 20), können nicht überzeugend erklären, was denn dann mit
abgestimmten Vereinbarungen gemeint sein soll.
Vereinbarungen, die zwar wettbewerbsbeschränkend (Art 101 Abs 1
AEUV), aber gerechtfertigt sind (Art 101 Abs 3 AEUV) verstoßen
nicht gegen Art 101 AEUV.
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2010 / 2
Eine Vereinbarung nach Art 101 AEUV könnte
nach dieser Auffassung nur eine Wettbewerbsbeschränkung sein, die nach Art 101 Abs 3 AEUV
zulässig (und damit verbindlich)67 und deshalb
wettbewerbsrechtlich unbedenklich ist.
4. Typisch für eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise ist ein erkennbares einheitliches (übereinstimmendes oder sich ergänzendes) Verhalten. Dieses Verhalten muss auf übereinstimmenden Willenserklärungen (Abstimmung, Abrede) beruhen. Die
übereinstimmenden Willenserklärungen lassen sich
aber typischerweise nicht als Solche nachweisen.68
Im Rahmen der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ist zu klären, welche Indizien – neben
dem abgestimmten Verhalten – notwendig sind, um
eine (wettbewerbswidrige) Abrede annehmen zu
können. Bei der Bewertung von Indizien sind in erster Linie die Besonderheiten des betroffenen Markts
und die Ambivalenz unternehmerischen Handelns
zu beachten: Abgestimmtes Verhalten kann sowohl
der Ausdruck von Wettbewerb als auch der Ausdruck des Gegenteils sein. Mit Vorsicht sind daher
auch die „häufig stark vereinfachenden Annahmen
der ökonomischen Theorie“ zu behandeln.69
5.Der Begriff der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen hat daher keine eigene materiellrechtliche Bedeutung.70 Er ist vielmehr ein verfahrensrechtlicher Hinweis darauf, dass abgestimmte Verhal­
tensweisen ein Indiz für eine wettbewerbswidrige
Absprache sein können.71 Es wird aber in der Rechtsprechung72 gleichzeitig betont, dass aufeinander
abgestimmtes Verhalten für sich noch nicht ausreicht, um eine Absprache (übereinstimmende Willenserklärungen) anzunehmen.73 Für von den Parteien jeweils einseitig aufeinander abgestimmtes Verhalten wird der Ausdruck bewusstes Parallelverhalten74 verwendet, um den Unterschied zum zweiseitig
67 Weil – vereinfacht gesagt – die Vorteile die Nachteile überwiegen.
68 Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 119 ff („selten möglich“).
69 Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 122.
70 Wenn sowohl für Vereinbarungen als auch für aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen übereinstimmende Willenserklärungen
erforderlich sind und Vereinbarungen auch schlüssig, unverbindlich und formlos getroffen werden können, dann gibt es – ganz
einfach gesagt – keinen Unterschied.
71 Zu den Beweisschwierigkeiten zB Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 105, 119 ff.
72 ZB Nolte in Langen / Bunte (FN 4) Art 81, Fallgruppen, Rdn 545
uVa Eilmansberger, Die Adalat-Entscheidung des EuGH, ZWeR
2004, 285 [301].
73EuGH 13.7.1989, Rs 110, 241, 242/89 – Lucazeau / Société des
auteurs compositeurs et éditeurs de musique (Sacem), Rdn 18.
74 Für viele zB Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81
Abs 1 EGV, Rdn 72; für das US-amerikanische Recht zB Sullivan /
Grimes, The Law of Antitrust2 (2006) 199 ff; Areeda / Kaplow /
ÖZK
2010 / 2
Abhandlungen
– also durch übereinstimmende Willenserklärungen
– abgestimmten Verhalten zu verdeutlichen.75 Das ist
insoweit nicht ganz glücklich, als nach dem Wortsinn zwischen aufeinander abgestimmtem Verhalten
und bewusstem Parallelverhalten zumindest kein
deutlicher Unterschied besteht und beide Begriffe für
sich genommen mehr oder weniger (fast) dasselbe
aussagen.76
IV. Vereinigte Staaten
1.Der Begriff der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen stammt aus dem amerikanischen Wettbewerbsrecht (concerted practises), auch wenn er im
Sherman Act selbst nicht vorkommt.77 Er war bereits
in Art 65 EGKS78 (als verabredete Praktiken in der
deutschen Version79) enthalten und wurde als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen in Art 85
EGV (nunmehr: Art 101 AEUV) aufgenommen.80 Im
amerikanischen Recht ist – wie der US Supreme
Court vor kurzem bestätigt hat – für concerted practises eine Willensübereinstimmung (a meeting of
minds) der beteiligten Parteien erforderlich; andernfalls sei von einer wettbewerbsrechtlich unbedenklichen einseitigen Maßnahme auszugehen.81
2. Auch in den Vereinigten Staaten wird zwischen Vereinbarungen und einseitigem Verhalten unterschie­
Edlin, Antitrust Analysys6 (2004) 202 ff; Posner, Antitrust Law2
(2001) 159 ff.
75 Seit EuGH 14.7.1972, Rs 57/69 – ACNA, Rdn 55/58; vgl Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV, Rdn 98.
76 Man könnte zB von einem zweiseitig oder gemeinsam abgestimmtem Verhalten einerseits und einem einseitig abgestimmtem Verhalten andererseits sprechen.
77Dort wird die Wortfolge “contract, combination […] or conspiracy” verwendet, vgl § 1 des Sherman Acts, 15 U.S.C., FN 27; aber
zB Sullivan / Grimes (FN 75) 199 ff (concerted conduct); Hovenkamp (FN 26) 220 ff und Areeda / Kaplow / Edlin (FN 75) 273 ff
(concerted refusal to deal).
78 Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81 Abs 1 EGV,
Rdn 95; Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1
Rdn 85; eingehend Henrichs, Die „conscious parallelism“-Doktrin
des US-Antitrustrechts und der Begriff „aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen“ in Art 85 EWG-Vertrag, WuW 1965, 95 ff.
79 Art 65 § 1 WGKS: „Verboten sind alle Vereinbarungen zwischen
Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen
und alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf
dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen
[…]“.
80 Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81 Abs 1 Rdn 84.
Nach Schröter entspricht der Begriff aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen eher der (verbindlichen, Art 100 EGKS-Vertrag)
französischen Fassung des EGKS-Vertrags (pratiques concertées)
und der englischen Übersetzung (concerted practices), weil diese
nicht auf einer Verabredung, sondern auf einer Abstimmung beruhen würden, Schröter in Schröter / Jakob / Mederer (FN 2) Art 81
Abs 1 Rdn 85.
81Es sei denn, es liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden
Stellung nach Art 102 AEUV vor.
51
den:82 Zwei- oder mehrseitige Absprachen von Unternehmen werden nach § 1 des Sherman Acts83 verfolgt; das Verhalten eines einzelnen Unternehmens
hingegen nur bei marktbeherrschenden Unternehmen nach § 2 des Sherman Acts.84 Der US Supreme
Court und, ihm folgend, die Courts of Appeal85 gehen seit Interstate Circuit (1939)86 davon aus, dass
zwar auch stillschweigend abgeschlossene Vereinbarungen87 für ein Kartell reichen. Seit Theatre Enterprises (1953)88 unterscheiden sie zwischen verbotenen concerted practices und conscious parallelism
(bewusstes Parallelverhalten89); ein bewusstes Paral-
82 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., 467 U.S. 752,
768 (1984): “Concerted activity subject to § 1 is judged more
sternly than unilateral activity under § 2. Certain agreements, such
as horizontal price-fixing and market allocation, are thought so
inherently anticompetitive that each is illegal per se, without inquiry into the harm it has actually caused. See generally Northern
Pacific R. Co. v. United States, 356 U. S. 1, 5 (1958). Other combinations, such as mergers, joint ventures, and various vertical
agreements, hold the promise of increasing a firm’s efficiency and
enabling it to compete more effectively. Accordingly, such combinations are judged under a rule of reason, an inquiry into market
power and market structure designed to assess the combination’s
actual effect. See, e.g., Continental T.V., Inc. v. GTE Sylvania Inc.,
433 U. S. 36 (1977); Chicago Board of Trade v. United States, 246
U. S. 231 (1918). Whatever form the inquiry takes, however, it is
not necessary to prove that concerted activity threatens monopolization.”
83 “Every contract, combination in the form of trust or otherwise, or
conspiracy, in restraint of trade or commerce among the several
States, or with foreign nations, is declared to be illegal.”
84 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., 467 U.S. 752,
767-68 (1984); Monsanto Co. v. Spray-Rite Service Corp., 465 U.
S. 752, 761 (1984); Albrecht v. Herald Co., 390 U.S. 145 (1968).
85 In den Vereinigten Staaten ist Wettbewerbsrecht – ähnlich wie in
der EU – nur Bundessache, wenn ein Verhalten geeignet ist, den
Handel zwischen den Bundesstaaten zu beeinträchtigen (so zumindest meine großzügige Übersetzung von „in restraint of trade or
commerce among the several States“, vgl FN 27). Dann entscheiden in erster Instanz 94 District Courts und in zweiter Instanz 12
Courts of Appeal (die auch Circuit Courts, oder nur Circuits, genannt werden), http://www.uscourts.gov/districtcourts.html. Seit
dem Judiciary Act of 1925, müsssen nicht mehr alle Fälle in letzter
Instanz vom U.S. Supreme Court entschieden werden. Jede Partei
kann den U.S. Supreme Court aber in einer „petition for writ of
certiorari“ um Überprüfung einer Entscheidung der letzten Instanz
eines Bundes- oder Landesgerichts bitten. Der Supreme Court entscheidet in der Sache, wenn vier der neun Justices dafür stimmen
(„rule of four“). Von ca 7.500 Anträgen pro Jahr wird 1 % bis
2 % „certiorari“ (= die Aufforderung an das untergeordnete Gericht, die Akten zur Überprüfung zu übersenden), gewährt, http://
en.wikipedia.org/wiki/Certiorari.
86 Interstate Circuit, Inc. v. United States, 306 U.S. 208 (1939):
Schriftliche Aufforderung eines Filmverleihers an acht Kinobetreiber für Erstaufführungen, beim späteren Weiterverleih der Filme
an zweitrangige Kinos, bestimmte Preise einzuhalten. Für eine Vereinbarung reichte die schriftliche Aufforderung des Verleihers und
das tatsächliche Befolgen durch die Kinobetreiber.
87 “Meeting of minds” oder “mutual assent”, zB Hovenkamp (FN 26)
159.
88 Theatre Enterprises v. Paramount Distributing, 346 U.S. 537, 541
(1953).
89 Für viele zB Emmerich in Immenga / Mestmäcker (FN 4) Art 81
Abs 1 EGV, Rdn 72; für das US-amerikanische Recht zB Sullivan /
Grimes, The Law of Antitrust2 (2006) 199 ff; Areeda / Kaplow /
52
Abhandlungen
lelverhalten reicht auch im amerikanischen Recht in
der Regel noch nicht, um eine (stillschweigende)
Vereinbarung anzunehmen.90 Das hat der US Supreme Court erst vor kurzem wieder in Bell Atlantic
(2007) bestätigt.91
3. Wenn aber zusätzliche Umstände hinzukommen,
dann kann ein bewusstes Parallelverhalten durchaus
eines von mehreren Indizien für eine Vereinbarung
iSd § 1 des Sherman Acts92 sein. Gibt es zB nur drei
Zigarettenhersteller am Markt und erhöhen diese
ihre Preise über Jahre hinweg einheitlich und parallel, obwohl die Kaufkraft der Bevölkerung und die
Herstellungskosten ständig gesunken sind, dann lässt
sich das Parallelverhalten nur durch das Bestehen
einer (allenfalls: stillschweigenden) Vereinbarung erklären.93 Zusätzliche Umstände können zB sein: ein
Markt mit nur sehr wenig Wettbewerbern („oligopolistischer Markt“), die vorherige Bekanntgabe von
Preiserhöhungen, frühere wettbewerbsrechtliche Ver­
fehlungen,94 öffentliche oder private Erklärungen.95
Die Indizien müssten ein unabhängiges Handeln der
90
91
92
93
94
95
Edlin, Antitrust Analysys6 (2004) 202 ff; Posner, Antitrust Law2
(2001) 159 ff.
ZB Williamson Oil Company, Inc. v. Philip Morris USA, 346 F.3d
1287 (11th Cir. 2003): paralleles Verhalten im Oligopol reicht nicht
für eine Vereinbarung; ebenso Reserve Supply Corporation v.
Owens-Corning Fiberglas Corporation, 971 F.2d 37, 50 (7th Cir.
1992); Clamp-All Corporation v. Cast Iron Soil Pipe Institute, 851
F.2d 478, 484 (1st Cir. 1988): idente Preislisten zeigten nur “that
each firm, acting individually, copied the price list of the industry
leader”, keine Vereinbarung; Hall v. United Airlines, Inc., 296 F.
Supp. 2d 652 (E.D.N.C. 2003): parallele Handlungen ohne ausreichenden Beweis einer Vereinbarung.
Zuletzt Bell Atlantic Corp. v Twombly, 550 U. S. ____ (2007): A
statement of parallel conduct, even conduct consciously undertaken, needs some setting suggesting the agreement necessary to
make out a § 1 [des Sherman Acts] claim; without that further
circumstance pointing toward a meeting of the minds, an account
of a defendant’s commercial efforts stays in neutral territory. An
allegation of parallel conduct is thus much like a naked assertion
of conspiracy in a § 1 [des Sherman Acts] complaint: it gets the
complaint close to stating a claim, but without some further factual enhancement it stops short of the line between possibility and
plausibility of “entitle[ment] to relief.” Ferner Cf. DM Research,
Inc. v. College of Am. Pathologists, 170 F.3d 53, 56 (CA1 1999):
“[T]erms like ‘conspiracy,’ or even ‘agreement,’ are border-line:
they might well be sufficient in conjunction with a more specific
allegation – for example, identifying a written agreement or even a
basis for inferring a tacit agreement, […] but a court is not required to accept such terms as a sufficient basis for a complaint”.
§ 1 bestimmt, dass “[e]very contract, combination in the form of
trust or otherwise, or conspiracy, in restraint of trade or commerce
among the several States, or with foreign nations, is declared to be
illegal”, 15 U.S.C. § 1.
American Tobacco Co. v. United States, 328 U.S. 781 (1946).
Hovenkamp (FN 26) 175, unter Verweis auf die ausführliche Darstellung von Kovacic, The Identification and Proof of Horizontal
Agreements under the Antitrust Laws, 38 Antitrust Bulletin 5
(1993).
“The president of ADM [Archer Daniels Midland] stated that ‘our
competitors are our friends. Our customers are the enemy’”, High
Fructose Corn Syrup Antitrust Litigation, 295 F.3d 651 (7th Cir.
2002), cert. denied, 537 U.S. 1188 (2003).
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2010 / 2
Beteiligten unwahrscheinlich erscheinen lassen.96 Je
weniger wahrscheinlich dabei eine Vereinbarung erscheint, desto mehr Beweise sind erforderlich.97 Nicht
ausreichend sind zB gelegentliche soziale Kontakte,98
bloße Treffen der Be­teiligten,99 auch wenn es sich um
Versammlungen einer Berufsvereinigung handelt,100
das Vereinbaren der vom Hersteller empfohlenen
Preise101 oder Preislisten, die mit einem konkurrierenden Händler übereinstimmen.102
4. Zusätzliche Umstände verlieren dann an Bedeutung,
wenn schon die behauptete wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung „wirtschaftlich keinen Sinn“
macht: In Matsushita warf ein amerikanischer Hersteller von Elektrogeräten 20 japanischen Konkurrenten vor, gemeinsam ihre Waren 20 Jahre lang unter den Herstellungskosten zu verkaufen, um die
amerikanischen Hersteller vom Markt zu verdrängen (predatory pricing). Es mache „einfach keinen
wirtschaftlichen Sinn“,103 20 Jahre mit Verlusten zu
96 To survive a motion for summary judgment or for a directed verdict, a plaintiff seeking damages for a violation of § 1 must present
evidence “that tends to exclude the possibility” that the alleged
conspirators acted independently, Matsushita v. Zenith Ratio
Corp., 475 U.S. 574 (1986); ein Verhalten, das sich sowohl als
wettbewerbswidrig als auch als wettbewerbskonform begründen
lässt, reicht dazu noch nicht, Monsanto Co. v. Spray-Rite Svc.
Corp., 465 U.S. 752, 764 (1984); ebenso First Nat’l Bank v. Cities
Service Co., 391 U.S. 253, 280 (1968). “To establish the existence
of concerted action, appellants had to submit evidence from which
a jury could reasonably infer that Texaco and others had a conscious commitment to a common scheme designed to achieve an
unlawful objective”, Edward J. Sweeney & Sons v. Texaco, 637
F.2d 105, 111 (3th Cir. 1980); Klein v. American Luggage Works,
Inc., 323 F.2d 787, 791 (3rd Cir. 1963); United States v. Standard
Oil Co., 316 F.2d 884, 890 (7th Cir. 1963). ebenso H. L. Moore
Drug Exchange v. Eli Lilly & Co., 662 F.2d 935, 941 (CA2 1981),
cert. denied, 459 U.S. 880 (1982); cf. American Tobacco Co. v.
United States, 328 U. S. 781, 810 (1946); “Circumstances must
reveal ‘a unity of purpose’ or a common design and understanding, or a meeting of minds in an unlawful arrangement”, Monsanto Co. v. Spray-Rite Svc. Corp., 465 U.S. 752, 764 (1984).
97 “More evidence is required the less plausible the charge of collusive conduct”, High Fructose Corn Syrup Antitrust Litigation, 295
F.3d 651 (7th Cir. 2002), cert. denied, 537 U.S. 1188 (2003);
98Hier: von Familien von Landeigentümern, Souza v. Estate of Bishop, 821 F.2d 1332 (9th Cir. 1987). Anders ist die Situation natürlich, wenn bei einem Treffen die gemeinsamen Maßnahmen zur
Verdrängung eines Konkurrenten vom Markt erörtert werden, vgl
auch ES Development v. RWM Enterprises, Inc., 939 F.2d 547 (8th
Cir. 1991), cert. denied, 502 U.S. 1097 (1992); Alvord-Polk, Inc.
v. F. Schumacher & Co, 37 F.3d 996 (3th Cir. 1994). cert. denied,
514 U.S. 1063 (1995).
99Blomkest Fertilizer v. Potash Corporation of Saskatchewan, Inc,
176 F.3d 1055 (8th Cir. 1999, en banc), cert. denied, 531 U.S. 815
(2000), kritisch Hovenkamp (FN 26) 174 FN 5 (“much more than
meetings was going on”).
100Weit v. Continental Illinois National Bank, 641 F.2d 457 (7th Cir.
1981), cert. denied, 455 U.S. 988 (1982); Seagood Trading Corporation v. Jerrico, Inc, 924 F.2d 1555 (11th Cir. 1991).
101Monsanto Co. v. Spray-Rite Svc. Corp., 465 U.S. 752 (1984), FN 9.
102Clamp-All Corporation v. Cast Iron Soil Pipe Institute, 851 F.2d
478, 484 (1st Cir. 1988).
103“[…] simply makes no economic sense […]”, Matsushita v. Zenith
Ratio Corp., at 475 U.S. 574, 587 (1986).
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2010 / 2
Abhandlungen
arbeiten, wenn ein Erfolg – wie bei jedem predatory
pricing – unsicher sei.104 Dagegen bestehen keine Bedenken gegen ein übereinstimmendes Verhalten, das
auf wirtschaftlich sinnvollen – unabhängig vom Verhalten des Konkurrenten getroffenen – Entscheidungen beruht: Klassischer Fall ist Theatre Enterprises,105
wo mehrere Filmverleiher sich „einheitlich weigerten“, Premierenfilme an (kleine) Vorstadtkinos zu
verleihen, weil die (größeren) Innenstadtkinos besser
besucht und damit profitabler waren.
5.Diskutiert wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem, ob das Konzept des Sherman Acts – das Verbot
wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und
wettbewerbswidriger einseitiger Handlungen marktbeherrschender Unternehmen – reicht, um einen unverfälschten Wettbewerb zu sichern: Es gebe Situa­
104“There must be evidence that tends to exclude the possibility that
the manufacturer and nonterminated distributors were acting independently”, Monsanto Co. v. Spray-Rite Svc. Corp., at 465 U. S.
764 (1984).
105Theatre Enterprises v. Paramount Distributing, 346 U.S. 537, 540 f
(1953).
106Hovenkamp (FN 26) 162 ff.
107Hovenkamp (FN 26) 159.
tionen, in denen es auch ohne eine Vereinbarung zu
einer Beschränkung des Wettbewerbs kommen könne. Klassischer Fall sei das nicht-kooperative Oligopol, in dem die Marktteilnehmer selbständig und
ausschließlich im Eigeninteresse handeln und dennoch einen über dem Wettbewerbspreis liegenden
Preis erzielen können.106 Während Turner in seiner
einflussreichen Arbeit107 aus dem Jahr 1962 eine Unternehmensentflechtung (auch ohne wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung) zur Lösung der Oligopolfrage befürwortet,108 vertritt Posner eine entsprechend weite Auslegung des Vereinbarungsbegriffs109
(Turner-Posner-Debate110). Trotz dieser Argumente
hält der US Supreme Court nach wie vor am Konzept der (herkömmlichen) Vereinbarung fest.111
108Turner, The Definition of Agreement under the Sherman Act: Con­
scious Parallelism and Refusal to Deal, 75 Harv.L.Rev. 655 (1962).
109Posner (FN 75) 55 ff; Markovits, A Response to Professor Posner,
28 Stan.L.Rev. 919 (1976); Posner, Oligopolistic Pricing Suits, the
Sherman Act and Economic Welfare, 28 Stan.L.Rev. 903 (1976);
Posner, Oligopoly and the Antitrust Laws: a Suggested Approach,
21 Stan.L.Rev. 1562 (1969).
110Zusammenfassung bei Hovenkamp (FN 26) 167 f.
111Vgl FN 90.
Ergebnis
1. Art 101 AEUV verbietet drei Formen von
Absprachen, die geeignet sein können, den
Wettbewerb zu beschränken: Vereinbarun­
gen zwischen Unternehmen, Beschlüsse
von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. In
allen drei Fällen sind übereinstimmende
Willenserklärungen der Beteiligten, also
eine Vereinbarung, erforderlich und ausreichend. Diese Vereinbarung unterscheidet
sich von der privatrechtlichen „Vereinbarung“, dem (zwei- oder mehrseitigen)
Rechtsgeschäft, dadurch, dass sich die Par­
teien typischerweise nicht rechtlich wirksam verpflichten können/wollen.
2. Auch wenn ich in diesem Artikel für die
drei Tatbestände des Art 101 AEUV zur
besseren Übersicht den gemeinsamen Begriff „Absprache“ verwendet habe, besteht
meines Erachtens kein Grund, an diesem
Begriff festzuhalten: Art 101 AEUV verbietet wie § 1 des Sherman Acts „übereinstimmende Willenserklärungen“ zur Beschränkung des Wettbewerbs. Übereinstimmende
Willenserklärungen sind eine Vereinbarung
53
und bei diesem Begriff sollte man bleiben.
Es ist nicht sinnvoll, die Rechtslage durch
den (neuen) Begriff Absprache komplizierter erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich
ist.
3.Das europäische und das US-amerikanische
Wettbewerbsrecht sanktionieren wett­be­
werbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen und einseitig wettbewerbsbeschränkende Handlungen markt­
mächtiger Unternehmen. In der amerikanischen Literatur wird seit langem bezweifelt,
ob dieses System reicht, um in allen Fällen
ausreichenden Wettbewerb zu schaffen:
Vor allem in Märkten mit nur sehr wenig
Marktteilnehmern („Oligopol“) könne es
auch ohne Vereinbarung zu Beschränkungen des Wettbewerbs kommen. Als Lösung
wurden für diese Fälle gesetzliche Entflechtungsmaßnahmen (Turner) oder eine großzügigere Auslegung des Vereinbarungs­
begriffs (Posner) vorgeschlagen. Der US
Supreme Court lässt in Bell Atlantic (2007)
keinen Zweifel daran, dass er weiter am
System der Vereinbarung festhält.