sehnsucht nach ewigem leben – ägyptische mumien

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sehnsucht nach ewigem leben – ägyptische mumien
SEHNSUCHT NACH EWIGEM LEBEN –
ÄGYPTISCHE MUMIEN ALS HOFFNUNG AUF UNSTERBLICHKEIT
In diesem vierten Kolumnenzyklus geht es um den Umgang mit Tod und Jenseits im Alten Ägypten.
Wir erfahren faszinierende Details über den altägyptischen Totenkult, über die Gründe, die der
Mumifizierung hochrangiger Menschen (und auch Tiere) zugrunde lagen.
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Am Anfang war der Wüstensand …
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Leinen und Gips – Die ersten Schritte
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Magische Wiederbelebung der Mumien
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Mumifizierung I
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Mumifizierung II, die griechische Sicht
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Ausgewählte Amulette und Grabbeigaben
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Mumifizierte Tiere
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Mumienportraits aus römischer Zeit
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Mumien im Zeitalter des Computers
Am Anfang war der Wüstensand – natürliche Konservierung der Toten
Ich begrüße Sie ganz herzlich zum Auftakt der vierten Beitragsreihe über das Alte Ägypten.
Um Mumien soll es in den nächsten Monaten gehen, um Versuche, dauerhafte Körper für die
Ewigkeit zu erschaffen. Und wir werden uns die Zeit nehmen, möglichst viel darüber zu erfahren,
warum den Menschen am Nil der Erhalt ihrer sterblichen Hülle so unendlich wichtig war.
Lange bevor es eine gezielte Präparation von Verstorbenen mit chemischen Substanzen gab,
sorgten die klimatischen Verhältnisse in Ägypten für eine natürliche Konservierung der Toten.
Am Rand der Wüste wurden die Verstorbenen in flachen Gräbern beigesetzt, in ovalen Gruben,
ohne Särge und Leinenbinden. Ihre Körper wurden in Felle, Tierhäute oder in eine Matte eingehüllt
und dem ägyptischen Wüstensand übergeben. Dieser enthielt eine hohe Konzentration an Natron.
Gemeinsam mit der Wärme der Sonne trocknete der heiße Wüstensand das Körpergewebe aus,
noch bevor die Verwesung einsetzen konnte. Auf diese Weise wurde die Unversehrtheit des Körpers
durch das Wirken der Natur gewährleistet. Die schnelle Austrocknung verhärtete das
Muskelgewebe, so dass es nicht mehr von Bakterien oder Insekten zersetzt werden konnte. Die
inneren Organe, Bindegewebe, Haut und Sehnen blieben erhalten, ebenso die Haare und Nägel.
Untersuchungen des Magen- und Darmtraktes dieser natürlich erhaltenen Mumien erlaubten einen
einzigartigen Einblick in den Speiseplan der Ägypter und Ägypterinnen des 4. Jahrtausends v. Chr.
Die Menschen ernährten sich ausgewogen von Blattgemüse und Wildgräsern, Hirse, Erdmandeln
und Melonen, Fisch und Kleintieren wie Mäusen.
Natürlich konservierte Mumie, Anfang des 4. vorchristlichen Jahrtausends, genannt "Ginger", British Museum.
Die natürlichen Mumien der vorgeschichtlichen Zeit Ägyptens wurden überwiegend in Oberägypten
aufgefunden, in Naga ed-Deir. In ovalen Gruben wurden sie in Hockerstellung begraben und lagen
in Embryo-Haltung auf ihrer linken Körperseite. Die Knie angezogen und die Hände vor das Gesicht
gehalten, zeigte ihr Kopf nach Westen, dorthin, wo die Sonne untergeht. Ihnen wurden gefüllte
Keramikgefäße mit Nahrungsmitteln mit ins Grab gegeben, Steinwerkzeuge, Knochenkämme,
Schmuck und verzierte Töpfe.
Der Wüstensand, der den Ägypterinnen und Ägyptern auf natürliche Weise gezeigt hatte, dass das
Erhalten eines Körpers auch über den Tod hinaus möglich war, hatte irgendwann ausgedient. Man
ging dazu über, die Toten nun vor dem Sand zu schützen, indem man zunächst ihre Gesichter mit
umgedrehten Körben bedeckte, damit kein Sand in Augen und Mund eindringen konnte. Die später
einsetzende Bestattungsform in Kistensärgen mit Holzdecken und Grabwänden aus Ziegeln hatte
zur Folge, dass die Körper verwesten und schließlich zerfielen. Obwohl erstmals ab ca. 3000 v. Chr.
die Körper der Verstorbenen vor ihrem Begräbnis behandelt wurden (sie wurden äußerlich mit
Wasser gereinigt und mit Leinenbinden umwickelt, die vorher in Harz getränkt worden waren),
zersetzte sich das Körpergewebe unter den Bandagen.
Aus diesem Grund wurden ab ca. 2500 v. Chr. die inneren Organe der Toten entfernt, um den
Verwesungsvorgang aufzuhalten.
Über die ersten Schritte auf dem Weg zur künstlichen Mumifizierung im Alten und im Mittleren
Reich und die religiösen Vorstellungen, die den Erhalt eines unversehrten Körpers über den Tod
hinaus nötig machten, berichte ich in der nächsten Folge.
Leinen und Gips – Die ersten Schritte auf dem Weg zur künstlichen
Mumifizierung im Alten und Mittleren Reich
Um verstehen zu können, warum der Erhalt eines unversehrten Körpers über den Tod hinaus so
lebensnotwendig für das Alte Ägypten war, hole ich ein wenig aus.
Es war entscheidend für die religiöse Überzeugung der Ägypterinnen und Ägypter, die Körper der
Verstorbenen zu erhalten und sie möglichst lebendig aussehen zu lassen. Ein Verfall der Leiche
hätte ein Weiterleben im Jenseits unmöglich gemacht. Nach altägyptischem Verständnis löste der
körperliche Tod die Einheit der verschiedenen Komponenten, die eine Person ausmachen,
vorübergehend auf.
Die Ägypterinnen und Ägypter waren nicht der Ansicht, dass eine Person aus Körper und Seele
besteht. Ihr Personenverständnis war wesentlich differenzierter. Neben dem Ka (einer Art
Doppelgänger eines Menschen zu Lebzeiten) gehörten auch der Ba, der Schatten und der Ach zu
den Erscheinungsformen, die einen Menschen ausmachten.
Der Ba, einer der Aspekte des Wesens einer Person, trennte sich im Augenblick des Todes vom
Körper. Es war der Ba, der es dem Verstorbenen ermöglichte, das Grab zu verlassen, um
beispielsweise die aufgehende Sonne zu verehren, im Schatten eines Baumes zu ruhen oder
Wasser aus einem Teich zu trinken. Der Ba des Menschen ermöglichte seine Bewegungsfreiheit
nach dem Tod und wurde gewöhnlich als Vogel mit menschlichem Kopf (und manchmal mit
menschlichen Armen) dargestellt.
Ba-Vogel aus der Spätzeit (6.-4. Jahrhundert v. Chr.). Holz mit Stucküberzug und Resten von Vergoldung,
Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim.
Der Ba konnte jede beliebige Gestalt annehmen, brauchte aber immer wieder den Kontakt zu dem
Körper der toten Person, von dem er sich getrennt hatte. Der Ba war ohne einen intakten und
funktionsfähigen Körper dem Untergang geweiht. Daher musste der Verstorbene unter allen
Umständen seinen Körper für ewige Zeiten erhalten. Der Erhalt eines unversehrten Körpers über
den Tod hinaus war lebensnotwendig für eine neue Existenz im Jenseits.
Dieses Jenseits verstanden die Menschen in Ägypten nicht nur als das Leben nach dem Tod. Für
sie war das Jenseits auch die Welt, in der die Götter und Göttinnen wohnten und die der
Sonnengott auf seiner täglichen Reise durchfuhr. Bereits in den Pyramidentexten des Alten Reiches
(den ältesten bekannten Totentexten Ägyptens) wird ein Jenseitsbezirk beschrieben, der im
Nachthimmel angesiedelt ist. Seine Bewohner/innen existieren als Sterne. Die Pyramidentexte
betonen immer wieder, dass das Jenseits im Himmel liegt. Der Verstorbene wird dazu aufgerufen,
in einer Wolke aus Staub oder als Vogel auf einer Leiter zum Himmel aufzusteigen.
Die Texte sprechen aber auch von einer Unterwelt unterhalb der Erdoberfläche, die ebenfalls als
jenseitiger Bezirk genannt wird. Den Ägypterinnen und Ägyptern erschienen diese Vorstellungen
nicht als widersprüchlich, sondern eher als verschiedene Weisen, Aspekte der Wirklichkeit zu
beschreiben. Vom Mittleren Reich an wurden die Darstellungen der Unterwelt konkreter. Auf die
Bodenbretter einiger Sarkophage sind sogar vollständige Karten der Unterwelt aufgezeichnet. Eine
noch spätere Ausführung über die Unterwelt erscheint in den Totentexten des Neuen Reiches, etwa
im Amduat und dem Pfortenbuch. Diese befinden sich in den Gräbern im Tal der Könige.
Schließlich wurde die Unterwelt auch als Göttin personifiziert, als Mutter, die den Toten
wiedergebiert und ihm zu neuem Leben verhilft.
Die Pyramidentexte beschäftigen sich mit dem Weiterleben der Verstorbenen im Jenseits. Einige
dieser Sprüche sollen den Verstorbenen in einen Ach verwandeln. Die Formulierungen weisen
darauf hin, dass sie von dem Verstorbenen selbst laut gesprochen werden sollten.
Zu einem Ach wurde ein Verstorbener, wenn an seinem Körper im Verlauf der Mumifizierung und
der Bestattung bestimmte Rituale von Totenpriestern durchgeführt worden sind. Als "Verklärter"
und "Strahlender" konnte der Vorstorbene nun unter die Sterne des himmlischen Jenseits
gelangen. Die Pyramidentexte kennen den Spruch:
"Der Ach gehört zum Himmel, der Körper zur Erde".
Nach diesem kurzen Exkurs kommen wir wieder zu den Mumien zurück. Im Alten Reich (es
umfasste die 3. bis 6. Dynastie Ägyptens, um 2635 bis 2155 v. Chr.) kamen Leinen und Gips zur
Erhaltung der Körper der Verstorbenen zum Einsatz. Leinen wurde aus Flachs hergestellt, und
Darstellungen des Anbaus und der Verarbeitung von Flachs sind in zahlreichen Gräbern abgebildet.
Die Flachsernte konnte zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden, je nach Verwendungszweck des
Flachses. In der Phase, bevor der Flachs reifte (wenn die Pflanzen gelb waren), waren die Fasern
am geeignetsten für die Leinenherstellung.
Mit Leinenbinden wurden der Kopf, der Rumpf, die Arme und die Beine fest umwickelt, der Körper
in Leinen nachgebildet. Im Grab des Nefer in Sakkara ist eine Leinenmumie gefunden worden, die
Bemalungen auf dem Stoff enthält: eine Perücke ist aufgezeichnet. Die Augenbrauen und ein
Oberlippenbart aus feinem Stuck sind erhalten, die Ohren und das Geschlechtsteil in Leinen
modelliert. Der Penis lässt sogar noch eine Beschneidung des Nefer zu Lebzeiten erkennen.
Gelegentlich wurden auch die Organe durch einen Schnitt im Bauchraum entfernt, einzeln in Leinen
gewickelt und den Toten, um ihre "Vollständigkeit" zu gewähren, mit ins Grab gegeben. Diese
entnommenen Organe wurden zunächst wie ein Paket zusammengeschnürt und mit ins Grab
gegeben. Später wurden sie in besondere Gefäße gelegt, die die in Leinen eingewickelten
Eingeweide aufnahmen.
Diese Eingeweidegefäße oder Kanopen bestanden aus vier Einzelgefäßen.
Die ältesten Eingeweidekrüge mit Organen, in Leinen eingeschlagen und in einer Natronlösung,
stammen aus den Gräbern zweier Königinnen aus der 4. Dynastie. In der 6. Dynastie (ca. 2290 bis
2155 v. Chr.) wurden Gipsmumien hergestellt, indem der leinenumwickelte Körper mit einer
dünnen Gipsschicht umgeben wurde. Meistens wurde nicht der ganze Körper mit Gips überzogen,
sondern nur der Kopf.
Im Alten und im Mittleren Reich wurde mit neuen Mumifizierungstechniken experimentiert. Oft
wurden die Organe entfernt, manchmal wurden sie aber auch im Körper belassen oder nur
teilweise entnommen. Die Körperhöhlen wurden mit Leinen und Sägespänen und Nilschwamm
ausgefüllt. Im Mittleren Reich (um 2000 bis 1785 v. Chr.) war es auch noch nicht verbindlich, das
Gehirn zu entfernen. Bei einigen Mumien ist das Hirn entnommen worden, bei anderen nicht.
Bei den Mumien des Mittleren Reiches fällt auf, dass sie – im Gegensatz zur präzisen Wicklung aller
Einzelgliedmaßen im Alten Reich – durch die Verwendung von Unmengen an Leinentüchern ihre
Gestalt verloren. Bis zu 375 m² Leinen wurde für eine einzige Mumie verwendet.
Bei der Mumie des In-em-achet (gefunden in Abusir, heute im Ägyptischen Museum von Berlin)
hat sich das Körpergewebe aufgelöst. Die Organe sind entnommen und der Bauchraum enthält kein
Füllmaterial. Dafür besticht sie durch eine wunderschöne Mumienmaske aus Leinenkartonage:
Hergestellt wurde die Kartonage aus einem Material, das aus mehreren aufeinander geklebten
Leinenlagen besteht, die mit einer Stuckschicht überzogen und so bemalt werden konnten.
Das Gesicht der Mumienkartonage liegt höher als das Gesicht des Verstorbenen, wie eine 3DRekonstruktion des Kopfes von In-em-achet zeigt:
Auch im Mittleren Reich war die Technik der Einbalsamierung noch nicht vollständig ausgereift und
noch keineswegs einheitlich. Unter den Leinenbinden ist nur wenig Körpergewebe erhalten
geblieben. Konserviert wurde das Körpergewebe durch die Verwendung von Natronsalz.
Ich möchte an dieser Stelle unbedingt auf die Forschungen der Biologin und Ägyptologin Frau PD
Dr. Renate Germer vom Archäologischen Institut der Universität Hamburg hinweisen.
In der nächsten Folge wird es um die magische Wiederbelebung und Zusammenführung der
einzelnen Personenbestandteile an Mumien gehen und um das Bestattungsritual im Alten Ägypten.
MAGISCHE
WIEDERBELEBUNG
DER
MUMIEN
–
ASPEKTE
DER
BESTATTUNG
Der Übergang in die jenseitige Existenz wurde durch das Bestattungsritual möglich gemacht,
durch verschiedene Einzelhandlungen zur Grablegung der Verstorbenen. Die einzelnen Phasen
einer Beisetzung sind uns als Bilder aus Beamtengräbern und als Illustrationen des Totenbuchs
erhalten.
Aus dem Grab des Pa-iri in Theben-West, Neues Reich, um 1380 v. Chr.
Die Wandmalerei zeigt die fertig präparierte Mumie in ihrem Sarg. Der Sarg liegt auf einer Bahre,
über ihm befindet sich ein Baldachin. Der Sarg steht auf einem Schlitten, der von Rindern gezogen
und von einem Priester mit Pantherfell begleitet wird.
Schriftliche Informationen über das ägyptische Bestattungsritual stammen aus der Erzählung des
Sinuhe (12. Dynastie, 20. Jahrhundert v. Chr.).
Sinuhe, der als junger Mann nach Palästina geflüchtet ist, erhält im fortgeschrittenen Alter einen
Brief des Pharao, der ihn mit der Aussicht auf ein rituelles Begräbnis nach seinem Tod nach
Ägypten zurückholen will:
Man bereitet Dir eine Nacht mit Salböl und Binden aus den
Händen der Webgöttin.
Man macht Dir einen Leichenzug am Tag Deiner Bestattung.
Der Innensarg ist aus Gold, sein Kopf aus Lapislazuli.
Der Himmel ist über Dir, während Du auf der Bahre liegst.
Rinder ziehen Dich, Chorsänger gehen Dir voran.
Man tanzt den Tanz der Müden am Eingang Deines Grabes ...
Bilder und Texte erzählen also davon, dass ein Trauerzug den Verstorbenen von der
Balsamierungsstätte bis zu seinem Grab geleitet. Diese Gräber lagen gewöhnlich im Westen der
Siedlungen, dort, wo die Sonne untergeht und "stirbt", um am nächsten Morgen wiedergeboren zu
werden.
Die Prozession startet am frühen Morgen von der Balsamierungshalle aus. Gegen Mittag sind die
Teilnehmer/innen, die Totenpriester, Klagefrauen, Verwandte, Freunde, Nachbarn und Kollegen,
am Grab angekommen. Der Tote wird von den Muu-Tänzern empfangen und freudig begrüßt. Ihr
Tanz ist ein Ausdruck der Wiederbelebung des Toten. An der Mumie und dem Sarg wird nun ein
Wieder-Belebungsritual vollzogen, das dem Toten eine andauernde Lebensfähigkeit schenken
sollte, das Mundöffnungsritual. Es fand vor dem Eingang zum Grab statt.
Durch die Mundöffnung (ägyptisch "upet-ra") sollte dem Verstorbenen durch magische Handlungen
und Sprüche der volle Gebrauch seiner Organe und alle seine Sinne zurückgeben werden. Das
Ritual diente dazu, dem Mund des Toten das Sprechen und Essen zu ermöglichen, die Augen,
Ohren und Nase wieder zu aktivieren.
Vor allem sollte das Ritual den Verstorbenen in die Lage versetzen, seine umfangreiche
Grabausstattung (Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände, Luxusartikel) im jenseitigen Leben
benutzen zu können.
Das Mundöffnungsritual war ursprünglich für die Belebung und Beseelung von Statuen gedacht,
aber später wurde es auch an Mumien durchgeführt. Absatz Mit speziellen Geräten aus dem
Bereich des Handwerks (der Holzverarbeitung und der Bildhauerei) wurde der Mund der Mumie,
des mumienförmigen Sarges und der Grabstatue des Verstorbenen berührt. Unter Begleitung von
magischen Sprüchen wurde der Mund so weit geöffnet, dass der Tote Speiseopfer empfangen
konnte.
... Mögen die Gottesworte Dich reinigen,
möge Dein Mund geöffnet werden mit dem Meißel des Ptah.
Deine beiden Augen mögen für Dich geöffnet werden.
Gebracht werde Dir der Bedarf eines Edlen ...
(Aus einem thebanischen Totenspruch)
Eines dieser rituellen Werkzeuge ist das "Fischschwanzmesser", das "Pesesch-kaf", dessen Ende
wie ein Fischschwanz geformt ist.
Ein Fischschwanzmesser aus Feuerstein, 20 cm lang, vorgeschichtliche Zeit. Heute im Roemer- und PelizaeusMuseum Hildesheim.
Eine schöne altägyptische Illustration aus der 19. Dynastie lässt uns das Mundöffnungsritual, das
aus bis zu 75 Einzelhandlungen bestehen konnte, ganz anschaulich im Bild vor Augen treten.
Totenbuch des Hunefer, um 1280 v. Chr., British Museum.
Am rechten Bildrand sehen wir das Grab des Verstorbenen Hunefer, das mit einer Pyramide
geschmückt ist. Davor befindet sich seine abgerundete Grabstele. Im Zentrum des Geschehens
steht die Mumie des Hunefers, die mit dem Gesicht nach Süden vor der Grabanlage aufgerichtet ist
und von einem Priester mit der Maske des Gottes Anubis festgehalten wird.
Vor dem Verstorbenen befinden sich zwei Klagefrauen, die sich als Zeichen der Trauer Asche auf
ihr Haupt streuen. Zwei Priester führen verschiedene Gegenstände zum Mund der Mumie, kugelige
Gefäße zur Reinigung mit Wasser und Weihrauch, einen Schlangenstab und einen Holzdechsel.
Auf der linken Seite sehen wir den Sem-Priester, der ein Pantherfell trägt und in seinen Händen
einen Räuchergegenstand und eine Vase hält. Der Sem-Priester hatte die Aufgabe im Totenkult,
Reinigungen und Räucherungen über die Speise-Opfergaben auszuführen. Vor ihm liegen runde
Opferbrote.
Diese Totenriten wurden vor dem Grab, also im Licht der Sonne und im Angesicht des
Sonnengottes Re, an der Mumie vollzogen, damit der Ba des Verstorbenen nun zum Himmel
aufsteigen konnte. Sein Leichnam ging nach der Beendigung der Totenriten, wozu auch ein rituelles
Speiseopfer- und Tieropfer gehörte (die Vorderschenkel und das Herz eines geschlachteten Rindes
wurden der Mumie dargereicht) sowie Verklärungsriten, in die Unterwelt ein. Das bedeutet, die
Mumie wurde in die Sargkammer getragen, in den Sarg gelegt, die Kanopen wurden gebracht,
Grabbeigaben gestiftet, Vorräte niedergelegt. Anschließend wurde das Grab versiegelt.
Mumie, Grabstatue und der mumienförmige Sarg des Verstorbenen waren durch das Bestattungsund Mundöffnungsritual magisch wiederbelebt worden. Der Tote war nun dazu in der Lage, sein
irdisches Leben im Jenseits fortzusetzen. Dazu benötigte er all diejenigen Dinge, die ihm während
seines Lebens auf Erden zur Verfügung standen, Essen, Trinken, Möbel, Abzeichen seiner sozialen
Stellung. Sie wurden ihm als Grabbeigaben mit auf die Reise gegeben.
Um auch zukünftig Speise- und Trankopfer zu erhalten, schlossen einige Ägypter zu Lebzeiten
Verträge mit Totenpriestern oder Tempeln, um dies abzusichern. Sie wandten sich auch an
zukünftige Besucher/innen der Nekropole und forderten sie mit Texten auf Stelen und Grabwänden
zu einer Opfergabe auf.
Um aber ganz sicher zu gehen, dass auch im Jenseits für das leibliche Wohl der Toten gesorgt war,
wurden in den Gräbern Darstellungen von Speisen in Form von Opferlisten und Scheinspeisen
angebracht und Modelle von Häusern, Kornspeichern, Bäckereien, Brauereien und dergleichen mit
ins Grab gelegt. Miniaturen von Booten sollten die Mobilität des Verstorbenen im Jenseits
garantieren.
Der Tod hatte die Auflösung der verschiedenen Bestandteile des Körpers zur Folge. Darüber hatten
wir beim letzten Mal gehört. Dieser Zerfall der körperlichen Einheit konnte durch die Riten und
Rezitationen in einer neuen Form wiederhergestellt werden. Die auseinander gestrebten
Personenbestandteile sollten in eine neue Beziehung treten und in Verbindung miteinander bleiben.
Die Einheit der Person musste wieder gewonnen werden. Der mumifizierte Körper diente als eine
Art "Anlaufstelle" für die Teile der Persönlichkeit, die sich mit ihm vereinigen konnten, um Kraft zu
tanken, aber auch wieder gehen zu können.
Damit wurde der Tod überwunden und der Eintritt in die jenseitige Welt ermöglicht.
In den nächsten beiden Folgen werde ich darüber berichten, wie die eigentliche Prozedur der
Mumifizierung vor sich ging, welche altägyptischen Zeugnisse es darüber gibt und was nichtägyptische Berichterstatter über die Herstellung von Mumien aussagen.
Die Mumifizierung I
Ich möchte heute und in der nächsten Folge den eigentlichen Mumifizierungsvorgang vorstellen.
Aus dem Alten Ägypten existieren keine Texte oder Bilder, die die Technik der Mumifizierung im
Detail beschreiben. Es gibt kein "Lehrbuch". Wir sind hier auf Darstellungen auf Särgen und an
Grabwänden angewiesen, auf die Untersuchung der erhaltenen Mumien und auf Werkzeuge, die bei
der Mumifizierung eingesetzt worden sind.
Ausführliche Angaben über den Mumifizierungsvorgang in seiner Abfolge stammen von Autoren, die
Ägypten bereist und ihre Beobachtungen aufgeschrieben haben. Über diese nicht-ägyptischen
Quellen werden wir in der nächsten Folge hören.
Heute soll es um die Andeutung der Balsamierung auf altägyptischen Särgen, in Bildzeugnissen aus
Gräbern Ägyptens und um Sprüche aus Totenpapyri gehen.
Ein schönes Beispiel für die Abbildung des ägyptischen Balsamierungsrituals ist die Vorderseite des
Sarges des Died-bastet-iuef-anch ("Die Göttin Bastet sagt, er möge leben") aus der Ptolemäerzeit,
2./1. Jahrhundert v. Chr.
Dieser mumienförmige Sarg ist in El-Hibeh in Mittelägypten gefunden worden und
befindet sich heute im Roemer- und Pelizaeusmuseum in Hildesheim. Er ist 176 cm lang und 49,5
cm breit und besteht aus Sykomorenholz.
(Die Sykomore war eine Erscheinungsform der Baumgöttin, die wiederum Nahrung personifiziert).
An dem Bildprogramm des Sarges lässt sich die Hoffnung auf Wiedergeburt ablesen. Der Sarg als
"Herr des Lebens" oder als "Kasten des Lebens" ist mit dem geflügelten Skarabäus dekoriert, dem
Symbol des verjüngten Sonnengottes am Anfang des Tages).
Detailaufnahme
Einige Register der Sargvorderseite enthalten Ausschnitte aus dem Balsamierungsritual, das
idealerweise an jedem Verstorbenen vollzogen wurde. Im unteren Register sieht man den toten,
nackten Körper, der von zwei Priestern mit Reinigungsflüssigkeit übergossen wird. Das Register
darüber zeigt den Verstorbenen auf einer Löwenbahre liegend. Unter ihm sprießen Pflanzen, die mit
dem Gott Osiris in Verbindung stehen, dem Garant für das sich zyklisch erneuernde Leben und die
Wiedergeburt des Toten. Vor dem Verstorbenen steht ein Priester mit der Maske des Gottes
Anubis, der Binden und einen gebogenen Haken in den Händen hält. Im dritten Bildfeld von unten
sehen wir den bereits mumifizierten und in Binden eingewickelten Körper auf einer Löwenbahre.
Ein Priester mit der Maske des Anubis beugt sich über ihn.
Anubis ist der Gott der Einbalsamierung und wird als schakalähnliches Wesen dargestellt.
Schakale standen von je her in Beziehung zu Toten, weil sie bei den Gräbern auf dem Westufer des
Nils nach Beute suchten. Diese Nähe zu den Verstorbenen veranlasste die Ägypterinnen und
Ägypter dazu, ihnen die Sorge um den toten Körper anzuvertrauen und Gefahr von ihm
abzuwehren. Die Aufgabe des Anubis war es, sich in ritueller Hinsicht um die Verstorbenen zu
kümmern, die Feinde des Osiris während der Totenwache zu vertreiben und beim
Mundöffnungsritual vor der Bestattung zu helfen. Diese Aufgaben wurden gewöhnlich von Priestern
in der Maske des Gottes ausgeführt, was Darstellungen in Gräbern des Neuen Reiches belegen.
Eine dieser Masken ist erhalten und im Besitz des Pelizaeus-Museums in Hildesheim. Die linke
Darstellung im dritten Bildfeld zeigt die Mumie auf einer größeren Bahre.
Über den tatsächlichen Ablauf der Mumifizierung sagen die Bilderfelder des Sarges nichts aus.
Bildliche Darstellungen in den Gräbern lassen vermuten, dass der Verstorbene von seinem
Wohnhaus in die Nekropole gebracht wurde, in das "Reinigungszelt", ägyptisch Ibu. Um an diesen
Ort zu gelangen, muss der Tote den Nil überqueren. Seine Überfahrt in einem Boot ist der
lebensverjüngenden Fahrt des Sonnengottes Re nachempfunden. Bei dieser überfahrt wird der
Verstorbene von zwei klagenden Frauen beweint, die die Göttinnen Isis und Nephthys und ihre
Trauer um den toten Osiris symbolisieren.
Das Ibu lag am Wasser. Hier wurde der Körper ausgezogen und gewaschen, mit einer Mischung
aus Nilwasser und Natron. Danach wurde die gereinigte Leiche in das Per-Nefer, das "schöne
Haus", gebracht, wo die eigentliche Mumifizierung stattfand.
Das Gehirn wurde durch die Nase entfernt, die Eingeweide durch einen Schnitt in die Körperseite
entnommen. Die verbleibenden Weichteile und Körperflüssigkeiten wurden in einer Lauge aus
Natron und Harz aufgelöst und anschließend rektal entfernt.
Das Herz erfuhr eine gesonderte Behandlung: Es wurde bandagiert und dem toten Körper wieder
zurückgegeben. Das Herz als Sitz des Verstandes, der Erinnerung und der Gefühle durfte auf gar
keinen Fall in der Unterwelt gestohlen werden oder verloren gehen. Es musste beim Göttergericht
im Jenseits die moralische Aufrichtigkeit seiner Trägerin/seines Trägers bezeugen. Das Totenbuch
zeigt viele Darstellungen, bei denen das Herz des Verstorbenen gegen eine Feder, die die Göttin
Maat darstellt, aufgewogen wird. Neben der Waage sitzt das Monster Ammit, sofort bereit, das
Herz zu verschlingen, falls das Ergebnis negativ ist. Dem Verstorbenen würde in diesem Fall der
Eingang ins Jenseits für immer verschlossen bleiben. Den Verstorbenen wurde ein Herzskarabäus
mitgegeben, der ihnen über diesen kritischen Moment im Gericht hinweghelfen und das Herz daran
hindern sollte, einen negativen Ausgang zu verursachen.
Nach der mehrwöchigen Austrocknung des Körpers wurde der auf Haut und Knochen reduzierte
Leichnam wieder aufgebaut. Die getrocknete Haut wurde mit Ölen einmassiert, um einen Teil der
Elastizität wieder zu gewinnen. Das Innere des Körpers wurde ausgefüllt mit Harzen, Stoffen,
Gummi arabicum, Holzwolle. Künstliche Augen wurden eingesetzt, der Körper geschminkt, der Kopf
mit einer Perücke versehen. Über den Schnitt an der linken Seite wurde ein Horusauge (Udjatauge)
gelegt, durch welches der Schnitt magisch geheilt wurde.
Der letzte Schritt der Mumifizierung war das Einwickeln des Körpers in feste Bandagen. Danach
wurde dem Toten die Totenmaske aufgesetzt, wodurch der Ka und der Ba den Toten erkennen
konnten.
Aus dem Verstorbenen ist nun eine Mumie geworden, die "mit Zauber angefüllt" ist, ein sachu, ein
verklärtes Machtwesen. Aber nicht nur die chemische Behandlung des Verstorbenen war wichtig.
Entscheidender waren die Rezitationen, die der Vorlesepriester während der Arbeiten der
Balsamierer über den Toten sprach. Sprache und Handlung standen in engem Bezug zueinander:
Sprüche, in denen die Göttinnen und Götter selbst den Toten wieder zusammenfügen, begleiteten
die
Einbalsamierungshandlungen.
"Anubis und Horus richten deine Balsamierung schön her,
Thoth macht deine Glieder heil durch den Zauber seiner Aussprüche ...
Dein Kopf kommt zu dir, damit er nicht fern von dir sei.
Er tritt zu dir und trennt sich nicht von dir in Ewigkeit."
Über die ausführliche Schilderung griechischer Schriftsteller über die Herstellung einer Mumie
berichte ich beim nächsten Mal.
Die Mumifizierung II, die griechische Sicht
Eine wesentlich genauere Schilderung des Mumifizierungsvorgangs geben uns griechische
Schriftsteller,
allerdings
erst
Jahrhunderte
nach
der
Blütezeit
der
altägyptischen
Balsamierungskunst, die in der Zeit der 18. bis 21. Dynastie ihren Höhepunkt erreichte.
Der Grieche Herodot, der um 450 v. Chr. das Land Ägypten bereiste und seine Eindrücke
schriftlich festhielt, berichtet folgendes:
"Nach der Totenklage ... bringen sie den Toten zur Einbalsamierung. Es gibt Leute, die
sich zu diesem Zweck niedergelassen haben und diese Kunst als erblichen Besitz
ausüben."
Der Tod eines Familienmitgliedes wurde öffentlich und mit großer Emotionalität beklagt. Die Frauen
streuten Asche auf ihre Köpfe und Gesichter und entblößten ihre Brüste. Die Männer schlugen sich
selbst und rissen sich ihre Kleider vom Leib.
Nach dieser Phase der öffentlichen Trauer wurde der Verstorbene den Einbalsamierern übergeben,
an Spezialisten, die den Körper für die Ewigkeit herrichten sollten. Ihre Werkstätten befanden sich
außerhalb der Ortschaften und mussten direkt am Wasser gelegen sein, um die Leiche ausreichend
reinigen zu können. Außerdem zwang das Geruchsproblem zu einer Ansiedlung des
Balsamierungsstandes vor die bewohnten Ortschaften.
Die Angehörigen brachten auch die Kanopengefäße mit in die Balsamierungsstätte, die die inneren
Organe des Toten aufnehmen sollten. Und sie hatten große Mengen von Leinen zum Einwickeln des
Körpers zur Verfügung zu stellen. In der Regel gab es keine speziell für den Totenbereich gewebten
Leinenbinden. Es wurden bereits benutzte Kleidungsstücke, Bettücher und Handtücher verwendet,
die in Streifen gerissen wurden.
Im Per-Nefer (dem "schönen Haus", dem Ort der Mumifizierung) wurden den Angehörigen drei
verschiedene Mumifizierungsmethoden angeboten, unter denen sie wählen konnten und die ganz
unterschiedliche Preise hatten. Herodot hat nachfolgend die teuerste Methode der Mumifizierung
beschrieben, welche angeblich bei Osiris selbst angewendet worden ist:
"Das ist ihre beste Methode der Einbalsamierung. Zuerst ziehen sie mit einem
gekrümmten Eisendraht das Gehirn durch die Nasenlöcher heraus. Wenn sie alles
herausgenommen haben, tröpfeln sie eine harzige Flüssigkeit hinein."
Der tote Körper wurde auf einen Arbeitstisch aus Holz oder Stein gelegt. Dieser hatte eine leichte
Neigung oder eine Rinne, damit die Körperflüssigkeiten und das Wasser, mit dem er gereinigt
wurde, ablaufen konnten.
Eisendraht wurde nicht benutzt, wie Herodot angibt, sondern Bronzehaken bis zu 40 cm Länge.
Drei Haken zur Entfernung des Gehirns. Spätzeit, Bronze. Heute im Rijksmuseum von Oudheden,
Leiden.
Diese Instrumente hatten ein gebogenes Ende, das nadelartig bis schneckenförmig aufgerollt sein
konnte. Damit wurde die Siebbeinplatte im Schädelinneren durchstoßen und der Zugang zum
Gehirn freigemacht. Die auch gebräuchliche Technik, das Gehirn durch das Hinterhauptloch des
Schädels zu entfernen, beschreibt Herodot nicht.
Nach der Entnahme des Gehirns wurde Salböl in den Schädel eingeflößt, wo es unter Ausbildung
eines Oberflächenspiegels erstarrte. Dieses Salböl besteht überwiegend aus Koniferenharzen,
Bienenwachs und mit Pflanzen aromatisierten Ölen, gelegentlich aus Bitumen.
Als nächsten Schritt beschreibt Herodot die Entnahme der Eingeweide aus dem Brust- und
Bauchraum:
"Dann schneiden sie mit einem scharfen äthiopischen Stein [aus Obsidian] den Leib an
den Weichteilen und holen die Eingeweide heraus. Wenn sie es aber gereinigt und mit
Palmwein ausgespült haben, behandeln sie es noch mal mit zerriebenem Räucherwerk.
"
Herodot unterscheidet hierbei zwei Kategorien von Einbalsamierern, die Paraschistes (die
Einschneider) und die Taricheutes (die Einleger). Nur das Herz wurde nach der Mumifizierung
wieder zurück in den Körper gegeben. Die übrigen Eingeweide wurden mit Natronsalz behandelt, in
Leinentücher gewickelt und die einzelnen Eingeweidepakete in den Kanopenkrug gelegt, der für das
entsprechende Organ vorgesehen war.
Herstellung von Kanopen und Uschebtis. Aus einem thebanischen Grab aus dem Neuen Reich.
"Danach überhäufen sie die Leiche mit Natron für 70 Tage, aber nicht länger, und dann
ist die Mumie fertig. Nach 70 Tagen waschen sie den Leichnam und wickeln ihn in feine
Bandagen und tragen darüber Harz auf."
Zunächst wurde der Körper mit Natronsalz behandelt. Es wurde wohl kein flüssiges Natron benutzt,
in das der Körper eintauchte. Man weiß heute, dass trockenes Natronsalz in Säckchen gefüllt und
in den Körper eingefüllt wurde und auch um ihn herum geschichtet wurde. Das hatte den Vorteil,
dass feucht gewordenes Salz ohne Problem ausgetauscht werden konnte. Natron ist eine natürlich
vorkommende Verbindung von Natriumkarbonat und Natriumhydrogenkarbonat, das dem
Körpergewebe Wasser entzieht. Natron kam im Altertum in großen Mengen am Ufer mehrerer alter
Seen vor, vor allem an jenem des Wadi en-Natrun, war aber auch anderswo zu finden. Natron
wurde hauptsächlich für Reinigungszwecke, sowohl im Alltag als auch im religiösen Bereich,
verwendet. Es gab zahlreiche Rituale, bei denen Natron eine wichtige Rolle spielte, darunter die
Mumifikation. Es wurde auch zur Herstellung von Weihrauch, Glas und Glasuren verwendet.
Diese Behandlung mit Natron dauerte 35 bis 40 Tage. Danach wurde die ausgetrocknete Haut mit
verschiedenen Ölen wieder geschmeidig gemacht. Als letzter Schritt des Einbalsamierungsvorgangs
wurde die entleerte Leibeshöhle nach der Organentnahme aufgefüllt. Dazu wurde Leinen oder
Sägespäne verwendet, auch Nilschlamm oder Eichenmoos, Holzwolle und Häcksel. In die
Augenhöhlen wurden Zwiebeln oder Leinenbäusche oder künstliche Augen aus Halbedelsteinen
gegeben, weil auch die Augenäpfel durch die Behandlung mit Natronsalz stark schrumpften. Zum
Schluss wurde der Einschnitt in die Bauchdecke mit einen Leinenpfropf verschlossen. Nun konnte
die Mumie durch Amulette geschützt werden. Über die Funktion der Amulette zum magischen
Schutz der Mumie berichte ich in der nächsten Folge. Abschließend wurde die Mumie wurde nun
kunstvoll eingewickelt, was 10 bis 15 Tage dauerte.
[...] Schließlich geben sie den Körper der Familie zurück, die ihn in einen Sarg legt,
bevor sie ihn, aufrecht an die Mauer angelehnt, im Grab einsperrt.
Etwa vierhundert Jahre nach Herodot beschrieb der griechische Historiker Diodorus Siculus die
ägyptischen Balsamierungstechniken. Nach eigenen Angaben bereiste er Ägypten in den Jahren 60
bis 57 v. Chr. Diodorus überliefert uns, dass die Paraschistes (die Einschneider) den toten Körper
aufgeschnitten haben und dann von den Taricheutes (den Einlegern) rituell verjagt wurden, die ihre
Arbeit fortsetzten.
Nachdem die Bauchhöhle des Verstorbenen geöffnet worden war, ging die Mumifizierung laut
Diodorus wie folgt weiter:
" [...] einer von ihnen steckt seine Hand in die Brust der Leiche und nimmt außer Herz
und Nieren alles heraus. Ein anderer wäscht jedes Organ mit Palmwein und Weihrauch.
Schließlich, nachdem sie den ganzen Körper gewaschen haben, behandeln sie ihn 30
Tage lang sorgfältig mit Zedernöl und anderen Dingen, und dann mit Myrrhe, Zimt und
Gewürzen
[...]
Dann geben sie die Leiche der Familie zurück und jedes Glied ist so perfekt erhalten,
dass sogar die Wimpern und die Augenbrauen noch vorhanden sind. Das ganze
Aussehen des Körpers ist unverändert und die Gesichtszüge sind erkennbar."
Auch die preiswerte und weniger arbeitsintensive Methode, einen Körper für die Ewigkeit zu
präparieren, überliefert Diodorus:
"Die Einbalsamierer füllen ihre Spritzen mit Zedernöl auf und geben es dann in den
Unterleib. Sie schneiden den Rumpf nicht auf und nehmen die Organe nicht heraus,
sondern spritzen das Öl durch den Anus, der dann zugestopft wird. Dann mumifizieren
sie den Leichnam so lange, wie es vorgeschrieben ist, und lassen dann das Öl wieder
heraus fließen. Dabei werden die Organe in flüssiger Form herausgespült."
Nach so viel Technik möchte ich in der nächsten Folge die verschiedenen Amulette und ihre
Wirkung vorstellen und die Uschebtis, die "Arbeiter fürs Jenseits", die den Verstorbenen mit ins
Grab gegeben wurden.
Ausgewählte Amulette und Grabbeigaben
Im Leben der Ägypterinnen und Ägypter spielten Amulette eine wichtige Rolle. Sie sollten Böses
abwehren und vor allen Gefahren schützen. Sie wurden an einem Golddraht oder einem Faden am
Hals getragen, am Handgelenk oder in Ringe eingefasst.
Dieser magische Schutz sollte auch die Verstorbenen begleiten: man gab ihnen Amulette mit auf
den Weg ins Jenseits. Je nach der sozialen Stellung des Toten waren sie unterschiedlich zahlreich
und von unterschiedlicher Qualität.
Ein beliebtes Amulett war das Udjat-Auge, das über den Schnitt am Unterbauch gelegt wurde, aus
dem die Organe entnommen worden waren.
Es galt als Auge des Osiris-Sohnes Horus, das er im Kampf mit Seth verlor. Er erlangte später sein
Auge heil und gesund wieder zurück (udjat = "intakt, vollständig, gesund"). Dieses Auge wurde das
Symbol für alles, was mit Vervollständigung und Heilung zusammenhing, war aber auch mit
Schutz, Vollkommenheit und Macht verbunden.
Daher war das Udjat-Auge eines der häufigsten Amulette, ein apotropäisches Symbol als Schutz
gegen den Bösen Blick und in einem weiteren Sinne gegen alle vorstellbaren Gefahren. Als
unabhängig funktionierendes Wesen konnte das Auge teilweise personifiziert und mit Armen oder
Flügeln versehen werden. Was seine äußere Gestalt anbetrifft, ist das Udjat-Auge ein Mischwesen.
Die Form und die Augenbraue stammen vom menschlichen Auge, während die Linien darunter der
Zeichnung eines Falkenauges entsprechen. Als Auge des Horus war es ursprünglich das Mondauge
bzw. das linke Auge des Himmelsgottes, aber die meisten Amulette bilden das rechte Auge ab, das
ursprünglich das Sonnenauge des Re war. Dies beruhte teilweise auf der Beziehung, die die
Ägypterinnen und Ägypter zwischen rechts und positiven und guten Dingen herstellten. Weiterhin
ist die Sonne viel mehr als der Mond das Symbol des eigentlichen Sieges, weil sie an jedem Morgen
die nächtliche Dunkelheit besiegt hat.
Sprüche aus dem Totenbuch nennen die Materialen, aus denen ein Amulett hergestellt werden
sollte, an welcher Stelle der Mumien es anzubringen war und in welchem Stadium der
Mumifizierung dieses zu geschehen hatte.
In der 26. Dynastie wurde der gesamte Mumienkörper mit kleinformatigen Amuletten belegt, jedes
hatte seinen festgelegten Platz auf der Mumie. Die meisten von ihnen waren aus blau-grüner
Fayence gefertigt.
Fayence besteht zu über 90% aus Quarz, das in Sand und zerstoßenem Quarzit vorkommt. Ein
Alkali, wie etwa Natron, wurde dann zugesetzt, hinzu kam etwas Kalk und ein Farbstoff, gewöhnlich
zerkleinertes Kupfer. Letzteres gibt der Fayence ihre typische blaugrüne Farbe. Wasser wurde
hinzugefügt, um eine Paste herzustellen, die von Hand oder in einer Form modelliert werden
konnte.
Fayence wurde in erster Linie wegen ihres symbolischen Wertes geschätzt. Sie wurde als eine
Manifestation des Lichtes betrachtet. Das ägyptische Wort für Fayence ist tjehenet = "das
Glänzende".
Fayence ist vor dem Brennen stumpf und farblos, danach aber glänzend und von leuchtender
Farbe. Die Ägypter verbanden dies mit der Auferstehung der Sonne von den Toten und mit dem
Licht, das für den Verstorbenen in seinem Grab so unentbehrlich war. Die leuchtend grüne Farbe
wurde ebenfalls mit der Regeneration in Verbindung gebracht.
Bevor ein Gegenstand gebrannt wurde, konnte er entweder mit schwarzer Farbe oder durch das
Einritzen von Mustern verziert werden. Es war auch möglich, Einlagen aus einer weiteren Fayence
hinzuzufügen, die beim Brand eine andere Farbe erhielt.
Die Amulette konnten auch auf die Leinenschichten der bereits gewickelten Mumien aufgenäht
werden. Beliebt waren hierbei Amulette in Form von Göttertriaden (Familiendarstellungen mit
Göttin und Gott und ihrem Sohn), geflügelte Skarabäen, der Djed-Pfeiler und die vier Horussöhne,
die Beschützer der vier Eingeweidegefäßen, den Kanopen.
Der Djed-Pfeiler (unten in der Abbildung rechts und links) besteht aus einer breiten Säule mit drei
oder vier horizontalen Querstreben am oberen Ende. Ein Text im Totenbuch erklärt, dass der Djed-
Pfeiler das Rückgrat des Osiris darstelle. Die ursprüngliche Bedeutung ist unklar, er symbolisiert
Dauer und Stabilität. Er wurde oft als Amulett, häufig aus Fayence, aber auch aus anderen
Materialien, verwendet. Das Totenbuch schreibt vor, dass ein goldener Djed-Pfeiler um den Hals
der Mumie gelegt werden muss.
Um die jenseitige Existenz der Verstorbenen so angenehm wie möglich zu machen, wurden ihnen
menschenförmige Figürchen mit ins Grab gegeben, die Uschebtis.
Spätzeitliche Uschebtis aus Fayence, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Diese "Antworter" sollten Arbeitsleistungen im Jenseits für den Verstorbenen verrichten, vor allem
Feldarbeit, von der auch Pharaonen nicht ausgeschlossen waren. Die Stellvertreter waren mit dem
Namen des Grabherrn beschriftet und hatten folgenden Text aufgebracht:
"O Uschebti, wenn ich gerufen werde, irgendeine Arbeit zu tun,
die im Totenreich geleistet wird ...
Dann sollst Du sagen: Ich will es tun, hier bin ich."
Ein Uschebti ist wie eine Mumie gestaltet, beide Arme sind über der Brust gekreuzt, aus der
Mumienhülle ragen Handwerkszeuge für den Ackerbau heraus, Hacke und Dechsel. Uschebtis
bestehen
aus unterschiedlichen Materialien wie Schiefer, Stein, Kalk, Holz, Ton und besonders Fayence.
Seit dem Neuen Reich hat man bis zu 365 Uschebits mit ins Grab gelegt, je nach dem Geschlecht
der Verstorbenen gab es männliche und weibliche "Antworter" und "Antworterinnen", die die
Jenseitsarbeit erledigten. Dazu kamen noch Aufseherfigürchen.
Der Eingang ins Jenseits beschränkte sich aber nicht nur auf Menschen. Auch Tiere wurden
aufwändig mumifiziert und mit Grabbeigaben ausgestattet. Mehr zu den Tiermumien in der
nächsten Folge.
MUMIFIZIERTE TIERE
Welche Bedeutung Tieren und deren Verehrung zukam, haben wir in der Kolumne "Gottheiten in
Tiergestalt im Alten Ägypten" gesehen.
Besonders in der griechisch-römischen Zeit nahmen die Tierkulte in Ägypten zu. Nicht nur ein
Einzeltier wurde als lebende Verkörperung eines Gottes oder einer Göttin betrachtet, sondern die
ganze Art galt als heilig.
Je nach Region wurden sehr unterschiedliche Tiere verehrt. Sie lebten überwiegend in den Tempeln
des Landes. Nach ihrem Tod erhielten sie ein Begräbnis in unterirdischen Tierfriedhöfen, die den
Tempeln angegliedert waren.
Die Körper verstorbener Tiere wurden zum Teil mit derselben Sorgfalt einbalsamiert wie die eines
Menschen. Dadurch, dass ein Tier, das eine spezielle Gottheit repräsentierte, mumifiziert wurde,
konnten auch Menschen aus der einfachen Bevölkerung als Auftraggeber in direkten Kontakt zu der
Gottheit treten.
Der Apis-Stier,
ursprünglich die Verkörperung des Gottes Ptah, des Schöpfergottes des Stadt Memphis in
Unterägypten, ist ein Beispiel solcher heiligen Tiere.
Seine Auswahl wurde von der Existenz bestimmter körperlicher Merkmale abhängig gemacht, von
denen es einigen klassischen Autoren zufolge insgesamt 29 gab. Eines der wichtigsten
Auswahlkriterien war ein weißes Dreieck auf der Stirn und schwarze Markierungen auf dem Körper,
von denen eine, Herodot zufolge, wie ein Adler geformt sein musste.
Der Apis-Stier lebte im so genannten Apieion im südlichen Teil des Tempels des Ptah in Memphis.
Hier wurde er der Bevölkerung gezeigt und seine Bewegungen wurden als Orakel gedeutet. Der
Stier wurde auch während Festprozessionen zur Schau gestellt. Dieser "Apislauf" ist seit frühesten
Zeiten bekannt. Der Zweck war, den Feldern Fruchtbarkeit zu verleihen. Der Apisstier lebte bis zu
seinem Tod im Tempel und wurde von einem Priester versorgt, der sich ausschließlich um sein
Wohlergehen bemühte. Nach dem Tod des Apisstieres wurde er mumifiziert und im Serapeum
begraben, der Begräbnisstätte der Apisstiere in Sakkara, einem unterirdischen Komplex mit
Tunneln nordwestlich der Stufenpyramide des Djoser. Von der 18. Dynastie an bis mindestens in
ptolemäische Zeit wurden dort Stiere in schwarzen Granitsarkophagen bestattet, mit ungefähr 4 m
Länge, 2,5 m Breite und 3 Metern Höhe. Die Mumifizierung war so aufwendig wie die eines
Menschen. Ein Teil des Mumifizierungsrituals für die Apisstiere ist in einem demotischen Papyrus
erhalten.
Krokodile,
die dem Gott Sobek heilig waren, wurden in eigenen Friedhöfen an den Hauptkultstätten des
Gottes
beigesetzt,
in
der
Oase
Fayum
und
in
Kom
Ombo
in
Oberägypten.
Eine Felsenhöhle unweit des heutigen Assiut birgt Särge und Kartonagen von ausgewachsenen
Krokodilen und bis zu achtzig kleinerer Tiere sowie Krokodil-Eier, die in Körben verpackt sind.
Herodot berichtet:
Um Theben und um den Moeris-See wird besonders das Krokodil als heilig verehrt. Jede Region
wählt ein Krokodil aus und pflegt es. Das Tier wird gezähmt. Man hängt ihm Anhänger aus
Glasfluss und Gold in die Ohren und legt ihm Armbänder um die Vorderfüße. Solange es lebt, gibt
man ihm besonderes Futter und hegt es. Ist es tot, wird es einbalsamiert und in einer geweihten
Grabstätte beigesetzt.
Hunde
Kartonage mehrerer Hundemumien, römische Zeit, Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim.
Hunde erhielten teilweise Miniatursarkophage aus Kartonage, einem Material, das vor allem zur
Herstellung von Totenmasken und Särgen in der Spätzeit diente. Es wurde angefertigt, indem man
mehrere Papyruslagen aufeinander klebte und das Ergebnis mit einer Stuckschicht überzog, die
bemalt werden konnte. Dieses Material war billiger als Holz und wurde daher häufig verwendet.
Diese Kartonage hat das Gesicht eines Hundes. Auf der Vorderseite sind Anubis abgebildet (rechts)
und links als weißer Hund vermutlich Upuaut.
Anubis war der Gott der Einbalsamierung, als schwarzer Hund oder Schakal dargestellt, manchmal
auf einem Schrein liegend oder als Mann mit Schakalkopf. Upuaut war ebenfalls ein Gott in Gestalt
eines Schakals oder Wüstenfuchses. Seine Name ("Öffner der Wege") ist mit seiner Funktion
verbunden: bei Götterprozessionen war seine Standarte die erste. Upuaut hatte auch in Abydos
einen Kult, der mit dem des Osiris verbunden war; er trägt den Titel "Herr der Nekropole", was auf
eine Funktion bei der Bestattung hinweist. In diesem Kontext wird er als derjenige betrachtet, der
für den Verstorbenen den Weg durch die Unterwelt vorbereitet.
Auch Haustierfriedhöfe sind gefunden worden. Im Tal der Könige hat Pharao Amenhotep II.
Paviane, Ibisse und Gazellen bestatten lassen. Mäuse, Schlangen, Katzen, Skarabäen, Fische und
Vögel erhielten eine Einbalsamierung.
Falken
Wurden oft in einem kleinen Sarg beigesetzt. Waren die Vögel zu groß für die vorgesehenen Särge,
wurden ihre Federn umgebogen.
Mumifizierte Falken, ptolemäische Zeit, Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim.
Ibisse
In Tuna el-Gebel, der südlichsten Nekropole des antiken Hermopolis Magna auf dem Westufer des
Nil nahe bei der heutigen Stadt Mallawi in Mittelägypten, fand man einen Friedhof mit über 4
Millionen Mumien und Überresten von Ibissen. Siehe dazu die Seite des Instituts für Ägyptologie in
München unter http://www.fak12.uni-muenchen.de
Der Ibis war das heilige Tier des Gottes Thoth, des Schreibers der Götter. Einige mumifizierte
Körper dieser Vögel wurden mit Leinenbinden umwickelt. Die aufwendig gearbeiteten Ibismumien
trugen manchmal einen Ibiskopf mit Krone aus vergoldetem Holz, einige Vogelmumien wurden in
kleinen Holzsärgen beigesetzt. In der Regel wurden die Ibisse aber in Tonkrügen mit Deckeln
beigesetzt.
Beim nächsten Mal lernen wir die wunderschönen Mumienporträts im römischen Ägypten kennen.
MUMIENPORTRAITS AUS RÖMISCHER ZEIT
Unter römischem Einfluss (1. bis ca. Anfang des 4. Jahrhundert n. Chr.) entstanden in Ägypten die
sog. Mumienportraits.
Es handelt sich hierbei um Bildnisse von Verstorbenen, die auf isolierte Holztafeln – in
Ausnahmefällen auf Leinentüchern – gemalt und auf der Mumie über dem Kopf der Verstorbenen
angebracht wurden.
Das Bildnis des Verstorbenen wurde auf eine Holztafel gemalt, die man in die Mumienbinden
einfügte, in die Kopfbandage. Das wirkte so lebendig und präsent, als würde das Gesicht aus dem
mumifizierten Körper herausschauen. Die dargestellten Gesichter blicken frontal, ihre Augen sind
weit geöffnet.
Weltweit gibt es ca. 1000 Mumienportraits in verschiedenen Museen und Sammlungen, die durch
ihre Lebendigkeit und ihren Ausdruck bestechen. Die Mehrzahl der erhaltenen Exemplare stammt
aus Gräbern der unterägyptischen Oase Fayum. Hier hat eine multikulturelle Gesellschaft gelebt,
mit griechischen und jüdischen Einflüssen, unter römischer Herrschaft auch Einflüssen weiterer
Kulturen.
Die Mumienportraits sind eine Kombination aus altägyptischer Tradition (die Weiterverwendung der
Mumifizierung und die Verwendung von ägyptischen Themen als Dekoration der Mumie) und
römischen Elementen, nämlich der naturalistischen Darstellung des Verstorbenen in Alltagskleidung
und mit Schmuck.
Mumienportraits ersetzten die älteren ägyptischen
Gesichtszügen. Individualität war gefragt.
Mumienmasken
mit
ihren
idealisierten
Die Mumienportraits der römischen Zeit bilden die umfangreichste Sammlung der erhaltenen
klassischen Malereien. Sie wurden in den meisten Fällen von den Mumienumhüllungen entfernt, mit
denen sie gefunden wurden. Das gemalte Portrait als Bildtafel sollte im Vordergrund stehen.
Mumie mit Portraittafel, 145 cm lang, National Museum of Ireland.
Dieses außergewöhnlich feine Portrait einer jungen Frau ist unversehrt auf dem eingewickelten
Leichnam erhalten geblieben. Die Frau trägt Ohrringe und eine typische Frisur für das späte erste
Jahrhundert n. Chr. Besonders die Frauenbildnisse können nach den jeweiligen "Modefrisuren"
datiert werden. Die Portraits wurden entweder in Temperatechnik oder in Wachsmalerei
ausgeführt, mit Wachs, dem Pigmente beigemischt wurden – im Effekt ähnlich einem Ölbild. Diese
Technik heißt "Enkaustik-Malerei" (aus dem Griechischen für "einbrennen" oder "dem Feuer
aussetzen"). Dabei werden die in Bienenwachs eingebundenen Farbpigmente mit heißen
Werkzeugen auf einen Untergrund aufgetragen. Ein Spachtel wurde über einem Holzkohlefeuer
erhitzt, um die Bienenwachsfarben noch flüssig auf die Holztafeln aufzutragen.
Die Mumien konnten auch von einer bemalten Kartonage umgeben sein, die aus Leinen oder
wieder verwendetem Papyrus bestand.
Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim
162 cm lang, mit den Farben gold, purpur, schwarz und ocker
Die vollständig erhaltene Kartonagenhülle zeigt das Mumienportrait einer Frau, deren Gewand mit
verschiedenen Clavi (Streifen auf der Vorder- und der Rückseite eines Untergewandes, eines
Chitons) besetzt ist. In den Händen hält sie einen Totenstrauss und ein Ährenbündel. Sie trägt viele
Schmuckstücke: Fingerringe, zwei Schlangenarmbänder, einen steinbesetzten Halskragen mit
Anhänger und einen Kranz aus Blüten im Haar.
Die Mumien mit ihren Portraits wurden größtenteils im Haus der Verstorbenen aufgestellt und
dienten als Erinnerungsbilder. Auf diese Weise waren die Toten gegenwärtig und konnten
unmittelbar verehrt werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug damals lediglich 30
Jahre. Die meisten der Verstorbenen sind daher jugendlich dargestellt, nur wenige sind in höherem
Alter mit Falten und grauem Haar wiedergegeben.
Abgesehen von den Portraits, die auf Holz gemalt wurden, gab es in der römischen Zeit
Totenmasken aus bemaltem und stuckiertem Karton oder Gips. Die Tradition ist rein ägyptisch,
aber der Stil leitet sich aus der Kunst des griechisch-römischen Portraits ab. Diese Masken stellen
den Kopf oder das Oberteil des Körpers des Verstorbenen mit über der Brust gefalteten Händen
dar. Schmuck, Kronen und Blattwerk sind dekorative Beifügungen.
Diese Gipsmaske (Höhe 26,5 cm) zeigt einen Mann mit ovalem Gesicht. Die großen und leicht lang
gezogenen Augen sind eingelegt. Er trägt eine Krone aus Pflanzen, die den Sieg über den Tod
symbolisiert.
In der nächsten und letzten Folge werfen wir einen Blick auf die Menschen hinter den Portraits:
Untersuchung an Mumien mit Hilfe der Computertomographie.
MUMIEN IM ZEITALTER DES COMPUTERS
Was befindet sich unter den Mumienbinden, in welchem Zustand ist die Mumie, ist sie vollständig
erhalten, kann man die Todesursache feststellen? Wie alt wurde der mumifizierte Mensch und
welche Krankheiten hatte er? All diese Fragen waren bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht zu klären,
ohne die kunstvoll angelegten Leinenbandagen zu zerstören.
Um in das Innerste einer Mumie sehen zu können, ohne die Leinenbinden aufzuschneiden, wurden
bereits 1896 die gerade entdeckten Röntgenstrahlen eingesetzt. Die Mumie eines Kindes wurde so
das erste Mal unbeschädigt untersucht, genauer gesagt, ihr Kniegelenk. Ebenso gehörte der Kopf
einer Katzenmumie zu den ersten altägyptischen Objekten, die mit Hilfe von Röntgenstrahlen
Einblicke in eine Mumie geben konnte, ohne diese auszuwickeln.
Die Röntgenstrahlen, mit denen die Knochen sichtbar gemacht werden, ermöglichen Aussagen über
das ungefähre Lebensalter des Mumifizierten. Am Skelett lässt sich das Geschlecht ablesen,
Amulette und beigegebene Totenpapyri werden sichtbar. Die Armhaltung der durchleuchteten
Mumie gibt Hinweise auf die Zeit, in der eine Mumie entstanden ist, da sie in den verschiedenen
Epochen unterschiedlich war. Und am Röntgenbild lassen sich erste Hinweise auf die angewendete
Mumifizierungstechnik ablesen: War das Gehirn entfernt worden?
Man erhielt ein zweidimensionales Bild von den Menschen hinter den Bandagen.
Vor knapp 50 Jahren wurde die Computertomographie (CT) entwickelt, die mit Hilfe eines
Computers das Bild des mumifizierten Körpers (auch mit seinem Sarg) rekonstruieren kann. Die CT
arbeitet mit einer Röntgenröhre und einem Film und erlaubt eine Querschnittsaufnahme durch den
Körper der Mumie, die in Schichten durchgeführt wird. Dabei kann nicht nur das Skelett, sondern
auch Eingeweide und Gewebe dargestellt werden. Die gewonnenen Daten können als Röntgenbild
oder als 3D-Bild sichtbar gemacht werden, das ein Computer berechnet und dann am Bildschirm
zeigt.
Artemidoros ("das Geschenk der Artemis"), British Museum, London. Entstanden zwischen 100 und
120 n. Chr., gefunden in Hawara, mit einer Höhe von 171 cm
Der mumifizierte Leichnam des Artemidoros liegt in einem dunkelroten Stucksarg mit Verzierungen
aus Blattgold. Das Mumienportrait ist in den Sarg integriert und zeigt einen jungen Mann im
Dreiviertelprofil. Es ist in Eukaustik-Technik gemalt und zeigt griechische, römische und ägyptische
Einflüsse.
Unter dem Portrait befindet sich ein Goldkollier mit Falken an den beiden Enden. In den Registern
darunter sind klassische altägyptische Bestattungsszenen dargestellt. Die Identität des Toten ist in
griechischen Buchstaben wiedergegeben, durch den Gruß "Lebe wohl, Artemidoros".
Die Mumien konnten auch von einer bemalten Kartonage umgeben sein, die aus Leinen oder
wieder verwendetem Papyrus bestand.
Das Skelett des Artemidoros in Vorder- und Seitenansicht
Das Knochengerüst ist vollständig erhaltenen, die Brustwirbelsäule ist verschoben, am Brustkorb
sind Beschädigungen zu erkennen. Der Kopf der Mumie ist nach vorne geneigt, die Knochen im
Nasenbereich verletzt.
Der Hinterkopf des Artemidoros in der dreidimensionalen Computerrekonstruktion
Zu sehen sind Längsfrakturen am Schädel, die nicht verheilt sind. Artemidoros ist an diesen
Kopfverletzungen vermutlich gestorben. Er wurde zwischen 18 und 21 Jahre alt.
Hiermit sind wir am Ende der Reihe angekommen. Wir haben gesehen, welche Anstrengungen die
Alten Ägypterinnen und Ägypter unternommen haben, um den menschlichen Körper über den Tod
hinaus zu konservieren. Wir haben von ihrer religiösen Motivation und von der Notwendigkeit
gehört, Körper für die Ewigkeit herzustellen. Wir haben heute nicht nur Mumien, Mumiensärge,
Kartonagen und Mumienportraits vor uns. Uns ist auch durch – nicht invasive – Techniken aus dem
medizinischen
Bereich
ein
Einblick
in
das
Innerste
einer
Mumie
gestattet.
Gesichtsrekonstruktionen von mumifizierten Menschen sind möglich und werden angewendet. Die
Endoskopie (bei der ein dünner langer Schlauch aus Optikfaser und einer Minikamera am Ende
durch einen Schnitt oder eine natürliche Körperöffnung in die Mumie eingeführt wird) erlaubt durch
entnommene Gewebeproben auch die Gewinnung von DNA, der genetischen Information, die in
jeder Zelle vorhanden ist. Informationen über den Gesundheitszustand und über Krankheiten
erhalten wir, über Arterienverkalkung und über Parasitenbefall etwa: In den Mumien sind
verschiedene Würmerarten nachgewiesen worden. Zahnanalysen lassen Rückschlüsse auf
Ernährungsgewohnheiten zu. Schäden an der Kaufläche der Zähne und völlig abgeschliffener
Zahnschmelz gehen auf den Sand im Mehl zurück, aus dem Brot gebacken wurde, und auf
Steinpartikel vom Abrieb der Mahlsteine. Heute untersuchen interdisziplinäre Forschungsteams die
Mumien, um sie mit größter Sorgfalt zu behandeln und ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken.
Diese ganz intimen Einblicke sollten unseren Respekt gegenüber den Körpern für die Ewigkeit
vergrößern.
Zum Abschluss dieser Reihe möchte ich Sie auf eine Sonderausstellung des Britischen Museums in
London
aufmerksam
machen:
Mummy,
the
inside
story.
Bis zum Januar 2005 wurde im Ausstellungsbereich des Museums über die Kunst des Mumifizierens
informiert, begleitend dazu wird die ungeöffnete Mumie des Nesperennub gezeigt. Diese CT und
3D-Animation ist von einer Softwarefirma in Zusammenarbeit mit dem Museum entwickelt worden.
Den Besucherinnen und Besuchern bietet sich in diesem 20-minütigen interaktiven Film die
Möglichkeit, das Innere des Sarkophags des vor 3000 Jahren lebenden Priesters Nesperennub zu
entdecken.
Viel Spaß dabei!