Magazin - Martin Wind
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Magazin - Martin Wind
AUSGABE: SFT;WET;BAZ;PIT;QBT / RESSORT: JOURNAL / NAME: WET1 39 / ERSCHEINUNGSTAG: 19.09.2009 / GEDRUCKT AM 21.09.2009 13:37:40 / LETZTE ÄNDERUNG VON WORK_PI1 Sonnabend, 19. September 2009 Magazin am Sonnabend Anekdoten zu Bass-Kollegen Ray Brown (1926-2002): Ray wird für mich immer der Godfather of Modern-Jazz-Bass bleiben – ein Gigant. Ich bin ihm mit 20 Jahren das erste Mal begegnet und habe danach versucht, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Ich habe unter anderem auf seiner 70. Geburtstagsfeier in der New Yorker New School zusammen mit 30 anderen Bassisten gespielt, und im Publikum saßen unter anderem Milt Jackson, Roy Haynes und Hank Jones. Ich habe so viel von ihm gelernt. Und es war immer unfassbar, ihn live spielen zu sehen und zu hören. Er klang fantastisch und hatte so viel Spaß auf der Bühne. Milt Hinton (1910-2000): Sein Spitzname in der Szene war „The Judge“. 1995 lernte ich ihn kennen, als er wirklich einer der Juroren bei der International Thelonious Monk Bass Competition in Washington, D. C. war – ich schaffte damals den Sprung ins Finale und landete im großen Saal des John-F.-Kennedy-Centers auf den dritten Platz. Ron Carter (geb. 1937) ... ist neben Ray Brown mein größter Einfluss; ebenfalls einer der Juroren bei der Competition 1995. Ich habe ihn seitdem oft gehört und immer mal wieder getroffen. Er ist aber ein eher scheuer Mensch und lässt nicht sehr viele Menschen an sich heran. Gerade im Juni hörte ich ihn im Duo mit Gitarrist Russell Malone – und er klang wirklich fantastisch. John Clayton (geb. 1952): Er war Rays Ziehsohn und auch ihn habe ich mit 20 kennengelernt. Er spielt eindeutig in der Tradition von Rays Stil, ist aber zudem auch noch ein fantastischer Arrangeur, Komponist und Produzent. Auch er spielt sehr gut mit dem Bogen – a complete musician, und ist mir ein zuverlässiger Freund und nimmt großen musikalischen Einfluss auf mich. Eddie Gomez (geb. 1944): Ich habe Eddie vor einigen Jahren bei der Convention der International Society of Bassists kennengelernt und versuche, ihn so oft wie möglich live zu hören. Er spielt immer noch fantastisch und hat den Jazzbass in den 70er und 80er Jahren revolutioniert. Percy Heath (1923-2005) ... war auch einer der Juroren bei der Bass Competition 1995 und ein unglaublich netter Mensch; ein Gentleman, eine lebende Legende. Ich hatte ein paar Gelegenheiten, mit ihm ausführlich zu reden und er war so „encouraging“ – ermutigend. Bei der Gedenkfeier für Milt Hinton spielte er ein Solo auf seinem weißen Cello in der Riverside Church hier in Manhattan – diesen Moment werde ich niemals vergessen. Charlie Haden (geb. 1937): Wow, da haben wir ja alle Juroren von der Bass Competition zusammen ... sein Sound hat mich immer bewegt – und seine freie Art zu spielen. Eine meiner ewigen Lieblingsscheiben: die Duo-CD „Beyond the Missouri Sky“ mit Pat Metheny. Mein Freund Matt Wilson spielt seit ein paar Jahren in Charlies „Liberation Music Orchestra“ und versorgt mich immer mit guten Charlie-Geschichten. Marc Johnson (geb. 1953): Kein Bassist spielt meiner Meinung nach melodischer als Marc Johnson. Sein Spiel berührt mich einfach unglaublich und seine Technik und Intonation sind bewundernswert. Ich lernte ihn nach einem Konzert in Köln kennen und widmete ihm eine meiner Kompositionen mit dem Titel „Marc's Moments“. Ich habe ihn im letzten Jahr zweimal im Birdland Club in Manhattan gehört und es war wie immer unfassbar gut. Christian McBride (geb. 1972) ... ist vier Jahre jünger als ich und spielt trotzdem schon, seitdem ich ihn kenne, so reif und abgehangen wie einer der alten Hasen – er ist so unglaublich talentiert, es gibt kaum etwas, was er nicht auf dem Instrument hinbekommt. Wir kennen uns seit bestimmt 15 Jahren und wir respektieren uns – ein großes Kompliment für mich. George Mraz (geb. 1944) ... habe ich erst vor ein paar Wochen „richtig“ kennengelernt. Ich war mit dem Vanguard Jazz Orchestra (VJO) beim North Sea Jazz Festival in Rotterdam und George war dort mit Hank Jones. Er hat früher selbst für ein paar Jahre mit der Thad Jones/Mel Lewis Band gespielt, aus der das VJO ja hervorgegangen ist. Wir hatten ein Supergespräch, nachdem er mich mit der Band gehört hatte ... er ist immer busy und hat mit allen Größen des Jazz gespielt. 39 „Als Bassist bist du der Herzschlag der Band“ New York: Interview mit dem aus Flensburg stammenden Jazz-Musiker Martin Wind (41) Der international gefragte Jazzbassist Martin Wind (rechts im Bild) ist ein waschechter Flensburger. Bereits 1989 machte der am 27. April 1968 geborene Musiker und Komponist als Gründungsmitglied des Bundesjazzorchesters unter Peter Herbolzheimer auf sich aufmerksam. Wind zog es 1996 gen New York – mit einem DAAD-Stipendium im Gepäck. Dort lebt er bis heute mit seiner amerikanischen Frau und seinen zwei Söhnen in Teaneck, New Jersey. Als erster Jazzmusiker überhaupt wurde Wind im Jahre 2000 mit dem Kulturpreis Schleswig-Holsteins ausgezeichnet. Unser Redakteur Dietmar Vogel traf Martin Wind und sprach mit ihm über sperrige Instrumente, verzwickte Bach-Skalen, Jimi Hendrix, die Einzigartigkeit von JazzBaltica und den Reifeprozess für ein Solo-Album. Frage: Am 17. August 1978 wurde Charles Mingus (1922-1979) auf dem Flughafen Marignane in Marseille fotografiert. Die Aufnahme von Guy Le Querrec zeigt die Bass-Legende beim Transport seines Instrumentes mit Hilfe eines Gepäckwagens. Der Kontrabass ist in der Regel etwa 180 Zentimeter groß, wiegt mehr als 15 Kilogramm – wie oft haben Sie sich schon gewünscht, doch lieber Jazz-Trompeter geworden zu sein? Martin Wind: Das Reisen mit dem Bass ist in der Tat nicht einfacher geworden. Daher reise ich jetzt vermehrt mit meinem Reisebass oder lasse mir von Veranstaltern Instrumente stellen. Allerdings habe ich meine Instrumentenwahl nie bereut – als Bassist bist du der Herzschlag der Band, der Puls, die Erdung. Was ist der besondere Reiz am Big Bass? Der akustische Bass hat einen Sound, den man glücklicherweise noch nicht synthetisch imitieren kann und auch ein elektrischer Bass ist kein Ersatz für diese Tiefe und Breite. Ich liebe den Klang von jahrhundertealtem Holz und dicken Saiten; auch fasziniert mich, dass der Kontrabass sowohl im Jazz als auch in der Klassik so eine aufregende und zentrale Funktion innehat. Ob ich mit dem Vanguard Jazz Orchestra im Village Vanguard auftrete oder Bachs Weihnachtsoratorium oder Gustav Mahlers 2. Sinfonie spiele, ist für mich gleichermaßen ein Fest! Ein Blick zurück: Welche Jazz-(Bass)Legende verirrte sich nach Norddeutschland, um den jungen Martin Wind mit dem Jazz-Virus zu infizieren? Der erste Bassist, den ich bewusst wahrgenommen habe, war Niels-Henning Ørsted Pedersen. Meine erste Jazzplatte war seine Duo-Aufnahme „The Viking“ mit dem Gitarristen Philip Catherine. Die ersten Bassisten, die ich live in Flensburg gehört habe, waren Mads Vinding mit der dänischen Radio Bigband und Lucas Lindholm mit Wolfgang Schlüter in der Aula des Alten Gymnasiums. In welchem Alter begannen Sie, ernsthaft auf eine Musiker-Karriere hin zu üben? Ich fing relativ spät an, Musik „ernsthaft“ zu betreiben. Mit 15 begann ich, E-Bass, mit 17 Kontrabass zu spielen. Und dann war es auch um mich geschehen. Ich George Mraz (65) habe innerhalb von Monaten riesige Fortschritte gemacht und wollte nur noch Musik spielen. Sie haben in Köln sieben Jahre lang bei Professor Wolfgang Guettler (Berliner Philharmoniker) klassische Musik, an der New York University (Master’s Degree 1998) unter anderem bei Kenny Werner und Jim McNeely Jazz und Komposition studiert. Ist die Zweigleisigkeit Grundvoraussetzung dafür, sich in der Jazz-Szene zu etablieren? Die Zweigleisigkeit ist keine Grundvoraussetzung, aber war in meinem Fall unglaublich hilfreich. Zunächst einmal spiele ich ein Streichinstrument, und meiner Meinung nach ist der klassische Ansatz der einzige Weg, das Instrument richtig zu erlernen. Auch bin ich durch „klassische Qualitäten“ wie einem guten Bogenspiel, gutem Blattspiel und Klangkultur viel vielseitiger einsetzbar. Mein klassischer Hintergrund hat mich sicherlich auch als Komponist beeinflusst. Beschreiben Sie einen Übungsnachmittag in Ihrem Haus in Teaneck, New Jersey. Stehen eher verzwickte BachSkalen oder Akkordbrechungen im Sinne Charlie Parkers im Mittelpunkt der Fingerübungen? Ein typischer Übungsnachmittag? (schließt die Augen und überlegt) Nun, den gibt es schon seit der Geburt meines ersten Sohnes vor mehr als elf Jahren nicht mehr. Ich muss mir die Zeit zum Üben nehmen und bereite mich eigentlich normalerweise nur auf bevorstehende Konzerte oder CD-Aufnahmen vor. Wenn ich das große Glück habe, nur für mich üben zu können, spiele ich meistens Bach und Charlie Parker – woher wussten Sie das? (lacht) Johann Sebastian Bach ist für mich der größte Komponist aller Zeiten, und durch seine Musik bin ich als Musiker und Instrumentalist gereift. Hoffentlich werde ich seine Musik auch mit 80 Jahren noch spielen! Alter, Herkunft, Vorbesitzer: Welche spannende Geschichte verbirgt sich hinter Ihrem Instrument? Mein Hauptinstrument ist um die 200 Jahre alt und kommt entweder aus Deutschland oder aus Frankreich – so lauten zumindest die Schätzungen diverser Geigenbauer. Es hat einen unglaublich dunklen Klang und ich spiele es, seit ich 17 Jahre alt bin. Manchmal wünschte ich, Konzert-Termine Das Martin-Wind-Quartet mit Scott Robinson (Saxophon), Bill Cunliffe (Piano) und Tim Horner (Schlagzeug) ist auf Tournee. Das Ensemble tritt am Mittwoch, 30. September, in Apenrade/Dänemark, Centralbibliothek, am Donnerstag, 1. Oktober, in Flensburg, Flensborg Hus, am Freitag, 2. Oktober, in Husum, Theodor Schaefer Werk sowie am Sonnabend, 3. Oktober, im Birdland von Hamburg auf; CD-Tipps unter www.martinwind.com dass mein Instrument mir Geschichten aus seinem Leben erzählen könnte. Wächst im Hause Wind schon der künftige Jazz-Nachwuchs heran? Meine zwei Jungs nehmen seit drei Jahren Klavierunterricht mit wechselnder Begeisterung. Mein ältester Sohn Christopher spielt seit etwa einem Jahr auch Gitarre. Er steht im Moment aber mehr auf Heavy Metal. Und Alexander nimmt seit ein paar Monaten Schlagzeugunterricht bei meinem guten Freund und Drummer in meinem Quartett, Tim Horner. Musikgeschmack wie der Vater ... ... im Moment finden meine Söhne noch nicht so richtig den Weg zum Jazz. Das ist die Musik, die Papa spielt und es ist wahrscheinlich gut und auch wichtig für sie, dass sie ihre eigene Nische finden. Vor etwa einem Monat gab es im Rahmen einer Grillfeier bei meinem Saxophonisten Scott Robinson eine Jam-Session und Alexander hat einen Blues mit mir und meinen ganzen Musikerfreunden gespielt. Das war wirklich toll für ihn, und für mich natürlich auch. Ein Flensburger in New York – klingt wie eine abgedroschene Phrase, ist aber ernst gemeint: Wie schwer ist es als Deutscher, sich gegen die riesige Jazzbass-Konkurrenz, besonders im Big Apple, zu behaupten? Wie lautet Ihr Nischen-Rezept? Fortsetzung nächste Seite 3 AUSGABE: SFT;WET;BAZ;PIT;QBT / RESSORT: JOURNAL / NAME: WET1 40 / ERSCHEINUNGSTAG: 19.09.2009 / GEDRUCKT AM 21.09.2009 13:38:13 / LETZTE ÄNDERUNG VON WORK_PI2 40 Magazin am Sonnabend Sonnabend, 19. September 2009 „Als Bassist bist du der Herzschlag der Band“ JazzBaltica, 5. Juli 2009: Martin Wind spielt mit Hank Jones (92, links) und Gary Smulyan (53) vom Vanguard Jazz Orchestra. Anekdoten zu Bass-Kollegen Niels-Henning Ørsted Pedersen (1946-2005) ... war der erste Bassist, den ich bewusst auf einer Jazzeinspielung wahrgenommen habe. Mein erster Bass-Lehrer Elmer Turnage gab mir eine Kassette mit Niels-Hennings erster Scheibe „The Viking“ zu hören und ich habe NHØP seitdem verehrt. Ich bin ihm dann zweimal kurz begegnet, aber eine richtige Freundschaft hat sich leider nie ergeben. Ich habe dann später sehr viel mit dem dänischen Drummer Alex Riel gespielt und immer wieder Geschichten über Niels-Henning gehört; sein frühzeitiger Tod war ein fürchterlicher Verlust für die Musikwelt. Jaco Pastorius (1951-1987) ... ist nach wie vor der stilprägendste E-Bassist in der Geschichte des Jazz. Es ist nicht möglich, nicht von ihm beeinflusst zu sein – jeder ernsthafte E-Bassist muss sich zum Beispiel an Jacos „Teen Town“ versuchen. Er liebte Ray Brown und sagte immer, dass der Sound aus den Fingern kommt und nicht aus dem Verstärker – da kann ich nur zustimmen! John Patitucci (geb. 1959): Noch ein „Complete Musician“ – fantastischer Bassist, unglaublicher Sound, klassisch geschult und auch ein unglaublicher E-Bassist. Dann komponiert er und schreibt für Streichquartetts – es gibt eigentlich nichts, was John nicht kann. Zudem ist er ein unglaublich netter Typ und angenehmer Kollege. Gary Peacock (geb. 1935): Als Klassikstudent in Köln war ich für ein paar Jahre auf dem absoluten KeithJarrett-Trio-Trip – und Gary war ein Hauptgrund dafür. Sein melodiöses Solospiel war so emotional und „anders“ ... ein wunderbarer Musiker. Ich habe ihn öfter hier in NY gehört und bin ihm einmal kurz vorgestellt worden ... auch er ist ein eher scheuer Mensch. Oscar Pettiford (1922-1960) ... war das Vorbild von Ray Brown! Was kann man sonst noch sagen über Pettiford? Er zog – ich meine ab Sommer 1959 – nach Kopenhagen und hatte einen großen Einfluss auf NHØP. Auch war er meiner Meinung nach der erste Jazz-Cellist und auch in diesem Sinne ein Vorbild für mich. Fortsetzung von voriger Seite Zunächst einmal muss ich sagen, dass hier in New York jeder eine faire Chance bekommt. Wenn du spielen kannst und etwas zu sagen hast auf deinem Instrument, wirst du mit offenen Armen empfangen. Mir haben meine klassischen Qualitäten, mein Bogenspiel, meine Zuverlässigkeit und mein Spielgefühl sehr geholfen. Auch habe ich schon sehr viele Musiker in New York gekannt, bevor ich hierhin gezogen bin – und Networking ist in diesem Metier unglaublich wichtig. Es hat etwa fünf bis sechs Jahre gedauert, bis ich das Gefühl hatte, wirklich zur Szene zu gehören. Die etablierten Musiker haben gesehen: „Aha, der hat sich hier wirklich festgesetzt und wird nicht, so wie viele andere, die Stadt nach ein paar Jahren wieder verlassen.“ Sie gehören zum Ensemble des legendären New Yorker Vanguard Jazz Orchestra, im Juli waren Sie mit der Bigband auf Europa-Tournee. Wie kam es zur Zusammenarbeit? Ich bin kein festes Mitglied, habe aber über die vergangenen drei bis vier Jahre viel mit der Band gespielt. Ich lernte deren Bassist Dennis Irwin vor ein paar Jahren auf einer Jazzkreuzfahrt kennen. Als er sich sein Handgelenk verstaucht hatte, lud er mich ein, für ihn einzuspringen. Meinen ersten Abend mit der Band werde ich nie vergessen. Da war zunächst einmal der Sound im Club – vor Beginn des Konzerts packte ich meinen Bass aus und spielte die offene A-Saite in der „Bass-Ecke“. Der fette, klare Sound war wirklich überwältigend. Dann fingen wir an zu spielen und die Band klang unfassbar gut. Es gab keine Proben, ich musste also alle Arrangements vom Blatt ablesen – unter anderem eine neue Komposition von Jim McNeely – „Don't even ask“. Das fing schon einmal damit an, dass der Bass die Melodie zum Anfang zusammen mit dem zweiten Tenor-Saxophon Slam Stewart (1914-1987) ... war ein Superstar und hatte richtige Hits – und war der erste Jazzbassist, der den Bogen solomäßig einsetzte; immer wieder sagen mir Leute, ich solle doch „à la Slam Stewart“ mit dem Bogen spielen und die Linien mitsingen. Meine Antwort ist dann immer:Warum sollte ich versuchen, seinen Stil nachzuahmen? Steve Swallow (geb. 1940) ... war in diesem Jahr in Salzau und ich konnte seinen Auftritt leider nicht hören. Er fing an als Kontrabassist und hat als einer von wenigen einen unverwechselbaren Sound auf dem E-Bass. Außerdem gilt er als einer der besten Komponisten nicht nur unter den Bassisten im Jazz. Eberhard Weber (geb. 1940) ... galt viele Jahre lang als DER Jazzbassist in Deutschland; ich habe Aufnahmen mit Monty Alexander und Eberhard am Kontrabass in den 70er Jahren – und Eberhard klingt unglaublich gut! Während meiner Zeit beim Marinemusikkorps Ostsee in Kiel habe ich ihn dann auch einmal Solo gehört mit seinem elektrischen Kontrabass. Und auch dieses Konzept war absolut überzeugend – ein Wahnsinnsmusiker. Ohne Zweifel. Steve Swallow (68) spielte. Und irgendwann hieß es: Bass solo über schwierige Akkordstrukturen. Auf einmal hörte die gesamte Band auf zu spielen: offenes Bass-Solo! Und dann sollte ich die Band mit einer ausgeschriebenen Bass-Linie im höheren Register wieder hereinbringen. Selten hatte ich auf der Bühne so geschwitzt. In der Pause musste ich dann feststellen, dass Dennis Irwin das ganze erste Set über an der Bar verbracht hatte – aber das ist New York! Dennis ist Fotos (7): Vogel War ein Schlüsselerlebnis als Teenager in Flensburg: Mads Vinding (60). leider vor eineinhalb Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Beim JazzBaltica-Festival Anfang Juli verblüfften Sie das Publikum während des Projekts „Percussion Discussion“ mit Joe Locke am Vibraphon und dem Step-Tänzer Maurice Chestnut auf dem Violoncello. Wie unterscheidet sich das Instrument vom Bass-Spiel? Auf dem Cello hat man viel geringere Entfernungen zu überwinden – und man spielt automatisch eine Oktave höher. Es ist ein anderer Sound, schlanker und wendiger. Wenn ich mit dem Bogen spiele, denke ich an Gitarristen wie zum Beispiel Jimi Hendrix oder an den leider vor kurzem verstorbenen Hiram Bullock – ich liebe diese aggressive und bluesige Art zu spielen. Apropos JazzBaltica: 1997 waren Sie dort erstmals Gast, seit 2002 sind Sie regelmäßig auf Schloss Salzau, als feste Größe bei Musikern und Publikum gleichermaßen beliebt durch Ihre Vielseitigkeit.Was ist aus Ihrer Sicht der besondere Reiz des Festivals? Es ist ein Festival mit einer einzigartigen Atmosphäre. Das liegt zum einen an der Schönheit des Veranstaltungsortes, dem Kulturzentrum in Salzau, und zum anderen an der kreativen Programmgestaltung des Künstlerischen Leiters Rainer Haarmann. In den letzten 20 Jahren kam es zu unendlich vielen besonderen musikalischen Begegnungen, die die Resultate von Jazz Baltica-Projekten waren. Übel ist, dass übliche Festivals die von Agenturen angebotenen Gruppen buchen – kreative Programmgestaltung ist da oft Fehlanzeige. Am 3. Juli 2003 eröffneten Sie im Kieler Schloss mit US-Gitarrist Pat Metheny und dem Kölner Schlagzeuger Jochen Rückert das JazzBaltica-Festival. Sie sagten damals, damit habe sich ein lang gehegter Traum erfüllt. Wie haben Sie sich auf das Konzert vorbereitet? Gab es vorab Proben? Die Begegnung mit Pat Metheny war wirklich traumhaft. Ich bin musikalisch mit seinen Platten aufgewachsen, und dieser Gitarrenklang war mir so vertraut wie ein guter Freund. Ich habe seine lyrische und gesangliche Art zu spielen schon immer geliebt, und auch als Komponist war Pat einer derjenigen, die mich am meisten beeinflusst haben. Auch diesen Moment werde ich nie vergessen: Das Telefon klingelt und es ist Rainer Haarmann. Er fragt mich, was ich davon halten würde, zusammen mit Pat Metheny das JazzBaltica-Festival 2003 zu eröffnen! Pat und ich haben uns dann via E-Mail kennengelernt und uns über das Repertoire für das Konzert verständigt. Letztendlich haben wir uns für zwei meiner Kompositionen entschieden, das war natürlich sehr aufregend für mich. Und seine Stücke habe ich auch auswendig gelernt, da ich so gut wie möglich vorbereitet sein wollte. Der Tag mit Pat Metheny verlief wunderbar. Wir trafen uns am frühen Nachmittag am Kieler Schloss und konnten nicht gleich loslegen, da das Schlagzeug noch nicht angeliefert worden war. Wir haben uns dann im Backstage-Bereich unterhalten und herausgefunden, dass wir beide zwei Söh- Mit Drummer Joe LaBarbera (61) lässt es sich vorzüglich swingen. Nichts wird dem Zufall überlassen: Martin Wind platziert seinen Verstärker selbst. ne haben. Die Proben waren fantastisch. Wir haben zweieinhalb Stunden lang „richtig“ gespielt. Das Konzert ist als ein Höhepunkt in meiner Erinnerung verankert. Jaco Pastorius, Gary Peacock, Eberhard Weber, Ron Carter, Dave Holland, jüngst Dieter Ilg – die Liste derjenigen, die ein Solo-Bass-Album eingespielt haben, ist lang. Live sind Sie bereits als Solist aufgetreten.Wann ist die Zeit reif für ein Solo-CD-Projekt von Ihnen? Ich möchte die Gegenfrage stellen, wer sich denn Bass-Solo-Alben überhaupt anhört. Ich kenne sogar Bassisten, die nicht auf solche Alben stehen. Ich muss allerdings eingestehen, dass ich schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht habe. Im Laufe des letzten Jahres habe ich zwei Solokonzerte gegeben und sehr viel Spaß dabei gehabt. Irgendwann werde ich es sicherlich anpacken. Das Gespräch führte Dietmar Vogel