Differenzierung als Chance für kleine Schulen - empirische

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Differenzierung als Chance für kleine Schulen - empirische
Differenzierung als Chance für kleine Schulen Rolff, H .-G. (2008). Unterrichts entwicklung etablieren und leben. In N. Berkemeyer, W Bos, V. Manitius;
ann
J(. Müthing (Hrsg.), Unterrichtsentwicklung in Netzwerken. Münster: Waxm
, S. 73-93.
Steger Vogt, E. (2011). Scheitert Personalentwicklung am Egalitäts_Autonomie-Syndrom der Schulteams?
empirische Befunde im Längsschnitt
Robbert Smit, Winfried Humpert, Rosmarie Obertüfer-Gahler, Eva Engeli und
Monika Breuer-Brodmühler
In ISEB-News, Mai 2011. pädagogische Hochschule des Kantons st. Gallen. 1-4.
Zwischenbericht Projekt Oberstufe (2009). Projekt Oberstufe - Oberstufenstruktur - Oberstufe 2012.
Stand des Problems: Theorie und Empirie I Methode I Ergebnisse I Diskussion
Zwischenbericht zuhanden des Erziehungsrates vom 5. November 2009.
Abstract
Kerngedanke der begleitenden Forschung des Schulentwicklungsprojektes "Adaptive
Schulmodelle als Faktor der regionalen Entwicklung" ist die Notwendigkeit eines vermehrten differenzierenden Angebots bei stufen- oder altersgemischtem Unterricht.
Innerhalb der Projektphase konnten diesbezüglich keine Veränderungen im Unterricht wahrgenommen werden. Vielmehr zeigte es sich, dass Lehrpersonen und kleine
Teams innerhalb der Schule, welche bisher schon über hohe pädagogische Kompetenzen verfügen, besonders vom Projekt angeregt wurden. Unterschiede zwischen
den Schulen, auch solche mit und ohne Schulentwicklung, zeigten sich jedoch nicht.
Trotzdem lässt sich generell eine beträchtliche Vielfalt von Ansätzen eines differenzierten Unterrichts feststellen, die mit Unterstützung der Schulleitung und Behörden
indirekt über pädagogische Teamarbeit gefördert werden sollten, damit deren Qualität und Nachhaltigkeit gesichert werden kann.
Stand des Problems: Theorie und Empirie
Ländliche alpine Schulen und ihre Probleme
Alpine Räume mit ihren geringen Bevölkerungszahlen weisen von jeher eine besondere Dichte von Kleinschulen auf. Die Zahlen der Schülerinnen und Schüler sind in
den letzten Jahrzehnten aufgrund verschiedener Entwicklungen in den alpinen und
voralpinen Gemeinden teilweise dramatisch abnehmend. Kleine Schulen in ländlichen Regionen werden häufig als kostenintensiver und pädagogisch ineffizienter
als grössere regionale Schulen angesehen (Hargreaves, Kvalsund & Galton, 2009).
Beides muss jedoch nicht sein. Es lassen sich Scbulmodelle entwickeln, die sowohl
aus ökonomischer als auch aus pädagogischer Sicht attraktiv sind; zusätzUch muss der
soziale Nutzen für die Schulgemeinden mit einbezogen werden. Die Forschung zu
Schul- und UnterrichtseIltwicklung der letzten drei Jahrlehnre lässt - bei Umsetzung
entsprechender Modelle durch die beteiligten Personen - hohe UnterrichtsquaUtät
auch in kleinen Schulen e.rwarten. Entsprechende Konzepte (z.B. Rolff, 2007) werden in den nächsten Kapiteln aus theoretischer und aus,Porschungssicht beleuchtet.
Diffe renzierung als Chance für kleine Schu len
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In zahlreichen alpinen Schulen besteht - oder ist in Zukunft zu erwarten - aufgrund von zusammengelegten Jahrgangs- und Niveaustufen eine grössere Heterogenität bezüglich der Leistungsvoraussetzungen und der Entwicklungsmöglichkeiten der Schulkinder als in Regionen grösserer Bevölkerungsdichte. Für viele
Schulgemeinden stellt sich also die brennende Frage, wie bei fortlaufender Bevölkerungsabwanderung die Unterrichtsqualität der Schülerschaft gesichert und eine
eventuelle Schulschliessung oder ein Wegfall von Schulstufen verhindert werden
kann (Meusburger, 2005). Politiker, Behörden, Lehrpersonen und Eltern müssen
sich mit der Frage auseinandersetzen, ob nicht neuere, vermehrt personalisierte
Formen von Lernen eine Möglichkeit sein könnten, auch in kleinen Schulen mit
höherer Heterogenität der Schulkinder guten Unterricht anzubieten (z.B. Kalaoja
& Pietarinen, 2009).
Damit Lehrpersonen Formen der Differenzierung im Unterricht auch anwenden,
braucht es bei diesen ein Umdenken und die Bereitschaft zur Weiterbildung. Hier
setzt das Schulentwicklungsprojekt der Pädagogischen Hochschule St. Gallen
"Adaptive Schulrnodelle als Faktor der regionalen Entwicklung" an. Die entsprechenden Weiterbildungsmodelle der Schul- und Teamentwicklung werden in diesem Band beschrieben (siehe Beitrag Keller). Dabei sind die gemachten Überlegungen zur Differenzierung grundsätzlich auch für nichtalpine Schulen und für
Schulen in Ballungsräumen gültig. Im vorliegenden Beitrag ist die empirische
Basis im alpinen und voralpinen Raum situiert, der ja auch bezüglich der praktischen Schulentwicklung im Zentrum steht.
Der Beitrag gliedert sich in folgende Teilkapitel: Nach einer kurzen Einführung
in die theoretischen Konzepte der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie des
differenzierten Unterrichts folgt ein Rahmenrnodell zur Verortung der erhobenen
Konzepte und Indikatoren. Der empirische Teil gliedert sich in die Frage nach den
im Unterrichtsalltag verwendeten Instrumenten und Methoden, erhoben mit Fragebogen und Interviews. Anschliessend folgen die Ergebnisse des Einsatzes eines
Unterrichtsentwicklungsinstruments, dem Lehrerportfolio. Der dritte empirische
Teil berichtet über die Auswertungen der beiden Fragebogenerhebungen aus der
Sicht verschiedener Akteure zu den Aspekten des Unterrichts.
Am Schluss des empirischen Teils werden zwei Modelle präsentiert zum Zusammenwirken der Akteure einer Schule im Hinblick auf die Umsetzung eines differenzierten Unterrichts. Ein weiteres Modell fokussiert die Frage der geteilten
Sichtweise von Lehrperson und Schülerinnen und Schülern einer Klasse zum differenzierten Unterricht.
Konzepte und Aspekte der SchuI- und Unterrichtsentwicklung
Die Schul- und Unterrichtsentwicklung gewinnt in der Praxis, aber auch in der
anwendungsorientierten Forschung eine immer grössere Bedeutung. Hier wird
nur eine auf die Fragestellung dieses Beitrags bezogene Einführung gegeben (zu
einer umfassenderen Darstellung siehe Beitrag Sutter). Das Thema Schulentwicklung hat sich seit über 30 Jahren "als beständiges Thema von Forschung und Praxis gleichermassen erhalten, etabliert und ausgeweitet" (Bohl, Helsper, Holtappels
& Schelle, 2010, S. 11). Die Einzelaspekte der Schulentwicklung sind vieWiltig. Sie
umfassen Bereiche wie z.B. etwa (Teil-)Autonomie und Schulentwicklung, Schulentwicklung und Geschlecht, Migration und Integration oder Schülerleistung,
Kompetenzmessung und Schulentwicklung, Change Management und Schulentwicklung, Personalentwicklung und Schulentwicklung. Im Grunde sind alle
klassischen Themen erziehungswissenschaftlicher und praktischer pädagogischer
Art vertreten, jedoch immer mit dem Aspekt "und" bzw. "plus", "X plus Schulentwicklung".
Noch fehlt eine umfassende Theorie zur Schulentwicklung. Rolff (2007) versucht
verschiedene Aspekte wie z.B. selbständige Schule, konfluente Leitung, Steuergruppen zur Schulentwicklung, professionelle Lerngemeinschaften von Lehrpersonen oder pädagogisches Qualitätsmanagement in Richtung auf eine Theorie der
Schulentwicklung zu fassen. In einer eher globalen Analyse der Schulentwicklung
beschreibt Maag Merki (2008) im Rahmen einer "Architektur einer Theorie der
Schulentwicklung" eine Mehrebenenstruktur. Dabei werden drei Ebenen unterschieden, die dazu dienen, die spezifischen Orte und Instrumente des Handeins
in Abhängigkeit von Zielen und Inhalten, Vorgaben und Reglementierungen zu
beschreiben.
Die drei Ebenen sind:
Makroebene: die Ebene der Ministerien/Schulaufsicht
Intermediäre Ebene: die Ebene der Bildungsregionen
Mesoebene: die Ebene der Einzelschule und individueller Netzwerke
Fend (1998) spricht zusätzlich noch von der Mikroebene, der Ebene der Akteure in
einer Schulklasse, also Lehrperson und Schülerinnen und Schüler.
Für den folgenden Beitrag werden jedoch nur ausgewählte Aspekte in Verbindung
mit Schulentwicklung thematisiert. Hierbei sind die verschiedenen Akteure auf
der Meso- und Mikroebene Schulleitung - Team - Lehrperson - Schüler und
Schülerin von besonderer Bedeutung, wobei die intermediäre Ebene das Setting
des ganzen Projekts darstellt. Bereiche wie Unterricht, Kompetenzen, Schulklima,
aber auch Teamklima und Schulleitung stehen neben anderen im Zentrum der
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Schule im alpinen Raum
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Untersuchungen. Dabei ist der Angelpunkt aller Betrachtungen die Heterogenität
und die innere Differenzierung des Unterrichts, die für den Fortbestand der kleinen alpinen Schulen eine Schlüsselstellung beinhalten kann.
Zunächst soll jedoch ein etwas allgemeinerer Bogen gespannt werden. Einen Teilbereich der Schulentwicklung stellt die Unterrichtsentwicklung dar. Unterrichtsentwicklung dient der Optimierung der Unterrichtsqualität. Eine gute einführende
Übersicht zur Unterrichts entwicklung gibt Bastian (2007). Er versteht Unterrichtsentwicklung als Verbesserung des Lehrens und Lernens und seiner schulinternen
Bedingungen durch systematische und gemeinsame Anstrengung aller am Unterricht Beteiligten (S. 29). Zielt man mehr auf die Kompetenzen der Lehrpersonen,
lässt sich Unterrichtsentwicklung als
"die Veränderung der Lehrmethoden und Lehr-Lern-Szenarien,
die Effektivierung der Klassenführung,
die Stärkung eigener (didaktischer, fachlicher, diagnostischer) Kompetenzen
sowie
die Optimierung des Lehrmaterials mit dem Ziel, die Wirksamkeit des eigenen
Unterrichts zu steigern" (Helmke, 2009, S. 305), sehen.
Nebst den weiter vorne erwähnten Akteuren der Schulentwicklung, gilt es auch
bedeutende Faktoren der Schulentwicklung zu benennen. Reezigt & Creemers
(2005) identifizieren in ihrem Referenzrahmen jeweils drei innere und drei äussere
Faktoren. Jedes Entwicklungsprojekt ist jeweils in einen äusseren Kontext, bestehend aus einem äusseren Druck zur Veränderung, den vorhandenen Ressourcen
und der bestehenden Unterstützung, sowie den Lern- respektive Bildungszielen
eingebettet. Innerhalb der Schule wiederum sind drei weitere Faktoren von Bedeutung: 1. die schulinterne Entwicklungskultur, 2. der Umsetzungsprozess und 3. die
erzielten Projektergebnisse.
Die Rolle der Schulleitung bei der Schulentwicklung
Schulleiterinnen und Schulleiter werden in der Praxis als besonders bedeutsam
für die Schulentwicklung und die Effektivität einer Schule angesehen (z.B. Bonsen, 2009). Dabei wird explizit auch die Innovation von Unterrichtsprozessen, z.B.
mit Hilfe eines Monitorings, als Schulleitungsaufgabe angesehen. Das Ziel dabei
ist eine "professionelle Lerngemeinschaft". Rolff (2007) beschreibt Schulleitung als
"Führung plus Management". Dabei wird Schule als so komplex und Leitung so
ausdifferenziert gesehen, dass von einem Konzept der "verteilten Führung" ausgegangen wird, bei dem verschiedene Schulleitungsfunktionen durch Personen des
Schulteams wahrgenommen werden. Rolff prägt für diese Art von Schulleitung
den Begriff "konfluente Leitung" (KFL). Bei der KFL werden Führung, Management und Steuerung durch verschiedene Personen wahrgenommen, es werden
Synergien der verschiedenen Teammitglieder genutzt.
Eine konfluente Leitung beinhaltet nicht nur die Verteilung von Führung, sondern sie fokussiert ebenso die Zusammenfassung des Gesamtsystems von Zielen,
Kooperation und Verantwortung (Rolff, 2007, S. 92). KFL ist als ein idealtypisches
Konzept einer Systemeigenschaft anzusehen. Die Schule von heute scheint sich bei
immer komplexer werdenden Aufgaben hinsichtlich der Leitungskonzeption ein
Stück in Richtung KFL zu entwickeln.
Im Rahmen der empirischen Forschung gilt die Rolle der Schulleitung ebenfalls
als bedeutsam. Von der internationalen Befundlage her (Bosker & Witziers, 1996)
,sind die gefundenen Effekte des Schulleitereinflusses auf die Schülerleistungen
aber eher schwach. In neuerer Zeit wird vermehrt von einer indirekten Wirkung
der Schulleitung auf die Schülerleistungen - bspw. über die Schulkultur oder das
Schulklima - ausgegangen (Hallinger & Heck, 1998; Witziers, Bosker & Krüger,
2003). In verschiedenen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass ein
partizipativer, professionell orientierter Führungsstil einen positiven Einfluss auf
die Schulpraxis hat (Opdenakker & van Damme, 2007, S. 195). Eine weitere Metaanalyse von Marzano et aL (2005) ergab zwar relativ niedrige, aber signifikante
positive Korrelationen zwischen der Art der Schulleitung und Schülerleistungen
(r = .25). Eine Beschränkung auf organisatorische Aufgaben gilt als weniger wirksam als ein Einbezug von pädagogischen Entwicklungsaufgaben. Krüger et aL
(2007) präsentieren ein auf empirischer Basis erstelltes Pfad-Modell der Beziehung
zwischen Schulleitung und Verbundenheit der Schüler mit ihrer Schule. Dabei
spielt auch die Schulgrösse eine Rolle. Es besteht ein Zusammenhang zwischen
Führungsstil und Schulgrösse. So scheinen Schulleitungspersonen in kleineren
Schulen eine stärker führende Ausrichtung aufzuweisen.
Die Rolle des Schulteams bei der Schulentwicklung
Im Gegensatz zur Schulleitung hat das Schulteam (das Kollegium einer Schule)
einen unmittelbaren Einfluss auf die Einstellungen und Leistungen der Schülerinnen und Schüler. In verschiedenen Untersuchungen zur Schulwirksamkeit
wird der pädagogischen Teamqualität (z.B. Lehrerkooperation, Innovationsbereitschaft) eine grosse Bedeutung bei der Schulentwicklung zugeschrieben (Scheerens & Bosker, 1997; Metlife, 2010; Opdenakker & Van Damme, 2007; Marzano
et al. 2005). In der neueren MetLife Survey (2010) konnte gezeigt werden, dass
die Zusammenarbeit der Lehrpersonen das Schulklima und die Berufszufrieden-
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Schule im alpinen Raum
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heit positiv beeinflusst. Change & Segura (2009) sehen die Zusammenarbeit des
Schulteams - unterstützt durch eine starke, den Prozess leitenden Schulleitung
- als das Herzstück einer erfolgreichen Schulentwicklung in einer kleinen ländlichen Mittelschule (highschool) an. Aus ihrer Fallstudie geht als wichtiges Detail
hervor, dass Zeitgefässe für die Zusammenarbeit geschaffen werden müssen. Die
Schulleiterin kürzte hierzu die Unterrichtsstunden eines Wochentages, damit die
Lehrpersonen Zeit bekamen, um an den wesentlichen Entscheidungsprozessen
der Schulentwicklung mitzuwirken. Als Resümee aus den nordamerikanischen
Schulqualitätsstudien lässt sich auf ein Zitat von Fullan (2006) verweisen: "Der
Einzelne bewirkt nichts" (S. 3). Die Lehrperson als "Einzelkämpfer" wird auch
in den deutschsprachigen Ländern als ein "Auslaufmodell" klassifiziert (Philipp,
2010).
Die Herausforderungen einer Schul- und Unterrichtsentwicklung ist gross. So gibt
es immer wieder einzelne Lehrpersonen oder Gruppen von Lehrpersonen, welche
ihren Unterrichtsstil im Rahmen von professionellem Wachstum ändern. Um aber
eine echte, nachhaltige Schulentwicklung (school change) zu erreichen, müssen
die oben erwähnten Faktoren aus dem Modell von Reezigt & Creemers (2005)
optimal zusammenwirken. Für die Zusammenarbeit der Lehrpersonen bedeutet
dies, dass ein gemeinsames Verständnis der Schule als lernende Organisation entstehen muss. Lehrpersonen sollten reflektierende Praktiker sein und eine Bereitschaft zur Weiterbildung, zur persönlichen Entwicklung und zur Zusammenarbeit
aufweisen (ebd.).
Mit der Theorie der Gruppenreflexivität von West (1994) liegt ein Modell der
Teamentwicklung vor, mit dem Ursachen der Gruppeneffektivität und Methoden der Teamentwicklung beschreibbar sind. Das Modell unterscheidet - ähnlich
wie das Modell der Gruppenführung von "task leader" und "social-emotional
leader" - die Aufgabenorientierung (task reflexivity) und die Beziehungsorientierung (social reflexivity). Inhaltlich geht es um Ziel- und Aufgabenklarheit auf
der einen und Vertrauen und Verantwortungsübernahme auf der anderen Seite.
Die optimale Austarierung dieser verschiedenen Aspekte stellt nach West (1994)
ein zentrales Erfolgskriterium der Teamentwicklung dar. Mit andern Worten, das
Team muss nebst einer gemeinsamen inhaltlichen Basis auch auf der emotionalen
Ebene genügend Bereitschaft zur Zusammenarbeit aufweisen. Je nachdem kann
ein gemeinsames Projekt auch zu einer Stärkung des Teamklimas führen.
Von besonderer Bedeutung sind die Teamziele. Hier ist wichtig, dass diese Ziele
von den Lehrpersonen selbst mitbestimmt werden, dass sie messbar sind, dass
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sie terminiert sind und dass Prioritäten-Rangreihen festgelegt werden (Kriz &
Nöbauer, 2002, S. 38ff). Zahlreiche weitere Bereiche und Themen sind für die
Teamarbeit von Bedeutung. So sind etwa die kollegiale Unterrichtsreflexion, die
gemeinsame Unterrichtsvorbereitung, der Umgang mit Heterogenität, die Einführung einer Steuerungsgruppe im Team effektiver zu bewältigen. Teamarbeit kann
z.B. auch auf der Basis einer Gruppe von Tandems entstehen, so z.B. zur Gestaltung des Unterrichts im Tandem (Bastian & Seydel, 2010) oder zur Bewältigung
schwieriger Situationen im Unterricht (Humpert & Dann, 2011).
Die Bedeutung der Schülerinnen und Schüler bei der Schulentwicklung
Meist werden Schülerinnen und Schüler ausschliesslich als "abhängige Variablen"
betrachtet und unter dem Aspekt der Leistungsverbesserung in Abhängigkeit
von Schulentwicklungsprozessen psychometrisch getestet. Müller (2010) plädiert
dafür, die Schülerinnen und Schüler auch aktiv an Schulentwicklungsprozessen
teilhaben zu lassen. Dies lässt sich beispielsweise mittels Feedbackprozessen gestalten. Insbesondere zu Unterrichtsfragen gibt es positive Erfahrungen, wenn Lehrpersonen ihren Unterricht mit Hilfe der Lernenden weiterentwickeln (Bastian,
2003). Die Rolle der Schülerinnen und Schüler kann auch als eine sich ändernde
im Rahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung gesehen werden. Die Veränderung der Lernumgebungen und Lernprozesse führt zu neuen Unterrichtskonzepten, die den Schülerinnen und Schülern eine aktivere Rolle beim Lernen zuschreiben. Selbstorganisiertes und eigenverantwortliches Lernen bei den Schülerinnen
und Schülern führt auch zur Veränderung der Lehrerrolle, der verstärkt als Berater
und Coach auftritt.
Wenn Z.B. der jahrgangsisolierte Unterricht verschwindet, hat auch der Stundenplan für die Schülergruppen flexible Zeitfenster mit individuellen Lernplänen.
Dies bedeutet dann auch flexible Stundentafeln für den Lehrereinsatz. Ein solches
Modell beschreibt Schratz (2003) anschaulich am Beispiel der Futurum-Schule
in Schweden. In dieser Schule steht das Individuum im Zentrum, Jahrgangsklassen gibt es nicht, ebenso wenig Klassenzimmer. Die "soziale Architektur" ist
durch Heterogenität geprägt. Die rund 1000 sechs- bis sechzehn-jährigen Schüler
(Grundschule) sind in sechs Arbeitseinheiten unterteilt, die von je einem Team
von sechszehn Lehrerinnen und Lehrern betreut werden. Jede Schülergruppe hat
dabei jeweils eine Kontaktlehrperson, welche die Gruppe täglich trifft und während der gesamten Schulzeit begleitet. Dabei verbringen die Schüler täglich neun
Stunden in der Schule. In diesen Lernteams findet nebst einer kognitiven auch
eine soziale Entwicklung statt. "Im Laufe der Jahre wächst diese Gruppe zu einem
Netzwerk von Erwachsen-Werdenden zusammen, das eine tragfähige soziale Basis
Differenzierung als Chance für kleine Schulen 441
innerhalb der gesamten Schule darstellen soll" (Schratz, 2003, S. 44). Den Erfolg
bei dieser auf den Umgang mit Heterogenität ausgerichteten Schulentwicklung
sieht Schratz (2003) wie folgt:
Der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der sozialen Architektur einer auf Heterogenität ausgerichteten Schule liegt in der Möglichkeit, Personal, Räume und Zeit flexibel einsetzen zu können.
Dies liegt einerseits im Konzept der "Schule in der Schule" andererseits auch in der Arbeitsplatzor_
ganisation der Lehrerinnen und Lehrer. (S. 45)
Die Rolle des Schul- und Klassenklimas bei der Unterrichtsentwicklung
Eine grössere Heterogenität verändert die Rahmenbedingungen in den Schulen.
Dies und auch die relative Autonomie jeder einzelnen Schule führt zu Veränderungen in den Schulhäusern und Klassenzimmern, welche insbesondere das Klima
belasten, aber auch stärken kann. Wobei sich das Klima in einer Schule oder einer
Klasse schwer einheitlich definieren lässt. In der Literatur zur Klimaforschung
lassen sich zwei Ansätze unterscheiden (Janke, 2006). Der erste Ansatz stammt
aus der Organisationspsychologie und überträgt Theorien des Klimas aus Organisationen und Betrieben auf die Schule. Im Zentrum dieses Ansatzes stehen das
Führungsverhalten der Schulleitung und die Art der Zusammenarbeit im Schulteam. Der zweite Ansatz geht von einer pädagogisch-psychologischen Perspektive
aus und rückt die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt. Man kann somit
sagen, dass der organisations-psychologische Ansatz eher das Schulklima ins Zentrum rückt, der pädagogisch-psychologische Ansatz eher das Klassenklirna. Zur
weiteren Differenzierung der Konzepte siehe Janke (2006, S. 13ff).
Das Schul- und Klassenklima wird jedoch auch in besonderem Masse von den
Lehrpersonen geprägt. Einige Aspekte dazu wurden bereits im Abschnitt über
das Schulteam (S. 439ff) behandelt. Für die Lehrpersonen konnte Fend (1998)
in seiner umfassenden Längsschnittstudie nachweisen, dass mit zunehmender
Integration und positiver Beurteilung der Schulleitung die Arbeitszufriedenheit
der LehrerIn-nen und Lehrer steigt, was wiederum mit einem positiven Schulklima einhergeht. Schlussendlich scheinen auch die Schülerinnen und Schüler
von einer hohen Arbeitszufriedenheit der Lehrpersonen zu profitieren (ebd.):
Schülerinnen und Schüler bei Lehrpersonen mit hoher Arbeitszufriedenheit
berichten über ein im Vergleich besseres Vertrauensverhältnis zur Lehrperson.
Eine besondere Bedeutung für das Schulklima kommt der Schulleitung zu. Zwischen Merkmalen der Schulkultur oder auch des Klassenklimas aus Sicht des
Schulleiters und jener aus Sicht der Schülerinnen und Schüler bestehen allerdings nach Eder (1996) aufgrund des Forschungsstandes nur wenige oder inkonsistente Zusammenhänge.
442
Schule im alpinen Raum
Heterogenität, Differenzierung und kleine Schulen
Die Rahmenbedingungen für Unterricht werden immer vieWiltiger. Eine in der
Zukunft vermutlich heterogenere Schülerschaft im alpinen und ländlichen Raum
erfordert neue pädagogische und didaktische Konzepte. Die Variation der Schülerinnen und Schüler bezüglich Lernvoraussetzungen, Vorwissen, Leistungsvermögen, Interessen und Motivation verlangt nach neuen Wegen des Unterrichtens.
Um mit Heterogenität angemessen umgehen zu können, müssen Lehrpersonen in
der Lage sein, ihren Unterricht entsprechend anzupassen. "Adaptive teaching is
teaching that arranges environmental conditions to fit learners' individual differences" (Corno & Snow, 1986, S. 621).
Schon 1995 forderte Prengel deshalb eine "Pädagogik der Vielfalt". Diese weist
aber seinerseits Vorläufer in den 1970er Jahren unter dem Begriff "Binnendifferenzierung" auf. Schon damals ging es darum, mit didaktisch-methodischen
Überlegungen der Verschiedenheit der Lernenden gerecht zu werden. Weitere
Bezüge lassen sich zur Reformpädagogik bspw. zur Arbeit mit dem Jena-Plan oder
zur Schreibwerkstatt von Freinet machen. Die Unterrichtskonzepte der Reformpädagogik, die zumeist zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, sind
auch heute noch unter dem Begriff des "Offenen Unterrichts" aktuell. Obwohl also
bereits seit einiger Zeit Lösungsvorschläge zum Umgang mit der Heterogenität
vorliegen, scheinen sich die Defizite bezüglich eines Unterrichts, welcher die Individualität der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, nicht verändert zu haben
(Trautmann & Wischer, 2009).
Grundsätzlich lassen sich vertikale und horizontale Heterogenität unterscheiden.
Die vertikale Heterogenität bezieht sich auf das unterschiedliche Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler. Die horizontale Heterogenität bezieht sich auf
die VieWiltigkeit der Schülerinnen und Schüler z.B. hinsichtlich Interessen und
Haltungen. Auch die kleinen alpinen Schulen können teilweise nur mit der Vergrösserung der Heterogenität (z.B. Zusammenlegung von Jahrgangsstufen) auf
abnehmende Zahlen von Schülerinnen und Schülern reagieren. Auf die Zunahme
der Heterogenität ist aber zur Qualitätssicherung mit neuen (oder eben schon länger vorliegenden) Unterrichtskonzepten zu reagieren.
Von den vielen Begriffen, die im Zusammenhang mit individualisierendem Unterricht auftauchen, scheint uns der Begriff der "Differenzierung" am geeignetsten,
um die verschiedenen Möglichkeiten den Unterricht adaptiver zu gestalten,
zusammenzufassen. Bei der "äusseren Differenzierung" werden Klassenverbände
oder Lerngruppen (zeitweilig) aufgelöst und nach einem speZifischen Kriterium
Differenzierung als Chance für kleine Schu len
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neu zusammengesetzt (z.B. bei Hochbegabtenklassen oder Sportklassen). Bei der
"inneren Differenzierung" wird an Aufgaben für verschiedene Kompetenzstufen
oder Interessengruppen innerhalb der Klasse gedacht. Zudem grenzen wir den
Begriff der Differenzierung von der "Individualisierung" ab, indem es beim Differenzierten Unterricht nicht das Ziel ist, für jede Schülerin und jeden Schiller
ein individuelles Programm zu erstellen. Theoretisch bis ans Ende gedacht, wäre
Individualisierung jedoch die extreme Form der Differenzierung. Oft werden aber
Individualisierung und Differenzierung nicht konsequent unterschieden. Differenzierung wird teilweise als "von oben" (durch die Lehrperson) und Individualisierung als "von unten" angesehen (z.B. Schüler oder Schülerin kann Lerninhalte
selbst wählen); siehe zur Abgrenzung der Begriffe auch Paradies & Muster-Wäbs
(2010). Explizit geht es beim hier vorgestellten Forschungsprojekt um den Blick
auf die Lehrperson und ihre Massnahmen innerhalb der Klasse bzw. Lerngruppe.
Scholz (2010) behandelt verschiedene Differenzierungsmöglichkeiten wie Differenzierung
nach Unterrichtsmaterialien
nach Umfang des Lernstoffes
nach Anforderungsniveau
nach Inhalten und Interessen
nach Lernwegen und Zugangsweisen
nach Unterrichtsformen
nach Sozialformen
nach jahrgangsübergreifenden Lerngruppen.
Für den differenzierenden Unterricht werden nun spezifische Anforderungen an
die Lehrperson gestellt (Wang, 1980). Sie
muss fähig sein zu einer Lern-Diagnose der Schülerinnen und Schiller, welche
eine optimale Begleitung und Beratung ermöglicht
muss differenzierende Aufgaben stellen können (z.B. Wahlmöglichkeiten, differenzierende Arbeitshilfen, unterschiedliche Lernziele)
ist sicher in der Bewertung von Lernleistungen und Leistungsrückmeldung
arbeitet am Aufbau einer Selbstbewertungskultur
kümmert sich um Betreuung der Aufgabenbearbeitung/Lernberatung.
Bräu (2008) sieht nun die besondere Handlungskompetenz für Lehrpersonen
im differenzierenden Unterricht in der situationssensiblen Vermittlung der am
Anfang dieses Abschnitts beschriebenen eigentlich widerläufigen Anforderungen
von individuellem Lernstand und Bedürfnissen und Anforderungen von Bildungszielen und Lehrplanvorgaben (siehe auch S. 446).
444
Schule im alpinen Raum
In einer Literaturübersicht empirischer Arbeiten zur Differenzierung von Tomlinson et al. (2003) wird aufgezeigt, wie Schulentwicklung aufgrund der Befunde
zur Differenzierung aussehen könnte. Dabei wird Differenzierung als ein Unterrichtsansatz angesehen, bei dem "teachers proactively modify curricula, teaching
methods, resources, learning activities, and student products to address the diverse
needs of individual students and small groups of students to maxirnize the learning
opportunity for each student" (S. 120). Die Lehrplanziele und die Unterrichtsmethode müssen als Reaktion auf die Neigungen der Schülerinnen und Schüler
differenziert werden. Tomlinson et al. berichten über eine Metaanalyse zum Vergleich von jahrgangshomogenen und altersgemischten Klassen. Dabei lagen 75%
der benutzten Effektmasse beim Mehrklassenunterricht über denen der Masse für
Einzelklassen. Ein weiterer Aspekt ist die Differenzierung gemäss den Interessen
der Schülerinnen und Schüler. Hier werden in verschiedenen Studien ebenfalls
positive Effekte der Differenzierung nachgewiesen. Gleiches gilt für den Lernstil
der SchülerInnen.
Tomlinson et al. (2003) ziehen aus den empirischen Metaanalysen und verschiedenen theoretischen Ansätzen u.a. folgende Schlüsse für erfolgreiche Differenzierung (vgl. S. 127ff):
Effektive Differenzierung ist vorausplanend und weniger reagierend.
Effektive Differenzierung erfolgt optimal in kleinen Lehr-Lerngruppen.
Bei effektiver Differenzierung wird das Lernmaterial variiert.
Effektive Differenzierung passt das Lerntempo den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Lernenden an.
Effektive Differenzierung basiert auf dem Vorwissen der Lernenden.
Damit die Lehrperson die Differenzierungsmassnahmen optimal auf das Vorwissen der Lernenden abstimmen kann, braucht es Formen von formativer Beurteilung (Srnit, 2009). Stefanikis Harris (2011) sieht differenzierende Beurteilung als
Ausgangspunkt für einen differenzierenden Unterricht.
Tomlinson et al. (2003) stellen jedoch fest: Obwohl die meisten Lehrpersonen die
Notwendigkeit anerkennen auf die Heterogenität der Schulkinder im Klassenzimmer einzugehen, planen oder verwirklichen sie selten Differenzierung im Unterricht. Neuere Forschungen legen jedoch den Nutzen differenzierten Unterrichts
nahe. Baumgartner et al. (2003) konnten z.B. bei Studien zum Lesenlernen zeigen,
dass differenzierende Anleitungsstrategien die Leseleistung steigern. Einen ähnlichen Befund zur Differenzierung erzielte Tieso (2005) bei Mathematikleistungen
auf der Basis von Assessments. Wie sich bei den Ergebnissen (S. 453ff) zeigen wird,
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
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sind für viele Lehrpersonen bestimmte Formen der Differenzierung nicht unbekannt, sie sind jedoch noch nicht Unterrichtsalltag.
Rahmenmodell und Intervention
Die innere Differenzierung steht nach Bräu (2008) in einem Spannungsfeld:
Geht es darum, schöpferischen Eigen-Sinn der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers zu fordern
oder geht es um die Hinfuhrung zu bestinunten Wissens- und Kompetenzanforderungen? Es geht in der
Schule natürlich um beides .. • Genau aus dieser Spannung entsteht die Schwierigkeit im konkreten Handeln von Lehrerinnen und Lehrern im Umgang mit Heterogenität und Innerer Differenzierung: Einerseits
gilt es am Individuum anzusetzen, seine Selbständigkeit zu fordern, das individuell Mögliche herauszufordern, andererseits geht es um eine gemeinsame Wissens- und Kompetenzbasis (S. 22).
Unter dieser Perspektive versteht Bräu innere Differenzierung daher auch eher
als grundlegendes Verständnis von Unterricht und weniger als eine bestimmte
Methode. Die Wirkungsweise differenzierenden Unterrichts wird von Bräu in
einem Modell gefasst, in dem die Anforderungen an Lehrpersonen, die differenzierenden Unterricht praktizieren, fokussiert werden. Das Modell baut auf dem
Angebot-Nutzungs-Modell auf, das bei Helmke (2005) beschrieben wird.
Im Rahmenmodell werden verschiedene Komponenten mit ihren unterschiedlichen Wirkrichtungen erfasst. Dahinter stehen grundlegende Überlegungen zur
Mehrschichtigkeit von Schulentwicklungsprozessen (siehe S. 337f). Im Zentrum
des Rahmenmodells von Bräu stehen Lehrpersonen mit ihrem Angebot und Schüler/innen mit ihrer Nutzung welche bestimmte Effekte hervorbringen. Wesentliche
Bestandteile des Rahmenmodells sind:
der gesellschaftliche/bildungspolitische Rahmen. Dieser wirkt u.a. auf
die Ziele, wie z.B. Bildungsstandards, Rahmenpläne, individuelle Ziele
die Schülerinnen und Schüler in ihrer Unterschiedlichkeit, diese nutzen (Komponente: Nutzung) das Angebot der
Lehrpersonen mit ihren Aufgaben an die Schülerinnen und Schüler, aber auch
mit ihren subjektiven Theorien
Wirkungen/Effekte: hier geht es um die erreichten Lernergebnisse; hier ist vor
allem Nachhaltigkeit wichtig.
Auf der Grundlage der Modelle von Bräu und Helmke wird im Folgenden eine
Weiterentwicklung des Rahmenmodells zur Verortung der im Teilprojekt der PH
St. Gallen verwendeten Konstrukte der Untersuchungsinstrumente vorgestellt
(siehe Abb. 1). Dargestellt sind die verschiedenen Akteure im Schulentwicklungsprojekt und die in den Fragebogen verwendeten Themenbereiche. Diese wurden in
Items und Skalen operationalisiert.
446
Schule im alpinen Raum
Die Bestandteile des Modells sind weitgehend Gegenstand der empirischen Prüfung (siehe S. 449ft"). Die empirische Prüfung konzentriert sich u.a. auf die Faktoren, welche in einem Zusammenhang zum differenzierten Unterricht stehen und
allfällige Veränderungen dieser Faktoren. Zusätzlich lassen sich auch Vergleiche
von Lehrpersonen bzw. Schulen mit Teilnahme am Schulentwicklungsprojekt und
Lehrpersonen, die nicht an der Schulentwicklung teilgenommen haben, durchführen.
Als Ziele bei der Schulentwicklung wurden im vorliegenden Projekt zum
Beispiel der Wunsch nach einem gemeinsamen Blick in Richtung vermehrter Differenzierung im Unterricht, erweiterte Lernarrangements, mehr eigenverantwortliches Lernen der Schülerinnen und Schüler oder auch verstärkte
Zusammenarbeit im Schulteam bezüglich pädagogischer Fragen genannt. Zur
Vorbereitung der Schulentwicklung waren Module nach eigenen Interessen und
Bedürfnissen wählbar und wurden in schulhausgemischten Gruppen besucht.
Es standen den Lehrpersonen in zwei Modulen jeweils vier Themen zur Auswahl. In der ersten Projektphase im Oktober 2009 konnten sie aus folgenden
Angeboten wählen:
Lernen als Kommunikation
Lernen als Umgang mit Veränderung
Lernen mit Kompetenzrastern (sprachlich orientiert)
Lernen mit Arrangements (naturwissenschaftlich orientiert)
In der zweiten Projektphase im Oktober 2010 standen folgende Themen zur Auswahl:
Sprachunterricht mit kompetenzrasterbasierten Lernarrangements
Mathematikunterricht mit kompetenzrasterbasierten Lernarrangements
Lerncoaching
Binnendifferenzierung - Orientierung und Sicherheit in der Vielfalt
Aufbeide Modultage folgte eine Praxisphase. In dieser sah das Projekt vor, dass die
Lehrpersonen die in den Modulen erworbenen (Er-)Kenntnisse in ihrem beruflichen Alltag weiter entwickeln und umsetzen. Dieser Austausch sollte sowohl in
im Modul gebildeten Erfahrungsgruppen wie auch intern im Schulhaus geschehen. Wichtiges Ziel war, sich die neuen Unterrichtsideen gegenseitig zugänglich
zu machen. Eine ausführliche Beschreibung des Schulentwicklungskonzepts findet
sich bei Keller in diesem Band.
Im Folgenden werden verschiedene Fragestellungen im Zusammenhang mit der
Differenzierung gestellt, welche einer empirischen Prüfung zugeführt werden.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
447
Fragestellungen und Hypothesen
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Aufgrund der bisherigen Darstellungen ergeben sich folgende Forschungsfragen:
1. Welche Formen von differenziertem Unterricht finden sich in Schulen im
alpin ländlichen Raum?
2. Wie nehmen die Akteure (Lehrperson, SchülerInnen und Eltern) den Unterrichtwahr?
3. Welche Veränderungen zeigen sich gegen Ende der Projektphase in den Wahrnehmungen der Akteure?
4. Welche Faktoren in einer Schule fördern einen differenzierten Unterricht?
5. Wie manifestieren sich die Ziele der Schulentwicklung in den Projekt-Schulen?
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I
Anhand der vorliegenden Forschungsergebnisse und theoretischer überlegungen
lassen sich einige isolierte Hypothesen aufstellen. Komplexere Zusammenhänge
werden im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen (Mehrebenenanalysen) ermittelt. u.a. werden folgende Forschungshypothesen geprüft:
a. Eine gute Schulleitung steht in einem positiven Zusammenhang mit der Entwicklung des Angebots der Lehrpersonen hinsichtlich der Differenzierung.
b. Eine gute Teamkultur steht in einem positiven Zusammenhang mit der Entwick1ung des Angebotes der Lehrpersonen hinsichtlich der Differenzierung.
c. Das Unterrichtsentwicklungsprojekt steht in einem positiven Zusammenhang
zur Entwicklung der Differenzierungskompetenz und der pädagOgischen Teamkultur.
d. Ein gutes Angebot der Lehrperson hinsichtlich der Differenzierung führt zu
hoher Schülermotivation.
e. Ein hohes Differenzierungsangebot wird von den Schülerinnen und Schülern als
optimales Lernangebot wahrgenommen.
Untersuchungsdesign
Das Schulentwicklungsprojekt dauerte von Sommer 2009 bis Ende 2011, wobei
die ausschließliche Forschungsphase ein halbes Jahr früher endete. Eine übersicht
über die eingesetzten Instrumente findet sich in Abbildung 2. Auf der Oberstufe
und bei den erwachsenen Akteuren wurde zumeist ein Online-Fragebogen eingesetzt. Für die Primarschülerinnen und -schüler fand am häufigsten die Papierversion Verwendung. Anschliessend an die erste Erhebung startete die Schulentwicklung (siehe Beitrag Keller). Zu den Interviews und dem Lehrpersonenportfolio
finden sich genauere Hinweise S. 455ff.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
449
Abbildung 2: Forschungsdesign
Lehrpersonenfragebogen
1
Schülerfragebogen 1
Schulleiterfragebogen 1
Schulratsfragebogen 1
Sommer 2009
Herbst 2010
o
o
o
o
Elternfragebogen 1
Interviews Oberstufenschulen'
Portfolios Lehrpersonen Oberstufe'
o
o
Tabelle 1: Stichproben der Fragebogen tl und t2
Sommer 2011
o
o
o
o
o
o
1. Selbsteinschätzung 2. SelbsteinschätzunglFremdanalyse 3. Fremdeinschätzung
Schulen
Oberstufe ohne Schulentwicklung
Primarstufe mit Schulentwicklung
Primarstufe ohne Schulentwicklung
Privatschulen mit Individualisierung
weitere Schulen aus GR. V (1) und VS
Am Forschungsprojekt teilgenommen haben Schulen aus dem ländlich-alpinen
Oberstufe ohne Schulentwicklung
Raum des Kantons St. Gallen und bei der Primarstufe auch eine Schule aus Liechtenstein und zwei aus dem Kanton Glarus. Zusätzlich in der Stichprobe befinden sich
zwei Privatschulen mit individualisierendem Unterricht als Vergleichsgruppe sowie
Primarstufe mit Schulentwicklung
Für einen Teil der Schüler konnten wir zusätzlich zu den Fragebogen zur Schulentwicklung auf die Daten aus standardisierten Leisnmgstests (nKlassencockpit"')
in den Fächern Deutsch und Mathematik zurückgreifen. Diese Auswertung wird
später publiziert. Zusätzlich wurden auf den OberstufensclJulen zwei qualitativ
orientierte Teilstudien durchgeflihrt: eine Portfoüostudie mit 35 Lebrpersonen bei
n und 37 Personen bei 11 sowie eine Interviewstudie mit 18 Lehrpersonen aus den
Schulen der Gesamtstichprobe.
450
Primarstufe ohne Schulentwicklung
Privatschulen mit Individualisierung
weitere Schulen aus GR. V und VS
4
5
5
3
2
2
2
0
19
= 123)
tl (n
Oberstufe mit Schulentwicklung
6
4
4
Lehrpersonen
Stichproben
43
35
32
17
10
12
7
0
13
123
Oberstufe mit Schulentwicklung
Oberstufe ohne Schulentwicklung
Primarstufe mit Schulentwicklung
Primarstufe ohne Schulentwicklung
Privatschulen mit Individualisierung
weitere Schulen aus GR. V und VS
Total
tl (n
= 1789)
Oberstufe mit Schulentwicklung
Oberstufe ohne Schulentwicklung
Primarstufe mit Schulentwicklung
Primarstufe ohne Schulentwicklung
Privatschulen mit Individualisierung
Total
(1) inkl. 5. und 6. Klasse
105
t2 (n = 913)
655
466
300
292
124
37
38
34
77
84
595
1789
Eltern
= 105)
t2 (n
55
4
Total
Schiiler- und Schiilerinnen
= 19)
t2 (n
6
24
Total
vier Schulen zwn Zeitpunkt tl aus unseren Partnerregionen Graubünden, Vo.rarlberg und Wallis. Die beiden Messzeitpunkte t1 (Herbst 2009) und t2 (Frühjahr 2011)
haben dementsprechend unterschiedliche Stichprobenwmange. Zusätzlich gab es
weite.re Abgänge aus unterschiedlichen Gründen. Eine Primarschule wurde auf die
Unterstufe reduziert, eine Oberstufenschule wollte nicht mehr an der Befragung zum
zweiten Zeitpunkt teilnehmen. Die einzelnen Teilstichproben sind aus der Tabelle 1
ersichtlich. Der Rücklauf bei den Fragebogen liegt für Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler bei rund 80%. Bei den Eltern hat zum Zeitpunkt t2 knapp die
Hälfte mitgemacht. Bei de.n Schulleiterinnen und -leitern nahmen zum ersten Zeitpunkt 18 teU. zum zweiten fünf. Allerdings bestand zum zweiten Zeitpunkt die Wahl
bei Doppelfunktion auch als Lehrperson den LP-Fragebogen auszufüllen. Schulräte
reichten nw· vereinzelt einen ausgefüllten Fragebogen ein. An der zweiten Untersuchung nahmen generell in den verschiedenen Gruppen etwas weniger Personen
teil als an der ersten Befragung. Die Eltern wurden lediglich einmal befragt.
= 24)
tl (n
Oberstufe mit Schulentwicklung
913
t2 (n
= 406)
246
85
29
9
37
406
Schule im alpinen Raum
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
451
Messinstrumente
Fragebogen
Es wurden verschiedene Fragebogen auf der Basis der klassischen Testtheorie
entwickelt, überprüft und in den beiden Untersuchungszeitpunkten eingesetzt.
Für die Lehrpersonen wurde ein Fragebogen mit insgesamt 21 Skalen und 104
Items konstruiert. Zusätzlich bestand die Batterie aus 39 Einzelfragen und einigen offenen Fragen. Die Items stammten teilweise aus den PISA-Untersuchungen
(Ramm, Prenzel & Baumert, 2003) oder der Pythagoras-Studie (Buff et al., 2005),
zusätzlich gab es auch Eigenkonstruktionen. Das Antwortformat war zumeist vierstufig (absolute Zustimmung = 4, absolute Ablehnung = 1).
Die Skalen wurden als Likert -Skalen konstruiert. Als Reliabilitätsmass wurde
Cronbachs Alpha berechnet. Alle Skalen besitzen zumeist einen Alpha-Wert
Tabelle 2: Auszug Skalenhandbuch
Beschreibung/Beispiel
Anzahl Items
z.B. Die Berücksichtigung von
Schülerinteressen bei der
Unterrich15planung ist mir ...
z.B. Es fillt mir leicht, den
Lernenden die Ursachen ihrer
Lernschwieril:keiten darzulegen.
Skala, 6 ltems,
Fragebogen für
Lehrpersonen
Skala, 5 Items,
Fragebogen für
Lehrpersonen
Skala, 4 ltems,
Fragebogen für
Lehrpersonen
Skala, 6 Items,
Fragebogen für
Lehrpersonen
Skala, 8 ltems,
Fragebogen für
Lehroersonen
Faktor
Skala
DI
Differenzierung
Motivation
DI
Diagnosekompetenz
DI
Selbstbewertung
Bedeutung des Trainings der
Selbstbewertung
DI
Rückmeldung!
Beurteilung
Individuelle mündliche oder
schriftliche Rückmeldung an die
Schüler
DI
Lernzieldifferenzierung
Schüler erhalten individuell
angepasste Lernziele
DI
Aufgabendifferenzierung
-
Unterricht
global
-
Motivation
452 Schule im alpinen Raum
z.B. Ich verwende im Unterricht
offene Aufgaben, welche
verschiedene Lösungswege
ermöglichen.
z.B. Die Lehrperson unterrichtet
so, dass es die Schüler interessiert.
Schiller lernen viel.
Leistungsmotivation mit
intrinsischen und extrinschen
;\wekten
Skala, 5 Items,
Fragebogen für
Lehrpersonen
Skala, 5 Items,
Schülerfragebogen
Skala, 6 Items,
Schülerfragebogen
über 0.7. Falls nötig wurden entsprechende Iternrevisionen oder -selektionen
vorgenommen. Die Skalen wurden faktorenanalytisch abgesichert Es wurden
vier latente Variablen erstellt: Schulleitung (SL), pädagogische Tearnkultur (TK),
Differenzierung (DI), Unterrichtsklima (UK). In der Tabelle 2 sind die Items der
latenten Variablen "Differenzierung" wiedergegeben plus zwei SchülerskaIen, welche in den Pfadmodellen Verwendung finden.
Auswertung
Die quantitativen Auswertungen wurden mithilfe des Statistikprogrammpakts
PASW und Mplus durchgeführt. Dabei wurden zunächst deskriptive Analysen
(Häufigkeiten, Kreuztabellen u.ä.) und anschliessend inferenzstatistische Verfahren (Mittelwertsvergleiche, Regressionsanalysen, Strukturgleichungsmodelle,
Mehrebenenanalysen) angewendet. Bei der Auswertung der Interviews kamen
qualitative Verfahren der Inhaltsanalyse (Mayring, 2005) zum Einsatz. Anhand
von zehn Hauptcodes und weiteren Untercodes erfolgte die Analyse mit Hilfe des
Softwareprogramms MAX QDA 2010. Bei den Portfolios kam ein Kompetenzraster zur Differenzierung von Tomlinson et al. (2008) zum Einsatz, welches zur
Beurteilung der Dokumente adaptiert wurde. Die Raterübereinstimmung (ICC)
wurde mit PASW berechnet.
Ergebnisse
Der Vergleich der Daten der beiden Erhebungszeitpunkte steht im Zentrum der
Längsschnittanalyse zur Differenzierung. Zusätzlich werden einige Befunde von tl
und die Resultate der qualitativen Analysen berichtet.
Welche Formen von Differenzierung setzen die Lehrpersonen ein?
Inhaltsanalyse der Lehrpersonendaten
Am Ende der Schulentwicklungsphase wurden die verschiedenen Differenzierungsmethoden der Lehrpersonen erfasst und es wurden die Anteile jeder einzelnen Differenzierungsmethode bei den Lehrpersonen mit und ohne Schulentwicklung verglichen. Grundlage war eine offene Frage im Fragebogen zu den drei
am häufigsten im Unterricht vorkommenden Methoden der Differenzierung. Die
Antworten wurden mittels eines Kategoriensystems codiert und anschliessend
mit PASW nach Häufigkeiten ausgewertet. Zusätzlich zu den beiden Gruppen mit
und ohne Schulentwicklung (SE) wurden die Anteile der beiden Privatschulen mit
verstärkter Individualisierung aufgenommen. Die Ergebnisse sind in Abbildung 3
und 4 wiedergegeben.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
453
Abbildung 3: Differenzierungsformen nach Gruppen t1
Abbildung 4: Differenzierungsformen nach Gruppen t2
• ohne SE
• ohne SE
11
mit SE
• Privatschulen
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o
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• mit SE
• Privatschulen
~
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Verschiedene Niveaus
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~
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o
N
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0
N
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Lf)
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Verschiedene Niveaus
Lerntempo oder Menge
Lerntempo oder Menge
individualisiertes Arbeiten
individualisiertes Arbeiten
Abklärung Vorwissen
offene Lernaufgaben
offene Lernaufgaben
Coaching durch Lehrperson
Coaching durch Lehrperson
Betreuung durch weitere Personen
Betreuung durch weitere Personen
offener Unterricht
Variation der Lernmethoden
Peer Arbeit
Klassenteilung
Differenziertes Beurteilen
Sonstiges
~
-
~
Relativ häufig geben die Lehrpersonen an, Materialien für verschiedene Niveaus
anzubieten oder auch das Lerntempo bzw. die Menge zu variieren. Insbesondere
die Privatschulen mit Individualisierung zeigen hohe Werte für Individualisierung, was zu erwarten war. Dieser Unterschied zu den öffentlichen Schulen wird
zum Zeitpunkt t2 noch augenfalliger. Der praktizierte hohe Individualisierungsgrad kann als Herausforderung für die verstärkte Differenzierung von Schulen im
alpinen Raum gesehen werden. Am besten ist diese verbunden mit Phasen kooperativen Unterrichts in der Gesamtklasse. Sowohl die Lehrpersonen der Schulen
mit, als auch ohne Schulentwicklung (SE) erwähnen dagegen Formen des offenen
Unterrichts - bspw. Wochenplan - häufiger. Hier könnten auch Veränderungen
bei den Schulen mit SE stattgefunden haben. Vielleicht machen die Lehrpersonen
erste Schritte im Differenzieren mittels Planarbeit. Dazu kommt bei einigen Lehrpersonen auch noch die Arbeit in Lernpartnerschaften. Noch selten sind dagegen
zusätzlich Aspekte, die bei einem höheren Ausbau von differenziertem Unterricht
454
offener Unterricht
Variation der Lernmethoden
Peer Arbeit
Klassenteilung
Differenziertes Beurteilen
Sonstiges
dazu kommen, wie die veränderte Lehrerrolle (mehr Lerncoach) und eine erweiterte, formative Beurteilung.
Interviewbefunde zum differenzierenden Unterricht
Als zweite qualitative Analyse wurden Leitfadeninterviews mit Lehrpersonen
durchgeführt. Es beteiligten sich 14 Lehrer und 4 Lehrerinnen aus den neun teilnehmenden Schulen mit unterschiedlich langer Berufserfahrung. Diese dauerten
jeweils rund eine Stunde und wurden anschliessend transkribiert und anonymisiert. Für die qualitative Textauswertung wurde die Software MAX QDA 2010 verwendet. Dazu wurde im Voraus in Anlehnung an die Fragen des Leitfadeninterviews ein übergeordnetes deduktives Codesystem erstellt. Im Laufe der Analyse
konnte aufgrund der Aussagen der Lehrpersonen dieses System induktiv erweitert
und differenziert werden. Die fünfHauptcodes entsprechen den Hauptthemen des
Leitfadeninterviews:
Schule im alpinen Raum
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
455
Haltung gegenüber Heterogenität
Diagnose des Lernstandes der Lernenden
Umgang mit Heterogenität im Unterricht
1.
2.
3.
4. Förderung der Lernkompetenzen
5. Rolle der Lehrperson und der Lernenden im Unterricht
Nachfolgend finden sich Beschreibungen aus den Interviews zum Umgang der
Vielf<iltige, meist niederschwellige Angebote oder Massnahmen sollen langsamen
und schwachen Schülerinnen und Schülern den Anschluss ermöglichen. In Abb. 5
sind verschiedene Möglichkeiten aufgelistet.
Abbildung 5: Eingesetzte Formen zur Differenzierung
NS5: Wer Mühe hat, dem gebe ich, auf freiwilliger Basis
Lehrpersonen mit der Heterogenität.
Alltagslösung
Die häufigsten Formen, die die Lehrpersonen spontan nennen, betreffen einerseits
die schnellen Schülerinnen und Schüler an der Spitze, aber auch die Schwachen
und Langsamen der Klassen, da sich der Unterricht grundsätzlich am Mittelfeld
orientiert.
Ja, in meiner Klasse hat es gute und schlechte Schüler. Die Mitte schwimmt ja relativ problemlos.
Vor allem muss man auch auf die schwächeren Schüler achten. Ich schaue eher auf die Schlechten
als auf die Guten, damit sie auch mitkommen. Dass man da Rücksicht nimmt. (N55)
Grundsätzlich arbeiten alle Schülerinnen und Schüler nach einer gemeinsamen Einführung am gleichen Auftrag. Die Schnellen können, wenn das möglich ist, innerhalb des Themas weiterarbeiten, häufiger erhalten sie zusätzliche Aufgaben. Nach
Angaben der Lehrpersonen soll es sich bei Zusatzaufgaben auf keinen Fall um eine
blosse Beschäftigung handeln, sondern es sollen Aufgaben sein, die sinnvoll sind,
von denen die Schiilerinnen und Schiller profitieren und die sie im besten Fall interessieren und Spass machen. Also Aufgaben, die eher in Richtung Belohnung gehen,
wie zum Beispiel Kreuzworträtsel, Knobelaufgaben oder Computer-Programme.
muss ich sagen, Zusatzaufgaben. Wenn zum Beispiel einer
Freiwillige Zusatzaufgaben
besprechen sie ausserhalb der obligatorischen Stunden.
Das ist Quasi ein Service.
Q41: Ja, oder dass ich es so mache, dass ich einen Teil
Reduzierte Stoffmenge
Zusätzliche Hilfsmittel
Etwas weglassen
Zusätzliche Erklärungen
durchLP
dem Diktionär arbeiten, die Anderen können das ohne.
DS9: Ich kann bei ihnen gewisse Sachen streichen. Z.B. du
verbesserst nur die Aufgabe eins und drei.
erkläre, dann erklärt es vielleicht nochmals ein Schüler im
Kreis und danach gebe ich noch vier neue Beispiele. Dann
kann ja jemand immer und immer wieder bleiben, bis er
H76: Also wenn ich bei der Prüfung jemand habe, der ein
Zusätzliche Erklärungen
Lernziel erfüllt hat und einen Sticker bekommt, dort drauf
durch Schülerinnen und
steht, dass sie Experten sind. Und diese dürfen es dann
gaben im klassischen Sinn. (D57)
ausserhalb des Unterrichts
Bei denen, die in die Kanti wollen und in weiterführende Schulen, da nimmt man diese auch
zusammen und unterrichtet mit erhöhten schulischen Anforderungen ... (N55)
Klassenlektüre, wo wir auch daran arbeiten, wo sie auch
m ehr Zeit dafür benötil!en.
R47: Dass man sagt, die Einen dürfen zum Beispiel mit
das verstanden hat und die Anderen gehen früher weiter.
Sicher, die, die schneller fertig sind, bekommen ein Zns:1l.Wlalt oder sie können am Computer ans
Übungsprogramm. Dass es auch ein Anreiz. ist. wenn ich $CbneUer bin, werde ich nicht bestraft,
dass ich mehr machen muss. Sondern man kann et\olas [estigm und Wörtchen lernen. Zusatzauf·
Kursen gefördert.
weglasse für die Schwächeren. Dann arbeiten sie an der
H74: Dann habe ich einen Theorieblock, wo ich es ihnen
Schüler
Sie erhalten aber auch zusätzliche Aufgaben mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad
oder irgendwelche anderen Zusatzaufgaben. Gute Schülerinnen und Schüler dürfen öfters wählen, womit sie sich beschäftigen möchten. Sie werden ab und zu auch
als "Hilfslehrer" eingesetzt, indem sie schwächere unterstützen. Schülerinnen
und Schüler, die in weiterführende Schulen wollen, werden teilweise in separaten
im Aufsatz schreiben schlecht ist, hat er die Möglichkeit
freiwillig Aufsätze zu schreiben. Ich korrigiere sie und wir
Zusätzliche Betreuung
Arbeitsstunde
den Anderen erklären, die es noch nicht verstanden
haben.
M76: Jetzt habe ich mit ihm abgemacht, dass er am
Morgen vor sieben Uhr kommen kann. Dann kann ich
mir 10 Minuten Zeit nehmen.
C129: Bei uns ist es so, dass wir auf der 1. und 2. eine
obligatorische Arbeitsstunde haben, ( ... ) dass wir dann
dort wirklich nochmals individuell helfen können .
KIDS: Das Lernareal ist auch eine Möglichkeit, die ich
Übungsprogramme am PC
immer wieder aufzeige. Da bekommt man auch
Lösungsvorschläge bei den einzelnen Aufgaben ...
041: Dass man ein bisschen ausweicht und sagt:
Tieferes Niveau, z.B. im
Französisch ist auch, wenn man eine Speisekarte liest,
Französischunterricht
wenn man in einem Heftchen etwas macht, wenn man ein
Comic anschaut, probiert etwas zu verstehen . ..
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
456
Schule im alpinen Raum
457
Unterschiedliche Anforderungen
Eine weitere Form der Differenzierung, die relativ häufig erwähnt wurde, ist das
Arbeiten mit verschiedenen Anforderungen innerhalb des gleichen Themas. Nach
einer gemeinsamen Einführungsphase versuchen die Lehrpersonen durch differenzierte Anforderungen besser auf die Voraussetzungen der Lernenden einzugehen.
Gute Schülerinnen und Schüler lösen entweder alle Aufgaben oder lassen einfache
Aufgaben weg und befassen sich gleich mit den schwierigeren. Schwache Schülerinnen und Schüler bleiben bei den Grundanforderungen, können jedoch jederzeit
auch schwierigere Aufgaben lösen. Teilweise definieren die Lehrpersonen selber zwei
bis drei Niveaus oder es gibt Lehrmittel, die bereits in dieser Art aufgebaut sind.
Damit die Schülerinnen und Schüler selbständig arbeiten können, stellen die Lehrpersonen häufig Pläne mit allen nötigen Informationen und Angaben zusammen.
In der Regel werden Pflicht-und Wahlaufgaben, Grundanforderungen und erhöhte
Anforderungen oder sogar drei unterschiedliche Niveaus angegeben. Einerseits
dienen solche Pläne der Transparenz, in dem die Lernenden genau sehen, was
von ihnen erwartet wird. Andererseits können sie so selbständig, in ihrem eigenen
Tempo innerhalb eines gewissen Zeitrahmens arbeiten.
Vereinzelt sind in Prüfungen die unterschiedlichen Niveaus gekennzeichnet, so
dass die Schülerinnen und Schüler erkennen, welches einfachere oder schwierigere
Aufgaben sind.
Eine Moglich\l:o:il 1st, dass ich den SchiilePl verschiedene Übungen zur Verfügung stelle. Die
Übungen sind gekennreichnel nach eher einfach. milt,;! undscltwierig. Wobei ersraunJicherocise
die Schwer manchmal das Gefiihl.haben. die Mittlere .sel doch einfacher gewesen als·d.ie Einfache.
Ich weiss nicht, wie sie darauf kommen, aber das passiert. Auch schon habe ich in den Zielen differenziert, dass ich gesehen habe, bei dem Schüler lasse ich.bet der Prilfung dkses oder jenes·Ziel
weg, dass ich gesagt habe, für dich gelten diese Ziel •• weil du da= gearbeitet hasL Dass von da her
ein Unterschied da gewesen ist. 07l)
Speziell erwähnt wurden Differenzierungsformen im Umgang mit Texten. Sei dies
nun im Rahmen von Textverständnis, wo Texte mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad eingesetzt werden oder beim Schreiben von Texten. Eine Lehrperson
erzählt, wie sie beim Erstellen der Schülerzeitung in der Länge der Texte oder im
Inhalt differenziert.
Beim Sch,e1ben mache icb es indh~duaIisim.lch lasse meine Schiiler keine Aufsätze mehr schreiben. Stattde~nmaclle ich mit ihnen zusammen (iine Sc:hiilerzeitung. in welche sie Te.~WZU tinelU
'Thema schreiben nl~n. das sie selber ausgewählt baben. Dann korrigiere icb mit jedern Schiil~t
i.ndividue1L seinen TCXI. Doch ich konigie(e die Texte nichl nebenbei. sondel:1l7.osammen mit de.m
Ja, die Schwächeren können keine ganze Seite schreiben und Texte anderer Schüler müssen wir
abkürzen, damit sie nicht länger als eine Seite sind. Gute Schüler in Deutsch wählen dann oft auch
ein anspruchsvolleres Thema aus. Teilweise führen sie zusätzlich Interviews durch oder Ähnliches.
Andere nehmen lediglich ihr Hobby, über welches sie bereits viel wissen. (G61)
Mehrere Lehrpersonen beschreiben, dass sie mehr oder weniger häufig Projektarbeiten durchführen. Diese scheinen sich sehr gut zu eignen, um auf unterschiedliche Voraussetzungen, Interessen und Fähigkeiten der Schülerinnen und
Schüler einzugehen. Projektarbeiten werden nach Angaben der Lehrpersonen
vorwiegend in den Fächern Deutsch, Räume und Zeiten sowie Natur und Technik eingesetzt.
Zwei verschiedene Schulen wenden im Fach Mathematik sogenannte Dossiers an.
Ausschlaggebend für deren Erstellung war, dass aufgrund sehr kleiner Schülerbestände keine Jahrgangsklassen mehr geführt werden konnten. Daher mussten
jahrgangsgemischte Sekundar- und Realschulklassen oder altersgemischte Klassen
gebildet werden.
Die Dossiers sind einerseits aufgeteilt in Themen und andererseits in Sekundarund Realschul-Niveau. Sie beinhalten alle Lernumgebungen aus dem Lehrmittel
"Mathbuch" sowie zusätzliches MateriaL Der Aufbau ist immer gleich, zuerst die
Lernziele, dann der Lernplan mit verschiedenen Angaben zum vorgesehenen Zeitgefäss, zu Grund- und Zusatzaufgaben und zu Sozialformen wie Gruppenarbeit,
Partner- oder Einzelarbeit. Ebenso sind die Lernkontrollen und Prüfungen angegeben. Die Schülerinnen und Schüler können mit den Dossiers weitgehend selbständig innerhalb eines Zeitrahmens arbeiten.
Dazu haben wir dann auch noch die Lösungsordner. Und zwar sind sie farblich abgestimmt gehal·
ten - gelb, schwarz, grün, violett, rot, blau - ein Oberstufenschüler sieht auf einen Blick, welchen
Ordner er verwenden muss und dann auch mit den Nummern, die den Lernumgebungen entsprechen. Die Schüler holen sich die Ordner und kontrollieren sich weitgehend selber. Vor jeder Prü·
fung sammle ich die Dossiers ein, um zu schauen, dass sie aUes korrekt gemacht haben. Besonders
bei den l.-Klässlern ist die Selbstkontrolle nicht immer perfekt. Dann ist aber das Ziel, dass sie je
länger je mehr selbständiger werden. (C43)
Der Lernstand und auch die Lernfortschritte lassen sich anhand der Arbeit mit
den Dossiers, nach Ansicht der Lehrperson, viel besser feststellen und dokumentieren. So würden auch Lücken gezielt aufgearbeitet.
Da weiss ich es bestimmt besser, weil es nicht nur um Prüfungen geht. Wenn sie zur Prüfung kommen, weiss ich bereits ziemlich genau, wo sie stehen. Wir werten die LernkontroUen bereits aus und
notieren uns die Resultate. Ich sehe dann, wie viele Punkte noch fehlen und das Ziel ist es ja, dass
dort wo Lücken sind, sie diese noch aufarbeiten können. (C 86)
Schüler während der Stunde. (G46)
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
458
Schule im alpinen Raum
459
Grundsätzlich ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler zwischen Realund Sek-Niveau zu jeder Zeit problemlos wechseln könnten.
Der Übergang. bei dem oft bemängelt wird. dass er von oben nach unten geht. der ist bei uns theoretisch locker machbar von unten nach oben. Wir geben ihm einfach das nächste Dossier in die
Hand und er arbeitet dort weiter und es ist ein Sek-Dossier statt ein Real-Dossier. (C47)
Durch die Arbeit mit den Dossiers hat sich die Rolle der Lehrperson verändert, sie
wird zum Lernbegleiter oder Lerncoach. Grundsätzlich fühlt sich die Lehrperson
in dieser Rolle wohl und glaubt. dass das selbständige Lernen mit den Dossiers
auch auf die Schülerinnen und Schüler positive Auswirkungen hat.
Einerseits haben sie das Gefühl. dass sie so viel mehr profitieren - das haben praktisch alle Schüler so eingeschätzt. Andererseits fanden sie den herkömmlichen Unterricht eher etwas abwechslungsreicher und eben bequemer. Wir hatten gute Schüler. denen es zu Beginn nicht besonders
gefallen hatte. Die waren plötzlich gefordert. da sie ihr Tempo fahren konnten . Vorher sassen
sie im Unterricht und es war gemütlich und sie konnten alles locker mitbekommen. was nötig
war. (CS7)
Eine Lehrperson setzt auch im Fach »Natur und Technik" oder "Räume und
Zeiten" Dossiers ein. Im Unterschied zur Mathematik sind hier die unterschiedlichen Niveaus nicht bereits im Voraus angegeben. Hier behandeln alle Schülerinnen und Schüler den ganzen Stoff.
Ja. wenn ich das Dossier austeile. dann schaue ich es mit ihnen oft an, indem ich es mit ihnen
durchblättere und sage. was darin vorkommt. Wobei sie das auch selber machen. weil es sie interessiert. Dann ist es eigentlich so aufgebaut. dass vorne drin die Lernziele sind. Da hat es zwei Spalten.
wo ich dann mit der Zeit mit ihnen ankreuze, welches die Lernziele für die Sek und welches jene
für die Real sind. Ich gebe sie natürlich nicht schon im Voraus bekannt. dass sie schon beim Durchnehmen wissen. das geht mich nichts an. Das Dossier ist so, dass sie verschiedene Inhalte selber
erarbeiten müssen. sei das nun auS dem Internet oder es sind auch Dinge drin, wo wir Versuche
machen. Wenn jemand dorthin kommt, kann er dann den Versuch machen. In der Zeit, in der wir
am Dossier arbeiten, steht der Versuch parat. Aber so kann man auch arbeiten. wenn man Arbeitsblätter hat. Es ist dann einfach so, dass man von Anfang an alle Blätter austeilen musS oder dann
ruft laufend einer. "ich bin fertig" und dann gibt man wieder das nächste Blatt. (C96)
Im Fremdsprachenunterricht gibt es, je nach Klasse, sehr grosse Leistungsunterschiede, die sich besonders auf den mündlichen Unterricht erschwerend auswirken. Der mündliche Unterricht - hören, verstehen, sprechen - ist im Fremdsprachenunterricht jedoch zentral. In einer ganz kleinen Schule wird Englisch in einer
gemischten Real-Sek-Klasse unterrichtet. Zwei von drei Lektionen finden zusammen, eine getrennt statt. Diese Lehrperson führt zum ersten Mal eine Klasse in
dieser Form und das erst seit einigen Wochen.
Ich mache jetzt zum Beispiel die Erfahrungen mit Sek-Real-Englisch. Die Heterogenität ist gross.
Es läuft für mich sehr schnell auf zwei Schienen, weil das Lerntempo sehr unterschiedlich ist und
ich weiss selbst noch nicht so genau, wie ich das machen werde. (FIS)
Eine andere Lehrperson unterrichtet das Wahlfach Französisch in einer 2. Realklasse mit sechs Schülerinnen. Diese arbeiten in drei verschiedenen Unites. Die
Lernkontrollen werden ebenfalls je nach Lernstand individuell durchgeführt. Die
geringe Schülerzahl erleichtert diese Form von Differenzierung.
Dort bin ich gezwungen. Wir machen dort Blöcke, wo wir mündlich zusammen arbeiten, dann
machen wir Textarbeit, Spielformen, oder schauen Z.B. das passe compose zusammen an. Mehrheitlich lasse ich die Schülerinnen jedoch an ihren individuellen Lernzielen arbeiten. (H41)
Eine andere Lehrperson, die ebenfalls Französisch als Wahlfach erteilt, passt die
Anforderungen ganz pragmatisch an, indem schwache Schülerinnen und Schüler
zum Beispiel nur zehn oder 15 Wörter statt 20 lernen oder aus einem Comic-Heft
bzw. einer Speisekarte versuchen, etwas zu verstehen. Die Notengebung orientiert
sich dann auch mehr an der Arbeitshaltung als am effektiven kognitiven Können.
Ich verspreche nicht genügende Noten, aber wenn ich sehe, dass sie Einsatz zeigen. ist das genügend. Intellektuell vielleicht nicht. aber das ist ein Kompromiss. den man machen darf und kann.
um das Kind nicht zu demotivieren. Sie können ja nicht ein Wahlfach ankreuzen und ich schreibe
ihnen eine ungenügende Note rein. Das macht für niemanden Sinn. (041)
Aufgrund der grossen Heterogenität im Fach Französisch in einer Jahrgangsklasse hat eine Reallehrperson zusammen mit einer Kollegin neu einen Arbeitsplan zusammengestellt, den er im folgenden Semester einsetzen will. Im Arbeitsplan sind alle Lernziele, Aufgaben und Zusatzübungen aufgelistet. Damit werden
die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit haben, möglichst selbständig zu
arbeiten. Einerseits soll so die Motivation erhalten bleiben, andererseits verspricht
sich die Lehrperson mehr Freiraum für Inputs in Kleingruppen oder zur Einzelförderung.
Ich werde es mit dem Envol so ausprobieren. Dort haben wir bis jetzt immer gemeinsam gearbeitet
und ich habe es ziemlich mühsam gefunden. Dann sind auch auf Grund der Heterogenität wirklich
riesige Abstände entstanden. Die sind auch überhaupt nicht motiviert und die anderen sind nicht
mehr motiviert, weil sie nicht vorwärts arbeiten können. (L54)
Fazit aus den Interviews
Die durchgeführten Interviews ergeben, dass Lehrpersonen zwar innere Differenzierung und individuelle Förderung in unterschiedlichen Ansätzen, Ausprägungen
und Facetten einsetzen, dahinter aber oft keine Systematik oder eine konzeptio-
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
460
Schule im alpinen Raum
461
nelle Einbettung in Unterricht und Schule zu erkennen sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Unterricht vorwiegend an einem Mittelfeld orientiert und sich die Differenzierung häufig auf zusätzliche Unterstützung schwacher
und zusätzlicher Beschäftigung starker Schülerinnen und Schülern beschränkt.
Vielerorts werden Lernpläne eingesetzt, die eine Übersicht über die zu lösenden
Aufgaben eines Themas oder einer Unterrichtseinheit geben. Darin werden die
Aufgaben häufig in Pflicht- und Wahlbereiche gegliedert, die den Lernenden eine
gewisse Freiheit in der Reihenfolge der Bearbeitung und für schnellere Schülerinnen und Schüler auch in der Wahl der Aufgaben ermöglichen. Teilweise werden
darin unterschiedliche Niveaus definiert, mit dem Ziel, dass die Lernenden ihren
Fähigkeiten entsprechende Aufgaben lösen können.
Oft wird argumentiert, dass mit dem Einsatz von Lernplänen die Schülerinnen
und Schüler in ihrem individuellen Tempo arbeiten können. Das ist jedoch nur
bedingt der Fall, da bis zur gemeinsamen summativen Prüfung allen Schülerinnen
und Schülern das gleich grosse Zeitfenster zur Verfügung steht. Jene, die mehr Zeit
zum Lernen brauchen, können entweder weniger Stoff bearbeiten oder müssen
dies in ihrer Freizeit tun. Eine Ausnahme bilden die Mathe-Dossiers einer Schule.
Obwohl auch dort nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht, können die Prüfungstermine individueller gewählt werden. Die Lehrpersonen setzen nebst dem Planunterricht auch noch andere erweiterte Lernformen, wie zum Beispiel Werkstattunterricht, Projekt- und Gruppenarbeiten ein, bei welchen gut differenziert werden
kann.
Formen der Differenzierung aus externer Sicht - Das Lehrpersonenportfolio
Methode und Instrument
Zur Evaluation von Unterrichts- und Schulentwicklungsprozessen empfehlen
Lehmann, Paschen und Quade (2000) nebst Bildungsstandards, wesentlich prozessnäher, das Lehrertagebuch oder -portfolio. Wichtig ist gemäss den Autorinnen
das Erreichen von Akzeptanz im Kollegium bezüglich des Instruments. Dies soll
durch Transparenz der Verwendung und durch Austausch von Exemplaren innerhalb des Teams erreicht werden. Was den zeitlichen Horizont anbelangt, so rechnen die Autorinnen mit zwei Jahren bis das Portfolio zu einem selbstverständlichen Instrument der internen Evaluation geworden ist. In den letzten Jahren
haben Lehrpersonenportfolios verbreitet Einzug in die Aus- und Weiterbildung
von Lehrpersonen gehalten. Nach Häcker (2006) geht es beim Portfolio um eine
Art Sammlung von Dokumenten, welche je nach Funktion des Portfolios Auskunft
über den Leistungsstand oder der Kompetenzentwicklung dienen sollen. Erhofft
462
Schule im alpinen Raum
wird mit einem Portfolio von Lehrpersonen die Verbesserung der Selbstreflexion
und Amilyse des eigenen Unterrichts (Zeichner & Wray, 2000). Diese Qualitätssteigerung soll mittels dreier Prozesse erreicht werden: 1. dem eigentlichen Prozess des Erstellens eines Portfolios, 2. dem Begleitprozess mittels Mentoring und
Teamarbeit, welcher zumeist den Erstellungsprozess begleitet und 3. dem Rückmeldeprozess bei der Rückgabe des Portfolios nach der Sichtung (Wolf & Dietz,
1998). Aus Sicht der Forschung bestehen einige Lücken. Unklar ist z.B. der Konstruktionsprozess. Wie wählt die Lehrperson die Dokumente aus und welche Prozesse geschehen dabei? Zeichner & Wray (2000) sind skeptisch bezüglich der dabei
ablaufenden Reflektionen. Diese führen nicht automatisch zu einem besseren
Unterricht. Hilfreich wäre der Austausch bei diesem Prozess mit anderen Lehrpersonen oder einem Mentor bzw. einer Mentorin.
Es folgt nun die Schilderung des Portfolio-Einsatzes im Schulentwicklungsprozess:
In einem ersten Durchlauf gaben 35 Lehrpersonen von rund 80 an der Weiterbildung
teilnehmenden Personen ein Portfolio ab, welches über im Unterricht eingesetzte
Differenzierungsmethoden respektive -reihen Auskunft geben sollte. Grundsätzlich
wäre das Portfolio für alle am Projekt teilnehmenden Lehrpersonen verpflichtend
vorgesehen gewesen. In diesem Portfolio mussten sie ihre Erkenntnisse, Planungen,
Reflexionen und Umsetzungen festhalten, um diese sowohl der Forschergruppe wie
auch dem Weiterbildungsteam zugänglich zu machen. Das Instrument sollte aus
Forschungssicht die Selbsteinschätzung mittels Fragebogen durch eine Aussensicht
von Expertinnen und Experten ergänzen. In einem zweiten Durchlauf reichten 37
Lehrpersonen ein Portfolio ein. Nur 16 Personen lieferten zu beiden Zeitpunkten ein Portfolio ab. Die Unterschiede in der Anzahl der teilnehmenden Personen
können nebst fehlender Motivation auf Faktoren wie Stellenwechsel, Austritt aus
dem Schulwesen oder Schwangerschaft zurückgeführt werden. Allerdings gab es
auch Schwierigkeiten beim Instrument an und für sich, weil die Portfolios teilweise
mangelhaft gestaltet oder lückenhaft eingereicht wurden. Aspekte wie mangelhafte Möglichkeiten der Bewertung und Zuordnung können also auch Ursache der
ungleichen Zahl der Probanden in beiden Rating-Durchläufen sein.
Das Erkenntnisinteresse, welches den Ratings zugrunde lag, zielte erstens in die
Richtung, ob die Lehrpersonen der beiden Stichproben ihre in den vorangegangenen Modulen erworbenen Kenntnisse im Unterricht einsetzen und entwickeln
würden und zweitens, ob es gelänge, eine Steigerung der Unterrichtsqualität von
tl nach t2 im Bereich der Binnendifferenzierung zu erzielen. Zudem lag auch eiri
Interesse im Klären der Frage, in welchen Bereichen der Differenzierung gute und
in welchen weniger gute Kompetenzen vorlagen.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
4 63
Als Grundlage für die Auswertung der Portfolios diente der "Kompetenzraster
zur Differenzierung im Unterricht" von Tomlinson et al. (2008) (siehe Abb. 6).
Theoretische Bezüge finden sich S. 443ff. Der Raster besteht aus fünf Kompetenzbereichen und vier Kompetenzstufen. Für die deutsche übersetzung wurde
er sprachlich leicht angepasst. Um diesen Kompetenzraster zur Beschreibung
von Unterricht als Instrument für die Beurteilung von Unterrichtsdokumenten
anwenden zu können, wurden die Beschreibungen in feinere Indikatoren zur
Beurteilung von bspw. Lektionspräparationen (schriftliche Unterrichtsvorbereitung) oder Schülerdokumenten umgewandelt. Diese Indikatoren wurden im
Instrument "Beurteilungsraster Differenzierung" zusammengefasst. Jedes Portfolio wurde im Rahmen eines Ratings auf vorhandene Indikatoren überprüft und
anschliessend für jede der fünf Dimensionen (siehe Abb. 6) entsprechend der vier
Kompetenzstufen eingestuft. Die ersten fünf Portfolios wurden von je drei Personen geratet, so dass anschliessend die Interraterreliabilität bestimmt werden
konnte. Der Cronbach Alpha Wert lag für die erste Welle zwischen .63 und .94
für die fünf Dimensionen und für t2 mit Ausnahme der ersten Dimension zwischen .84 und .97. Ungenügende Ratingwerte wurden jeweils im Team diskutiert.
Anschliessend bewertete jeweils eine Expertin die Portfolios. Eine Schwierigkeit
lag in der Entscheidung, ob alle Dokumente oder jeweils das beste Dokument
für die Einstufung des Kompetenzstandes berücksichtigt werden sollte. Schlussendlich entschieden die Raterinnen sich für diejenige Kompetenzstufe zu der am
meisten Dokumente vorlagen. Wenn mehrere (in ihrer Differenzierungsqualität divergierende) Unterrichtseinheiten im Portfolio abgelegt waren, wägten sie
den Differenzierungsgrad ab und vermerkten die Streuung in der persönlichen
Rückmeldung an die Lehrperson. Die im Portfolio ausgewiesenen Kompetenzen
wurden im Indikatorenraster an der entsprechenden Stelle eingefarbt. So konnte
jede Lehrperson die Bewertung bei der Rückmeldung nachvollziehen. Leitend
für die Rückmeldung war die Bedeutung des Portfolios als Entwicklungs- und
weniger als Beurteilungsinstrument. Die Lehrperson sollte sich über Kommentare und Einschätzungen weiter entwickeln können.
Die vier Entwicklungsstufen des Beurteilungsinstrumentes lassen sich folgendermassen beschreiben:
Die Stufe des Novizen bedeutet dabei, dass die Lehrperson einen nicht oder kaum
differenzierenden Unterricht gestaltet, sich inhaltlich und chronologisch an das
Lehrbuch hält und von der Annahme der Homogenität der Klasse ausgeht. Auch
wendet die Lehrperson ausschliesslich summative Tests an, Rückmeldungen finden vorwiegend in Problemsituationen (fachlich wie sozial) statt.
Abbilduoa- 6: l(ompetenzraster Differenzierung
Novize
OrganWen den
Lernende/r
Organisiert den
~
Lerninhalt selten
Lerninhalt manchmal
Organisiert den
Lerninhalt häufig nach
-§
konzept- und
themenbezogen.
konzept- und
themenbezogen.
wichtigen Konzepten und
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Differenziert den
Inhalt selten.
Differenziert den Inhalt
von Zeit zu Zeit, aber
das Niveau passt nicht
Lernen relevant,
verständlich und ergiebig
sind. Differenziert den
Inhalt häufig, aber das
Baut selten
Schüleraktivitäten
in den Unterricht
ein, welche um
ein Konzept oder
Thema kreisen.
Differenziert die
Schüleraktivitäten
sehen.
Raut selten
Baut oft
Schüleraktivitäten in
den Unterricht ein.
weIche um ein für das
Lernen reichhaltiges
Konzept oder Thema
kreisen. Die Aktivitäten
fordern kreatives un d
kritisches Denken.
Differenziert die
Schüleraktivitätcn
manchmal.
Schüleraktivitäten in den
Unterricht ein, welche um
ein für das Lernen
reichhaltiges Konzept
oder Thema kreisen. Die
Aktivitäten fordern
kreatives und kritisches
Denken.
Differenziert die
Schüleraktivitäten oft.
Gibt selten
Aufgaben oder
verlangt
Produkte. welche
auf ein generelles
Gibt manchmal
themen- oder
konzeptbezogene
Aufgaben und verlangt
manchmal Produkte,
Thema oder
die alle
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sind.
Differenziert
selten Aufgaben
oder Produkte.
Lernkompetenzen und
elaboriertes Verstehen
fordern oder
Problemlösen
verlangen.
Differenziert
manchmal Aufgaben
oder Produkte
Gibt oft themen- oder
konzeptbezogene
Aufgaben und verlangt oft
Produkte. die aUe
Lernkompetenzen und
elaboriertes Verstehen
fordern oder
Problemlösen verlangen,
Differenziert oft
Aufgaben oder Produkte
-
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41Q
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U)
Anwender/in
Niveau passt nicht immer
optimal.
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Nuttt !orma.tlvc
Nutzt formor.ive
Beurteilungen
selten, um den
Lernstand der
Schüler/innen zu
ermitteln.
Setzt selten
Selbstbeurteilung
mit Hilfsmitteln
(z.B. Kriterienraster) hei den
Lernenden ein.
Beurteilungen nur
gegen Ende der
Lektion, um den
Lernstand der
Schüler/innen zu
ermitteJn.
Setzt manchmal
Selbstbeurteilung mit
Hilfsmitteln (z.B.
Kriterienraster) bei den
Lernenden ein.
Nutzt venc..hla.denc
Formen formativer
Beurteilung während und
gegen Ende der Lektion,
um den lernstand der
Schüler/innen zu
ermitteln. Nutzt formative
Beurteilung zur
Anpassung des
Unterrichts
Setzt oft Selbstbeurteilung
mit Hilfsmitteln (z.B.
Kriterienraster) beit den
Lernenden ein.
Experte/in
Oig>nIskit d... ~,nlntuili
grundsätzlich nach wichtigen
Konzepten und Themen, die
rur das Lernen relevant•
verständlich und ergiebig sind.
Differenziert den Inhalt immer
mittels bspw. verschiedenen
Texten. zusätzlichen
Materialien, individuellen
Lernzielen oder Lernvcnri~len.
Saul r<gclmiHIg Sclliilu·
aktivitäten in den Unterricht
ein. welche um ein rur das
Lernen reichhaltiges Konzept
oder Thema kreisen. Die
Aktivitäten fordern kreatives
und kritisches Denken..
Differenziert die
Schüleraktivitäten regelmässig
durch komplexere Aufgaben.
wekhebspw.
vielfache/multiple
Intelligenzen oder grafische
Darstellungen erfordern und
wo Modelle eine Rolle spielen
können.
Gib. regclroii"rg themen· oder
konuplbe-zogene Aufgaben
und verlangt regelmässig
Produkte, die alle
Lernkornpetenzen und
elaboriertes Verstehen fordern
oder Problemlösen verlangen.
Differenziert regelmässig
Aufgaben oder Produkte, die
bspw. auf transparenten
Kriterien. Kornpetenzrastern.
und entdeckendem
selbsttätigen Vorgehen
beruhen.
Nutzt reg:e:lmiulg verSChIrd"en.:
Formen formativer
Beurteilung vor, während und
gegen Ende der Lektion, um
den Lemstand der
Schüler/innen zu ermitteln.
Nutzt formative Beurteilung
zur Differenzierung des
Unterrichts
Setzt regelmässig verschiedene
Forme n von Selbst- oder
Peerbeurteilung mit
Hilfsmitteln (z.B.
Kriterienraster) bei den
Lernenden ein.
nach Tomlinson et al., 2008
In der Lernenden-Stufe finden inhaltliche und schülerbezogene DifferenZierungen
statt, allerdings unsystematisch und sporadisch. Formative Tests werden gelegentlich am Ende einer Unterrichtseinheit eingesetzt, um den Lernstand zu ermitteln.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
464
Schule im alpinen Raum
465
Die Lehrperson folgt mehrheitlich dem Lehrmittel und stellt dabei Aufgaben mit
einem reichhaltigen Konzept, welche ein vertieftes Verstehen und Problemlösen
fordern. Die Beobachtungen durch die Lehrperson sind manchmal systematisch
und gefolgt von gezieltem Feedback an die Lernenden.
Niveau 3 einer Dimension angelangt, so kann man bereits von einer hohen Differenzierungskompetenz sprechen.
Die Befunde sprechen dafür, dass die Lehrpersonen mehrheitlich bereits praktische Erfahrungen im Bereich der Binnendifferenzierung gesammelt haben. Es ist
Anwender differenzieren öfter und systematischer. Sie versuchen der Heterogeni-
tät in der Klasse durch gezielte Differenzierungen gerecht zu werden und akzentuieren ihren Unterricht mit lernrelevanten Themen, welche vermehrt Schüleraktivitäten und Problemlösungsstrategien verlangen. Der Anwender macht
formative Tests gegen Ende einer Unterrichtseinheit oder vor einer summativen
überprüfung und nutzt diese zur Gestaltung seines Unterrichts. Auch werden
Selbsteinschätzungen durch die SchülerInnen angefertigt und systematische
Rückmeldungen gegeben.
Abbildung 7: Portfoliobewertungen pro Dimension zu den
beiden Zeitpunkten
-Inhalt
.~ Schü1eraktivitäten - AufgabensteIlung
- Beurteilung
-Lerncoach
Häufigkeiten
Im Experten-Level ist ein Unterricht beschrieben, der in allen Bereichen auf die
Differenzierung innerhalb der Klasse eingeht und das individuelle Fördern und
Fordern umsetzt. Eine Lehrperson als Expertin oder Experte in der Differenzierung nutzt formative Tests, um den individuellen Lernstand der Schülerinnen und
Schüler zu ermitteln und den Unterricht entsprechend zu gestalten. Auch Selbstund Peerbeurteilungen gehören zum gängigen Repertoire. Die Lerninhalte sind
bedeutsame Konzepte und Themen bzw. Kerninhalte eines Lehrplans. Die Lehrperson stellt zusätzliche Materialien zur Erarbeitung von individuellen Lernzielen
zur Verfügung. Die Schüleraktivitäten zeichnen sich dadurch aus, dass sie kreatives
und kritisches Denken fordern und verschiedene Kompetenzbereiche und Lerntypen ansprechen. Die Lehrperson bietet ihren Schülerinnen und Schülern individuelle Lernberatung an und gibt regelmässig Rückmeldungen.
Ergebnisse
Schaut man sich zum ersten Erhebungszeitpunkt die Kompetenzverteilung über
alle Dimensionen hinweg an (Abb. 7), fällt auf, dass die meisten Lehrpersonen sich
auf dem Kompetenzniveau 2 (Lernende/ -r) befinden. Lediglich bei der Dimension
Lerncoach findet sich der grösste Teil auf dem ersten Niveau (Novize/-in). Obwohl
es beim zweiten Zeitpunkt auf den ersten Blick ähnlich aussieht, gibt es leichte
Verschiebungen. Es ist an dieser Stelle nochmals daraufhinzuweisen, dass nur die
Hälfte aller Lehrpersonen zu beiden Zeitpunkten identisch ist. Bei der Dimension
Schüleraktivitäten und Beurteilung liegen die durchschnittlichen Kompetenzniveaus tiefer als zum ersten Zeitpunkt. Generell finden sich zu beiden Zeitpunkten
nur wenige Lehrpersonen auf dem Expertenniveau. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese vierte Stufe eher hoch angelegt ist. Sind Lehrpersonen auf dem
466
0
5
10
15
20
25
tll
tl2
t13
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§
~
t21
t22
t23
t24
Schule im alpinen Raum
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
467
zu vermuten, dass diese Kompetenzen im Umgang mit der Gestaltung von Aufgaund Tendenz zur Steigerung im inhaltlichen Bereich hin.
benstellungen und der Planung von Schüleraktivitäten erlangt wurden. Möglicherweise ist den Lehrpersonen im Alltag bewusst, dass das Thema Differenzierung
Kompetenzbereich Schüleraktivitäten: Die zu Beginn des Untersuchungs_
einen wichtigen Baustein des modernen Unterrichts darstellt. Eventuell sind the-
zeitraumes erreichten Stufen 2 und 3 scheinen gefestigt. Einige Lehrpersonen
oretische Konzepte sowie systematisch strukturiertes Vorgehen und vollständige
erreichen wiederum das Niveau des Anwenders. Mehrheitlich haben sich die
Werte in den Bereich des Lernenden verschoben.
Umsetzungsmöglichkeiten weniger bekannt. Dafür sprechen die geringeren Werte
im Bereich Beurteilung und Lerncoach. Es scheint, als ob viele Unterrichtende in
Kompetenzbereich AufgabensteIlung: Die Werte von tl nach t2 zeigen einen
der Lage seien, geeignetes Schülermaterial zum Differenzierungsunterricht aufzu-
Kompetenzschwerpunkt bei Niveaustufe 2, der sich nicht wesentlich verändert
hat und im arithmetischen Mittelwertvergleich stagniert.
spüren oder selber herzustellen und die Aufgabenstellungen entsprechend multidimensional auszugestalten. Dies entspräche einer gewissen Berufspragmatik.
Kompetenzbereiche Beurteilung und Lerncoach: Hier haben sich die Werte im
Allerdings wirkt es, als ob den Lehrpersonen weniger bewusst sei, dass dies nur ein
Bereich des Novizen und Lernenden leicht verschlechtert. Viele Lehr-personen
Teil eines umfassenden Unterrichtsvorhabens darstellt, deren Säulen auch die fort-
kommen nicht über das Niveau 1 bis 2 hinaus. Die Werte im Bereich des Novi-
laufende Begleitung durch die Lehrperson als Lerncoach mit spezifischer Beur-
zen dominieren. Nicht ganz ausgeschlossen ist eine strengere Bewertung der
Dokumente.
teilungsfunktion bildet. Die Dimension Inhalt liegt dazwischen. Möglicherweise
ist die Beschäftigung mit inhaltlichen Aspekten dann nicht erstrangig, wenn ein
Diskussion Kompetenzraster und PortfoZio
starker Fokus auf die Auswahl und Gestaltung der Differenzierungsweise durch
Schülermaterial und entsprechende Sozial- und Arbeitsformen gelegt wird. Die
Die Ergebnisse der Stichprobe deuten darauf hin, dass den Lehrpersonen, wel-
Beschäftigung der Lehrpersonen in ihrem Unterrichtsalltag umfasst noch nicht
che ein Portfolio eingereicht haben, Elemente eines (binnen-)differenzierenden
Unterrichts in der Art, wie Schüler aktiviert werden können und wie die zu erle-
das gesamte Differenzierungsspektrum.
digenden Aufgaben gestellt werden müssen, aus der Alltagspraxis bekannt sind.
Vergleicht man nur die Stichprobe der 16 Lehrpersonen, welche zu beiden Zeitpunkten ein Portfolio abgegeben haben, lassen sich keine grossen Veränderungen
innerhalb des halben Jahres feststellen (Tab. 3). Grundsätzlich ist es schwierig bei
der kleinen Stichprobe reliable Aussagen zu machen.
Dabei zeigt jede Lehrperson Elemente des Differenzierens als praktische Adaption
an ihre Unterrichtspraxis, ohne dass konzeptionelles, systematisches Wissen im
Lehrerhandeln zur Differenzierung eine herausragende Rolle spielen würde. Interessanterweise lässt sich zeigen, dass sich die Kompetenzen im Umgang mit einer
sorgfältigen Auswahl der Inhalte verbessert haben. Dies kann als erster Schritt
im Umgang mit einer systematisierenden Erarbeitung der Differenzierungskom_
Nachfolgend einige selektiv ausgewählte Beobachtungen:
Kompetenzbereich Inhalt: Von tl nach t2 ist eine Verschiebung von Stufe 1
nach Stufe 2 zu erkennen. Die Verschiebung deutet auf eine Konsolidierung
Tabelle 3: Portfolio Kompetenzstufen der Teilstichprobe n
Kompetenzstufe t1
Dimension
1
2
3
4
Inhalt
4
6
5
Schüleraktivitäten
1
5
Aufgabenstellung
2
Beurte.ilWlg
4
M
Iiesse sich somit als ein Lernen anhand des PortfoIios mittels reflektierter Auswahl
deuten. Die Resultate zur förderungswürdigen Entwicklung der Lehrpersonen als
= 16, t1 - t2
Beurteiler und Lerncoaches untermauern den Gedanken, dass die Erarbeitung
Kornpetenzstufe t2
M
petenz verstanden werden. Zeichner & Wray (1996) haben ja die Auswahl und
die Reflexion dazu als Problempunkt der Forschung angesprochen. Das Ergebnis
SD
einer umfassenden Differenzierungskompetenz noch systematisch verfolgt wer-
SD
1
2
3
4
1
2,19 0,88
1
9
6
0
2,31 0,58
9
1
2,63 0,7
0
9
7
0
2,44 0,5
I
6
7
1
2.44 0,79
1
8
7
0
2,38 0,6
I
10
2
0
1,88 0,6
7
7
2
0
1,69 0,68J
unterschiedlichem Tempo, ganz im Sinne des Lernens: "Der Weg vom Wissen (und
8
6
2
0
1,63 0,7 J
Behalten) zum Können (der Kompetenz) und weiter bis zum Tun (der wirklichen
17
39
24
0
2,09
Lemcoach
6
6
3
1
1,94 0,9
Häufigkeit
17
33
26
4
2,21
1
den muss. Die Stichprobe zeigt in diesem Bereich, dass sich die Lehrpersonen ihrer
1
neuen Rolle im Rahmen von differenzierendem Unterricht noch nicht bewusst
I
sind. Offensichtlich macht jede Lehrperson auf dem langen Weg der Differenzierung ihre eigenen Schritte, mal vorwärts, manchmal auch rückwärts und in sehr
Veränderung) ist weit und schwierig" (HeImke, 2009, S. 306), _ "Programme der
Unterrichtsentwicklung [brauchen] viel Zeit und einen langen Atem" (ebd. S. 314).
468 Schule im alpinen Raum
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
469
1
Die Auswertung der Lehrerportfolios im Rahmen des Teilproj ektes lässt vermuten,
dass die Teilnehmenden ein Bewusstsein für wesentliche Aspekte des binnendifferenzierten Unterrichts geschaffen haben. Für die Festigung einer solchen Haltung
müssten die Ansätze des Projekts weiterverfolgt werden.
Die Einführung des Instrumentes Portfolio stiess bei vielen Lehrpersonen auf
Abbildung 8: Lp-Skalen tI·t2 Gruppe mit SE
• fünf· sonst vierskalig
Verhaltens- und Disziplinschw;erigkeiten
Unterstützung durch Schl.llleitung
Ifld~,J.
1 " "',
---
Teamkllma
wenig Begeisterung. Hier ein Ausschnitt aus den Interviews:
Das war anfangs noch ein wenig ein Gespenst. Was muss man hier reintun? Aber dann kam heraus,
dass man einfach sammelt, was man hat, plus minus. was man schon selber gemacht hat. Aber das
war nun nicht der Motivationskick. (G I68)
SeJbstbewertung
Schulklima
Nimmt man die Prozesskriterien von Wolf & Dietz (1998) liesse sich bei allen drei
RückmcldunglB<UrltlluDg
Punkten noch eine Verbesserung erreichen:
1. Die Transparenz und Klarheit bezüglich der Funktion und des Inhaltes des
Ressourcen der SchuUeitung
Lehrpersonen-Portfolios ist zu erhöhen.
2. Die schulhausinterne Diskussion wie auch die externe Begleitung des Portfo-
pädagogische Konferenzen
'"
•
I
lios könnte verstärkt werden.
3. Obwohl jede Lehrperson ein persönliches Feedback bekam, war offen, wie nun
nach diesem Feedback weitergearbeitet werden sollte. Eine verbindliche Zielerklärung hätte hier ein erster Schritt sein können.
Der Bewertungsraster als solches hat sich in seiner Funktion bewährt. Die Interpretation der Dokumente war jedoch nicht immer einfach und bedarf weiterer
Absprachen. Ein Manual zum Gebrauch des Rasters musS nun erstellt werden.
pädagogische Grundorientierung
Lernzielditrerenzierung Portfalio
kooperative Lernformen
ID"""llonsbc:n<ludWl
I
t
Analyse der Fragebogendaten - Mittelwertsvergieiche im Längsschnitt
Wie beurteilen die Lehrpersonen das schulische Umfeld?
Die Analyse der verschiedenen Skalen für die Lehrpersonen geht von einem varianzananalytischen 3 x 2-Plan aus. Es werden die drei Stichproben "ohne Schule ntwicklung", "mit Schulentwicklung" oder "Privatschulen mit Individualisierung"
zu den beiden Messzeitpunkten 2009 und 2011 verglichen. Dabei wird das Modell
der wiederholten Messung zugrunde gelegt. Exemplarisch sind in Abb. 8 die Skalen der Gruppe "mit Schulentwicklung" dargestellt. Es ist zu beachten, dass die
Skalen Coaching/Scaffolding, Differenzierung Erfabrungen und Motivation im.
Gegensatz Z1.1 den restlichen Skalen nicht vier- sondern fünfskalig sind. Fünf und
vier sind jeweils die höchsten/besten Werte. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen und Messzeitpunk-ten sind im Allgemeinen relativ klein. Es
lässt sich jedoch eine signifikante Tendenz erhöhter Mittelwerte von tl nach t2
über alle Variablen nachweisen (Vorzeichenrangtest nach Wilcoxon) . Bei der Ana-
~
geeignete Aufgaben zur Differenzierung
'"tn
Ffthrungsrulle der Schulleitllng
Differenzierung Motivcl.tion ot-
Differenzierung Erfahrungen'"
Diagnosekompetenz
Co.chlngSc:>.troldlng·
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0
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o
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o
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
470
Schule im alpinen Raum
471
lyse der einzelnen Skalen hinsichtlich der Gruppen und Zeitpunkte (allgemeines
lineares Modell) ergeben sich folgende Befunde: Von den eingesetzten 18 Skalen
zeigen sich bei 16 Skalen weder signifikante Zeit- noch signifikante Gruppen- bzw.
Interaktions-Effekte.
Ein signifikanter Zeiteffekt zeigt sich bei der Variable "kooperative Lernformen",
dieser Effekt lässt sich vor allem auf die Steigerung bei den Privatschulen zurückführen. Die Skala "Ressourcen der Schulleitung" zeigt eine signifikante Zeit x
Gruppe-Interaktion. Diese Veränderung ist primär auf die Schulen ohne Schulentwicklung zurückzuführen. Zusammenfassend besteht eine (kleine) Tendenz zu
günstigeren pädagogischen Werten bei der zweiten Messung. Diese können jedoch
nicht auf die Intervention bei den Schulen mit Schulentwicklung zurückgeführt
werden.
Wie nehmen die Schülerinnen und Schüler den Unterricht wahr?
Da die Ergebnisse der Lehrpersonen hinsichtlich Testzeitpunkt und Intervention
kaum statistische Signifikanzen aufweisen, ist auf Schülerebene - die ja noch weiter von der Intervention weg ist - nicht mit grösseren Effekten zu rechnen. Trotzdem sind die Befunde der Schülerinnen und Schüler - nicht zuletzt wegen des
doch recht bedeutsamen Stichprobenumfangs - von Interesse und sollen deshalb
per Inspektion analysiert werden (Tab. 4).
Tabelle 4: Schüler-Mittelwerte der drei Projekt-Gruppen
tl n
~
323
SBW/ITW
mit SE
ohne SE
t2 n
~
327
tl
n~794
t2n~497
M
M
M
M
Akzeptanz
3,29
2,87
2,77
2,94
Anforderungen
3,10
Beziehung zur
2,94
Diagnosekompetenz
2,93
3,06
Förderung
2,73
3,00
3,07
3,11
3,04
Klassenklima
3,0 1
3,21
3,06
Motivation
3,05
3,09
Schulklima
3,22
3,30
Selbstbewertung
1,67
selbstorganisiertes
t1
n~77
M
t2 n
~
83
M
3,03
Wie ist die Haltung der Eltern zu Schule und Unterricht?
Jeweils ein Elternteil der befragten Schülerinnen und Schüler (Gesamtstichprobe n
= 415) füllte einen Fragebogen aus, der teilweise neue Items gegenüber denjenigen
der Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern enthielt. Folgende acht Skalen
wurden für die Berechnungen herangezogen:
Leistungsdruck der Eltern
Schulklima
Klassenklima
Eltern-Schule-Austausch
Anforderungen und Arbeitshaltungen (Unterrichtssituation)
Motivation zur Differenzierung
Haltung zu altersdurchmischtem Lernen (ADL)
Einstellung zum Projekt Schule im alpinen Raum
3,20
3,22
2,90
3,19
3,28
2,95
3,07
Zunächst werden die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Skalen darge-
2,92
2,94
2,67
2,93
2,83
2,78
stellt (siehe Tab. 5).
3,14
2,83
3,00
3,09
3,13
3,16
3,14
2,94
3,22
3,36
3,15
1,66
2,04
2,16
1,82
1.79
2,87
2,93
3,00
2,96
2,94
2,89
3,14
3,03
3,19
3,07
3,1 9
3,14
Sozialkompetenz
2,85
2,74
3,05
Strukturierth eit
2,95
2,93
3,11
Unterrich tglobal
2,86
2,92
2,88
2,91
3,02
Dagegen verändern sich die kooperativen Lernformen, die bei den Lehrpersonen
einen positiven Effekt zeigten, im Laufe eines Jahres bei den Schülern eher in die negative Richtung. Die Beziehung zur Lehrperson entwickelt sich dagegen in allen Gruppen eher positiv, ebenso wie die Selbstbewertung und das selbstorganisierte Lernen.
Selbst wenn die hier dargestellten Einzelergebnisse eher kleine (und nichtsignifikante)
Effekte darstellen, ist doch der Trend eindeutig: die Werte der Schülerinnen und Schüler sind stabil und bei der zweiten Messung tendenzmässig günstiger als bei der ersten
Messung. Die Ursachen der Effekte sind allerdings kaum sicher auszumachen.
3,23
3,20
3,05
Bei den Schülerinnen und Schülern zeigt sich ein ähnlicher Trend wie bei den
Lehrpersonen. Tendenziell sind die Werte bei der zweiten Messung günstiger
als bei der ersten Messung. Die Mittelwertdifferenzen sind jedoch relativ klein.
Dennoch verbessern sich z.B. das Schul- und Klassenklima in allen drei Gruppen
gegenüber der ersten Messung. Dies ist bereits statistisch überzufällig.
Die höchsten signifikanten Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Variablen
"Unterrichtssituation" also den Anforderungen und der herrschenden Arbeitshaltung und den Dimensionen Klassenklima (r = 0.78) und Schulklima (r = 0.57).
Je angemessener die Arbeitsanforderungen gesehen werden und je grösser das
Engagement der Schülerinnen und Schüler aus Sicht der Eltern ist, desto besser
ist auch das Klassenklima bzw. Schulklima und umgekehrt. Der Austausch zwischen Eitern und Schule ist Teil eines guten Schulklimas (r = .59). Förderlich ist
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
472
Schule im alpinen Raum
473
Tabelle 6: t-Tests Elternskalen ohne und mit Schulentwicklung
Tabelle 5: Korrelationen der Elternskalen
t-'
~.
2i:l
""P-....
"R-
U)
g..
E..
z::
;3'
'"
~
::<:
[
or>'
'"~
es
00
n
::0-
~r
.,
t:l
;:t
...i:l
0-
'"...
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<t>
...i:l
U,
n
::0-
c
~...
...
h'
~
~.
2
~
o'
::>
>'
::b
3:
0
a.
~
5·
t:I
tj
~
::r:
'"2
i:l
"">'
N
>Cl
t-'
'"i:l
tTl
5'
00
"i:l
""
mit
Schulentwicklung n Schulentwicklung n
i:l
= 94
""c:
N
= 281/282
M
SD
..."<:l
M
SD
t
Leistungsdruck der Eltern
3,26
,54
3,29
,55
-0,35
'"i":
Schulklima
3,35
,47
3,46
,44
-2.09*
Klassenklima
3,14
,47
3,19
,48
-.96
Eltern-Schule Austausch
3,39
,51
3,38
,52
.17
i3
-2 .
N
~.
ohne
~
g:
leistungsdruck der Eltern
.07
Partizipation
3,28
,56
3,31
,59
-.49
Klassenklima
.05
.62**
Unterrichtssituation
3,06
,42
3,16
,44
-1.96'
Austausch Eltern-Schule
-.01
.59** .45**
Schulklima
.08
Unterrichtssituation
Motivation Differenzierung
Halrung zu ADL
O
Einstellung zum Projekt
Anmerkung: n
.57**
.78** .51**
-.11
.09
.31**
.24** .29**
.10*
.29**
.15*
.24** .33**
=413-441 , on = 170; ** P < .0S,'p
4,12
,62
4,16
,54
-.60
Haltung zu ADL
2,82
,56
3,00
,49
-3.02**
2,87
,77
Einstellung zum Projekt
.14** .22** .19** .25** .24**
.21** .24**
Motivation DifferenZierung"
Anmerkung: Skala 1 - 4, 4 (trifft genau zu), °Skala 1 - 5. ** P < .05, *p< .01.
.33**
< .01.
Schulen, die am Projekt teilnehmen und solche ohne Schulentwicklung. Lediglich
beim Schulklirna, Anforderungen und Arbeitshaltungen (Unterrichtssituation)
der Austausch auch zur Zufriedenheit mit der Unterrichtssituation. Die Haltung
und bei der Haltung zu altersdurchmischtem Lernen (ADL) zeigen sich geringe,
zum altersdurchmischten Lernen entspricht der Haltung zum Projekt Schule im
aber signifikante Mittelwertsunterschiede, die alle in die gleiche Richtung zeigen.
alpinen Raum. Je positiver die Einstellung zum Projekt ist, desto positiver ist auch
die Haltung zum altersgemischtem Lernen und umgekehrt (r = .33).
Die Eltern, deren Kinder in Klassen mit Schulentwicklung sind urteilen auf allen
genannten Dimensionen positiver als Eltern, deren Kinder sich in Klassen ohne
Schulentwicklung befinden.
Erstaunlicherweise wird von den Eltern so gut wie kein Zusammenhang zwischen
der Motivation (Haltung) zur Differenzierung und Haltung zum alters durch-
Die Sicht der Schulleitung und des Schulteams
mischten Lernen gesehen. Die Korrelation ist fast gleich Null (r = .10), wenngleich
Der Schulleitung wird allgemein in der Unterrichtsentwicklung eine besondere
aufgrund des grossen n eine Signifikanz vorliegt.
Bedeutung zugewiesen (Bonsen, 2009). Folgende Angaben beziehen sich auf die
Befragung der Schulleitung zum Zeitpunkt t1 (n =16) und den aggregierten Daten
Von Interesse ist natürlich auch ein Vergleich der Sicht der Eltern, deren Kinder
der Lehrpersonen: Bezüglich der Einschätzung der pädagogischen Teamkultur
sich in Klassen befanden, die an der Schulentwicklung teilnahmen oder nicht teil-
stimmen Schulleiter und Team gut überein (r = .62, P = .01). Beim Schulklima ist
nahmen.
Di~ Ergebnisse der Mittelwertvergleiche sind in Tab. 6 wiedergegeben.
die Übereinstimmung zwischen Team und Schulleitung nicht sehr hoch (r = .31,
P = .25). Interessant ist nun, dass die Wahrnehmung der pädagogischen Teamkul-
Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass die Skalenwerte recht hoch liegen, die Skala
tur aus Sicht der Schulleitung in keinem Zusammenhang zur Umsetzung der Diffe-
Motivation Differenzierung ist fünfskalig. Interessant ist, dass die Skala Hal-
renzierung aus Sicht des Teams besteht. Dies liegt hauptsächlich darin begründet,
tung zum altersgemischten Unterricht die tiefsten Zustimmungswerte aufweist.
dass innerhalb des Teams eine grosse Varianz besteht bezüglich der Umsetzung
Zumeist zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Eltern von
der Differenzierung, welche bei einer Aggregierung zu einem mittleren Teamwert
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
474
Schule im alpinen Raum
475
'1,
verschwindet. Nur (aber trotzdem viel) 24% der Varianz in der Umsetzung der
Differenzierung liegt zum Zeitpunkt t1 zwischen den Schulen, 76% der Varianz
liegt innerhalb der Schulen bei den einzelnen Lehrpersonen.
Welche Faktoren in einer Schule fördern den differenzierten Unterricht
Zllsammenhängezwischen den Fa/..:tOl'en zumZeitpllnkt tl
Wie im einleitenden Kapitel dargelegt, sind zum Gelingen einer erfolgreicilen
Unterrlchtsentwicklung viele fak"toren zu beachten und unterschiedliche Al-"teure
miissen zusarnmenspielen. Bereits zu Beginn des Projektes wurde der Frage nachgegangen, inwiefern das Klima, die Schulleitung, die pädagogische TeamJ..."llltur oder
-kompeteJl2 einen Einfluss auf die Umsetzung von Differenzierungsmassnahmen
haben. Dazu wurden verschiedene Pfadmodelle mit latenten Variablen gerechnet.
Das finale Modell findet sich in Abb. 9. Das Modell weist gute Fitwerte auf: N =
163, Chi2 = 79.37, df = 74, P = .31, CFI = .99 TU = .99, RMSEA = .02. Es wurden
sowohl Modelle mit einem Pfad von Schulleitung auf Klima und solche mit einem
Pfad von Klima auf die Umsetzung von Differenzierung gerechnet. Diese Modelle
hatten aber allesamt schlechtere Fitwerte.
Von lnteresse sind auch die Ladungen der manifesten Skalen auf die latenten.
Am meisten zw' Varianzaufklärung der latenten Variable "Umsetzung Differenzierung" trägt die Skala "differenzierte Lernziele" bei. Recht hoch sind aber auch
die Werte der Skalen Motivation zur Differenzierung und differenzierte RückmelAbbildung 9:\Strukrurgleichungsmodell z.um Einfluss von SchuUeilung. Team und Klima auf die Umsetzung der Differenzierung zum Zeitpunkt U.
dungen. Auf die Hypothesen bezogen S. 449, lässt sich in dem empirischen Modell
(Abb. 9) zeigen, dass zum Zeitpunkt t1 und über die ganze Stichprobe hinweg die
Umsetzung der Differenzierung in der Klasse von einer pädagogischen Teamkultur bzw. Teamkompetenz des Lehrpersonenteams und indirekt auch von der
Schulleitung abhängt. Eine direkte Wirkung der Schulleitung auf die Umsetzung
von Differenzierung - wie bei Bonsen (2009) - konnte in dieser Stichprobe nicht
nachgewiesen werden. Geprüft wurde zudem die Wirkung des Klimas auf die
Umsetzung von Differenzierung. Obwohl zunächst erwartet, hängt die Umsetzung
der Differenzierung nicht vom Klima ab. Auch in Klassen mit schwierigem Klima
finden sich ausgeprägte Formen von DifferenZierung.
Der ICC-Wert, die jeweiligen Varianzanteile auf der höheren Ebene, die Intraklassenkorrelation, für die Variable "Umsetzung Differenzierung" auf der Schul-Ebene
beträgt.13 und für die Variable "päd. Teamkultur" .23. Das ist eher wenig. Getestete Modelle mit zwei Ebenen zeigen entsprechend keine signifikanten Effekte auf
der Schulebene. Mit andern Worten, die Schulen unterschieden sich zum Zeitpunkt t1 nicht bezüglich der im Modell (Abb. 9) dargestellten Zusammenhänge.
Vielmehr sind es einzelne Lehrpersonen, welche ihren Unterricht mehr oder weniger differenzierend gestalten. Das Modell in Abb. 9 konnte für den Zeitpunkt t2
erfolgreich verifiziert werden.
Längschnitteffekte bezüglich der Variablen Umsetzung von Differenzierung
Zur Untersuchung von Effekten auf das Ausmass der Umsetzung von Differenzierung gegen Ende der Projektphase wurde ein autoregressives Modell mit
manifesten Variablen gerechnet (siehe Abb. 10). Die manifesten Variablen sind
Teamklima
.42**
Sdll.lld1l>",
Schulleitung tl
Schulleitung t2
"""
.49"
.6S·
.36**
.00
I
f - - - - -.... Differenzierung
'--------'
.72**
.
ul .
.
.22
1
.
SE-Projekt t2
Abbildung 10: Autoregressives Modell zum Einfluss der pädagogischen Teamkompetenz und der
Projekteinschätzung auf die Qualität der Differenzierung unter Berücksichtung der Qualität der
Schulleitung (manifeste LP-Skalen) .•• p < .01; * P < .05.
476
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
Schule im alpinen Raum
477
Fal"toren zweiter Ordnung und basieren auf den Skalen, die in Tab. 1 ersichtlich sind. In unten stehendem Modell geben autoregressive pfade bspw. von "päd.
Teamkultur t1 u nach t2 Auskunft über die Stabilität des Verhaltens bzw. der Haltung. Zusätzlich weisen kTeuzve.rzögerte Pfade (cross lagged effects) auf allfällige
Veränderungen durch zeitlich vorgelagerte Variablen bspw. von "Schulleitung tl "
nach "päd. Teamkultur t2" hin. Zur Erklärung der Varianz der Variablen "päd.
Teamkulturt2" fand zusätzlich der Prädiktor "Schule:ntwicldungs-Projekt t2"
Eingang ins Modell. Diese manifeste Variable besteht aus drei Skalen zur Einschätzung des Erfolgs der Unterrichtsenn'licldung: 1. Einstellung zum Projekt,
2. Einschätzung der äusseren Faktoren, 3. Einschätzung der Projektumsetzung
(inkL Weiterbildung).
Das Modell weist gute Fitwerte auf: N = 173, Chil = 4.64, df = 7, P = .70, SRMR=
.13, RMSEA = .00. Fehlende Werte wurden mittels Imputation in die Analyse mit
einbezogen. Es wird davon ausgegangen, dass eine natürliche Fluktuation der
Lehrpersonen innerhalb der Beobachtungszeit die primäre Ursache fehlender
Werte ist: Lehrpersonen wechseln die Stelle, neue Lehrpersonen werden angestellt.
Es wurden wiederum die ICC-Werte bestimmt: "päd. Teamkultur t2" .46, "Umsetzung Differenzierung t2" .26, "Schulleitung t2" .28, "SE-Projekt" .22. Abgesehen
von der pädagogischen Teamkultur ist der Varianzanteil, welcher zwischen den
Schulen liegt, relativ gering. Die elf Projekt-Schulen sind zudem zu wenig, als dass
sich Mehrebenenanalysen anbieten würden.
Die autoregressiven Pfade weisen zumeist signifikante Effekte auf, was auf Stabilität der Einschätzungen hinweist, wobei sich bezüglich der Teamkultur mit einem
tiefen ß von .21 durchaus auch einige Veränderungen ergeben haben könnten.
Dies könnte am ehesten mit der Einschätzung der Schulleitung zusammenhängen:
Lehrpersonen, welche zum Zeitpunkt tl die Schulleitung als schlecht einschätzen,
geben zum Zeitpunkt t2 eine signifikant höhere Einschätzung der Teamqualität an
oder umgekehrt. Zur Erklärung der Varianz der Variablen "päd. Teamkultur t2"
fand zusätzlich der Prädlktor "Schulentwicklungs-Projekt t2" Eingang ins Modell.
Ansonsten sind die kreuzverzöger ten Regressionskoeffizienten jedoch zu niedrig,
als dass sich statistisch Veränderungen nachweisen lassen. Lehrpersonen, welche
zum Zeitpunkt tJ hoch differenzieren, tun das also auch zum Zeitpunkt t2 und
umgekehrt. Ebenso sind die Einschätzungen zur Qualität der Schulleitung eher
stabil. Der Einfluss der Schulleituog auf die pädagogische Teamqualität zum Zeitpunkt t2 ist signifikant, der
478 Schule im alpinen Raum
ß- Wert von .49 ist eher hoch.
Bezüglich der Hypothesen lässt sich Folgendes festhalten: Lehrpersonen, welche
die Teamqualität als hoch einschätzen, erleben die Schulleitung als unterstützend.
Die pädagogische Teamqualität hat bei diesem Modell zum Zeitpunkt t2 keinen
Effekt auf die Umsetzung der Differenzierung. Allerdings ist die Korrelation zum
Zeitpunkt t1 zwischen pädagOgischer Teamkultur und Umsetzung Differenzierung signifikant (r = .36; p < 0.001).
Wie ist nun der Einfluss der Unterrichtsentwicklung auf die pädagogische Teamqualität und die Umsetzung der Differenzierung? Nur der Pfad Schulentwicklungsprojekt auf Teamqualität, ß = .36, ist Signifikant. Allerdings besteht bezüglich der
Umsetzung von Differenzierung, ß = .22, auch ein Trend zu einer Bedeutung des
Projekts für diese. Lehrpersonen, welche die Unterrichtsentwicklung als erfolgreich werten, scheinen die pädagogische Teamqualität als höher einzuschätzen .
Zudem machen sie die Differenzierung in der Tendenz ausgeprägter.
Das Modell klärt beträchtliche 60% der Varianz der Variablen Umsetzung Differenzierung t2 auf. Zudem werden 42% der Variablen päd. Teamqualität und 22%
der Variablen Schulleitung t2 aufgeklärt.
Zusammenfassend ergibt sich damit bezüglich der Hypothesen Folgendes:
Eine gute Schulleitung steht indirekt (über die Teamkultur) in einem positiven
Zusammenhang zur Entwicklung des Angebotes der Lehrperson hinsichtlich
der Differenzierung.
Eine gute Teamkultur steht in einem positiven Zusammenhang mit der Entwicklung des Angebotes der Lehrperson hinsichtlich derDifferenzierung
(Querschnitt tl, t2).
Das Unterrichtsentwicklungsprojekt steht in einem positiven Zusammenhang
mit einer hohen Differenzierungskompetenz und einer hohen pädagogischen
Teamkultur. Das Projekt steht nicht in einem Zusammenhang mit einer Entwicklung der DifferenZierungs-kompetenz. Es zeigen sich in den Daten keine
Veränderungen der Differenzierungskompetenz.
Sicht der Schülerinnen und Schüler auf den differenzierenden Unterricht
In einem Modell mit Schüler- und Lehrervariablen soll geklärt werden, ob ein differenzierender Unterricht einen Einfluss auf die Motivation der Lernenden aufweist. Eine weitere Frage ist, ob sich ein differenzierender Unterricht auch in einer
positiven Einschätzung des Unterrichts unter Berücksichtigung von Aspekten
der Leistungsdifferenzierung zeigt. Clausen (2002) konnte in seiner Studie zur
Unterrichts qualität aus verschiedenen Perspektiven zwar nur geringe überein-
Differenzierung als Chance für kleine Schulen 479
1
stimmungen von Lehrer- und Schülerurteilen feststellen, trotzdem ist jede SiChtweise für sich gerechtfertigt und entspricht einer eigenen Unterrichtswirklichkeit.
Schülerinnen und Schüler haben jedoch tendenziell eine globalere Sichtweise des
Unterrichts. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Urteile der Schülerinnen und
Schüler vom Leistungsstand innerhalb der Klasse beeinflusst werden. Im präsentierten Modell konnte zwar keine Leistungsvariable, aber eine motivationale integriert werden. Es wird davon ausgegangen, dass Lernende mit höherer Motivation
den Unterricht besser bewerten. In einer Studie von Helmke, Schneider & Weinert
(1986, S.ll) zeigt sich eine signifikante Korrelation zwischen der Einstellung zur
Mathematik und der Einschätzung der Unterrichtsfuhrung (r = .30, P < .05). Clausen bestimmte in seiner Arbeit die Übereinstimmung der Einschätzung der Individualisierung von Lehrperson und Klasse. Die entsprechende Korrelation war tief,
r = .18, und nicht signifikant. Dies im Gegensatz zur Übereinstimmung bei z.B.
der individuellen Bezugsnorm, welche einen deutlich höheren Wert aufweist, r =
.33, P <. Ol.
Zur Klärung der Fragen braucht es Modelle auf zwei Ebenen. Die Korrelationen
der Einschätzung des differenzierenden Unterrichts (wndiRp) und "Unterricht
global" (interessant. anspruchsvolle Aufgaben. zusätzliche Unterstützung. lernen
viel und spannend) sind niedrig (siehe Tab. 7). Interessaoterweise sind die Korrelationen zum Zeitpunkt tl höher als zum Zeitpunkt t2.
imputierten Daten basiert auf einem Cluster von 63 Klassen mit 877 Schülerinnen
und Schüler, das Durchschnittliche n beträgt 14. Die Fitwerte sind gut: Chi2 = 37.36,
df = 12, CF! = .92, TL! = .85, RMSEA = .05, SRMRwithin .02, SRMRbetween = .06.
:0
Abbildung 11: Zwei-Ebenen PfadmodeU mit manifesten Variablen zum Einfluss der Differenzierung
(LP-Einschätzung) auf die Mo tivation der Schülerinnen und Schüler sowie auf ihre Wahrnehmung des
Unterrichts .•• p < .01; • P < .05.
Ebene 1
Schüler/in
.3 1"'
Motivation t2
.17"
•
.33"
Unterricht
glob.1tl
Motivation tl
--- -----------------1
Ebene 2
Klasse/LP
.63'"'"
Umsetzung
Oirre~n:z:jC'runjj tl
.32'
Primarstufe
Tabelle 7: Korrelationen LP - Klasse
~
IL-_...,....--__
.41"
.20
.46'
umdiflp t2
uglob tl
umdiflp tl
0,34
0,27
uglob 12
0,32
0,12
motiv tl
0,23
0,10
motivt2
0,14
-0,02
Da der Daten.satz der Schülerinnen und Schüler auf Grund der natürlichen Abgänge
und Neuzugänge innerhalb der zwei Schuljahre unvollständig ist, müssen die feh·
lenden Daten imputiert werden. wenn es nicht zu einem "Verlust an Effizienz bei
der Schätzung der Parameter" (Lüdtke, Robitzsch, Trautwein & Köller, 2007) kommen soll. Mplus bietet hierzu die Möglichkeit an, unvollständige Datensätze mit
dem Verfahren der multiplen Imputation zu ergänzen. Die Parameterschätzungen
des Mehrebenenmodells werden hierzu gemittelt über eine bestimmte Anzahl ver~
scbiedener vollständiger Datensätze analysiert. Das finale Modell (Abb. 11) mit den
480
Schu le im alpinen Raum
Motivation tl
Die Stabilität der untersuchten Konstrukte Motivation und Unterricht global ist
auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler eher gering (ß = .17 und .31), aber
signifikant. Auf der Klassenebene sind die Einschätzungen stabiler (ß = .41 und
.46). Mädchen und Schülerinnen und Schüler aus bildungsnahen Schichten (thematisieren häufig Bücher in der Familie) sind signifikant motivierter als Knaben
und Kinder aus bildungsfernen Schichten. Auf der Individualebene und auf der
Klassenebene zeigt sich, wie bei Clausen (2002) erwähnt, ein positiver Effekt der
Motivation auf die Einschätzung des Unterrichts. Schülerinnen und Schüler mit
einer hohen Motivation bewerten den Unterricht besser als solche mit einer tieferen Motivation. Auf der Klassenebene ist dieser Effekt, obwohl einigermassen
hoch ß .20, wegen eines grossen Standardfehlers nicht signifkant. Es zeigt sich
:0
Differenzierung als Chance für kleine Schu len
48 1
zudem, dass Schülerinnen und Schüler der Primarstufe motivierter sind als diejenigen der Oberstufe. Dies ist nicht aussergewöhnlich, wird doch in der Forschung
über eine abnehmende Motivation mit der Schulzeit berichtet (z.B. Fend, 2000).
Auch die Einschätzung der Differenzierung durch die Lehrperson über die Zeit ist
sehr stabil. Ein Effekt auf die Einschätzung des Unterrichts durch die Schülerinnen
und Schüler einer Klasse lässt sich nicht belegen. Die Lernenden einer Klasse erleben also das Angebot ihrer LehrpersoD bezüglich Differenzierung nicht so, wie das
die Lehrp erson einschätzt. Auch h at das cillfere.nzierte Angebot keinen Einfluss
auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler .in der Klasse. Clausen (2002)
geht davon aus, dass leicht zu beobachtende und wenig didaktisch-pädagogisches
Verständnis erfordernde Konstrukte, die zudem keiner Bewertung bedürfen, gute
übereinstimmung aufweisen. Das Konstrukt differenzierter Unterricht besteht aus
mehreren Skalen und vielen Items, die versuchen die Komplexität des Konstrukts
zu erfassen. Die Schülerskala wird dem nur unzulänglich gerecht. Trotzdem wäre
aufgrund der eher generellen Einschätzung von Unterricht durch Schülerinnen
und Schüler ein etwas höherer Effekt erwartet worden. Hier müsste beispielsweise
durch Interviews die Sicht der Lernenden geklärt werden, um die Wahrnehmung
der Lernenden besser deuten zu können. Vielleicht ist aber auch das differenzierende Angebot der Lehrpersonen noch zu wenig prägnant, als dass die Lernenden
dieses als festen Faktor des Unterrichts wahrnehmen.
Zusammenfassend mit Bezug zu den Hypothesen lässt sich Folgendes festhalten:
Es kann nicht gezeigt werden, dass ein hohes Differenzierungsangebot der
Lehrperson zu einer höheren (oder tieferen) Motivation der Schülerinnen und
Schülern einer Klasse führt.
Ein höheres Differenzierungsangebot der Lehrperson führt nicht zu einer
höheren (oder tieferen) Bewertung der Unterrichtsqualität durch die Schülerinnen und Schüler einer Klasse.
Diskussion
Wahrend eine nahe l!n der Methode anschliessende Diskussion bereits in den einzelnen Kapiteln stattfand, soll an dieser Stelle die Vernetzung der Ergebnisse bezogen auf die verschiedenen schulischen Ebenen und die verschiedenen Akteure
hergestellt werden.
Der Kern des Projektes lag in der Unterrichts entwicklung. Wird aufgrund demografischer Entwicklungen die Klassengrösse zu klein für den regulären alters-
482
Schule im alpinen Raum
getrennten Klassenunterricht, müssen die Lehrpersonen ihren Unterricht so
anpassen, dass sie den verschiedenen Leistungs- und Kompetenzniveaus, aber
auch den unterschiedlichen Interessen Rechnung trägt. Ein solcher Unterricht ist
anspruchsvoll und stellt für viele Lehrpersonen zuallererst eine innerliche Hürde
dar. In Anbetracht der kurzen Zeit und der unklaren bildungspolitischen Situation sowie einer ungenügend vorbereiteten Lehrerschaft ist es nicht erstaunlich,
wenn keine grossen Sprünge im Bereich der Unterrichtsentwicklung spürbar
geworden sind. Individuelle Initiativen, welche durchaus vorhanden sind - nicht
nur von einzelnen Lehrkräften, sondern sogar von einzelnen Schulen - machen
sich über die ganze Stichprobe hinweg nicht oder noch nicht bemerkbar. Dies
wird aus allen drei Instrumenten - Interviews, Lehrerportfolio und Fragebogen ersichtlich. Die Übereinstimmung der Ergebnisse in den Instrumenten bezüglich
des Hauptkonstrukts "differenzierter Unterricht" macht zudem deutlich, dass von
einer reliablen Erfassung ausgegangen werden kann. Offen bleibt, inwiefern die
Messinstrumente eine Verschärfung des Blicks auf die eigene bisherige Praxis eingefangen haben und dadurch eine Veränderung der Praxis nicht voll wiedergeben
können, weil bei der zweiten Erhebung der Blick viel kritischer ausfallt. Clausen
(2002) ist jedenfalls der Ansicht, dass die Eigenwahrnehmung der Lehrperson
mangelhaft ist, da es an Referenzen und Erfahrung fehlt. Hilfreich zur Förderung
des professionellen Blicks wären diesbezüglich Videoanalysen von Unterricht,
welche in Gruppen von Lehrpersonen analysiert werden könnten (siehe bspw.
Reusser,2005).
Die Vorstellung, für jede Schülerin und für jeden Schüler täglich ein eigenes
Programm gestalten zu müssen, ist für alle Lehrpersonen zu Beginn mit der
Vorstellung unzähliger Überstunden verbunden. Es muss also nebst den Umsetzungskompetenzen auch an der Haltung gearbeitet werden, wenn eine nachhaltige Verankerung des differenzierenden Unterrichts gewünscht ist. Wie sich aus
den Fragebogenanalysen zeigt, konnten mit dem Projekt primär Lehrpersonen
erreicht werden, welche schon bisher eine gewisse Offenheit und Erfahrungen
bezüglich eines solchen Unterrichts aufwiesen. Für alle andern braucht es den
Austausch mit erfahrenen Lehrpersonen, welche bereits einen differenzierenden
Unterricht praktizieren. Es lassen sich zudem Erfahrungen aus den alters gemischten Basisstufen nutzen (siehe z.B. Ureeh, 2010; Zumwald, 2010). Auch
aus den Interviews ergab sich, dass bei den ersten Weiterbildungen nicht alle
Lehrpersonen andocken konnten. Immerhin scheint sich im Laufe der zweiten
Projekthälfte ein Grossteil der Lehrpersonen z.B. im Portfolio mit dem Thema
Unterrichtsentwicklung auseinandergesetzt zu haben und teilweise wurden auch
Schritte umgesetzt.
Differenzierung als Chance für kleine Schulen
483
Gute Ideen entstehen, wenn talentierte (und motivierte) Menschen zusammen
arbeiten. Wie in anderen Studien zeigt sich auch in dieser Studie, dass die TeamArbeit der Motor der Unterrichtsentwicklung darstellt. In den Interviews berichtet eine Lehrperson bspw. von der Erstellung von Unterrichtsmaterialien mit drei
Teamkollegen, welche nun allen zur Verfügung stehen. Auch in den Pfadmodellen
zeigt sich der Einfluss des Kollegiums oder von Teams bei Schulentwicklungsprozessen. Lehrpersonen, welche eine gute pädagogische Tearnkultur antreffen machen
konsequenteren differenzierten Unterricht. Das Projekt "Schule im alpinen Raum"
fand vor allem dort Anklang, wo auch eine hohe pädagogische Teamkultur vorhanden ist und wo bereits ein gewisses Ausrnass von differenziertem Unterricht
(oder von generell gutem Unterricht) gemacht wird, wo Lehrpersonen also auch
offen für Entwicklungsprozesse sind. Aus dem Projekt SINUS.NRW (Pallack, Vom
Hofe, Jordan & Trendel, 2009) weiss man, dass solche Schulen Kooperation unter
Lehrpersonen pflegen. Es sind Orte, wo der Unterricht keine Privatangelegenheit zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schüler ist. Solche Teams sind
geprägt von Kollegialität, gegenseitiger Unterstützung, aber auch Wertschätzung
und Respekt. In den Pfadmodellen zeigt sich zudem ein positiver Zusammenhang
zwischen Weiterbildung und einer hohen Praxis des differenzierten Unterrichts.
Die Weiterbildung scheint also zumindest ein Ort des Anstosses und des Austausches gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang und für die Zukunft ist auch
an die Vorbereitung junger Lehrpersonen und die Weiterbildung nicht am Projekt
teilnehmender Lehrpersonen im Bereich differenzierenden Unterrichts zu denken
(siehe dazu auch Beitrag Raggi).
Aufgabe der Schulleitung ist es, entsprechende regelmässige Gefässe zu schaffen,
wo Kooperation auch zeitlich Raum findet. Sie muss aber auch klare Erwartungen
formulieren und dann entsprechende Ergebnisse einholen. Diese Rolle hatte im
Projekt das Schulentwicklungsteam, welches zumindest mit dem Portfolio Ansätze
einer verpflichtenden Entwicklungsarbeit verfolgte. Die Lehrpersonen, welche ihr
Portfolio eingereicht haben, taten dies zumeist auf einer interessierten, durchaus
professionellen Weise ohne deshalb schon beim Endstadium der Unterrichtsentwicklung angekommen zu sein. Die vielfältigen Differenzierungsmassnahmen
müssen sich in der Praxis bewähren und sich im Team, aber auch von aussen,
der Qualitätsüberprüfung stellen. Es ist an der Schulleitung, zusammen mit den
Behörden den begonnenen Prozess weiter anzutreiben und nachhaltig zu verankern. Allerdings braucht es dazu auch geeignete gesetzliche Rahmenbedingungen.
Noch dauert das Projekt an, erst gegen Ende 2011 wird der Entwicklungsteil abgeschlossen sein. Bis dahin sind zwei Jahre Forschungsprozess und gute zweieinhalb
484
Schule im alpinen Raum
Jahre Entwicklungsprozess vergangen. Gemäss Fullan (2000, S. 16) dauert es zwei
bis drei Jahre bis sich erste Veränderungen in Primarschulen zeigen. In Gymnasien brauche es fünf bis sechs Jahre und Veränderungen in ganzen Schul-Regionen
benötigen sechs bis acht Jahre, bis sich erste Erfolge einstellen. Das, so Fullan, seien
aber nur die guten Neuigkeiten, die schlechten lauten: Die hart errungenen Erfolge
sind sehr empfindlich, es braucht noch einige Jahre mehr, bis sie wirklich in der
Schule verankert sind. Oftmals benötigt es nur einer neuen Schulleitung oder einer
neuen bildungspolitischen Direktive und die zarten Ansätze gehen verloren. Es
braucht also die Unterstützung der lokalen und kantonalen Bildungspolitik. Die
wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten im Bildungssystem sind bei
diesem Projekt besonders ausgeprägt zu erkennen (siehe auch den Beitrag von
Nägeli). Deshalb würde es sich lohnen, das schulische Mehrebenen-System mit
seinen unterschiedlichen Akteuren im Projekt und den entsprechenden Interdependenzen aus Sicht der Governance-Forschung zu analysieren und handlungsrelevante Aspekte zu identifizieren. Mit Sicherheit müssten auf allen Ebenen
Massnahmen umgesetzt werden, die den Entwicklungsprozess eines erfolgversprechenden differenzierten Unterrichts in den Einzelschulen ermöglichen und
fördern. Im Moment ist die Diskussion zum Thema Umgang mit Heterogenität oft
von Schuldzuweisungen geprägt, die sich auf den Entwicklungsprozess wenig konstruktiv auswirken. Vielmehr wären wohlüberlegte und mutige Entscheide gefragt,
die auf einer gemeinsamen, zukunftsorientieren Zielausrichtung basieren und der
Entwicklung unserer Volksschule sowie der Chancengerechtigkeit aller Kinder,
auch denen in peripheren, ländlichen und alpinen Lagen, dienen.
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Anhang
Schule im alpinen Raum
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