Wer nicht schimpfen darf, muss ganz die Klappe halten.

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Wer nicht schimpfen darf, muss ganz die Klappe halten.
Jan We i ler
m e i n le be n als mensch
Wer nicht schimpfen darf,
muss ganz die Klappe halten.
Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco
M
anchmal fühle ich
mich furchtbar einsam in meiner Ehe,
so als einziger Mann. Frauen
sind nämlich dazu in der Lage, ihre weiblichen Eigenschaften sehr
gut in einer Lebensgemeinschaft unterzubringen, sie müssen eigentlich kaum jemals unangebrachte Gewohnheiten unterdrücken
oder heimlich austoben. Sie neigen zum Beispiel eher nicht dazu,
im Auto rumzubrüllen, was ich zumindest früher gerne und häufig
tat, sobald mir jemand die Vorfahrt nahm oder zu langsam oder zu
schnell oder zu wenig vorausschauend oder nicht elegant genug
fuhr. Ich reagierte darauf mit heftigem Unflat, den Sara in den ersten Jahren unserer Beziehung wegen der Kapitän-Haddock-artigen
Originalität meiner Schimpftiraden noch lustig fand. Aber dann
kamen die Kinder und die krümelten nicht nur die Rücksitze voll,
sie lernten auch die Vokabeln, die ich vorne gebrauchte. So ist das
nun einmal mit dem Spracherwerb. Wer möchte, dass die Kinder
klingen wie Little Lord Fauntleroy, der muss selber so sprechen.
Und nicht wie ich, denn ich beherzige den Grundsatz, wie ein Philosoph zu denken und wie ein Bauer zu reden.
Und so kam es, dass ich eines Tages meine damals dreijährige
Tochter aus dem Kindersitz schälte und diese selig lächelnd sagte:
„Mach ma’ hinne, Du Tempeltänzer.“ Dies hatte ich wenige Momente zuvor selber in anderem Zusammenhang geäußert und in
meine Freude über die ungeheuerliche Gelehrsamkeit meines
Kindes mischte sich die Erkenntnis, dass der Rücksitz Ohren hat.
Nach einem relativ unangenehmen Vorfall im Kindergarten
bat mich Sara, zurückhaltender mit dem Unvermögen aller anderen Verkehrsteilnehmer umzugehen, sie drückte es aber anders
aus. Sie sagte: „Würdest Du bitte damit aufhören, andere Autofahrer bei jeder Gelegenheit „ungebumstes Frattengesicht“ zu
nennen?“ Diesem Verbot vorausgegangen war ein Gespräch mit
der Kindergärtnerin. Diese hatte Sara gefragt, woher Nick eigentlich diese Ausdrücke hätte, zum Beispiel auch Hackfresse, Arschkrampe, Heckenpenner. Sara war schockiert und wurde erst rot
und dann wütend, und zwar auf mich. Sie habe keine Lust, schief
als Prekariatsangehörige
angesehen zu werden. Es
sei peinlich und unnötig.
Und sie hat ja auch Recht.
Ich habe mir daher seit einigen Jahren angewöhnt, nur noch nette
Dinge über fremde Verkehrsteilnehmer zu sagen.
„Ich würde mich freuen, wenn Sie die Abbiegespur nähmen,
liebe sehr verehrte gnädige Frau,“ sage ich zum Beispiel. Oder:
„Es wäre nun angezeigt, nach rechts zu wechseln, um mir den
Überholvorgang zu ermöglichen, oh Du Gebieter über den ockerfarbenen Passat.“ Oder: „Es ist fein, wie viel Zeit Sie sich zum Ausparken nehmen, wer nimmt sich heute schon noch Zeit? Sie funkelnder Diamant in der Kiesgrube des Individualverkehrs.“ Ich
finde, dagegen kann man nicht ernsthaft etwas haben, oder? Und
es trägt Früchte. Ich bin stolz darauf, dass meine Kinder seit Jahren nicht mehr wüst fluchen und im Gegenteil nach immer neuen
prosaischen Beschreibungen ihrer Mitmenschen suchen.
Nur manchmal vergesse ich mich noch, wenn wir mit den Kindern unterwegs sind. Oder ich nehme fälschlich an, dass sie außerhalb der akustischen Kopfhörerwolken, mit denen sie sich
einnebeln, sowieso nichts mitkriegen. Das ist natürlich nicht
wahr. Ich habe meinen Sohn im Verdacht, gar keine Musik zu hören, sondern uns zu belauschen.
Vor einiger Zeit bekamen wir nämlich Besuch von einem
Mann, den ich kaum kenne. Der will etwas Berufliches von mir,
worauf ich keine Lust habe und darüber unterhielt ich mich mit
Sara im Auto.
Abends klingelte es und Nick öffnete die Tür. Ich hörte, wie der
Mann sich vorstellte und sagte, er sei der Robert und habe eine
Verabredung mit dem Papa. Nick bat ihn herein und sagte: „Ich
weiß schon, Sie sind der Vollpfosten, der meinem Papa dauernd
Mails schreibt, die der gar nicht so schnell löschen kann wie sie
ankommen.“
Der Mann lachte. Später sagte ich ihm vor Scham bebend meine Zusammenarbeit bei seinem Projekt zu. Seitdem schweige ich
auf Autofahrten. Meistens.
22 . märz 2010