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Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung / This catalogue is published on the occasion of the exhibition Looping Memories – Arbeiten aus einer Schweizer Videokunstsammlung / Works from a Swiss Video Art Collection Progr_Zentrum für Kulturproduktion, Bern; 24.11.–19.12.09 Art Karlsruhe 2010, Deutschland, 4.–7.3.2010 Katalog & Ausstellung / catalogue & exhibition Bernhard Bischoff Looping Memories – Arbeiten aus einer Schweizer Videokunstsammlung Bernhard Bischoff Kunst raubt den Schlaf Meistens habe ich einen guten Schlaf; ich lege mich ins Bett, Licht aus, Augen zu – und weg bin ich. Manchmal ist alles anders: Dann liege ich im Bett und wälze Gedanken. Pläne entstehen aus dem Nichts, Ideen nehmen Form an, Wünsche formulieren sich aus wolkigen Phantasien. Oft sind es auch kürzlich vorgefallene Situationen, die sich, wie ein Film, vor dem inneren Auge abspulen, immer und immer wieder, bis der Film endlich reisst und das «In-sich-hinein-und-immerwieder-neu-Denken» endlich vom Schlaf übermannt wird. Dieses Gedankenwälzen nennt man im Englischen «Looping Memories», was so viel wie immer wiederkehrende, kreisende Erinnerungen bedeutet. Sind es bei mir meist anstehende Aufgaben, an deren Lösung ich arbeite, eine nächstens zu treffende Entscheidung oder persönliche Erlebnisse, die so vor dem Schlaf verarbeitet werden, kann das Ganze ins Pathologische kippen, etwa bei Menschen mit Nahtoderfahrung, Überlebende von Katastrophen oder furchtbaren Erlebnissen, wie Entführungen, Vergewaltigungen oder Kriegssituationen. Letztere «Looping Memories» sind sehr belastend und bedürfen professionell-psychologischer Hilfe. Ich möchte nicht einen Essay über diese schwere Form von «Looping Memories» schreiben, sondern einen speziellen Sonderfall herauspicken, dem ich auch immer wieder selbst erliege: die Entscheidung, ob man ein Kunstwerk erwerben soll oder nicht. Was für «NichtKunstsammelnde» völlig kurios klingen mag, nimmt für KunstsammlerInnen oft existenzielle Dimensionen an, nämlich die Liebe auf den ersten Blick zu einem Werk und der Prozess des Erwerbs. Nun, es gibt SammlerInnen, die zücken nach Erblicken eines Werkes gleich das Scheckbuch – und verleiben das gekaufte Werk ihrer Sammlung ein. Die Mehrheit der SammlerInnen jedoch sieht ein Werk und wägt dann lange ab, ob dieses überhaupt in die eigene Sammlung passt. Dazu wird ein innerer Dialog geführt mit anderen Werken; es ist beinahe so, als ob die Sammlung kundtut, ob das neu ins Auge gefasste Objekt der Begierde den bisherigen Bestand positiv beeinflusst und bereichert – oder eben nicht. Dann kommt die finanzielle Komponente hinzu: Kann man sich das Werk überhaupt leisten? Dann die räumliche: Hat es genügend Platz in der Sammlung, oder muss man sich von einem anderen Werk trennen? Dann die emotionale: Wird man sich wohl fühlen mit dem neuen Ding – oder wird der erste «Coup-decœur» rasch abflauen? Und zuletzt die alles entscheidende Frage: Wird man das Werk bald schon langweilig finden – und 5 damit gar an der eigenen Sammlungskompetenz zweifeln? Dieser Prozess des Erwägens verläuft bei allen Sammelnden anders, ist aber für alle nicht nur psychisch eine Belastung, sondern auch physisch. Ich erlebe sowohl bei KundInnen, als auch bei mir immer die gleichen Muster: Innere Unruhe, leichtes Zittern der Stimme und der Hände, ein schnellerer Augenaufschlag, bei manchen zucken gar die Augenwinkel, und oft kriegt man leicht verschwitzte Hände. Muss man sich nicht sofort entscheiden, sondern hat nach dem Besuch einer Ausstellung, eines Ateliers oder nach Erhalt eines Auktionskatalogs Zeit zum Überdenken, so dauern diese Erwägungen längere Zeit an. Ja, und man nimmt sie auch mit ins Bett – und überlegt dann unter der Daunendecke weiter, geht immer wieder die oben genannten Fragen durch – und schon ist man mitten drin in den «Looping Memories». Alles dreht sich ums Werk, das Dafür und das Dawider, hin und her – und Heilung gibt’s erst dann, wenn man sich definitiv für oder gegen einen Kauf entschieden hat. Die Menschen, die die Arbeiten, die in diesem Katalog vorgestellt werden, erworben haben, haben sicherlich unzählige derartiger «Looping Memories» durchgemacht. Doch das langjährige Leiden war nicht umsonst: Die Ausstellung ist der Lohn für all die durchwachten Stunden. Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle Ich kenne Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer nun schon etliche 6 Jahre und habe dabei auch das Anwachsen ihrer Sammlung miterlebt. Familiär vorbelastet1, hat sich das Ehepaar Ketterer-Ertle früh für Kunst interessiert und in den 1980er-Jahren mit dem gemeinsamen Sammeln begonnen. Natürlich war es zuerst das Interesse an den deutschen Expressionisten, dann kamen, als logische Konsequenz, die als postexpressionistisch zu bezeichnenden Strömungen der 1980er-Jahre dazu, deren Werke Eingang in die Sammlung fanden2. Neben dieser klar erkennbaren Linie, waren es aber immer wieder KünstlerInnenfreundschaften, die die Sammlung stetig wachsen liessen. Dabei legten sie vor allem Wert darauf, die Kunstschaffenden, mit wenigen Ausnahmen vorwiegend aus dem Espace Mittelland stammend3, persönlich kennen zu lernen. Der direkte Austausch war stets Grundlage für die Sammlungstätigkeit. Haben KünstlerInnen einmal Eingang in die Sammlung gefunden, so blieb das Sammlerpaar diesen meistens über Jahre hinweg treu und kaufte regelmässig neue Werke an. So gibt es etliche Kunstschaffende, die mit mehreren Werken aus verschiedenen Schaffensphasen in der Sammlung vertreten sind. Sukzessive haben sie so über die Jahre hinweg eine umfangreiche Sammlung zusammengetragen, deren Zusammensetzung mit Fug und Recht wohl als einzigartig bezeichnet werden kann4. Es waren nie die klingenden Namen, die den Ausschlag für einen Ankauf gaben. Viele Karrieren haben denn auch mit einem Verkauf an die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle begonnen. Waren es zu Beginn ausschliesslich zweidimen- sionale Arbeiten, kamen im Laufe der Zeit auch Skulpturen, Objekte, KünstlerInnenbücher und seit 1996 Videokunst dazu5. Seither kaufen Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer immer noch breit gefächert Kunst, haben aber einen besonderen Sammlungsschwerpunkt auf die Videokunst gelegt. Im Laufe der Zeit haben sie ihre Sammlung ausgebaut und auch begonnen, interaktive Medienprojekte zu sammeln, zum Teil auch grosse Installationen. Im Gegensatz zu vielen GrosssammlerInnen «leben» sie mit ihrer Kunst. In eigens umgebauten Lofts präsentieren sie dauernd eine Auswahl ihrer Arbeiten, durchaus auch mal neben gewaschener Wäsche oder einer reich gedeckten Tafel. Es ist die sich mit Kunst dauernd ändernde Atmosphäre, die tagtäglich herausfordert und bewegt, die sie interessiert. Ihr Lebensraum gleicht eher einem SammlerInnenatelier, als einer Wohnung. Kunst ist omnipräsent und prägt auch das Leben neben dem Beruf. Beide sind mannigfaltig involviert in kulturelle Projekte, genannt seien etwa die Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Bern, das Engagement für die Kunsthalle Bern – oder und vor allem die Initiative Videokunst.ch6. Der Aufenthalt in den Privaträumen des Sammlerpaars ist sehr bereichernd, mischen sich doch Spitzenwerke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitunter mit unbekannten Produktionen aus der Gegenwart. Wie selbstverständlich stehen sich dann etwa Videoprojektionen mit Gemälden Ernst Ludwig Kirchners gegenüber. Die Technik hat vieles in Zusammenhang mit dem Sammeln von Videokunst erleichtert. Die Arbeiten können zentral auf einem Rechner gespeichert und per Mausklick aufgerufen werden. Videokunst kann also rasch und unkompliziert digital «umgehängt» werden. Ein klassisches Bild, das nicht der aktuellen Laune entspricht, hängt man nicht einfach so schnell mal um. Eine neue DVD hingegen schiebt man einfach rasch ins Lesegerät – und schon passt die Kunst zum Gemütszustand. Leben mit Kunst hat etwas sehr Beruhigendes; sie ist da, bereichert den Raum, ja erweitert den Raum, auch, wenn dieser von oben bis unten förmlich zugepflastert erscheint. Carola Ertle Ketterers und Günther Ketterers Räume sind zugepflastert, am Boden stehen zudem Werke herum, die sich erst bewähren müssen; und im Lager ruhen Schätze, die in regelmässigen Abständen wieder ans Licht geholt werden. Auf den ersten Blick franst die Sammlung in verschiedene Richtungen7 aus; doch gerade dieses Ausfransen hat das Sammlerpaar zur Maxime seines Sammelns erklärt. Videokunst? Videokünste! Eine Definition von Videokunst fällt schwer, ist das bewegte Bild doch meistens einfach das technische Medium, um eine Idee zu transportieren. Es wäre wohl angebrachter, von Videokünsten zu sprechen, die sich in zahlreiche, auch ganz unterschiedliche Gebiete auffächern, wie etwa narrative, dokumentarische, experimentelle, konzeptuelle, performative oder computeranimierte Arbeiten; aber ebenso Videoskulpturen, passive oder interaktive Installationen und gar Internetprojekte umfassen. Durch die 7 Vielfalt der Medien ist man meist dazu übergegangen, von Medienkunst zu sprechen, um damit alle Felder abzudecken. Als langjähriger «Videokunstaktivist»8 habe ich selber eine eher enge Definition von Videokunst; und die deckt sich recht genau mit der von Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer. «Videokunst» hat zahlreiche Nachbarn: etwa Film, Dokumentarfilm, Kurzfilm, Musikclip, Animationen, Computerspiele oder das Fernsehen. Allen ist gemein, dass es sich um bewegte Bilder handelt. Imitiert nun aber Videokunst eines der oben genannten Medien9, so wird sie es immer schwierig haben, liegen doch die unterschiedlichen Produktionsbudgets meist meilenweit auseinander. Darum scheitern Videoarbeiten in fast allen Fällen von vorneherein, wenn sie sich zu nahe an Film & Co anlehnen. Ein, wenn auch mit Liebe und in stundenlanger Arbeit, hergestelltes Animationsvideo kann nie konkurrenzieren mit Disney oder Pixar – und professionelle Dokumentarfilme kosten Millionenbeträge, sind professionell mit einem grossen Team und fundiert gemacht; da hilft auch der verwackelte Charme einer KünstlerInnenvideokamera nichts. Zudem hat mittlerweile jedes Handy eine Filmfunktion; ein bisschen Nightshot, die Farben verändert – und schon ist man selber VideokünstlerIn. War die Postproduktion bis in die 1990er-Jahre hinein nur ein paar eingeweihten KünstlerInnen geläufig, gibt es nun auf jedem Rechner vorinstallierte Videoprogramme, die erst noch kinderleicht zu bedienen sind. Nun, ich glaube trotzdem an die Videokunst, denn ihr grosser Trumpf ist es, dass man (fast) ohne Budget, aber mit einer 8 tollen Idee, spannende Arbeiten am Puls der Zeit machen kann. Nur wünsche ich mir, dass sich die Videokunst quasi «zurückemanzipiert» zu einer einfachen, aber bestechenden Sprache. Nun, um es vorwegzunehmen, Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer sammeln viel – aber eben nicht alles. Sie interessieren sich stark für politisch motivierte Arbeiten; es findet sich aber zum Beispiel keine einzige dokumentarische Arbeit in ihrer Sammlung; nicht, weil die soziopolitische Relevanz solcher Arbeiten das sozial sehr engagierte Ehepaar nicht interessieren würde – aber sie finden, dass das Genre «Dokumentarfilm» die Themen viel besser abdeckt. Auch suchen sie eher Clip-artige Arbeiten, die in etwa fünf Minuten dauern. Längere Arbeiten fielen oft auseinander, so die SammlerInnen. Und zudem möchten sie selber entscheiden können, wann sie eine Blackbox verlassen – ohne sich dem Diktat zu beugen, eine Stunde oder länger eine Arbeit anschauen zu müssen. Der Kulturphilosoph Dr. Gerhard Johann Lischka, der die Entwicklung der Medienkunst von Anfang an mitverfolgt und -geprägt hat sowie Herausgeber zahlreicher Texte und Kompilationen zu Medienkunst ist, hat mir im Gespräch einmal gesagt, man sehe bereits nach ein paar Sekunden, ob eine Arbeit spannend sei oder nicht. Als Gründer des Berner Videofestivals kann ich dem nur beipflichten: Ich habe damals weit über tausend Arbeiten visioniert und das Gleiche festgestellt: nur selten musste eine Arbeit ganz gesehen werden, um an der subjektiven, ersten Wahrnehmung und Einstellung etwas zu ändern. Eine Arbeit interessierte von Beginn weg; oder gar nicht. Objektiv gesehen, und durch diese Brille muss man in einer Jury natürlich schauen, musste man zwingend alle Arbeiten bis zum Schluss gesehen haben; subjektiv hat sich aber selten etwas am ersten Eindruck geändert. Ich habe mir das immer mit dem Blick auf Tafelbilder zu erklären versucht. Wie oft bin ich schon durch Museen und Ausstellungen spaziert, habe mal links, mal rechts geschaut, ja, die Werke eigentlich mehr gescannt, als geschaut – und doch blieben meine Augen immer wieder an jenen Werken hängen, die mich auf Grund des schnellen, visuellen Abtastens angesprochen haben. Natürlich ändert sich der Blick mit den Jahren; und was vor Jahrzehnten relevant erschien, ist heute nicht mehr der Rede wert. Ich meine aber, dass das geschulte Auge Vorlieben sehr rasch entdeckt, ja, sogar den Blick aktiv auf das uns Interessierende lenkt. Es gibt SammlerInnen, die beschäftigen mehrere BeraterInnen aus verschiedenen Fachgebieten, so dass diese ihnen, unabhängig vom eigenen Geschmack, die Rosinen aus dem Kunstmarkt herauspicken und vermeintlich “komplette“ Sammlungen zusammenstellen. Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer gehen anders vor: Sie lassen ihre Sammlung zwar professionell betreuen, wählen aber immer persönlich und gemeinsam aus. Mal sieht Carola Ertle Ketterer was und schickt zur Bestätigung Günther Ketterer hin, mal umgekehrt. Es kam auch schon vor, dass sich die beiden das Gleiche zu Weihnachten schenken wollten. Die Schulung ihres Geschmacks liess ihre Interessen herauskristallisieren; und die liegen bis jetzt nun einmal nicht bei rein narrativen, und noch weniger bei Arbeiten mit dokumentarischem Charakter. Und darum fehlen solche Arbeiten auch fast vollständig in der Sammlung und dementsprechend in der Ausstellung. Zur Ausstellung Die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle umfasst bis heute gegen 70 Videoarbeiten – von unlimitierten Editionen bis grossen, aufwendigen Videoinstallationen. Für die Ausstellung «Looping Memories» habe ich eine ganz persönliche Auswahl getroffen, die aber sehr gut den aktuellen Sammlungsbestand wiedergibt. Es ist genau dieser Mix von Arbeiten, der die Sammlung auszeichnet: Offen sein für Neues, keine Berührungsängste haben, sammeln nicht nach Namen. Ich habe ausschliesslich Arbeiten zusammengestellt, die sich mit Erinnerungen und dem Ablauf von Zeit befassen. Darstellungen von Traum und Wirklichkeit, bzw. das Wandeln dazwischen, waren inhaltliche Leitplanken, die meine Auswahl beeinflussten. Manche Arbeiten sind ernst, andere melancholisch oder ironisch und manchmal sogar humorvoll. Alle Arbeiten sind als «Loops» konzipiert, also als Werke, die in Endlosschlaufen gezeigt werden. Diese dauernden Wiederholungen, die Repetition des immer Gleichen führt auch wieder zurück zum Titel der Ausstellung. Entstanden ist eine Mischung von ungefähr 30 Arbeiten von 19 KünstlerInnen, verteilt über die ganze Ausstellungszone im PROGR_Zentrum für Kulturproduktion. Manche Arbeiten 9 stehen solitär im Raum, manche werden zu Gruppen zusammengefasst. Die ungewöhnliche, dichte Präsentation drängte sich wegen der knappen Platzverhältnisse förmlich auf. Man darf eintauchen, durch die Ausstellung mäandrieren, genau hin- und auch bewusst wegschauen. Die einzelnen Werke weben einen Teppich des Erinnerns und laden ein zum neugierigen Erkunden von gut 10 Jahren Videokunst. Eigene Erinnerungen werden zwangsläufig mit den gebotenen visuellen Bildern verschmelzen. Fragen werden auftauchen, und die Suche nach Antworten wird beginnen – und schon sind sie wieder da, die «Looping Memories». 1) Günther Ketterers Vater war der Auktionator Roman Norbert Ketterer (1911– 2002); seine Schwester Ingeborg leitet mit ihrem Gatten, Dr. Wolfgang Henze, die in Wichtrach / Bern ansässige Galerie Henze & Ketterer, an der Günther Ketterer beteiligt ist. 2) Junge Wilde, etwa Helmut Middendorf, Rainer Fetting, Salomé oder Elvira Bach. 3) Die geografische Verortung ist nicht zwingend; doch meistens der Fall. Ab und zu werden Werke auch auf Messen oder bei Galeriebesuchen gekauft, und der Kontakt zu den KünstlerInnen erst im Nachhinein hergestellt. 4) Ausstellung «SOME FROM BERN, SOME FROM ELSEWHERE Die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle» im Museum Liner, Appenzell, 28.1. – 29.4.2007. 5) Nach einem Besuch der Ausstellung «Der dritte Ort. Le troisième lieu», im Centre PasquArt, Biel, 17.2.–7.4.1996, zusammen mit dem Künstler Franticek Klossner ist der Funke übergesprungen. Auch ein Vortrag von Prof. Boris Groys am 25.5.2000 an der Universität Bern mit dem Titel «Das bewegte Bild und der bewegte Betrachter» hat das Interesse an Videokunst nachhaltig geprägt. 7) Gegründet 2005 zusammen mit den Galerien Henze & Ketterer und Bernhard Bischoff & Partner. www.videokunst.ch versteht sich als Plattform für die Vernetzung von Videokunstschaffenden, KunstvermittlerInnen und dem Publikum. 8) Zum Teil erkennt man grobe Linien; dann wiederum taucht auch ein singuläres Werk auf, das erst an die Sammlung angedockt werden muss. Gründer des Videofestivals “V.I.D.“ in Bern, “white clube & back box“ in der tonimolkerei Zürich, zahlreiche Vorträge und Artikel zu Schweizer Videokunst, verschiedene Ausstellungen zu und mit Videokunst. 9) Und zwar nicht ironisch, wie ein Christian Jankowski oder Yan Duyvendak. 10 11 Looping Memories – Works from a Swiss Video Art Collection Bernhard Bischoff Art robs me of my sleep Usually I sleep very well; I get into bed, turn out the light, close my eyes and off I go. But sometimes things are different: I then lie in bed, awake, and churn thoughts around in my mind. Plans evolve from nothing, ideas take shape, wishes emerge from nebulous fantasies. Often my thoughts turn to situations that occurred only a few days ago, making them flicker past my mind’s eye like a film loop, again and again, until the screen finally blacks out and their constant over and over repetition is at long last overcome by deep slumber. We call this endless turning over of thoughts and situations “looping memories”. While in my own particular case they are usually unresolved tasks and problems, decisions that still have to be taken or just personal experiences that call for a bit of thought before falling asleep, with some individuals the whole thing can take a pathological turn – with those of us, for example, who have had what are called “near-death experiences”, or are survivors of catastrophes or such terrifying experiences as kidnapping, rape or war. “Looping memories” in such cases cause extreme emotional strain and call for professional psychiatric help. However, it is not my intention to write an essay on such serious cases but to pick out a special case of “looping memory” to 12 which I myself fall victim again and again: it is always the nagging decision as to whether or not I should buy a particular work of art. What might seem curiously insignificant to non-collectors of art often assumes existential proportions for the art collector, namely his falling in love with a work of art at first sight and the subsequent process of acquiring it. Now there are collectors who pull their cheque books out of their pockets immediately as they set their eyes on a work – and then simply add it willy-nilly to the other works of their collection. The majority of collectors, however, spend a long time thinking about whether a work they have seen will in fact fit in with their collection. Indeed, they conduct an inner dialogue, as it were, with the other works; it is almost as though the collection itself decides whether this most recent object of desire will positively influence and enrich its existing works – or not. Then there is the question of money: can I even afford it? And then the question of space: is there still enough room in the collection or shall I have to part with some other work? And then the emotional question: shall I continue to be happy with the new addition – or will the initial “coup-de-cœur” soon wane? And, finally, the all-decisive question: shall I soon get bored with the work and, by the same token, cast doubt on my own competence as a collector? While this process of reflection differs from one collector to the next, it is always a strain, both mentally and physically. The behavioural pattern is always the same, not only with my own self but also, I notice, with my customers: inward agitation, a slight quivering of the voice and the hands, a repeated upward cast of the eyes and, in some cases, even a twitching of the corners of the eyelids, not infrequently accompanied by a sweating of the hands. If we do not have to decide immediately but have time to think things over after visiting an exhibition or studio or receiving an auction catalogue, this process of reflection is an ongoing one. Indeed, we take it to bed with us – and continue to brood under the bedclothes, pondering over the aforementioned questions and, before we know it, landing smack bang in the middle of our “looping memories”. And the loop goes round and round, to-ing and fro-ing us through the pros and cons, not letting up until we finally decide one way or another. The works presented in this catalogue are sure to have triggered such “looping memories” in their buyersto-be. But the mental and physical torment was not in vain: this exhibition is the reward for all their many sleepless nights. The Carola and Günther KettererErtle Collection I have known Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer for a great many years and have also witnessed, and been involved in, the gradual growth of their collection. Not least by reason of their family history1, Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer took an early interest in art and together began collecting in the 1980s. As was only to be expected, their main interest was initially in the German Expressionists, but then, quite logically, it was the Neo-Expressionist works of the 1980s that soon found their way into the collection2. But besides this clearly recognizable trend, Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer also augmented their collection with the works of artists whom they had come to know personally – they attached great importance to this – and who came, with only a few exceptions, from the Mittelland region of Switzerland3. This direct exchange between artists and collectors has always been a prerequisite for inclusion in the collection. And once an artist’s works found their way into the collection, the collectors would remain loyal to him or her for many years to come and purchase their works at regular intervals. Thus it is that many artists are represented in the collection by works from various phases of their careers. Over the years the collection has grown vastly and, in terms of its constituent works, may surely be considered unique4. It was never the name that clinched the purchase, and so many an artist’s career could begin with a sale of his or her work to the Carola and Günther Ketterer-Ertle Collection. While in the beginning they collected only twodimensional works, other genres were added in the course of time: sculptures, objects, artists’ books and, since 1996, video art5. Since then, Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer have still been collecting art on a broad scale, but the actual focal point of the collection is now video art. Over recent years, this genre has grown enormously and now includes interactive media projects and even large 13 installations. Unlike many large-scale collectors, Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer “live” with their art, permanently presenting a selection of works in specially converted lofts, often amidst freshly washed laundry or around an elegantly laid table. An atmosphere that continually changes through art, an atmosphere that challenges and motivates day in, day out – that’s what keeps their interest alive. Their living environment is more like a collector’s studio than a home. Art is omnipresent and makes its mark both on their professional and on their private lives. Both of them are involved in a great many cultural projects – take, for example, their collaboration with Berne University of the Arts, their dedicated work for the Kunsthalle in Berne or, and above all, their initiative as co-founders of Videokunst.ch6. Anyone lucky enough to spend some in the private rooms of their residence is richly rewarded, for it is there that classic works of the first half of the 20th century mingle with unknown works of the present. Seemingly as a matter of course, for example, video projections stand opposite paintings of Ernst Ludwig Kirchner. Technology has done much to facilitate the collecting of video art. The works can be stored on a central computer and retrieved at the click of a mouse. This digital facility permits a “rehanging” of works of video art in a jiffy. Any classic painting that is out of keeping with your present mood cannot be rehung so readily. A new DVD, on the other hand, can simply be inserted into the DVD reader and you’ve already matched your mood! There is something very calming about living with art; it is there, it enriches the 14 room, indeed it expands it, even though its walls may be quite literally papered over with art from top to bottom. Carola Ertle Ketterer’s and Günther Ketterer’s rooms are no exception, and even the floors are dotted with works that have yet to prove themselves; and lying at rest in the darkness of the storeroom are treasures that are brought back into the daylight at regular intervals. At first glance, the collection seems to straggle in different directions7, but it is precisely this straggling that is the very essence of the concept behind the collection. Video art? Video arts! Video art is difficult to define, for in most cases the moving image is nothing more than the technical means by which the idea behind the work is conveyed. It would be more apt to speak of video arts, for there are so many different categories, e.g. narrative, documentary, experimental, conceptual, performative, computer-animated etc., and not forgetting video sculptures, passive or interactive installations or even internet projects. This multitude of categories has led to the use of the all-embracing term “media art”. I myself, as a “video art activist” of many years’ standing8, have adopted a much narrower definition of video art, and one that exactly matches Carola Ertle Ketterer’s and Günther Ketterer’s own definition. “Video art” has a great many “neighbours”, such as feature films, short films, documentary films, music clips, animated films, computer games and television. Common to all of them is the moving image, but if a video artist attempts to imitate any one of the above-mentioned media9, he or she will always be up against insurmountable difficulties, not least on account of the vast difference in production budgets. This is why video artworks are almost always doomed from the very outset whenever they venture into any of these neighbouring domains. No matter how much time, effort and loving attention to detail go into its production, an animated video film can never compete with Disney or Pixar – and professional documentaries cost millions and are made by teams of experts that really know their stuff. Not even the human warmth and appeal of an artist’s shaky videocam can offset that. Moreover, almost every mobile phone now has a video function – just a few night shots with alienated colours and you’re already a video artist! And while postproduction techniques were the reserve of only a few initiated video artists well into the 1990s, every computer is today equipped with video software that couldn’t be easier to use. Nonetheless, I still put all my faith in video art, for its one great trump card is the fact that, with a fantastic idea and (almost) no money, one can produce exciting works at the cutting edge of the time. My only wish is that video art could perhaps “emancipate itself back”, as it were, to a language of form and content that is able to captivate the viewer through its very simplicity. Now – and this is where I am coming to the point – Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer collect a lot of video art, but not everything. While they are deeply interested in politically motivated videos, there is not one single documentary video in their collection – not that they would not be interested in the sociopolitical relevance of such videos, for they are themselves socially committed to a high degree, but they hold the opinion that such issues are better covered by the genre of the “documentary film”. They also prefer to collect clip-like works that have a duration of five minutes or so, as relatively long works often tend, they say, to fall apart. And besides, they themselves wish to be able to leave the “black box” whenever they like, without being obliged to continue watching a work that might still last a good hour or more. The cultural philosopher Dr. Gerhard Johann Lischka, who has been following, and been involved in, the development of media art since its inception, and who also has numerous publications on media art to his credit, once said to me in conversation that one can tell after only a few seconds whether a work of video art is exciting or not. As the founder of the Berne Video Festival I could not agree more. After viewing thousands of videos, I came to the same conclusion: only seldom was it necessary to change one’s initial subjective impression after viewing a video all the way through. Either a work was interesting from the very beginning or not at all. Objectively, of course, it is imperative – and not least for the jury – to view all works from beginning to end; subjectively, however, one’s initial impression hardly ever changes. I have always tried to explain this by drawing an analogy with paintings. How often I must have walked through museums and exhibitions, simply glancing to the right and to the left, just skimming over the paintings rather than looking at them, and yet my eyes would then come to rest 15 again and again on those works that had appealed to me at my first fleeting glance. Naturally, this glance changes its preferences as years go by, and what seemed relevant decades ago is no longer worthy of mention today. But be that as it may, it is the trained eye that can quickly pick out what is preferred; indeed it is the trained eye that can even actively steer our gaze to what actually interests us. Some collectors avail themselves of the services of consultants from various special fields who, quite independently of one’s own taste, can pick the cherries out of the art market cake and put together what are supposedly “complete” collections. Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer do things differently: although they have their collection managed professionally, they always choose the works personally, and always together. Sometimes Carola Ertle Ketterer will find something and then send her husband to view and confirm, or vice versa. At times they have even wanted to give each other the same thing for Christmas. It is out of this continual exercise in choice that their common taste and interest have emerged, and so far there has been no noticeable leaning towards purely narrative works and still less a leaning towards works of a documentary character. Hence the almost complete absence of such works in the collection and, by the same token, in the exhibition. About the exhibition The Carola and Günther Ketterer-Ertle Collection today comprises approximately 70 video works – from small, unlimited 16 editions to large, complex video installations. For the exhibition “Looping Memories” I have made an altogether personal selection, but one that entirely reflects the collection’s present status. Indeed, it is precisely the mix of works exhibited that distinguishes this collection: open to things new, not afraid of contact, not influenced by names. I have focused my choice exclusively on works that have to do with memory and the passage of time. Representations of dream and reality and the transitional states in-between were the guiding influences behind my choice of content. Many of the works are serious; others are melancholic, ironic and sometimes even humorous. All works take the form of endless loops, their repetition of the same thing over and over again bringing us back to my opening words and to the title of the exhibition. The chosen exhibits comprise a mixture of around 30 works by 19 artists distributed over the entire exhibition zone of the PROGR_Zentrum für Kulturproduktion. Many works are stand-alones, while others are gathered together in groups, the unusually dense form of their presentation being due not least to the prevailing shortage of space. Visitors can quite literally plunge into their midst, meander where they like, look at what they like or even look away if they like. The exhibited works together weave a fabric of memories and invite the more curious among us to explore a good ten years of video history and allow our own memories to merge with the images offered. Questions inevitably crop up and the search for answers begins – and then there they are, yet again, those “looping memories”. 1 ) Günther Ketterer’s father was the auctioneer University of Berne entitled “Das bewegte Bild und Roman Norbert Ketterer (1911 – 2002); his sister der bewegte Betrachter” had an additional sus- Ingeborg and her husband Dr. Wolfgang Henze taining influence on their interest in video art. own and manage the Galerie Henze & Ketterer 6 in Wichtrach/Berne, in which Günther Ketterer also Henze & Ketterer and Bernhard Bischoff & Partner, holds an interest. www.videokunst.ch serves as a networking platform 2 ) “Junge Wilde”, typical examples being Helmut for video artists, art dealers and members Middendorf, Rainer Fetting, Salomé and Elvira Bach. of the public. ) The geographical location is not imperative, ) Founded in 2005 in association with the galleries ) Some lines of direction are roughly discernible, 3 7 but it is mostly the case. Works are occasionally but then occasionally one comes across an isolated purchased at fairs or galleries and the contact work that has yet to be linked to the collection in with the artists then established subsequently. some way. ) “SOME FROM BERNE, SOME FROM ELSEWHERE ) Founder of the video festival “V.I.D.” in Berne; 4 8 Die Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle” organizer of “white clube & back box” at the at the Museum Liner, Appenzell, 28.1. – 29.4.2007. Toni Molkerei Zürich; numerous lectures and 5 ) Their interest in video art was sparked by a visit articles on Swiss video art; various exhibitions on to the exhibition “Der dritte Ort – Le troisième lieu” and with video art. at the Centre PasquArt, Biel (17.2. – 7.4.1996) 9 together with the artist Franticek Klossner. A lecture ) Other than ironically à la Christian Jankowski or Yan Duyvendak. delivered by Prof. Boris Groys on 25.5.2000 at the 17 Peter Aerschmann *1969 Fribourg CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH Das Bildmaterial zu seinen Arbeiten fängt Peter Aerschmann mit der Kamera auf Strassen und Plätzen ein – mitten im Alltag, im pulsierenden Leben. Er isoliert einzelne Motive, wie Menschen, Vögel, Autos oder Pflanzen, aus ihrem ursprünglichen Umfeld, und baut sich mit diesen digital veränderten Versatzstücken ein visuelles Inventar seiner Umgebung auf. Aus diesem Fundus komponiert er fiktive Bildwelten, deren Kompositionen nichts mit einem Film zu tun haben, sondern vielmehr animierte Standbilder darstellen, die er als archetypische Stillleben unserer Zeit imaginiert. Er konstruiert virtuell ein Abbild der Realität, quasi die Simulation einer Welt, wie wir sie zu kennen meinen. Sein kompositorisches Vorgehen darf man ruhig als digitale Malerei bezeichnen. Die Bilder befremden, weil die Schnittstellen zur realen Welt schonungslos und immer wieder aufbrechen. Die ständige Wiederholung von Bewegungen ist nicht frei von Komik, und der absurde, stetig ablaufende Trott irritiert; man wird an Roboter erinnert oder an fremd gesteuerte Wesen. Zudem fehlt eine eigentliche Geschichte, eine Narration. Ansätze davon werden bei den interaktiven Arbeiten auch immer jäh durch den Knopfdruck der BetrachterInnen unterbrochen. Peter Aerschmann finds the material for his works among the hustle and bustle of streets and squares. With his camera he captures scenes of everyday life, isolating and digitally altering individual motifs such as people, birds, cars or plants, to add them to his visual archive of things – a rich fund for composing ficticious worlds that have nothing to do with film, but are very much like animated film stills the artist presents to us as some sort of archetypal still lives of our times. Thus Aerschman composes virtual images of reality, or simulations of a world as we seem to know it, using a method which may truly be called “digital painting”. His images irritate, on the one hand by relentlessly pulling us back to the real world, but also by their constant repetition of movements, which is comical and absurd, but also makes the figures appear like externally controlled, robot-like beings. Furthermore, there is no real story or narration. Indeed, in his interactive works the visitors can disrupt any suggestion of narrative by pressing a button provided for halting the image. Theatrum Mundi, 2007 Software auf CD-ROM / Software on CD-ROM, Ed. 8 18 19 Peter Aerschmann 20 Eyes, 2006 City Walking, 2005 Raben, 2005 Möwen, 2005 DVD, 12‘00‘‘, Ed. 5 DVD, 00‘09‘‘, Ed. 3 DVD, 07‘00‘‘, Ed. 3 DVD, 15’00’’, Ed. 3 21 Pavel Büchel *1952 Prag CZ, lebt und arbeitet / lives and works in Manchester GB Der in der Tschechoslowakei aufgewachsene und heute in Grossbritannien lebende Pavel Büchler gehört zu den ersten VertreterInnen von Konzeptkunst im ehemaligen Osteuropa. Es waren Abbildungen von Ausstellungen aus dem Westen, die seine Kunstentwicklung wesentlich beeinflussten. Das so Gesehene mischte er mit den vorherrschenden Tendenzen im Osten. Er nimmt nichts als gegeben an und hinterfragt grundsätzlich jede Behauptung, sei sie nun politisch oder auch kulturell. Seine subtilen Eingriffe in Systeme wirken auf den ersten Blick harmlos, umso mehr, als er sich dabei oftmals älterer Technologien bedient. Dass er damit umso schonungsloser das vermeintlich Gute, da Akzeptierte, als Gehaltlos entlarvt, wird erst beim zweiten Hinschauen offensichtlich. Immer wieder nutzt er auch leicht manipulierte Fundstücke, um einen vordergründig als erwiesen angesehenen Beweis, hintergründig gleich hinfällig werden zu lassen. Das Spiel des doppelten Bodens beherrscht er vortrefflich; bleibt seinen Prinzipien dabei aber immer treu. Seine Nähe zur Literatur und deren Schöpfern liefert ihm immer wieder einen wunderbaren Nährboden für vielschichtige Interventionen und Interpretationen. Pavel Büchler, who grew up in then Czechoslovakia but now lives in the UK, belongs to the first group of conceptual artists active in the former eastern Europe. Strongly influenced by pictures of exhibitions from the West, he mixed what he saw with trends prevalent in the East. Büchel is an artist who never accepts anything as a given truth, questioning any statement, political or cultural. At first his subtle interventions into systems seem harmless, especially so as he often draws on the effects of old technological devices. Only a second glance reveals that this is just how he ruthlessly exposes the shallowness of what seems good merely by being accepted. Again and again he also uses slightly manipulated found objects to debunk an apparently proven truth. Büchel is a master of dual meanings, but one who never abandons his own convictions. A further rich source of inspiration for his multifaceted interventions and interpretations is literature, for which Büchel has a special affinity. Nodds, 2006 Videoinstallation / video installation, Zwei Monitore / two monitors DVD, je / each 00’30’’, Ed. 3 22 23 Costantino Ciervo *1961 Neapel IT, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin DE Constantino Ciervo sucht in seinen Arbeiten kritisch nach Antworten auf fundamentale Fragen der modernen Gesellschaft. Die zum Teil sehr provokativen und politisch die Grenzen auslotenden Inhalte verpackt er in perfekt konzipierte Videoobjekte und -installationen. Ein besonderes Augenmerk legt er auf die materielle Umsetzung der Ideen; unübersehbar ist dabei seine Nähe zur italienischen «Arte Povera». Alte Technikteile kombiniert er gekonnt mit neusten technischen Errungenschaften und schafft damit eine wunderbare Symbiose von Alt und Jung. Er baut so eine Brücke von der physischen Ausgestaltung der Werke zu seinen Inhalten, also den zum Teil unangenehmen Fragen, die die Menschen bereits seit Generationen beschäftigen. Seine Arbeiten machen weder vor alten, noch vor neuen Symbolen halt und hinterfragen auch manches Tabu. Er will nie belehren und verpackt seine Botschaften oft mit Witz und Ironie; so erreicht er, dass deren vielschichtiger Gehalt gerade mehrfach offensichtlich wird. Er versteht die Kunst als Aktions-, bzw. Reaktionsform auf die ihn umgebende Welt, und nicht selten werden BetrachterInnen ins Bild gesetzt, um sich dann beim Betrachten selber zuzuschauen. Constantino Ciervo’s works constitute a critical search for answers to fundamental questions in our society. His at times strongly provocative contents teetering on the brink of political incorrectness are conveyed through carefully designed video objects and installations, which reveal his close attention to the application of materials, and his obvious vicinity to the Italian movement of Arte Povera. He skillfully combines parts of old technological equipment with new inventions, thus creating a wonderful symbiosis of old and new, as well as building a bridge between the physical appearance of his works and their contents. His works neither avoid using old or new symbols, nor do they shirk away from touching on taboos - yet they have nothing schoolmasterly about them. Instead, his messages are couched in wit and irony and thus lend themselves to being interpreted in many different ways. He considers art a way to react to the things going on around us, and sometimes integrates the visitors into his works, so that they can obverse themselves being observed. Global Gene, 2007 Sieben-Kanal-Videoinstallation / seven-channel video installation, 7 Monitore / monitors, DVD, je / each ca. 20’00’’ 24 25 Costantino Ciervo Alphabetically, 2005 Videoobjekt/video object, alte Schreibmaschine, Bewegungsmelder, Monitor / Old typing machine, motion detector, monitor, 54 x 40 x 48 cm Terror, 2002 Videoobjekt/video object, alte Schreibmaschine, Bewegungsmelder, Monitor / Old typing machine, motion detector, monitor, 51 x 30 x 35 cm 26 27 Collectif_fact Annelore Schneider *1979 in Les Fontaines CH Swann Thommen *1979 in Saint-Imier CH Claude Piguet *1977 in Neuchâtel CH Zusammenarbeit seit / collaboration since 1999 lebt und arbeitet / live and work in Genève CH Das Genfer collectif-fact befasst sich mit computergenerierter Kunst und überzeugt im virtuosen Umgang mit fliessend ineinander übergehenden Bild-Raumkonstellationen, die auf realen Fotos von Strassen, Häuserzeilen, Signalisationen, Autos oder Menschen im urbanen Umfeld einerseits sowie auf programmierten Piktogrammen andererseits aufbauen. Die virtuellen Kamerafahrten erzeugen einen Wahrnehmungsfluss, den wir im Zeitalter medial vermittelter Splitterästhetik, die uns die Umwelt fragmentarisch dekodieren lässt, als «real» und zeitgenössisch erleben. So fliegen etwa in «bubble cars» Autos durch eine nächtliche Strassenszene, Kuhglocken bimmeln, und ab und zu flackert unverhofft eine Laterne – eine surreale Szene à la Alice im Wunderland. Der urbane Raum wird dabei konstant hinterfragt und digital neu definiert. Andere Arbeiten wirken wie «aufgeklappte Videobilder»: Aus dem zweidimensionalen Raum werden die Szenen in die virtuelle Dreidimensionalität transferiert. Das Vorstellungsvermögen der BetrachterInnen wird stark herausgefordert, muss sich dieses doch abrupt an wechselnde Innen- und Aussensichten gewöhnen und den Raum stets aufs Neue erfassen. Collectif-fact, a group of artists from Geneva, work with computer-generated images based on real photos of streets, houses, traffic signs, cars or people and programmed pictogrammes, which convince by expertly and seamlessly merging visual and spatial aspects. Virtual camera pans create a flow of visual perception that in an age of medially conveyed and fragmented imagery tends to regarded as real. In “Bubble Cars” for example, a street scene by night, we see cars flying past accompanied by the tinkling of cowbells, lamps flickering unexpectedly every now and then. It is a surreal scene, reminiscent of Alice in Wonderland, in which urban space is constantly scrutinized and digitally redefined. Other works look like video images that have been flipped open as it were, so that the two-dimensional scenes become three-dimensional ones. The beholders imagination is strongly challenged, as they have to get used to abruptly changing interior and exterior views and ever changing spacial concepts. Circus, 2003 DV/DVD, 3D Animation, 02’10’, Ed. 10 Sound: Jean-Jacques Duclaux 28 29 Collectif_fact Bubblecars, 2004 DV/DVD, 3D Animation, 06’28’, Ed. 10 30 31 Erik Dettwiler *1970 in Helsinki FI, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH und Berlin DE Die Suche nach dem «Peripheren» in Kunst und Leben ist das Hauptthema von Erik Dettwiler. Das «überall Jetzt» lässt Metropolen unbedeutend werden, Randgebiete jedoch unvermittelt ins Zentrum des Interesses schnellen. Genau solche Randgebiete, vermeintliche Nullorte sind es, die den Künstler anziehen. Es ist Langsamkeit vermengt mit Hektik, Leere aufgefüllt mit unerwarteten Inhalten, und es sind die verblichenen Zeichen urbaner Struktur, die zu parallelen Bühnen für seine Arbeiten werden. Er sucht nach «Grauzonen» urbanen Lebens und verdichtet die visuell teils absurden Momente zu zeitlosen Collagen aus Geschichte und Geschichten. Die BetrachterInnen werden auf verborgene Schleichwege entführt, nehmen damit unmittelbar an seinen «Intimperformances» teil, deren Spannungsbogen immer wieder zwischen lebendigstem Leben und totestem Tod zu oszillieren scheint. So hat er etwa die seit Sergei Eisensteins Film «Panzerkreuzer Potemkin» in die Filmgeschichte eingegangene Treppe in Odessa zur Bühne einer seiner tollsten «Intimperformances» erklärt. Mittels der schon in den Anfängen des Stummfilms verwendeten «StoptrickTechnik» ist ein verblüffendes Kurzvideo entstanden: Der Künstler kann fliegen! Erik Dettwiler’s main subject is the search for the periphery in art and life. “Everywhere now” renders big cities insignificant, but moves the periphery abruptly centre stage - those peripheral areas or “non-sites” that appeal to Dettwiler. Slowness coupled with hectic activity, emptiness filled with unexpected contents, faded signs of urban structures: meet the protagonists of Dettwiler’s works. The artist scours places for the “grey zones” of urban life and condenses at times visually quite absurd moments to timeless collages of stories and history. The beholder is invited to go down hidden paths, thus immediately taking part in the artist’s “intimate performances”, which again and again seem to oscillate between life at its liveliest and death at its deadest, for example by making the world-famous stairs featuring in Sergei Eisenstein’s film “Battleship Potemkin” into the stage of one of his most brilliant “intimate performances”. Here he has created a baffling short video by means of stop-motion, a technique that was also used in silent films: the artist can fly! Levitation, 2001 DVCAM-Pal/DVD, 3‘20‘‘, Ed. 3 32 33 Erik Dettwiler Potemkin’sche, 2001 DVCAM-Pal/DVD, 3‘20‘‘, Ed. 3 Kamera / camera: M.-A. Chiarenza 34 35 Diana Dodson *1963 in Zürich CH, lebt und arbeitet / lives and works in Basel und Bern CH Die Künstlerin thematisiert in ihren Arbeiten die hintergründige Welt des Wohnens; aber auch die Flucht aus diesem vertraut-idyllischen Terrain. Die Werke werden zur unmittelbaren Projektionsfläche für Sehnsüchte, unterdrückte Wünsche, Hoffnungen oder Träume. Die Suche nach Geborgenheit im Wohnlichen einerseits, und die Flucht davor andererseits prägen fast alle Arbeiten. Diese Gegenpole menschlichen Lebens untersucht Diana Dodson in aufwendigen Installationen, Objekten, Bildern oder Videoarbeiten. Letztere zeigt sie oft als Teil komplexer Accrochagen oder als grosse Projektionen im Raum. Auch unkonventionelle Präsentationsformen, wie Projektionen auf den Boden oder durch Schablonen hindurch erzeugen sphärische Raumsituationen. In «Ultra-marin», einer als Triptychon inszenierten Videoarbeit, bewegen sich Synchronschwimmerinnen mit verlangsamten Gesten unter Wasser. Man denkt sofort an Wassernymphen oder Meerjungfrauen, und das blaue, alles verbindende Fluidum wird zum Spiegel des Ichs und entführt unweigerlich in eine unerreichbare Traumwelt. Eine «Insel» ist Sehnsuchts- und Fluchtort per se; deshalb steht eine gleichnamige Arbeit auch am Schluss der Ausstellung, quasi als Ausklang und Aufbruch. Diana Dodson’s works thematize the enigmatic world of habitation - and the wish to escape from this familiar and idyllic place. This duality characterises almost all of her works, which also become projection screens for desires, suppressed wishes, hopes and dreams, and consist of elaborate installations, objects, paintings or videos (the videos are sometimes integrated into complex installations or shown as huge space projections). Unconventional forms of presentation, as when she projects onto floors or through stencils, also help create spheric spatial situations. “Ultra-marin”, a video presented as a triptych, shows the slow-motion movements of synchronised swimmers under water, which instantly remind us of water nymphs or mermaids, and the blue liquid becomes a mirror of one’s self, so that one is inevitably carried away to an inaccessible world of dreams. As islands are the epitome of a place where one simultaneously longs to be and wants to get away from a work called “Island” is placed at the end of the exhibition, as a sort of simultaneous conclusion and departure. Insel, 2002/08 DV-Pal/DVD, 13‘24‘‘, Ed. 3 36 37 Quynh Dong *1982 in Hai Phong VN, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH Die im Spannungsfeld zweier Kulturen aufgewachsene Quynh Dong untersucht in ihren Arbeiten das Fremdsein, bzw. das «Nirgends-zu-Hause-Sein» von sich selbst und ihres unmittelbaren Umfelds. Schonungslos legt sie Bruchstellen in der eigenen Biographie offen und verarbeitet ihre asiatische Herkunft in sehr direkten Performances oder eindrücklichen Installationen. Althergebrachte, zum Teil seltsam anmutende Traditionen und Zeremonien transferiert sie behutsam in die westliche Welt und hinterfragt damit vielschichtig ihre Existenz. Sie tut dies einerseits, um auf kulturelle Differenzen und Missverständnisse hinzuweisen, andererseits aber auch, um sich diese, für sie selber als verloren geglaubten, Handlungen in Erinnerung zu rufen, ja, sie überhaupt erst richtig bewusst wahrzunehmen. Sie durchleuchtet ihr Leben konsequent und wählt daraus einzelne Episoden aus, um diese mit den kollektiven Erinnerungen aus der Familien- und Weltgeschichte zu verweben. Ihr nahe stehende Menschen werden zu wichtigen Referenzpunkten in ihrem sich aufbauenden und gleichzeitig auflösenden Beziehungsgeflecht, nicht zuletzt, weil sie als eine Art unmittelbare Zeugen Schlüsselrollen in Dongs Arbeiten übernehmen. Quynh Dong, who grew up caught between two cultures, analyses in her work the subject of being foreign, of never being at home, with respect to her own person and her immediate family. Mercilessly she points out breaks in her own biography, staging very direct performances and impressive installations to help her understand her Asian origins. She carefully transfers ancient customs and ceremonies, some of which have a certain strangeness about them, to our western society, thereby scrutinizing their very existence. With this she aims at pointing out cultural differences and misunderstandings, but it is also a way of retrieving own memories of seeminlgy long forgotten events - indeed of perceiving them properly for the first time. She stringently scrutinizes her own life, selecting individual episodes she then interweaves with collective memories from her family’s history and indeed the world’s: a simultaneously growing and diminishing mesh of connections in which people close to her become important points of reference and have key roles in Dong’s works by being immediate witnesses as it were. Das Aquarium, 2007 Video- und Toninstallation mit Tisch und Aquarium / video & sound installation with table and aquarium, DVD, 05‘20‘‘, Ed. 3 38 39 Heinrich Gartentor *1965 in Schafmatt CH, lebt und arbeitet / lives and works in Thun und Horrenbach CH Heinrich Gartentor ist ein Pseudonym, ja, mehr noch eine fiktiv-reale Person. Die Identität von Heinrich Gartentor ist durch seine in Buchform erschienene Autobiografie sogar untermauert. Und trotzdem ist Gartentor, der Künstler, als Figur nur schwer fassbar. Das Spiel mit den zahlreichen Identitäten und Rollen ist nicht immer einfach zu durchschauen; man weiss nie genau, ob man selber Teil einer seiner Aktionen ist, oder, ob man ihn «ernst» nehmen darf. Als Kulturpolitiker wurde er zum ersten inoffiziellen Kulturminister der Schweiz gewählt, er ist Präsident des Berufsverbands visuelle Kunst (visarte) und immer wieder als Moderator oder Kolumnist zu hören und zu lesen. Er hat sein Leben zur Kunst erklärt, ein LKW (Lebenskunstwerk), das seine alte Identität immer mehr verdrängt. Heinrich Gartentor ist bekannt für unkonventionellen Kunstaktionen; er nennt diese auch «freundliche Attentate». Er schliesst sich in Bunker ein, reist ans Nordkap oder «produziert» sogar zwei eigene Kinder. Sport hat sich in den letzen Jahren als eines seiner Hauptinteressensgebiete herausgestellt. Sei es Seilhüpfen, Fussball oder Golf, immer wieder zwingt er sich selbst und seine MitstreiterInnen, an die physische Leistungsgrenze zu gehen. Heinrich Gartentor is a pseudonym. Or rather, Heinrich Gartentor is a person at once real and fictitious. But although Gartentor’s identity is in fact supported by an autobiography, Gartentor as an artist remains enigmatic, the elusivness of his person due to a play with numerous identities and personas, so that it is not easy to tell if he can be taken seriously or if one is just part of one of his performances. A figure involved in cultural politics, he not only became the first inofficial minister of culture of Switzerland, but he is the president of visarte, the professional association of visual artists, and can frequently be seen and read as a presenter and columnist. Gartentor is known for his unconventional art actions he, among other things, calls “friendly attacks”, and which include him being locked away in a bunker, travelling to the North Cape, and even fathering two children. In recent years, sport has become one of his main subjects of interest. No matter whether this is rope skipping, playing soccer or golf, he keeps pushing his own, as well as his fellow contestants’ physical boundaries. Gartentor Golf, 2006 Video-Installation / video installation, Diverse Materialien / various materials, 120 x 80 x 400 cm 40 41 Franticek ˘ Klossner *1960 Grosshöchstetten BE, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH Mittels Hochleistungskameras aus Wissenschaft und Medizin oder Spiegelverzerrungen versteht es Franticek ˘ Klossner, seinen Arbeiten eine magische Komponente einzuhauchen. Die Grenzen der visuellen Wahrnehmung werden neu formuliert, und es entstehen körperliche Statements von faszinierender Direktheit. So entstanden Videoarbeiten in Superzeitlupe, etwa «Mess Up Your Mind», sich bewegende Lippen, die zu wallenden «Fleischbergen» werden, oder «Augenblick und Ewigkeit» bei der jeder einzelne Splitter eines zerbrechenden Spiegels festgehalten wurde. In einigen Werken wird auch die Interaktion zu einem integralen Bestandteil. Die BetrachterInnen können direkt Einfluss nehmen auf die gezeigten Bilder und etwa mit ihrer Stimme eine Gruppe strammstehender Soldaten auf den Boden fallen lassen. Immer wieder sind es komplexe Gesamtinszenierungen und das gekonnte Zusammenfügen verschiedenster Techniken und Materialien, die die Arbeiten des Künstlers auszeichnen, sie zeitlos aktuell machen. Häufig arbeitet er mit Selbstporträts, die zu Sinnbildern für die ständige Veränderung mediatisierter Bilder werden. Er bringt es auf den Punkt: «Die Welt beschreibt dein Gesicht – Dein Gesicht beschreibt die Welt.» High-performance cameras as used in science and medicine or mirror distortions: these are Franticek ˘ Klossner’s means with which he imbues his works with a certain magical moment. By filming videos in super slow-motion, such as “Mess Up Your Mind”, in which moving lips are turned into huge billowing lumps of meat, or “Augenblick und Ewigkeit” (instant and eternity) that arrests in time the single pieces of a breaking mirror he redefines visual perception and creates corporeal statements of fascinating directness. Some works are interactive, and the visitors can influence the flow of images e.g. by using their voice to have a group of soldiers standing at attention fall to the ground. His work, again and again characterised by complex installations and skillful combination of various techniques and materials, is both timeless and topical. Often he works with self-portraits, which become metaphors for the constant change of mediated images, succinctly summarised by the artist when he states: “The world describes your face – your face describes the world.” Total Narziss, 1996 Video Hi8 / VHS, 03’30’’ 42 43 Franticek ˘ Klossner Inter Media Kiss (eine kleine Kunstgeschichte der Sehnsucht), 1997 Video SVHS, 04’09’’, Performance: Manuel Espinoza & Franticek ˘ Klossner Musik / music: Mina Mazzini / GSU Lugano 44 45 Reto Leibundgut *1966 in Büren zum Hof CH, lebt und arbeitet / lives and works in Basel und Thun CH Reto Leibundgut ist ein Meister in Sachen Verwertung alter Materialien. Seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit befasst er sich ausschliesslich mit vermeintlichem «Abfallmaterial». Meistens verarbeitet er alte Werkstoffe, wie Holz, Leder, Plastik oder Textilien und stellt sie in einen neuen Kontext. Dabei interessiert ihn vor allem der Aspekt, wie vordergründig «schäbiges» Material in einem «liebevollen» Umwandlungsprozess eine Staunen erzeugende Präsenz erfahren kann. Beim Umzug in ein neues Atelier blieb viel Material übrig, für das er keine Verwendung mehr hatte. Und so hat er seine umfangreiche Sammlung farbiger Holzplanken an die Wand genagelt, und den Prozess dauernd festgehalten. Nackte Bretter fanden dabei ebenso Verwendung wie ältere Arbeiten oder Materialskizzen dazu, so dass man den Videoclip auch als einen Schnellparcours durch Leibundguts Arbeiten ansehen kann. Rhythmisch auf die – eigens von Dieter Seibt, Beat und Ernesto Feller konzipierte – Musik abgestimmt, wächst eine Wand aus Holzbrettern. Entstanden ist eine Art Collage, ein performatives «Work-in-Progress-Werk» par «Exellence» – und eine wunderschöne, ephemere, da mittlerweile zerstörte Wandstruktur/-skulptur. Reto Leibundgut is a master at recycling old materials. Since the beginning of his career he has been working exclusively with what appears to be waste material, mostly discarded wood, leather, plastic or fabrics, which he then recontextualises. What inspires him first and foremost is the idea how seemingly shabby material can create an amazing presence when it is subjected to a “loving process of transformation” by the artist. When Leibundgut moved to a new studio, he was left with a lot of material he no longer needed. So he nailed his collection of painted planks on one of his studio walls and captured it on video. Unused pieces of wood were as much part of this action as were old works or sketches, so that Leibundgut’s video becomes a quick viewing of his œuvre. The images of this growing wall are rhythmically coordinated to music conceived especially for this purpose by Dieter Seibt, Beat Feller and Ernesto Feller. The result is a sort of collage, and a performative work in progress par excellence – as well as a wonderful and ephemeral, since destroyed, wall structure / sculpture. Wandstück, 2007 DV-Pal/DVD 04‘42‘‘, Schnitt / editing: Diana Dodson Musik / music: Dieter Seibt, Beat & Ernesto Feller 46 47 Zilla Leutenegger *1968 in Zürich CH, lebt und arbeitet / lives and works in Zürich CH Zilla Leutenegger arbeitet mit verschiedensten Medien; am bekanntesten wurde sie wohl mit ihren Zeichnungen, die zuerst nur Zeichnungen waren, dann aber sukzessive auch zu animierten Videoarbeiten wurden. Oft steht sich die Künstlerin selber Modell; die Arbeiten kreisen um die Positionierung des Selbst in einem wechselnden Umfeld. Daraus entstehen analytische Beobachtungen in einer wirklichen, aber auch selbst definierten Welt. Meistens sind die dargestellten Menschen auf sich alleine gestellt, trotzen der Situation, in der sie sich gerade befinden – oder geben ihr nach. Feine Gesten, wie ein flatternder Schal oder eine brennende Zigarette, knüpfen feine Erzählstränge, die sich zum Teil auch über mehrere Werkgruppen hinweg beobachten lassen. Manchmal sind die Arbeiten laut und direkt, dann wiederum geheimnisvoll und leise. Und doch ist es diese Konzentration auf eine Handlung oder auf eine Person, die die Arbeiten mit einer ungeheuren Kraft auflädt. Das Wandeln in verschiedenen Welten wird auch in der Arbeit «Quicksilver» zum Thema gemacht. Die Künstlerin steht in einer silbernen Pfütze, wird wie magisch von einem Löffel hochgehoben und «tropft» zurück in die Pfütze; immer und immer wieder, wie im endlosen Strudel der Zeit. Zilla Leutenegger uses different media, although she is probably best known for her drawings, which at first were indeed just drawings, but gradually became animated videos. Frequently Leutenegger is her own model, and her works center around the question of positioning one’s self in a changing environment, resulting in analytic observations placed both in the real world and in worlds she creates herself. Mostly the people depicted have to rely on themselves, braving the situation they happen to find themselves in – or relenting to it. Subtle gestures, such as a shawl fluttering in the wind or a burning cigarette, create fine strands of narrative that weave themselves through several of her works. Sometimes her works are loud and direct, then again enigmatic and hushed, yet her concentration on a single action or person never fails to give them an incredible energy. Leutenegger’s work “Quicksilver”, too, thematises the motif of walking in different worlds. The artist, standing in a silver pool, is magically lifted up by a spoon, only to “drip back” into the pool, again and again, as if caught in an endless time-loop. Quicksilver, 2002 DVD Pal, 01‘00‘‘, Ed. 10 48 49 Sabine Linse *1966 in Eckernförde DE, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin und Kiel DE Ihre stets perfekt in Szene gesetzten Motive hält Sabine Linse mittels verschiedener Techniken, wie Langzeit- und Mehrfachbelichtung, Projektion oder Überlagerung mehrerer Bilder fest. Die Fotografie steht im Zentrum, deren Grenzen werden aber von der Künstlerin dauernd ausgelotet und erweitert. Auf einer Art «Metaebene» erschafft sie sich eine Märchenwelt zwischen Imagination und Realität. Es entstehen eigenwillige Sequenzen, denen man sich kaum entziehen kann, die jedoch skurriler fast nicht sein könnten. Die Verortung der phantastischen Geschöpfe in der Wirklichkeit ist schwierig; und doch leben die erzählten Geschichten irgendwie im Hier und Jetzt. In der Videoarbeit «Im Grünen» sind drei Menschen zu sehen, die, umgeben von einer saftigen Wiese und hohem Gras, bis auf den Kopf im Boden eingegraben sind. Als ob es das Normalste der Welt wäre, wirken sie wie natürlich eingepflanzt und singen im Kanon das bekannte Erntelied «He, ho, spann den Wagen an» – ruhig und fröhlich und ohne Unterbruch. Das Repetitive im Gesang sowie die perfekte Idylle der Szenerie mit Sonnenschein, leichter Brise und Vogelgezwitscher sind Reminiszenzen an die Kindheit – und zugleich eine absurd-surreale Traumsituation. Sabine Linse uses photography to capture her perfectly staged motifs, but as she uses various techniques such as time exposure, multiple exposure, projection and superimposition of images she is constantly testing out and expanding the limits of her medium. On a sort of metalevel her creations are fairy worlds located between imagination and reality. They consist of unconventional sequences that are highly irresistible, but so whimsical it almost defies description. It is difficult to place her phantastic creatures in the real world, and yet, her stories seem to be rooted in a here and now, as in the video “Im Grünen” (in the country): three people are buried in the ground of a meadow with nothing but their heads sticking out, luscious high grass in the background. Their being planted there seems perfectly natural, and together they sing the well-known German canon “He, ho, spann den Wagen an” – calmly and cheerfully, without stopping once. The repetitiveness of the singing and the perfectly idyllic scenery with sunshine, light breeze and twittering of birds makes one think of childhood memories, but also of an absurd and surreal dream. Im Grünen, 2005 DV-Pal/DVD, 38‘00‘‘, Ed. 12, Sänger / singer: Nataly Hocke, Alexander Laudenberg, Mike Pritchard 50 51 Andrea Loux *1969 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern/CH und Berlin DE Andrea Loux’ Arbeiten wirken oft wie Bühnenbilder, in denen sich ProtagonistInnen der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts tummeln. In Wohnkatalogen der 70er- und 80er-Jahre fahndet sie nach Motiven, die sie gekonnt überarbeitet und daraus eine überraschende und verblüffende Szenerie schafft. Die Bilder sind uns allen vertraut, auch wenn sie oft bloss Reminiszenzen an vergangene Tage sind. In den grossen Videoinstallationen gelingt es der Künstlerin, mit komplexen Überarbeitungen von vorgefundenem Bildmaterial versponnene Geschichten zu erzählen. Daneben entstehen immer wieder kleinere Projekte, die sie als Skizzen versteht, aus denen einmal eine grosse Arbeit entstehen kann. Spannend sind die eigens konzipierten, mehrteiligen Arbeiten, die sie in Bilderrahmen präsentiert und «domestizierte Videoinstallationen» nennt. Dort setzt sie auch immer wieder Landschaftsmotive ein. Eines der Hauptwerke der letzten Zeit ist sicher die Arbeit «Nebelwelten», ein wunderbar poetisches Porträt einer sich wandelnden Landschaft. Die präzisen Kameraeinstellungen und die feinen Überblendungen vermischen sich zu einem traumhaften Zustand, bei dem Bewusstsein und Unterbewusstsein eins zu werden scheinen. Andrea Loux’ works often resemble stage settings filled with people that look as if lifted from the last decades of the 20th century. She searches old interior design catalogues of the 70s and 80s for motifs she skilfully overworks, turning them into surprising sceneries which, although just reminiscences of bygone days, appear very familiar. Her large video installations succeed in narrating intricate stories by means of complex reworkings of found footage. Loux also works on small projects she calls sketches, which one day might become the starting point of some bigger work. Very fascinating are her “domesticated video installations”, consisting of several parts and presented in frames. Here, too, she often uses landscapes as motifs. Her work “Nebelwelten” (misty worlds), doubtlessly one of her best works of recent years, depicts a wonderfully poetic portrait of a changing landscape. Precise camera settings and subtle cross-fades blend into a dreamlike state in which conscious and sub-conscious seem to merge into one. Wechselrahmen (Domestizierte Videoinstallation), 2004–2006 DVD, Monitor, Holzrahmen / DVD, monitor, wooden frame, 27 x 332 x 5 cm, Ed. 5 (Wie ein Fisch im Wasser, 2004, Einpassung, 2004, Stille Wasser, 2004) 52 53 Andrea Loux Nebelwelten, 2006 DVD Pal, 07’40’’, Ed. 3, Konzeption & Video / design & video: Andrea Loux, Musik / music: Samuel Rohrer (Claudio Puntin: B-Klarinette/B-clarinet, Gerdur Gunnarsdóttir: Violine/violin, Samuel Rohrer: Perkussion/percussion) 54 55 Pia Maria Martin *1974 in Altdorf DE, lebt und arbeitet / lives and works in Stuttgart DE In ihren dem Trickfilm verwandten Videoarbeiten beschäftigt sich Pia Maria Martin mit vermeintlich unbedeutenden Gegenständen oder Objekten des Alltags. Diese werden zu HauptdarstellerInnen ihrer Arbeiten und, als Animationen, die aus Tausenden von Einzelbildern komponiert wurden, unverhofft zum Leben erweckt. Es entstehen animierte Stillleben, die sich an verschiedene Genres der klassischen Malerei anlehnen. Nur sind die Stillleben eben nicht still, sondern verändern sich, Mal schnell und heftig, Mal langsam und ruhig. Die perfekte Choreographie von Bild und Ton verblüfft stets aufs Neue. Die im Bildgedächtnis gespeicherten Motive fügen sich zu kleinen, narrativen Episoden mit ungewissem Ausgang, denn die Gegenstände entwickeln unerwartet ein kurioses Eigenleben, formieren sich und gehen wieder auseinander. Für ihr Triptychon «Vivace» brachte sie drei klassische Motive aus der Kunstgeschichte zusammen: einen Blumenstrauss, eine Küchenszene sowie eine Vanitas-Darstellung. Die einzelnen Bilder mutieren und verändern sich zum Erstaunen der BetrachterInnen mit jedem Blick mehr. Die zum Teil surreal-komischen Handlungsabläufe sind treffende Metaphern für die Zeit – und damit auch für die Zyklen von Leben, Vergänglichkeit und Tod. Pia Maria Martin’s videos centre around trivial, everyday objects unexpectedly brought to life by stringing together thousands of single frames. The results are animated still lives that take their origins from classical painting. Unlike in painting, however, Martin’s still lives are not still as they undergo constant change, which sometimes is fast and furious, sometimes slow and calm. The perfect choreography of sound and image is amazing and never stops to impress us. Her motifs, once they are committed to our visual memory, come to be assembled to short narrative episodes whose ending is unclear: the objects unexpectedly develop a strange life of their own as they weave in and out of each other. For her triptych “Vivace” Martin brought together three classical motifs from art history: a bunch of flowers, a kitchen scene and a memento mori. To our surprise the images transform, increasingly so each time we look at them. The sequences, which have something surreal and comical about them, are striking metaphors for time – and thus also for life, transience and death. Vivace I, 2006 16mm Film auf DVD / 16mm film on DVD, 3‘03‘‘, Ed. 5 56 57 Pia Maria Martin Vivace III, 2006 16mm Film auf DVD/16mm film on DVD, 3‘26‘‘, Ed. 5 58 59 Franziska Megert *1950 in Thun CH, lebt und arbeitet / lives and works in Bern CH und Düsseldorf DE Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich Franziska Megert hauptsächlich mit Videoprojekten und untersucht dazu den reichen Fundus der Kulturgeschichte. Waren es zu Beginn Fragen nach Geschlecht, Transitionen in der Gesellschaft oder Körperlichkeit, die sie mittels unnahbaren Porträts in ihren stelenhaften Videoskulpturen auslotete, wurden mit der Zeit tradierte Mythen immer wichtiger, denen sie in aufwendigen Recherchen auf den Grund ging. Auch fanden zusehends Computeranimationen Eingang in ihr Œuvre, was ihr ermöglichte, gross angelegte Panoptica eines Themas raumgreifend und freskenhaft auszuformulieren. Ihre Projektionen werden stets zu äusserst lebendigen «Tableaux Vivants», die in sich nicht abgeschlossen sind, mannigfaltige Anknüpfungspunkte für den eigenen Erfahrungsschatz bieten und zur dauernden Reflektion einladen. Das Spiel von Materialität und immateriellen Umsetzungen beherrscht die Künstlerin vortrefflich; BetrachterInnen werden förmlich eingesogen in das virtuelle Labyrinth, dessen Raumstrukturen ständig neu definiert werden müssen. Mal rasant, dann wieder wie eingefroren präsentiert uns die Künstlerin verblüffende, paradoxe und doch klar lesbare Bildwelten. Since the 1980s Franziska Megert has mainly worked with video to analyse the wealth of subjects offered by cultural history. Whereas at first she dealt with questions of gender, transitions within society and the body – questions she formulated via inaccessible-looking portraits and video sculptures resembling steles – she has gradually shifted her interest and extensive research to myths. Moveover, by introducing the technique of computer animation into her work, she has found a way to express themes by means of installations that have the feel of murals. Her projections are invariably like incredibly animated “Tableaux Vivants” which, as they are not selfcontained, offer various possibilities how to relate them to one’s own experiences, thus presenting a constant invitation for reflection. Megert has mastered the play between materiality and immaterial realization unlike any other: Looking at her works feels like being sucked into a virtual labyrinth whose spatial structures keep shifting. The artist succeeds in presenting us with images, fast-paced one minute, as if frozen in time the other, that are bafflingly paradoxical, as well as clear and conclusive. HOMMeAGE, 1996 DVD Pal, 3D Animation, 03’30’’ 60 61 Chantal Michel *1968 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Kiesen, Thun und Bern CH Mittels ihrer umfangreichen Kleider- und Accessoiresammlung inszeniert sich Chantal Michel als organischer Teil ihrer Umgebung und wird damit selbst zum Ausstattungsstück. Die Orte ihrer Inszenierung erfahren unweigerlich einen Massstabswechsel und schrumpfen auf die vermeintlich kleine Dimension eines Puppenhauses. Sie bringt sich meisterhaft in einen vorgegebenen Kontext ein, wird zu einer Art Puppe, zum Spielball ihrer selbst in einem skurrilen Umfeld. Die Künstlerin arbeitet an der Schnittstelle von Videokunst, Fotografie und Performance und versteht es, stets das passende Medium für den passenden Ort zu finden. Immer wieder verblüfft sie durch ihre Spontaneität, etwa bei den ortspezifischen Performances, oder durch ihre Offenheit, sich in die Realität anderer Kulturkreise einzufügen. Basierten die frühen Videoarbeiten auf einfachen; aber effektvollen Performances, arbeitet sie im aktuellen Schaffen in der Postproduktion vermehrt mit Eingriffen, wie Spiegeleffekten oder Überblendungen. Das Märchenhafte bleibt erhalten; Chantal Michel ist immer noch die verwunschene Prinzessin oder das vergessene Dekorationsobjekt – einzig im Spiel mit sich selbst begriffen. Drawing on her own large collection of clothes and accessories Chantal Michel likes to stage herself as a an organic element of her surroundings, a pro -cess during which she becomes no less than part of the furniture. The settings for her performances thereby inevitably undergo a change of scale and seem to shrink to the size of a doll’s house. She skillfully assimilates herself to the given surroundings, turning into a doll of sorts, which she uses to play with in a rather bizarre location. Michel works at the interface between video, photography and performance, masterfully matching medium and place. Again and again she amazes us by her spontaneity, for example in ther site-specific performances, or her readiness to integrate herself into the realities of foreign cultures. When her early videos used to be based on simple but effective performances, she has started to spend more time on postproduction and applies effects such as mirroring and cross-fading. Yet, the fairy-tale character remains, and Chantal Michel is still an enchanted princess, or a forgotten decorative object, playfully self-absorbed. Das Geheimnis, 2006 DVD endlos / looped, Ed. 3 62 63 Dominik Stauch *1962 London GB, lebt und arbeitet / lives and works in Thun CH Dominik Stauch ist einer der Pioniere interaktiver, webbasierter Kunstprojekte (www.stau.ch) und arbeitete in den letzten Jahren an einer konsequenten «Erweiterung» seiner Malerei, indem er unterschiedlichste Medien (Ölmalerei, digitale Prints, Computeranimationen, Installationen oder Skulpturen) kombinierte; dabei aber den Farb- und Formtheorien stets treu blieb. Kunstgeschichte, Literatur und Musiktheorie des 20. Jahrhunderts bilden das nötige Fundament, um seinen Arbeiten die vielschichtige Tiefe zu geben. Nicht durcheinander wirbelnde Effekthascherei ist sein Thema, sondern wohlüberlegte, durchkomponierte Umsetzungen einer Idee. Seine Videos bestechen einerseits durch klar durchdachte Geometrien und eine «genial-einfache» Formensprache, andererseits durch zitierende, oft ironische Sequenzen, in denen er selber als Hauptperson agiert. Oft unterstützt er die Arbeiten mit Sound, etwa durch selbst komponierte und gespielte Musiksequenzen. Die Arbeiten werden so zu optisch-akustischen, rhythmischen Umsetzungen von geometrischen oder inhaltlichen Konzepten. Manchmal sind sie ruhig und meditativ, manchmal aggressiv oder nachdenklich stimmend. Dominik Stauch, one of the pioneers of interactive, web-based art projects (www. stau.ch), has also put rigorous effort into expanding the medium of painting. When combining different media (oil painting, digital prints, computer animation, installation or sculpture), he nevertheless remains true to theories of colour and form. Art history, literature and 20th century music theory constitute the essential components from which his works draw their complex depth. Stauch is not interested in causing higgeldy-piggeldy sensations, rather his main concern lies in pursuing and implementing carefully considered and composed ideas. His videos captivate, on the one hand, by their well thought out geometrical structures and ingeniously simple vocabulary of forms, but also by sequences that, often ironically, make use of quotation and in which the main character is played by the artist himself. Often his works are accompanied by sound, for example sequences of music Stauch composes and plays himself. His works thus become optical-acoustic and rhythmic realisations of geometrical as well as content-oriented concepts. Sometimes these are calm and meditative, sometimes aggressive and thoughtprovoking. Study for a Billboard, 2006 DVD, 01’04’’, Ed. 6, Animation und Sound / animation and sound: Dominik Stauch 64 65 Dominik Stauch Don‘t Let Me Down, 2006 Konzept und Performance / concept and performance: Dominik Stauch, Regie, Kamera und Schnitt / director, camera, editor: Peter Eberhard, DVD, 04’20’’, Ed. 6, 66 67 Brigitte Zieger *1959 in Neuhofen DE, lebt und arbeitet / lives and works in Paris FR Im Zentrum von Brigitte Ziegers Videound Fotoarbeiten steht das Verhältnis von Fiktion und Realität. Meist sind es die Künstlerin selbst oder ihr «Alter Ego», die in den Arbeiten zu sehen sind und so zu einer kontinuierlchen Wahrnehmungsverschiebung beitragen. Das Zitieren ist ein wichtiges Mittel; und doch kokettiert die Künstlerin immer damit. Waren die früheren Videoarbeiten durch die Beschäftigung mit Modelllandschaften oder eine simple Spielzeugästhetik entstanden, weisen die neusten in eine andere Richtung. Die Serie der «Wallpapers» nimmt die weit verbreitete Tradition der französischen Tapetenproduktion aufs Korn («Toile de Jouy»). Pastorale Szenen zierten unzählige Wohnräume und fehlten in keinem Kinderzimmer. Die oft überidyllischen Motive beflügelten denn schon manche Kinderphantasie; und genau diesen Effekt des Erinnerns und Erkennens einer vertrauten Umgebung macht sich die Künstlerin zu Nutze: Projiziert, sehen die Tapeten wie normale Tapeten aus; doch unvermittelt lösen sich anmutige Figuren aus den Motiven heraus, bewegen sich auf die BetrachterInnen zu und schiessen schliesslich in den Raum. Das Idyll ist zerstört, übrig bleiben die Trümmer einer verklärten, vermeintlich besseren Welt. The relation between fiction and reality is at the centre of Brigitte Zieger’s videos and photographs. More often than not what we see in her works is the artist herself or her alter ego, thus bringing about a constant shift of perception. Quotation is one of her important means of expression, but she only flirts with it. When in her early works she used model landscapes and a simple aesthetics of toys, her more recent works move in a different direction. With her series “Wallpapers” she mocks the widespread use of French wallpaper (“Toile de Jouy”): Numerous living rooms are decorated by pastoral scenes, and few kid’s rooms can do without them. The exaggeratedly idyllic motifs have indeed inspired many a child’s imagination, and it is exactly this effect of recognising and remembering a familiar environment Zieger draws on. When projected these wallpapers look quite real, until elegant figures break away, move towards the on-lookers and start to shoot into the room. The idyll is instantly destroyed. What remains are the remnants of a transfigured, seemingly better world. Shooting Wallpaper, 2006 Animation ab digitalen Daten / animation from digital data, 07‘45‘‘, Ed. 5 68 69 Roman Zürcher *1982 in Bern CH, lebt und arbeitet / lives and works in Berlin DE Der Berner Künstler Ramon Zürcher ist ein Geschichtenerzähler, der mit überraschenden Schnitten und aufwendigen Bildbearbeitungen seine surrealen Welten inszeniert. Die Personen in den geschaffenen Räumen sind StatistInnen und ProtagonistInnen zugleich, werden sie doch manchmal eher durch die Episoden geleitet, als dass sie agieren würden. Die Bilder pendeln zwischen schönen Traumphantasien und Albträumen, führen nahtlos vom einen Ausschnitt zum nächsten und verschachteln sich dabei immer mehr. Zahlreiche Rätsel werden aufgegeben; manchmal werden sie gelöst, meistens bleiben jedoch mehrere Möglichkeiten zum Ausgang der Geschichte offen. Diese Offenheit zelebriert der Künstler, indem er gleichzeitig verschiedene Bedeutungsebenen aufzeichnet, und diese immer wieder in neue Kontexte rückt. Er erzählt umfangreiche Geschichten – und erzählt eigentlich doch nichts. Und trotzdem wartet man gespannt auf die Fortsetzung der sich vor einem ausbreitenden Handlung, auch, wenn sie sich als blosses Hirngespinst entpuppt. Es sind am Schluss doch einzig die Bilder, die sich einprägen und die haften bleiben, dies nicht zuletzt, weil der vollständige Verzicht auf Ton eine Konzentration aufs Visuelle klar vorgibt. Bernese artist Ramon Zürcher is a story-teller who creates surreal worlds by means of unexpected film cuts and extensive image editing. The figures peopling his fictive spaces are both protagonist and extra, as often they seem to be guided through the various episodes rather than acting in them. The images oscillate between beautiful dream and frightening nightmare, one detail leading seamlessly to the next, but getting more and more interlaced. Numerous riddles are created on the way, which sometimes can be solved, but most of the time we are left with several possibilities as to the the story’s ending. Zürcher celebrates this openness by creating various levels of interpretation, and constantly putting them into new contexts. He tells elaborate stories – which, as a matter of fact, tell us nothing at all. And still we can’t wait to find out how the story will evolve, no matter if it turns out to be mere fantasy. It is the pictures that edge themselves onto our memories, aided by the fact that Zürcher does completely without sound, concentrating on the visual. Der Giesser, 2004 DVD, 03’04’’, Ed. 5 70 71 72 73 74 75 76 77 Dank / Acknowledgments Herzlichen Dank zuerst an Carola und Günther fürs Vertrauen, mich mit der Organisation der Ausstellung zu betrauen. Wir kennen uns mittlerweile sehr gut und arbeiten schon lange in gemeinsamen Projekten zusammen; aber es ist immer aufs Neue spannend und bereichernd! Für mich sind die Ausstellungsräume fast euer erweitertes Wohnzimmer! First of all I wish to thank Carola and Günther for having entrusted me with the organization of the exhibition. We have become good friends over the years and have been working together on joint projects for a long time. Even so, every new project is as exciting and rewarding as ever! For me, your exhibitions are almost like an extension of your living room! Carola Ertle Ketterer und Günther Ketterer danken Bernhard Bischoff für die langjährige Begleitung der gemeinsamen Interessen und Projekte. Dann möchte ich verschiedenen Menschen danken, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben. Zuerst allen KünstlerInnen – denn ohne KünstlerInnen gibt es keine Kunst und ohne Kunst keine Ausstellung: so einfach ist’s! Dann gebührt ein ganz grosses Dankeschön der Kuratorin der Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle, Annick Haldemann; sie leitete das Ausstellungssekretariat, leistete also die eigentliche Knochenarbeit, während ich mich eher dem Schöngeistigen zuwenden durfte; merci Annick! Nicht vergessen möchte ich meinen technischen Assistenten Simon Stalder, der nach all den Jahren der Zusammenarbeit weiss, «wie» ich «was» haben will und meine fordernde Art beim Aufbau stets erträgt. Vielen Dank auch Dominik Stauch, der immer wieder Rat und Tat zur visuellen Umsetzung einer Idee bietet; dann der Videocompany, die das Unmögliche machbar macht; und zuletzt auch vielen Dank der ganzen PROGR-Crew, Beate Engel, Eva Winkler, Martin Waldmeier und Jymy Ochsenbein – ihr habt uns toll unterstützt und wart wunderbare Gastgeber. I then wish to thank various people for their contribution to the success of the exhibition. Firstly, the artists themselves, for without artists there would be no art, and without art there would be no exhibitions – it’s as simple as that! A big thank-you also goes to Annick Haldemann, the curator of the Carola and Günther KettererErtle Collection. She has handled all the secretarial work for the exhibition, all the gruelling work in other words, while I have been able to devote myself almost entirely to more aesthetic concerns. Thank you Annick! Someone who must not go unmentioned is my technical assistant Simon Stalder, who after all the years we have been working together knows exactly the “whats, whys and wherefores” of my needs and somehow manages to put up with my impossibly demanding manner whenever I’m in the final throes of assembling an exhibition. My thanks, too, go to Dominik Stauch, who never fails to come up with “just the ticket” when it comes to realizing an idea visually. And then there’s the Videocompany, which has made the impossible possible, and, last but not least, the whole PROGR crew: Beate Engel, Eva Winkler, Martin Waldmeier and Jymy Ochsenbein – you were a fantastic help and wonderful hosts. Publikation / Publication Carola Ertle Ketterer and Günther Ketterer wish to thank Bernhard Bischoff for many years of shared interests and joint projects. Herausgeber / edited by: Sammlung Carola und Günther Ketterer-Ertle Katalog, Texte, Redaktion / catalogue, texts, editing: Bernhard Bischoff Koordination / coordination: Annick Haldemann Übersetzungen / translations: John Brogden, Sylvia Rüttimann Lektorat / proofreading: Paul Le Grand Gestaltung / design: Dominik Stauch Fotografie / photographs: Dominique Uldry ( Seite / Pages 1, 4, 11, 17, 19, 20 / 21, 27, 33, 39, 41, 53, 72 / 73, 74 / 75, 76 / 77, 80 ), Pavel Büchler ( Seite / Page 23 ) Lithografien / photo lithographs: Atelier Altmeier Druck und Herstellung / printing and production: Vetter Druck AG, Thun Auflage / edition: 700 Abbildungen / figures Ausstellungsansichten / exibition view: Seiten / pages 20/21, 72 /73, 74 /75, 76 /77, Umschlag / Cover; Sammlung / collection Carola und Günther Ketterer-Ertle: Seiten / pages 1, 4, 11, 17, 80 Verlag Galerie Henze & Ketterer- Wichtrach /Bern ISBN 978-3-906128-39-9 © 2009 Autor & KünstlerInnen / author & artists Keine Veröffentlichung von Texten und Bildern ohne Einwilligung der UrheberInnen. No texts or images may be reprinted or reproduced without the permission of the copyright holders.