Magazin - Martin Wind

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Magazin - Martin Wind
AUSGABE: SFT;WET;BAZ;PIT;QBT / RESSORT: JOURNAL / NAME: WET1 39 / ERSCHEINUNGSTAG: 19.09.2009 / GEDRUCKT AM 21.09.2009 13:37:40 / LETZTE ÄNDERUNG VON WORK_PI1
Sonnabend, 19. September 2009
Magazin am Sonnabend
Anekdoten zu Bass-Kollegen
Ray Brown (1926-2002): Ray wird für mich immer der
Godfather of Modern-Jazz-Bass bleiben – ein Gigant. Ich
bin ihm mit 20 Jahren das erste Mal begegnet und
habe danach versucht, so viel Zeit wie möglich mit ihm
zu verbringen. Ich habe unter anderem auf seiner 70. Geburtstagsfeier in der New Yorker New School zusammen
mit 30 anderen Bassisten gespielt, und im Publikum
saßen unter anderem Milt Jackson, Roy Haynes und
Hank Jones. Ich habe so viel von ihm gelernt. Und es war
immer unfassbar, ihn live spielen zu sehen und zu
hören. Er klang fantastisch und hatte so viel Spaß auf
der Bühne.
Milt Hinton (1910-2000): Sein Spitzname in der
Szene war „The Judge“. 1995 lernte ich ihn kennen, als
er wirklich einer der Juroren bei der International
Thelonious Monk Bass Competition in Washington,
D. C. war – ich schaffte damals den Sprung ins Finale und
landete im großen Saal des John-F.-Kennedy-Centers
auf den dritten Platz.
Ron Carter (geb. 1937) ... ist neben Ray Brown mein
größter Einfluss; ebenfalls einer der Juroren bei der
Competition 1995. Ich habe ihn seitdem oft gehört und
immer mal wieder getroffen. Er ist aber ein eher scheuer Mensch und lässt nicht sehr viele Menschen an sich
heran. Gerade im Juni hörte ich ihn im Duo mit Gitarrist Russell Malone – und er klang wirklich fantastisch.
John Clayton (geb. 1952): Er war Rays Ziehsohn und
auch ihn habe ich mit 20 kennengelernt. Er spielt
eindeutig in der Tradition von Rays Stil, ist aber zudem
auch noch ein fantastischer Arrangeur, Komponist und
Produzent. Auch er spielt sehr gut mit dem Bogen – a
complete musician, und ist mir ein zuverlässiger Freund
und nimmt großen musikalischen Einfluss auf mich.
Eddie Gomez (geb. 1944): Ich habe Eddie vor einigen
Jahren bei der Convention der International Society of
Bassists kennengelernt und versuche, ihn so oft wie
möglich live zu hören. Er spielt immer noch fantastisch
und hat den Jazzbass in den 70er und 80er Jahren
revolutioniert.
Percy Heath (1923-2005) ... war auch einer der Juroren
bei der Bass Competition 1995 und ein unglaublich
netter Mensch; ein Gentleman, eine lebende Legende.
Ich hatte ein paar Gelegenheiten, mit ihm ausführlich
zu reden und er war so „encouraging“ – ermutigend. Bei
der Gedenkfeier für Milt Hinton spielte er ein Solo auf
seinem weißen Cello in der Riverside Church hier in
Manhattan – diesen Moment werde ich niemals
vergessen.
Charlie Haden (geb. 1937): Wow, da haben wir ja alle
Juroren von der Bass Competition zusammen ... sein
Sound hat mich immer bewegt – und seine freie Art zu
spielen. Eine meiner ewigen Lieblingsscheiben: die
Duo-CD „Beyond the Missouri Sky“ mit Pat Metheny.
Mein Freund Matt Wilson spielt seit ein paar Jahren in
Charlies „Liberation Music Orchestra“ und versorgt
mich immer mit guten Charlie-Geschichten.
Marc Johnson (geb. 1953): Kein Bassist spielt meiner
Meinung nach melodischer als Marc Johnson. Sein Spiel
berührt mich einfach unglaublich und seine Technik
und Intonation sind bewundernswert. Ich lernte ihn
nach einem Konzert in Köln kennen und widmete ihm
eine meiner Kompositionen mit dem Titel „Marc's
Moments“. Ich habe ihn im letzten Jahr zweimal im
Birdland Club in Manhattan gehört und es war wie
immer unfassbar gut.
Christian McBride (geb. 1972) ... ist vier Jahre jünger als
ich und spielt trotzdem schon, seitdem ich ihn kenne,
so reif und abgehangen wie einer der alten Hasen – er
ist so unglaublich talentiert, es gibt
kaum etwas, was er nicht auf
dem Instrument hinbekommt.
Wir kennen uns seit bestimmt 15
Jahren und wir respektieren uns –
ein großes Kompliment für mich.
George Mraz (geb. 1944) ... habe
ich erst vor ein paar Wochen
„richtig“ kennengelernt. Ich war mit
dem Vanguard Jazz Orchestra (VJO)
beim North Sea Jazz Festival in
Rotterdam und George war dort mit
Hank Jones. Er hat früher selbst für
ein paar Jahre mit der Thad Jones/Mel
Lewis Band gespielt, aus der das VJO ja
hervorgegangen ist. Wir hatten ein
Supergespräch, nachdem er mich mit
der Band gehört hatte ... er ist immer
busy und hat mit allen Größen des
Jazz gespielt.
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„Als Bassist bist du der
Herzschlag der Band“
New York: Interview mit dem aus Flensburg
stammenden Jazz-Musiker Martin Wind (41)
Der international gefragte Jazzbassist Martin Wind (rechts
im Bild) ist ein waschechter Flensburger. Bereits 1989
machte der am 27. April 1968 geborene Musiker und Komponist
als Gründungsmitglied des Bundesjazzorchesters unter Peter
Herbolzheimer auf sich aufmerksam. Wind zog es 1996 gen
New York – mit einem DAAD-Stipendium im Gepäck. Dort lebt er bis
heute mit seiner amerikanischen Frau und seinen zwei Söhnen in
Teaneck, New Jersey. Als erster Jazzmusiker überhaupt wurde
Wind im Jahre 2000 mit dem Kulturpreis Schleswig-Holsteins
ausgezeichnet. Unser Redakteur Dietmar Vogel traf Martin
Wind und sprach mit ihm über sperrige Instrumente,
verzwickte Bach-Skalen, Jimi Hendrix, die Einzigartigkeit von
JazzBaltica und den Reifeprozess für ein Solo-Album.
Frage: Am 17. August 1978 wurde
Charles Mingus (1922-1979) auf dem
Flughafen Marignane in Marseille
fotografiert. Die Aufnahme von Guy Le
Querrec zeigt die Bass-Legende beim
Transport seines Instrumentes mit
Hilfe eines Gepäckwagens. Der Kontrabass ist in der Regel etwa 180 Zentimeter groß, wiegt mehr als 15 Kilogramm – wie oft haben Sie sich schon
gewünscht, doch lieber Jazz-Trompeter
geworden zu sein?
Martin Wind: Das Reisen mit dem Bass ist
in der Tat nicht einfacher geworden. Daher
reise ich jetzt vermehrt mit meinem
Reisebass oder lasse mir von Veranstaltern Instrumente stellen. Allerdings habe
ich meine Instrumentenwahl nie bereut –
als Bassist bist du der Herzschlag der Band,
der Puls, die Erdung.
Was ist der besondere Reiz am Big Bass?
Der akustische Bass hat einen Sound, den
man glücklicherweise noch nicht synthetisch imitieren kann und auch ein elektrischer Bass ist kein Ersatz für diese Tiefe
und Breite. Ich liebe den Klang von jahrhundertealtem Holz und dicken Saiten;
auch fasziniert mich, dass der Kontrabass
sowohl im Jazz als auch in der Klassik so
eine aufregende und zentrale Funktion
innehat. Ob ich mit dem Vanguard Jazz
Orchestra im Village Vanguard auftrete
oder Bachs Weihnachtsoratorium oder
Gustav Mahlers 2. Sinfonie spiele, ist für
mich gleichermaßen ein Fest!
Ein Blick zurück: Welche Jazz-(Bass)Legende verirrte sich nach Norddeutschland, um den jungen Martin
Wind mit dem Jazz-Virus zu infizieren?
Der erste Bassist, den ich bewusst wahrgenommen habe, war Niels-Henning
Ørsted Pedersen. Meine erste Jazzplatte
war seine Duo-Aufnahme „The
Viking“ mit dem Gitarristen
Philip Catherine. Die ersten
Bassisten, die ich live in Flensburg gehört habe, waren
Mads Vinding mit der dänischen Radio Bigband und
Lucas Lindholm mit Wolfgang Schlüter in der Aula
des Alten Gymnasiums.
In welchem Alter begannen Sie, ernsthaft auf
eine Musiker-Karriere hin
zu üben?
Ich fing relativ spät an,
Musik „ernsthaft“ zu betreiben. Mit 15 begann
ich, E-Bass, mit 17 Kontrabass zu spielen. Und
dann war es auch um
mich geschehen. Ich
George Mraz (65)
habe innerhalb von
Monaten riesige
Fortschritte gemacht und
wollte nur
noch Musik
spielen.
Sie haben in Köln
sieben Jahre lang
bei
Professor
Wolfgang
Guettler (Berliner Philharmoniker) klassische Musik,
an der New York University (Master’s
Degree 1998) unter anderem bei Kenny
Werner und Jim McNeely Jazz und
Komposition studiert. Ist die Zweigleisigkeit Grundvoraussetzung dafür, sich
in der Jazz-Szene zu etablieren?
Die Zweigleisigkeit ist keine Grundvoraussetzung, aber war in meinem Fall
unglaublich hilfreich. Zunächst einmal
spiele ich ein Streichinstrument, und
meiner Meinung nach ist der klassische
Ansatz der einzige Weg, das Instrument
richtig zu erlernen. Auch bin ich durch
„klassische Qualitäten“ wie einem guten
Bogenspiel, gutem Blattspiel und Klangkultur viel vielseitiger einsetzbar. Mein
klassischer Hintergrund hat mich sicherlich auch als Komponist beeinflusst.
Beschreiben Sie einen Übungsnachmittag in Ihrem Haus in Teaneck, New
Jersey. Stehen eher verzwickte BachSkalen oder Akkordbrechungen im
Sinne Charlie Parkers im Mittelpunkt
der Fingerübungen?
Ein typischer Übungsnachmittag? (schließt
die Augen und überlegt) Nun, den gibt es
schon seit der Geburt meines ersten
Sohnes vor mehr als elf Jahren nicht mehr.
Ich muss mir die Zeit zum Üben nehmen
und bereite mich eigentlich normalerweise nur auf bevorstehende Konzerte oder
CD-Aufnahmen vor. Wenn ich das große
Glück habe, nur für mich üben zu
können, spiele ich meistens Bach und
Charlie Parker – woher wussten Sie das?
(lacht) Johann Sebastian Bach ist für mich
der größte Komponist aller Zeiten, und
durch seine Musik bin ich als Musiker und
Instrumentalist gereift. Hoffentlich werde
ich seine Musik auch mit 80 Jahren noch
spielen!
Alter, Herkunft, Vorbesitzer: Welche
spannende Geschichte verbirgt sich
hinter Ihrem Instrument?
Mein Hauptinstrument ist um die 200 Jahre alt und kommt entweder aus Deutschland oder aus Frankreich – so lauten
zumindest die Schätzungen diverser
Geigenbauer. Es hat einen unglaublich
dunklen Klang und ich spiele es, seit ich
17 Jahre alt bin. Manchmal wünschte ich,
Konzert-Termine
Das Martin-Wind-Quartet mit Scott
Robinson (Saxophon), Bill Cunliffe (Piano)
und Tim Horner (Schlagzeug) ist auf
Tournee. Das Ensemble tritt am Mittwoch,
30. September, in Apenrade/Dänemark,
Centralbibliothek, am Donnerstag,
1. Oktober, in Flensburg, Flensborg Hus, am
Freitag, 2. Oktober, in Husum, Theodor
Schaefer Werk sowie am Sonnabend,
3. Oktober, im Birdland von Hamburg auf;
CD-Tipps unter www.martinwind.com
dass mein Instrument mir Geschichten
aus seinem Leben erzählen könnte.
Wächst im Hause Wind schon der
künftige Jazz-Nachwuchs heran?
Meine zwei Jungs nehmen seit drei Jahren
Klavierunterricht mit wechselnder Begeisterung. Mein ältester Sohn Christopher
spielt seit etwa einem Jahr auch Gitarre. Er
steht im Moment aber mehr auf Heavy
Metal. Und Alexander nimmt seit ein
paar Monaten Schlagzeugunterricht bei
meinem guten Freund und Drummer in
meinem Quartett, Tim Horner.
Musikgeschmack wie der Vater ...
... im Moment finden meine Söhne noch
nicht so richtig den Weg zum Jazz. Das ist
die Musik, die Papa spielt und es ist
wahrscheinlich gut und auch wichtig für
sie, dass sie ihre eigene Nische finden. Vor
etwa einem Monat gab es im Rahmen
einer Grillfeier bei meinem Saxophonisten
Scott Robinson eine Jam-Session und
Alexander hat einen Blues mit mir und
meinen ganzen Musikerfreunden gespielt.
Das war wirklich toll für ihn, und für mich
natürlich auch.
Ein Flensburger in New York – klingt
wie eine abgedroschene Phrase, ist aber
ernst gemeint: Wie schwer ist es als
Deutscher, sich gegen die riesige
Jazzbass-Konkurrenz, besonders im Big
Apple, zu behaupten? Wie lautet Ihr
Nischen-Rezept?
Fortsetzung nächste Seite
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AUSGABE: SFT;WET;BAZ;PIT;QBT / RESSORT: JOURNAL / NAME: WET1 40 / ERSCHEINUNGSTAG: 19.09.2009 / GEDRUCKT AM 21.09.2009 13:38:13 / LETZTE ÄNDERUNG VON WORK_PI2
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Magazin am Sonnabend
Sonnabend, 19. September 2009
„Als Bassist bist du der
Herzschlag der Band“
JazzBaltica, 5. Juli 2009: Martin Wind spielt mit Hank Jones (92, links) und Gary Smulyan (53) vom Vanguard Jazz Orchestra.
Anekdoten zu Bass-Kollegen
Niels-Henning Ørsted Pedersen (1946-2005) ... war
der erste Bassist, den ich bewusst auf einer Jazzeinspielung wahrgenommen habe. Mein erster
Bass-Lehrer Elmer Turnage gab mir eine Kassette mit
Niels-Hennings erster Scheibe „The Viking“ zu hören
und ich habe NHØP seitdem verehrt. Ich bin ihm dann
zweimal kurz begegnet, aber eine richtige Freundschaft hat sich leider nie ergeben. Ich habe dann
später sehr viel mit dem dänischen Drummer Alex
Riel gespielt und immer wieder Geschichten über
Niels-Henning gehört; sein frühzeitiger Tod war ein
fürchterlicher Verlust für die Musikwelt.
Jaco Pastorius (1951-1987) ... ist nach wie vor der
stilprägendste E-Bassist in der Geschichte des Jazz. Es
ist nicht möglich, nicht von ihm beeinflusst zu sein –
jeder ernsthafte E-Bassist muss sich zum Beispiel an
Jacos „Teen Town“ versuchen. Er liebte Ray Brown und
sagte immer, dass der Sound aus den Fingern kommt
und nicht aus dem Verstärker – da kann ich nur
zustimmen!
John Patitucci (geb. 1959): Noch ein „Complete
Musician“ – fantastischer Bassist, unglaublicher
Sound, klassisch geschult und auch ein unglaublicher
E-Bassist. Dann komponiert er und schreibt für
Streichquartetts – es gibt eigentlich nichts, was John
nicht kann. Zudem ist er ein unglaublich netter Typ
und angenehmer Kollege.
Gary Peacock (geb. 1935): Als Klassikstudent in Köln
war ich für ein paar Jahre auf dem absoluten KeithJarrett-Trio-Trip – und Gary war ein Hauptgrund dafür.
Sein melodiöses Solospiel war so emotional und
„anders“ ... ein wunderbarer Musiker. Ich habe ihn
öfter hier in NY gehört und bin ihm einmal kurz vorgestellt worden ... auch er ist ein eher scheuer Mensch.
Oscar Pettiford (1922-1960) ... war das Vorbild von Ray
Brown! Was kann man sonst noch sagen über
Pettiford? Er zog – ich meine ab Sommer 1959 – nach
Kopenhagen und hatte einen großen Einfluss auf
NHØP. Auch war er meiner Meinung nach der erste
Jazz-Cellist und auch in diesem Sinne ein Vorbild für
mich.
Fortsetzung von voriger Seite
Zunächst einmal muss ich sagen, dass hier
in New York jeder eine faire Chance bekommt. Wenn du spielen kannst und etwas
zu sagen hast auf deinem Instrument, wirst
du mit offenen Armen empfangen. Mir
haben meine klassischen Qualitäten, mein
Bogenspiel, meine Zuverlässigkeit und
mein Spielgefühl sehr geholfen. Auch habe
ich schon sehr viele Musiker in New York
gekannt, bevor ich hierhin gezogen bin –
und Networking ist in diesem Metier
unglaublich wichtig. Es hat etwa fünf bis
sechs Jahre gedauert, bis ich das Gefühl
hatte, wirklich zur Szene zu gehören. Die
etablierten Musiker haben gesehen: „Aha,
der hat sich hier wirklich festgesetzt und
wird nicht, so wie viele andere, die Stadt
nach ein paar Jahren wieder verlassen.“
Sie gehören zum Ensemble des
legendären New Yorker Vanguard Jazz
Orchestra, im Juli waren Sie mit der
Bigband auf Europa-Tournee. Wie kam
es zur Zusammenarbeit?
Ich bin kein festes Mitglied, habe aber über
die vergangenen drei bis vier Jahre viel mit
der Band gespielt. Ich lernte deren Bassist
Dennis Irwin vor ein paar Jahren auf einer
Jazzkreuzfahrt kennen. Als er sich sein
Handgelenk verstaucht hatte, lud er mich
ein, für ihn einzuspringen. Meinen ersten
Abend mit der Band werde ich nie vergessen. Da war zunächst einmal der Sound
im Club – vor Beginn des Konzerts packte
ich meinen Bass aus und spielte die offene
A-Saite in der „Bass-Ecke“. Der fette, klare
Sound war wirklich überwältigend. Dann
fingen wir an zu spielen und die Band klang
unfassbar gut. Es gab keine Proben, ich
musste also alle Arrangements vom Blatt
ablesen – unter anderem eine neue Komposition von Jim McNeely – „Don't even
ask“. Das fing schon einmal damit an, dass
der Bass die Melodie zum Anfang zusammen mit dem zweiten Tenor-Saxophon
Slam Stewart (1914-1987) ... war ein
Superstar und hatte richtige Hits – und
war der erste Jazzbassist, der den Bogen
solomäßig einsetzte; immer wieder
sagen mir Leute, ich solle doch „à la
Slam Stewart“ mit dem Bogen spielen
und die Linien mitsingen. Meine Antwort ist dann immer:Warum sollte ich
versuchen, seinen Stil nachzuahmen?
Steve Swallow (geb. 1940) ... war in
diesem Jahr in Salzau und ich konnte
seinen Auftritt leider nicht hören. Er
fing an als Kontrabassist und hat als
einer von wenigen einen unverwechselbaren Sound auf dem E-Bass.
Außerdem gilt er als einer der besten
Komponisten nicht nur unter den
Bassisten im Jazz.
Eberhard Weber (geb. 1940) ... galt viele Jahre lang als
DER Jazzbassist in Deutschland; ich habe Aufnahmen
mit Monty Alexander und Eberhard am Kontrabass in
den 70er Jahren – und Eberhard klingt unglaublich
gut! Während meiner Zeit beim Marinemusikkorps
Ostsee in Kiel habe ich ihn dann auch einmal Solo
gehört mit seinem elektrischen Kontrabass. Und auch
dieses Konzept war absolut überzeugend – ein
Wahnsinnsmusiker. Ohne Zweifel.
Steve Swallow (68)
spielte. Und irgendwann hieß es: Bass solo
über schwierige Akkordstrukturen. Auf
einmal hörte die gesamte Band auf zu
spielen: offenes Bass-Solo! Und dann
sollte ich die Band mit einer ausgeschriebenen Bass-Linie im höheren Register wieder hereinbringen. Selten hatte ich auf der
Bühne so geschwitzt. In der Pause musste
ich dann feststellen, dass Dennis Irwin das
ganze erste Set über an der Bar verbracht
hatte – aber das ist New York! Dennis ist
Fotos (7): Vogel
War ein Schlüsselerlebnis als Teenager in
Flensburg: Mads Vinding (60).
leider vor eineinhalb Jahren an den Folgen
einer Krebserkrankung gestorben.
Beim JazzBaltica-Festival Anfang Juli
verblüfften Sie das Publikum während
des Projekts „Percussion Discussion“ mit
Joe Locke am Vibraphon und dem
Step-Tänzer Maurice Chestnut auf dem
Violoncello. Wie unterscheidet sich das
Instrument vom Bass-Spiel?
Auf dem Cello hat man viel geringere
Entfernungen zu überwinden – und man
spielt automatisch eine Oktave höher. Es ist
ein anderer Sound, schlanker und wendiger.
Wenn ich mit dem Bogen spiele, denke ich
an Gitarristen wie zum Beispiel Jimi
Hendrix oder an den leider vor kurzem
verstorbenen Hiram Bullock – ich liebe
diese aggressive und bluesige Art zu spielen.
Apropos JazzBaltica: 1997 waren Sie dort
erstmals Gast, seit 2002 sind Sie regelmäßig auf Schloss Salzau, als feste
Größe bei Musikern und Publikum
gleichermaßen beliebt durch Ihre
Vielseitigkeit.Was ist aus Ihrer Sicht der
besondere Reiz des Festivals?
Es ist ein Festival mit einer einzigartigen
Atmosphäre. Das liegt zum einen an der
Schönheit des Veranstaltungsortes, dem
Kulturzentrum in Salzau, und zum anderen
an der kreativen Programmgestaltung des
Künstlerischen Leiters Rainer Haarmann.
In den letzten 20 Jahren kam es zu unendlich vielen besonderen musikalischen
Begegnungen, die die Resultate von Jazz
Baltica-Projekten waren. Übel ist, dass
übliche Festivals die von Agenturen angebotenen Gruppen buchen – kreative Programmgestaltung ist da oft Fehlanzeige.
Am 3. Juli 2003 eröffneten Sie im Kieler
Schloss mit US-Gitarrist Pat Metheny
und dem Kölner Schlagzeuger Jochen
Rückert das JazzBaltica-Festival. Sie
sagten damals, damit habe sich ein lang
gehegter Traum erfüllt. Wie haben Sie
sich auf das Konzert vorbereitet? Gab es
vorab Proben?
Die Begegnung mit Pat Metheny war
wirklich traumhaft. Ich bin musikalisch
mit seinen Platten aufgewachsen, und
dieser Gitarrenklang war mir so vertraut
wie ein guter Freund. Ich habe seine
lyrische und gesangliche Art zu spielen
schon immer geliebt, und auch als
Komponist war Pat einer derjenigen, die
mich am meisten beeinflusst haben.
Auch diesen Moment werde ich nie
vergessen: Das Telefon klingelt und es
ist Rainer Haarmann. Er fragt mich, was
ich davon halten würde, zusammen mit
Pat Metheny das JazzBaltica-Festival
2003 zu eröffnen! Pat und ich haben uns
dann via E-Mail kennengelernt und uns
über das Repertoire für das Konzert
verständigt. Letztendlich haben wir uns
für zwei meiner Kompositionen entschieden, das war natürlich sehr aufregend
für mich. Und seine Stücke habe ich auch
auswendig gelernt, da ich so gut wie
möglich vorbereitet sein wollte. Der Tag
mit Pat Metheny verlief wunderbar. Wir
trafen uns am frühen Nachmittag am
Kieler Schloss und konnten nicht gleich
loslegen, da das Schlagzeug noch nicht angeliefert worden war. Wir haben uns dann
im Backstage-Bereich unterhalten und
herausgefunden, dass wir beide zwei Söh-
Mit Drummer Joe LaBarbera (61) lässt es
sich vorzüglich swingen.
Nichts wird dem Zufall überlassen: Martin
Wind platziert seinen Verstärker selbst.
ne haben. Die Proben waren fantastisch.
Wir haben zweieinhalb Stunden lang „richtig“ gespielt. Das Konzert ist als ein Höhepunkt in meiner Erinnerung verankert.
Jaco Pastorius, Gary Peacock, Eberhard
Weber, Ron Carter, Dave Holland, jüngst
Dieter Ilg – die Liste derjenigen, die ein
Solo-Bass-Album eingespielt haben, ist
lang. Live sind Sie bereits als Solist
aufgetreten.Wann ist die Zeit reif für ein
Solo-CD-Projekt von Ihnen?
Ich möchte die Gegenfrage stellen, wer sich
denn Bass-Solo-Alben überhaupt anhört.
Ich kenne sogar Bassisten, die nicht auf
solche Alben stehen. Ich muss allerdings
eingestehen, dass ich schon das ein oder
andere Mal darüber nachgedacht habe. Im
Laufe des letzten Jahres habe ich zwei
Solokonzerte gegeben und sehr viel Spaß
dabei gehabt. Irgendwann werde ich es
sicherlich anpacken.
Das Gespräch führte Dietmar Vogel