Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten
Transcription
Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten
Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein Cyrille Fijnaut und Brice De Ruyver Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein 1 Cyrille Fijnaut und Brice De Ruyver Für eine gemeinsame Bekämpfung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein Ein Gutachten für den Vorstand der Euregio Tilburg - Gent, den 14. November 2008 Vorwort Dieses Gutachten behandelt eine brennende Frage in der Euregio Maas-Rhein: die Überwachung der drogenbedingten Kriminalität in diesem „Land ohne Grenzen“ zwischen Belgien, Deutschland und den Niederlanden. Erstellt wurde das Gutachten im Auftrag des Vorstands dieser Euregio (in der Person von Léon Frissen, Kommissar der Königin für die Provinz Niederländisch Limburg, Steve Stevaert, Gouverneur der Provinz Belgisch Limburg, Michel Foret, Gouverneur der Provinz Lüttich, Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, und Hans Peter Lindlar, Regierungspräsident in Köln), der sich in zunehmendem Maße über die Tragweite dieses Problems und die diesbezüglichen negativen Auswirkungen auf die administrativen Beziehungen in der Region besorgt zeigt. Die von uns im Auftrag des Vorstands durchgeführten Untersuchungen bestanden zum einen aus einer Analyse einer Vielzahl von Dokumenten über Art, Umfang und Entwicklung dieser Kriminalität und der Versuche, die unternommen wurden, sie zu begrenzen. Zum anderen gab es eine Reihe von Gesprächen am runden Tisch mit Vertretern der Gemeinden, der Staatsanwaltschaften und der Polizei behörden in den drei Landesteilen der Euregio. Darüber hinaus haben wir uns einen Überblick über die gegenwärtige Drogenpolitik in Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und in der Europäischen Union verschafft. Die Problematik drogenbedingter Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein ist jedenfalls in hohem Maße das Ergebnis der (jeweiligen) Politik, die von den genannten Ländern betrieben wird und wurde. International betrachtet hat diese Politik mit einem umfangreichen Drogentourismus und der starken Konzentration von unerlaubter Drogenproduktion und illegalem Drogenhandel erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen erzeugt. Hieraus ergibt sich fast zwangsläufig, dass unser Gutachten nicht nur für die Vorgehensweise bei drogenbedingter Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein von Bedeutung ist, sondern auch für die Bekämpfung dieses Problems im gesamten Grenzgebiet zwischen Belgien und den Niederlanden einerseits und zwischen Deutschland und den Niederlanden andererseits. Ergänzend dazu ist hervorzuheben, dass unser Gutachten auch für die Politik relevant sein kann, die diese und andere Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet im Rahmen der Europäischen Union verfolgen. Denn wenn diese Politik irgendwo auf die Probe gestellt ist, dann ist es wohl in der Euregio Maas-Rhein: In keiner anderen Grenzregion der Europäischen Union werden die Probleme drogenbedingter Kriminalität so deutlich wie in dieser Euregio und ist die Notwendigkeit einer sehr engen Zusammenarbeit auf den verschiedenen Gebieten so dringlich, damit diese Probleme auch in Zukunft bewältigt werden können. Letzteres ist ein Grund mehr, uns an dieser Stelle bei allen herzlich zu bedanken, mit denen wir in den vergangenen Wochen und Monaten unsere Gedanken 5 zum Thema der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein offen austauschen konnten. Wir hoffen sehr, dass unsere Gesprächspartner die Argumente und tatsächlichen Informationen, die während der durchweg angeregten Gespräche ausgetauscht wurden, in diesem Gutachten wiederfinden. Dies würde dann bedeuten, dass die im abschließenden Kapitel dieses Gutachtens ausgesprochenen Empfehlungen auf einer soliden Grundlage basieren. Dabei dürfen sie es uns nicht übel nehmen, dass wir ihre Erfahrungen, Ansichten und Gefühle in diesem Gutachten gegeneinander abzuwägen hatten und diese lediglich in ihren Zusammenhängen untereinander gewürdigt haben. Darin liegt nun einmal die ureigenste Aufgabe eines Gutachters. Hervorheben möchten wir auch an dieser Stelle, wie aufschlussreich es für uns war, dass wir die in Maastricht mit der Verhaftung von Drugsrunnern (Schleppern) betrauten Einheiten an einem Abend bzw. in einer Nacht begleiten durften. Hierdurch erhielten wir nicht nur einen besseren Einblick in die Art und Weise, wie diese Runner operieren, und in die Anstrengungen, die Polizei und Justiz unternehmen, um deren Aktionsradius einzuschränken, sondern auch in die Probleme, die die Drogenhäuser für das gesellschaftliche Zusammenleben in einzelnen Stadtvierteln mit sich bringen. Ferner möchten wir nicht versäumen zu erwähnen, dass wir jederzeit bereit sind, uns zu diesem Gutachten mit den zahlreichen Beteiligten auseinanderzusetzen, auch wenn wir dann nicht mehr unter der Obhut des Vorstands der Euregio MaasRhein stehen. In erster Linie natürlich mit denjenigen, die aufgrund ihres Amtes eine gewisse Verantwortung für die Überwachung über die drogenbedingte Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein tragen. Wir denken aber auch an diejenigen, die aus anderen guten Gründen an den Ergebnissen der von uns durchgeführten Untersuchung Interesse haben könnten. Schließlich gilt unser herzlicher Dank Frau Nathalie Wiegers vom Bureau Euregionale Samenwerking bei der Staatsanwaltschaft Maastricht und Frau Diana van Hooren-Thijssen vom Polizeistab Limburg-Zuid für die außerordentlich effiziente administrative Unterstützung, die uns in den vergangenen Monaten auf so angenehme Weise zuteil wurde. Tilburg - Gent, den 14. November 2008 Prof. Dr. Cyrille Fijnaut und Prof. Dr. Brice De Ruyver 6 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. Allgemeine Einleitung Der Schengener Kompromiss Einleitung Der Wortlaut des Abkommens und des Durchführungsübereinkommens Die Auseinandersetzung im niederländischen Parlament Die Auseinandersetzung im belgischen Parlament Die Auseinandersetzung im Interparlamentarischen Benelux-Rat Résumé 24 28 28 29 32 36 37 39 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.5. Die Entwicklungen in der Europäischen Union Einleitung Das politische und operationelle Räderwerk Die Schwerpunkte der Drogenpolitik der Europäischen Union Das Drogenproblem in der Europäischen Union: eine allgemeine Situationsbeschreibung Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Cannabis Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Kokain Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Heroin Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit synthetischen Drogen Résumé 42 42 42 43 . 46 47 48 49 49 50 4. 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 4.5. 4.5.1. 4.5.1.1. 4.5.1.2. Die Situation in den besonders betroffenen Ländern: Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande Einleitung Die Situation in Belgien Die politischen Rahmenbedingungen Ein Überblick über die Tatsachen Die Situation in Deutschland Die politischen Rahmenbedingungen Ein Überblick über die Tatsachen Die Situation in Frankreich Die politischen Rahmenbedingungen Ein Überblick über die Tatsachen Die Situation in den Niederlanden Die politischen Rahmenbedingungen Die allgemeinen Ausgangspunkte Die Politik bezüglich verschiedener Arten von Drogen 53 53 53 53 57 61 61 62 65 65 66 70 70 70 73 7 11 4.5.1.3. 4.5.1.4. 4.5.2. 4.5.2.1. 4.5.2.2. 4.5.2.3. 4.6. Die Politik der heutigen Regierung Die Eindämmung der Probleme in drei Grenzgemeinden Ein Überblick über die Tatsachen Art, Umfang und Entwicklung des Drogenkonsums Die Produktion und der Handel von/mit weichen und harten Drogen Ermittlung, Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung der Täter Résumé 5. 5.1. 5.2. 5.2.1. 5.2.1.1. 5.2.1.2. 5.2.1.3. 5.2.1.4. 5.2.2. 5.2.3. 5.2.3.1. 5.2.3.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.3.1. 5.3.3.2. 5.3.3.3. 5.3.3.4. 5.3.3.5. 5.3.4. 5.3.4.1. 5.3.4.2. 5.4. Die heutige Vorgehensweise bei der Bekämpfung der Drogenprobleme in der Euregio Maas-Rhein Einleitung Die Politik der zuständigen Stellen im niederländischen Zuid-Limburg Die Politik der Gemeinde Maastricht bezüglich der Coffeeshops Zwei versperrte Auswege: Regulierung und Eindämmung Der dritte Weg: die Umsiedlung von Coffeeshops an den Stadtrand Auf dem Weg zu einem Kompromiss mit den belgischen und den niederländischen Nachbargemeinden? Die „Damokles-Politik“ bezüglich der Coffeeshops und Drogenhäuser Die Politik von Polizei und Staatsanwaltschaft in Zuid-Limburg Die Politik des regionalen Polizeidreiecks Die Politik in der jüngeren Vergangenheit Die Politik für die nähere Zukunft Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit Der organisatorische Rahmen für die Zusammenarbeit Die Formulierung einer Politik zur Kriminalitätsbekämpfung Die bestehenden Formen der Zusammenarbeit Die misslungene Bildung eines Euregionalen Fahndungsteams (EOT) Das verbindende Element: EPICC Der Ausbau der JHT-Formel Die politische und operationelle Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften im BES Die Organisation der polizeilichen und justiziellen Rechtshilfe im IRC Die neuen, aber umstrittenen Initiativen Auf dem Weg zu einer euregionalen Kriminalpolizei? Auf dem Weg zu Eurocrime? Résumé 6. 6.1. 6.2. Die Euregio Maas-Rhein: eine Darstellung der drogenbedingten Kriminalität Einleitung Ein komplexes und vielschichtiges Problem 8 77 78 85 85 86 88 90 95 95 96 96 96 97 . 101 103 105 107 108 110 113 113 114 117 119 120 121 122 126 127 127 130 132 137 137 138 6.3. 6.3.1. 6.3.2. 6.3.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.4.3. 6.5. 6.5.1. 6.5.2. 6.5.3. 6.6. 6.6.1. 6.6.2. 6.6.3. 6.7. Die Strafverfolgung in der Euregio Auf niederländischer Seite Auf belgischer Seite Auf deutscher Seite Der Marihuanaanbau und die Coffeeshops Auf niederländischer Seite Auf belgischer Seite Auf deutscher Seite Produktion und Vertrieb von synthetischen Drogen Auf niederländischer Seite Auf belgischer Seite Auf deutscher Seite Drogenkonsumenten, Drogenhäuser und Drugsrunner Auf niederländischer Seite Auf belgischer Seite Auf deutscher Seite Résumé 141 141 142 144 145 145 150 152 153 153 155 156 156 158 162 164 165 7. 7.1. 7.2. 7.2.1. 7.2.2. 7.2.3. 7.2.4. 7.2.5. 7.3. 7.3.1. 7.3.1.1. 7.3.1.2. 7.3.2. 7.3.3. 7.4. 7.4.1. 7.4.2. 7.4.3. 7.5. 7.6. Allgemeines Résumé: ein Handlungskonzept Einleitung Intensivierung der euregionalen Zusammenarbeit Die Bildung eines euregionalen Sicherheitsdreiecks Der schrittweise Aufbau des Netzwerks JustPol-EMR Die Ausarbeitung administrativer Maßnahmen Die Zusammenarbeit bei Prävention und Fürsorge Ein Appell an die Verantwortung von Berufsgruppen, Wirtschaftsunternehmen und Bürgern Anpassung der Politik in den drei Landesteilen Empfehlungen für den niederländischen Landesteil Einige Empfehlungen für die gesamte Regio Die Umsiedlung von Coffeeshops in Maastricht Empfehlungen für den belgischen Landesteil Empfehlungen für den deutschen Teil der Euregio Stärkung der Rolle der nationalen/zentralen Behörden Die Formulierung von bi- und trinationalen Projekten Der Erfahrungs- und Informationsaustausch Die Organisation gegenseitiger Rechtshilfe Einbindung in die Zukunft der Europäischen Union Zeitplan 169 169 170 170 172 174 174 . 175 176 176 176 178 179 181 182 183 183 184 185 186 9 Zusammenfassung Der Auftrag Der Auftrag des Vorstands der Euregio Maas-Rhein (EMR) war zweigeteilt. Einerseits galt es, ein Bild zu zeichnen von der drogenbedingten Kriminalität in der EMR und im Umfeld der EMR, von der Bekämpfung dieser Kriminalität in den einzelnen Landesteilen und von der einschlägigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden. Andererseits lautete der Auftrag, auf Grund der diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse möglichst konkrete Empfehlungen für die kommunalen, regionalen und nationalen Behörden zu formulieren, um die drogenbedingte Kriminalität in der EMR und deren Umfeld besser bekämpfen zu können. Im Zuge dieses Auftrags wurden im Juni, Juli und August zunächst Gespräche am runden Tisch mit den Bürgermeistern, den Mitgliedern der Staatsanwaltschaften und den Polizeichefs in den drei Landesteilen geführt. Zweitens wurde in diesen Monaten nicht nur möglichst viel Dokumentationsmaterial über die (Bekämpfung der) Drogenproblematik in der EMR gesammelt, sondern auch über die Politik, die die am stärksten beteiligten Länder – Deutschland, Belgien, Niederlande und Frankreich – führen, um diese Problematik einzudämmen. Angesichts des Umstands, dass ihre Zusammenarbeit in diesem Punkt noch immer in hohem Maße von dem Schengener Durchführungsübereinkommen 1990 beherrscht wird, wurde darüber hinaus untersucht, welche Vereinbarungen von den genannten Ländern (plus Luxemburg) beim Zustandekommen dieses Abkommens genau getroffen wurden. Die Vereinbarungen im Rahmen von Schengen Die Analyse dieser Vereinbarungen zeigt unmissverständlich, dass sich die fünf ursprünglichen Schengen-Länder in den wichtigsten Aspekten der Drogenpolitik einig sind: Drogenkonsum so weit wie möglich verhindern, den (grenzüberschrei tenden) Drogenhandel bekämpfen, drogenbedingte Belästigungen eindämmen und Drogenabhängige betreuen. Soweit die Niederlande weiche Drogen über Coffeeshops vertreiben wollen, müssen dort gleichzeitig präventive und repressive Maßnahmen getroffen werden, um den daraus resultierenden negativen Auswirkungen – auch den Drogentourismus und die damit verbundene illegale Ausfuhr von Cannabis – für die anderen Länder oder deren Politik entgegenzuwirken. Umgekehrt sind diese Länder verpflichtet, dasselbe im Hinblick auf die negativen Auswirkungen ihrer eigenen Politik zu tun. 11 Eine der Konsequenzen dieser Regelung über die negativen Auswirkungen ist, dass unilaterale Maßnahmen, die eine solche Wirkung entfalten (können), nicht dem Geist von Schengen entsprechen. Die mögliche Umsiedlung von Coffeeshops in Maastricht muss auch in diesem Licht betrachtet werden. Bemerkenswert ist, dass in der politischen Auseinandersetzung über das Schengener Durchführungsübereinkommen zwei Dinge nicht besprochen wurden. Erstens die „Hintertür-Problematik“: Wo beziehen die Coffeeshops ihre Ware? Und zweitens die faktische Ausführung der Vereinbarungen: Welche Anstrengungen müssen tatsächlich unternommen werden und welche Ergebnisse sollten erzielt werden? Diese Fragen waren offenbar zu heikel. Stattdessen wurde allerdings eine permanente gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die die weiteren Entwicklungen ständig überwachen sollte. Diese Arbeitsgruppe wurde vor allem durch Zutun der Integration von Schengen in die Europäische Union überflüssig. Wäre diese Arbeitsgruppe auf dem Niveau der ursprünglichen fünf Schengen-Länder bestehen geblieben, hätte sie feststellen können, dass die Drogenproblematik sich (auch) in der EMR in den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren sehr verändert hat: Die Probleme der Drogenproduktion, des Drogenhandels und des Drogenvertriebs haben erheblich zugenommen und dementsprechend auch die Probleme des Drogentourismus und der drogenbedingten Belästigungen. Die besondere Stellung der Niederlande in der Europäischen Union Die Gutachten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union zeigen unmissverständlich, dass überall auf der Welt große Mengen natürlicher und synthetischer Drogen vorhanden sind und dass alle Versuche, die Drogenproduktion, den Drogenhandel und den Drogenvertrieb einzudämmen, nur sehr begrenzten Erfolg haben (können). Ferner steht außer Zweifel, dass Europa und insbesondere die Niederlande eine wichtige Rolle im weltweiten Drogenbusiness spielen. Einerseits sind die Niederlande ein Produzent von Cannabis (Nederwiet) und synthetischen Drogen in großem Maßstab, andererseits sind die Niederlande ein wichtiger Vertreiber von Kokain, Heroin und Haschisch im eigenen Land und in den Nachbarländern. Auch wenn die Niederlande nicht das einzige Land sind, in dem das Drogenbusiness floriert, und es demnach nicht angehen kann, international alle Giftpfeile nur auf die Niederlande zu richten, muss sich dieses Land seiner Sonderstellung im europäischen Drogenmarkt durchaus selbstkritisch bewusst sein. Ein Vergleich der Drogenpolitik und der Drogenprobleme in Deutschland, in den Niederlanden, in Belgien und Frankreich zeigt, dass die Drogenpolitik in diesen Ländern in den vergangenen Jahren noch mehr Übereinstimmungen aufweist als in der Zeit der Verhandlungen über Schengen. Insbesondere in Belgien und Deutschland hat sich mittlerweile ebenfalls formal eine Duldungspolitik im Hinblick auf den 12 Kleinkonsumenten entwickelt. Und außerdem wurde in allen betroffenen Ländern ein System von Einrichtungen aufgebaut, die Menschen betreuen, die durch Drogenkonsum in Schwierigkeiten geraten sind. Der größte Unterschied zwischen den Niederlanden und den anderen Ländern ist zurzeit nur noch die Akzeptanz der Coffeeshops. Allerdings hat dieser Unterschied sehr weitreichende Folgen. Erstens hat dies dazu geführt, dass Massen so genannter Drogentouristen aus der näheren und weiteren Umgebung der Niederlande den Weg zu den Coffeeshops gefunden haben, wo sie in einem relativ sicheren Umfeld eine begrenzte Menge weicher Drogen kaufen können. Zweitens hat diese umfangreiche und feinmaschige Kommerzialisierung des Vertriebs weicher Drogen dazu geführt, dass die Produktion dieser Drogen nicht nur in immer größerem Maßstab im eigenen Land organisiert wurde, sondern zum Teil auch in die Hände der organisierten Kriminalität gelangt ist, die sich keinen besseren und stabileren Absatzmarkt hätte wünschen können. Die daraus resultierenden Folgen sind einschneidend: das Erwachen einer Schattenwirtschaft in Städten und Gemeinden, die Androhung bzw. Anwendung von Gewalt in eigenen kriminellen Kreisen, aber auch gegenüber anderen Personen usw. Ist das Ende der Duldungspolitik in Sicht? Zusammen mit der jahrelangen Nichtdurchsetzung der Duldungspolitik hat diese Entwicklung die ohnehin schon zweifelhafte Glaubwürdigkeit der niederländischen Drogenpolitik zumindest im Ausland vollends unterminiert. Sie hat nämlich dazu geführt, dass die so hoch gepriesene Trennung der Märkte, eines der großen Ziele der niederländischen Drogenpolitik, völlig aufgeweicht wurde. Einerseits, weil sich eine Anzahl von Coffeeshops zu einer Nahtstelle par excellence zwischen dem gewöhnlichen Konsumenten und der schweren (organi sierten) Kriminalität entwickelt hat. Andererseits, weil der stetige Strom von ausländischen Drogenkäufern ein Gottesgeschenk für kriminelle Gruppen ist, die diesen so genannten Touristen so viel Kokain, Heroin, synthetische Drogen, Haschisch und Nederwiet wie möglich verkaufen wollen. Die sog. Drugsrunner, Drogenhäuser und drogenbedingten Belästigungen sind die Folgen dieser Entwicklung. Hinzu kommen in einigen Städten die großen psychologischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die der Marihuanaanbau in einigen Vierteln sowieso schon verursacht. 2006 gelangte H. van de Bunt aus diesen und anderen Gründen zu der Feststellung, dass die Fundamente der Cannabispolitik so stark geschwächt seien, dass die Coffeeshops wahrscheinlich nicht bis 2010 überleben würden. Ob dies so sein wird oder nicht, ist eine Frage, die in unserem Gutachten nicht beantwortet wird. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine strikte Anwendung 13 der Duldungspolitik zweifellos große Folgen haben wird für die Coffeeshops, die sich nicht an die Grenze von 500 Gramm Handelsvorrat halten: Diese werden erheblich zurückstecken müssen, wenn sie nicht sogar ganz geschlossen werden. Diese Vorgehensweise gegen Coffeeshops könnte zu einer (weiteren) Verlagerung des Angebots zu den Drogenhäusern in ihrer Umgebung führen, wobei nicht vergessen werden darf, dass auch heute schon ein erheblicher Teil des Vertriebs von weichen Drogen außerhalb der Coffeeshops erfolgt. Sie könnte aber auch eine Abnahme der Nachfrage aus dem Ausland nach sich ziehen. Letzteres ist durchaus plausibel, wenn man bedenkt, dass heute in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in großem Stil allerlei Arten von Cannabis angebaut beziehungsweise vertrieben werden, und zwar unabhängig vom niederländischen Angebot, und dass in den meisten Mitgliedstaaten die Politik für den Kleinkonsumenten viel toleranter geworden ist. Vor allem in den Grenzregionen kann eine Reduzierung des geduldeten Angebots zu einer erheblichen Abnahme der Nachfrage und damit auch zu einer größeren Verringerung des Drogentourismus und seiner sämtlichen Facetten führen. Im Übrigen wird eine striktere Durchsetzung der Coffeeshop-Politik mit einer weiteren Intensivierung der bestehenden und an sich schon ziemlich rigorosen Ermittlungspolitik im Hinblick auf die Drogenproduktion und den Drogenhandel einhergehen müssen. Insbesondere ist es höchste Zeit, die „Hintertür“ der Coffeeshops in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu rücken. Im Kielsog der Duldungspolitik ist dieser Aspekt fälschlicherweise völlig vernachlässigt worden. Es gibt aber gute Gründe dafür, über Nachforschungen gemäß Artikel 126 gg der niederländischen Strafprozessordnung (Wetboek van Strafvordering) zu ermitteln, welche Personen auf welche Weise und in welchem Umfang die Coffeeshops mit weichen Drogen beliefern. Die heutige Bekämpfung der Drogenprobleme Die mühsame Entwicklung der Coffeeshop-Politik in Maastricht zeigt, wie sehr man nicht nur in Maastricht selbst, sondern in der gesamten EMR in den vergangenen Jahren mit der Drogenproblematik in dieser Euregio gerungen hat. Und das Ende dieser Entwicklung ist noch nicht in Sicht. Die mögliche Umsiedlung einiger Coffeeshops an den Stadtrand macht mit Blick auf die Verringerung der Belästigungen in der Innenstadt sicher Sinn, denn ein Teil des regulären Stroms an Drogentouristen wird zweifellos zu den angestrebten Coffeecorner-Standorten umgeleitet, aber die Probleme mit den Drugsrunnern, den Drogenhäusern und somit den drogenbedingten Belästigungen innerhalb und außerhalb von Maastricht, die damit zusammenhängen, werden dadurch nicht beseitigt. Das heißt, dass es genügend Gründe gibt, nicht noch länger mit der Formulierung einer kohärenten und konsistenten Drogenpolitik in der EMR zu warten. Eine entsprechende Politik wurde – vielleicht in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Kommission, die die Entwicklung der Drogenproblematik genau 14 hätte verfolgen können – bislang nicht geschaffen. Wenn man solche Initiativen jetzt doch ergreifen will, sollte die erste Maßnahme die Schaffung eines derartigen Forums sein. Außerdem muss eine euregionale Drogenpolitik selbstverständlich in Plänen und Projekten verwurzelt sein, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden und mit Erfolg an „Hotspots“ in der Euregio realisiert wurden, zum Beispiel die „Operatie Hartslag“ in Heerlen. Darüber hinaus sollten die Initiativen weiterentwickelt werden, die bereits zur Förderung der grenzüberschreitenden polizeilichen und justiziellen Zusam menarbeit ergriffen wurden. Hierbei kann zunächst auf das EPICC (Euregionales Polizei-Informations-Cooperations-Centrum) und das BES (Büro für euregionale Zusammenarbeit) der Staatsanwaltschaft verwiesen werden. Zweitens geht es hier auch um die JHTs (Joint Hit Teams) und das IRC (Internationales Rechtshilfezentrum). Außerdem darf darauf hingewiesen werden, dass – im Gegensatz zu manchen anders lautenden Behauptungen – die Polizei Limburg-Zuid in den vergangenen Jahren erheblich in den Aufbau einer zentralen Kriminalpolizei investiert hat, die sich mehr und mehr zu einem sehr verlässlichen Partner für die anderen Kriminalpolizeibehörden in der Euregio entwickelt hat. Momentan stehen wieder zwei neue Vorschläge zur Diskussion, nämlich die Gründung einer euregionalen Kriminalpolizei (Euregionale Recherche / ER) und die Schaffung von Eurocrime (EC), somit die Bündelung der polizeilichen und justiziellen Kräfte (einschließlich einer ER) unter einem Dach, um die Zusammenarbeit in der EMR weiter voranzutreiben. Diese Vorschläge werden seitens einer Arbeitsgruppe von Staatsanwälten einer näheren Prüfung unterzogen. Ob den Vorschlägen entsprochen wird, darf in erster Linie nicht von den angestammten Interessen beziehungsweise den herrschenden Meinungen der vorhandenen Einrichtungen, Ämter und Behörden abhängen. In erster Linie muss die Antwort auf diese Frage von einer Einschätzung der Schwere der grenzüberschreitenden Verbrechensprobleme und vor allem der drogenbedingten Kriminalität abhängen. Die Kernfrage lautet: Steht die mit diesen Vorschlägen einhergehende Vorgehensweise im Verhältnis zur Schwere der Problematik? Der Ernst der Lage Zuid-Limburg steht in besonderer Weise Modell für die Lage, in der sich die Niederlande insgesamt inzwischen befinden. Auf der einen Seite handelt es sich um ein erlesenes Gebiet für die Produktion von synthetischen Drogen und Nederwiet, auf der anderen Seite geht es um ein Gebiet, von dem aus in großem Stil nicht nur diese Drogen, sondern auch Haschisch, Kokain und Heroin vertrieben werden. Die Zwangslage, in die diese Region geraten ist, ist nicht nur eine Folge der niederländischen Drogenpolitik im Allgemeinen, der Coffeeshop-Politik und der Lage dieses Gebiets an einer Schnittstelle von Wegen, deren Entstehung bis in die Römerzeit 15 zurückreicht. Sie ist auch eine Folge eines Mangels an politischem Handeln sowohl auf der Ebene dieser niederländischen Region als auch auf der Ebene der EMR insgesamt. Um diesen Mangel wettmachen zu können, ist eine allgemeine Beurteilung des Ernstes der Lage unverzichtbar. Dazu kann in erster Linie auf die vielschichtigen Probleme verwiesen werden, die vor allem auf der niederländischen und belgischen Seite der Grenze mit dem geduldeten Vertrieb von weichen Drogen sowie dem illegalen Vertrieb aller möglichen Drogen einhergehen. Davon zeugen insbesondere ganz deutlich die zahlreichen Drugsrunner und vielen Drogenhäuser. Im Zusammenhang damit stehen auch die Probleme der Drogensucht, wie diese vor allem in einer Stadt wie Lüttich offen zu Tage treten, die aber auch in anderen großen und kleinen Gemeinden nicht zu unterschätzen sind. Zweitens sollten die erheblichen Probleme erkannt werden, die durch die Drogenproduktion verursacht werden, und zwar sowohl durch die Produktion von synthetischen Drogen als auch durch die Produktion von Nederwiet. Die Art und Weise, in der ein erheblicher Teil des Hanfanbaus durch kriminelle Gruppen in den drei Landesteilen organisiert wird, ist an sich schon ein kriminelles Problem ersten Ranges, birgt aber auf der niederländischen Seite der Grenze darüber hinaus die Gefahr in sich, dass eine untere Gesellschaftsschicht entsteht, die in eine illegale Drogen wirtschaft verstrickt ist. Drittens darf nicht übersehen werden, dass (auch mit Erfolg) versucht wird, einen Teil des vielen Geldes, das mit dem Drogenbusiness verdient wird, im Wege der Geldwäsche in legale Wirtschaftsfelder zu investieren. Nicht weniger bedrohlich ist, dass Drogenproduktion und Drogenhandel in einigen Fällen immer mit anderen Formen der schweren Kriminalität einhergehen, auf jeden Fall mit Waffenhandel und manchmal auch mit Menschenhandel. Viertens und abschließend ist zu betonen, dass die drogenbedingte Kriminalität auch ein erhebliches Problem für die Euregio ist, weil es den beteiligten Behörden in den drei Landesteilen bislang nur unzureichend gelungen ist, die Kontrolle dieses Problems so weit wie möglich gemeinsam zu organisieren. Auch hierdurch ist die Lage in den vergangenen Jahren in gewissem Maße unkontrollierbarer geworden. Initiativen zur Bekämpfung der Probleme, wie nicht zuletzt auch die Umsiedlung der Coffeeshops in Maastricht, haben unbeabsichtigt für mehr Zwietracht als Eintracht gesorgt. Ein Handlungskonzept Der Ernst der Lage erfordert eine Vereinheitlichung und Intensivierung der Politik, die von den betreffenden Ländern nicht nur auf EMR-Ebene, sondern auch auf der Ebene der einzelnen Landesteile sowie auf nationaler und internationaler Ebene betrieben wird. Internationale Probleme müssen nun einmal auch bis zu einem gewissen Grad überregional und international bewältigt werden. 16 Das euregionale Niveau ist und bleibt dennoch sehr wichtig, weil auf dieser Ebene durch eine Bündelung der Kräfte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit optimal ausgebaut werden kann und auch auf diese Weise weitgehend vermieden wird, dass die Bekämpfung von Drogenproblemen in dem einen Land nicht hinnehmbare Konsequenzen für die Problembewältigung in einem anderen Land hat. Die wichtigsten Empfehlungen werden im Folgenden für jede Maßnahmen stufe kurz aufgelistet. Allen diesen Empfehlungen gemein ist allerdings ihr Ziel: einerseits die Reduzierung des groß angelegten Cannabisanbaus und der Groß produktion von synthetischen Drogen und andererseits das Vorgehen gegen Drogen häuser, Drugsrunner und drogenbedingte Belästigungen. Und auch für dieses Ziel gilt, dass es nicht durch die bloße Intensivierung der Zusammenarbeit auf euregionaler Ebene erreicht werden kann, sondern auch eine angemessene Unterstützung dieser Zusammenarbeit auf nationaler und inter nationaler Ebene erfordert. A. Intensivierung der euregionalen Zusammenarbeit Die Analyse der Drogenproblematik in der EMR legt überzeugend dar, dass die diesbezüglichen gemeinschaftlichen Probleme der drei Landesteile nur eingedämmt werden können, wenn sich alle gemeinsam dafür einsetzen. Dieser Einsatz müsste auf verschiedene Arten und auf mehreren Gebieten erfolgen: 1. Es ist notwendig, dass ein euregionales Sicherheitsdreieck mit Vertretern der drei justiziellen, administrativen und polizeilichen Beratungsgremien zusammengestellt wird, die in der Euregio bereits tätig sind: das Büro für euregionale Zusammenarbeit (BES), die MAHHL-Gemeinden Maastricht, Aachen, Hasselt, Heerlen und Lüttich (einschließlich der Vertreter der kleinen bzw. kleineren Gemeinden) und die NeBeDeAgPol (Niederländisch-Belgisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft der Polizei). Dieses Dreieck erfüllt keine operationellen oder exekutiven Aufgaben, sondern entwickelt in Grundzügen die Politik, die für die Bewältigung der großen Probleme erforderlich ist. Seine Bildung sollte auf einem formellen Mandat beruhen und die aktive Unterstützung der Minister der Justiz und des Inneren in den drei Ländern erhalten. 2. Soll die Politik, die von dem euregionalen Sicherheitsdreieck in Grundzügen ausgearbeitet wird, erfolgreich sein, ist es außerordentlich wichtig, dass die polizei liche und justizielle Zusammenarbeit enger organisiert wird, als dies bislang der Fall ist. Hierzu ist es erforderlich, im Geist von Eurocrime Schritt für Schritt ein Netzwerk JustPol-EMR zu bilden. Die Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang getroffen werden müssen, betreffen die Stärkung des BES, den schrittweisen Aufbau einer euregionalen Kriminalpolizei (ER) in Form eines grenzüberschreitenden Netzwerks 17 von Kriminalpolizeibehörden um einen festen multinationalen Kern, den Ausbau des Euregionalen Polizei-Informations-Cooperations-Centrums (EPICC), die Verselbst ständigung des Internationalen Rechtshilfezentrums (IRC) und die Integration der Joint Hit Teams (JHT). 3. Parallel zur Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit sollte die administrative Zusammenarbeit verstärkt werden. Auf EMR-Ebene müsste eine Kommission gebildet werden, die vor allem untersucht, ob in den drei Landesteilen für die kommunalen Verwaltungen hinreichende gesetzliche Möglichkeiten bestehen, um in gleichwertiger und gleichförmiger Weise verschiedene Formen schwerer Kriminali tät in Zaum zu halten. Hierbei ist an ein Screening von Genehmigungsanträgen, die Schließung von Häusern und die Durchsetzung von Aufenthaltsverboten zu denken. 4. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Landesteilen auf dem Gebiet Prävention und Fürsorge muss verbessert werden. So müssten auch auf euregionaler Ebene Präventionsprojekte organisiert werden. Im Bereich der Suchthilfe könnte an die Einrichtung euregionaler Netzwerke von Fürsorgeeinrichtungen und an die Ein führung eines euregionalen Betreuungspasses gedacht werden. B. Anpassung der Politik in den drei Landesteilen B.1. Empfehlungen für den niederländischen Landesteil 5. Die Politik, die kürzlich für die gesamte Region vom Polizeidreieck in verschiedenen Aktionsplänen beschrieben wurde (z.B. das Projekt BorderlineS), bedarf einer energischen Ausarbeitung und Umsetzung. Als Ergänzung zu diesen Plänen wird empfohlen, entsprechend dem Beispiel der Operation Hartslag in Heerlen ähnliche Projekte in Maastricht, Sittard-Geleen und Kerkrade zu entwickeln. 6. Die Organisation der Polizei Limburg-Zuid erfordert eine weitere Anpassung an die Probleme, wie diese sich in der Region und der Euregio darstellen. Innerhalb der zentralen Kriminalpolizeibehörde (centrale recherche) müsste eine Betäubungs mittelabteilung installiert werden, die über alle Aktivitäten, die im Korps auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung entwickelt werden, Bescheid weiß, die für alle strafrechtlichen Ermittlungen auf diesem Gebiet mitverantwortlich ist und die nicht zuletzt deshalb als eine adäquate Ansprechstelle für die ausländischen Polizeibehörden fungieren kann. Diese Behörde könnte auch mit der Fahndung nach Personen und Gruppen, die die Coffeeshops über die Hintertür versorgen, und den diesbezüglichen Ermittlungen beauftragt werden. 18 7. Außerdem müsste nicht nur geprüft werden, ob die Stärke des Polizeikorps ausreicht, um alle polizeilichen Kernaufgaben in adäquater Weise auszuführen, sondern auch, inwieweit das Landespolizeikorps (Korps Landelijke Politiediensten) und die überregionale Kriminalpolizei strukturell an der Fahndung nach den kriminellen Gruppen beteiligt werden können, die von der Randstad Holland aus den Drogen handel in der Euregio ansteuern. 8. In Bezug auf die Umsiedlung von Coffeeshops in Maastricht: - wäre es gut, wenn nur mit der Einrichtung von einem, höchsten zwei Coffeecornern begonnen würde; die Auswahl der Standorte und die Voraussetzungen für eine Betriebsgenehmigung dieser Einrichtungen sollten in enger Rücksprache mit den belgischen und niederländischen Nachbargemeinden und nur mit deren Ein verständnis festgelegt werden; die strikte Anwendung des BIBOB-Gesetzes und der Damokles-Politik sollte Bestandteil dieser Voraussetzungen sein; - wäre es ratsam, vor Einführung und Ausführung dieser einschneidenden Maßnahmen einen euregionalen Begleitausschuss einzurichten, der nicht nur für die Auswertung dieses „Experiments“ nach Verstreichen einiger Jahre verantwortlich ist, sondern der auch befugt ist, zwischenzeitlich die Entwicklung der CoffeecornerStandorte und deren Einfluss auf die Entwicklung der Drogenproblematik in der gesamten Euregio aus der Nähe zu verfolgen; - sollte die Gemeinde Maastricht im Rahmen ihres strategischen politischen Ziels einer weiteren Reduzierung der Zahl der Coffeeshops näher untersuchen, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, Coffeeshops durch Abfindungszahlung auszulösen oder aber ihre Zahl durch Neufestsetzung der Bauleitplanung (z.B. Bestemmingsplannen) zu verringern. B.2. Empfehlungen für den belgischen Landesteil 9. Wie in Zuid-Limburg müsste auch für den belgischen Landesteil ein übergreifender Aktionsplan zur Bewältigung der Drogenprobleme entwickelt werden; angesichts mancher Unterschiede zwischen den Problemen in der Provinz Lüttich und der Provinz Limburg könnte dieser Plan aus zwei Teilen bestehen; vielleicht können am besten die Grenzen zwischen den beteiligten Gerichtsbezirken als Trennlinie fungieren. Die Erarbeitung dieses Plans hat in Rücksprache mit den Verfassern des regionalen Aktionsplans im niederländischen Landesteil zu erfolgen, so dass beide Pläne gleichwertige Eckpunkte für die Politik sein können, die das euregionale Sicherheitsdreieck befürwortet. Ein größeres Engagement im BES und den JHTs durch die Bereitstellung von Personal sollte Bestandteil dieses Aktionsplans sein. 19 10. Es ist notwendig, eine gemeinschaftliche Kriminalpolizei aus den Kriminalpolizei behörden bei den zonalen Korps und den justiziellen Abteilungen der föderalen Polizei zu bilden. Diese Kriminalpolizei müsste um zehn spezialisierte Polizeibeamte aus der justiziellen Säule der föderalen Polizei für Ermittlungen gegen kriminelle Banden verstärkt werden, deren illegale Aktivitäten weit über die Grenzen der Euregio hinausreichen. Die föderale Staatsanwaltschaft müsste tätig werden, um zusammen mit den örtlichen Staatsanwaltschaften den ordnungsgemäßen Verlauf der Ermittlungen zu gewährleisten. 11. Ergänzend zur Verstärkung der Kriminalpolizei ist es erforderlich, die Stärke der kleinen zonalen Polizeikorps zu erhöhen, so dass sie die Probleme eher und besser bewältigen können, die durch die Erzeuger von Drogen sowie die Drugsrunner und die Drogenhäuser verursacht werden. Vorläufige Schätzungen ergeben, dass es sich hierbei um rund zwanzig Polizisten handelt. 12. Im Zusammenhang mit den oben genannten Maßnahmen sollten auf jeden Fall in diesen Gemeinden (vor allem Lüttich) und in den Bezirken (z.B. Tongeren), die mit voller Wucht mit allen möglichen Drogenproblemen konfrontiert werden, lokale Aktionspläne entwickelt werden. Im Hinblick auf die Zukunft sollten auch Gemeinden wie Genk, Hasselt und Eupen dies tun. Infolge der Verschärfung der Drogenpolitik könnten bestimmte Drogenprobleme auf ihrem Gebiet zunehmen. 13. Der übergreifende Aktionsplan für den gesamten Landesteil sollte Vorschläge für den föderalen Gesetzgeber über die Einführung van neuen Zuständigkeiten und die Anwendung von Techniken und Verfahren enthalten, die bei einer zusammen hängenden euregionalen Bekämpfung möglicher Drogenprobleme unentbehrlich geworden sind. Hierbei geht es unter anderen um die Schließung von Privat wohnungen, die eine Rolle beim Vertrieb von Betäubungsmitteln spielen, um die Verhaftung von Drugsrunnern, auch wenn sie keine Betäubungsmittel in ihrem Besitz haben, um die Einführung des Screenings von Genehmigungsanträgen und den diesbezüglichen Informationsaustausch zwischen Verwaltungs-, Justiz- und Steuer behörden. B.3. Empfehlungen für den deutschen Landesteil 14. Es ist wünschenswert, dass auch für den deutschen Landesteil ein kohärenter Aktionsplan formuliert wird. Ein derartiger Plan ist nicht nur erforderlich im Hinblick auf die Entwicklung einer Politik seitens des euregionalen Sicherheitsdreiecks, son dern auch mit Blick auf die unmittelbare operationelle Zusammenarbeit mit den Behörden in den beiden anderen Landesteilen. In diesem Plan sollte vor allem der Auslegung und praktischen Anwendung des Legalitäts- und des Opportunitäts 20 prinzips bei der Ermittlung und Verfolgung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. 15. Ferner sollte in diesem Aktionsplan angegeben werden, ob und wenn ja wie der Informationsaustausch zwischen Verwaltungs-, Justiz- und Polizeibehörden im Hinblick auf die strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Bekämpfung von Drogenproblemen auf deutschem Hoheitsgebiet und im euregionalen Zusammen hang möglich ist. Ebenso könnte in diesem Plan berücksichtigt werden, inwieweit die lokalen Verwaltungen selbst über ausreichende Befugnisse und Möglichkeiten verfügen, die drogenbedingte Kriminalität mit verwaltungsrechtlichen Mitteln einzudämmen, etwa durch das Screening von Genehmigungsanträgen und die Schließung von Drogenhäusern. 16. Auch wenn Aachen nicht mit so großen Drogenproblemen wie Maastricht und Lüttich zu kämpfen hat, wäre es nicht zuletzt auch für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gut, wenn auch für diese Stadt ein separater Aktionsplan geschrieben würde, um die auftretenden Probleme auch in Zukunft bewältigen zu können. Es liegt auf der Hand, dass die Verfasser dieses Plans eng mit den Behörden zusammenarbeiten müssen, die an der Durchführung der Operation „Hartslag“ unmittelbar beteiligt sind. C. Stärkung der Rolle der nationalen/zentralen Behörden 17. Es ist notwendig, dass die Niederlande, Deutschland und Belgien auch auf nationaler/zentraler Ebene die polizeilichen und justiziellen Kräfte bei der Bekämp fung der organisierten Kriminalität mehr bündeln, dies insbesondere im Betäu bungsmittelbereich. Dazu müssten sie bilaterale und trilaterale Projekte formulieren. Die föderale Staatsanwaltschaft von Belgien, die nationale Staatsanwaltschaft in den Niederlanden und der Generalstaatsanwalt von Nordrhein-Westfalen sollten in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle spielen. 18. Die oben genannten Projekte müssten auf vergleichbaren und am besten sogar integrierten Verbrechensanalysen der am stärksten beteiligten Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizeibehörden basieren. Sie müssten außerdem Aktionsprogramme enthalten, in denen deutlich umschrieben ist, welche Ziele verfolgt werden, wie viele Mitarbeiter und welche Mittel innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens eingesetzt werden, auf welcher Rechtsgrundlage die Zusammenarbeit konkret basiert, wie die gegenseitige Rechtshilfe geregelt wird usw. 19. Auch im Hinblick auf die Umsetzung solcher bilateralen und trilateralen Projekte müsste ein systematischer Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den Behörden 21 und zuständigen Stellen in den drei Ländern betrieben werden. Diese Zusammenarbeit kann verschiedene Formen annehmen, von grenzüberschreitenden Seminaren über den Austausch von best und bad practices bis hin zur Organisation von Praktika und Mitarbeiterüberlassungen bei Instanzen auf der anderen Seite der Grenze. 20. Daneben ist die Organisation der Gewährung von gegenseitiger Rechtshilfe ver besserungswürdig. Dies bedeutet unter anderem, dass eine Einigung in Bezug auf die Fälle anzustreben ist, in denen Rechtshilfe beantragt wird, sowie in Bezug auf die Art und Weise der jeweiligen Rechtshilfe. Wichtig ist auch die Entwicklung von Verfahren für rechtzeitige gegenseitige Konsultationen über diejenigen Rechtshilfeersuchen, deren Ausführung große operationelle Konsequenzen hat. D. Einbindung in die Zukunft der Europäischen Union Es ist zu betonen, dass die polizeiliche, justizielle und administrative Zusammenarbeit in der EMR durch die Umsetzung des oben genannten Handlungskonzepts noch mehr als in der jüngsten Vergangenheit ein Musterbeispiel für die Zusammenarbeit in der Europäischen Union werden könnte. Sie kann nicht nur eine wichtige Rolle in der Auswertung der Drogenpolitik spielen, die die Europäische Union für 2012 anvisiert hat, sondern passt auch perfekt zu den Plänen, die die so genannten Future Groups für die Zukunft der dritten Säule der Europäischen Union, also der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedstaaten, ausgearbeitet haben. In diesen Plänen spielt, gerade auch in Bezug auf die Grenzgebiete, das Konvergenzprinzip eine große Rolle. Das Handlungskonzept, das oben ausgearbeitet wurde, stellt eine konkrete Anwendung dieses Grundsatzes dar. E. Die Umsetzung des Handlungskonzepts Um dieses Handlungskonzept realisieren zu können, ist es zunächst erforderlich, dass die Minister der Justiz und des Inneren von Belgien, Deutschland und den Niederlanden die allgemeine Verantwortung dafür übernehmen und den Vorstand der EMR damit beauftragen, die Umsetzung dieses Handlungskonzepts in die Hand zu nehmen. Zweitens müsste der Vorstand der EMR die Führung und Vorstände der MAHHL-plus-Gemeinden, des BES und der NeBeDeAgPol auffordern, ein euregionales Sicherheitsdreieck zu schaffen, und sie gleichzeitig bitten, Arbeitsgruppen einzuset zen, die die Einrichtung von JustPol-EMR vorbereiten müssten, dies einschließlich einer Einbindung des BES, des EPICC, des IRC sowie der JHTs. Es müsste möglich sein, diese Schritte innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung dieses Gutachtens zu setzen, also vor dem 1. März 2009. Drittens müssten vor dem 1. Juni 2009 die Arbeiten an den Leitlinien für die jeweiligen Landesteile und die Städte beziehungsweise Bezirke abgeschlossen werden. 22 Anhand der bereits vorliegenden Studien und der bereits ergriffenen Initiativen müsste dies möglich sein. Die Leitlinien müssten im Juli und August 2009 auf der Ebene des euregionalen Sicherheitsdreiecks miteinander verglichen und aufeinander abgestimmt werden. Am 1. September 2009 schließlich müsste ein Begleitausschuss die Arbeit aufnehmen, der diese Prozesse ab diesem Zeitpunkt aufmerksam verfolgen kann. In diesen Ausschuss sollten sowohl Mitglieder des Vorstands der EMR und des euregionalen Sicherheitsdreiecks als auch Vertreter der Justiz- und Innenministerien in den drei Ländern entsandt werden. Dieser Ausschuss sollte jedes Jahr ein Gutachten über die Fortschritte bei der Umsetzung des Konzepts und über die Probleme, die sich hierbei ergeben, erstellen, und zwar einschließlich der Lösungen, die am besten geeignet erscheinen. 23 1. Allgemeine Einleitung Wie im Vorwort dargelegt, bildet dieses Gutachten zur Problematik der (Überwachung der) drogenbedingten Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein die Fortsetzung einer Diskussion, die zu diesem Problem und über den negativen Einfluss auf die allgemeinen administrativen Beziehungen in dieser besonderen Grenzregion im Kreis des Vorstands dieser Euregio im Frühjahr 2008 geführt wurde, in der nicht nur zwei, sondern drei Länder im Laufe der Jahrhunderte in vielerlei Hinsicht - demografisch, kulturell, wirtschaftlich, sozial und geografisch – miteinander verwachsen sind: Belgien, Deutschland und die Niederlande. Es entspricht den Fragen, die der genannte Vorstand uns im Mai 2008 vorgelegt hat: - Zeigen Sie Art und den Umfang der drogenbedingten Kriminalität im Gebiet der Euregio Maas-Rhein und in dessen Umfeld auf, und präzisieren Sie damit die Problemstellung. - Stellen Sie dar, welche Formen der Zusammenarbeit von den über die Grenzen hinaus kooperierenden Polizeieinheiten und Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung drogenbedingter Kriminalität bereits entwickelt wurden. - Beschreiben Sie die best practices, die in den einzelnen Teilgebieten der Euregio Maas-Rhein bestehen und die sich zur Anwendung in den anderen Teilen der Euregio Maas-Rhein eignen. - Formulieren Sie möglichst konkrete Empfehlungen für eine Chancennutzung von örtlichen und regionalen Behörden in Zusammenarbeit mit der Polizei und den Staatsanwaltschaften in der Euregio Maas-Rhein. - Zeigen Sie so konkret wie möglich realistische Möglichkeiten der jeweiligen nationalen Behörden auf, die Zusammenarbeit und die Abstimmung der Politik und der gesetzlichen Grundlagen zur Bekämpfung drogenbedingter Kriminalität zu verbessern, bzw. verdeutlichen Sie die wichtigsten Hemmnisse, die einer Verbesserung der Situation im Wege stehen und die von den nationalen Behörden ausgeräumt werden können. - Stellen Sie einzelne Punkte in einem Implementierungsplan und einem zeitlichen Handlungsrahmen für die Jahre 2008-2009 dar. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, haben wir im Wesentlichen zwei Aktivitäten entfaltet. 24 Zuerst haben wir möglichst umfangreiches Dokumentationsmaterial über die drogenbedingte Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein und über die Initiativen gesammelt, die von den öffentlichen Stellen und Behörden der betroffenen Landesteile allein bzw. in gegenseitiger Absprache in den vergangenen Jahren, wenn auch nicht grenzübergreifend, ergriffen wurden, um diese Kriminalität einzudämmen. Ergänzend dazu wurde in einer Übersicht zusammengestellt, welche Politik hinsichtlich Drogen und drogenbedingter Kriminalität Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande gegenwärtig verfolgen, einschließlich der Politik, die diese und andere Mitgliedstaaten diesbezüglich im Rahmen der Europäischen Union berücksichtigen. Zweitens haben wir im Lauf der Monate Juni, Juli und August mit den Bürgermeistern, den Staatsanwaltschaften und den Polizeichefs der drei Länder Gespräche am runden Tisch geführt. In diesen Gesprächen ging es ergänzend zu unserem Auftrag jeweils um drei Fragen: - Wie sind Art, Umfang und Entwicklung des Drogenproblems in der Euregio MaasRhein und seine tatsächlichen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammen leben in dieser Euregio einzuschätzen? - Welche besonderen Anstrengungen sowohl in Bezug auf besondere Maßnahmen als auch in Bezug auf den Umfang, in dem diese Maßnahmen angewendet werden (Art und Umfang des Einsatzes von Menschen und Mitteln) werden unternommen, um zu einer Bekämpfung dieses Problems zu gelangen bzw. seine Auswirkungen zu verringern? Was wurde mit diesen Maßnahmen bis jetzt erreicht? Welche beab sichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen entfalten Sie auf Art, Umfang und Entwicklung des Problems? - Welche Maßnahmen schließlich müssten nach welchem Maßstab von welchen öffentlichen Stellen und Behörden bzw. von welchen Instanzen oder Unternehmen getroffen werden, um das Problem in der Euregio Maas-Rhein kurz- oder mittelfristig besser zu kontrollieren und um unbeabsichtigte nachteilige Wirkungen dieser Maßnahmen weitestgehend zu vermeiden? Im Hinblick auf eine angemessene Beantwortung dieser drei Fragen haben in den drei beteiligten Landesteilen insgesamt sechzehn Gespräche am runden Tisch statt gefunden. Wie der Anlage zu entnehmen ist, fanden diese jeweils gesondert mit Funktionsträgern, Staatsanwälten und den Polizeichefs statt. Dies geschah nicht nur deshalb, um deren jeweilige Sichtweisen zu Art und Umfang des Problems zu ermitteln, sondern auch, um ihre unterschiedlichen Erfahrungen hinsichtlich der Vorgehens weise kennen zu lernen. Nahezu alle diese Gespräche wurden im Hinblick auf die Abfassung des Gutachtens – also einzig und allein zur eigenen Verwendung – 25 aufgezeichnet. Den Teilnehmern dieser Gespräche wurde im Übrigen zugesagt, dass sie niemals wörtlich im Gutachten zitiert werden und dass ferner darauf geachtet wird, dass keinerlei Stellungnahmen im Gutachten einem oder mehreren unserer Gesprächspartner ohne weiteres zugeordnet werden können. Diese Vereinbarung hat zweifellos die notwendige Offenheit und damit den Wahrheitsgehalt und den Nutzen der Gespräche am runden Tisch erheblich gefördert. An dritter Stelle haben wir in Maastricht an einem Polizeieinsatz teilgenommen, der die Verhaftung von Drugsrunnern zum Ziel hatte. Ferner haben wir dem Euregionaal Politie Informatie- en Coördinatie Centrum in Heerlen, dem gemeinschaftlichen Zentrum der Polizeidienststellen in der Euregio, einen Arbeitsbesuch abgestattet. Das Zentrum wurde vor einigen Jahren auf Initiative der betroffenen Polizeichefs gegründet, die sich in der NeBeDeAgPol zusammengeschlossen haben. Die Erkenntnisse, zu denen wir aufgrund des Dokumentationsmaterials, der Gespräche am runden Tisch und der Arbeitsbesuche gelangt sind, wurden in den folgenden sechs Kapiteln festgehalten. Kapitel 2 greift auf die jüngste Vergangenheit der Drogenpolitik der Länder zurück, die im Jahr 1985 das Übereinkommen von Schengen (sog. Schengener Abkommen) unterzeichnet und später im Jahr 1990 als Erste das Schengener Durchführungsübereinkommen (Schengen II) geschlossen haben. Im Rahmen dieses Gutachtens erscheint es uns wichtig, sich die Vereinbarungen, die im Rahmen von Schengen bezüglich der Drogenpolitik getroffen wurden, noch einmal sehr genau ins Gedächtnis zu rufen. Diese Vereinbarungen spielen nämlich noch immer in der Diskussion zu diesem Thema zwischen den Niederlanden und den sie umgebenden Ländern eine wichtige Rolle. Anschließend wird in Kapitel 3 erörtert, welche Drogenpolitik gegenwärtig in der Europäischen Union im Anschluss an Schengen verfolgt wird und wie auf diesem Niveau das augenblickliche Drogenproblem in den Ländern beschrieben wird, die eine entscheidende Rolle in der Drogenkriminalität, wie sie sich in der Euregio darstellt, spielen. In Kapitel 4 steht die in Belgien, Deutschland, Frankreich und den Nieder landen in Bezug auf Drogen und drogenbedingte Kriminalität generell verfolgte Politik im Mittelpunkt. In dieser vergleichenden Situationsbeschreibung werden die Grundzüge sowohl der Drogenpolitik als auch des Drogenproblems in den jeweiligen Ländern erörtert. Auf diese Weise ist es möglich, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen diesen vier Ländern in diesen beiden Punkten konkret und genau herauszuarbeiten. Vor allem, weil sie die Diskussion über die Überwachung drogenbedingter Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein in besonderem Maße geprägt hat, widmen wir in Kapitel 5 zunächst der Drogenpolitik der niederländischen Provinz ZuidLimburg unsere besondere Aufmerksamkeit. Im Anschluss daran setzen wir uns mit 26 den grenzübergreifenden Initiativen auseinander, die von Behörden und Ämtern in der Euregio ins Leben gerufen wurden, um diese Kriminalität einzudämmen. Ferner werden hier auch die zurzeit in der Euregio geäußerten Vorschläge in Bezug auf eine angemessenere Vorgehensweise behandelt. In Kapitel 6 werden Art, Umfang und Entwicklung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio dargestellt. Hier gehen wir zunächst näher auf die Komplexität dieser Fragestellung ein. Im Anschluss daran erörtern wir die wichtigsten Punkte im Einzelnen: den Anbau von Marihuana, die Coffeeshops, die Herstellung und den Vertrieb von synthetischen Drogen, den unerlaubten Verkauf von (harten und weichen) Drogen, die Drogenhäuser und die Problematik der Drugsrunner. In einem Résumé zu diesem Kapitel bewerten wir nicht nur die Drogenpolitik in den Niederlanden, sondern geben auch unsere Einschätzung zur Ernsthaftigkeit der Drogenproblematik ab, insbesondere der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio. In Kapitel 7 stellen wir unseren Entwurf eines Handlungskonzepts für eine verbesserte gemeinsame Bekämpfung dieser Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein vor. Dieses Kapitel enthält mit anderen Worten die Umrisse des Handlungskonzepts, um das uns der Vorstand der Euregio Maas-Rhein gebeten hat. Die Anlage enthält ein Verzeichnis der Personen, die zu den Gesprächen am runden Tisch eingeladen wurden. 27 2. Der Schengener Kompromiss 2.1. Einleitung Das erste Mal, dass die drei Benelux-Staaten – zusammen mit Frankreich und Deutschland – versucht haben, zu einem Abgleich hinsichtlich ihrer Drogenpolitik zu gelangen, geschah dies im Rahmen dessen, was gemeinhin unter dem Namen „Schengen“ bekannt ist. Jedenfalls stand das Problem sowohl beim Zustandekommen des Schengener Abkommens im Jahr 1985 als auch bei der Formulierung des Schengener Durchführungsübereinkommens im Jahr 1990 weiter oben auf der Tagesordnung als jemals zuvor. Die Vereinbarungen, die schließlich in diesem Zusammenhang getroffen wurden, lassen erkennen, dass sich die Beteiligten in bestimmten Bereichen völlig einig waren, aber in anderen Punkten eben nicht. Allein schon deshalb kann Schengen in diesem Gutachten nicht außer Betracht gelassen werden. Hinzu kommt, dass diese beiden Übereinkommen nicht nur immer noch eine wichtige Rolle für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Drogenpolitik spielen, sondern auch für die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit, die zur Eindämmung der drogenbedingten Kriminalität entwickelt wurden. Es liegt daher nahe, an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen, was im Rahmen von Schengen in diesem Punkt vereinbart wurde und wie dies in den beteiligten Ländern und hier – angesichts der Probleme, die sich im Augenblick ergeben – vor allem in den Niederlanden und in Belgien eingeschätzt wird. Dazu befassen wir uns zunächst mit der parlamentarischen Behandlung der Schengener Übereinkommen im niederländischen Parlament und anschließend mit deren Erörterung im belgischen Parlament. Anschließend gehen wir der Frage nach, was im Interparlamentarischen Benelux-Rat unternommen wurde, um die Drogenpolitik Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs besser auf einen Nenner zu bringen, als dies im Rahmen von Schengen gelungen war. Die Einigkeit in der Politik, die in dem diesbezüglichen Gutachten dieses Rates aufgezeigt wurde, kann auch heutzutage noch als einer der Ausgangspunkte für eine Anpassung des Schengener Kompromisses an die gegenwärtige Drogenproblematik in der Euregio Maas-Rhein dienen. In diesem Gutachten greifen wir jedoch allgemein auf die Ausgangspunkte des Schengener Abkommens und des Schengener Durchführungsübereinkommens zurück, weil sie trotz erheblicher Veränderungen in der Drogenpolitik der beteiligten Länder und der Drogenproblematik selbst unvermindert aktuell geblieben und daher immer noch in wichtigen Teilen brauchbar sind. 28 2.2. Der Wortlaut des Abkommens und des Durchführungsübereinkommens Der Beschluss von Vertretern aus Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten im Februar 1985, eine politische Vereinbarung zu treffen, die letztlich die Abschaffung aller Grenzhindernisse an den Binnengrenzen bewirken sollte, führte einige Monate später zu einem Benelux-Memorandum mit Vorschlägen für eine etappenweise Lockerung der Formalitäten an diesen Grenzen. Einer der Schwerpunkte in diesem Memorandum war die enge Zusammenarbeit zwischen Zoll und Polizei bei der Bekämpfung von Kriminalität und Betäubungsmitteln.1 In Artikel 8 des daraufhin folgenden Schengener Abkommens, das im Juni 1985 geschlossen wurde, ist festgelegt, dass die Vertragsparteien sich dazu verpflichten, „den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in ihren Hoheitsgebieten entschieden zu bekämpfen und ihre Aktionen in diesem Bereich wirksam zu koordinieren.“ Im Anschluss daran wurde in Artikel 9 geregelt, dass sie insbesondere zu diesem Zweck die Zusammenarbeit zwischen ihren Zoll- und Polizeibehörden kurzfristig intensivieren sollen, unter anderem durch eine Verbesserung des Informationsaustauschs. Ferner ist in Artikel 19 bestimmt, dass langfristig eine Angleichung der Gesetzgebung und der gesetzlichen Vorschriften unter anderem im Betäubungsmittelbereich angestrebt werden sollte. In einem gesonderten Anhang 3 wurde im Hinblick auf die Maßnahmen festgelegt, die die Bekämpfung des Handels mit Betäubungsmitteln betreffen, dass die Vertragsparteien zur Koordinierung Ihres Handelns zur Bekämpfung des Handels mit Betäubungsmitteln alle nützlichen Informationen austauschen sollten, dies jedoch unter Beachtung ihres nationalen Rechts und sofern die Rechtshilfeabkommen keine andere Verschaffung von Informationen vorschrieben. Hierzu sollten sie natürlich bereits bestehende Interpol-Kanäle nutzen, aber es wurde ferner angekündigt, dass jeder von ihnen – im Hinblick auf einen schnellen und direkten Informationsaustausch – eine zentralisierte Behörde einrichten sollte, mit der die zuständigen Stellen der anderen beteiligten Länder vorzugsweise Kontakt aufnehmen könnten.2 Aus dem Wortlaut des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 ergibt sich jedoch, dass einzelne Punkte im Jahr 1985 leichter vereinbart wurden, als sie in den Jahren danach umgesetzt werden konnten.3 Der Problematik der Betäubungsmittel ist ein ganzes Kapitel gewidmet (Artikel 70-76). Dass es nicht möglich war, die Zielsetzungen des Schengener Abkommens vollständig zu realisieren, wird in Artikel 70 unmittelbar eingestanden, in dem festgelegt ist, dass insbesondere mit Vertretern der Polizei- und Zollbehörden eine „ständige Arbeitsgruppe“ 1 Tweede Kamer, 1984-1985, 18941, Nr. 1. 2 Tractatenblad, 1985, Nr. 102. 3 Tractatenblad, 1990, Nr. 145. 29 einzurichten ist, deren Aufgabe darin besteht: „gemeinschaftliche Probleme in Bezug auf die Bekämpfung der Betäubungs mittelkriminalität zu untersuchen und gegebenenfalls Vorschläge zur notwendigen Verbesserung der praktischen und technischen Aspekte der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu machen.“ In Artikel 71 Absatz 1 heißt es im Anschluss, dass sich die Vertragsparteien dazu verpflichten, „in Bezug auf die unmittelbare oder mittelbare Abgabe von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aller Art (einschließlich Cannabis) und den Besitz dieser Stoffe zum Zwecke der Abgabe oder Ausfuhr, unter Berücksichtigung der bestehenden Übereinkommen der Vereinten Nationen (aus den Jahren 1961, 1971 und 1988) alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln erforderlich sind.“ Die genannten Übereinkommen, die unter anderem durch Eingliederung des Schengener Durchführungsübereinkommens Teil der Gesetzgebung der Europä-ischen Union geworden sind, bilden daher klar und deutlich einen der Ansatzpunkte für die Drogenpolitik der Union und bestimmen auf diese Weise auch den Handlungsspielraum, den die Behörden in den Mitgliedstaaten und speziell in der Euregio Maas-Rhein auf diesem Gebiet haben. In Absatz 2 ist anschließend geregelt, dass die Vertragsparteien sich dazu verpflichten, die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen aller Art einschließlich Cannabis-Produkten sowie den Verkauf, die Abgabe und die Verschaffung dieser Mittel und Substanzen mit verwaltungs- und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden. In einer gemeinsamen Erklärung wird hier zu jedoch ausdrücklich angemerkt, dass, sofern eine Vertragspartei im Rahmen ihrer: „nationalen Politik bezüglich Vorbeugung und Behandlung von Abhängigkeit von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen von dem in Artikel 71 Absatz 2 festgelegten Prinzip abweicht, alle Vertragsparteien die erforderlichen straf- und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen ergreifen, um eine unerlaubte Ein- und Ausfuhr dieser Mittel und Stoffe insbesondere in das Staatsgebiet der übrigen Vertragsparteien des Durchführungsübereinkommens zu unterbinden.“ Zur Bekämpfung der unerlaubten Einfuhr dieser Mittel und Substanzen sagen die Vertragsparteien in Absatz 3 zu, dass sie die Kontrollen des Personen- und Waren verkehrs an den Außengrenzen verstärken werden, insbesondere durch Verlagerung von Kräften der Polizei und des Zolls und den Einsatz der modernen Methoden der Drogenfahndung und von Drogenspürhunden. In Absatz 4 ist geregelt, dass sie zur Einhaltung der Vereinbarungen dieses Artikels insbesondere Örtlichkeiten über wachen sollen, „an denen erfahrungsgemäß Rauschgifthandel betrieben wird“, und in Absatz 5 ist schließlich aufgenommen, dass die Vertragsparteien ihr Möglichstes 30 unternehmen sollen, um die unerlaubte Nachfrage nach Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen einschließlich Cannabis einzudämmen, um: „den negativen Folgen dieser unerlaubten Nachfrage vorzubeugen und entgegen zuwirken. Die Maßnahmen dazu liegen im Verantwortungsbereich der einzelnen Vertragsparteien.“ In den nachfolgenden Artikeln geht es unter anderem um die Verpflichtung der Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Beschlagnahme und Entziehung von Vermögensgewinnen aus dem Drogenhandel ermöglichen, Voraussetzungen für die kontrollierte Abgabe bei der Bekämpfung dieses Handels zu schaffen, sowie um die Ergreifung von Maßnahmen im Umfeld von Kontrollen des legalen Umgangs mit Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen und im Bereich des Umgangs mit diesen Mitteln und Substanzen zur medizinischen Behandlung. Es dürfte deutlich sein, dass die gerade genannten Bestimmungen einen Kompromiss der fünf ursprünglichen Schengen-Länder darstellen. Über vier wichtige Aspekte war man sich zweifellos einig: - Die Vertragsparteien sollen ständig gemeinsam darüber wachen, wie sich die Situation im Hinblick auf eine Anpassung der betriebenen Politik weiterentwickelt. - Schwarzhandel und Vertrieb von Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen müssen energisch bekämpft werden, gegebenenfalls auch unter Einsatz unkonventioneller Methoden. - Die Vertragsparteien sollen Orte überwachen, von denen allgemein bekannt ist, dass dort Mittel und Substanzen gehandelt werden. - Die Art und Weise, wie die nachteiligen Auswirkungen der unerlaubten Nachfrage verhindert und abgeschwächt werden, liegt in der Eigenverantwortlichkeit der Vertragsparteien. Letztere wichtige Zielsetzung der Schengen-Politik stellt einen klaren Bezug zur abweichenden Politik her, die die Niederlande insbesondere mit der Einrichtung von Coffeeshops für Konsumenten weicher Drogen verfolgt hat und offenbar weiter verfolgen wollten. Die Niederlande erhielten den notwendigen Spielraum dafür, allerdings unter der Bedingung, dass sie weiterhin die erforderlichen (verwaltungsund strafrechtlichen) Maßnahmen ergreifen mussten, um der Ein- und Ausfuhr von Drogen in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien entgegenzuwirken. Wie diese erforderlichen Maßnahmen genau auszusehen hatten und nach welchem Maßstab sie anzuwenden waren, wurde jedoch nirgends explizit festgelegt. Gerade weil zurzeit die Diskussion über die Drogenpolitik vor allem zwischen Belgien und den Niederlanden besonders hitzig geführt wird, ist es nicht nur für ein ausreichendes Verständnis dieser Auseinandersetzung, sondern auch für ein gutes 31 Verständnis der diesbezüglichen zukünftigen Auswirkungen wichtig, kurz darauf einzugehen, wie dieser Kompromiss von den Parlamenten dieser beiden Länder beurteilt wird. 2.3. Die Auseinandersetzung im niederländischen Parlament In den Niederlanden wurde zwischen 1985 und 1995 bis Inkrafttreten des Durchführungsübereinkommens über die Zukunft der Drogenpolitik im Rahmen von Schengen häufig und heftig debattiert. Es wäre sicher nicht sinnvoll, hier noch einmal auf die gesamte Diskussion einzugehen. Wir können und müssen uns an dieser Stelle darauf beschränken, auf einige Punkte zu verweisen, die auch gegenwärtig noch eine wichtige Rolle spielen. Die niederländische Regierung hat immer wieder verdeutlicht, dass es auch ihr mit der energischen Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln ernst sei, insbesondere durch eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit von Polizei- und Zollbehörden. Bestritten wurde, die Niederlande verfolgten im Hinblick auf den Handel von weichen Drogen keinerlei politische Linie, wie dies von deutscher Seite gelegentlich behauptet wurde. Auf den konkreten Inhalt dieser Politik wurde aber meist nicht näher eingegangen.4 Die Angleichung der Politik zur Strafverfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Drogengesetzgebung war von Anfang an offenkundig ein heikler Punkt, nicht nur zwischen Deutschland und den Niederlanden, sondern auch zwischen den Niederlanden einerseits und Frankreich und Belgien andererseits. Wie oben bereits erwähnt, kam es hier folglich zu keiner Einigung. Deutschland hatte dies nach Meinung der niederländischen Regierung schließlich auch akzeptiert. Eine derartige Angleichung hätte jedenfalls dazu geführt, dass Deutschland das Legalitätsprinzip abgeschafft und die Niederlande ihre Politik hinsichtlich weicher Drogen verschärft hätten. Beides war sicher zu dieser Zeit politisch und gesellschaftlich nicht durchsetzbar.5 Deutschland verlangte jedoch lange Zeit weiterhin von den Niederlanden, ihre Politik zur Strafverfolgung hinsichtlich weicher Drogen einseitig zu verschärfen, weil „viele deutsche Staatsangehörige sich derzeit in den niederländischen Coffeeshops mit weichen Drogen versorgten“. Dieser Wunsch wurde zwar gehört, nicht aber erhört. Als Grund wurde immer wieder einfach angeführt, die verfolgte Politik hinsichtlich weicher Drogen sei „nicht ohne Erfolg“ geblieben: Die beabsichtigte Trennung der Märkte würde erreicht und so kämen Konsumenten von weichen Drogen nicht ungewollt in Kontakt mit dem Angebot an harten Drogen. Ferner wurde darauf 4 Tweede Kamer, 1985-1986, 19326, Nr. 1. 5 Tweede Kamer, 1987-1988, 19326, Nr. 8. 32 verwiesen, dass der Konsum von weichen Drogen unter Jugendlichen zurückgegangen war und dass der Konsum von harten Drogen bereits einige Jahre stabil blieb. Grundsätzlich war man sich in der Tweede Kamer des niederländischen Parlaments über die Trennung der harten von der weichen Drogenszene mittels der Coffeeshops einig. In dem Maße, in dem die niederländische Politik negative Auswirkungen in anderen Ländern hatte – etwa die Beschaffung weicher Drogen durch deutsche Jugendliche in den Niederlanden – und die Niederlande gebeten wurden, an diesen Auswirkungen etwas zu ändern, hätte man dasselbe auch von den Nachbarländern wie Deutschland verlangen können. Weil, so merkte ein namhafter Abgeordneter an, Deutschland keinen Unterschied zwischen weichen und harten Drogen mache und die staatliche Fürsorge derjenigen in den Niederlanden hinterherhinke, kämen viele Westdeutsche hierher: „Das sind negative Auswirkungen der deutschen Politik.“6 Die niederländische Regierung teilte im April 1989 mit sichtlicher Genug tuung mit, dass über die Drogenpolitik endlich eine Einigung erzielt worden sei. Der Vergleich bestand darin, dass jedes Land tatsächlich seine eigene Drogenpolitik verfolgen durfte, also auch die Niederlande, solange dies die Politik der anderen Vertragspartner nicht nachteilig beeinflusse. Für die Niederlande bedeutete dies nach Auffassung der damaligen Regierung: - dem Verkauf von weichen Drogen an Ausländer entgegenzuwirken; - Verstöße von Ausländern gegen das Opiumgesetz in den Niederlanden weitest gehend an deren eigene Justizbehörden zu verweisen; - und therapeutische Hilfe für nicht im Inland ansässige Ausländer auszusetzen.7 Wie diese Bedingungen konkret erfüllt werden konnten, wurde jedoch nicht erklärt. Wie sollte man künftig Ausländern den Zutritt zu den niederländischen Coffeeshops verwehren? Und wie sollten sie am Kauf von weichen Drogen in der nicht anerkannten Szene gehindert werden? Vermutlich waren es Fragen wie diese, die dazu führten, dass der niederländische Justizminister Korthals Altes von der niederländischen Haltung auch nicht ganz so überzeugt war, wie es den Anschein hatte. Am 28. Juni 1989 fügte er in einer Debatte an, dass die Niederlande an ihrer Politik der Duldung – insbesondere durch die Akzeptanz der Coffeeshops – nicht ewig gegen alle Widerstände festhalten könnten oder müssten. Wenn die Niederlande, so behauptete er: „weiterhin Anziehungskraft ausüben aus der Tatsache heraus, dass hier nicht nur Betäubungsmittel erhältlich sind, sondern auch daraus, dass hier die dazugehörige 6 Tweede Kamer, 1988-1989, 19326, Nr. 18. 7 Tweede Kamer, 1988-1989, 19326, Nr. 12 und Nr. 19. 33 Betreuung viel besser geregelt ist als in anderen Ländern, müssen wir uns davor gewaltig in Acht nehmen. Wir können den Methadonbus natürlich nicht gleich durch einen ganzen Methadonzug ersetzen, nur weil so viele Menschen aus Europa auch davon profitieren möchten. Daraus würde sich ein Defizit in unserer eigenen Politik der Strafverfolgung ergeben. Wir haben großes Interesse daran, Vereinbarungen so zu treffen, dass wir in unserem eigenen Land auch tatsächlich weiterhin an unserer eigenen Strafverfolgungspolitik festhalten können, nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis, weil wir sehen, dass dieses System hierzulande zu zufrieden stellenden Ergebnissen geführt hat.“ Bei seiner Rede über die in einigen Fällen zu weitgehende Werbepolitik der Coffee shops, ging er auf die Zukunftsfähigkeit der Drogenpolitik ein: „Dies hängt auch mit der Frage zusammen, ob es zutrifft, dass wir mit unserer Strafverfolgungspolitik das Betäubungsmittelproblem tatsächlich in den Griff bekommen. Wenn sich nachher bei offenen Grenzen herausstellt, dass wir das Problem genauso kontrollieren können wie bisher, dann ist eine Angleichung unserer Politik der Strafverfolgung nicht erforderlich. In dem Augenblick, in dem dies nicht mehr der Fall ist, muss unsere Politik entsprechend angepasst werden.“8 Die anderen Vertragsparteien wollten die niederländische Politik allerdings nicht ohne weiteres anerkennen. Vor allem von französischer Seite wurde darauf gedrängt, dass besonders dann, wenn Länder bei der Abgabe von geringen Mengen Cannabis eine abweichende Ansicht vertreten, diese Länder: „dennoch die unerlaubte Ausfuhr von Cannabisprodukten in das Hoheitsgebiet einer oder mehrerer anderer Vertragsparteien verhindern (müssten) oder ihr mit straf rechtlichen und verwaltungsrechtlichen Mitteln entgegenzuwirken hätten“. Diese zusätzliche Forderung stellte für die Niederlande kein Problem dar. Sie lag nach Meinung der Regierung völlig auf einer Linie mit der Politik, die bezüglich der unerlaubten Ein- und Ausfuhr von Betäubungsmitteln verfolgt wurde: Die Fahndung und die diesbezügliche strafrechtliche Verfolgung hätten „höchste Priorität“.9 Wie sich herausstellte, wurde diese Forderung später in einer gemeinsamen Erklärung zum Durchführungsübereinkommen ausdrücklich anerkannt. Die parlamentarische Auseinandersetzung in den Jahren nach der Unter zeichnung des Durchführungsübereinkommens (1990) ergab lediglich eine Wieder 8 Tweede Kamer, 1988-1989, 19326, Nr. 18. 9 Tweede Kamer, 1989-1990, 19326, Nr. 27 und Nr. 33. 34 holung der Grundideen. Einzig die Kritik Frankreichs bzw. der neuen französischen Regierung an der niederländischen Drogenpolitik sorgte in den Jahren vor Inkrafttreten des Durchführungsübereinkommens (1995) für einige Aufregung. Die niederländische Regierung versicherte der Tweede Kamer jedoch immer wieder, dass sich die Niederlande weder im Zusammenhang mit Schengen noch im Rahmen der soeben gegründeten Europäischen Union verpflichtet hätten, für eine Harmonisierung der Drogenpolitik zu sorgen. Die Niederlande hätten allerdings die Verpflichtung umfassend akzeptiert: „die von den Niederlanden auf Frankreich und andere Länder ausgehenden grenz übergreifenden negativen Auswirkungen, aber auch solche in umgekehrter Richtung (zum Beispiel die französischen Drugsrunner, die in Rotterdam große Probleme verursachen), zu identifizieren, im Blick zu behalten und dafür gemeinsame Lösungen zu suchen und die Zusammenarbeit zu intensivieren.“10 Schon vorher hatten die Niederlande dazu in der ständigen Arbeitsgruppe, die gemäß Artikel 70 Absatz 1 inzwischen bereits eingerichtet worden war, eine Reihe von Vor schlägen unterbreitet. Beispiele hierfür waren die Hazeldonk-Beratungen mit Belgien und Frankreich über die Drogentourismusroute Rotterdam-Lille und die MaastrichtBeratungen im Benelux-Zusammenhang für die Route Maastricht-Lüttich-Luxemburg.11 Die parlamentarische Auseinandersetzung über die Lehre von den negativen Auswirkungen gipfelte im November 1994 in einer erhitzten Debatte zur nieder ländischen Drogenpolitik. CDA-Parlamentsmitglied De Hoop Scheffer formulierte damals die provokante These, dass die Niederlande Schengen und auch die Europäische Integration befürworteten, während: „wir in Bezug auf unsere Drogenpolitik immer weiter vom Hauptstrom in Europa abtreiben nach dem Motto: Wir haben Recht.“ Insbesondere warf er dem Abgeordneten Van Traa (PvdA) vor, dass dieser übersehe, dass die Niederlande dazu verpflichtet seien, den negativen Folgen ihrer Politik für andere Länder entgegenzuwirken. Denn in Belgien und Frankreich machte man sich darüber große Sorgen: „Sie müssen sich in den Niederlanden nicht erst ins Grenzgebiet begeben, um die negativen Folgen unserer Drogenpolitik für Ausländer und von Ausländern festzustellen.“ Er plädierte keineswegs dafür, die gesamte niederländische Drogenpolitik in Frage zu 10 Tweede Kamer, 1995-1996, 19326, Nr. 128. 11 Tweede Kamer, 1993-1994, 19326, Nr. 77. 35 stellen, forderte jedoch, dass: „wir intern in den Niederlanden die Regeln auch beachten, die wir für uns selbst aufgestellt haben, z.B. für die Anzahl der Coffeeshops, und dass wir negative Folgen dieser Politik in anderen Ländern künftig so weit wie möglich vermeiden.“12 2.4. Die Auseinandersetzung im belgischen Parlament De Hoop Scheffer verwies nicht ohne Grund ausdrücklich auf Belgien. Hier hatte das Parlament dem Entwurf des Durchführungsübereinkommens besonders in den Jahren 1989 und 1990 bereits einige kürzere mündliche Beratungen gewidmet. Der Handel mit und der Konsum von Drogen – ob in Belgien selbst oder in den Niederlanden – wurde dabei nicht als ein Problem bezeichnet, dem man mit besonderen Maßnahmen hätte entgegentreten müssen. Später wurde im Senat eine spezielle Kommission eingerichtet, um die Gesetzentwürfe zum Schengener Abkommen zu untersuchen. Das Gutachten dieser Kommission wurde im Dezember 1992 veröffentlicht.13 In diesem Gutachten wurden die Vereinbarungen zur Drogenpolitik jedoch für problematisch erachtet. Die Artikel 70-76 erweckten trotz alledem den Eindruck, wurde von einem Mitglied der Kommission angemerkt, dass alle Vertragsparteien nahezu der gleichen Auffassung seien oder fast dieselbe Politik betrieben. Weil dies aber eben nicht der Fall sei, wie das Beispiel der Niederlande zeige, wäre fraglich, wie die entsprechenden Bestimmungen anzuwenden seien. Von Seiten des Ministers wurde angeführt, dass die diesbezüglichen Bestimmungen anzusehen seien als: „eine Art Gleichgewichtsübung zwischen Frankreich einerseits, das auf diesem Gebiet eine viel strengere Position vertrat, und den Niederlanden andererseits, die eher eine große Flexibilität zeigten. Die Vertragsparteien, die das Durchführungsüberein kommen schlossen, hatten dabei die Zielsetzung, zumindest auf Seiten der Nieder lande zu erreichen, dass die erforderlichen Maßnahmen ergriffen würden, um dem Drogentourismus entgegenzutreten (...). Diese Reihe von Vorschriften vermittelt eine klare Vorstellung von dem Kompromiss, der in der Sache geschlossen werden musste, und aus dem hervorgeht, dass einige Obergrenzen eingebaut wurden, die die Niederlande nicht überschreiten möchten, so dass die diesbezüglichen Vorschriften darauf hinweisen, dass ein Mindestmaß von dem erreicht werden konnte, was von den in der Sache strenger auftretenden Ländern wie Frankreich und Deutschland zu erwarten war. Wie diese Vorschriften anzuwenden sein werden, wird sich allerdings in der Praxis zeigen. Artikel 70 sieht eine ständige Arbeitsgruppe für die Erarbeitung 12 Tweede Kamer, 1994-1995, 19326, Nr. 95. 13 Senaat, 1992-1993, Nr. 464–2. 36 konkreter Maßnahmen vor und ist daher als eine Schlüsselbestimmung anzusehen.“ Ein Mitglied der Kommission begnügte sich nicht mit dieser Interpretation. Es war der Ansicht, dass das Problem „nicht ernsthaft behandelt wird“. Weil belgische Staatsbürger in den Niederlanden eine bestimmte Menge von Betäubungsmitteln ungehindert erwerben können: „schwappt das ganze Problem zu uns herüber, wodurch ausgerechnet als Folge des Schengener Abkommens Bereiche entstehen werden, die das Problem nur noch vergrößern können. (...) Schengen wird den Drogentourismus nicht verschwinden lassen. (...) Das Problem wächst, niemand scheint jedoch bereit zu sein, einen Schritt für eine bessere Zusammenarbeit zu unternehmen.“ Damit war nicht jeder einverstanden, aber das oben genannte Mitglied ließ sich dadurch nicht abschrecken: „Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass das Schengengebiet künftig für jedermann leichter zugänglich wird mit der Folge, dass der derzeitige Status Quo Anlass für eine Verschlechterung dieses Zustands bieten kann.“ Es blieb bei dieser persönlichen Schlussfolgerung, die, wie im Nachhinein festzustellen ist, sicher von einer vorausschauenden Sichtweise zeugte. Der Minister beließ es bei den Anmerkungen, die er zuvor gemacht hatte. 2.5. Die Auseinandersetzung im Interparlamentarischen Benelux-Rat Wie bereits erwähnt, sahen die Niederlande die Benelux als ein Forum, auf dem die nähere Zusammenarbeit mit Belgien und Luxemburg auf dem Gebiet der Drogen problematik erörtert werden konnte. Im November 1998 veröffentlichte die Kommission für Kultur, Bildung und Gesundheit des Interparlamentarischen Benelux-Rates ein Gutachten zur Drogenpolitik in den Benelux-Staaten.14 In diesem Gutachten wird zunächst dargestellt, welche Politik in den drei Ländern verfolgt wird. Anschließend werden die Erfolgsaussichten, oder besser gesagt die fehlenden Erfolgsaussichten, einer prohibitionistischen und einer antiprohibitionistischen Politik gegeneinander abgewogen. Im Anschluss daran wird darauf hingewiesen, dass es in jedem Fall erforderlich ist, eine mehr und mehr integrierte Politik im Hinblick auf ein Problem zu verfolgen, das auf Seiten der Nachfrage wächst und immer komplexer wird und auf der Angebotsseite immer 14 37 Beratender Interparlamentarischer Benelux-Rat, Het drugsbeleid in de Benelux, Brüssel, 5. November 1998. vielfältiger. Und dies alles in einem zeitlichen Kontext, in dem die Bedeutung der Internationalisierung und insbesondere der Europäisierung der Drogenpolitik schnell wächst und in deren Folge der Spielraum für die Entwicklung einer nationalen oder regionalen Drogenpolitik mit ausgeprägten Unterschieden in der Gewichtung immer kleiner wird. „Das politische Spannungsfeld, das sich in den vergangenen Jahren um die niederländische Drogenpolitik herum entwickelt hat, verdeutlicht dies auf anschauliche Weise.“ In ihren Empfehlungen sprach sich die Kommission zunächst für eine Politik aus, die – angesichts der Tatsache, dass ein problembehafteter Konsum von erlaubten und unerlaubten Drogen in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben nicht zu verhindern sei – einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen findet, also mit anderen Worten: eine Politik der Normalisierung. Auf diese Weise könne man sowohl die Falle einer prohibitionistischen Politik – ohne Garantie für eine bessere Bekämp fung der Probleme – als auch die Falle einer anti-prohibitionistischen Politik – die berechtigte Furcht vor einer Explosion des Angebots – umgehen. Außerdem unterschied sie ausdrücklich zwischen einer Politik der Normalisierung und einer Politik der Legalisierung, weil letztere auch „zur Bildung einer neuen illegalen Szene“ führen könne, „die erneut vom organisierten Verbrechen kontrolliert und beliefert wird.“ Was den Inhalt einer Normalisierungspolitik ausmacht, hat die Kommission anhand einer Reihe von Empfehlungen erläutert. Diese Empfehlungen wurden vom Interparlamentarischen Benelux-Rat inhaltlich übernommen.15 Zusammengefasst laufen diese auf Folgendes hinaus: - Trennung des Konsums von weichen und harten Drogen und eine Ent kriminalisierung des Konsums von weichen Drogen; - größere finanzielle Anstrengungen zur Prävention von Drogenkonsum, gerade auch an den Orten (Risikoviertel, Schulen, Gaststätten), an denen die Risiken am größten sind; - konkrete Bemühungen zur Bekämpfung der Probleme des Drogenkonsums für die betroffene Nachbarschaft; - größere Aufmerksamkeit für die Ausbildung und Betreuung von Personen, die beruflich mit Drogenabhängigen konfrontiert sind; - weiteres Streben nach einer Harmonisierung der Gesetzgebung in den BeneluxStaaten; - Vergabe „der höchsten Prioritätsstufe für grenzübergreifende Fahndungs maßnahmen, Vorgehensweisen und Strafverfolgungsmaßnahmen hinsichtlich der internationalen Drogenproduktion und des Handels sowohl mit den‚ traditionellen‘ 15 Beratender Interparlamentarischer Benelux-Rat, Aanbeveling betreffende de preventie van, de hulp bij en de bestrijding van het drugsprobleem, Brüssel, 27.11. 1998. 38 als auch mit den ‚neuen‘ Drogen und den damit einhergehenden Geldwäsche handlungen.“ Diese Empfehlungen zeigen einmal mehr, dass man sich in den Benelux-Staaten über eine ganze Reihe von Fragen bis hin zur Entkriminalisierung von weichen Drogen sowohl in präventiver als auch in repressiver Hinsicht einig war. Worüber man sich eindeutig nicht einig werden konnte, war die Art und Weise, wie man die Möglichkeiten des Erwerbs von weichen Drogen für den eigenen Gebrauch regeln bzw. organisieren könne oder müsse. Jedenfalls wurden die Coffeeshops dezent verschwiegen; erst recht nicht sprach man sich für eine Einrichtung von Coffeeshops in Belgien oder Luxemburg aus. Damit wäre man ganz offenbar einen Schritt zu weit gegangen. 2.6. Résumé Sowohl der Wortlaut des Schengener Durchführungsübereinkommens als auch die Auseinandersetzung mit seinem Inhalt zeigen unmissverständlich, dass die betreffenden Vertragsparteien sich über wichtige Eckpunkte in der Drogenpolitik einig waren. Der (grenzüberschreitende) Handel mit Drogen ist verwaltungs- und strafrechtlich zu unterbinden, nicht nur an den gemeinsamen Grenzen, sondern auch an (anderen) Orten, an denen dieser (Klein-)Handel betrieben wird. Außerdem müssen die Vertragsparteien hinreichend Sorge für die Prävention von Drogenkonsum, die Bekämpfung von Belästigungen durch Drogenabhängige und die Betreuung von Abhängigen tragen. Bei alledem wird zwischen Cannabis und anderen unerlaubten Drogen kein Unterschied gemacht. Soweit die Niederlande insbesondere beim Vertrieb von weichen Drogen in den geduldeten Coffeeshops eine abweichende Politik verfolgen möchten, müssen sie gleichzeitig präventive und repressive Maßnahmen ergreifen, um die sich daraus ergebenden negativen (politischen) Auswirkungen – vor allen den Drogentourismus aus den Nachbarländern bzw. die unerlaubte Ausfuhr von Cannabis, die damit einhergeht – für diese Länder zu unterbinden. Im Gegenzug sind die anderen Länder verpflichtet, im Hinblick auf negative (externe) Auswirkungen ihrer Politik genauso zu verfahren. Die Vertragspartner von Schengen haben sich mit anderen Worten jeweils dazu verpflichtet, darauf zu achten, dass Partnerstaaten nicht für die unerlaubte Einund Ausfuhr von Drogen genutzt werden. Übertragen auf die euregionale Drogenproblematik beinhaltet dies nicht nur die Pflicht, den Drogenschmuggel im großen Maßstab aktiv zu bekämpfen, sondern auch die Verpflichtung, Drogentouristen, die ihren Bedarf zum Beispiel in Maastricht in den Coffeeshops, in den Drogenhäusern oder bei Drogenhändlern gedeckt haben, verwaltungs- und strafrechtlich anzugehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich hierbei um belgische, französische oder deutsche Drogentouristen handelt. Erst recht impliziert dies, dass man nach Anzeige gemäß Artikel 21 Europäisches Übereinkommen 39 vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen des Europarates sowie Artikel 6 Übereinkommen vom 29.05.2000 über die Rechtshilfe in der Europäischen Union gegen Angehörige des eigenen Staates, die eine Drogenstraftat im Ausland begangen haben, ein Strafverfahren einleitet. Da es hier um eine geteilte Zuständigkeit geht, erfordert dies selbstverständlich eine koordinierte Vorgehensweise in gegenseitiger Absprache. Auch die Diskussion über eine mögliche Verlagerung einer Reihe von Coffeeshops in Maastricht ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Eine solche einseitige Ver waltungsmaßnahme ist nicht mit dem Geist von Artikel 71 Absatz 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens und den dazugehörenden gemeinsamen Absichts erklärungen vereinbar. Lösung des Problems kann hier nur ein Verhandlungsergebnis sein, das von der Zustimmung der Behörden der beteiligten Länder getragen wird. Ferner sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die niederländische Regierung (und auch die der umliegenden Länder) in diesem Kontext wohlweislich die Frage überging, wie die Coffeeshops (denn die waren hier natürlich das heiße Eisen) an Drogen aus dem Ausland gelangen sollten, die sie in Amsterdam und anderswo im großen Stil verkaufen durften. Von diesem so genannten „Hintertürproblem“ hielten sich alle Beteiligten fern. Zumal in einer Zeit, in der es vor allem noch um Haschisch (und nicht um in den Niederlanden gezüchtetes sog. Nederwiet) ging, wäre dann wohl die ganze Widersprüchlichkeit und damit die Unhaltbarkeit der niederländischen Politik sofort offenkundig geworden. Ein weiteres großes Problem stellt die Tatsache dar, dass im Schengener Durchführungsübereinkommen der konkrete Inhalt der betreffenden Verpflichtungen nicht festgelegt ist. Es geht hier mit anderen Worten um unbestimmte Verpflichtungen zum Tätigwerden und keineswegs um eine Erfolgsverpflichtung. Um ihren Anspruch auf eine abweichende Politik hinsichtlich des Vertriebs von Cannabis sichern zu können, hatte die niederländische Regierung zugesagt, dass sie von ihrer Seite aus die internationale Zusammenarbeit von Polizei und Zoll intensivieren wolle. Unklar blieb, mit welcher genauen Zielsetzung, in welcher Weise, auf welcher Verwaltungsebene und mit wie viel finanziellen Mitteln dies erreicht werden sollte. Außerdem gaben die Niederlande den anderen Ländern zu verstehen, dass Sie die Versorgung von deren Abhängigen nicht länger auf sich nehmen könnten. Diese würden zukünftig von den niederländischen Fürsorgeeinrichtungen zurück gewiesen. Offenbar betrachtete die Regierung die Ankunft von Abhängigen aus Deutschland, Belgien und Frankreich insbesondere in Amsterdam als eine negative Auswirkung von deren Politik. Wenn sie wegen des Problems des ausgehenden Drogentourismus zum Handeln verpflichtet würden, müssten die anderen etwas gegen das Problem des Zustroms von ausländischen Drogenabhängigen unter nehmen. Gerade weil das Durchführungsübereinkommen weitgehend offen lässt, wozu die Vertragsparteien bei der Bekämpfung der (weichen) Drogen konkret verpflichtet waren (und immer noch sind), wurde in den Beratungen von Schengen 40 nicht nur auf eine Beobachtung der weiteren Entwicklung der Situation gedrängt, sondern auch auf die Vergabe dieser wichtigen Aufgabe an eine ständige Arbeitsgruppe. Diese Arbeitsgruppe soll die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien untereinander im Allgemeinen fördern und muss sich konkret mit gemeinsamen Lösungen der Problematik der (französischen) Drugsrunner (zum Beispiel in Rotterdam) auseinandersetzen. Daran anschließend wurden sogar so genannte Maastricht-Beratungen in Bezug auf den Drogentourismus auf der E25 zwischen den Niederlanden und Luxemburg ins Leben gerufen. Diese Beratungen sind jedoch vorzeitig einen stillen Tod gestorben. Auch weil die erwähnte Arbeitsgruppe durch die Eingliederung von Schengen in die Europäische Union in die Horizontale Arbeitsgruppe Drogen überging, existiert schon seit Jahren kein Überwachungsmechanismus mehr zwischen den fünf Ländern, die Schengen ursprünglich einmal beschlossen haben und die jetzt Beteiligte in dem Konflikt sind, zu dessen Lösung dieses Gutachten einen Beitrag leisten soll. Schließlich darf man nicht übersehen, dass die Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Schengen zur Drogenpolitik getroffen wurden, auch aus Sicht der niederländischen Regierung nicht für die Ewigkeit geschaffen wurden und nötigenfalls an die veränderten Bedingungen hätten angepasst werden müssen. Es versteht sich von selbst, dass nach zwanzig Jahren für eine solche Aktualisierung gute Gründe vorliegen. Nicht nur die Probleme der Drogenproduktion und des Drogenhandels in (und zwischen) den Niederlanden und den Nachbarländern haben ein Ausmaß und eine Dimension angenommen, die in den achtziger Jahren und erst recht in den sechziger und siebziger Jahren bestimmt nicht vorherzusehen war, auch die Probleme auf Grund von Belästigungen durch Drogenkonsumenten und Drogentourismus sind gegenwärtig in ihrem Umfang und ihrer Bedeutung von einer ganz anderen Größenordnung, als das in den achtziger Jahren für möglich gehalten wurde. Einzelne Stimmen haben zwar in den neunziger Jahren mit vorausschauen dem Blick auf ein derartiges Szenario verwiesen, aber geeignete Präventionsmaß nahmen wurden sicherlich nicht ergriffen. Heute kann man sich dieser Entwicklung nicht mehr verschließen. Die Situation in der Euregio Maas-Rhein liefert hierzu auf geradezu exponentielle Weise einen entscheidenden Beweis. 41 3. Die Entwicklungen in der Europäischen Union 3.1. Einleitung In diesem Kapitel wird die Drogenproblematik, wie sie sich auf der Ebene der Euregio Maas-Rhein darstellt, aus europäischer Sicht betrachtet. Es wird nicht nur kurz auf die Drogenpolitik eingegangen, die gegenwärtig vor allem im europäischen Zusammenhang verfolgt wird. Genauer untersucht wird auch der Konsum von unerlaubten Drogen in Europa, und daran anschließend die Produktion dieser Drogen und der diesbezügliche Handel, wobei das eine zwangsläufig mit dem anderen verbunden ist. Dieser doppelte Bezug kann nicht außer Betracht gelassen werden, weil er zu entscheidend für die Politik ist, die die betreffenden Länder national verfolgen, und die unserem Auftrag entsprechend im vorliegenden Gutachten zur Diskussion gestellt wird. Andererseits ist dieser Kontext auch nicht zu ignorieren, weil er allzu sehr mit den Problemen verflochten ist, die sich in der Euregio in Bezug auf die drogenbedingte Kriminalität in der täglichen Praxis ergeben. Um die Drogenpolitik der Europäischen Union, vor allem aber auch die Gutachten, die auf ihrer Ebene zur Drogenproblematik in Europa erstellt werden, besser verstehen zu können, bedarf es einiger Vorkenntnisse über die Gestaltung der Europäischen Union in diesem Zusammenhang. Dies ist einer der Gründe, warum darauf im Folgenden kurz eingegangen wird. Der andere Grund ist, dass dieses Vorwissen auch erforderlich ist, um unsere Vorschläge in Richtung Europäische Union vorbringen zu können. 3.2. Das politische und operationelle Räderwerk Im Benelux-Gutachten wird zu Recht auf die Europäisierung der Drogenpolitik verwiesen. Diese war eine direkte Folge des Zustandekommens der Europäischen Union (EU) auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages (1992) und der Änderung dieses Vertrages im Vertrag von Amsterdam (1996), in dem Schengen über ein beson deres Protokoll in das Regelwerk der Union aufgenommen wurde. Anlässlich dieser einschneidenden Neugestaltung der Europäischen Gemeinschaft wurde vor allem die hauptsächlich zwischenstaatliche dritte Säule gebildet, um in Ergänzung zur Politik unter der (innergemeinschaftlichen) ersten Säule und im Hinblick auf ein hohes Maß an Sicherheit für ihre Bürger die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von schwerer Kriminalität besser ausgestalten zu können. Infolge dieser Transformation der Europäischen Gemeinschaft in die Euro 42 päische Union wurde die Drogenpolitik zu einem großen Teil auf die europäische Ebene gehoben. Bereits vorher wurden im Rahmen der Pompidou-Gruppe beim Europarat erste Schritte eingeleitet, die aber wegen des unverbindlichen Charakters ihrer Empfehlungen bis dahin nicht recht zum Tragen kamen. Im Gegensatz dazu war und ist die Europäische Union eher in der Lage, tatsächlichen Einfluss auf die Politik in den Mitgliedstaaten auszuüben. Sie erreicht dies hauptsächlich auf zweierlei Weise. Zunächst durch die Gründung von zwei wichtigen Einrichtungen: Auf der einen Seite steht da das Europäische Polizeiamt Europol (mit Sitz in Den Haag), das anfangs vor allem als ein Organ angesehen wurde, das die Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden der Mitgliedstaaten fördern und bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Drogenhandels unterstützen sollte. Auf der anderen Seite die Gründung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) mit Sitz in Lissabon mit dem Ziel, die Entwicklung der Drogenproblematik in der Europäischen Union im Auge zu behalten. In diesem Zusammen hang ist noch die Einrichtung der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union Eurojust zu nennen, die die noch spezifischere Aufgabe hat, die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in komplexen bzw. wichtigen grenzübergreifenden Strafsachen zu fördern und zu unterstützen. In zweiter Linie übt die Europäische Union Einfluss durch die Entwicklung von politischen Strategieplänen und Aktionsprogrammen aus. Diese sollen nicht nur für die Politik der Europäischen Union an sich richtungsweisend sein, sondern gerade auch der Politik der Mitgliedstaaten inhaltlich die gleiche Ausrichtung geben. Die Horizontale Gruppe Drogen (HDG) stellt das wichtigste Forum der dritten Säule dar, auf dem sich die Mitgliedstaaten in gemeinsamen Beratungen um eine Koordinierung ihrer Politik bemühen. Diese Arbeitsgruppe erfüllt in diesem Sinne mehr oder weniger die Aufgabe, die der in Artikel 70 des Schengener Durchführungsübereinkommens genannten ständigen Arbeitsgruppe zugedacht war. Im Folgenden wird in erster Linie kurz erläutert, welche Politik gegenwärtig von den Mitgliedstaaten auf der Ebene der Europäischen Union verfolgt wird. An zweiter Stelle wird anhand der Gutachten der Europäischen Beobachtungsstelle und Europol aufgezeigt, wie sich die Drogenprobleme gegenwärtig in der Europäischen Union darstellen. Ein Einblick in die Politik und in die Probleme ist sehr hilfreich für ein besseres Verständnis der Situation, in der sich die Euregio Maas-Rhein in beiderlei Hinsicht befindet. 3.3. Die Schwerpunkte der Drogenpolitik der Europäischen Union Die Drogenpolitik der Europäischen Union ist gegenwärtig in zwei Schlüssel dokumenten festgelegt: der EU Drugs Strategy 2005-2012 und dem EU Drugs Action Plan 2005-2008. Fast selbstverständlich ist, dass sich diese Politik innerhalb der Rahmenvorschriften bewegt, die in den Verträgen der Vereinten Nationen auf diesem 43 Gebiet vereinbart wurden. Diese Verträge bleiben hier jedoch außer Betracht.16 Nebenbei sei hier der Rahmenbeschluss der Europäischen Union von 2003 erwähnt, der für die Drogengesetzgebung der Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an Angleichung zum Ziel hatte.17 Im politischen Strategieplan stehen zwei Zielsetzungen im Mittelpunkt. Erstens die Förderung der Gesundheit, indem die Anstrengungen der Mitgliedstaaten, vom Konsum von unerlaubten Drogen abzuschrecken, durch ergänzende Maßnahmen verstärkt werden. Zweitens die Förderung der Sicherheit durch eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Produktion und des grenzüberschreitenden Handels von bzw. mit unerlaubten Drogen. Es geht also anders gesagt sowohl um eine Begrenzung der Nachfrage als auch um eine Reduzierung des Angebots. Für diese Reduzierung des Angebots – und um die geht es in diesem Gutachten vor allem – ist eine Reihe von Prioritäten definiert. Zusammengefasst laufen sie auf folgende Punkte hinaus: - Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Zollbehörden der Mitgliedstaaten, insbesondere im Bereich der Fahndung; - Verhinderung der Einfuhr von Drogen in die Europäische Union, insbesondere durch Zusammenarbeit mit den Behörden in den Produktionsländern und in Ländern entlang der Handelsrouten in die Europäische Union.18 Im Anschluss an den ersten umfassenden Drogenaktionsplan 2000-2004 wurde Anfang 2005 ein zweiter Drogenaktionsplan vom Europäischen Rat für den Zeitraum von 2005-2008 verabschiedet.19 Dieser Aktionsplan soll im Laufe dieses Jahres aus gewertet werden. Diese Auswertung soll die Grundlage für den (dritten) Aktionsplan für den Zeitraum 2009-2012 bilden. In besagtem Jahr 2012 wird dann eine allgemeine Auswertung der Drogenpolitik der Europäischen Union seit dem Jahr 2000 erfolgen. Der Aktionsplan beinhaltet eine große Zahl von Maßnahmen, die darauf abzielen, in bestimmten Bereichen konkrete Ergebnisse zu erzielen. Dazu ist wichtig anzumerken, dass dieser Plan für die Mitgliedstaaten keinen Zwang darstellt. Er bietet „allen Spielraum für lokale, regionale, nationale und transnationale Maßnahmen.“ Die Maßnahmen, die hier besonders von Interesse sind, liegen wie bereits 16 Vgl. hierzu B. De Ruyver, G. Vermeulen, T. vander Beken u.a., Multidisciplinary drug policies and the UN drug treaties, Antwerpen, Maklu, 2002. 17 Vgl. dazu T. Blom, „Coffeeshops, gedoogbeleid en Europa“, Justitiële Verkenningen, 2006, Nr. 1, S. 146-156. 18 Für den vollständigen Text siehe die Website der Europäischen Union: http://europa.eu/cgi-bin/etl.pl (Stand 19.7.2008). 19 Rat, „EU-Drogenaktionsplan (2005-2008)“, Amtsblatt, 8.7.2005, C 168/1-18. 44 erwähnt vor allem im Bereich der Reduzierung des Angebots. In erster Linie geht es hier um die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Rechtswahrung, wenn möglich und erwünscht zusammen mit Europol und Eurojust. Die in diesem Zusammenhang aufzuzählenden Maßnahmen sind unter anderem: - die Bildung von gemeinsamen Ermittlungsteams oder zumindest die Durch führung von gemeinsamen Ermittlungen; - die Durchführung von Informationsprojekten zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten, „konzentriert auf die Produktion von Drogen, den grenzüber greifenden Drogenhandel und die in diesem Bereich tätigen kriminellen Netzwerke.“ Zweitens geht es um eine Verminderung der Produktion und des grenzübergreifenden Handels von bzw. mit Heroin, Kokain und Cannabis, insbesondere durch „gemeinsame multidisziplinäre operationelle Projekte und Informationssammlungsprojekte“, konzentriert vor allem auf Länder und Regionen außerhalb der Europäischen Union. Drittens steht in diesem Zusammenhang die Bekämpfung der Produktion und des Angebots von synthetischen Drogen im Mittelpunkt, und dies im Wege ähnlicher Projekte wie soeben erwähnt. Im Zusammenhang damit werden Maß nahmen aufgezählt, um die Kontrolle der Einfuhr von Vorläuferstoffen, sog. Präkursoren, zu verstärken, die zur Herstellung dieser Drogen erforderlich sind. Viertens wird eine größere Aufmerksamkeit gefordert für die Vorgehensweise bei Praktiken der Geldwäsche und der Behandlung von Geldvermögen, das mit Drogenkriminalität in Verbindung gebracht wird. Zu den erwähnten Maßnahmen gehören grenzübergreifende Projekte, in deren Rahmen neben der Fahndung und Strafverfolgung von beteiligten kriminellen Organisationen im Drogenhandel auch deren finanzielle Mittel und Vermögen gründlich zu prüfen sind. Ferner wird noch auf die Notwendigkeit verwiesen, beim Austausch von Informationen zwischen den Einheiten der Mitgliedstaaten, die für die finanziellen Ermittlungen zuständig sind, besser zusammenzuarbeiten. Zum Thema der Reduzierung der Nachfrage spricht sich dieser Aktionsplan für Präventionsprogramme aus, die sich gezielt an bestimmte Risikogruppen wenden, für die Ausbildung von Menschen, die mit potenziellen Drogenkonsumenten in Berührung kommen, für die Entwicklung von erreichbaren und qualitativ hochwertigen Behandlungs- und Rehabilitationsprogrammen und für Maßnahmen – wie zum Beispiel die Organisation von Streetworkern – mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Reduzierung der Zahl der Drogentoten. Zu diesen Plänen ist anzumerken, dass die Problematik des Drogenhandels in Grenzgebieten der Mitgliedstaaten nicht gesondert behandelt wird. Es ist ebenfalls auffällig, dass der Cannabisanbau auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten selbst mit keinem Wort erwähnt ist. Die Coffeeshops in den Niederlanden bleiben 45 gleichermaßen völlig außer Betracht. Besonders die letzten beiden Punkte zeigen, dass das vorliegende Aktionsprogramm eine große politische Komponente enthält. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass sich der gegenwärtige (französische) Vorsitz der Europäischen Union ausdrücklich zum Ziel gesetzt hat, die Verhandlungen über den dritten Aktionsplan (2009-2012) voranzutreiben, aber auch die Effektivität der Politik, die die Europäische Union verfolgt und zu verfolgen beabsichtigt, zu erhöhen und diese Politik der Bevölkerung gegenüber besser darzustellen. Hierzu zählen unter anderem Maßnahmen wie die Erweiterung der Zuständigkeiten der Horizontalen Gruppe Drogen, die Anfertigung von besseren Bedrohungsanalysen und die Stärkung einer justiziellen Dimension in der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, einschließlich Maßnahmen zur Beschlagnahme des Vermögens von Drogenhändlern.20 3.4. Das Drogenproblem in der Europäischen Union: eine allgemeine Situationsbeschreibung Eine der Aufgaben der Europäischen Beobachtungsstelle ist die Veröffentlichung von jährlichen Gutachten zum Stand der Drogenproblematik in Europa. Das letzte Gutachten datiert aus dem Jahr 2007.21 Darin werden unter anderem Angaben über den Umfang des Konsums der verschiedenen Drogenarten gemacht. In diesen Gutachten werden teilweise auch Daten verwendet, die von Europol erhoben wurden. Die Gutachten der zuletzt genannten Behörde sind nachvollziehbar vor allem für einen besseren Einblick in den grenzübergreifenden Drogenhandel in (dem Einflussbereich) der Europäischen Union von Interesse. Aus diesem Grund beziehen wir uns nachfolgend auch auf diese Gutachten.22 Schließlich wird auch das Gutachten des International Narcotics Control Board für das Jahr 2007 hier zu Rate gezogen, in dem klarer als in den Gutachten der Europäischen Beobachtungsstelle Zahlen zur Produktion, zum Handel und zur Beschlagnahme von Betäubungsmitteln genannt werden23, sowie der World Drug Report 2008 des United Nations Office on Drugs and Crime.24 20 Vgl. Présidence française de l’Union européenne, Programme de la Présidence française du conseil de l’Union européenne en matière de drogues et de toxicomanie, Paris, 2008 (http://www.drogues.gouv.fr/article5826.htlm). 21 European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, The state of the drugs problem in Europe; annual report 2007, Lissabon, 2007. 22 Europol, Drugs 2006, The Hague, 2006; Europol, Project COLA; European Union Cocaine Situation Report 2007, The Hague, 2007; Europol, Amphetamine-type stimulants in the European Union 1998-2007; Europol contribution to the expert consultations for the UNGASS assessment, The Hague, 2007. 23 International Narcotics Control Board, Report 2007, New York, United Nations, 2008. 24 United Nations Office on Drugs and Crime, World Drug Report 2008, Vienna, 2008. 46 3.4.1. Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Cannabis Weltweit wird Cannabis in einem beträchtlichen Umfang produziert und sowohl in Form von Marihuana als auch in Form von Haschisch auf den Markt gebracht. Die Vereinten Nationen veranschlagen die Marihuanamenge im Jahr 2006 insgesamt auf 41.400 Tonnen, mehr also als Opium (6.600 Tonnen in 2006) oder Kokain (984 Tonnen in 2006). Der größte Anteil davon wird in Nordamerika und Mexiko, in Südamerika und in Asien produziert. In West- und Mitteleuropa sind vor allem die Niederlande und Albanien die wichtigsten Produktionsländer. Der Konsum von Marihuana in Europa ist gegenwärtig trotzdem noch zu einem großen Teil von der Einfuhr aus Drittländern abhängig. Das albanische und niederländische Marihuana steht dem, was noch eingeführt wird, in Stärke und Qualität jedoch in nichts mehr nach. Es ist demnach auch zu erwarten, dass diese Form von Cannabis einen immer größeren Marktanteil in Europa ausmachen wird. Die jährliche Menge des weltweit produzierten Haschischs wird gegenwärtig auf ungefähr 6.000 Tonnen geschätzt. Marokko ist dabei immer noch der wichtigste Lieferant für Europa und Afrika (in 2005 1.066 Tonnen). Im Jahr 2003 gab Frankreich bekannt, dass 82% des aufgefundenen Haschischs aus Marokko stammte.25 Es verwundert dann auch nicht, dass in den Ländern, über die Haschisch nach ganz Europa eingeführt wird (Spanien, Frankreich, Portugal und Italien), relativ große Mengen beschlagnahmt worden sind. Im Jahr 2005 handelte es sich dabei um insgesamt 909 Tonnen, der größte Anteil davon in Spanien. Trotzdem stieg in den vergangenen Jahren auch der Preis für Haschisch nicht. Er beträgt gegenwärtig durchschnittlich zwischen 2 und 15 Euro pro Gramm. Dies sagt natürlich einiges über die großen Mengen Haschisch aus, die jährlich mit Erfolg illegal eingeführt werden. Der Konsum von Cannabis ist ein Hauptthema im Gutachten der Euro päischen Beobachtungsstelle.26 Hierzu wird ausgeführt, dass dieser in den neunziger Jahren enorm gestiegen ist und gegenwärtig möglicherweise seinen Höhepunkt erreicht hat. Es handelt sich jedenfalls um die meist konsumierte Droge: 23 Millionen Europäer haben im vergangenen Jahr wenigstens einmal Cannabis konsumiert, mehr als 13 Millionen davon im Laufe der letzten 30 Tage. Auch wenn es eine Reihe von Menschen gibt, die Cannabis ihr ganzes Leben lang konsumieren, ist es vor allem eine Droge für Jugendliche: Einer von vierzehn hat es im vergangenen Jahr 25 Vgl. auch J. Gamella und M. Rodigo, „Multinational export-import ventures: Maroccan hashish into Europe through Spain“, in: S. Sznitmann, B. Olsson und R. Room (eds.), A cannabis reader: global issues and local experiences, Lissabon, European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2008, vol. 1, S. 263-289. 26 Vgl. auch T. Leggett und Th. Pietschmann, „Global cannabis cultivation and trafficking“, in: S. Sznitmann, B. Olsson und R. Room (eds.), A cannabis reader: global issues and local experiences, Lissabon, European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2008, vol. 1, S. 189-212. 47 mindestens einmal konsumiert. Im Anschluss daran wird berichtet, dass der Besitz (zum eigenen Gebrauch) und der Konsum von Cannabis selbst (zum eigenen Gebrauch) in der Praxis in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur selten strafrechtlich verfolgt wird. Diese Feststellung steht im Widerspruch zu der weiteren Feststellung, dass die Anträge auf professionelle Hilfeleistung bei Problemen mit Cannabis erheblich zugenommen haben. Inwieweit das eine unmittelbar mit dem anderen zusammenhängt, ist nicht erkennbar. Klar ist aber, dass die Zahl der Menschen, vor allem auch der Jugendlichen, die wegen des Konsums von Cannabis um Hilfestellung bitten, in den letzten Jahren proportional ansteigt. Woran dies genau liegt, ist jedoch schwer zu sagen. An einer Zunahme des Konsums? An einer höheren Konzentration des Wirkstoffes THC? An der Eröffnung von speziellen niederschwelligen Behandlungszentren, etwa in Frankreich im Jahr 2005 (nicht weniger als 250 im gesamten Land), mit der Folge, dass erst dadurch die Probleme besser sichtbar wurden? 3.4.2. Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Kokain Der Konsum von Kokain nimmt laut der Europäischen Beobachtungsstelle in letzter Zeit in vielen europäischen Ländern wieder zu: 4,5 Millionen Europäer konsumierten es mindestens einmal im vergangenen Jahr (im Jahr 2006 nur 3,5 Millionen), 2 Millionen davon in den letzten 30 Tagen. Kokain ist nach Cannabis die am meisten konsumierte Droge. Besonders auch Jugendliche und junge Erwachsene konsumieren es immer häufiger (4-6% in der Altersklasse von 15-16 Jahren; 1,5 Millionen Jugendliche konsumierten es im vergangenen Monat). Die Zahl der Konsumenten, die wegen ihrer Abhängigkeit von dieser Droge Hilfe sucht, nimmt dementsprechend zu. Im Zeitraum von 1999-2005 stieg die Zahl der neu hinzugekommenen Hilfesuchenden pro Jahr in Europa von 13.000 auf 33.000 an. Trotz der großen Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Einfuhr von Kokain aus Südamerika aufzuhalten, fällt der Preis der Droge auf Konsumenten ebene noch immer. Ihre Verfügbarkeit stellt also immer weniger ein Problem dar. Gegenwärtig liegt der Preis für den Konsumenten bei 45 bis 120 Euro pro Gramm. Es scheint, dass Kokain in zunehmendem Maße auch von gut integrierten Jugendlichen in Discos, Kneipen usw. konsumiert wird. Weltweit werden nach Schätzungen gegenwärtig rund 990 Tonnen Kokain pro Jahr produziert. Das Kokain aus Südamerika wird – wenn nicht über einen Zwischenstopp in Westafrika – einerseits vor allem über Spanien und Portugal und andererseits auch über die Niederlande eingeführt. Auch für das Kokain fungieren die Niederlande also als eine Art zentraler Umschlagplatz. Daneben wird Kokain unmittelbar über Belgien, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich nach Europa geschmuggelt. Auch nach Ansicht von Europol spielen insbesondere die Niederlande und Spanien eine wichtige Rolle als Drehscheibe beim Vertrieb von 48 Kokain in Europa. Im Jahr 2005 wurden in Europa 107 Tonnen beschlagnahmt. Weltweit ging es dabei um 756 Tonnen, beschlagnahmt vor allem in Süd- und Nordamerika. Dies sind 150 Tonnen mehr als die rund 600 Tonnen, die von einer Reihe von Kampfgruppen in Kolumbien immer noch produziert werden.27 3.4.3. Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit Heroin Die Verfügbarkeit dieser Droge stellt nach dem Gutachten der Europäischen Beobachtungsstelle kein großes Problem dar. Gegenwärtig werden weltweit insgesamt rund 8.870 Tonnen jährlich produziert, 92% davon in Afghanistan (8.200 Tonnen).28 Das Heroin wird vor allem von türkischstämmigen kriminellen Vereinigungen über die so genannte Balkanroute nach Europa gebracht, ein Großteil davon über die so genannte Seidenstraße. Der Markt für das Heroin in der Europäischen Union wird von Europol auf 135 Tonnen pro Jahr geschätzt. Besonders die Niederlande, aber in geringerem Umfang auch Belgien, fungieren laut Europol für eine Reihe von Ländern in Europa als zentraler Umschlagplatz. In Jahr 2005 wurden in den Mitgliedstaaten und einer Reihe von angrenzenden Ländern 16,8 Tonnen Heroin von der EU beschlagnahmt. Weltweit handelte es sich dabei um 58 Tonnen Heroin und 32 Tonnen Morphin. Obwohl die Heroinabhängigkeit noch immer vor allem ein Problem von älteren Drogenkonsumenten ist, gibt es einige Hinweise darauf, dass die Zahl der jungen Konsumenten mancherorts, zum Beispiel in Belgien und Frankreich, wieder zunimmt, möglicherweise, weil der Preis für diese Droge immer noch fällt. Dieser liegt auf Konsumentenebene gegenwärtig zwischen 35 und 80 Euro pro Gramm. 3.4.4. Produktion, Handel und Konsum von bzw. mit synthetischen Drogen Weltweit werden nach Schätzungen 88 Tonnen Amphetamine hergestellt, vor allem in Europa, insbesondere unter anderem in Russland, Deutschland, den Niederlanden, Polen, Bulgarien, Belgien und den baltischen Staaten. Die Niederlande und bis zu einem gewissen Grad auch Belgien werden von Europol als die wichtigsten Produzenten von Ecstacy in Westeuropa angesehen. Bei der Beschaffung des Präkursors BMK arbeiten russische, polnische, deutsche und niederländische kriminelle Vereinigungen engmaschig zusammen. Weltweit wurden im Jahr 2005 12,9 Tonnen Amphetamine 27 S. Romero, „Despite rebel losses, cocaine sustains war in rural Colombia“, New York Times, 27.7.2008. 28 Siehe für eine eindrucksvolle Situationsbeschreibung in diesem Land: T. Schweich, „Is Afghanistan a narco-state“, New York Times, 27.7.2008. 49 beschlagnahmt, 6,6 Tonnen davon in Mittel- und Westeuropa. Der Konsumentenpreis liegt in Europa zwischen 7 und 37,5 Euro pro Gramm. Das Vereinigte Königreich und Irland zählen zu den Ländern, in denen sehr große Mengen Ecstasy konsumiert werden. Metamphetamine werden in den Vereinigten Staaten, in Südostasien, Ozeanien und Südafrika in viel größeren Mengen hergestellt als Amphetamine. Weltweit waren dies 278 Tonnen im Jahr 2005. Eine Reihe europäischer Länder wie Tschechien, Moldawien, die Slowakei und die baltischen Staaten spielen hier auch eine wichtige Rolle. Weltweit wurden im Jahr 2005 17,1 Tonnen vor allem in den Vereinigten Staaten und in Asien beschlagnahmt. In Europa ging es in 2005 dabei lediglich um 104 Kilo. Der Preis für den Konsumenten schwankt dabei zwischen 5 und 35 Euro pro Gramm. Die Europäische Beobachtungsstelle schätzt für den Konsum von Ecstasy, dass ungefähr 3 Millionen Menschen diese Droge vor allem in West- und Mitteleuropa im vergangenen Jahr konsumiert haben, mehr als 1 Million sogar in den letzten 30 Tagen. Hierbei handelt es sich überwiegend um Jugendliche. Weltweit wird die Produktion im Jahr 2005 auf 113 Tonnen und für das Jahr 2006 auf 103 Tonnen geschätzt, vor allem in Europa und hier besonders in den Niederlanden und in Belgien. Abgefangen werden konnten im Jahr 2006 weltweit 5,3 Tonnen, wiederum vorwiegend in Europa (hierbei ging es nach Schätzungen um 16,3 Millionen Pillen), aber auch in Nordamerika und Ozeanien. Der Preis für den Konsumenten variiert zwischen 3 und 15 Euro pro Pille. Im Bereich der (Met‑)Amphetamine geht die Schätzung dahin, dass sie im vergangenen Jahr mindestens von 2 Millionen Menschen einmal konsumiert wurden bzw. von etwas weniger als 1 Million Menschen in den letzten 30 Tagen. Auch hier geht es vorrangig um junge Erwachsene zwischen 15 und 35 Jahren. Ergänzend dazu ist anzumerken, dass in zunehmendem Maße kriminelle Vereinigungen an Produktion, Handel und Vertrieb dieser verschiedenartigen Drogen beteiligt sind. Laut Europol spielen die Niederlande jedenfalls „a vital role in Europe as a centre for the transportation, facilitation and preparation of polydrug consignments“. Nicht-niederländische kriminelle Vereinigungen siedeln sich zum Beispiel speziell dazu in den Niederlanden an, um in Zusammenarbeit mit niederländischen Gruppierungen das Vereinigte Königreich und Irland mit Kokain und anderen Drogen versorgen zu können. 3.5. Résumé Wer die Gutachten der Einrichtungen der Vereinten Nationen liest, gelangt zwangs läufig zu der Schlussfolgerung, dass die Welt mit großen Mengen natürlicher und synthetischer Drogen überschwemmt wird und dass alle Versuche, die Produktion, den Handel im großen Stil und den Vertrieb einzudämmen, nur sehr begrenzten Erfolg haben (können). Überall auf der Welt ist die Nachfrage nach Drogen aller Art einfach 50 zu groß und die Gewinnaussichten, die mit ihrer Herstellung und ihrem Vertrieb verbunden sind, einfach zu verlockend. Hieraus wird verständlich, dass auch in der Europäischen Union eine Politik betrieben wird, die einerseits zwar auf eine Beschränkung der Nachfrage und des Schadens, die der Konsum von Drogen verursacht oder verursachen kann, gerichtet ist, andererseits aber eine Reduzierung des Angebots und somit eine Bekämpfung der Produktion und des Handels beabsichtigt. Diese Politik sollte jedoch realistisch geführt und beurteilt werden. Sie kann nicht auf eine radikale Lösung der Drogenprobleme in all ihren Ausgestaltungen gerichtet sein (dies wäre vollkommen unrealistisch), sondern nur auf deren ausgewogene Überwachung auf nationaler und internationaler Ebene. Ferner steht völlig außer Zweifel, denn die Gutachten zeigen dies überdeutlich, dass Europa und insbesondere die Niederlande eine nicht unwesentliche Rolle auf diesem weltweiten illegalen Sektor spielen, der das Drogenbusiness nun einmal ist, und bis auf weiteres auch spielen werden. Einerseits sind die Niederlande, und somit Niederländer, durchaus (ein) Produzent(en) von Cannabis (Nederwiet) und synthetischen Drogen in großem Maßstab, andererseits sind die Niederlande, und somit auch Niederländer, wichtige Vertreiber von Kokain, Heroin und Haschisch im eigenen Land und in den Nachbarländern. Es ist in diesem Zusammenhang daher nicht so erstaunlich, dass allein schon aufgrund dieser entscheidenden Tatsache die Blicke vieler Nachbarländer kritisch auf die Niederlande gerichtet sind. Diese kritische Sichtweise darf jedoch weder auf der Seite der Niederlande noch auf Seiten der umliegenden Länder zu einer Verengung des Blickfeldes führen. Die dazu zitierten Gutachten zeigen jedenfalls überdeutlich, dass die Niederlande nicht das einzige Land in Nordwesteuropa sind, in dem der illegale Drogenmarkt floriert. Vielmehr zeichnet sich in anderen Ländern und hier vor allem auch in Nachbarländern der Niederlande eine ähnliche Entwicklung ab. Für die anderen Länder bedeutet dies natürlich, dass sie ihre Politik mit der nötigen Portion Selbstkritik verfolgen und nicht immer gleich mit dem Finger auf die Niederlande zeigen sollten. Aber dasselbe gilt natürlich für die Niederlande selbst. Sie sollten ihre Rolle auf dem europäischen Drogenmarkt kritisch betrachtet wissen und daher im Geist von Schengen bereit sein, ihre eigene Drogenpolitik einschließlich deren Konsequenzen für andere Länder unerschrocken zur Diskussion zu stellen. Dabei darf man eigene Interessen natürlich durchaus im Auge behalten. So kann die Schließung von weiteren Coffeeshops in den Großstädten sich sehr wohl in eine Politik fügen, die sowohl den Drogentourismus vom und in das Ausland einzuschränken versucht, als auch in eine Politik, die geeignet ist, große Belästigungen durch Drogenkonsumenten auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu reduzieren. Aufgrund der großen Mengen Cannabis, die in den Nachbarländern in verschiedenen Formen vorhanden sind, ist in so einem Fall eine entsprechende Ausbreitung einer illegalen Infrastruktur zur weiteren Befriedigung der Nachfrage wohl nicht zu befürchten. Viele „echte“ Drogentouristen können ebenso in ihrem Heimatland alles illegal erwerben, 51 was nach ihrem Geschmack ist. Die Niederlande sind sicher nicht das einzige Land, in dem Drogen illegal in mehr oder weniger großem Maßstab erhältlich sind. Auch im Hinblick auf weitere Entwicklungen ist es wichtig festzustellen, dass es immer noch sinnvoll ist, bei der Produktion von Drogen zwischen den verschiedenen Drogenarten zu unterscheiden. Diese Unterscheidung macht jedoch auf der Ebene des Handels in großem Stil und des Vertriebs von Drogen keinen oder nur noch wenig Sinn. Auf dieser Ebene laufen die Drogenströme jedenfalls immer mehr ineinander: Dieselben kriminellen Gruppierungen handeln und verkaufen verschiedenste Arten von Drogen. Dies hat vielleicht etwas mit der Tatsache zu tun, dass der unerlaubte Drogenhandel ein weltweites Geschäft geworden ist und es deshalb, genau wie bei den Waren auf legalen Märkten, effizienter ist, gleichzeitig ganze Sortimente von Drogen zwischen den Kontinenten hin und her zu transportieren. Es ist in jedem Fall auch eine Folge der Tatsache, dass immer mehr Drogenkonsumenten diese vielfältig konsu mieren. Es besteht ein Bedürfnis nach mehreren Drogenarten gleichzeitig oder kurz nacheinander. So wird auch deutlich, warum Drogenhäuser oft so sehr florieren. Konsumenten können alles finden, was sie suchen. Im Mittelpunkt der Politik der Europäischen Union steht jedoch nicht nur eine Beschränkung der Nachfrage, des Angebots und des Schadens und somit auch die Reduzierung von Problemen (z.B. florierende Drogenhäuser), sondern nicht zuletzt auch die Zusammenarbeit und vor allem die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg, um die genannten Ziele erreichen zu können. Diese Zusammenarbeit, ganz besonders die in den Grenzgebieten, wird in den Gutachten der EU vorrangig in der Zusammenarbeit der Polizei gesehen, also in einem rechtzeitigen grenzübergreifenden Austausch von relevanten Daten und der Verstärkung tatsächlicher grenzübergreifender Fahndungsmaßnahmen in Absprache mit der Staatsanwaltschaft und nötigenfalls im Zusammenwirken mit Ermittlungen im Finanzbereich. Dies sollte immer bedacht werden. In dieser Politik ist jedenfalls auch die Handschrift der Justiz- und Innenminister wiederzuerkennen, die mit der Euregio Maas-Rhein zu tun haben. Sie tragen daher eine gewisse Verantwortung dafür, in dieser Region Bedingungen für solche Formen der Zusammenarbeit zu schaffen. Einer Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Prävention von Drogenkonsum, der Bekämpfung von Belästigungen durch Drogenmissbrauch und der Fürsorge für Abhängige steht im Übrigen nichts im Wege. Grenzübergreifende Zusammenarbeit auf diesen drei Gebieten kann jedenfalls den Zielen der Drogenpolitik der Europäischen Union und der Vereinten Nationen ebenso dienen wie die polizeiliche, justizielle und steuerliche Zusammenarbeit. 52 4. Die Situation in den besonders betroffenen Ländern: Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande 4.1. Einleitung Die Drogenprobleme, wie sie sich in der Euregio Maas-Rhein darstellen, betreffen natürlich in erster Linie die Niederlande, Belgien und Deutschland, aber daneben vor allem auch Frankreich. Deshalb wird in dieser Betrachtung des Kontextes, in dem die genannten Probleme auftreten, die Situation in diesen vier Ländern näher untersucht. Auf der einen Seite erfolgt jeweils eine Zusammenfassung der Drogenpolitik in diesen Ländern. Auf der anderen Seite werden die jeweiligen Drogenprobleme in diesen Ländern aufgezeigt. Aus zwei Gründen erhalten die Politik und die Probleme in den Niederlanden hierbei erhöhte Aufmerksamkeit. Erstens, weil die Politik in den Niederlanden von den Behörden in den umringenden Ländern oft als Hauptgrund der Probleme gesehen wird, und zwar sowohl die Probleme im eigenen Land als auch in den Niederlanden selbst. Zweitens, weil während der Gespräche am runden Tisch festgestellt wurde, dass nicht jeder, der sich in den umringenden Ländern zur Situation in den Niederlanden äußert, mit den Entwicklungen in diesem Nachbarland vertraut ist. 4.2. Die Situation in Belgien 4.2.1. Die politischen Rahmenbedingungen Die Grundlagen für die gegenwärtige Drogenpolitik in Belgien sind einem Gutachten zu entnehmen, das im Juni 1997 von einer parlamentarischen Arbeitsgruppe herausgegeben wurde. In diesem Gutachten wurde – ausgehend von einem auf die rationale Risikokontrolle ausgerichteten Normalisierungsgedanken (das Drogen phänomen ist eine Tatsache in unserer Gesellschaft) – zu Gunsten einer integralen Drogenpolitik entschieden. Ausgangspunkt hierbei war, dass Drogenprobleme in erster Linie eine Frage der Gesundheit der Bürger sind und demnach die Vorbeugung und Hilfeleistung höchste Priorität erhalten müssen. Repressionen sollen sich gegen Drogenhersteller, Drogenhändler und andere Personen, die an den Drogenproblemen verdienen, richten. Im Anschluss an diesen letztgenannten Ausgangspunkt sollte die nationale und internationale Bekämpfung der kriminellen Organisationen, die an der Herstellung und am Handel von bzw. mit illegalen Drogen beteiligt sind, verstärkt werden. Nicht zuletzt infolge der Affären im Zusammenhang mit dem Fall des Kinderschänders Dutroux blieb die Umsetzung dieser Vorschläge einige Jahre liegen. 2001 veröffentlichte die Regierung einen föderalen Drogenbericht, in dem die 53 Vorschläge der genannten parlamentarischen Arbeitsgruppe bestätigt wurden. Dieser Bericht führte 2003 nicht nur zu einigen Anpassungen der gesetzlichen Vorschriften über Betäubungsmittel, sondern auch zu der wichtigen Ministeriellen Richtlinie über die Strafverfolgungspolitik in Bezug auf den Besitz illegaler Betäubungsmittel und den diesbezüglichen Kleinhandel.29 Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität war nicht Gegenstand dieser Richtlinie. Ausgangspunkt in dieser Richtlinie ist, dass eine Normalisierung der Drogenpolitik nicht bedeute, dass Drogenkonsum normal oder alltäglich werden dürfe. Daher gelte als erste Priorität in der Drogenpolitik, den Drogenkonsum unattraktiv zu machen und die Zahl der Drogenkonsumenten zu begrenzen. Die zweite Priorität liege im Schutz der Gesellschaft, insbesondere durch Hilfeleistungen gegenüber Drogenabhängigen. Als dritte Priorität wird genannt, dass problematischer Drogenkonsum durch Hilfeleistungen und nicht durch Bestrafung bekämpft werden müsse, und dass demnach verhindert werden müsse, und darin liegt die vierte Priorität, dass Drogenkonsumenten (die neben dem Besitz von Drogen keine andere strafbare Handlung begangen haben) im Gefängnis landen, es sei denn, es gebe keine anderen Möglichkeiten zur Regulierung des problematischen Drogenkonsums (fünfte Priorität). Bezogen auf die Strafverfolgungspolitik bei Cannabiserzeugnissen bedeuten diese Ausgangspunkte, dass der Besitz von Cannabis, und hier sogar der bloße Besitz zum persönlichen Konsum, zwar ein Straftatbestand ist, aber dass dann, wenn ein nicht-problematischer Konsum keinerlei Belästigungen verursacht, lediglich eine zusammenfassende Anzeige durch die Polizeidienststellen erfolgt; diese Anzeige ist als eine Verwarnung und eine Erinnerung an geltende Normen zu sehen. Im Falle eines problematischen Konsums oder bei Belästigungen wird allerdings eine normale Anzeige erstattet. Der zuständige Staatsanwalt kann in diesen Fällen die Sache einstellen (u.U. mit einer Verwarnung seitens der Polizei oder einer Verweisung zu einer spezialisierten Hilfseinrichtung), die Sache unter bestimmten Auflagen ein stellen (sog. „pretoriaanse probatie“) oder die Strafanzeige ohne weiteres verwerfen. In Bezug auf den Besitz von anderen illegalen Drogen wird in dieser Richt linie bestimmt, dass es bei einem erwiesenen einmaligen oder gelegentlichen persönlichen Konsum ebenfalls bei einer Verwarnung durch die Polizei und einer Aufklärung über mögliche Hilfeleistungen oder bei der Bezahlung eines Bußgeldes bleibt. Wenn es sich um problematischen Drogenkonsum handelt oder wenn der Drogenkonsum mit Belästigungen einhergeht, wird die Sache nach Weiterverweisung an eine spezialisierte Fürsorgeeinrichtung eingestellt, unter bestimmten Auflagen eingestellt oder mit einer Geldbuße geahndet. 29 Ministeriële richtlijn betreffende het vervolgingsbeleid inzake het bezit en de detailhandel in illegale verdovende middelen; Belgisch Staatsblad, 2.6.2003, S. 30013-30019. 54 In Bezug auf den Kleinhandel, also den Verkauf von Drogen in kleinen Mengen, wird zwischen dem Handel zur Gewinnerzielung und dem Handel zur Finanzierung des eigenen Drogenkonsums unterschieden. Im ersten Fall wird dieser Handel als ein wesentliches Bindeglied in der Kette des organisierten Drogenhandels angesehen und demnach als eine Form der organisierten Kriminalität verfolgt. Im zweiten Fall ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, eine der oben genannten Maß nahmen einzuleiten. Diese Richtlinie wurde nach einem Urteil des Schiedshofes (Arbitragehof) über vage Begriffe wie „Belästigung“ und „problematischer Konsum“ im Jahr 2005 teilweise durch die Richtlinie Gemeenschappelijke richtlijn van de minister van Justitie en het college van procureurs-generaal omtrent de vaststelling, registratie en vervolging van inbreuken inzake het bezit van cannabis 30 ersetzt. Der wichtigste Punkt in dieser Richtlinie ist, dass bei einem Volljährigen die Feststellung des Besitzes einer Menge Cannabis von nicht mehr als 3 Gramm oder des Besitzes einer einzigen für den persönlichen Konsum bestimmten Cannabispflanze ohne Vorliegen erschwerender Umstände und ohne Störung der öffentlichen Ordnung lediglich zu einer vereinfachten Anzeige (vereenvoudigd procesverbaal) führen wird; die betroffene Person darf die angetroffenen Betäubungsmittel übrigens behalten. In allen anderen Fällen wird eine gewöhnliche Anzeige aufgenommen. Die Staatsanwaltschaft erhält jeden Monat eine Liste der vereinfachten Anzeigen. Im Anschluss an diese Richtlinie wurde von der Generalstaatsanwaltschaft (college von procureurs-generaal) im Juni 2007 ein (vertraulicher) Rundbrief über die strafrechtliche Behandlung des Drogentourismus erstellt. Mit dieser Richtlinie wird vor allem bezweckt, die Strafverfolgungspolitik der einzelnen Staatsanwaltschaften im Hinblick auf Drogentouristen zu vereinheitlichen. Diese Richtlinie hat zur Folge, dass das strafrechtliche Auftreten umso strenger wird, je größer die Drogenmenge ist.31 Mit der Bekämpfung des organisierten Drogenhandels befasste sich zum ersten Mal explizit das von dem belgischen Justizminister und dem belgischen Innenminister erarbeitete Rahmenprogramm zur integralen Sicherheit (Kadernota integrale veiligheid) vom 30./31. März 2004. In diesem Programm wurde erstmals auf die Notwendigkeit hingewiesen, gegen die Produktion von synthetischen Drogen vorzugehen, und zwar vor allem gegen die Einfuhr von Präkursoren aus Osteuropa und die Errichtung von Laboren im Grenzgebiet mit den Niederlanden. Im Zusammenhang mit diesem letzten Aspekt wurde der Informationsaustausch mit den niederländischen Polizeibehörden besonders hervorgehoben. Ferner wurden der Handel mit Haschisch aus Marokko und die mit Hilfe aus den Niederlanden 30 Belgisch Staatsblad, 21.1.2005. 31 Dieser Rundbrief wurde uns von den belgischen Behörden zur Verfügung gestellt. 55 errichteten Cannabisplantagen in diesem Programm als Schwerpunkte der Politik bezeichnet. Problematisch an diesem Programm ist allerdings, dass es – anders als vorhergesehen – nicht in einen Aktionsplan unter Bereitstellung der diesbezüglich von Polizei und Justiz benötigten Mittel umgesetzt wurde, um die gesteckten Ziele auch (annäherungsweise) erreichen zu können. Dies ist nicht viel anders im Nationalen Sicherheitsplan 2008-2011.32 Erste Priorität hat in diesem Plan „die Drogenproduktion, der Drogenhandel und die drogenbedingte Kriminalität (mit Schwerpunkt Produktion von synthetischen Drogen, Cannabisanbau, Einfuhr und Durchfuhr von Heroin und Kokain und Straßenhandel)“. Um diese Priorität in Taten umzusetzen, wird einerseits bestimmt, integrierte Aktionspläne zu formulieren und gemeinsame Kontrollaktionen auf diesem Gebiet durchzuführen. Andererseits soll in die Aus- und Weiterbildung der Spurensicherung und in die Modernisierung der Ausstattung der Flug- und Seehäfen im Hinblick auf die Kontrolle aller Risikoflüge und Risikostrecken investiert werden. Daneben wird erklärt, dass die Polizeibehörden ihre internationale operationelle Zusammenarbeit verstärken sollen und vor allem die strukturellen Möglichkeiten eines internationalen Informationsaustauschs prüfen sollen. Schließlich ist vor allem auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Niederlanden darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeiten für die Verwaltungs behörden in Belgien, präventiv beziehungsweise repressiv gegen unter anderem den Drogenhandel aufzutreten, ziemlich eingeschränkt sind. Hierbei ist zunächst anzuführen, dass sie nicht über justizielle und steuerliche Informationen verfügen können, um zum Beispiel im Gaststättengewerbe Genehmigungsanträge zu prüfen. Nicht zuletzt deshalb und weil es an einer passenden Rechtsgrundlage im Rechtshilfeabkommen mangelt, ist es sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Informationen im Rahmen solcher Anfragen zwischen Belgien und den Niederlanden auszutauschen. Die einzige Möglichkeit liegt in dem Austausch von Informationen aus öffentlichen Quellen über Genehmigungen, die erteilt oder aber verweigert wurden.33 Außerdem ist festzustellen, dass der Bürgermeister zwar die Möglichkeit hat, gegen Einrichtungen und andere öffentlich zugängliche Orte wegen Verletzung von Drogenbestimmungen vorzugehen, aber in diesem Zusammenhang nicht die Befugnis besitzt, Wohnungen für kürzere oder längere Zeit zu schließen.34 32 Dieser Nationale veiligheidsplan 2008-2011 steht auf der Website der Föderalpolizei (federale politie). 33 Siehe die Studie von P. de Buysscher, De bestuurlijke aanpak van georganiseerde criminaliteit als exponent van een integraal en geïntegreerd veiligheidsbeleid; een Belgisch-Nederlandsche vergelijking vanuit euregionaal perspectief, Warnsveld, Politieacademie, 2007. 34 Bericht von M. Geerits (Verbindungsbeamter beim Gouverneur der belgischen Provinz Limburg) und J. Wiertz (Arrondissementscommissaris) über die verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten einer Schließung von (Drogen-)Häusern vom 7.7.2008. 56 4.2.2. Ein Überblick über die Tatsachen Der National report to the EMCDDA 2006 und der Belgian national report on drugs 2007 zeichnen ein eher allgemeines Bild vom Drogenkonsum in Belgien.35 Untersuchungen haben ergeben, dass im Laufe der Jahre 11 bis 13% der Bevölkerung schon einmal Cannabis konsumiert haben, 5% konsumierten diese Droge ein einziges Mal in dem Jahr vor dem Jahr, in dem die betreffende nationale Studie durchgeführt wurde, und 2,7% bis 3% in dem jeweiligen Vormonat. Hierbei geht es vor allem um (männliche) Jugendliche, die in städtischen Gebieten leben. Der Konsum von Ecstacy (1,3%), Amphetamin (0,7%) und Kokain (0,7%) liegt erheblich niedriger (konsumiert in dem Monat vor dem Monat dieser Untersuchung). In Bezug auf die Beschaffungs möglichkeiten von Drogen kann festgestellt werden, dass im Jahr 2005 die Preise pro Gramm in den großen Städten im Durchschnitt nicht so hoch lagen: 1 Gramm Haschisch 6 Euro und 1 Gramm Marihuana 5,7 Euro, 1 Ecstacypille 4,2 Euro, 1 Gramm Heroin zwischen 9 und 50 Euro und 1 Gramm Kokain durchschnittlich 50,3 Euro. Im Jahr 2005-2006 lagen die Preise nicht höher. Sie können allerdings von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein. Was speziell den Cannabiskonsum angeht, ergibt eine Studie von T. Decorte u.a. aus dem Jahr 2003 über den Konsum dieser Droge unter älteren, ca. 25 Jahre alten Jugendlichen (hauptsächlich Studenten), dass diese zum ersten Mal Cannabis konsumierten, als sie gut 16 Jahre alt waren. Nach ungefähr 1,4 Jahren konsumierten sie regelmäßig Cannabis und nach 2,4 Jahren erreichte ihr Konsum den Höchststand. Cannabis wurde von ihnen vor allem in einer selbstgedrehten Zigarette vermischt mit Tabak geraucht. Der mittlere Preis von Cannabis lag in dem betreffenden Jahr bei 5,1 Euro pro Gramm. Durchschnittlich konsumierten die Befragten 6 Gramm Cannabis monatlich. Die meisten von ihnen bekamen dieses Cannabis von Freunden. Ein Viertel von Ihnen besorgte sich diese Droge selbst in einem niederländischen Coffeeshop. Nur eine der Personen züchtete in dieser Zeit selbst erfolgreich Cannabis. Aktuelle, von dem Verein für Alkohol- und andere Drogenprobleme (VAD) gesammelte epidemiologische Daten (mit Schwerpunkt in Flandern) bestätigen diesen Befund: 21% der Flamen konsumierten irgendwann Cannabis, 5% im letzten Jahr. Cannabiskonsum während des letzten Jahres kommt vor allem vor in der Altersklasse 15-24 Jahre (19%) und in der Altersklasse 25-34 Jahre (11%). 3% der Flamen 35 Scientific Institute of Public Health, National report to the EMCDDA 2006 by the Reitox National Focal Point: Belgium; new developments, trends and in-depth information on selected issues, Brüssel, 2006. Dasselbe Institut veröffentlichte den Belgian national report on drugs 2007; new developments, trends and in-depth information on selected issues, Brüssel, 2007. 57 konsumierten im letzten Monat Cannabis (4% Männer, 1% Frauen).36 Interessant im Zusammenhang mit dem oben angeführten Rundbrief aus dem Jahr 2003 ist, dass weitaus die meisten Konsumenten von Cannabis nie von der Polizei erfasst werden (85,9%). Nur 2,5% wurden nach eigenen Angaben jemals für eine mit Cannabis zusammenhängende strafbare Handlung verurteilt. Diese niedrigen Zahlen belegen aber nicht nur, dass bereits zu jener Zeit der persönliche Besitz und Konsum von Cannabis keine große Priorität mehr bei Polizei und Justiz hatten. Sie zeigen auch, dass viele Konsumenten die nötigen Vorsorgemaßnahmen ergriffen haben, um der Polizei nicht ins Netz zu gehen: „Sie halten den Konsum geheim und sind immer wachsam“.37 Die Rundbriefe von 2003 und 2005 haben dieser Heimlich tuerei zweifellos bis zu einem gewissen Grad ein Ende bereitet. Untersuchungen zum Profil der Coffeeshopbesucher in Terneuzen haben ergeben, dass niederländische Drogentouristen ihren ersten Ankauf von Cannabis vor allem bei Freunden (35,6%) beziehungsweise in einem Coffeeshop (33,3%) vor genommen haben. Die meisten belgischen Drogentouristen kauften Cannabis auch zum ersten Mal bei Freunden (47%). Der Coffeeshop war aber nur für 19,3% von ihnen der erste Kontakt mit Cannabis. Die französischen Drogentouristen tätigten ihren ersten Ankauf bei Freunden (33,7%), auf der Straße (23,1%), in der Schule (23,3%), bei einem Dealer (17,3%) und nur in 3,8% der Fälle in einem Coffeeshop. Diese Daten zeigen, dass sich der Coffeeshop für ausländische Touristen nach gewisser Zeit zu einem festen Bevorratungsort entwickelt hat. Dieselbe Studie brachte jedenfalls auch zu Tage, dass 61% der Besucher der zwei Coffeeshops in Terneuzen die belgische Staatsangehörigkeit besaßen, 31% die französische Staatsangehörigkeit und der Rest die niederländische Staatsangehörigkeit. Dies bedeutet, dass trotz des Umstandes, dass ausländische Touristen auch im eigenen Land auf unterschiedliche Weise an Cannabis gelangen können, die Coffeeshops für sie als Facilitator fungieren. Dies wird auch in der Studie von u.a. Surmont und Korf bestätigt: 47,2% beziehungsweise 66,1% der ausländischen Drogentouristen nennen die Existenz von Coffeeshops als Grund für ihre Reise in die Niederlande. Sie werden dazu noch mehr motiviert durch die Qualität des Cannabis und vor allem vom Nederwiet, und hier insbesondere durch den THC-Gehalt, der in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen ist und demnach einen größeren Rauschzustand bewirkt.38 36 E. de Donder, Alcohol, illegale drugs, medicatie en gokken; recente ontwikkelingen in Vlaanderen, 2005-2006, Brüssel, VAD, 2007. 37 T. Decorte, M. Muys und S. Slock, Cannabis in Vlaanderen; patronen van cannabisgebruik bij ervaren gebruikers, Löwen, Acco, 2003. 38 Siehe die Beiträge von T. Surmont und D. Korf in B. De Ruyver und T. Surmont (Hrsg.), Grensoverschrijdend drugstoerisme; nieuwe uitdagingen voor de euregio’s, Antwerpen, Maklu, 2007. Siehe ferner auch R. van de Woude, M. Bersekop und T. Nabben, Coffeeshops, jeugd en toerisme, Amsterdam, Rozenberg, 2001. 58 Es gibt keine zuverlässigen epidemiologischen Daten über die Zahl der (registrierten) problematischen Drogenkonsumenten in Belgien. In dem jährlichen Gutachten des IFEB-Instituts (Instituut voor Farmaco-Epidemiologie von België) aus dem Jahr 2007 wird festgestellt, dass im Zeitraum August 2006 bis Juli 2007 14.480 Methadonpatienten registriert wurden; die Gesamtzahl der registrierten Substitu tionspatienten (einschließlich der Subutex- und Mephenon-Patienten) beträgt 15.929. Übrigens wurde in den vergangenen Jahren ein weit reichendes Netzwerk allgemeiner Einrichtungen und Spezialeinrichtungen aufgebaut, an die sich problematische Drogenkonsumenten zur Beratung und Aufnahme wenden können. Im Jahr 2005 gab es – innerhalb des Netzwerks von Spezialeinrichtungen – unter anderem 14 stationäre Zentren für eine langfristige Behandlung, 8 Krisenaufnahmezentren und 8 Zentren für ambulante Betreuung. Im Rahmen des Spritzentausch-Programms wurden in Flandern im Jahr 2005 448.502 saubere Spritzen ausgegeben (gegenüber 309.666 im Jahr 2004 und 237.023 im Jahr 2003). Im französischsprachigen Teil der Euregio ging es im Jahr 2004 um mehr als 250.000 Spritzen. Was die Drogenproduktion und den Drogenhandel betrifft, kann auf Grund der oben genannten nationalen Gutachten aus den Jahren 2006 und 2007, die in dieser Hinsicht vor allem Daten der Föderalpolizei berücksichtigen, Folgendes gesagt werden. Der Heroinhandel in Belgien ist in weiten Teilen in türkischen Händen. Die betreffenden Gruppierungen führen aber nicht nur Heroin ein, sie transportieren auch synthetische Drogen in die Türkei. Das Heroin wird übrigens zu einem großen Teil weitergeleitet, u.a. in die Niederlande, und von dort aus über ganz Europa weiter vertrieben. Im Jahr 2004 wurden von der Föderalpolizei und dem Zoll 142 Kilogramm Heroin beschlagnahmt, im Jahr 2005 270 Kilogramm und im Jahr 2006 175 Kilogramm. Kokain wird von südamerikanischen kriminellen Organisationen in Zusammenarbeit mit belgischen, niederländischen und seit Kurzem auch marok kanischen Organisationen in Belgien eingeführt. Letzteres muss wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Umstand gesehen werden, dass ein wichtiger Teil des Handels mit Kokain gegenwärtig nicht mehr direkt auf Europa ausgerichtet ist, sondern über Westafrika verläuft. Bei der Einfuhr von Kokain in Belgien spielen die Häfen von Antwerpen und Zeebrugge eine wichtige Rolle. Über Antwerpen ein geführtes Kokain wird unter anderem in die Niederlande, aber auch beispielsweise nach Italien verschoben. Im Jahr 2004 wurden 3.500 Kilogramm Kokain beschlag nahmt, im Jahr 2005 9.228 Kilogramm und im Jahr 2006 3.945 Kilogramm. Die Einfuhr von Haschisch aus Marokko in Belgien und in den Niederlanden ist schon seit vielen Jahren vor allem in Händen von marokkanischen Gruppen. Daneben werden immer häufiger groß angelegte Marihuanaplantagen im ganzen Land entdeckt. Wurden im Jahr 2003 noch 27.339 Pflanzen beschlagnahmt, war ihre Zahl im Jahr 2005 bereits auf 83.113 Pflanzen angestiegen. Im Jahr 2006 ging es um 110.368 Pflanzen. 59 Darüber hinaus gibt es zunehmend Labore, in denen synthetische Drogen hergestellt werden. Die benötigten Präkursoren kommen oft aus China und werden von meist chinesischen kriminellen Gruppen im Tausch gegen unter anderem Ecstacytabletten in Belgien eingeführt. Die Mittel stammen aber nicht ausschließlich aus China. Niederländische kriminelle Gruppen kaufen in Belgien ohne Probleme Chemikalien ein, die in den Niederlanden nicht so leicht erhältlich sind. Übrigens werden von Belgien aus auch direkt Pakete mit unterschiedlichen Drogen (Heroin, Cannabis, Amphetamine) und auch illegal vertriebenen Zigaretten in das Vereinigte Königreich verschifft. In Bezug auf die Marihuanaplantagen ist anzumerken, dass laut aktuellen Zahlen der Föderalpolizei 2007 bereits 466 Plantagen (aller Arten und Größen) identifiziert wurden, während noch im Jahr 2003 lediglich 35 Plantagen entdeckt wurden. Wurden die Plantagen bis vor kurzem vor allem im Grenzgebiet mit den Niederlanden angetroffen, sind sie heute bereits über ganz Belgien verstreut. Im Rahmen dieses Gutachtens ist auch von Bedeutung, dass gerade die Organisation der größeren Plantagen, die geräumt wurden, fast immer in Händen von Niederländern lag oder zumindest starke Verbindungen mit den Niederlanden aufwies. Das heißt, dass die Tatverdächtigen Niederländer sind beziehungsweise die Materialien in den Niederlanden eingekauft wurden, der Anbau selbst von Niederländern gesteuert wurde oder die Niederlande (die niederländischen Coffeeshops) das Absatzgebiet für das angebaute Marihuana bilden bzw. bildeten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Belgier laut Föderalpolizei für niederländische Organisatoren tätig werden.39 Trotz der obigen Ausführungen sind laut T. Decorte u.a. aber auf jeden Fall in Flandern zahllose kleine Züchter (mit nicht mehr als zwanzig Pflanzen) und auch mittelgroße Erzeuger (mit mehr als fünfzig Pflanzen) aktiv, die mit dem nieder ländischen Marihuanaanbau nichts zu tun haben.40 Sie sind aus unterschiedlichen Gründen aktive Hobbyzüchter geworden: wegen der finanziellen Vorteile, aus Neugier, aus Spaß am Zuchterfolg („grüner Daumen“), wegen der Marihuanaqualität (besser, gesünder als niederländisches Wiet), zur Umgehung illegaler Kreise und zur Verringerung des Risikos, bei Polizei- bzw. Grenzkontrollen erwischt zu werden. Nicht in die Niederlande pendeln zu müssen, ist eine große Erleichterung. Die polizeilichen Kriminalitätsstatistiken der Jahre 2000-2007 weisen aus, dass in den Jahren 2005, 2006 und 2007 jährlich insgesamt 39.633, 40.557 beziehungsweise 44.047 Verstöße gegen Betäubungsmittelvorschriften festgestellt wurden.41 Wenn man die Gesamtzahl der Verstöße in gängige Kategorien einteilt, 39 Föderalpolizei/DGJ/DJP/Drugs, Overzicht problematiek cannabisplantages in België, Brüssel, 20.7.2008. 40 T. Decorte und P. Tuteleers, Cannabisteelt in Vlaanderen; patronen en motieven van 748 telers, Löwen, Acco, 2007. 41 Diese Statistiken werden von der Föderalpolizei veröffentlicht. 60 ergeben sich zum Beispiel für 2007 21.066 Verstöße im Zusammenhang mit dem Besitz von Drogen, 10.051 wegen Drogenkonsums und 12.454 in Bezug auf die Ein- und Ausfuhr, die Herstellung und den Handel von/mit Drogen (neben noch 476 „weiteren“ Verstößen). Diesen Zahlen ist natürlich nicht oder kaum zu entnehmen, inwieweit die Feststellungen der Polizeibehörden mit den politischen Vorgaben zusammenhängen, die in den oben genannten Rundbriefen ausgearbeitet wurden. Angesichts der insgesamt begrenzten Drogenmengen, die jährlich tatsächlich beschlagnahmt werden, darf allerdings davon ausgegangen werden, dass der allergrößte Teil der Verstöße relativ geringe Drogenmengen betrifft. 4.3. Die Situation in Deutschland 4.3.1. Die politischen Rahmenbedingungen Die Drogenpolitik in Deutschland ruht auf vier Säulen: 1. Prävention von Drogenkonsum mit dem Ziel einer Reduzierung der Nachfrage 2. Abhängigenhilfe 3. Überlebenshilfen im Anschluss an eine Behandlung 4. Repressive Maßnahmen zum Zweck der Reduzierung des Angebots Daneben erhält die Erforschung von (problematischem) Drogenkonsum und von Maßnahmen zur Reduzierung dieses Problem von politischer Seite viel Aufmerk samkeit. Diese Politik wurde ausführlich umschrieben im Aktionsplan Drogen und Sucht von 2003 und wurde im Jahr 2007 im Rahmen einer verkürzten Fassung aktualisiert.42 Jede der genannten Säulen umfasst eine Reihe von Maßnahmen. Bei der Prävention geht es zum Beispiel nicht nur um eine systematische Aufklärung von Jugendlichen. Auch wird versucht, ihre unmittelbare Umgebung (Elternhaus, Schulen) in die Anstrengungen zum Verzicht auf Drogenkonsum einzubeziehen. Die Hilfeleistung umfasst sowohl die Beratung über spezielle Telefonnummern als auch die Gewährung ambulanter Hilfe für Suchtkranke. Sie erfasst auch die Einrichtung spezieller Kliniken, in denen die Suchtkranken dann u.U. mit Hilfe eines Ersatzmittels wie Methadon und Diamorphin adäquate Therapien erhalten können. Die Hilfeleistung richtet sich speziell auf die Reduzierung der Zahl der Drogentoten, dies unter anderem durch die Schaffung von Drogenkonsumräumen und das Angebot von besonderen Therapieformen. Das Arsenal an repressiven Maßnahmen reicht von der Zusammenarbeit mit 42 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Aktionsplan Drogen und Sucht, Berlin, 2003. Die aktualisierte Fassung von 2007 trägt den Titel Drogen und Sucht; ein Plan in Aktion, Berlin, 2007. 61 Ländern, in denen illegale Drogen hergestellt werden, und der Kontrolle der Einfuhr und des Handels von bzw. mit legalen Grundsubstanzen, die für die Produktion von illegalen Drogen in Deutschland selbst erforderlich sind, bis hin zur strafrechtlichen Bekämpfung krimineller Organisationen, die an dem (inter)nationalen Handel mit verbotenen Drogen beteiligt sind. Dennoch wird auch der Kleinhandel bis zum Besitz von kleinen Mengen für den eigenen Bedarf und den Bedarf eines Dritten verfolgt. Das berüchtigte Legalitätsprinzip verpflichtet die Polizei in Deutschland zwar, jede strafbare Handlung zur Anzeige zu bringen, geht auf der Ebene der Staatsanwaltschaft aber nicht so weit, dass auch jede strafbare Handlung verfolgt wird oder werden muss.43 Vor allem seit der so genannten Cannabis-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1994, nach der die Staatsanwaltschaft dann auf eine (weitere) Verfolgung verzichten soll, wenn es um den Besitz von kleinen Cannabismengen für den eigenen Bedarf (6 bis 30 Gramm, dies je nach Bundesland, in dem der Verstoß festgestellt wird) geht, führt dieses Delikt in vielen Bundesländern zu einer Verfahrenseinstellung (mit oder ohne weitere Verwarnung) oder zu einer mit Bedingungen verknüpften Einstellung. Schon seit vielen Jahren wird eine Diskussion über die Möglichkeit geführt, die Anwendung des Opportunitätsprinzips in diesem Bereich für ganz Deutschland anzugleichen. Gegenwärtig klaffen die betreffenden Richtlinien über die Straf verfolgung und somit auch über die jeweilige Strafverfolgungspraxis zwischen den einzelnen Bundesländern noch erheblich auseinander.44 4.3.2. Ein Überblick über die Tatsachen Laut den Gutachten der Drogenbeauftragten konsumieren 2 Millionen Jugendliche in Deutschland regelmäßig Cannabis. 2-3% der Jugendlichen in der Altersklasse von 14 bis 17 konsumierten diese Droge regelmäßig. Rund 2,7% der Personen in der Altersklasse von 18 bis 59 konsumierten im Jahr 2006 im letzten Monat vor der Befragung Cannabis; 2,2% konsumieren diese Droge regelmäßig. Etwa 600.000 Menschen in dieser Altersklasse leiden dadurch unter mehr oder weniger großen Problemen. Dies erklärt, warum sich im Zeitraum 1994‑2006 die Zahl der Konsumenten von Cannabis, die um Hilfe gebeten haben, vervierzehnfacht hat. Schätzungen zufolge sind in ganz Deutschland 250.000 Menschen drogen süchtig (ausgenommen Cannabiskonsumenten). Die Zahl der drogenbedingten Toten nimmt in den letzten Jahren gleichwohl ab: von 2.030 im Jahr 2000 auf 1.296 im Jahr 2006; im Jahr 2007 war die Zahl allerdings auf 1.394 angestiegen. Dies wird den 43 Vergleiche D. Van Daele, Het openbaar ministerie en de afhandeling van strafzaken in Duitsland, Löwen, Universitaire Pers Leuven, 2000. 44 C. Schäfer und L. Paoli, Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis, Berlin, Duncker & Humblot, 2006. 62 speziellen Hilfsangeboten zugeschrieben, die in den letzten Jahren für Abhängige organisiert wurden. Ungefähr 70.000 Heroinabhängige werden gegenwärtig mit Ersatzmitteln wie Methadon behandelt.45 Die deutsche Polizei selbst gibt unumwunden zu, dass ihre Zahlen über die Zahl der Tatverdächtigen und die Zahl der Beschlagnahmen wenig über den tatsächlichen Umfang des Drogenhandels und des Drogenkonsums aussagt. Gerade Drogendelikte sind jedenfalls oft sog. Kontrolldelikte, das heißt, die diesbezüglichen Registrierungen sagen mehr über die Anstrengungen von Polizei, Zoll und Justiz als über Drogenprobleme als solche aus. Trotz dieses Umstands ist es relevant, an dieser Stelle einen Blick auf die Gutachten der deutschen Polizei zu werfen. Hierbei geht es in erster Linie um die Gutachten des Bundeskriminalamts.46 Diese ergeben unter anderem, dass im Jahr 2007 in 6.853 Strafsachen 1.074 Kilogramm Heroin beschlagnahmt wurden und in 4.199 Strafsachen 1.888 Kilogramm Kokain. Wichtiger als diese Zahlen ist für das vorliegende Gutachten, dass das beschlagnahmte Heroin nicht selten über den Balkan zuerst in die Niederlande gebracht wurde und dort vor allem von Deutschen in kleinen Mengen zu dem Zweck gekauft wurde, es in Deutschland zu verkaufen oder zu konsumieren. Dasselbe wurde festgestellt in Bezug auf die Einfuhr von Kokain in Deutschland. Oft kam dieses Kokain aus den Niederlanden, die ihrerseits wiederum als Ein- beziehungsweise Durchfuhrland für das Kokain aus Südamerika fungiert hatten. Diese Daten bestätigen demnach die Erkenntnisse von Europol, dass (auch) die Niederlande für diese beiden Drogen ein Umschlagzentrum bilden. In gewissem Maße gilt dies auch für synthetische Drogen und insbesondere für Ecstacy. Im Jahr 2007 wurden in 7.662 Strafsachen 820 Kilogramm (Meth‑) Amphetamine beschlagnahmt und in 2.495 Fällen 985.218 Ecstasypillen. Das Bundes kriminalamt merkt dazu an, dass diese Drogen hauptsächlich aus den Niederlanden kamen und somit in nur geringem Maße aus Ländern wie Belgien, Polen und der Schweiz. Und bei Cannabis sieht dies nicht viel anders aus. Sowohl im Falle von Marihuana (in 21.831 Fällen 3.770 Kilogramm) als auch bei Haschisch (in 9.762 Fällen 3.678 Kilogramm) kamen die beschlagnahmten Mengen überwiegend aus den Niederlanden. Übrigens werden inzwischen auch in Deutschland große und kleine Outdoor- und Indoor-Plantagen entdeckt. Die erstgenannten Plantagen vor allem in Bayern und Rheinland-Pfalz, die letztgenannten vor allem in Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2007 handelte es sich dabei um 83 Outdoor-Plantagen und um 347 IndoorPlantagen. 45 Siehe dazu vor allem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Drogen- und Suchtbericht 2008, Berlin 2008. 46 Zurückgegriffen wurde im Folgenden vor allem auf Bundeskriminalamt, Rauschgift; Jahreskurzlage 2007, Wiesbaden, 2008. 63 Dass Niederländer im Allgemeinen keine Hauptrolle beim Drogenhandel in Deutschland spielen, kann aus den Gutachten des Bundeskriminalamts über die organisierte Kriminalität in Deutschland abgeleitet werden. Das jährliche Gutachten über die Situation im Jahr 2006 – das letzte, das veröffentlicht wurde – zeigt, dass in jenem Jahr sowieso nur eine geringe Zahl niederländischer krimineller Organisationen in Deutschland entdeckt wurde (11 der 622 Organisationen mit insgesamt 91 Tatverdächtigen). Und bei den Ermittlungen über Drogenhandel – die den Löwenanteil der Ermittlungen ausmachten (219) – wurde festgestellt, dass in Deutschland nicht niederländische kriminelle Organisationen auf diesem Gebiet die Führungsrolle innehatten, sondern türkische und deutsche Organisationen, und zwar auch beim Handel mit Cannabis und beim Handel mit synthetischen Drogen.47 Speziell zur Situation in Nordrhein-Westfalen ist zu sagen, dass im Jahr 2007 34.767 Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Form des Besitzes beziehungsweise des Kleinhandels von bzw. mit Drogen ergangen sind; hierbei ging es vor allem um Cannabis, Heroin und Amphetamine. Insgesamt 21.992 Anzeigen wurden wegen illegalen Drogenhandels ausgefertigt, hierbei ging es vor allem wieder um Cannabis (15.880), Heroin (2.260) und Amphetamine (1.774). Und in 1.348 Fällen wurde im Jahr 2007 die illegale Einfuhr von Drogen festgestellt; in 817 Fällen ging es hierbei um Cannabis, in 236 Fällen um Heroin, in 128 Fällen um Kokain und in 101 Fällen um Amphetamine. Angesichts der Drogenmengen, die in allen diesen Fällen beschlagnahmt wurden (z.B. 318 Kilogramm Heroin im Jahr 2007, 126 Kilogramm Kokain, 397 Kilogramm Haschisch und 1.025 Kilogramm Marihuana) ging es sowohl bei dem Handel als auch bei der Einfuhr vorwiegend um kleine Mengen. Aus der Reihe fiel der Fund von 150 Kilogramm Heroin im Jahr 2007 bei türkischen Drogen schmugglern in Bocholt. Im selben Jahr 2007 wurden in Nordrhein-Westfalen 102 Indoor-Plantagen für die Cannabiszucht ausgehoben, davon 11 mit mehr als 1000 Pflanzen und 40 mit 100 bis 1000 Pflanzen. Dies war übrigens nicht zuletzt das Ergebnis eines Projekts, mit dem 2006 begonnen wurde, um speziell mögliche (niederländische) Betreiber von Cannabisplantagen zu bewegen, das Gebiet dieses Bundeslandes zu verlassen. Dieses Projekt wurde ins Leben gerufen, nachdem in diesem Jahr mehr als 50 große bzw. professionelle Plantagen entdeckt worden waren.48 Diese Situation ähnelt natürlich sehr derjenigen im belgischen Grenzgebiet, wo ebenfalls – wie oben dargestellt wurde – große Hanfplantagen errichtet wurden und werden, die in der einen oder anderen Weise einen Bezug zu den Niederlanden haben bzw. zu Niederländern, die an der Einrichtung der Plantagen oder an dem Cannabisvertrieb über Coffeeshops beteiligt sind. 47 Bundeskriminalamt, Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2006; Pressefreie Kurzfassung, Wiesbaden, 2007. 48 Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, Projekt Cannabisplantagen; Abschlussbericht, Neuss, 19.10.2007. 64 Bemerkenswert ist, dass es sich im Jahr 2007 bei den Tatverdächtigen ausländischer Herkunft vor allem um Türken (3.545) handelte und in viel geringerem Maße etwa um Italiener (604), Marokkaner (555) und Polen (366). Die Zahl der niederländischen Tatverdächtigen betrug 378. Gegen die meisten von ihnen wurde Strafanzeige gestellt wegen des Besitzes und (Klein‑)Handels von bzw. mit Drogen, und es gab 47 Fälle der illegalen Einfuhr von Drogen. Die Zahl der drogenbedingten Todesfälle in Nordrhein-Westfalen lag im Jahr 2006 bei 350 und im Jahr 2007 bei 374.49 4.4. Die Situation in Frankreich 4.4.1. Die politischen Rahmenbedingungen Im Jahr 2002 führte eine Kommission des Sénat Untersuchungen über die nationale Politik gegen illegale Drogen durch.50 In dem Gutachten, das sie im Mai 2003 veröffentlichte, beschrieb die Kommission nicht nur ein erschreckendes Bild vom Drogenkonsum und Drogenhandel in Frankreich, sondern äußerte sie sich auch besonders kritisch über die Politik bis zu diesem Zeitpunkt. Die Kommission prangerte vor allem an, die bisherige Politik sei viel zu einseitig auf die Kontrolle des Problems der Drogensucht gerichtet und in diesem Punkt sogar infiziert von den Ideen, die die Mehrheit der Franzosen ohne weiteres ablehne, wie die Depönalisierung des Cannabiskonsums. Daher ist es auch nicht so erstaunlich, dass in Frankreich noch immer eine sehr große Zahl der Konsumenten von Cannabis verfolgt wird, fast 91.000 im Jahr 2005. In den allermeisten Fällen liegt die strafrechtliche Reaktion allerdings in einer Verwarnung oder einer alternativen Strafe, zum Beispiel der Verweisung in ein Hilfeleistungsprogramm (injonction thérapeutique). Letzteres ist möglich, weil auch in Frankreich im Laufe der Jahre ein umfangreiches System spezialisierter Hilfeleistung in Bezug auf problematische Konsumenten aufgebaut wurde. Es handelt sich hierbei um Zentren für ambulante Gesundheitsfürsorge (204), kommunale Suchtzentren (48) und stationäre Betreu ungszentren (16). Daneben gibt es in vielen allgemeinen Krankenhäusern Zentren beziehungsweise Ärzte, die auf die Suchtproblematik spezialisiert sind. Die Fürsorge, die an allen diesen Orten gewährt wird, umfasst falls erforderlich auch die Verabrei chung von Ersatzmitteln wie Methadon. Im Jahr 2004 erhielten in den Fachzentren rund 26.000 Menschen Ersatzmittel, davon fast 15.000 Methadon und gut 11.000 49 Die oben genannten Angaben stammen vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, Rauschgift- kriminalität; Lagebild Nordrhein-Westfalen 2007, Düsseldorf, 2008. 50 Sénat, Rapport de la commission d’enquête sur la politique nationale de lutte contre les drogues illicites, Paris, Sénat, 2002-2003, Nr. 321. 65 Buprenorphin. 2005 wurden in ganz Frankreich bei den vorhandenen Einrichtungen spezielle Beratungsstellen für (junge) problematische Konsumenten von Cannabis eingerichtet; zurzeit gibt es 280 solcher Stellen. Die heutige Politik in Frankreich wurde kürzlich zusammengefasst in einem speziellen Plan gouvernemental de lutte contre les drogues et les toxicomanies, 2008-2011.51 Dieser Strategieplan nennt fünf Säulen: Prävention, Repression, Hilfeleistung, Forschung und internationale Zusammenarbeit. Bei der Prävention geht es unter anderem um (allgemeine und spezielle) Aufklärungskampagnen für Schüler, bestimmte Berufsgruppen etc. Im Bereich der Hilfeleistung ist zu denken an die (Weiter‑)Bildung von Fachleuten, die mit Suchtproblemen konfrontiert werden, und an die Erhöhung der Zahl der Jugend lichen, die über Beratungsmaßnahmen gezielte Hilfe erlangen können (bis 120.000). Im Bereich der Forschung geht es um die Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung über Drogen und Drogensucht, aber natürlich auch um Untersuchungen über die Effektivität von Behandlungsmethoden. Die Säule „Internationale Zusammenarbeit“ steht unter anderem im Zeichen einer Verschärfung der Kontrollen auf den Verkehrsrouten, über die Drogen nach Frankreich eingeführt werden; dieser Bereich richtet sich insbesondere auf die Intensivierung der diesbezüglichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern im Mittelmeerraum. Bei der Frage der Repression – der Säule, die uns hier vor allem interessiert – lautet der Ausgangspunkt, dass das Drogenangebot erheblich reduziert werden muss. In diesem Zusammenhang will die französische Regierung unter anderem den vielen Hobbyzüchtern von Cannabis den Kampf ansagen, zum Beispiel durch den Einsatz von besseren Detektoren. Daneben sollen die Möglichkeiten erweitert werden, die Anlieferung von Präkursoren zur Herstellung synthetischer Drogen einzudämmen. Angestrebt wird darüber hinaus eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union, etwa in Form der Bildung multinationaler Abstim mungsorgane, des Einsatzes gemeinschaftlicher Fahndungseinheiten und einer interkontinentalen Zusammenarbeit der Justiz. 4.4.2. Ein Überblick über die Tatsachen Die oben bereits angesprochene Untersuchungskommission des Sénat zeichnete wie gesagt ein alarmierendes Bild des Drogenkonsums und damit auch des Drogenhandels in Frankreich. Dieses Bild wurde beherrscht von einigen Einsichten und Erkenntnissen, u.a. dass der Cannabiskonsum vor allem bei Jugendlichen stark zugenommen hatte, dass in bestimmten Großstädten eine Drogenwirtschaft im 51 Dieser Plan wurde 2008 veröffentlicht von der Mission interministérielle de lutte contre la drogue et la toximanie in Paris. 66 Untergrund florierte, die das soziale Leben zersetzt hat, dass bei allen möglichen Feierlichkeiten der Konsum von synthetischen Drogen überhand nahm und dass der mafiöse internationale Drogenhandel so sehr angestiegen war, dass er ganze Staaten destabilisierte und eine ernste Bedrohung für die Weltwirtschaft darstellte. Konkret stellte die Kommission für Frankreich fest, dass im Jahr 2003 9,5 Millionen Menschen ab und zu Cannabis ausprobierten, 3,8 Millionen Menschen diese Droge gelegentlich nahmen und 2,4 Millionen Menschen sogar täglich Cannabis konsumierten. Auch wenn die Zahl der Heroinsüchtigen einigermaßen stabil geblieben sein dürfte (zwischen 150.000 und 200.000), legte die Zunahme beim Konsum von Kokain den Gedanken nahe, dass die Zahl der Abhängigen von harten Drogen in naher Zukunft zunehmen wird. Darüber hinaus war der schnell ansteigende Konsum von synthetischen Drogen und hier vor allem von Ecstacy ihrer Ansicht besorgniserregend: 3,7% der jungen Männer im Alter von 19 hatten mit Ecstacy experimentiert und 6,7% mit Amphetaminen. Und schließlich gab es ihrer Ansicht nach noch das wachsende Problem der zunehmenden Zahl von Menschen, die selbst mit dem Anbau von Cannabis begannen. Der Haltung von Frankreich in der Schengen-Debatte entspricht es, dass die Niederlande in diesem Gutachten in einigen Punkten als einer der wichtigsten Verursacher der Probleme dargestellt werden. Diejenigen, die Cannabis anbauen, kaufen die benötigten Produktionsmittel in den Niederlanden. Das Kokain, das in Frankreich konsumiert wird, stammt zu einem großen Teil nicht nur aus Spanien, sondern auch aus den Niederlanden und Belgien, dies unter anderem über die Drogenhäuser. Beim Heroin sieht es nicht anders aus: Die Beschlagnahmen in Frankreich zeigen, dass Heroin in erheblichem Umfang aus den Niederlanden eingeführt wird. Dasselbe bei Haschisch aus Marokko, das zwar zum Teil direkt importiert wird, zu einem großen Teil aber auch über die Niederlande nach Frankreich gelangt, gegebenenfalls umverpackt in kleinere Portionen. Für die synthetischen Drogen gilt schließlich, dass es sich dabei in erheblichem Umfang um Pillen handelt, die in den Niederlanden und manchmal auch in Belgien oder zumindest im niederländisch-belgischen Grenzgebiet von international verzweigten kriminellen Netzwerken hergestellt werden. Im Zusammenhang mit den obigen Ausführungen ist an dieser Stelle nachdrücklich auf die Mobilität hinzuweisen, die vor allem nordfranzösische Drogentouristen schon seit vielen Jahren in Richtung Niederlande und Belgien und vor allem in Richtung der Coffeeshops im niederländischen Teil der Euregio MaasRhein an den Tag legen. Dies ist somit kein neues Phänomen, sondern ein Umstand, der schon zum Zeitpunkt der Diskussionen über das Schengener Durch führungsübereinkommen eine wichtige Rolle spielte. Darum ist es höchst eigenartig, dass die französischen Behörden, die damals starke Worte in Richtung Niederlande fanden, französische Staatsangehörige, die ihnen von der niederländischen und belgischen Justiz wegen der Begehung von Drogenstraftaten gemeldet wurden, nie 67 systematisch verfolgt und verurteilt haben.52 Laut aktuelleren Gutachten hat sich das Drogenproblem in Frankreich in bestimmten Punkten seit 2003 erheblich verändert.53 So ist die Zahl der Personen, die regelmäßig Cannabis konsumieren (mindestens 10 mal pro Monat), auf 1,2 Millionen gesunken, und hat die Zahl der täglichen Konsumenten auf 550.000 abgenommen. Die Zahl der Menschen, die ab und zu mit Cannabis experimentieren, beläuft sich dagegen auf 12,4 Millionen statt 9,5 Millionen im Jahr 2003. Und die Zahl der Franzosen, die selbst Cannabis anbauen, hat sich seit 1970 auf 200.000 erhöht. Das benötigte Material finden sie bei rund sechzig allgemeinen und spezialisierten Gartenzentren. Übrigens wird im Süden von Frankreich im Verhältnis mehr Cannabis konsumiert als im Norden. Dieser Unterschied ändert allerdings nicht viel an der Verfügbarkeit von Cannabis: 2006 gaben 6 von 10 Personen in der Altersklasse 15-64 Jahre (58%) an, dass es für sie kein Problem wäre, innerhalb von 24 Stunden in den Besitz von Cannabis zu gelangen; 6 von 10 Konsumenten antworteten in einer Umfrage, dass sie Cannabis gewöhnlich angeboten bekämen, 3 von 10, dass sie es selbst kaufen. Der Preis von Marihuana und Haschisch schwankt in den letzten Jahren zwischen 4 und 5 Euro pro Gramm. Jährlich sterben ungefähr 230 Personen an den Folgen des übermäßigen Cannabiskonsums.54 In Bezug auf den Konsum von Kokain wird geschätzt, dass die Zahl der Konsumenten seit 2003 von 150.000 auf 200.000 zugenommen hat, dies vor allem in den Altersklassen 18 bis 25 (3,4%) und 25 bis 44 (3,9%). Diese Zunahme geht zum Teil auf das Konto junger Menschen in der erstgenannten Kategorie. So stieg die Zahl der siebzehnjährigen Jungen, die Kokain konsumieren, von 1,3% im Jahr 2000 auf 3% im Jahr 2005. Ob dieser Anstieg etwas mit dem im Jahr 2005 auf 58 Euro per Gramm gesunkenen Preis zu tun hat, ist unklar. Auch konnte nicht festgestellt werden, ob der Anstieg mit der großen Zahl von Personen zusammenhängt, die gelegentlich mit Kokain experimentiert (1,1 Millionen). Fest steht aber, dass auch Kokain in Frankreich ziemlich leicht erhältlich ist. Dank der neuen Behandlungsmethoden – unter Einsatz von Ersatzmitteln, vor allem für Heroin – hat sich die Zahl der problematischen Heroinkonsumenten 52 Siehe den Beitrag von B. De Ruyver u.a. über Drogenhäuser in dem oben mehrfach zitierten Buch von B. De Ruyver und T. Surmont. 53 Siehe vor allem Observatoire français des drogues et des toxicomanies, 2006 National Report (2005 data) to the EMCDDA by the Reitox National Focal Point; France: new developments, trends and in-depth information on selected issues, Paris, 2006. Und von demselben Beobachtungszentrum: Drogue; chiffres clés, Paris, 2007. Siehe ferner den Artikel von E. Apaire, „La lutte contre les drogues und France; l’affaire de tous, la responsabilité de chacun“, Cahiers de la Sécurité, 2008, Nr. 5, S. 7-13. 54 J-M. Costes (Hrsg.), Cannabis; données essentielles, Paris, Observatoire français des drogues et des toxicomanies, 2008. 68 erheblich reduziert. Sie ist in den vergangenen Jahren auf weniger als 150.000 Personen gesunken. Der Preis von Heroin lag im Jahr 2006 übrigens erheblich niedriger als der von Kokain: 40 Euro. Rund 360.000 Menschen experimentierten in diesem Jahr mit Heroin. In Bezug auf den Konsum von Ecstacy zeigen die Zahlen von 2006, dass jährlich rund 800.000 Menschen damit experimentieren: 200.000 Menschen schlucken auf Jahresbasis regelmäßig Ecstacy. Bei den Jugendlichen von 17 haben 2,8% der Mädchen und 4,2% der Jungen schon einmal Erfahrungen mit Ecstacy gemacht. Der Preis einer Pille ist seit dem Jahr 2000 von 15 Euro auf 6 Euro im Jahr 2006 und auf 2 bis 3 Euro heute gesunken. Der Konsum von Amphetaminen liegt übrigens niedriger als der Konsum von Ecstacy. Während 2% der Personen zwischen 15 und 64 manchmal mit Ecstacy experimentierten, liegt diese Zahl bei Amphetaminen bei 1,4%. Der Preis von Amphetaminen liegt übrigens höher als der von Ecstacy, im Durchschnitt bei rund 15 Euro pro Gramm. Fast die Hälfte der Drogensüchtigen, die sich an spezialisierte Behand lungszentren wenden, hat große Probleme mit dem Konsum von Cannabis. Zurzeit geht es dabei um circa 25.000 bis 26.000 Personen (im Jahr 2001 lediglich 12.000). Das Durchschnittsalter dieser Abhängigen beträgt 23,5 Jahre. Die Gesamtzahl problematischer Konsumenten von harten Drogen (Kokain und Heroin) liegt gegenwärtig zwischen 150.000 und 180.000. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass sich nach den Cannabiskonsumenten vor allem Konsumenten von Heroin oder Kokain bei den Behandlungszentren melden. Aus den polizeilichen Ermittlungen geht hervor, dass das Marihuana zu einem sehr großen Teil aus den Niederlanden und Belgien stammt und im Übrigen vor allem aus dem karibischen Raum. Das Haschisch kommt unmittelbar über die Häfen von Bordeaux, Nantes, Le Havre und Marseille sowie mittelbar über Spanien aus Marokko. Dies erklärt, warum drei Viertel von dem Cannabis, das in Frankreich (weiter‑)verkauft wird, von dem (französischen) grand banditisme eingeführt wird, der sich in Spanien eingenistet hat. Der größte Teil (56,6%) des (beschlagnahmten) Kokains wurde direkt aus der Karibik nach Frankreich eingeführt. Mehr als die Hälfte des beschlagnahmten Heroins kam dagegen unmittelbar aus den Niederlanden (im Jahr 2004 nur noch 25%) und ansonsten unter anderem aus Belgien. Dabei ist anzumerken, dass ein Teil des beschlagnahmten Heroins nicht für den französischen Markt bestimmt war, sondern für die Märkte in Spanien und im Vereinigten Königreich. Dieser letzte Umstand macht deutlich, warum heute als gesicherte Erkenntnis gilt, dass Frankreich im Drogenhandel nicht nur ein Bestimmungsland ist, sondern auch ein Durchfuhrland. Dies ergibt sich übrigens auch aus einigen Maßnahmen, die in den oben genannten Aktionsplan über Drogen und Drogensucht aufgenommen wurden, etwa der Intensivierung der Zusammenarbeit mit drogenproduzierenden Ländern außerhalb der Europäischen Union, zum Beispiel Marokko und Kolumbien. 69 4.5. Die Situation in den Niederlanden 4.5.1. Die politischen Rahmenbedingungen 4.5.1.1. Die allgemeinen Ausgangspunkte Auch in den Niederlanden hat die Drogenpolitik eine lange Geschichte, die an dieser Stelle nicht in vollem Umfang beschrieben werden kann und soll. In diesem Fall ist eine Beschränkung auf die Grundzüge der geltenden Drogenpolitik geboten. Hauptziel dieser Politik ist der Schutz der Gesundheit des Einzelnen, seines unmittelbaren Umfelds und der Gesellschaft als Ganzes. Die Politik richtet sich einerseits auf die Eindämmung der Nachfrage nach Drogen durch eine aktive Für- und Vorsorgepolitik und andererseits auf die Reduzierung des Angebots durch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Eine dritte Säule der Politik liegt in den Anstrengungen zur Bekämpfung der Belästigungen, die vom Drogenkonsum ausgehen, und in der Wahrung der öffentlichen Ordnung.55 Die gesetzlichen Regelungen über Drogen sind im Opiumgesetz (Opiumwet) festgelegt. In diesem Gesetz wird zwischen harten und weichen Drogen unterschieden. Die schwersten Strafen stehen auf Einfuhr und Ausfuhr von Drogen, gleichgültig, ob es sich um weiche oder harte Drogen handelt. Der Konsum von Drogen ist nicht strafbar, um so weit wie möglich zu verhindern, dass sich Drogenkonsumenten illegalen Kreisen anschließen, in denen sie für Prävention und Hilfeleistung schwieriger zu erreichen sind. Aus diesem Grund wird auch der Verkauf von weichen Drogen in Coffeeshops geduldet. Auf diese Art und Weise, so lautet der Ausgangs punkt, kann verhindert werden, dass Konsumenten bei der Beschaffung von Cannabis mit einem kriminellen Umfeld in Berührung kommen. Die Ermittlung von Verstößen gegen das Opiumwet und die anschließende Strafverfolgung werden von den allgemeinen Verwaltungsvorschriften beherrscht, wie sie von der niederländischen Generalstaatsanwaltschaft (college van procureursgeneraal) in der Anweisung zum Opiumgesetz (Aanwijzing Opiumwet) vom 2. November 2000 formuliert wurden.56 Wie bereits angedeutet, wird darin zunächst unterschieden zwischen einer „Duldungspolitik“ und der „Ermittlungspriorität“. Der Duldungs politik im Hinblick auf Coffeeshops und den individuellen Besitz von verbotenen Drogen (weniger als 5 Gramm für den eigenen Bedarf oder nicht mehr als 5 Pflanzen im Fall der Cannabiszucht) liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Bedeutung der Durchsetzung des Opiumwet in diesem Fall höheren allgemeinen Belangen weichen muss, nämlich der Gesundheit der Bürger (durch Trennung der Märkte) und der 55 Siehe allgemein T. Blom, Opiumwetgeving en drugsbeleid, Deventer, Kluwer, 2008. 56 Diese Anweisung ist der Website der Staatsanwaltschaft zu entnehmen: http://www.om.nl/beleid/. 70 öffentlichen Ordnung; dieser Ausgangspunkt liegt auch der Duldung der so genannten Drogenkonsumräume zu Grunde, solange dort nicht Drogen verabreicht oder mit Drogen gehandelt wird. Die Zuerkennung einer niedrigeren Ermittlungspriorität in Bezug auf bestimmte Kategorien von strafbaren Handlungen basiert dagegen auf der Abwägung zwischen der relativen Schwere der betreffenden strafbaren Handlungen und den Kapazitätserwägungen. Handelt es sich um andere Verstöße gegen das Opiumwet als um Fälle des Besitzes von Drogen beziehungsweise des Anbaus von Cannabis für den eigenen Bedarf, werden in dieser Anweisung jedoch keine Prioritäten bestimmt: Nicht nur für das Einführen und Ausführen von Drogen, sondern auch für das Herstellen, Bearbeiten, Verkaufen, Liefern, Verabreichen oder Transportieren von Drogen und für eine diesbezügliche Bevorratung müssen formal ohne Ausnahme gezielte Ermittlungen geführt werden, notfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln. Auch dann, wenn weiche Drogen in einer Menge zwischen 5 und 30 Gramm (oder mehr) bei Volljährigen angetroffen werden, hat eine strafrechtliche Reaktion zu erfolgen. In Bezug auf die Coffeeshops im Besonderen wird in dieser Anweisung bestimmt, dass die Staatsanwaltschaft mit der örtlichen Verwaltung bei der Ausarbeitung der diesbezüglichen örtlichen Politik zusammenarbeitet, und hier vor allem auch beim Einsatz strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Instrumente, wie der Schließung von Coffeeshops durch den Bürgermeister bei Zuwiderhandlungen gegen die politischen Vorgaben (die sog. Damokles-Politik), um diese politischen Leitlinien zu betonen. Bei der Beurteilung der Frage, ob gegen einen Coffeeshop strafrechtlich vorzugehen ist, gelten die folgenden Kriterien (abgekürzt AHOJGKriterien): - Keine Anbringung von Werbetafeln und Plakaten: Also keine andere Werbung als eine knappe Bezeichnung an der betreffenden Lokalität. - Keine harten Drogen: Das bedeutet, dass keine harten Drogen vorhanden sein dürfen bzw. verkauft werden dürfen. - Keine Belästigungen: Belästigungen können Parkplatzprobleme, Lärmbelästi gungen oder Verschmutzungen sein. - Kein Verkauf an Jugendliche und kein Zugang für Jugendliche zu einem Coffee shop (Altersgrenze 18 Jahre). - Kein Verkauf von großen Mengen pro Transaktion: Das heißt, keine größeren Mengen als solche für den eigenen Bedarf (= 5 Gramm). Als eine einzige Transaktion in diesem Sinne gilt jeder An- und Verkauf in einem jeweiligen Coffeeshop am selben Tag in Bezug auf denselben Käufer. In Bezug auf den Handelsvorrat in einem Coffeeshop wird in der Anweisung bestimmt, dass dieser auf jeden Fall 500 Gramm nicht übersteigen darf. Diese – zumindest für einen florierenden Coffeeshop – relativ kleine Menge rückt natürlich wieder die 71 Problematik der „Hintertür“ ins Bild: der völlig illegalen Anlieferung der benötigten weichen Drogen vor allem durch kriminelle Gruppen. Die niederländische Regierung hat diese Problematik – und damit die Widersprüchlichkeit und Ambiguität der niederländischen Drogenpolitik – nie verleugnet. Im Rahmen einer Stellungnahme des Justizministers Korthals hat sie diesen Aspekt sogar in vollem Umfang in einem Bericht vom 7. April 2000 gegenüber dem Parlament mit dem Titel Het pad naar de achterdeur („Der Weg zur Hintertür“) dargelegt. Darin wurde unumwunden erklärt, dass ein Vorrat von 500 Gramm an Hanfprodukten tatsächlich geduldet würde, dass jedoch Coffeeshops, die größere Vorräte hätten, strafrechtlich verfolgt werden müssten. Dabei wurde wohl angemerkt, dass die Bevorratung der Coffeeshops und der Hobbyanbau von Nederwiet bei Polizei und Justiz nur eine „begrenzte Ermitt lungspriorität“ hätten. Denn, so erkannte man, nur durch diese – sozusagen erweiterte – Duldungspolitik konnten die damals vorhandenen 840 Coffeeshops ihre Kunden aus dem In- und Ausland bedienen. Dass diese Politik verschiedene große Probleme verursacht, wurde in diesem Bericht durchaus zugegeben. Verwiesen wurde dabei einerseits auch auf die Zunahme des semi-professionellen Hobbyanbaus und damit auf den starken Aufschwung der organisierten Kriminalität in diesem Bereich, aber auch auf die steigende Beeinträchtigung der Lebensqualität in Problemvierteln. Andererseits wurde angenommen, dass „durch das offensichtliche Unvermögen, die Produktion von Nederwiet und den diesbezüglichen Handel richtig zu bekämpfen“, die Glaubwürdigkeit des Staates ernsthaft in Gefahr geraten war. Außerdem wurde kein Geheimnis aus den Konsequenzen dieser Politik für die Gemeinden in Grenzgebieten (wie Venlo und Arnheim) gemacht, die darüber hinaus: „noch zu kämpfen (haben) mit dem Zustrom von Drogentouristen und dem der damit zusammenhängenden Vergrößerung der Probleme. Der Einsatz der vorhandenen verwaltungsrechtlichen und justiziellen Zwangsmittel führt nicht zu einigermaßen akzeptablen Ergebnissen. Bürgermeister fordern vor allem deutliche und durchführ bare Vorschriften. Die heutige Politik spielt der Kriminalität in die Hände und beunruhigt die Bürger. In ihren Augen müsste sich daran kurzfristig etwas ändern.“ Im Anschluss an die Auflistung dieser und anderer Probleme erörterte der Minister Initiativen in Deventer und Tilburg, nach denen mit einer regulierten Züchtung und Anlieferung von Cannabis für die Coffeeshops experimentiert werden sollte. Vor allem in Tilburg lagen bis zu diesem Augenblick detaillierte Pläne für die Realisierung dieser Vorhaben vor. Der Minister wies allerdings mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass nicht nur die Übereinkommen, bei denen die Niederlande Partei waren (und sind), sondern auch verschiedene Vereinbarungen in der Europäischen Union keinerlei 72 Spielraum für solche Experimente ließen.57 Darüber hinaus war er der Meinung, dass durch solche Experimente lange nicht alle großen Probleme gelöst werden könnten. Er verwies dabei auf den Umstand, dass die Ablehnung von nicht-niederländischem Haschisch in den Coffeeshops zu einer Zunahme illegaler Verkaufsstellen führen könnte. Seiner Ansicht nach hätte man in den Experimenten auch den Umstand übersehen, dass laut Polizeiinformationen ein erheblicher Teil des Nederwiet für den Export bestimmt sei. Und nicht weniger wichtig war in seinen Augen, dass eine Lösung der Probleme auf dem Weg der Durchführung von Experimenten große Anstrengung en auf dem Gebiet der Rechtswahrung erfordern würde: Nicht nur müsste das legal erzeugte Cannabis kontrolliert werden, auch die Anlieferung von ausländischem und illegal in den Niederlanden erzeugtem Cannabis müsste bekämpft werden. Dies würde unter anderem bedeuten, dass illegale Erzeugerbetriebe und illegale Verkaufsstellen aufgelöst beziehungsweise geschlossen werden müssten. Korthals kam zu dem Schluss, dass „die Fortsetzung und gezielte Über wachung der heutigen Politik am besten geeignet ist“. Eine Erweiterung dieser Duldungspolitik durch Eröffnung von Möglichkeiten für einen legalen Anbau von Nederwiet sei keine Option. Die sog. AHOJG-Kriterien müssten weiterhin strikt befolgt werden. Die Probleme der Kriminalität und Belästigungen seien vorhanden und müssten sowohl auf strafrechtlichem als auch auf verwaltungsrechtlichem Weg gelöst werden. Und die Niederlande sollten die internationale Diskussion über die geeignete Cannabispolitik fördern; das Verständnis für die niederländische Drogenpolitik sei hierbei eine wichtige Stütze. Nicht zuletzt durch die harte Vorgehensweise bei der Drogenkriminalität werden die Niederlande weiterhin versuchen, die Akzeptanz für diese Politik zu erhöhen. „Dies gilt vor allem für unsere Nachbarländer, die am stärksten und unmittelbar mit den grenzüberschreitenden Folgen der niederländischen Politik konfrontiert werden.“ 4.5.1.2. Die Politik bezüglich verschiedener Arten von Drogen Nicht nur auf der Grundlage dieser Ausgangspunkte, sondern auch auf der Grundlage von (wissenschaftlichen und strafrechtlichen) Untersuchungen und manchmal auch unter schwerem Druck aus dem Ausland hat die niederländische Regierung in den vergangenen Jahren mehr als einmal eine spezifische Politik in Bezug auf die Produktion bestimmter Arten von Drogen und den diesbezüglichen Handel entwickelt. Das bekannteste Beispiel hierfür ist vielleicht der einigermaßen gelungene Versuch, 57 Siehe in diesem Zusammenhang auch die Empfehlung des T.M.C. Asser Instituut, Experimenteren met het gedogen van de teelt van cannabis ten behoeve van de bevoorrading van coffeeshops; internationaalrechtelijke en europeesrechtelijke aspecten, Den Haag, 2005. 73 den Zustrom der meist aus der Karibik stammenden Drugsrunner, die sich die Drogen rektal, vaginal oder oral zuführen (sog. „bolletjesslikkers“), in die Niederlande (vor allem über den Flughafen Schiphol) zu stoppen, indem die Kontrollen auf den diesbezüglichen Flugrouten drastisch verschärft wurden. Weiterreichende Aus wirkungen haben allerdings sowohl die politischen Maßnahmen, die Ende der neunziger Jahre vor allem unter amerikanischem Druck zu Stande kamen, um die Produktion von synthetischen Drogen und den diesbezüglichen Handel einzugrenzen, als auch die Politik der jüngsten Zeit zur Abschaffung eines groß angelegten Hanfanbaus. Die Politik bezüglich synthetischer Drogen In Bezug auf die Politik hinsichtlich der Problematik der synthetischen Drogen ist an dieser Stelle anzumerken, dass diese Frage seit Beginn der neunziger Jahre in zunehmendem Maße politische Aufmerksamkeit erhält. Nicht nur sahen Polizei und Justiz auf Grund ihrer eigenen Ermittlungen, dass die Niederlande eine sehr wichtige Rolle bei der Produktion von synthetischen Drogen, vor allem Ecstacy und Amphe tamin, und beim diesbezüglichen Handel spielten. Auch strafrechtliche Ermittlungen in den umliegenden Ländern und dem entfernteren Ausland führten oft in die Niederlande. Die Folge war, dass vor allem Deutschland und Frankreich großen Druck auf die Niederlande ausübten und die Lösung dieses Problems verlangten. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde im Herbst 1996 in aller Eile die Einheit Synthetische Drogen (Unit Synthetische Drugs) in Eindhoven gegründet, um die überregionale Koordination der strafrechtlichen Ermittlungen auf diesem Gebiet zu stärken und eine Kontaktstelle für Polizei und Justiz im nahen und fernen Ausland zu schaffen; darüber hinaus sollte diese Einheit selbst Ermittlungen mit einem nationalen oder internationalen Charakter durchführen. Obwohl diese Einheit durchaus erfolgreich war – im Jahr 1999 wurden auch durch ihr Zutun 36 Produktionsstätten für synthetische Drogen entdeckt und wurden 3,66 Millionen Pillen beschlagnahmt – und auch von den regulären Polizeikorps selbst immer mehr größere Ermittlungen über den Handel mit synthetischen Drogen durchgeführt wurden (131 im Jahr 2001), nahm die Kritik an den Niederlanden im Ausland und vor allem in den Vereinigten Staaten immer mehr zu. Dies war der Grund, warum 2001 ein Sonderprogramm gegen Ecstacy („Samenspannen tegen XTC“) eingeleitet wurde. In diesem Programm ging es nicht nur um eine erhebliche Verstärkung von Polizei, Justiz und Zoll zur besseren Bekämpfung von synthetischen Drogen auf der ganzen Linie (von der Einfuhr von Präkursoren bis zur Verfolgung von wichtigen Drogenbossen), sondern auch darum, auf verschiedene Arten die internationale Zusammenarbeit zu intensivieren, etwa durch die Gründung von Polizeipartner schaften. Diese Intensivierung in der Politik spiegelte sich auch in den Zahlen wider. 74 2003 wurden noch 37 Produktionsstätten ausgehoben (im Jahr 2002 43), wurden 115 große Ermittlungen eingeleitet und wurden 5,4 Millionen Pillen beschlagnahmt. Im Rahmen ausländischer Ermittlungen wurden in diesem Jahr 12,9 Millionen Pillen beschlagnahmt, die in der einen oder anderen Hinsicht in Beziehung zu den Niederlanden standen. 2004 schien diese Politik allerdings ihren größten Wirkungs grad erreicht zu haben. Nicht nur, weil sich damals jedenfalls die Amerikaner sehr zufrieden über die Anstrengungen äußerten, die die Niederlande erbracht hatten, sondern auch, weil diese Anstrengungen offenbar zumindest auf niederländischem Boden Erfolg hatten. Die Zahl der 2004 angetroffenen Labore zum Beispiel betrug 29 und fiel im Jahr 2005 zurück auf 2. Damit verschwand die Problematik der synthetischen Drogen fast völlig von der politischen Tagesordnung. Aus diesem Grund, aber auch aus Gründen im Zusammenhang mit bestimmten Reorganisationen im Polizeiwesen, wurde die Unit Synthetische Drugs im Jahr 2004 in die Nationale Recherche integriert, einem Teilbereich des Korps Nationale Polizeidienste (Korps Landelijke Politiediensten).58 Die Politik bezüglich Cannabis In Bezug auf Cannabis wurde die Politik in den vergangenen Jahren unstrittig er heblich verschärft. Diese Intensivierung der Politik nahm zum ersten Mal konkrete Form an in dem so genannten Cannabisbrief vom 23. April 2004.59 Darin wurde angekündigt, dass die Politik in Bezug auf den Anbau von Cannabis und den diesbezüglichen Handel weiter verschärft und dass die Zahl der Coffeeshops weiter reduziert werden müsse, ohne dass dadurch das Pendel in Richtung des nichtgeduldeten Verkaufs von Cannabis ausschlagen dürfe. Um dies zu erreichen, wurde eine integrierte Vorgehensweise vorgeschlagen.60 Erstens trugen die örtlichen Behörden (Bürgermeister, Staatsanwaltschaft und Polizei) weiterhin die Verantwortung für die Erfüllung und strikte Einhaltung der örtlichen Coffeeshop-Politik, dies unter anderem durch die tatsächliche Umsetzung der bereits erwähnten Damokles-Regelung, aber auch durch ein Screening von Genehmigungsanträgen auf der Grundlage des (neuen) Gesetzes zur Förderung der Integritätsbeurteilung durch die öffentliche Verwaltung (Wet Bevordering Integriteit Beoordelingen door het Openbaar Bestuur; im Folgenden: BIBOB). Zweitens wurde unter anderem im Lichte des Rahmenbeschlusses zum 58 Siehe T. Spapens, Interactie tussen criminaliteit en opsporing; de gevolgen van opsporingsactiviteiten voor de organisatie en afscherming van xtc-productie en –handel in Nederland, Antwerpen, Intersentia, 2006, S. 131-165. 59 Tweede Kamer, 2003-2004, 24077, Nr. 125. 60 Siehe F. Bovenkerk und W. Hogewind, Hennepteelt in Nederland: het probleem van de criminaliteit en haar bestrijding, Zeist, Kerckebosch, 2003. 75 illegalen Drogenhandel der Europäischen Union und in Antwort auf die diesbezüg liche Kritik des Auslands angekündigt, dass die Eindämmung des Drogentourismus vor allem in Grenzgebieten energisch vorangetrieben werden soll, indem insbesondere durch ein Testprojekt in Maastricht ermittelt werden sollte, ob es möglich sei, den Verkauf von weichen Drogen an nicht in den Niederlanden wohnhafte Personen auf ein Mindestmaß zu begrenzen, aber daneben auch durch eine Erweiterung der grenzüberschreitenden operationellen Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Polizeibehörden. Um einem möglichen Ausweichverhalten auf nicht-geduldete Verkaufsstellen entgegenzuwirken, würde die Regierung dafür sorgen, dass diese Verkaufsstellen vor allem in Grenzgebieten bekämpft würden. Diese Erweiterung und Stärkung der sog. Damokles-Politik sah eine Änderung des Opiumwet vor, das am 1. November 2007 in Kraft trat und das es erleichtert, auch Wohnungen zu schließen, von denen aus Drogen verkauft werden. Es genügt seither, dass ein Verstoß gegen das Opiumwet festgestellt wird. Eine Störung der öffentlichen Ordnung ist hierbei nicht mehr Voraussetzung. Drittens wurde zugesagt, dass der Kampf gegen den Anbau von Cannabis intensiviert werde. Diese Intensivierung sollte einerseits durch den Einsatz aller verfügbaren verwaltungsrechtlichen Mittel (Wohnungsbauvorschriften, Raumord nungsrecht etc.) zur Bekämpfung der Belästigungen erfolgen und andererseits im Wege der Anwendung des Strafrechts zur Eindämmung der organisierten Kriminalität, die hinter dem Marihuanaanbau steht. Mit Schreiben vom 16. Juni 2006 an die Zweite Kammer wurde ferner angekündigt, dass die integrale Politik noch intensiviert werden sollte.61 Investiert werden sollte laut diesem Papier unter anderem in mehr Zusammenarbeit zwischen allen Parteien auf lokaler Ebene bei der Bekämpfung des Hanfanbaus, in eine systematische Erweiterung der Vorgehensweise gegen diesen Anbau im ganzen Land, in die Entwicklung von besseren Methoden zum Aufspüren von Hanfplantagen und in die Verbesserung der Kommunikation mit der Bevölkerung über die Gefahren des Hanfanbaus und über die negativen Folgen für Täter im Falle der Aufdeckung einer Straftat. Neu war die Ankündigung, dass gegen die Growshops vorgegangen werde, die in illegaler Weise „Motor und Anreiz für den Hanfanbau“ seien.62 Ferner wurden verstärkt überregionale Beratungen über die Bekämpfung des Hanfanbaus in Aussicht gestellt, unter anderem über die Veranstaltung von Konferenzen über best practices. Das Höchststrafmaß für die Herstellung, den Handel und den Besitz von bzw. mit großen Mengen an weichen Drogen wurde schließlich im Juni 2006 von vier auf sechs Jahre Freiheitsstrafe erhöht. 61 Tweede Kamer, 2005-2006, 24077, Nr. 184. 62 J. Snippe, B. Bieleman, H. Naayer und C. Ogier, Preventieve doorlichting cannabissector c.a., Groningen, Intraval, 2004. 76 4.5.1.3. Die Politik der heutigen Regierung Sowohl in dem allgemeinen politischen Programm zum Thema Sicherheit durch Prävention (Veiligheid begint bij voorkomen), das im November 2007 von den Ministern der Justiz und des Innern bekannt gegeben wurde, als auch in dem speziellen Programm zur stärkeren Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Versterking aanpak georganiseerde criminaliteit), das 2008 vom Justizministerium veröffentlicht wurde, wird an einigen Stellen der Drogenproblematik besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Zusammengefasst umfassen die Schwerpunkte der Politik auf diesem Gebiet die folgenden Maßnahmen.63 Erstens wird in diesen Programmen als Ziel angegeben, bis ungefähr 2011 eine sichtbare Reduzierung des groß angelegten Hanfanbaus auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Dazu zählen folgende Maßnahmen: die Einführung eines Genehmigungs systems für Growshops, so dass Gemeinden den illegalen Aktivitäten besser entgegenwirken können, die mit diesen Shops verbunden sind oder sein können, die strafrechtliche Verfolgung von Schlüsselfiguren in den verschiedenen Abschnitten des Produktionsprozesses, die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Nachbarländern, insbesondere, wenn dort Plantagen angetroffen werden, an denen niederländische Organisatoren oder Züchter beteiligt sind, und die Gründung einer überregionalen Task Force, um einen stärkeren überregionalen Zusammenhang in der strafrechtlichen Bekämpfung des Hanfanbaus zu erreichen, insbesondere durch das Aufspüren und Verfolgen der kriminellen Interessenvereinigungen hinter diesem Anbau. Diese Task Force wurde im Juli dieses Jahres formell begründet. Sie setzt sich zusammen aus Vertretern des Innenministeriums, der Staatsanwaltschaft, der Polizei, der Steuerbehörden und der lokalen Verwaltung.64 Zuvor wurde bereits an der Ausarbeitung eines Programms gegen organisierten Hanfanbau (Programma georganiseerde hennepteelt) gearbeitet, dessen Herzstück ein Handlungskonzept mit zahlreichen konkreten Maßnahmen bildet. Ein zweiter Hauptpunkt in diesen Programmen ist die Problematik der Coffeeshops. Auch dabei geht es um verschiedene Aspekte. Zunächst einmal sollen Coffeeshops aus der Umgebung von Schulen verbannt werden. Ferner müssen die Coffeeshops ohne Ausnahme geschlossen werden, wenn dort die politischen Vorgaben und insbesondere die AHOJG-Kriterien missachtet werden, wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass dies in letzter Zeit an einigen Stellen in den Niederlanden genau 63 Aufgenommen wurden diese Programme 2008 in ein Buch mit dem Titel Beleidsprogramma’s versterking aanpak georganiseerde misdaad en financieel-economische criminaliteit, Herausgeber: Ministerium der Justiz, Den Haag. 64 Siehe die diesbezügliche Pressemitteilung vom 10. Juli 2008: http://www.justitie.nl/actueel/persberichten/archief‑2008/80710 77 aus diesen Gründen auch geschehen ist65. Schließlich sollen Coffeeshops aus der Grenzregion verbannt werden: „Ansatzpunkt hierfür ist, gemeinsam mit den Grenzgemeinden nach konkreten Lösungswegen für die dort entstehenden Belästigungen zu suchen, wobei die diesbezügliche Haltung der uns umringenden Länder zu berücksichtigen ist. In der erste Hälfte von 2008 werden entsprechende nähere Vereinbarungen mit den Grenzgemeinden getroffen.“ Parallel zu diesem Vorhaben wird entsprechend den Leitlinien das Pilotprojekt „Wohnsitzkriterium“ in Maastricht fortgesetzt. Hierbei werden die Vorfragen berücksichtigt, die im Laufe der ersten Hälfte 2008 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gestellt werden, um Aufschluss zu erhalten über die Frage der Zulässig keit des Zugangsverbots zu Coffeeshops für nicht in den Niederlanden wohnhafte Personen. Anschließend wird bestimmt, ob zusätzliche Garantien von Coffee shopinhabern dafür verlangt werden können, dass sie den Verkauf an nicht in den Niederlanden wohnhafte Personen tatsächlich unterbinden. 4.5.1.4. Die Eindämmung der Probleme in drei Grenzgemeinden Im Anschluss an das Vorhaben der amtierenden Regierung, zusammen mit den Grenzgemeinden nach Lösungen für die im Zusammenhang mit den Drogen problemen stehenden Belästigungen zu suchen, ist auf die Initiativen hinzuweisen, die in drei bedeutenden Grenzgemeinden ergriffen wurden, um diese Belästigungen und die damit verbundenen Probleme einzudämmen. Diese Gemeinden sind die Gemeinde Heerlen, die Gemeinde Venlo und die Gemeinde Terneuzen. Operation „Hartslag“ in Heerlen Das Projekt „Operatie Hartslag“ („Operation Herzschlag“) wurde im Oktober 2001 ins Leben gerufen und lief bis zum Herbst 2004. Es ging dabei um die Bekämpfung der zunehmenden drogenbedingten Belästigungen in der Innenstadt und im Bereich des Bahnhofs sowie generell um die Schaffung einer strukturell beherrschbaren und sicheren Situation in diesem Bereich. Eine gründliche Analyse des Personenkreises, der die Belästigungen verursachte, ergab, dass dieser vor allem aus rund 300, von hart en Drogen abhängigen Personen bestand und außerdem aus einer großen Zahl von Dealern, Runnern und (vor allem deutschen) Drogentouristen. Darüber hinaus gab es 65 Zum Beispiel einer der ältesten Coffeeshops („De Lach“) in Amsterdam (Het Parool vom 25.7.2008) und zwei Coffeeshops in Tilburg (Brabants Dagblad vom 1.8.2008). 78 mehr als 200 Drogenhäuser in der Stadt, von denen Belästigungen ausgingen. Die betreffenden Belästigungen nahmen unterschiedliche Formen an: regelrechte Kriminalität, Störungen der öffentlichen Ordnung, Zusammenrottung einzelner Konsumenten von harten Drogen, Streitigkeiten untereinander und Prostitution. Um diese komplexe Problematik abzumildern und in der Innenstadt von Heerlen eine akzeptable Situation zu schaffen, wurde ein integriertes Maßnahmenpaket ausgearbeitet, das stufenweise umgesetzt werden sollte.66 Erstens wurde das repressive Auftreten systematisch intensiviert. Dies bedeutete unter anderem, dass die Polizei – falls erforderlich oder erwünscht in Zusammenarbeit mit der Verwaltung, den Wohnungsbaugenossenschaften, der Bahnpolizei oder z.B. der Koninklijke Marechaussee – nicht nur gegen den Straßenhandel und den Drogentourismus vorging, sondern auch gegen die zahlreichen Wohnungen, die Anlass für Belästigungen gaben. Es gab auch einen zusätzlichen privaten Wachdienst im Bahnhof und es wurden zusätzliche Überwachungskameras installiert. Zweitens wurde die Hilfeleistung erweitert. Es wurden zweiwöchentliche Fallberatungen eingeführt, an denen die Polizei und verschiedene Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, u.a. das Consultatiebureau voor Alcohol en Drugs (CAD), die Geestelijke Gezondheidszorg (GGZ), die Mondriaan Zorggroep, teilnahmen, es wurden Tag und Nacht geöffnete Anlaufstellen für Abhängige eingerichtet, Pflegeunterkünfte für Schwerstabhängige geschaffen und Arbeitsprojekte entwickelt. Um zu verhindern, dass diese Einrichtungen zu sehr von Abhängigen in Anspruch genommen werden, die nicht aus der Region stammen, wurde ein Betreuungspasssystem für Abhängige aus der eigenen Region entwickelt. Der Tagesanlaufstelle angegliedert wurde die Abgabe von Methadon. Streetworker suchen auf der Straße betreuungsscheue Suchtkranke auf, um sie mit einer geeigneten Hilfeleistung in Kontakt zu bringen. Das Projekt wurde von einer Lenkungsgruppe gesteuert, an der Polizei, Verwaltung, Staatsanwaltschaft, Fürsorgeeinrichtungen, Beförderungsgesellschaften, Justizvollszugseinrichtungen etc. beteiligt waren. Diese Lenkungsgruppe stand unter dem Vorsitz des Bürgermeisters von Heerlen. Auf ausführender Ebene arbeitete eine Projektgruppe unter Leitung des Bezirkschefs der Polizei. Ein spezieller Kommunikationsplan sollte dafür sorgen, dass jeder (und hier nicht zuletzt jeder Einwohner von Heerlen) verfolgen konnte, wie die ganze Operation verlief. Zwischenzeitliche Entwicklungsgutachten boten Gelegenheit, sich selbst ein Bild von der Ausführung der Maßnahmen und der auf diese Weise erreichten Ergebnisse zu machen. Dieses Projekt wird nicht nur in Heerlen selbst, sondern überall in den Niederlanden als ein sehr erfolgreiches Projekt eingestuft. So ging die Zahl der 66 79 Gemeinde Heerlen, Operatie Hartslag; „Naar een veilige en beheersbare binnenstad“, Heerlen, 2001. Anzeigen drogenbedingter Belästigungen erheblich zurück und ebenso die Zahl der (schweren) Vermögensdelikte und der Fahrzeugdiebstähle. Nicht weniger wichtig ist, dass das Gefühl der Sicherheit bei Bewohnern und Besuchern der Innenstadt und bis zu einem gewissen Grade auch in den benachbarten Vierteln wieder zugenommen hat.67 Es erstaunt daher auch nicht, dass dieses Projekt überregional mehrmals zu einem Projekt mit Vorbildcharakter ausgerufen wurde. Diese Lobeshymnen haben den Stadtvätern in Heerlen allerdings nicht die Sicht getrübt für den Umstand, dass diese Erfolge nur durch große Anstrengungen von zahlreichen Einrichtungen und Behörden erreicht werden konnten und dass die Nachhaltigkeit der sicheren und beherrschbaren Situation, die in der Innenstadt geschaffen wurde, bis zu einem gewissen Maß mit der Fortsetzung oder gar Erweiterung dieser Anstrengungen (in Richtung anderer Stadtteile) steht und fällt. Darum wurde 2007 beschlossen, die Operation „Hartslag“ in das Projekt „Hartslag Heerlen“ („Herzschlag Heerlen“) umzuwandeln. Auch in diesem Projekt gehen Durchsetzungsmaßnahmen (Schließung von Wohnungen, von denen Belästigungen ausgehen, Platzverweise, präventive Leibesvisitation, Kamera überwachung usw.) Hand in Hand mit Maßnahmen im Bereich der Hilfeleistung: Tag und Nacht geöffnete Anlaufstellen, Tagesbeschäftigung für Abhängige, Methadonabgabe etc.68 Operation „Hector“ in Venlo Ende der neunziger Jahre wurde deutlich, dass die Drogenproblematik in der Innenstadt von Venlo nicht mehr mit den üblichen Mitteln zu beherrschen war. Die geduldeten und nicht-geduldeten Verkaufsstellen von weichen Drogen übten eine enorme Anziehungskraft auf junge deutsche Drogenkonsumenten aus, die in großer Zahl die Innenstadt besuchten. Die Folgen waren nicht zu übersehen: Drugsrunner, die versuchten, Kunden zu den Drogenhäusern ihrer Dealer zu lotsen, Verkehrs- und Lärmbelästigungen, Verschmutzung von Straßen und Gehwegen, Verfall der im Zusammenhang mit dem Drogenhandel stehenden Häuser. Dies führte 2001 zur Einführung des Projekts „Hector“.69 Dieses Projekt ist dreigleisig angelegt. Erstens die strikte Durchsetzung der relevanten Vorschriften der Verwaltung, vor allem in Bezug auf die Schließung nichtgeduldeter Verkaufsstellen, und die strafrechtliche Bekämpfung der sichtbaren 67 Gemeinde Heerlen, Evaluatie „Operatie Hartslag“, Heerlen, 2005. 68 Gemeinde Heerlen, Borgingsconferentie Operatie Hartslag 2007, Heerlen, 2007. Siehe auch die Broschüre Hartslag Heerlen; doorgaan met elan. 69 J. Snippe, B. Bieleman, A. Kruize und H. Naayer, Hector in Venlo; eindevaluatie: inspanningen, proces en resultaten, 2001-2004, Groningen, Intraval, 2005. 80 Kriminalität. Zweitens der Erwerb und die Umwidmung von Gebäuden, um das Problemgebiet neu einrichten zu können. Und drittens das Experiment, einige der (fünf) geduldeten Coffeeshops aus der Innenstadt zu verbannen und probehalber an der Grenze zu Deutschland neu zu eröffnen bzw. eröffnen zu lassen. Es würde zu weit führen, hier die vielen Maßnahmen aufzulisten, die im Rahmen dieses Projekts ergriffen wurden. Als Beispiel dürfte genügen, dass zwischen 2001 und 2004 Dutzende (Drogen-)Häuser – Wohnungen ebenso wie Läden und Gaststätten – geschlossen wurden. Die Zahl der Personen, die wegen drogenbedingter Belästigungen festgenommen wurden, betrug anfänglich 40 pro Monat, nahm aber allmählich ab auf durchschnittlich 30 pro Monat in den darauf folgenden Jahren. Außerdem wurden in diesem Zeitraum 68 Immobilien, hauptsächlich Häuser, aufgekauft, um eine Neueinrichtung des Gebiets zu ermöglichen. Die Zahl illegaler Drogenhäuser, die 2001 auf 116 veranschlagt wurde, reduzierte sich auf 7 im Jahr 2004. Und nach vielen Meinungsverschiedenheiten wurden im September 2004 endlich zwei Coffeeshops aus der Innenstadt an die deutsche Grenze verbannt. Die Ergebnisse zeigen, dass im Zeitraum 2004-2005 die drogenbedingten Belästigungen in der Innenstadt stark abgenommen hatten, aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem als Folge der Umsiedlung der beiden Coffeeshops. Die Zahl der Drogenhäuser war ebenfalls erheblich reduziert. Zwar gab es Hinweise, dass die Verkaufsstrategien von den Dealern angepasst wurden und mehr Drogen zum Beispiel in kleineren Portionen außerhalb fester Standorte, also auf öffentlichen Plätzen, in Venlo angeboten wurden. Auch wurden Drogen von speziellen Kurieren über die Grenze verbracht und dort den Käufern übergeben, um das Risiko des Zugriffs durch die deutsche Polizei und den Zoll zu verringern. Darüber hinaus hatte sich das Investitionsklima in gewissem Sinne verbessert. Trotzdem nahm das Sicherheitsgefühl der Bewohner der Innenstadt nicht zu, auch wenn sie weniger häufig Opfer einer Straftat wurden. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die im Hintergrund den Drogenhandel in Venlo und Umgebung beherrscht, schlug angesichts fehlender Mittel beim Polizeikorps von Limburg-Noord fehl. Das Korps kann hier nur erfolgreich sein, wenn es die Unterstützung von anderen Polizeikorps und besonderen Polizeibehörden bekommt. 2005 wurde speziell die Umsiedlung der zwei Coffeeshops an die deutsche Grenze ausgewertet.70 Diese Auswertung ergab, dass diese Verlegung tatsächlich zu einer erheblichen Umlenkung der Kundenströme geführt hatte: Die festen Kunden waren ihren vertrauten Coffeeshops treu geblieben. In der ersten Zeit klagten die Bewohner der Gegend, in der die zwei Coffeeshops geöffnet wurden, bei der Polizei und anderen Behörden über eine Zunahme von Belästigungen. Die Kundschaft 70 B. Bieleman, H. Naayer und A. Nienhuis, Coffeeshops naar de periferie; evaluatie verplaatsing twee coffeeshops in Venlo, Groningen, Intraval, 2006. 81 des einzigen übriggebliebenen Coffeeshops in der Innenstadt war zwar angewachsen, aber die Belästigungen hatten dadurch nicht zugenommen. Die Zahl der Kunden der übrigen (zwei) Coffeeshops in Venlo selbst hatte nicht abgenommen. Die Forscher kamen schließlich zu dem Schluss, dass die Kontrolle der Belästigungen eine permanente Aufmerksamkeit von Polizei und Verwaltung erfordert. Operation „Houdgreep“ in Terneuzen und die Diskussion über die Coffeeshops Im Jahr 1995 beschloss die Gemeinde Terneuzen, zwei Coffeeshops zu dulden („Checkpoint“ und „Miami“), um die erheblichen drogenbedingten Belästigungen in der Gemeinde zu reduzieren (an 70 Adressen sollen in dieser Zeit in großem Stil weiche und harte Drogen verkauft worden sein). Dieser Beschluss war ein wichtiger Bestand teil des Projekts „Houdgreep“ („Schwitzkasten“). Andere Maßnahmen waren die Auflösung der Drogenhäuser, die Verfolgung von Drugsrunnern und die Sanierung des Wohnungsbestands. Das „Checkpoint“ entwickelte sich zu einem großen Gastronomiebetrieb am Rand der Gemeinde. Während 2002 bereits 1.000 Besucher pro Tag gezählt wurden, waren es im Jahr 2005 – jedenfalls in der Hochsaison – 2.500 bis 3.000 Besucher pro Tag. Und weitaus die meisten dieser Drogentouristen kamen nur nach Terneuzen, um Cannabis zu kaufen. Der Erwerb anderer Drogen war eher marginal. Im Jahr 2006 wurde jedoch die Aufrechterhaltung der Situation seitens der Politik und in den Medien immer mehr in Frage gestellt angesichts eines Zustroms von einer Million Drogentouristen pro Jahr, die darüber hinaus auf unterschiedliche Weise für Belästigungen sorgten. Diese Entwicklung führte zu dem Entschluss der Koalitionsparteien, die Ansiedlung eines Coffeeshops an der Grenze prüfen zu lassen. Und diese Absicht ihrerseits war Anlass für eine Studie über die Möglichkeiten, die Coffeeshop-Politik in der einen oder anderen Weise abzuwandeln. Diese Studie wurde im April 2007 veröffentlicht.71 Die Zählungen der Forscher ergaben, dass pro Tag durchschnittlich gut 3.500 Kunden, also insgesamt fast 25.000 pro Woche, weiche Drogen in den beiden Coffeeshops kauften. Ungefähr 50% dieser Käufer kamen aus Belgien (überwiegend aus Flandern), 40% aus Frankreich und nur 11% aus den Niederlanden. 34% der Besucher gaben an, dass sie auch manchmal einen Coffeeshop in einer anderen niederländischen Gemeinde aufsuchten (10% von ihnen nannten einen Coffeeshop in Maastricht). Die Besucher kauften durchschnittlich 5,8 Gramm weiche Drogen pro Besuch, was sie durchschnittlich 41 Euro kostete. Sie durften dann schon durchaus zufrieden sein mit dem, was Terneuzen ihnen zu bieten hatte. Viele Einwohner sprachen von einer deutlichen Verwahrlosung der Gegend und klagten über 71 82 B. Bieleman und H. Naayer, Onderzoek coffeeshops Terneuzen, Groningen, Intraval, 2007. verschiedene Formen von Belästigungen im Zusammenhang mit den Coffeeshops.72 Die niederländischen Nachbargemeinden Hulst und Sluis haben keinen Coffeeshop. Dort heißt es, dass es keine oder kaum Belästigungen durch die Coffeeshops in Terneuzen gebe. Drei belgische Gemeinden, die an den Zugangsstraßen nach Terneuzen liegen, klagen dagegen wohl über die zwangsläufigen (Verkehrs‑) Belästigungen durch den Drogentourismus. Daneben ist auf ihrem Gebiet ein Weiterverkauf von Cannabis unter Jugendlichen festzustellen. In der Gemeinde Gent gibt es zwar Drogenhäuser, aber diese hätten mit den Problemen in Terneuzen nichts zu tun. Die Bürgermeister und Bewohner aller belgischen Gemeinden sträuben sich allerdings sehr gegen die Umsiedlung eines Coffeeshop an die Grenze. So eine Umsiedlung sei allenfalls denkbar, wenn der betreffende Coffeeshop in einigem Abstand zur Grenze angesiedelt würde. Andere Optionen, die in dem Gutachten ausführlich erörtert werden, betreffen die Eröffnung eines dritten Coffeeshops in Terneuzen und die Schließung der beiden vorhandenen Coffeeshops. Gegen diesen letzten Lösungsvorschlag wehren sich nicht nur die belgischen Grenzgemeinden vehement, sondern auch die beiden niederländischen Gemeinden: Sie befürchten die Entstehung von Drogenhäusern und eine Erhöhung der Zahl der Drogendealer und in deren Kielsog die Erhöhung der Zahl der Drogentouristen und Hanferzeuger. Diese Diskussion führte dazu, dass die Gouverneure der Provinzen Oost- und West-Vlaanderen die Frage der Umsiedlung eines Coffeeshops an die Grenze auf die Tagesordnung des Vorstands der Sicherheitsberatungen in der Euregio Scheldemond setzten. Auf der Sitzung vom 10. Januar 2007 in Middelburg wurde die Gründung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die ein Projekt über eine „grenzüberschreitende Strategie zur Verringerung des Drogentourismus nach Terneuzen“ ausarbeiten sollte und dafür die Unterstützung überregionaler Behörden und der Benelux-Länder gewinnen sollte. Diese Arbeitsgruppe unter der Leitung von B. De Ruyver konnte bereits bald Erfolge aufweisen.73 Im Juni 2007 schloss sie ihr Gutachten ab, das eine Vielzahl von Vorschlägen enthält. Zum einen geht es um Vorschläge mit administrativ-polizeilichen Aspekten: die Aufklärung von Besuchern von Coffeeshops über die Strafbarkeit der Ein- und Ausfuhr von Cannabis; der Datenaustausch über Drogentouristen zwischen den niederländischen und den belgischen Polizeibehörden; die euregionale Ab stimmung von Kontrollmaßnahmen an der belgisch-niederländischen Grenze; die Entwicklung eines effizienten und (in beiden Ländern) anerkannten Instruments zur Messung des Cannabiskonsums im Verkehr; die Koordination von speziellen 72 Siehe in diesem Zusammenhang auch T. Surmont, „Het profiel van coffeeshopbezoekers in Terneuzen“, in: B. De Ruyver und T. Surmont (Hrsg.), Grensoverschrijdend drugstoerisme; nieuwe uitdagingen voor de euregio’s, Antwerpen, Maklu, 2007, S. 54-88. 73 Siehe das Gutachten: Drugsoverlast; samenvattend rapport van de Werkgroep Drugsoverlast, Middelburg, 2007. 83 Verkehrskontrollen über den Cannabisgenuss durch die Polizeibehörden sowie die Maßnahmen, die den problematischen Konsum von Cannabis unter Jugendlichen verhüten sollen. Zweitens betrifft es hier Vorschläge mit kriminalpolitischen Aspekten: der Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen in Bezug auf Drogenprobleme zwischen den Behörden in beiden Ländern; die Intensivierung des Datenaustauschs zwischen den belgischen und den niederländischen Polizeibehörden und die grenzüberschreitende Analyse dieser Daten sowie mehr Abstimmung zwischen den strafrechtlichen Ermittlungen auf der Ebene der Staatsanwaltschaft in beiden Ländern, um auf diese Weise auch Probleme mit der doppelten Strafverfolgung zu vermeiden. Am 1. Juni 2007 erfolgte jedoch eine Razzia im Checkpoint. Dabei wurden gut 5 Kilogramm an weichen Drogen angetroffen, darunter 1.600 vorgedrehte Joints. Also fast das Vierfache der erlaubten Menge. Darüber hinaus wurden in einem Nachbargebäude gut 92 Kilogramm an weichen Drogen beschlagnahmt und gut 6.400 vorgedrehte Joints. Diese jeweiligen Funde nahm Bürgermeister Lonink Mitte Mai 2008 zum Anlass, diesen Coffeeshop entsprechend der Damokles-Politik für sechs Monate zu schließen. Diese Schließung trat am 21. Juli 2008 in Kraft und dauert bis zum 30. Januar 2009. Am 20. Mai 2008 führten Staatsanwaltschaft und Polizei in Terneuzen allerdings eine weitere Razzia unter anderem im Coffeeshop Checkpoint (und an weiteren 13 Adressen in Zeeland) durch. Bei dieser Aktion wurden insgesamt 160 Kilogramm an weichen Drogen gefunden, davon einige Kilo beim Checkpoint. Der Eigentümer dieses Coffeeshops und zwei seiner Mitarbeiter wurden festgenommen.74 Ein Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und der zunehmenden Verschärfung der Drogenpolitik im Bereich des oben besprochenen Marihuanaanbaus ist nicht zu übersehen. Gleichzeitig werfen diese Ereignisse in aller Deutlichkeit Fragen zur Coffeeshop-Politik auf. Bürgermeister Lonink jedenfalls hat laut der Tageszeitung Trouw erklärt, diese Politik sei gescheitert. Dass Checkpoint entgegen den Vorschriften große Mengen weicher Drogen auf Vorrat halten würde, sei zu erwarten gewesen: Wie sonst hätten so viele Kunden bedient werden können? Mit anderen Worten: Falls der Staat dies nicht wolle, müsse er entweder auch „die Hintertür“ der Coffeeshops legalisieren (notfalls mit einem Passsystem, das Ausländer ausschließt) oder Coffeeshops völlig verbieten.75 Übrigens muss die Frage durchaus erlaubt sein, was im Grenzgebiet seit der Schließung von Checkpoint passiert. Inwieweit hat diese Schließung zu einem Ausschwärmen der Kunden zu den Coffeeshops in Noord-Brabant und Limburg, und hier vor allem in Maastricht, geführt? Und wenn dem so ist (und dafür gibt es 74 Siehe die diesbezüglichen Pressemitteilungen vom 20.5.2008 und 23.5.2008 der Staatsanwaltschaft (http://www.om.nl) und vom 16.7.2008 der Gemeinde Terneuzen (http://www.terneuzen.nl). 75 Vergleiche das Interview in Trouw vom 5.6.2008. 84 Anzeichen), in welcher Größenordnung geschieht dies? Oder ersparen sich viele belgische und französische Kunden seither den Ausflug in die Niederlande und bevorraten sie sich in der eigenen Stadt oder Region? 4.5.2. Ein Überblick über die Tatsachen Gerade weil die niederländische Situation in grenzüberschreitenden Diskussionen so häufig im Mittelpunkt stand, erscheint es angemessen, in diesem Zusammenhang einen deutlicheren Unterschied zu machen zwischen Drogenkonsum sowie Drogen produktion und –handel, als dies bei den anderen drei Ländern der Fall war. An dieser Stelle wird auch näher darauf eingegangen, wie es um die Ermittlung, Verfolgung und Ahndung von schweren Verstößen gegen das Opiumwet steht. 4.5.2.1. Art, Umfang und Entwicklung des Drogenkonsums Wer erfahren will, wie sich der Drogenkonsum in den Niederlanden in den vergangenen Jahren entwickelt hat, kann die Jahresgutachten heranziehen, die im Rahmen des sog. nationalen Drogenmonitors (Nationale Drug Monitor) erstellt wurden.76 Laut dem Jahresgutachten für 2007 gibt es jährlich 363.000 aktuelle Cannabiskonsumenten in den Niederlanden (3,3% der Bevölkerung von 15-64 Jahren). 2005 konsumierte nahezu ein Viertel von ihnen – rund 85.000 Menschen – (fast) täglich Cannabis. Bei Schülern nimmt der Genuss von Cannabis mit dem Alter zu: Mit 16 Jahren hat einer von drei Schülern schon einmal Cannabis probiert. 2003 erhielten zwei von drei aktuellen Konsumenten das Cannabis von Freunden, einer von dreien kaufte es (auch) in oder über einen Coffeeshop und einer von zehn kaufte es von einem (Haus‑)Dealer. Der durchschnittliche Preis für ein Gramm Nederwiet stieg – möglicherweise infolge der verstärkten Bekämpfung des organisierten Marihuana anbaus – in den vergangenen Jahren von 6,20 auf 7,30 Euro. Der Preis von importiertem Hasch beträgt 7,70 Euro und von importiertem Marihuana 4,30 Euro. In Bezug auf die Zahl geduldeter Coffeeshops ist hier zu sagen, dass ihre Zahl im Zeitraum 1997-2005 erheblich gesunken ist: von insgesamt 1.179 auf 729. Die Mehrzahl dieser Shops befindet sich in den vier großen Städten, vor allem aber in Amsterdam: 246 im Jahr 2005. In diesem Jahr hatten übrigens 78% der Gemeinden keinen Coffeeshop. Geschätzt wird, dass 70% des lokalen Cannabis in geduldeten Coffeeshops erworben werden. Übrigens wird davon ausgegangen, dass einige Tausend nicht-geduldete Anbieter von Cannabis lokal tätig sind. Hierbei geht es vor allem um Dealer, die von zu Hause aus operieren, und um mobile Verkaufsstellen wie Hauszusteller (Bestellung über Mobiltelefon) und Straßendealer. 76 85 M. van Laar u.a., Nationale drug monitor; jaarbericht 2007, Utrecht, Trimbos Instituut, 2008. Die Zahl der Cannabiskonsumenten, die sich mit einem Suchtproblem bei der Suchthilfe melden, ist inzwischen erheblich angestiegen: von 1.951 im Jahr 1994 auf 6.544 im Jahr 2006. Ob dies ein Hinweis ist auf die tatsächliche Zunahme der Zahl der Problemkonsumenten, auf Verbesserungen im Hilfsangebot oder auf eine größeres Bewusstsein in Bezug auf die süchtig machenden Eigenschaften von Cannabis, ist die Frage. Der THC-Gehalt in Nederwiet sank übrigens von 17,5% im Jahr 2006 auf 16% im Jahr 2007. In importiertem Marihuana liegt dieser Gehalt lediglich bei 6%. Die Zahl der Konsumenten von Kokain liegt schon seit Jahren auf dem gleichen Niveau: 32.000 oder 0,3% der Bevölkerung von 15-64 Jahren. Die Zahl der Personen, die gelegentlich mit Kokain experimentieren, nahm im Zeitraum 2001-2005 übrigens wohl zu. Kokain wird vorwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen konsumiert, und zwar nicht mehr nur in Amsterdam, sondern inzwischen im ganzen Land. Die Preise für ein Gramm Kokain schwanken zwischen 35 und 60 Euro. Zwischen 9.000 und 10.000 Kokainkonsumenten melden sich jährlich bei der Suchthilfe. Der Konsum von Amphetamin ist im Allgemeinen sehr begrenzt (0,2% im Jahr 2005 der Bevölkerung von 15-64 Jahren). In absoluten Zahlen geht es um 21.000 Personen. Davon meldeten sich im Jahr 2006 1.215 mit einem Suchtproblem bei Hilfseinrichtungen. Der Konsum von Ecstacy blieb zwischen 2001 und 2005 stabil auf dem Niveau von 40.000 Konsumenten (0,4% der Bevölkerung von 15-64 Jahren). Diese Droge spielt als Partydroge im Nachtleben noch immer eine wichtige Rolle; unter jungen Konsumenten kommt oft exzessiver Genuss vor. Die Zahl der Hilfesuchenden ist dennoch sehr begrenzt: 293 im Jahr 2005 und 228 im Jahr 2006. Nach letzten Schätzungen zählen die Niederlande zwischen 24.000 und 46.000 Problemkonsumenten von Opiaten. Die Gesamtzahl der „Kunden“ der Suchthilfe mit einem Opiatproblem sank zwischen 2001 und 2006 von 18.000 auf 13.000. Von ihnen wurden im Jahr 2005 594 und im Jahr 2006 476 mit ernsthaften körperlichen und psychischen Problemen in ein Krankenhaus aufgenommen. Die Gruppe der Opiatkunden wird immer älter. Heroin ist zumindest bei Schülern von weiterführenden Schulen nicht populär. 4.5.2.2. Die Produktion und der Handel von/mit weichen und harten Drogen Vor einigen Monaten sind im Rahmen der Ausarbeitung des nationalen Gefahren bildes auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität einige informative Gutachten erschienen über die Produktion, den Handel und den Vertrieb von/mit Heroin, Kokain, synthetischen Drogen und Cannabis. Diese Gutachten können hier nicht gesondert behandelt werden. Genügen muss an dieser Stelle eine Zusammenfassung, die auf dem allgemeinen Gefahrenbild beruht, das in Kürze veröffentlicht wird.77 In Bezug auf Kokain wird bestätigt, was oben bereits gesagt wurde über die 77 F. Boerman, M. Grapendaal, A. Mooij, S. Mesu und F. Nieuwenhuizen, Nationaal dreigingsbeeld; criminaliteit met een georganiseerd karakter, Zoetermeer, Korps Landelijke Politiediensten, 2008 (Entwurf). 86 Rolle einiger südamerikanischer Länder bei der Produktion dieser Droge und über die Hauptrouten, über die dieser Stoff in großem Stil vor allem nach Nordamerika und Europa transportiert wird. Dieser Großhandel wird noch immer von kolumbianischen Verbrechenskartellen dominiert. Der größte Teil des Kokains, das in den Niederlanden angetroffen wird, ist für die Durchfuhr (den Zwischenhandel) und den Vertrieb (den Kleinhandel) in andere(n) europäische(n) Ländern bestimmt. In diesem Zwischen handel sind verschiedene kriminelle Gruppen aktiv, antillianische ebenso wie nigerianische und ghanaische. Der Unterschied zwischen dem Zwischenhandel und dem Kleinhandel ist manchmal übrigens auch fließend: Jemand, der ein Kilogramm Kokain importiert, kann bei sich bietender Gelegenheit durchaus versuchen, seine Ware grammweise zu verkaufen. Fest steht aber, dass die Drugsrunner im Kleinhandel auf niedrigster Stufe stehen: Sie sind Konsumenten, die im Tausch für kleine Drogenmengen andere Drogenkonsumenten zu Adressen bringen, wo sie ihren Stoff kaufen können. Auch in Bezug auf Heroin bestätigen die betreffenden Gutachten das Bild, das oben bereits von der Produktion und dem Großhandel hinsichtlich dieser Droge aufgezeigt wurde. In Richtung Niederlande wird diese Droge vor allem von (niederländisch‑)türkischen Händlern sowohl auf dem Luft- als auch auf dem Landweg ins Land geschmuggelt. Diese Großhändler haben zwar jeweils ihre eigenen Beschaffungswege, bilden aber alle ähnliche Netzwerke, die zusammen mit ihren Abnehmern in einer losen allgemeinen Struktur zusammengehalten werden. Das meiste Heroin wird, wie bereits gesagt, durch (ausländische) Zwischenhändler für den Vertrieb in ihrem eigenen Land aufgekauft. Die Niederlande treten demnach auch in diesem Fall vorwiegend als Transit- und Vertriebsland auf. Die niederländischen Händler kombinieren sehr oft den Heroinhandel mit dem Ecstacy‑, Kokain‑ oder Cannabishandel. In diesen Gutachten wird auch kein Hehl daraus gemacht, dass die Nieder lande, und hier vor allem der südliche Teil der Niederlande, noch immer eine zentrale Rolle in der Produktion und im (Groß‑)Handel von/mit synthetischen Drogen spielen. Die Zahl der niederländischen, aber auch der belgischen und marokkanischen Kriminellen, die an diesem „Handel“ beteiligt sind, ist nicht so groß, aber sie bilden eine ziemlich enge „Produzentengemeinschaft“, die im Laufe der Jahre eine umfassende Infrastruktur aufgebaut hat. Die benötigten Präkursoren und mehr und mehr auch die notwendigen Geräte stammen oft aus dem fernen und nahen Ausland (China, Russ land, Mitteleuropa), wo die Kontrollen in Bezug auf diese Produktionsmittel weniger intensiv ausfallen als in den Niederlanden. Die Drogen werden auf jede erdenkliche Weise von einheimischen und ausländischen Händlern in großen und kleinen Partien über die gesamte Welt vertrieben. Eine der erfolgreichsten Methoden ist der Sammeltransport (consolidated cargo). Übrigens wurde festgestellt, dass die kriminellen Gruppen, die an der Produktion etc. von synthetischen Drogen beteiligt sind, gewöhnlich auch aktiv sind in der Produktion von Nederwiet und daneben auch mit 87 großen Partien Kokain Handel treiben. Hierbei darf dennoch nicht übersehen werden, dass außer in den Niederlanden und Belgien auch in anderen europäischen Ländern und in anderen Teilen der Welt, vor allem in Nordamerika und Australien, immer mehr synthetische Drogen hergestellt werden. Nederwiet schließlich wird an allen möglichen Standorten im ganzen Land auf großen bis sehr großen Plantagen angebaut. Kürzlich erst wurde eine Plantage mit nicht weniger als 60.000 Pflanzen ausgehoben! Daneben gibt es aber auch noch zahlreiche kleine Plantagen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass auch auf nieder ländischer Seite der Grenze festgestellt wurde, dass in den umliegenden Ländern immer mehr Plantagen angetroffen werden, an denen Niederländer beteiligt sind. Im Marihuanaanbau operieren ganz unterschiedliche Erzeuger: von relativ kleinen Hobbyzüchtern bis hin zu industriellen Erzeugern, wie das obige Beispiel zeigt. Es gibt in diesem Segment des Drogengeschäfts aber auch kriminelle Gruppen, die die gesamte Produktions- und Vertriebskette in Händen halten, also einschließlich Growshops und Coffeeshops. Die Hauptakteure in dieser kriminellen Welt verfügen über die nötigen Kontakte im In- und Ausland, um 100 bis 200 Kilogramm Marihuana pro Woche absetzen zu können. Nederwiet wird von ihnen auf unterschiedliche Weise in die umliegenden Länder exportiert, nicht selten wie gesagt in Verbindung mit anderen Arten von Drogen. Übrigens gibt es Hinweise, dass in einigen Ländern, u.a. in Belgien und Deutschland, die Zwischenhändler keine so große Rolle mehr spielen, denn Nederwiet wird von den Niederlanden aus direkt zu den kleinen Dealern vor Ort geschmuggelt.78 Aus Resten von Nederwiet wird in kleinem Umfang sog. Nederhash produziert. Das meiste in den Niederlanden konsumierte Haschisch stammt aber aus dem Aus land. Es wird heute in den Niederlanden zwar viel weniger Haschisch geraucht als etwa vor zehn Jahren, aber es handelt sich Schätzungen zufolge heute immer noch um 14 bis 20 Tonnen. Das meiste Haschisch, das in die Niederlande gelangt, ist jedoch für die Durchfuhr in andere europäische Länder bestimmt. Dies ist bereits den Analysen zu entnehmen, die zu dem Schluss führen, dass im Zeitraum 2001-2004 im Ausland fast 200 Tonnen Haschisch mit Endziel Niederlande konfisziert wurden. 4.5.2.3. Ermittlung, Verfolgung, Verurteilung und Bestrafung der Täter Die meisten Ermittlungsverfahren in Bezug auf schwere Fälle organisierter Kriminali tät beziehen sich jedes Jahr wieder auf die Drogenproduktion bzw. den Drogenhandel. 2006 ging es dabei um drei Viertel der 333 Ermittlungen, also um ca. 250 Ermittlungs verfahren. Hierbei ging es teils um Ermittlungen bezüglich harter Drogen (40%) oder 78 Siehe in diesem Zusammenhang auch A. Spapens, H. van de Bunt, L. Rastovac und C. Miralles Sueiro, De wereld achter de wietteelt, Den Haag, WODC, 2007. 88 lediglich weicher Drogen (21%), teils um Ermittlungen in Bezug auf beide Drogenarten. Von den 198 Ermittlungen in Bezug auf harte Drogen richteten sich 68% auf Kokain, 43% auf synthetische Drogen und 29% auf Heroin. Diese verhältnismäßig große Zahl an Ermittlungen erklärt auch die alles in allem hohe Zahl von Tatverdächtigen, die in den vergangenen Jahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Opiumwet mit Polizei und Justiz in Berührung kamen. In den Jahren 2005, 2006 und 2007 wurden für Straftaten mit harten Drogen 7.600, 8.500 beziehungsweise 8.100 Tatverdächtige registriert und für Straftaten mit weichen Drogen 9.600, 9.800 beziehungsweise 9.200 Tatverdächtige.79 Hierbei geht es mehrheitlich (67%) um die Drogenproduktion bzw. den Drogenhandel; der Rest bezieht sich auf den Besitz größerer Drogenmengen. Diese Zahlen demonstrieren zur Genüge, dass die Duldungspolitik der Niederlande in Richtung der Drogen konsumenten sicherlich nicht mit einer Straflosigkeit für Produzenten und Händler gleichgesetzt werden kann: 17.300 Tatverdächtige für Straftaten nach dem Opiumwet im Jahr 2007 sind nach niederländischen Verhältnissen jedenfalls keine unerhebliche Zahl. Berechnet nach den vergangenen Jahren geht es hier um 6%-8% aller einer Straftat tatverdächtigen Personen. Ein erheblicher Teil dieser Tatverdächtigen hat übrigens eine kriminelle Vorgeschichte, 33% fünf oder mehr Verurteilungen, 17% mehr als zehn. Tatverdächtige im Bereich der harten Drogenkriminalität haben im Vergleich die höchste Zahl Verurteilungen. Hinzu kommt, dass den Gerichten erster Instanz im Jahr 2006 insgesamt gut 13.000 Opiumwet-Sachen vorgelegt wurden (zwischen 7% und 9% der Gesamtzahl Rechtssachen in den vergangenen Jahren; im Jahr 2000 allerdings nur noch 8.054 Sachen oder 5%). In einer zunehmenden Zahl der Fälle (in 4.133 der 13.076 Sachen im Jahr 2006) sprechen diese Gerichte in den letzten Jahren verhältnismäßig lange Freiheitsstrafen aus (zwischen 12% und 13% aller Fälle, in denen Freiheitsstrafen ohne Bewährung auferlegt werden; zwischen 27% und 33% aller Haftjahre, die in diesen Jahren durchschnittlich verhängt werden). Hierbei geht es vor allem um schwere Straftaten im Bereich von harten Drogen. 2006 mussten gut 4.000 Personen wegen Opiumwet-Verstoßes eine Haftstrafe antreten. Die durchschnittliche Dauer einer Freiheitsstrafe für ein Opiumwet-Delikt beträgt neun Monate. Die Zahl der OpiumwetStraftäter in der Häftlingspopulation bewegt sich im Bereich von einem Fünftel. Die Zahl der Niederländer, die 2006 wegen eines Drogendelikts im Ausland inhaftiert wurde, belief sich auf gut 2.000 (83% aller im Ausland einsitzenden Niederländer). Dies ist viel im Vergleich zu Ländern wie Belgien, Deutschland und Frankreich. Übrigens ist hierbei festzustellen, dass sowohl im Jahr 2005 als auch im Jahr 2006 ungefähr 6.000 Hanfbetriebe geschlossen wurden; Schätzungen zufolge gibt es allerdings insgesamt zwischen 12.000 und 20.000 florierende Hanfbetriebe (mit mehr 79 89 College van procureurs-generaal, Openbaar ministerie in letters; jaarbericht 2007, Den Haag, 2008. als 5 Pflanzen) im Land. Daneben wurden im letztgenannten Jahr 9.000 Kilogramm Kokain beschlagnahmt, vor allem durch den Zoll. Außerdem wurden 23 Produktions stätten für synthetische Drogen ausgehoben, davon 9 für die Produktion von Amphetamin und 14 für die Produktion von Ecstacy. Diese Produktionsstätten waren im Allgemeinen sehr groß und die Hersteller waren sehr bemüht, die Anlagen zu verbergen. Die Standorte befanden sich hauptsächlich im Westen und Süden der Niederlande. Die Zahl der beschlagnahmten Ecstacytabletten betrug im Jahr 2006 4,1 Millionen. In der ersten Hälfte von 2007 war die Zahl bereits auf 5 Millionen angestiegen. 4.6. Résumé Die obigen Analysen der Drogenpolitik und der Drogenprobleme in den vier Ländern, die am meisten von der Drogenproblematik in der Euregio Maas-Rhein betroffen sind, eignen sich aus verschiedenen Blickrichtungen für Vergleiche unterschiedlicher Art. Im Folgenden werden natürlich nur diejenigen Vergleiche angestellt, die am ehesten für die Fragen relevant sind, die in dieser Studie im Mittelpunkt stehen. In Anknüpfung an die Schlussfolgerungen in Kapitel 2 über den Kompromiss von Schengen kann zunächst darauf verwiesen werden, dass die Drogenpolitik der vorliegenden vier Schengen-Länder in zwei wichtigen Punkten noch mehr Über einstimmung aufweist als in der Zeit der Verhandlungen über das Schengener Durchführungsübereinkommen. Waren sich jene Regierungen in den achtziger Jahren darin einig, dass jedenfalls formal keinerlei Spielraum bestand für die groß angelegte Herstellung von welchen Drogen auch immer oder aber für den (grenzüberschreitenden) Handel und Vertrieb von Drogen, so haben sie sich seither auch stärker in ihren Ansichten über die Behandlung der Konsumenten angenähert. Erstens wurde auch in diesen Ländern zweifellos nicht zuletzt nach dem Beispiel der Niederlande allmählich ein ganzes Netzwerk von Einrichtungen zur Unterstützung von Drogen süchtigen geschaffen, und zwar notfalls auch durch Methoden, die lange Zeit verpönt waren. Zweitens ist nach und nach zumindest in Belgien und Deutschland auch formal so etwas wie eine Duldungspolitik in Richtung des Kleinkonsumenten zu Stande gekommen. Dies mit einem kleinen, aber nicht ganz unwichtigen Unterschied zu den Niederlanden, nämlich dass in den beiden anderen Ländern die strafrechtliche Reaktion auf den Genuss kleiner Mengen nicht ganz legalisiert wurde. Das Strafrecht wird hier auch in diesem Fall immer noch angewendet, um den Konsumenten, sei es in einer fast symbolischen Weise, daran zu erinnern, dass Drogenkonsum nicht normal ist und außerdem schlecht für seine Gesundheit ist. Trotz dieser weiter gestiegenen Konvergenz in der Drogenpolitik der vier Länder gibt es immer noch einen Unterschied, nämlich die Akzeptanz von Coffee shops, in denen unter bestimmten Voraussetzungen weiche Drogen gekauft werden können. Dies scheint angesichts der gesamten politischen Tragweite ein relativ kleiner 90 Unterschied zu sein, der aber sehr weit reichende Folgen hat. Dies hat zunächst dazu geführt, dass Massen so genannter Drogentouristen aus der weiteren Umgebung der Niederlande den Weg zu den Coffeeshops gefunden haben und weiterhin finden werden, um dort in einem relativ sicheren Umfeld eine begrenzte Menge weicher Drogen zu kaufen. Dieser unaufhörliche Strom von Menschen ist übrigens so umfangreich, dass er unter den heutigen Umständen trotz der Vereinbarungen im Schengen-Rahmen von den Niederlanden nicht mehr zu stoppen ist, selbst wenn man dies wollte. Zweitens hat diese umfangreiche und feinmaschige Kommerzialisierung des Konsums weicher Drogen dazu geführt, dass die Produktion eines Teils dieser Drogen nicht nur in immer größerem Maßstab im eigenen Land organisiert wurde, sondern zum Teil auch in die Hände der organisierten Kriminalität gelangt ist. Die daraus resultierenden nachteiligen Folgen sind hinreichend bekannt: das Entstehen einer illegalen Wirtschaft in Städten und Gemeinden, die Androhung bzw. Anwendung von Gewalt in eigenen kriminellen Kreisen, aber auch gegenüber anderen Personen, große illegale Einnahmen, die über Geldwäschekonstruktionen in Machtpositionen um gewandelt werden können, heimlicher Widerstand gegen die Politik der Verwaltung etc. Im Zusammenhang mit der langen Nichtdurchsetzung der Duldungspolitik im Hinblick auf Coffeeshops – das „Checkpoint“ in Terneuzen galt lange Zeit als Modell hierfür – hat diese Entwicklung die ohnehin schon zweifelhafte Glaubwürdig keit der niederländischen Drogenpolitik in diesem Punkt zumindest im Ausland vollends unterminiert. Sie hat nämlich dazu geführt, dass die so hoch gepriesene Trennung der Märkte, noch immer eines der großen Ziele niederländischer Drogenpolitik, aufgeweicht wurde. Einerseits, weil sich einige Coffeeshops zu einer Nahtstelle par excellence zwischen dem gewöhnlichen Konsumenten und der schweren (organisierten) Kriminalität entwickelt haben; oft besorgt sich diese Verkaufsstelle heute an der Hintertür, was der Konsument an der Vordertür kauft. Andererseits, weil der stetige Strom von ausländischen Drogenkäufern so etwas wie ein natürliches Gottesgeschenk für kriminelle Gruppen war und ist, die diesen so genannten Touristen so viel Kokain, Heroin, synthetische Drogen, Haschisch und Nederwiet wie möglich verkaufen wollen. Die Auswirkungen bleiben nicht aus: Drugsrunner, illegale Drogenhäuser, erhebliche Belästigungen in der Umgebung von Coffeeshops etc., und dies in einigen Städten zusätzlich zu den großen psychologischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen, die der Marihuanaanbau in einigen Vierteln sowieso schon verursacht. Im Licht der obigen Ausführungen fällt es natürlich nicht schwer, H. van de Bunt beizupflichten, der bereits 2006 zu der Feststellung gelangte, dass die Funda mente der Cannabispolitik stark geschwächt seien, und zwar sogar so geschwächt, dass die Coffeeshops seiner Ansicht nach nicht bis 2010 überleben würden. Seinen Argumenten für diese entschiedene und provokative Behauptung schließen wir uns weitgehend an: Die Vorstellung, dass im Wege dieser Shops eine Trennung der Märkte erreicht werden könne, ist eine glatte Fehleinschätzung gewesen. Über die 91 Duldungspolitik hat sich die organisierte Kriminalität trotz der Warnungen der Van Traa-Kommission weiter und tiefer in das niederländische gesellschaftliche Zusammenleben einnisten können, als zu jener Zeit festgestellt wurde.80 Und die Auffassung, dass das Ausland wohl so vernünftig sein werde, zu gegebener Zeit auch in diesem Punkt dem niederländischen Beispiel zu folgen, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil – dazu wird es in absehbarer Zukunft sicher nicht kommen, und zwar alleine deshalb schon nicht, weil es unübersehbar ist, wie die Kommunalverwaltungen in den Niederlanden und hier vor allem solche in den Grenzgebieten mit den negativen Folgen der Duldungspolitik zu kämpfen haben und notgedrungen die Zügel wieder zunehmend anziehen.81 Van de Bunt kam daher zu Recht zu dem Schluss: „Die Duldungspolitik kracht in allen Fugen und knirscht an allen Ecken und Enden. Nach fast dreißig Jahren des Erlaubtseins, was verboten ist, ist die Glaubwürdigkeit der Duldungspolitik stark angegriffen. Es wurden beim Zustandekommen der Cannabispolitik Einschätzungen vorgenommen, die sich nachher als unrichtig erwiesen haben. Die Erwartung, eine Duldung von Cannabis werde zu einer ‚Normalisierung‘ von Cannabis und zu einer Anpassung internationaler Abkommen und Regeln führen, hat sich nicht erfüllt. Der Cannabisanbau und ‑handel sind finan ziell attraktiv geworden. Die nicht-kommerziellen Hausdealer sind verschwunden. Im Umfeld von Cannabis ist ein großer wirtschaftlicher Markt mit einem wichtigen Marktanteil für kriminelle Organisationen entstanden.“ Die anderen Länder fürchten inzwischen vor allem eines: dass die Niederlande unter dem Druck der Umstände die Duldungspolitik so verschärfen werden, dass die Probleme, die dadurch ironischerweise nicht zuletzt durch das Zutun der eigenen Drogentouristen in der Vergangenheit entstanden sind, in Zukunft noch weiter und noch mehr in ihre Richtung geschoben werden. Hinzu kommt, dass sich diejenigen, die trotz allem der Ansicht sind, die niederländische Drogenpolitik sei erfolgreich gewesen, weil infolge dieser Politik der Genuss weicher Drogen in den Niederlanden relativ gering geblieben sei, auf dem Irrweg sind: Dies ist eine völlig unbewiesene, ja sogar sehr anfechtbare Behauptung. Die vorhandenen internationalen Statistiken stützen diese Ansicht jedenfalls nicht. Sie zeigen vielmehr auf, dass kaum eine oder gar keine Beziehung zwischen der betreffenden Politik und dem Drogenkonsum besteht.82 80 C. Fijnaut, F. Bovenkerk, G. Bruinsma und H. van de Bunt, Georganiseerde criminaliteit in Nederland; eindrapport, Den Haag, SDU-Uitgevers, 1996. 81 H. van de Bunt, „Hoe stevig zijn de fundamenten van het cannabisbeleid?“, Justitiële Verkenningen, 2006, Nr. 1, S. 10-23. 82 Siehe unter anderem Trimbos-Instituut, Nationale Drug Monitor; jaarrapport 2007, Utrecht, 2008, S. 47, 49, 69, 89 und 119. 92 Wird es nach 2010 noch Coffeeshops geben? Die Antwort auf diese Frage kann hier nicht gegeben werden. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine strikte Durchsetzung der Duldungspolitik sicherlich große Folgen für die Coffeeshops haben wird, die sich heute in welcher Weise auch immer nicht an die Grenze von 500 Gramm halten. Diese werden erheblich zurückstecken müssen. Dadurch verringert sich natürlich das geduldete Angebot an weichen Drogen erheblich – zumindest, wenn die Zahl der Coffeeshops nicht wieder erhöht wird. Dies könnte an sich zu einer Verlagerung des Angebots zu den Drogenhäusern in ihrer Umgebung führen, aber es könnte auch eine Abnahme der Nachfrage aus dem Ausland nach sich ziehen. Eine derartige Entwicklung ist durchaus plausibel, wenn man bedenkt, dass heute in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in großem Stil allerlei Arten Cannabis angebaut beziehungsweise vertrieben werden, auch unabhängig vom niederländischen Angebot. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass auch schon unter den heutigen Gegebenheiten ein erheblicher Teil des Vertriebs von Cannabis nicht über geduldete Kanäle verläuft. Diese Situation, die sich in bestimmten Punkten ganz anders darstellt als in der Zeit, als das Schengener Abkommen beschlossen wurde, muss sicher noch genau beobachtet werden, will man die Zahl der Coffeeshops vor allem in den Grenzregionen erheblich reduzieren, wie die niederländische Regierung mehr oder weniger deutlich signalisiert hat. Dies muss nicht zwangsläufig, wie oft leichthin behauptet wird, zu einem Anwachsen des illegalen Drogenmarkts in einer Stadt oder Region führen. Diese Reduzierung des Angebots kann auch eine erhebliche Verringerung der Nachfrage nach sich ziehen, da die Nachfrage nach Drogen inzwischen viel leichter als früher in der eigenen Umgebung befriedigt werden kann, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Politik in den meisten Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erzeugung von Cannabis für den eigenen Bedarf viel toleranter geworden ist. Eine Reduzierung dieser Nachfrage in Richtung Niederlande würde ihrerseits automatisch zu einer Verringerung der erheblichen Belästigungen führen, die der Drogentourismus direkt und indirekt verursacht. Schon aus diesem Grunde sollte näher geprüft werden, welche Ergebnisse und Wirkungen von einer strikten Durchsetzung der CoffeeshopPolitik und erst recht von einer erheblichen Reduzierung der Zahl der Coffeeshops erwartet werden können. Dabei spricht es fast für sich, dass eine Verringerung der Zahl der Coffeeshops nicht die einzige Antwort sein kann. Eine derartige Maßnahme muss in eine umfassende Durchsetzungsstrategie eingebunden sein. Auch deshalb gibt es bestimmt keinen Grund, wegzuschauen von den anderen Seiten der gegenwärtigen Drogenpolitik in den Niederlanden. Die diesbezüglichen Zahlen belegen, dass es sich hierbei keineswegs um eine lasche Politik handelt, wie gemeinhin im Ausland vermutet wird. Nicht nur wird ein großer Teil der Ermittlungskapazität bei Polizei und Justiz für strafrechtliche Ermittlungen im Bereich der Drogenproduktion und des Drogenhandels eingesetzt, das jeweilige Strafmaß ist auch lange nicht so niedrig, wie auf der anderen Seite der Grenze 93 gewöhnlich angenommen wird. Die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden in diesen Fällen ist darüber hinaus gang und gäbe. Es würde sich lohnen, einmal den Vergleich anzustellen, ob die strafrechtlichen Sanktionen im Drogenrecht in den Niederlanden, gerade auch auf dem Gebiet der Drogenproduktion und des Drogenhandels, quantitativ und qualitativ tatsächlich denen in den umliegenden Ländern so sehr nachstehen. Es steht außerdem außer Frage, dass das Arsenal an formalen Möglichkeiten zur Durchsetzung dieser rechtlichen Regelungen in den Niederlanden auf dem Verwaltungsweg ein ganzes Stück weiter reicht als in den umliegenden Ländern; dies ist natürlich zum Teil auch eine Folge der sehr negativen Konsequenzen der eigenen Drogenpolitik. Den obigen Ausführungen hinzuzufügen ist, dass die Duldungspolitik dazu geführt hat, dass die „Hintertür“ der Coffeeshops in der Rechtswahrung außer Betracht geblieben ist. Die Ermittlungsmaßnahmen sind traditionell einseitig auf die Produktion und den Handel von/mit Cannabis und anderen Drogen gerichtet, die Aufsichtsmaßnahmen bleiben auf die Befolgung der AHOJG-Kriterien beschränkt. Die Folge ist, dass die „Hintertür“ für den Staat ein Stück Niemandsland ist. Es gibt aber gute Gründe dafür, über Ermittlungen gemäß Artikel 126gg der niederländischen Strafprozessordnung (Wetboek van Strafvordering) zu ermitteln, welche Personen auf welche Weise und in welchem Umfang die Coffeeshops mit weichen Drogen beliefern. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen sollten, wenn möglich und falls erwünscht, natürlich zu täterbezogenen Ermittlungsverfahren bzw. verwaltungsrechtlichen und steuerlichen Maßnahmen führen, um unerwünschte Zustände zu beenden. Schließlich kann es auch nicht schaden, darauf hinzuweisen, dass die Niederlande nicht die einzige „Drehscheibe“ für Drogenproduktion und Drogenhandel in Westeuropa sind. Haschisch, Kokain und Heroin gelangen auch auf ganz anderen Wegen in diesen Teil Europas und werden wirklich nicht nur über die Niederlande weiterverteilt. Ebenso ist der lange Arm der niederländischen kriminellen Gruppen auch nicht in ganz Europa in Bezug auf den Anbau von Cannabis und die Herstellung synthetischer Drogen spürbar. Große Mengen dieser Drogen werden in anderen Ländern auch ohne niederländische Hilfe produziert. Nur in Belgien und – wenn auch in (viel?) geringerem Maße – auch in Deutschland gibt es eine sehr deutliche Beteiligung niederländischer krimineller Gruppen. 94 5. Die heutige Vorgehensweise bei der Bekämpfung der Drogenprobleme in der Euregio Maas-Rhein 5.1. Einleitung Nach diesen kurzen Exkursen über die Länder, die in verschiedener Weise direkt von der Drogenproblematik in der Euregio Maas-Rhein betroffen sind, wird in diesem Kapitel untersucht, wie man der drogenbedingten Kriminalität in dieser Euregio begegnet, die eine der Spitzen des Eisbergs der Drogenproblematik in Nordwesteuropa bildet. Dabei wird deutlich zwischen der Politik zu unterscheiden sein, die einerseits in den vergangenen Jahren von den zuständigen Stellen im niederländischen ZuidLimburg betrieben wurde, und andererseits der Politik, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von den zuständigen Behörden der Nieder lande, Belgiens und Deutschlands im gegenseitigen Einvernehmen entwickelt wurde. Es gibt drei gute Gründe, unsere Aufmerksamkeit im ersten Teil dieses Kapitels zunächst nur auf die Politik der Behörden im niederländischen Zuid-Limburg und weniger auf die der Behörden in den beiden anderen Landesteilen zu richten. Ein erster Grund dafür ist, dass die Politik der niederländischen Behörden in den vergangenen Jahren für den größten Gesprächsstoff in der Euregio und weit über deren Grenzen hinaus gesorgt hat. Ein zweiter Grund besteht darin, dass diese zuständigen Stellen, anders als die der anderen Euregio-Länder, eine ganz spezifische Drogenpolitik entwickelt haben, ja sogar entwickeln mussten, die in verschiedenen Strategiepapieren dokumentiert ist. Der dritte Grund ist, dass die zuständigen Stellen in den beiden anderen Landesteilen insbesondere von den niederländischen Behörden erwarten, dass sie einen erheblichen Beitrag zur Kontrolle der Drogenprobleme leisten, die die Euregio insgesamt in zunehmendem Maße belasten. Im Anschluss an diesen letzten Punkt bleibt hier festzustellen, dass in der Euregio bis zum heutigen Tage keine gemeinsame Strategie zur besseren Bekämpfung dieser Probleme entwickelt wurde. Der Grund dafür liegt sicher nicht allein in den Kontroversen, die das Vorhaben der Gemeinde Maastricht ausgelöst hat, eine Reihe von Coffeeshops an den Stadtrand zu verlegen. Denn die Drogenprobleme nahmen in der Euregio schon lange vor Veröffentlichung dieser Pläne zu. Auf Initiative des Bürgermeisters von Maastricht wurden 2005 zwar Schritte unternommen, eine gemeinsame Antwort auf diese Frage zu finden, aber dieser Versuch war zu seinem großen Bedauern letztlich nicht von Erfolg gekrönt. Auch das Scheitern dieses Versuchs ist jedoch teilweise auf die Tatsache zurückzuführen, dass in der Euregio kein Gremium existiert, das rechtzeitig auf diese Probleme in ihrem vollen Umfang hätte hinweisen können und in dem eine gemeinsame Vorgehensweise hätte besprochen und umgesetzt werden können. Die meisten Formen grenzüberschreitender Zusammenarbeit, die im zweiten Teil dieses Kapitels behandelt werden, sind nicht primär im Hinblick auf eine 95 Bekämpfung drogenbedingter Kriminalität entwickelt worden. Sie sind jedoch für den Erfolg einer kohärenten und konsistenten Politik in der Euregio von großer Bedeutung, um diese Form der Kriminalität besser kontrollieren zu können. Gleiches gilt für die neueren Initiativen, die am Ende dieses Kapitels besprochen werden. 5.2. Die Politik der zuständigen Stellen im niederländischen Zuid-Limburg Auch auf der Ebene von Zuid-Limburg gab es bis vor kurzem keine ausdrücklich integrierte und integrale Politik von Polizei, Justiz und Verwaltung in Bezug auf die Vorgehensweise in der Drogenproblematik in der Region. Diese kam erst im vergangenen April mit einem Vorschlag zur gemeinsamen Drogenbekämpfung in Zuid-Limburg („Voorstel gezamelijke drugsaanpak in Zuid-Limburg“) zu Stande, verfasst vom so genannten „regionalen Polizeidreieck“: der Oberstaatsanwältin (hoofdofficier van justitie) Annemarie Penn-te Strake, Korpsverwalter Gerd Leers und Korpschef Wim Velings. Allein schon deshalb ist es notwendig, im Folgenden einen klaren Unterschied zu machen zwischen der Politik, die das regionale Polizeidreieck kürzlich ins Leben gerufen hat, der Politik der Gemeinde Maastricht und der Politik, die Polizei und Staatsanwaltschaft (u.U. gemeinsam mit der örtlichen Verwaltung) für Zuid-Limburg entwickelt haben. Es ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass dabei noch nicht alle Entwicklungen aufgezeigt sind. So wird die Politik außer Betracht gelassen, die andere Gemeinden als Maastricht führen, zum Beispiel die Politik der Gemeinde Heerlen im Anschluss an die „Operatie Hartslag“ („Operation Herzschlag“) zur Eindämmung der Drogenprobleme in der Innenstadt. 5.2.1. Die Politik der Gemeinde Maastricht bezüglich der Coffeeshops 5.2.1.1. Zwei versperrte Auswege: Regulierung und Eindämmung Im Folgenden wird bei der Erörterung der Entwicklung der euregionalen Politik zur Kriminalität noch ergänzend erläutert, dass auch die niederländische Regierung 2005 kein großes Interesse an einem Experiment an der „Hintertür“ der Coffeeshops in Maastricht hatte: die Regulierung der Produktion und des Nachschubs von Cannabis. Justizminister Donner vertrat die Ansicht, dass die internationalen Abkommen für ein solches Experiment keinen Spielraum böten und darüber hinaus die Probleme nicht lösen würden. Damit wurde ein erster möglicher Ausweg aus der Drogenproblematik in Maastricht und Umgebung versperrt. Oben wurde bereits auf den zweiten Ausweg verwiesen, der ebenfalls im Jahr 2005 ausgelotet wurde: ein Pilotversuch, der für die Coffeeshops die Anwendung eines Wohnsitzkriteriums vorsah, wodurch ausländische Besucher keinen Zugang mehr zu 96 diesen Shops haben sollten. Die niederländische Regierung in der Person von Justizminister Donner war mit diesem Experiment durchaus einverstanden.83 Der Pilotversuch hätte seiner Ansicht nach im Januar 2006 beginnen können. Bürgermeister Leers ließ daraufhin am 7. September 2006 einen Coffeeshop wegen Verstoßes gegen das Wohnsitzprinzip, wie dies inzwischen in einer allgemeinen kommunalen Verordnung (Algemene Plaatselijke Verordening / APV) definiert wurde, für drei Monate schließen. Der betreffende Coffeeshopbetreiber legte gegen diesen Beschluss vergeblich Widerspruch bei der Gemeinde ein. Bei der Rechtbank Maastricht setzte er sich jedoch gegen diese Entscheidung erfolgreich zur Wehr. In seiner Urteilsverkündung am 1. April 2008 vertrat das Gericht die Auffassung, dass eine Differenzierung nach dem Wohnsitz auf eine indirekte Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit hinausliefe, was mit dem in Artikel 1 der niederländischen Verfassung (Grondwet) aufgenommenen Diskriminierungsverbot nur vereinbar sei, wenn für diese unterschiedliche Behandlung ein objektiver, angemessener Rechtfertigungsgrund vorliege.84 Dieser war jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht zu erkennen. Insbesondere deshalb nicht, weil die Gemeinde ihre Behauptung, „dass die durch Drogen bedingten Belästigungen in Maastricht vor allem eine Folge des Drogentourismus als Nebeneffekt des Coffeeshop-Tourismus sind“, nicht stichhaltig begründen konnte: „Die Prozessakten enthalten keinerlei Angaben zum Anteil der nicht in den Niederlanden wohnhaften Personen an der Gesamtbesucherzahl der Maastrichter Coffeeshops. Ebensowenig konnte die Beklagte konkret nachweisen, inwieweit die angebliche Belästigung vor allem den nicht in den Niederlanden wohnhaften Personen zugeordnet werden kann.“ Daher sei hier kein wichtiger Grund gegeben, zur Vermeidung von drogenbedingten Belästigungen in Maastricht allen nicht in den Niederlanden wohnhaften Personen den Zugang zu den Coffeeshops zu verwehren. Diese Maßnahme stehe in keinem Verhältnis zu ihrer Zielsetzung und sei daher nicht gerechtfertigt. 5.2.1.2. Der dritte Weg: die Umsiedlung von Coffeeshops an den Stadtrand Drei Auswege bildeten und bilden gleichsam einen Scheideweg zu einer Lösung. Der dritte Weg, den die Gemeinde Maastricht ebenfalls seit 2005 beschritt, um die Drogenprobleme einzudämmen, sieht die Umsiedlung einer Reihe von Coffeeshops an zunächst drei Standorte am Stadtrand vor. Justizminister Donner berichtete der Tweede Kamer am 9. November 2005, dass die Regierung die Auffassung vertrete, dass die Verlegung von Coffeeshops zur Bekämpfung der Belästigungen zulässig sei, „aber dass dies nicht in Richtung der Landesgrenze geschehen sollte.“ Somit ging die 83 Tweede Kamer, 2004-2005, 24077, Nr. 156. 84 Rechtspraak.nl: LJN:BC8198, Rechtbank Maastricht, AWB 07/661GEMWT, 1.4.2008. 97 niederländische Regierung hier unmittelbar und eindeutig ein Stück weit auf Distanz zu den Maastrichter Plänen.85 Die Gemeinde Maastricht verfolgte ihr Vorhaben dennoch weiter. Die Pläne zur Verlegung und damit die Dekonzentration der Coffeeshops stammen offiziell vom 28. November 2005,86 als sie formell im Gemeinderat ein gebracht wurden. Sie waren allerdings schon im Vorfeld in die Presse gelangt und hatten in Maastricht und Umgebung, vor allem in den belgischen Nachbargemeinden, außerordentlich heftige Diskussionen und auch Kritik ausgelöst. Was beinhalteten diese Pläne? Die Tatsache, dass nach bestimmten Berichten jährlich 1,1 Millionen Drogentouristen, also zwischen 500 und 1000 täglich, aus den niederländischen Nachbargemeinden, aber auch aus dem Ausland die Coffeeshops und teilweise auch andere Drogenhäuser in der Stadt aufsuchen, ist mit verschiedenen negativen Auswirkungen verbunden: Parkprobleme, Verwahrlosung ganzer Viertel, Lärm belästigungen, störendes Verhalten, Drugsrunner, die auf offener Straße und auch in den Drogenhäusern versuchen, weiche und harte Drogen an den Mann zu bringen, aber auch der Anbau von Marihuana in einer Vielzahl von Wohnhäusern, Läden, Firmengebäuden und Wohnwagen. Diese Probleme, die die Wohn- und Lebensbedingungen in Teilen der Stadt erheblich beeinträchtigen, können nicht losgelöst von der Drogenpolitik der Niederlande gesehen werden und erst recht nicht von der Politik hinsichtlich der Coffeeshops. Waren im Jahr 1994 noch 20 Coffeeshops in Maastricht zugelassen, gab es 2005 nur noch 16; gegenwärtig gibt es faktisch noch 13 Coffeeshops. Einige dieser Probleme können sicherlich gelöst werden durch die Schließung von illegalen Drogenhäusern, die Bekämpfung des Hanfanbaus, ein Screening von Personen und Betrieben, die eine Konzession auf der Grundlage des niederländischen Gesetzes zur Förderung der Integritätsfeststellung durch die öffentliche Verwaltung (BIBOB-Gesetz) beantragen, sowie durch den Ankauf von strategisch günstig gelegenen Häusern. Es sind aber größere Anstrengungen nötig, um die Belästigungen entscheidend zu verringern, den illegalen Drogenhandel einzudämmen, den Hobbyanbau zu unterbinden und die Unsicherheit und Kriminalität zu verringern. Einer der Schwerpunkte der vorgeschlagenen Strategie ist neben einer neu geregelten Vergabe von Konzessionen und neben einer Diskussion mit den Nachbargemeinden über die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der „Nulllösung“ für Coffeeshops die Ansiedlung der Coffeeshops am Stadtrand. Dies darf jedoch den Etat der Gemeinde nicht belasten. Das heißt, die Umsiedlung wird von den Betreibern selbst finanziert und im Gegenzug erhalten sie dafür Garantien für die Fortführung 85 Tweede Kamer, 2005-2006, 24077, Nr. 171. 86 Gemeinde Maastricht, Coffeeshopbeleid, Beratungsunterlagen, lfd. Nr. 153-2005 vom 28.11.2005. 98 ihres Gewerbes. Letzteres geht aber nur, wenn eine Übertragbarkeit der betreffenden Coffeeshops ermöglicht wird, nicht die der Konzession an sich (denn die bleibt personengebunden), wohl aber die der Coffeeshops selbst. Um zu verhindern, dass sich kriminelle Netzwerke in die Branche einkaufen, könnte erwogen werden, die Übertragbarkeit einzuschränken und die Übertragung an Bedingungen zu knüpfen. Welche Einschränkungen und Bedingungen dies sein könnten, wird nicht näher ausgeführt. Es wird jedoch gesagt, dass an die Coffeeshops, die der Verteilungspolitik entsprechend verlegt werden, nach der Umsiedlung neue Konzessionen vergeben werden. Die bestehenden, im BIBOB-Gesetz verankerten Prüfungskriterien sollen bei der Vergabe dieser Konzessionen weiterhin Anwendung finden. Die (im Wesentlichen drei) neuen Standorte müssen insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Sicherungsmaßnahmen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Diese Verteilungspolitik ist nach einiger Zeit neu zu bewerten, zum Beispiel nach einer Laufzeit von drei oder fünf Jahren. Der Gemeinderat von Maastricht nahm am 20. Dezember 2005 einen Antrag an, in dem er den Magistrat beauftragte, innerhalb eines halben Jahres einen Umsiedlungsplan aufzustellen. Am 3. April 2007 präsentierte der Magistrat einen detaillierten Plan. Er betonte darin nochmals nachdrücklich, dass die niederländische Politik in der Tat ein Segen für die Konsumenten sei: „Sie werden gut aufgeklärt, kommen weniger schnell mit harten Drogen in Berührung und können ihrem Konsum in einer sicheren Umgebung nachgehen. In den Niederlanden zeigen sich dann im Vergleich zum Ausland auch positive Zahlen: ein durchschnittlicher Konsum, eine niedrige Quote beim Umstieg auf harte Drogen und eine sehr niedrige ‚Unfallrate‘. Andererseits stellt diese Politik besonders in den Grenzgebieten für viele Bürger ein großes Ärgernis dar. Dazu zählen nicht nur die Belästigungen, die von vielen Hunderttausend Besuchern ausgehen, die aus ganz Europa das Cannabisparadies Niederlande aufsuchen und oft an der ersten Anlauf stelle – Maastricht – hängen bleiben, sondern vor allem auch die hohe Kriminalität, die mit der Produktion von Cannabis verbunden ist. (...) Eine Frage, die die Regierung sich stellen muss, ist jedoch: Was ist dagegen zu unternehmen? Kern des Problems ist die Illegalität. Darum erscheint eine Regulierung des Verkaufs und des Konsums naheliegend. Eine Lösung in der Reduzierung des Angebots zu suchen, wird nicht helfen, wie die Länder um uns herum zeigen. (...) Je mehr Coffeeshops wir schließen, umso mehr treiben wir unsere Jugendlichen in die Illegalität. Denn unsere Nachbarländer beweisen, dass eine Nulllösung nicht zu weniger Cannabiskonsum führt. Im Gegenteil. (...) In diesem Spagat versuchen wir, in Maastricht politisch zu handeln: unsere Jugend von Schwerkriminellen fernzuhalten, unsere Bevölkerung vor Belästigungen zu schützen und den illegalen Anbau von Marihuana zu verbannen. Und als ob das nicht schon schwierig genug ist, kommt aus Den Haag eine Verschärfung der Politik: Schließung der Coffeeshops im Grenzgebiet, in der Nähe von 99 Schulen und nach der erstbesten Ordnungswidrigkeit. Dennoch glauben wir weiterhin an unseren eigenen Ansatz und sind nicht gewillt, unsere Grundsätze zu verleugnen. Ein eigener, in der Tat immer schmaler werdender Weg, aber sicher keine Sackgasse.“ Der eigene Weg, der im vorliegenden Dokument detailliert erläutert wird, beinhaltet unter anderem die Ausweisung von Coffeeshops, die verlegt werden sollen, und von Vierteln, in denen nach neuen Standorten für ihre Ansiedlung gesucht wird. Anders als im anfänglichen Vorschlag wird hier ausdrücklich erklärt, dass das BIBOB-Gesetz in Verbindung mit den Verlegungen nicht anzuwenden sei. Ferner wird angegeben, mit wem in welchem Zusammenhang Rücksprache zu halten ist. Besondere Aufmerk samkeit wird hierbei den (Schwierigkeiten der) Absprachen mit den niederländischen und belgischen Nachbargemeinden gewidmet. Anschließend werden die einzelnen Teile des Umsiedlungsplans erläutert. In diesem Zusammenhang wird detaillierter dargelegt, was Übertragbarkeit in diesem Kontext bedeutet und unter welchen Voraussetzungen die Umsiedlungen erfolgen. Dass das BIBOB-Gesetz keine Anwen dung finden soll, wird mit dem Argument begründet, die Initiative zur Verlegung gehe von der Gemeinde bzw. dem Bürgermeister aus, und die Umsiedlung erfolge auf freiwilliger Grundlage: „Das ist kein Grund, das BIBOB-Gesetz anzuwenden. In der Person des Betreibers ändert sich jedenfalls nichts (...). Besteht der Verdacht strafbarer Handlungen, kommen das BIBOB-Gesetz und andere Durchsetzungsmöglichkeiten weiterhin uneingeschränkt zur Anwendung.“ Im Anschluss hieran wird beschrieben, wie die Einhaltung der gesetzlichen und ordnungsrechtlichen Vorschriften für die neuen Standorte erfolgen soll. Dabei wird bemerkenswerterweise gesagt, dass sich eine Umsiedlung der betreffenden Coffee shops wohl doch komplizierter darstelle, als es zunächst den Anschein habe, und dass es daher darauf ankomme, für die Standorte, die unter Belästigungen leiden, nach Zwischenlösungen zu suchen. Zum Schluss wird in einem Abschnitt zur Finanzierung näher erläutert, wie die vorgeschlagene Überprüfung der Politik stattfinden soll. Diese werde als eine Art Monitoring-Maßnahme fungieren, die neben der Erhebung der Ausgangssituation Raum biete für eine umfassende Sondierung der Nachbarschaft, eine Konzentration auf die Umgebung der Coffeeshops, Verkehrserhebungen, eine Beobachtung von alten und neuen Standorten und eine Beschreibung der Besucherströme. 87 100 Der Gemeinderat stimmte diesem Plan am 17. April 2007 zu.87 Einige Monate Gemeinde Maastricht, Beratungsunterlagen, lfd. Nr. 32-2007, Anlage I, vom 17.4.2007. später, am 12. Juni 2007, berichtete der Magistrat dem Gemeinderat, für welche endgültigen Standorte und welche zwischenzeitlichen Lösungen man sich entschieden habe, und wie und in welcher zeitlichen Reihenfolge bei der Verlegung zu verfahren sei.88 Um die Dringlichkeit der vorübergehenden Lösungen zu unterstreichen, wird nochmals auf die problematischen Belästigungen hingewiesen, die die Standorte der Coffeeshops, der Besucherzustrom (waren es im Jahr 2001 noch 1 Million, betrug ihre Zahl im Jahr 2007 1,5 Millionen pro Jahr, also 4.000 bis 5.000 Besucher täglich) und der illegale Handel nach sich ziehen: „Der Polizei liegen Hinweise vor, dass Maastricht in zunehmendem Maße ein interessantes Betätigungsfeld für Drugsrunner und organisierte Banden aus (dem Ballungsgebiet) der Randstad Holland bietet. (...) Bereits mehrfach hat die Polizeiführung darauf hingewiesen, dass die Vorgehensweise in den zurückliegenden Monaten langfristig nicht machbar ist. (...) Es werden Entscheidungen zu treffen sein, wobei die beabsichtigte Verlegung der Coffeeshops nach der festen Überzeugung aller beteiligten Parteien (Gemeinde, Polizei und Staatsanwaltschaft) erheblich geringere Anstrengungen der Polizei als in der heutigen Situation erfordern werden. Dies macht den Weg frei für ein Projekt, das dem Problem nicht nur einen kurzfristigen Schlag versetzen, sondern es strukturell in Angriff nehmen wird.“ Der Rat stimmte den Vorschlägen des Magistrats in seiner Sitzung am 26. Juni 2007 zu.89 Einige Tage zuvor hatten der Verband der Coffeeshopbranche und die Gemeinde eine Einigung über die Verlegung von 8 Coffeeshops (von den damals 15) an den Stadtrand erzielt (Köbbesweg, François de Veyestraat und Brusselseweg).90 5.2.1.3. Auf dem Weg zu einem Kompromiss mit den belgischen und den niederländischen Nachbargemeinden? Anders als obige Schilderung vielleicht vermuten lässt, nahm der Widerstand gegen das Vorhaben, ungefähr die Hälfte der Coffeeshops umzusiedeln, im Laufe der Jahre 2007 und 2008 immer mehr zu. Er gipfelte in einem Antrag vor allem der Gemeinderäte von Eijsden und der belgischen Gemeinden Voeren und Visé bei der Rechtbank Maastricht, unter anderem die Aussetzung der Baugenehmigung, die für eine der drei geplanten Coffeecorners erteilt worden war, zu erreichen. Ihre Argumente waren, dass eine Verlagerung der Coffeeshops die Unsicherheit und die Belästigungen vor allem 88 Gemeinde Maastricht, Beratungsunterlagen, Operatie coffeecorner fase III, lokaties, lfd. Nr. 64-2007 vom 12.6.2007. 89 Gemeinde Maastricht, Beratungsunterlagen, lfd. Nr. 64-2007, Anlage I, vom 26.6.2007. 90 Vgl. diesbezügliche Pressemitteilung auf der Website der Gemeinde Maastricht. 101 auf belgischem Staatsgebiet vergrößere, weil mit dieser Umsiedlung der die Beläs tigung verursachende Verkauf von weichen Drogen an die „Quelle“ verlagert werde, nämlich auf die Abnehmer aus dem Ausland (Belgien und Frankreich), die über die A2 in die Niederlande gelangen. Der zuständige Richter gab dem Antrag der drei Nachbargemeinden am 11. März 2008 statt.91 Er hielt das Argument, dass die Belästigungen an die „Quelle“ verlagert würden, nicht für unglaubwürdig, gerade weil auch die Gemeinde Maastricht selbst auf die hauptsächlich ausländische Herkunft der Drogentouristen hingewiesen habe. Darüber hinaus verwies er die Gemeinde darauf, dass nicht nur ein großer Unsicherheitsfaktor über die Zahl der Drogentouristen bestehen bleibe (zuerst war die Rede von 4.500 täglich, später von 1.000), sondern auch, dass sie nicht in ausreichendem Maße glaubhaft gemacht habe, dass es hier um eine vorübergehende Einrichtung gehe. Zum Schluss warf er ihr vor, dass sie über die Belästigung insbesondere durch Drugsrunner außerhalb der geplanten Einrichtung vollständig hinweggehe und dass sie nicht begründet dargelegt habe, warum sie der Auffassung sei, dass diese Belästigungen innerhalb akzeptabler Grenzen blieben. Die Gemeinde Maastricht reagierte sofort.92 In einer Pressemitteilung vom selben Tag äußerte sich der Bürgermeister in der Weise zu dem Urteil, dass aufgeschoben eben nicht aufgehoben bedeute: „Dieses Urteil zieht keinen Schlussstrich unter unseren Plan zur Streuung der Coffeeshops, und daher setzen wir vorerst den von uns eingeschlagenen Weg fort.“ Ferner rief er die Regierung auf, im Rahmen seiner Politik mit Blick auf die Grenzregionen zusätzliches Personal und finanzielle Mittel für ein energisches Auftreten besonders gegenüber den zunehmend gewalttätigen Drugs runnern bereit zu stellen. Die belgischen Nachbargemeinden rief er auf, gemeinsam mit Maastricht nach einer Lösung zu suchen, da es nun einmal um ein euregionales Problem gehe. Offensichtlich hat dieser Aufruf Gehör gefunden. In einer Pressemitteilung vom 12. Juni 2008 teilt die Gemeinde Maastricht jedenfalls mit, dass sie gewillt sei, „dem Dialog, der mit Belgien und der Nachbargemeinde Eijsden in Gang gekommen ist, ein Forum zu bieten“.93 An den Plänen einer Ansiedlung von drei Coffeecorners werde zwar uneingeschränkt festgehalten, jedoch werde der Plan zur Beschleunigung der vorübergehenden Umsiedlung von sieben Coffeeshops fallen gelassen. Die Gemeinde halte am Umsiedlungsplan als eine Art Worst-Case-Szenario fest, falls der Dialog zu keinem Ergebnis führe. Sie gebe daher parallel zu diesem Dialog die Vorbereitungen für die drei definitiv geplanten Coffeeshops nicht auf. Einen Tag zuvor, am 11. Juni 2008, wurde dieser neue Vorschlag im Ratsausschuss für allgemeine 91 Rechtspraak.nl: Rechtbank Maastricht, LJN: BC6251, AWB 08/117. 92 Vgl. diesbezügliche Pressemitteilung auf der Website der Gemeinde Maastricht. 93 Vgl. diesbezügliche Pressemitteilung auf der Website der Gemeinde Maastricht. 102 Angelegenheiten ausführlich diskutiert, verbunden mit vielen Details dazu, wie man den Einwänden des Gerichts und damit der Nachbargemeinden begegnen könne. In diesem Zusammenhang wurde mitgeteilt, dass ein Forschungsinstitut die zu erwartenden Besucherzahlen für die drei geplanten Coffeeshops auf 116.000 (im Westen), 317.000 (im Norden) beziehungsweise 341.000 (im Süden) beziffert habe. Insgesamt werde Maastricht jedoch von 1,8 Millionen Drogentouristen jährlich aufgesucht. Da einige von ihnen mehrere Coffeeshops ansteuern, ergebe das insgesamt sogar 3,9 Millionen Besuche.94 Es sind übrigens gerade Zahlen wie diese, die in einigen Nachbargemeinden die Angst schüren, dass die Umsiedlung eines oder mehrerer Coffeeshops an den Stadtrand unwiderruflich zur Folge hat, dass ein entsprechender Anteil an den Belästigungen bei ihnen auftreten wird. Es wird dazu noch einiger Gespräche bedürfen, um ihre Zustimmung zu einer Umsiedlung zu erhalten. Was ihre Bereitschaft zur Mitarbeit sicherlich erhöhen wird, ist die Tatsache, dass die betreffenden Coffeeshops möglichst weit von den Ortskernen entfernt angesiedelt werden sollen. Denn gerade die Gefahr der Verwahrlosung dieser Ortskerne nährt den Widerstand der Nach bargemeinden gegen eine Umsiedlung. 5.2.1.4. Die „Damokles-Politik“ bezüglich der Coffeeshops und Drogenhäuser Durch den anhaltenden Streit über die Umsiedlung einiger Coffeeshops an den Stadtrand darf die Gemeinde die Politik nicht aus dem Auge verlieren, die sie allgemein nach dem neuen Artikel 13b des niederländischen Betäubungsmittelgesetzes (Opiumwet) im Zeichen der Damokles-Politik in Bezug auf die Coffeeshops einerseits und auf Geschäftslokale und Wohnungen andererseits verfolgt. Diese Politik wurde am 16. Januar 2008 mit den Beschlüssen des Bürgermeisters erneut bestätigt. Diese Beschlüsse traten am 25. Januar 2008 in Kraft.95 Was die Coffeeshops betrifft, wird im diesbezüglichen Beschluss unter anderem bestimmt, dass verwaltungsrechtlich konsequent durchgegriffen wird, wenn sich ein Coffeeshop nicht an die landesweit von der Staatsanwaltschaft festgelegten so genannten „AHOJG“-Kriterien hält. Das heißt: - Grundsätzlich wird in diesem Fall eine Schließung angeordnet. In bestimmten Fällen ist die Verhängung eines Zwangsgeldes möglich. 94 Dies wurde dem Text der Arbeitsblätter entnommen, die bei der Erörterung in dem genannten Ausschuss verwendet wurden (Stand van zaken spreidingsbeleid coffeeshops). 95 Diese Beschlüsse sind aufgenommen im Gemeenteblad 2007, Nr. C-5, bzw. im Gemeenteblad 2008, Nr. C-4. 103 - Geht es dabei um harte Drogen, wird die Einrichtung beim ersten Verstoß für zwölf Monate geschlossen. Wird innerhalb der danach folgenden drei Jahre wieder ein Verstoß festgestellt, erfolgt eine Schließung für unbestimmte Zeit. - Wenn es um Belästigungen geht, wird beim ersten Verstoß eine Verwarnung erteilt. Bei einem zweiten Verstoß innerhalb der nächsten drei Jahre wird eine Auflage unter Androhung eines Zwangsgelds erteilt. - Betrifft es den Einlass eines Jugendlichen unter 18 beziehungsweise den Verkauf an einen Jugendlichen, wird die Einrichtung für drei Monate geschlossen. Wird innerhalb der danach folgenden drei Jahre ein zweiter Verstoß festgestellt, erfolgt eine Schließung für sechs Monate. - Geht es um große Mengen (mehr als fünf Gramm pro Transaktion), wird die Einrichtung für drei Monate geschlossen, wird innerhalb der danach folgenden drei Jahre ein zweiter Verstoß festgestellt, wird sie für sechs Monate geschlossen. Wird in den dem zweiten Verstoß folgenden drei Jahren ein dritter Verstoß festgestellt, wird die Einrichtung für zwölf Monate geschlossen. - Wird in einer Einrichtung ein zu großer Handelsbestand vorgefunden, wird sie für drei Monate geschlossen. Falls innerhalb der danach folgenden drei Jahre ein zweiter Verstoß festgestellt wird, folgt daraus eine Schließung für sechs Monate, und für den Fall eines dritten Verstoßes innerhalb der drei Jahre nach dem zweiten wird die Einrichtung für zwölf Monate geschlossen. In einer Erläuterung dieses Beschlusses werden diese Kriterien in operationeller Hinsicht präzisiert. Hier wird definiert, was mit harten Drogen gemeint ist, und was unter einer Belästigung zu verstehen ist. In Bezug auf die vorhandenen Handels bestände wird angegeben, dass in den örtlichen Dreiecksberatungen (zwischen Bürgermeister, Staatsanwaltschaft und Polizei) vereinbart wurde, den höchstzulässigen Handelsbestand für Maastricht auf 500 Gramm festzulegen. Hinsichtlich dieses Kriteriums heißt das, dass dies die für die Öffentlichkeit zugänglichen Räumlichkeiten des Coffeeshops betrifft, und zwar einschließlich des Verkaufsraums, von dem aus die Abgabe an die Kunden tatsächlich erfolgt. Es liegt auf der Hand, dass die Politik bezüglich der Drogenhäuser derselben Systematik folgt. Ansatzpunkt ist in diesem Fall die Anwendung des Verwaltungs zwangs ohne Verhängung von Zwangsgeldern. Der Grund dafür ist, dass man sich von einem Zwangsgeld in den meisten Fällen nur eine geringe Wirkung verspricht „angesichts der Tatsache, dass die Verdienstmöglichkeiten in der Drogenszene finanziell derartig lukrativ sind, dass mit einem Zwangsgeld erwartungsgemäß nicht bewirkt wird, dass ein Verstoß aufhört oder sich nicht mehr wiederholt.“ Bei Anwendung des Verwaltungszwangs wird sodann grundsätzlich die Schließung der Wohnung oder der Räumlichkeit angeordnet. Wenn es tatsächlich zu einer Schließung kommt, wird die Wohnung für die Öffentlichkeit unzugänglich gemacht, zum Beispiel durch Versiegelung oder Verbarrikadierung. Die Dauer der Schließung 104 ist vom Verstoß abhängig und von der Frage, ob die Räumlichkeit oder die Wohnung vorher bereits von einer Schließung betroffen war, und variiert von drei Monaten bis zu einer Schließung auf unbestimmte Zeit. Bei den Wohnungen beschränkt man sich beim ersten Verstoß auf eine Verwarnung, wenn es um den Verkauf, die Lieferung oder die Verschaffung von weichen Drogen oder aber um die Aufbewahrung von weichen Drogen zu diesem Zweck geht. Wird innerhalb der nächsten drei Jahre ein zweiter Verstoß festgestellt, wird die Wohnung für die Dauer von drei Monaten verriegelt. Wenn innerhalb von drei Jahren nach dem zweiten Verstoß ein dritter Verstoß festgestellt wird, wird die Wohnung für sechs Monate verriegelt. Wenn es um den Verkauf, die Lieferung oder die Verschaffung von harten Drogen oder aber um die Aufbewahrung von harten Drogen zu diesem Zweck geht, wird die Wohnung beim ersten Verstoß für drei Monate verriegelt. Wird innerhalb der nächsten drei Jahre ein zweiter Verstoß festgestellt, wird die Wohnung für die Dauer von sechs Monaten verriegelt. Wenn innerhalb von drei Jahren nach dem zweiten Verstoß ein dritter Verstoß festgestellt wird, folgt die Schließung der Wohnung für zwölf Monate. In der Erläuterung wird ferner erwähnt, dass auch das Betreiben einer Hanfplantage, die nicht allein dem eigenen Konsum dient, als ein solcher Verstoß angesehen wird. Diese und andere, unter anderem im Rahmen der Vereinbarung zu Freistätten (Convenant vrijplaatsen) getroffene Maßnahmen sind in einer so genannten DrogenSanktionsmatrix (Handhavingsmatrix Drugs) aufgeführt. Die letzte Fassung datiert vom 8. April 2008.96 Aber natürlich ist es nicht bei dieser Übung auf dem Papier geblieben. So wurden inzwischen 8 Drogenhäuser geschlossen, hinsichtlich 3 weiterer Häuser andere Maßnahmen ergriffen und ist ein Vorgehen gegen noch einmal 3 Drogenhäuser in Vorbereitung.97 5.2.2. Die Politik von Polizei und Staatsanwaltschaft in Zuid-Limburg Wie aus den oben zitierten Dokumenten der Gemeinde Maastricht hervorgeht, wurde die Politik zur Umsiedlung der Coffeeshops in enger Absprache und mit Zustimmung von Polizei und Staatsanwaltschaft entwickelt. Daneben verfolgen diese beiden Behörden aus ihrer eigenen Verantwortung heraus natürlich auch eine bestimmte Strategie, und dies nicht nur im Hinblick auf die Drogenproblematik in Maastricht, sondern bezüglich dieser Problematik auch für ganz Zuid-Limburg. Aus den betreffenden Dokumenten erschließt sich ebenso leicht, dass deren Strategie in den letzten Jahren bis zu einem gewissen Grad mit der Politik abgestimmt wurde, die die Gemeinden betreiben. Und das liegt auch auf der Hand: Zur Umsetzung ihrer Politik 96 Diese Fassung wurde uns von einem Berater von Bürgermeister G. Leers zur Verfügung gestellt. 97 Mitteilung des Beraters von Bürgermeister G. Leers vom 2.9.2008. 105 im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind die Gemeinden ein Stück weit vom Auftreten von Polizei und Staatsanwaltschaft abhängig und umgekehrt. Die eigene Politik, die die beiden letztgenannten Instanzen bis vor kurzem geführt haben, erstreckt sich vor dem Hintergrund ihrer Verantwortlichkeiten vor allem auf die strafrechtliche Wahrung der Rechtsordnung. Es ist nicht möglich, aus den vorliegenden Unterlagen eine klare Vorstellung von dieser Politik zu gewinnen. Aus Polizeikreisen heißt es übrigens, dass seit 1996 zur Drogenproblematik keine kohärente Fahndungspolitik mehr betrieben worden sei: „Örtliche Fahndungsteams haben sich mit der Problematik beschäftigt, aber von einer festen Einbindung in das System konnte keine Rede sein. Auch der Einsatz von Personal und finanziellen Mitteln stand in keinerlei Verhältnis zu Wachstum und Umfang des Problems. (...) Auch dadurch hatten Drugsrunner und Dealer leichtes Spiel und betrachten sie die Euregio als Schlaraffenland. ‚In Maastricht kann man leicht Geld verdienen‘ ist eine Aussage, die man innerhalb der Zielgruppe in der Randstad Holland öfter hört.“ Im Jahr 2007 änderte sich diese Situation spürbar. Im Juni begann das Projekt Nomen anlässlich der vielen, oft sehr riskanten Verfolgungsjagden auf Drugsrunner. Das Vorgehen gegen sie wurde mit diesem Projekt straffer organisiert und gezielt auf Kontrolle und Beschlagnahme ihrer Fahrzeuge ausgerichtet. In wenigen Monaten wurden, auch dank des Einsatzes von „Geisterfahrzeugen“ eines Joint Hit Team (siehe unten) und mit Unterstützung eines Videoteams und einer Festnahmeeinheit, gut 60 Pkw beschlagnahmt und 80 Drugsrunner verhaftet. Außerdem trug dieses Projekt dazu bei, die Gesamtsituation besser einschätzen zu können: Es konnten immer mehr Drugsrunner und Drogenhäuser registriert werden. Hielt die Fahndung nach den Hintermännern der Drogennetzwerke mit der Anwendung dieser „Frustrationsstrategie“ Schritt? Wie bereits erwähnt, gibt es bei der Polizei Limburg-Zuid, zumindest innerhalb der Kriminalpolizei auf mittlerer Ebene, keine speziellen Abteilungen für Betäubungsmittel oder Narkotika. Dies erschwert im Rahmen dieser Untersuchung die Klärung der Frage, ob die Zahl der umfassenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bezüglich krimineller Netzwerke bzw. Personen, die sich im Bereich Produktion oder Handel von/mit Drogen betätigen, in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Und was in gewisser Hinsicht noch wichtiger ist: Diese Situation erschwert auch, von der Drogenproduktion und dem Drogenhandel in Zuid-Limburg ein detaillierteres Bild zu zeichnen, als dies nach folgend geschieht.98 98 T. Spapens und C. Fijnaut haben dazu einen Versuch unternommen in ihrer oben zitierten Studie: Criminaliteit en rechtshandhaving in de Euregio Maas-Rijn, S. 125-158. 106 Im Übrigen kann auch anhand der Rechtsprechung der Rechtbank Maastricht nicht rekonstruiert werden, wie viele Ermittlungsverfahren aus der Sicht von Polizei und Staatsanwaltschaft mehr oder weniger erfolgreich waren oder eben auch nicht. Wer dennoch auf der Website rechtspraak.nl eine Reihe von Begriffen eingibt, stößt auf der Suche nach einschlägigen Urteilen dieses Gerichts für die vergangenen Jahre nur auf eine begrenzte Zahl größerer Strafsachen. Hier ist vor allem ein Strafverfahren aus dem Jahr 2008 zu nennen, bei dem es um Produktion und Handel von/mit synthe tischen Drogen ging, sowie ein Verfahren aus dem Jahr 2006, bei dem nicht nur der Handel mit verschiedenen Arten von Drogen im Mittelpunkt stand, sondern auch der Tatbestand der Freiheitsberaubung und der Besitz von (halb)automatischen Waffen und Munition.99 Man gewinnt allerdings den sicheren Eindruck, dass es ansonsten in den vergangenen Jahren vor allem um Strafsachen mit Drugsrunnern und kleineren Drogendealern ging.100 Dieser Eindruck wird im Übrigen durchaus dadurch bestätigt, dass uns während der Gespräche am runden Tisch mehr als einmal berichtet wurde, die Kriminalpolizei in Zuid-Limburg verfüge nicht über die Kapazitäten, um angemessen kurzfristig gegen eine Reihe von kriminellen Organisationen vorzugehen, die sich nachhaltig in der Euregio (auch) in der Produktion und dem Handel von/mit Drogen betätigen. Diese Auffassung negiert zwar teilweise die kürzliche Erweiterung bzw. Verstärkung dieser Kriminalpolizei (siehe unten), liegt in der Sache aber auch nicht gänzlich falsch. Tatsache ist jedenfalls, dass diese Kriminalpolizei stark unter Druck steht. Zur Veranschaulichung kann darauf verwiesen werden, dass in den Jahren 2005 bis 2007 zehn Teams für Großfahndungen, so genannte TGOs, im Zusammenhang mit (versuchtem) Mord bzw. Totschlag und Freiheitsberaubung eingerichtet wurden. In fünf dieser Strafsachen wurde festgestellt, dass die begangenen Straftaten einen Drogenbezug hatten, in weiteren fünf bestand ein dringender Verdacht, dass es einen solchen Bezug gab.101 Dies sagt natürlich einiges über das Ausmaß der Gewalttätigkeit in der Drogenszene in Zuid-Limburg aus, vermittelt aber auch eine Vorstellung von dem immensen Arbeitsdruck bei der Kriminalpolizei. 5.2.3. Die Politik des regionalen Polizeidreiecks Wie bereits erwähnt, ist festzuhalten, dass die verschiedenen in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Drogenprobleme in ZuidLimburg in gegenseitiger Absprache erfolgt sind. Und dies nicht nur im Dialog 99 Rechtspraak.nl: LJN: BD 6609/6611/6613 vom 8.7.2008 bzw. LJN: AZ1433 vom 11.10.2006. 100 Siehe z.B. Rechtspraak.nl: LJN: BA3976 vom 2.3.2007; LJN:BB2986 vom 27.4.2007; LJN: BB9582 vom 5.9.2007 und LJN: BC9106 vom 9.4.2008. 101 Mitteilung der Staatsanwaltschaft Maastricht. 107 zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gemeinde(n), sondern zum Beispiel auch in Absprache mit verschiedenen Versorgungseinrichtungen und Wohnungsbau genossenschaften. Die Operation „Hartslag“ in Heerlen kann hier als treffendes Beispiel dienen. In Maastricht gibt es diese Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Behörden natürlich auch, nur ist sie hier etwas weniger nach vollziehbar, weil sie – anders als in Heerlen – nicht die Gestalt eines Projekts angenommen hat. 5.2.3.1. Die Politik in der jüngeren Vergangenheit Letzteres gilt auch für die Drogenpolitik auf der Ebene von Zuid-Limburg, wie sie in den vergangenen Jahren vom so genannten Polizeidreieck betrieben wurde: dem Korpsverwalter (in diesem Fall der Bürgermeister von Maastricht), der Ober staatsanwältin und dem Korpschef mit dem regionalen Bürgermeisterkollegium im Hintergrund. Es sind auf dieser Ebene zwar verschiedene Maßnahmen getroffen worden, die in gewisser Weise Versuche einer wirksameren Bekämpfung der Drogenprobleme betreffen, aber es ist für die meisten Außenstehenden nicht leicht, sich eine genaue Vorstellung davon zu machen. Ein umfassendes Bündel von Maßnahmen wurde in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls nicht formuliert. Eine zusammenhängende Berichter stattung und Auswertung dessen, was dennoch tatsächlich unternommen wurde, sind uns nicht bekannt geworden. Folglich sind verschiedene auf der Hand liegende Fragen im Rahmen unseres Auftrags nicht zu beantworten: Welche Maßnahmen gab es konkret? Mit welchem Aufwand an Personal und finanziellen Mitteln wurden diese durchgeführt? Was sind die Ergebnisse und Auswirkungen? Erreichen sie die Zielsetzungen und erfüllen sie die Erwartungen, und falls nicht, was sind die Gründe dafür? Ein den Marihuanaanbau betreffendes Beispiel, das direkten Bezug zur Vorgehensweise in der Drogenfrage hat, ist die so genannte Hanf-Vereinbarung (Hennepconvenant), die im Januar 2005 von einer Reihe von Gemeinden, der Staatsanwaltschaft, der Polizei, den gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften und den Versorgungsbetrieben in und um Maastricht unterzeichnet wurde.102 Wie der Name bereits nahe legt, betrifft diese Vereinbarung die Vorgehensweise gegen privaten und gewerblichen Anbau von Cannabis oder Hanf in (Miet‑)Wohnungen, (Miet‑)Wohnwagen, Scheunen oder Schuppen, Gewerberäumen einschließlich der zugehörigen Gebäude, auf Anwesen oder Grundstücken. Sie beinhaltet unter anderem die Verpflichtung der beteiligten Vertragsparteien, sich schon beim Verdacht auf die Existenz von Hanfplantagen gegenseitig zu informieren, um Maßnahmen und 102 108 Den Wortlaut dieser Vereinbarung stellte uns ein Berater von Bürgermeister G. Leers zur Verfügung. Vorgehen so weit wie möglich aufeinander abzustimmen. Daran anschließend wurden auch Vereinbarungen über einen gegenseitigen Informationsaustausch im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen aufgenommen. Wenn zum Beispiel bei einem Energieversorgungsunternehmen der Verdacht aufkommt, dass irgendwo eine Hanfplantage betrieben wird, ist das Unternehmen verpflichtet, sofortige Kontrollen durchzuführen und die Polizei davon in Kenntnis zu setzen. Die Polizei wiederum ist verpflichtet, den Mitarbeiter des Energieunternehmens bei der Ausführung seiner Arbeiten zu begleiten, wenn die Umstände dies erfordern. Die Vereinbarung beinhaltet auch besondere Vorschriften zum Vorgehen bei der Zwangsräumung von Wohnungen, die im Eigentum von gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften stehen, sowie zur Auflösung von diesbezüglichen Mietverträgen. Die Maßnahmen der Verwaltung gegen organisierte Kriminalität, wie sie seit 2003 allmählich in Zuid-Limburg eingeführt wurden, reichen natürlich viel weiter als nur bis zur Bekämpfung der organisierten Drogenproduktion und des Drogenhandels.103 Aber eine wirksamere Bekämpfung der letztgenannten Probleme war einer der Gründe, auch hier diese administrative Vorgehensweise zu verfolgen. Die Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang möglich sind, passen in jedem Fall sehr gut in diesen Kontext. Im Mittelpunkt dieses administrativen Vorgehens steht mit dem BIBOB-Gesetz noch immer die Umsetzung einer gesetzlichen Vorschrift, die oben bereits mehrmals angesprochen wurde. Sowohl im Hinblick auf die Anwendung dieses Gesetzes (bei konzessionspflichtiger Geschäftstätigkeit, etwa beim Betreiben von Coffeeshops und Spielautomatenhallen) als auch hinsichtlich des Vorgehens gegen Geschäftstätigkeiten, die nicht nach diesem Gesetz konzessionspflichtig sind (zum Beispiel Internetshops und Sportschulen), wurde in Zuid-Limburg eine Koopera tionsvereinbarung gegen organisierte Kriminalität (Convenant ketensamenwerking georganiseerde criminaliteit) von den Gemeinden, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Steuerbehörden und zwei besonderen Fahndungsbehörden, der niederländischen Steuerfahndung (FIOD) und dem Auskunfts- und Fahndungsdienst Soziales (SIOD), unterzeichnet. Daneben wird die Zusammenarbeit mit Wohnungsbaugenossen schaften und der gewerblichen Wirtschaft gesucht, zum Beispiel beim Ankauf von strategisch gelegenen Gebäuden in den Städten. Im Laufe der Jahre 2005-2007 wurde auch auf Veranlassung des regionalen BIBOB-Büros in verschiedenen Gemeinden eine beträchtliche Zahl von Konzessionen verweigert. Diese Verweigerungen lagen jedoch nicht unmittelbar im Umfeld von Drogenproduktion oder Drogenhandel. 103 Die folgenden Ausführungen wurden den Arbeitsblättern (Georganiseerde (bestuurlijke) aanpak georganiseerde criminaliteit Limburg-Zuid) zu dem am 9. Mai 2008 auf der MAHHL-Konferenz gehaltenen Vortrag über diese Vorgehensweise von L. Mennens und F. Rovers entnommen. 109 5.2.3.2. Die Politik für die nähere Zukunft Im Frühjahr 2008 kam es in Zuid-Limburg zu einer Wende in der Drogenpolitik. Das regionale Dreieck hat im April dieses Jahres den schon genannten Vorschlag zur gemeinsamen Vorgehensweise in der Drogenfrage in Zuid-Limburg für die allgemeine Sicherheitsbehörde der Polizei Limburg-Zuid formuliert.104 In diesem Vorschlag, der ausdrücklich darauf abzielt, „die Drogenbekämpfung zu kanalisieren und zu verstärken“, wird zunächst auf die Problematik weicher und harter Drogen in der Region verwiesen: die geduldete und die illegale Infrastruktur, die vielen Drogenhäuser und die zahlreichen Drugsrunner. Im Anschluss folgt ein fünfteiliger detaillierter Strategieplan: 1. Entwicklung eines geeigneten Informationsmanagements, um mehr Hinweise und einen größeren Einblick in den Umfang des Problems, in die Zusammenhänge der kriminellen Vereinigungen und ihre Vorgehensweisen zu erhalten. Zurzeit ist der Informationsstand zu verstreut und bruchstückhaft, und auch das Fachwissen der Beteiligten wird untereinander zu selten genutzt, „was bewirkt, dass das Rad an mehreren Stellen gleichzeitig neu erfunden wird“. 2. Verbesserung des bestehenden klassischen strafrechtlichen Ansatzes, das heißt eine deutlichere Definition der Arbeitsprozesse sowie die Standardisierung von Fahndungs- und Verhörplänen. Auch die Entziehung finanzieller Erlöse aus dem kriminellen Drogenhandel ist verbesserungswürdig. 3. Einführung, Implementierung und Auswertung eines präventiven administra tiven Ansatzes, hier besonders mit dem Ziel, dass sich straf- und verwaltungsrechtliche Maßnahmen besser ergänzen. 4. Umsetzung des Wissens und der Strategien in die konkrete Fahndungs- und Sanktionspraxis. Das Vorgehen in der Drogenfrage darf mit anderen Worten kein Papiertiger sein. Das Informationsmanagement und die integrierte Vorgehensweise sind mittels Wissen und Sachverstand zu verbessern. 5. Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Strategie. Das Hauptaugenmerk gilt augenblicklich zu sehr dem Informationsaustausch, während die grenz übergreifende Fahndung dabei zurücksteht. Das letztendliche Ziel sollte eine euregionale Kriminalpolizei sein. Deren Einrichtung erfordert jedoch auch kapazitäre Anstrengungen der Nachbarländer. 104 110 Dieses Papier wurde uns während der Gespräche am runden Tisch ausgehändigt. Im Anschluss an diesen Entwurf einer geeigneten Strategie wird eine stufenweise Bekämpfung der Probleme vorgeschlagen. Kurzfristig sollen zunächst die Aspekte der Duldung von Coffeeshops genauer geprüft werden: Durchsetzung der Kriterien, Konzessionsvergabe an Betreiber, die „BIBOB-geprüft“ sind, und eine Streuung der Coffeeshops. Zweitens die Bekämpfung illegaler Verkaufsstellen: eine verschärfte Überwachung auf den Autobahnen, gezieltere Grenzkontrollen, Fahndung nach schwerer Kriminalität im Bereich der weichen und harten Drogen, Vorgehen gegen den Marihuanaanbau und die unmittelbare Schließung von illegalen Drogenhäusern. Mittelfristig soll der Informationsstand des Staates verbessert werden, die einschlägige Gesetzgebung in ganz Zuid-Limburg standardisiert und die Zusammenarbeit mit den deutschen und den belgischen Fahndungsdiensten intensiviert werden. Langfristig geht es vor allem um eine beschleunigte Einführung der (bei den Innenministerien angesiedelten) Arbeitsgruppe Eurocrime (siehe auch weiter unten). Die allgemeine Sicherheitsbehörde stimmte am 18. April 2008 der Einrichtung einer mit der Lenkung dieses Projekts betrauten Regiegruppe zu. Dieser Gruppe gehört ein Programmbüro an, „das die beteiligten Partner in der Informationskette in die Lage versetzt und sie motivierend fördert, die angestrebten Ziele zu erreichen“. Um diese Ergebnisse auch tatsächlich zu erzielen, sind nach diesem Vorschlag eine Reihe von Rahmenbedingungen erforderlich. Hier ist an die Schaffung einer breiten Akzeptanz bei Mitarbeitern und Partnern in der Euregio zu denken, an die personelle Ausstattung des Programmbüros, an die Informationsversorgung und die Kommunikation sowie an die finanziellen Mittel zur tatsächlichen Umsetzung dieser Ziele in diesem europäischen Versuchsfeld Limburg. Im Zusammenhang mit diesem Vorschlag wird gleichzeitig an einem Handlungskonzept zur kurzfristigen Bekämpfung drogenbedingter Belästigungen im Dringlichkeitsgebiet Maastricht (Plan van aanpak overlast drugs; korte termijn; urgentiegebied Maastricht) gearbeitet.105 In diesem Plan wird zunächst festgestellt, dass das Nomen-Projekt und der Einsatz des Joint Hit Teams (siehe unten) nicht zu einer Abnahme der Drogenprobleme geführt haben. Angesichts des Umfangs und der Art dieser Probleme, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und des gegenwärtigen verwaltungspolitischen Drucks erzeuge dies eine „hohe Dringlichkeit“, schnell und energisch durchzugreifen. Ansatzpunkt hierzu müsse sein, dass durch „ein gemeinsames, integrales und euregionales Vorgehen die Belästigungen auf ein beherrschbares Niveau gebracht werden“. Um ein solches programmatisches Vorgehen in die Tat umsetzen zu können, müssen mehrere Dinge geschehen: Beschreibungen dessen, was man in welcher Frist erreichen möchte, Intensivierung der Durchsetzung und Fahndung während eines relativ langen Zeitraums mit Blick auf die Offenlegung der Infrastruktur im Bereich 105 111 Auch dieses Papier wurde uns während unserer Untersuchung zur Verfügung gestellt. der Drogenhäuser, Einbindung des Einsatzes des Nomen-Teams (6 Personen) und des Joint Hit Teams (10 Personen) im Dringlichkeitsgebiet, Erhöhung der sichtbaren Überwachung von „Hotspots“, zum Beispiel durch Grenzkontrollen, durch den Einsatz einer regionalen Unterstützungsgruppe, die Einschaltung von Stadtteilteams zur Sammlung von Informationen, ein gezieltes Ansteuern der Zielgruppe durch die Einheit für Kriminalitätsaufklärung, die engere Zusammenarbeit mit den belgischen Polizeibehörden bei der Sammlung von Beweismaterial, eine engere Verknüpfung von Fahndung und administrativer Durchsetzung sowie einer größeren Umsicht bei der Schließung von Drogenhäusern. Eine Projektgruppe aus Vertretern der Gemeinde, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Steuerbehörden ist mit der Durchführung dieses Programms zu betrauen. Im Mai 2008 wurde schließlich auf der Grundlage der soeben erörterten Pläne das Projekt BorderlineS ins Leben gerufen. Dieses Projekt richtet sich besonders auf ein Vorgehen gegen Drugsrunner und Drogenhäuser, von denen Belästigungen ausgehen, und zwar zunächst in Maastricht und später sukzessive in anderen Teilen von ZuidLimburg. In den diesbezüglichen Unterlagen wird die Drogenproblematik in dieser Region noch einmal erläutert. Dabei wird näher auf den Aspekt eingegangen, dass der Besucherstrom in die Coffeeshops einen interessanten potenziellen Kundenkreis für Dealer von größeren Mengen weicher und harter Drogen darstellt. Hierzu wird angeführt, dass: „eine strukturelle Lösung dieses Problems nicht zu erreichen ist, ohne die Dichte der Coffeeshops pro km² in der Gemeinde Maastricht zu verringern. Damit erreicht man letzten Endes eine Ausdünnung des Zustroms der Coffeeshoptouristen und somit der Zielgruppe der Runner.“ Die empfohlene Vorgehensweise zur kurzfristigen Reduzierung der Probleme umfasst eine Reihe von Maßnahmen: den Einsatz eines gesonderten und qualifizierten Teams, das über die nötige personelle Ausstattung und die finanziellen Mittel verfügt, die Einbeziehung der Informationsströme, die Einrichtung einer Meldestelle für drogenbedingte Belästigungen, die Einschaltung von Analysten, die Festnahme von Drugsrunnern, ein Vorgehen gegen Drogenhäuser und die Fahndung nach den Hintermännern in den kriminellen Organisationen. Langfristig soll vor allem die Bildung einer euregionalen Kriminalpolizei und die Gründung von Eurocrime in Betracht gezogen werden.106 106 112 Diese Beschreibung basiert auf einer relativ aktuellen Kurzdarstellung des Projekts. 5.3. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit 5.3.1. Der organisatorische Rahmen für die Zusammenarbeit Es ist hier nicht der Ort, ausführlicher auf die Geschichte der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der Euregio Maas-Rhein einzugehen. Wichtig ist jedoch der Hinweis, dass die polizeiliche Zusammenarbeit seit 1969 hauptsächlich in der Niederländischen, Belgischen und Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Polizei (NeBeDeAgPol) organisiert wird. Geleitet wird diese Arbeitsgemeinschaft vom Korps chef Limburg-Zuid, von dem Polizeipräsidenten von Aachen und dem Direktor der justiziellen Abteilung der föderalen Polizei in Verviers. Ihr gehören zwei wichtige Lenkungsgruppen an, die eine zuständig für die Kriminalitätsbekämpfung und die andere für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Verkehrsregelung. Daneben ist noch hervorzuheben, dass im Jahr 2005 auf Initiative des Vorstands der NeBeDeAgPol das euregionale Polizeibüro EPICC mit Sitz in Heerlen gegründet wurde. Die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden hat auch eine lange Geschichte, war aber bis vor kurzem nicht so strukturiert wie die Kooperation zwischen den Polizeidienststellen. Vor einiger Zeit erhielt sie einerseits mehr Zusammenhalt durch die systematische Organisation von Beratungsversammlungen der Leiter der Staatsanwaltschaften bei den Gerichten in den verschiedenen Teilen der Euregio MaasRhein. Andererseits erhielt sie eine festere Struktur durch die Gründung des Büros für euregionale Zusammenarbeit (BES) bei der Staatsanwaltschaft Maastricht. Anfänglich wurde dieses Büro personell nur von den Mitarbeitern dieser Staatsanwaltschaft besetzt. Seit 2005 gehört dem BES auch ein belgischer Jurist als Verbindungsperson an. In Kürze wird auch ein Mitglied der deutschen Staatsanwaltschaft für das Büro tätig sein. Die zuständigen Behörden in Belgien stehen außerdem der Entsendung eines Staatsanwalts an das BES positiv gegenüber. Die Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden auf der einen und den Justizbehörden auf der anderen Seite nimmt in erster Linie durch die regelmäßigen Gespräche der Vorstände der NeBeDeAgPol und des BES Gestalt an. Außerdem nehmen seit Anfang 2006 auch die Leiter der Kriminalpolizeien an den zweimonatlichen Beratungen zwischen den speziellen Kontaktstaatsanwälten in der Euregio teil. Dank dieser Form der Zusammenarbeit können polizeiliche Kapazitäten für grenz überschreitende polizeiliche Ermittlungen frühzeitig reserviert werden. Im Hinblick auf die Bekämpfung des Menschenhandels finden darüber hinaus regelmäßige Gespräche zwischen dem BES und der niederländischen Koninklijke Marechaussee statt. Die örtlichen Verwaltungen in der Euregio Maas-Rhein haben ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung nicht gesondert geregelt. Von Zeit zu Zeit steht dieses Thema jedoch auf der Tagesordnung der so genannten MAHHL-Gemeinden, also den großen Gemeinden in der Euregio: 113 Maastricht, Aachen, Hasselt, Heerlen und Lüttich. Von einem regelmäßigen Gedankenaustausch zwischen der NeBeDeAgPol, dem BES und den MAHHLGemeinden ist derzeit keine Rede. 5.3.2. Die Formulierung einer Politik zur Kriminalitätsbekämpfung Es wurde bereits auf die Initiativen von großen niederländischen Gemeinden wie Tilburg Ende der neunziger Jahre verwiesen, die Belieferung der Coffeeshops mit Cannabis auf eine angemessene Weise zu regeln. Es wurde auch bereits erwähnt, dass der Justizminister sich im Jahr 2000 unumwunden gegen diese Initiativen aussprach. Dennoch unternahm der Bürgermeister von Maastricht, Leers, im Jahr 2005 erneut einen Versuch, gemeinschaftlich gegen die Probleme mit weichen Drogen nicht nur in seiner Stadt, sondern auch in den umliegenden Gemeinden in der Euregio vorzugehen. Dies sollte unter anderem durch eine Regulierung der Produktion und der Belieferung der Coffeeshops mit Cannabis geschehen. Er suchte daher auf seine Weise nach einer Lösung für die „Hintertürproblematik“. Um eine derartige Politik in absehbarer Zeit zu ermöglichen, brachte er die Bürgermeister der MAHHL-Gemeinden sowie der Gemeinden Kerkrade und Sittard-Geleen zusammen und konnte sie davon überzeugen, am 20. Mai 2005 gemeinsam mit ihm die Resolution von Maastricht zu verab schieden.107 Diese Resolution läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass erstens festgestellt wird, dass die gesamte Euregio Maas-Rhein mit einer erheblichen Problematik von weichen Drogen konfrontiert ist, dass die Coffeeshops auf niederländischer Seite von den so genannten Drogentouristen überschwemmt werden, dass der Druck auf diese Verkaufsstellen dazu geführt hat, dass der Verkauf von weichen Drogen auch außerhalb dieser Shops stark zugenommen hat, und dass sich parallel dazu die Produktion der betreffenden Drogen in der ganzen Euregio ausgebreitet hat und vom organisierten Verbrechen dominiert wird, dass die Bekämpfung der davon aus gehenden Belästigungen und Kriminalität die Kapazitäten von Polizei und Justiz in der Euregio in unzumutbarer Weise beansprucht und dass die Schließung der Coffeeshops nicht zu einer Abnahme der Nachfrage nach Cannabisprodukten führen würde, sondern im Gegenteil eher zur Folge hätte, dass die unerlaubte Produktion und der Handel sich noch stärker über die gesamte Euregio verteilen werden. Zweitens wird an die großen theoretischen Unterschiede in der Drogenpolitik der meisten beteiligten Länder, aber auch an die Überwindung dieser Unterschiede in der Praxis, sowie an die heilsame Wirkung und an die Risiken der niederländischen Drogenpolitik erinnert, wenn die Produktion von weichen Drogen mit einer immer stärkeren rauscherzeugenden Wirkung nicht mehr präventiv überwacht wird. 107 114 Für den vollständigen Wortlaut siehe Website der Gemeinde Maastricht. Drittens werden vor allem die Regierungen der Niederlande, Deutschlands und Belgiens dazu aufgerufen, die negativen Auswirkungen auf die Drogenprobleme in der Euregio besser im Blick zu behalten, mehr in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Belästigung und Kriminalität und speziell in die Möglichkeiten der zuständigen Stellen in der Euregio zu investieren, um gegen die illegale Produktion von weichen Drogen vor allem in Privatwohnungen vorzugehen, in Form von kleinmaßstäblichen Experimenten neue Szenarien zur Lösung der „Hintertürproblematik“ zu testen und angesichts der weichen Drogen eine ab gestimmte, grenzüberschreitende Politik zu entwickeln, die zu einer Abnahme des Konsums von weichen Drogen und zu einer gezielten Bekämpfung des organisierten Verbrechens und des Hanfanbaus führt, die keine Zunahme des Drogentourismus verursacht und die auch keine bloße Verlagerung der illegalen Aktivitäten in der Region und in den an die Euregio angrenzenden Gebieten zur Folge hat. Diese bemerkenswerte Initiative hat aus dem einfachen Grund keine Früchte abgeworfen, weil es für sie in den beteiligten Ländern auf nationaler Ebene keine ausreichend breite Akzeptanz gab. Und das nicht nur in Belgien und Deutschland, sondern auch in den Niederlanden. Der damalige Justizminister Donner schrieb am 27. Oktober 2005 an die Tweede Kamer, dass es juristisch sowieso keinen Spielraum für eine Legalisierung des Marihuanaanbaus und damit für die Belieferung der Coffee shops mit Cannabis gebe, dass aber Experimente mit der Regulierung des Marihuana anbaus auch keine Lösung der Probleme mit Belästigungen und Kriminalität seien: „Die Belästigungen resultieren in starkem Maße aus dem Handel an anderen Verkaufsstellen als den Coffeeshops. Der Druck, endlich durchzugreifen, liegt vor allem bei der Bekämpfung der Aktivitäten in der Umgebung der nicht geduldeten Verkaufsstellen und beim Drogentourismus. Die Duldung der Belieferung der Coffeeshops wird diese Problematik nur noch vergrößern: Es werden höchst wahrscheinlich eher mehr als weniger Drogentouristen in die Niederlande kommen, der nicht geduldete Marihuanaanbau wird sehr intensiv bekämpft werden müssen und auch die Kontrolle des geduldeten Anbaus und der Belieferung der Coffeeshops wird zahlreiche zusätzliche Anstrengungen erfordern.“108 Dieser Versuch, die drogenbedingte Kriminalität in der Euregio wirksamer zu bekämpfen, mag für sich betrachtet vielleicht als missglückt bezeichnet werden. Er verkörperte jedoch eine Grundidee, die sicherlich nicht falsch war: Die großen Pro bleme der Kriminalität, mit denen die Euregio Maas-Rhein konfrontiert war, können nur gemeinschaftlich von den drei beteiligten Ländern gelöst werden. In diesem Sinn war die Initiative von Bürgermeister Leers eine eindeutige 108 115 Tweede Kamer, 2005-2006, 24077, Nr. 170. Demonstration einer der Schlussfolgerungen, die T. Spapens und C. Fijnaut 2004-2005 in der Studie aufzeigten, die sie im Auftrag der zuständigen Stellen in Zuid-Limburg zur Kriminalität und Rechtswahrung in der Euregio verfasst hatten: der Notwendig keit nämlich, auf der Grundlage einer gründlichen Analyse der Verbrechensproblematik eine euregionale Politik zur Kriminalität zu formulieren. Die wichtigsten Argumente für diesen Vorschlag waren dabei, dass Polizei, Justiz und Verwaltung in keinem der Landesteile in der Lage seien, die bedeutenden Probleme der schweren (organisierten) Kriminalität noch aus eigener Kraft wirksam zu bekämpfen, sondern dass zwischen den beteiligten Behörden kein Konsens darüber herrschte, gegen welche Probleme vorrangig vorzugehen sei, und auch nicht darüber, wie viel Personal und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten, um sie innerhalb des vorliegenden juristischen Rahmens sachgerecht und wirkungsvoll zu bekämpfen.109 Diese Schlussfolgerung führte am 20. Februar 2006 in Valkenburg zu strategischen Beratungsgesprächen der Justiz- und Innenminister Belgiens und der Niederlande über die Entwicklungen in der Euregio Maas-Rhein und insbesondere die Bekämpfung der Drogenkriminalität.110 Die Atmosphäre, in der diese Beratungen begannen, war nicht gerade heiter. Am Tag zuvor nämlich ließen die belgische Justizministerin Laurette Onkelinx und der Innenminister Patrick Dewael in der belgischen Presse verlauten, dass sie sich gegen die Pläne von Bürgermeister Leers, eine Reihe von Coffeeshops in Richtung der belgischen Grenze zu verlagern, mit allen möglichen juristischen und politischen Mitteln zur Wehr setzen würden. Darüber hinaus betonten sie, dass Coffeeshops in Belgien überhaupt nicht in Frage kämen.111 Dennoch fanden diese Beratungen auf Ministerebene ihre Fortsetzung in einer stärker auf die Politik gerichteten strategischen Konferenz über die Prioritäten in der Verbrechensbekämpfung. An dieser Konferenz, die am 27. Oktober 2006 stattfand, nahmen die wichtigsten Vertreter sowohl der Staatsanwaltschaften als auch der Polizeibehörden der drei Landesteile teil. Bei dieser Gelegenheit wurden nicht etwa die Umrisse eines euregionalen Sicherheitsplans gezeichnet. Ebensowenig wurde eine Arbeitsgruppe zusammengestellt, die diese Konturen kurzfristig aufzeigen sollte. Es konnte jedoch ein Konsens zu drei Themen erreicht werden, die für die nähere Zukunft die Schwerpunkte der Fahndungs- und Strafverfolgungspolitik bilden sollten: Wohnungseinbrüche, Menschenhandel und drogenbedingte Kriminalität. Im Anschluss an diesen Beschluss wurden drei Arbeitsgruppen mit der Erarbeitung von Aktionsplänen betraut, um diese Prioritätenliste in die Tat umsetzen zu können. Die Arbeitsgruppe, die einen Aktionsplan zur Umsetzung der letztgenannten 109 T. Spapens und C. Fijnaut, Criminaliteit en rechtshandhaving in de Euregio Maas-Rijn, Antwerpen, Intersentia, 2005. 110 Nicht datiertes oder signiertes Schriftstück zu diesen Beratungen („Valkenburg, 20. Februar 2006“). 111 Vgl. Het Belang van Limburg, 19.2.2006. 116 Priorität ausarbeiten sollte, traf sich einige Male zur Erörterung der Konzeption eines solchen Planes. Diese Beratungen ergaben, dass es nicht so einfach war, diese Priorität gezielt in die Praxis umzusetzen. Die Gründe dafür waren vielfältig: Probleme beim Informationsaustausch über drogenbedingte Ermittlungen und Vorfälle, entschei dende Unterschiede zwischen den Ländern bei der Sicherung von Spuren, eine unzureichende Abstimmung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft in der Euregio in Bezug auf die Gewichtung von Ermittlungsverfahren und eine zu geringe Beteiligung von Seiten der niederländischen Polizei an diesem Projekt. Die Leiter der Kriminalpolizeibehörden in der Euregio haben diesbezüglich vor kurzem auf Initiative des Vorstands der NeBeDeAgPol beschlossen, die Beschlüsse dieser strategischen Konferenz auf Seiten der Polizei verbindlicher zu gestalten, dies mit der Randbemerkung, dass dies dann auch auf Seiten der Justiz geschehen müsse. Das bedeutet, dass die Arbeitsgruppen einen eher operationellen Charakter erhalten werden und dass finanzielle Mittel bereitgestellt werden sollen, um die festgelegten Prioritäten in die Tat umzusetzen. Dazu sollen die Möglichkeiten uneingeschränkt genutzt werden, die die bestehenden Abkommen für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit bieten, wo und wann immer dies nötig erscheint. Ansonsten ist vorgesehen, dass der Vorstand der NeBeDeAgPol den weiteren Fortgang dieser Initiative kontinuierlich auswerten wird. Zum Schluss darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass auf der interminis teriellen Konferenz, die am 23. September 2005 zwischen dem Justiz- und Innenministerium Nordrhein-Westfalens und dem niederländischen Justizminis terium stattfand, unter anderem beschlossen wurde, eine gemeinsame Analyse der Drogenkriminalität im Grenzgebiet durchzuführen. Zweimal – in den Jahren 2006 und 2007 – wurde ein Versuch unternommen, eine solche Analyse zu erstellen, aber beide Male vergeblich. Dies gelang vor allem deshalb nicht, weil es auf niederländischer Seite offenbar unmöglich war, aus den verschiedenen Datensystemen, die bei den sechs beteiligten regionalen Polizeikorps im Einsatz waren, einigermaßen verlässliche Zahlen abzuleiten.112 5.3.3. Die bestehenden Formen der Zusammenarbeit Auch in einer Region wie der Euregio Maas-Rhein, in der die Notwendigkeit einer engen grenzübergreifenden polizeilichen, justiziellen und administrativen Zusammenarbeit bei den Problemen der Verbrechensbekämpfung so offenkundig scheint, ist es nicht einfach, eine solche Zusammenarbeit tatsächlich zu organisieren, erst recht nicht in einer so kontroversen Frage wie der Drogenpolitik. Doch nicht nur 112 Vgl. z.B. das Gutachten: Rauschgift-Grenzlagebild Königreich der Niederlande-Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 2006. 117 verwaltungspolitische bzw. ideologische Meinungsverschiedenheiten über Art, Schwere und Bekämpfung dieser Probleme können eine solche Zusammenarbeit erheblich erschweren. Es spielen auch ganz andere Dinge eine Rolle: Unterschiede in der Organisation und der Arbeitsweise wichtiger Einrichtungen, Unterschiede in den Kapazitäten, um Probleme gegebenenfalls vorrangig zu behandeln, oder Unterschiede in den Verfahrensweisen, die dabei zu beachten sind.113 Zum Teil werden diese Unterschiede auch in diesem Fall durch Polizei- und Rechtshilfeabkommen einigermaßen überwunden. Diese regeln jedenfalls normaler weise, wie das bereits besprochene Beispiel des Schengener Durchführungs übereinkommens zeigt, die Formen der Zusammenarbeit, wie sie auf bestimmten Feldern bedingt praktiziert werden kann. Aber solche Abkommen sind auf ihre Weise wiederum auch nicht ganz problemlos. Zunächst besagen sie nichts oder zumindest nicht viel über die gegenseitigen Anstrengungen, die die Parteien tatsächlich im Rahmen der gebotenen Möglichkeiten leisten müssen. Dies bleibt, wie immer man es auch wendet, eine Angelegenheit wechselseitiger Beratungen, wenn nicht Verhandlungen. Zweitens ist problematisch, dass die Möglichkeiten, die solche Abkommen bieten, nicht völlig an die in der Praxis der Zusammenarbeit bestehenden Bedürfnisse anknüpfen. Daher ist es häufig so, dass Abkommen nicht so sehr neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit schaffen, als vielmehr tatsächlich bestehenden Formen der Zusammenarbeit nachträglich eine formale Grundlage verleihen. Die Abkommen, die zurzeit in der Euregio Maas-Rhein eine außergewöhnlich wichtige Rolle spielen, sind folgende: das schon erwähnte Schengener Durch führungsübereinkommen von 1990, das Europäische Rechtshilfeabkommen aus dem Jahr 2000, der Benelux-Polizeivertrag 2004, der deutsch-niederländische Polizei vertrag 2005 und der Prümer Vertrag von 2006 über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Die danach folgenden Initiativen zur Verstärkung und Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der Euregio basieren alle mehr oder weniger auf diesen Verträgen. Die wichtigsten Initiativen sind: die (misslungene) Bildung eines Euregionalen Fahndungsteams (EOT), die Einrichtung des Euregionalen Polizei-Informations-CooperationsCentrums (EPICC), der Ausbau des Joint Hit Teams (JHT), das Zustandekommen des Büros für euregionale Zusammenarbeit (BES) und der Ausbau der eher informativen strafrechtlichen Rechtshilfe durch ein internationales Rechtshilfezentrum (IRC). Die eher umstrittenen Initiativen, die gegenwärtig für Diskussionsstoff sorgen, sind die Einrichtung einer euregionalen Kriminalpolizei (ER) und die Gründung von Euro crime (EC). 113 Vgl. D. Van Daele und B. Vangeebergen, Criminaliteit en rechtshandhaving in de Euregio Maas-Rijn; de inrichting van de opsporing en vervolging in België, Duitsland en Nederland en de internationale politiële en justitiële samenwerking in de Euregio Maas-Rijn, Antwerpen, Intersentia, 2007. 118 Ansonsten wurde in den Monaten Mai und Juni 2008 auch mit intensiven Kontrollaktionen der Polizeikorps an der belgisch-niederländischen Grenze experi mentiert. Es ist heute noch zu früh, Näheres dazu zu sagen. Allerdings haben diese Versuche bereits gezeigt, dass die Durchführung solcher Aktionen nicht so einfach ist, wie es scheint. Wie lange kann die Bereitstellung von Personal gewährleistet werden? Ist eine ausreichende Abstimmung zwischen Polizei und Justiz auf beiden Seiten der Grenze überhaupt möglich? So fragen sich die belgischen Polizeikorps, ob die nieder ländische Polizei wirklich etwas von einer derartigen Zusammenarbeit hält? Zielen die Aktionen in ausreichendem Maße auf die Verhaftung der Drugsrunner ab?114 5.3.3.1. Die misslungene Bildung eines Euregionalen Fahndungsteams (EOT) 2004 wurde bei der Polizei Limburg-Zuid mit der Einrichtung eines Euregionalen Fahndungsteams bei der Abteilung Regionalfahndung (Divisie Regionale Recherche) vor allem mit dem Ziel begonnen, Ermittlungsverfahren in Bezug auf die grenz überschreitende Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein einzuleiten. Die Korpsleitung beabsichtigte anfänglich, dass auch die deutschen und belgischen Polizeibehörden Personal für dieses Team abstellen sollten. Dies ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht geschehen. Welche das waren, konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht ermittelt werden, aber offensichtlich handelt es sich hier um ähnliche Gründe wie die, die auch bei der Ablehnung einer euregionalen Kriminalpolizei (siehe unten) eine Rolle gespielt haben. Weil das „niederländische“ EOT mit anfangs nur 8 und später 12 Mann eigentlich eine zu kleine Einheit bildete, um größere Ermittlungen selbstständig und langfristig mit ausreichender Durchschlagskraft durchführen zu können, beschloss man Mitte 2006, das EOT unter Beibehaltung des eigenen Profils mit dem Büro für organisierte Kriminalität (BGC) zusammenzulegen. Diesem Büro gehörten Ende 2007 18 Mitarbeiter an, und es sollte kurzfristig auf eine Besetzung von 22 Mitarbeitern anwachsen. Die gemeinsame Personaldecke beider Büros lag also zu Beginn des Jahres 2008 bei 26 Mitarbeitern, deren Zahl allmählich bis auf 34 anstieg. Über die Zusammenlegung wurde am 1. März 2008 definitiv entschieden. Gegenwärtig kann das BGC/EOT durch diese Zusammenlegung jährlich vier bis fünf (mittel)große strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchführen. Daneben ist es nun in der Lage, auf mehrere „schwerwiegende Rechtshilfeersuchen“ jährlich entsprechend zu reagieren und bei Vorliegen ausreichender Informationen „kurze effek tive Einsätze“ durchzuführen. Ferner ermöglicht die Zusammenlegung es, Mitarbeiter flexibler einzusetzen und auf unvorhersehbare Sachverhalte schneller zu reagieren.115 114 Föderale Polizei Tongeren, Evaluatie: eerste fase drugsproblematiek, 2008. 115 Mitteilung des Polizeistabs Limburg-Zuid vom 9.9.2008. 119 Es liegt auf der Hand, dass der Aufbau dieses BGC/EOT in den beiden anderen Landesteilen mit großer Zufriedenheit verfolgt wurde. Man erhofft sich, dass durch diese Neustrukturierung die operative Schlagkraft der Kriminalpolizei Limburg-Zuid erheblich zunimmt und damit auch die Möglichkeiten, mit der Kriminalpolizei in den beiden anderen Landesteilen grenzübergreifend zusammenzuarbeiten. 5.3.3.2. Das verbindende Element: EPICC Wie bereits angesprochen, wurde das EPICC im Laufe des Jahres 2005 auf Initiative der in der NeBeDeAgPol zusammengeschlossenen Polizeichefs gegründet.116 In diesem Zentrum, in dem gegenwärtig insgesamt ca. 30 Polizeibeamte aus den drei Landesteilen Seite an Seite zusammenarbeiten,wird in zunehmendem Maße der grenzüberschreitende Informationsfluss insbesondere zwischen den regulären Polizeibehörden in der Euregio gefördert. 2007 wurden in diesem Zentrum ca. 55.000 Berichte bearbeitet, im Vergleich zum Jahr 2006 eine Steigerung um 42%. Das EPICC ist seit kurzem von belgischer Seite aus ISO-zertifiziert. Von Bedeutung ist vor allem auch, dass das EPICC immer häufiger eine aufklärende und koordinierende Rolle spielt. Für den Bereich der drogenbedingten Kriminalität drückt sich dies vor allem in einem nahezu permanenten Daten- und Informationsaustausch zwischen dem EPICC und den JHTs über Ereignisse, Erkenntnisse und Anzeigen aus, die möglicherweise in Verbindung mit dieser Form der Kriminalität stehen. Hierbei kann es sich ebenso um Hinweise zu (Kennzeichen von) verdächtigen Pkw vor Gebäuden handeln, die als Drogenhäuser bekannt sind, wie um die Festnahme von Personen durch die Kriminalpolizei auf Grund schwerer Verstöße gegen das Drogenrecht in einem der Landesteile. Diese Entwicklung wird beim EPICC in der näheren Zukunft zweifellos zur Aufstockung personeller Kapazitäten zur Auswertung führen (müssen), um bestimmte Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung rechtzeitig erfassen zu können. Mögliche Analysten im EPICC werden in Zukunft wohl verstärkt mit Analysten der meisten relevanten Polizeibehörden bei den verschiedenen regulären Polizeikorps in der Euregio zusammenarbeiten müssen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist, dass seit August 2008 monatliche Beratungsgespräche zwischen dem BGC/EOT, dem EPICC und den JHTs stattfinden. Die Mitarbeiter des EPICC sind – dies sei hier in aller Deutlichkeit gesagt – nicht befugt, im Hoheitsgebiet der drei beteiligten Länder selbstständige Fahndungsund Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen. Sie können allenfalls als Bindeglied der Kriminalpolizeien der Polizeibehörden in den drei Ländern dienen. Wie wichtig 116 Siehe den Bericht von D. Colling, NEBEDEAGPOL-project; gemeenschappelijk centrum voor politiesamenwerking in de Euregio Maas-Rijn, Heerlen, 2005. 120 diese Funktion jedoch ist, zeigt die Tatsache, dass das Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen drei seiner Mitarbeiter für das EPICC abgestellt hat. Nicht nur der quantitative Anstieg der Aufgaben des EPICC, sondern auch die wachsende Rolle dieses Zentrums im euregionalen Polizeibetrieb sind schließlich die Gründe für eine Diskussion über eine Verlängerung der Öffnungszeiten. Zurzeit ist das Büro von 7.30 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet. Es mehren sich aber die Stimmen, die sich für eine permanente Besetzung aussprechen. 5.3.3.3. Der Ausbau der JHT-Formel Die Formel der JHTs stammt aus der Zeit der so genannten Hazeldonk-Beratungen mit Frankreich über das Inkrafttreten des Schengener Durchführungsüberein kommens (siehe oben). Dies führte anfänglich zur Gründung des so genannten A-Teams, später erweitert zum A-Team International. 2004 wurde das A-Team International mit Hilfe von Fördermitteln der Europäischen Union durch ein Joint Hit Team ersetzt, um den Drogentourismus in die Niederlande zu bekämpfen (im Jahr 2006 wurde die Finanzierung von den Niederlanden übernommen).117 Dieses Team wurde einerseits der Polizei Midden- und West-Brabant (Breda) und andererseits der Polizei Limburg-Zuid (Maastricht) angegliedert. Es ist zum einen eine Form der Zusammenarbeit zwischen den genannten niederländischen Polizeiregios, dem Korps Landelijke Politiediensten, der Koninklijke Marechaussee und dem Zoll und zum anderen der belgischen, der französischen und der luxemburgischen Polizei. Die beiden untergeordneten Teams – JHT-Zuid-West und JHT-Zuid-Oost – bestehen auf Seiten der niederländischen Polizei grundsätzlich jeweils aus 9 Mitarbeitern. Die belgische und die französische Polizei beteiligen sich jeweils mit einem Mitarbeiter am JHT-Zuid-Oost, auf Anfrage kann auch ein luxemburgischer Polizeibeamter eingesetzt werden. Die beiden untergeordneten Teams werden von einem Projektleiter und einem operativen Leiter angesteuert, die von einer Assistentin des Managements und einem Verbrechensanalytiker unterstützt werden. Nicht im Rahmen der Hazeldonk-Beratungen, sondern aufgrund der Vereinbarungen, die im September 2005 vom Justiz- und vom Innenminister Nordrhein-Westfalens und dem niederländischen Justizminister getroffen wurden, bildeten die Niederlande und Deutschland im Frühjahr 2006 noch ein gesondertes JHT-Zuid-Oost. Die Bildung dieses Teams nahm vor allem deshalb einige Zeit in Anspruch, weil man sich über dessen Zielsetzung nicht einig war. Aus deutscher Sicht diente es in zu großem Maße der Bekämpfung der Belästigungen auf der niederländischen Seite der Grenze. Es gab erst grünes Licht, als klar wurde, dass das Team vorrangig für die Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden sollte. Die 117 121 Tweede Kamer, 2005-2006, 24077, Nr. 171. deutsche Polizei beteiligt sich an diesem Team mit zwei Beamten. Dies dürfte deutlich machen, dass zumindest die Niederlande mit dieser Investition in JHTs den Forderungen, die an sie im Zusammenhang mit Schengen in Bezug auf die Bekämpfung des Drogentourismus gestellt wurden, jedenfalls teilweise nachkommen. Wenn die anderen Länder, vor allem Belgien, Luxemburg und Frankreich, wünschen, dass die JHTs auch auf ihrem Territorium eingesetzt werden, um diesen Tourismus und die diesbezüglichen Probleme mit den Drugsrunnern und den Drogenhäusern wirksamer zu bekämpfen, werden sie natürlich im Gegenzug für diese Teams mehr Personal stellen und bereit sein müssen, bei gefährlichen Aktionen die notwendige Unterstützung zu bieten. Die JHTs arbeiten jedenfalls nicht immer selbstständig. Vor allem bei größeren Aktionen werden sie von Mitarbeitern der anderen Teile der beteiligten Korps und nötigenfalls auch von besonderen Polizeieinheiten, wie Verhaftungs- oder Über wachungsteams, unterstützt. Die Protokolle der JHTs zu ihren Aktivitäten zeigen, dass sie nicht nur mit den Drogenschmugglern und den Schmuggelmethoden im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Frankreich bestens vertraut sind, sondern gerade auch mit deren Infrastruktur (Coffeeshops und Drogenhäuser) und mit den Fahrzeugen und Netzwerken, auf die diese Personen zurückgreifen. Die Mitglieder dieser Teams erhalten ihre Informationen übrigens nicht nur im Rahmen der von ihnen durchgeführten Aktionen, sondern auch im Wege der normalen, bei den Polizeikorps üblichen betrieblichen Abläufe sowie auf Grund der durchgeführten drogenbezogenen Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen. Wie bereits erwähnt, bildet das EPICC hier ein wichtiges Bindeglied. 5.3.3.4. Die politische und operationelle Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften im BES Die justizielle Zusammenarbeit in der Euregio Maas-Rhein wurde durch die Gründung des bereits erwähnten Büros für euregionale Zusammenarbeit (BES) im Jahr 2001 er heblich vorangetrieben. Die diesbezügliche Initiative ging von der Staatsanwaltschaft Maastricht aus; die Generalstaatsanwaltschaft unterstützte die Gründung des Büros finanziell. Die ursprüngliche Aufgabe dieses neuen Büros bestand in der Förderung der grenzübergreifenden Strafverfolgung von Einzeltätern und Tätergruppen in der Euregio Maas-Rhein. Als Folge dieser Aufgabenstellung befasste sich das BES allmählich auch gezielter mit einer Straffung der strafrechtlichen Rechtshilfe in der Euregio. Wie oben bereits kurz erwähnt, zählt das BES bis auf den heutigen Tag vor allem Niederländer zu seinen Mitarbeitern (ein Staatsanwalt, zwei Sachbearbeiter, ein Jurist, ein Archivar und eine Assistentin des Managements), ergänzt durch einen juristischen Mitarbeiter der belgischen Staatsanwaltschaft. In naher Zukunft wird dem BES auch ein deutscher Staatsanwalt angehören, und durchaus denkbar ist, dass 122 auch die belgische Seite kurzfristig einen Staatsanwalt für das BES abstellen wird. Den Aufzeichnungen zu den Aktivitäten des BES in den vergangenen Jahren kann man entnehmen, dass das Büro auf unterschiedliche Weise versucht hat, seinen Auftrag zu erfüllen. Hierbei ist zunächst an die Organisation und Förderung von strategischen und operativen Beratungen zwischen Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden in den drei beteiligten Landesteilen zu denken. Daneben ist sicher auch auf die wichtige Rolle zu verweisen, die dieses Büro für die allgemeine Ausgestaltung der Rechtshilfe in Strafsachen, bei den Auseinandersetzungen zur Reform der nationalen gesetzlichen Regelungen auf diesem Gebiet, bei der Erarbeit ung von Maßnahmen zur Umsetzung der Politik im Rahmen der dritten Säule der Europäischen Union und bei der Ausbildung von Polizei- und Justizbeamten für den Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den Niederlanden spielt. Genauso wichtig ist natürlich die operative Rolle des BES beim grenz übergreifenden Vorgehen in wichtigen Strafsachen. In der jüngeren Vergangenheit betraf dies konkret ein erfolgreiches Vorgehen gegen eine Motorradbande und einen erfolgreichen Zugriff in einem Fall von Ecstacy-Produktion im großen Maßstab. Es liegt auf der Hand, dass in Fällen wie diesen „klassische“ Rechtshilfeersuchen eine wichtige Rolle gespielt haben. Darum war auch die erfolgreiche Bekämpfung von Motorraddiebstählen in der Region durch Einsatz eines gemeinschaftlichen Fahndungsteams (joint investigation team – JIT) eine besondere Erfahrung. Gegenwärtig wird übrigens geprüft, ob nicht auch ein solches Team eingerichtet werden kann, um die Problematik der Drugsrunner auf belgischem Staatsgebiet effektiver anzugehen. Es soll dabei nicht nur den Informationsaustausch erleichtern, sondern auch eine schnellere Anwendung von besonderen Kompetenzen bei der Fahndung ermöglichen. Zu diesen Beispielen ist jedoch anzumerken, dass es sich besonders auf der niederländischen Seite trotz des EOT immer wieder als schwierig erwies, ausreichende Kapazitäten der Polizei auf euregionaler Ebene für die diesbezüglichen Ermittlungen hinreichend zeitnah bereitzustellen. Unter anderem deshalb war es in einem Fall notwendig, die Ermittlungen der überregionalen Kriminalpolizei in Eindhoven zu übertragen. Aus diesen Gründen hat das BES immer die Einrichtung und den Ausbau eines BGC/EOT unterstützt. Die Verfügbarkeit eines solchen Teams gäbe dem BES jedenfalls in Bezug auf grenzüberschreitende Kriminalitätsprobleme mehr Hand lungsspielraum. Hier wird jedoch ein allgemeines Problem tangiert, auf das wir während unseres Rundgangs durch die Euregio von den zuständigen Stellen in Belgien und Deutschland wiederholt hingewiesen wurden. Danach sei es aus verschiedenen Gründen besonders schwierig, von der Polizei Limburg-Zuid Unterstützung bei der Durchführung von Rechtshilfeersuchen durch den Einsatz personeller Kapazitäten zu erhalten, um bestimmte Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen oder um 123 (gemeinsam) gespiegelte oder parallele Ermittlungen durchzuführen.118 Der erste Grund ist, dass bei Polizei und Justiz in den verschiedenen Landesteilen die strafrechtlichen Ermittlungen nicht immer mit derselben Priorität behandelt werden. Dieses Problem macht sich besonders im Bereich drogenbedingter Kriminalität bemerkbar: Sachverhalte, die in den Augen der deutschen und belgischen Behörden wichtig erscheinen, und zu denen ihrer Meinung nach Ermittlungen erforderlich sind, sind nach Auffassung der niederländischen Behörden nicht immer wichtig genug, um tätig zu werden. Besonders in den Fällen, in denen deutsche und belgische Behörden über umfangreiche „Anfangsverdachtsmomente“ verfügen und diese auch mit den niederländischen Behörden teilen, sorgt die unterschiedliche Prioritätensetzung für große Frustration. Der zweite Grund besteht jedenfalls nach Ansicht der deutschen und belgischen Behörden darin, dass die niederländische Polizei durch ihre sehr programmatische und projektbezogene Organisation ihrer Arbeitsweise nicht flexibel genug sei, in angemessener Weise, also zügig und gezielt, auf Rechtshilfeersuchen zu reagieren, die aus deutscher und belgischer Sicht wichtig sind und daher in der gebotenen Eile behandelt werden sollten. Eine Frage, die in diesem Zusammenhang oft gestellt wird, ist übrigens, ob die niederländische Polizei der Staatsanwaltschaft gegenüber einerseits nicht zu selbstständig operiert und andererseits nicht vielleicht zu sehr unter dem Einfluss der örtlichen Verwaltungen steht, also des Korpsverwalters und der Bürgermeister, für die die Bekämpfung von Belästigungen und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung schwerer wiegen als die Strafverfolgung von schwerer Kriminalität. Der dritte Grund liegt in der zahlenmäßigen Stärke der Polizei in ZuidLimburg, und sicherlich auch der des GC/EOT, der Kriminalpolizei, die sich besonders mit der organisierten Kriminalität in der Region befasst. Wie bereits erwähnt, besteht die taktische Kapazität dieser Kriminalpolizei augenblicklich aus 34 Beamten. Das ist besser als nichts, aber in einem Korps von ungefähr 1.800 Beamten natürlich auch nicht viel. Sicherlich nicht hinsichtlich der Frage, die hier auch aus der Sicht des Auslands laut und deutlich gestellt werden muss: Ist diese Kriminalpolizei stark genug, um in ausreichendem Maße sowohl arbeitsintensive Ermittlungen in der eigenen Region durchzuführen als auch die realen Bedürfnisse der grenzübergreifenden operativen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit der Behörden in den Nachbarländern in angemessener Weise zu decken? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nur geboten, 118 Für eine gründliche Analyse der strafrechtlichen Rechtshilfegewährung vgl.: C. Fijnaut, T. Spapens und D. Van Daele, De strafrechtelijke rechtshulpverlening van Nederland aan de lidstaaten van de Europese Unie: de politieke discussie, het juridisch kader, de landelijke organisatie en de feitelijke werking, Zeist, Verlag Kerckebosch, 2005. In Kürze erscheint die Ergänzung dieser Studie: D. Van Daele, T. Spapens und C. Fijnaut, De strafrechtelijke rechtshulpverlening door België, Duitsland en Frankrijk aan Nederland, Antwerpen, Intersentia, 2008. 124 sie ist bittere Notwendigkeit. Eine gute Zusammenarbeit in der Euregio Maas-Rhein ist jedenfalls in hohem Maße abhängig von einer Kriminalpolizei der Polizei LimburgZuid, die quantitativ und qualitativ den großen Problemen der grenzüberschreitenden Kriminalität gewachsen ist. An die Frage nach der quantitativen Kapazität der zentralen Kriminalpolizei schließt sich die mehr qualitative Frage an, ob die Organisation des Korps wohl ausreichend auf eine Zusammenarbeit mit den ausländischen Polizeikorps in der Euregio zugeschnitten ist, vor allem in Bezug auf die drogenbedingte Kriminalität. Ganz allgemein wird in den Nachbarländern jedenfalls eine Spezialeinheit vermisst, die nicht nur für das gesamte Korps für eine kohärente Umsetzung der Politik der Polizei auf diesem Gebiet steht, sondern die den Polizeikorps der Nachbarländer auch als Ansprechpartner dienen kann und nötigenfalls Personal und Mittel liefern kann, um wichtigen Rechtshilfeersuchen schnell und kompetent zu entsprechen. Ein besonderer Kritikpunkt der anderen Landesteile betrifft den andauernden Personalwechsel in einschlägigen Bereichen der niederländischen Polizei, aus dem resultiere, dass neuen und oft unerfahrenen Beamten immer wieder aufs Neue er läutert werden müsse, worum es geht. Diesen Ausführungen ist allerdings ausdrücklich anzufügen, dass das Unbehagen an der Gewährung strafrechtlicher Rechtshilfe in der Euregio Maas-Rhein seitens der niederländischen Polizei und Justiz seit Gründung des BES und der Einrichtung des IRC beim EPICC erheblich zurückgegangen ist. Ein Teil der verbliebenen Unzufriedenheit betrifft dann auch nicht mehr die Einstellung und die Mitarbeit der niederländischen Behörden und Dienste in der Euregio, sondern die mangelhafte Art und Weise, wie anderswo in den Niederlanden, besonders in den Großstädten, auf Rechtshilfeersuchen aus Belgien und Deutschland reagiert wird. Dies ist der Grund, warum ausländische Behörden manchmal darauf verzichten, ein oder mehrere Rechtshilfeersuchen in den Niederlanden einzureichen. Dies habe keinen Sinn, es komme ja doch keine Antwort. Übrigens sollte man die daraus resultierenden Konsequenzen für die Vorstellung von der niederländischen Drogenpolitik nicht unterschätzen, die diese negativen Erfahrungen mit den Gesuchen um Rechtshilfe bei niederländischen Behörden haben. So wurde bei den Gesprächen am runden Tisch mehr als einmal mit großer Bestimmtheit behauptet, dass deren abwehrende, widerspenstige Einstellung wohl aus den großen wirtschaftlichen Interessen der Niederlande und insbesondere der niederländischen (Grenz‑)Städte im Zusammenhang mit der Produktion, dem Handel und dem Vertrieb von Drogen resultiere. Anders sei, so meinte man, die allgemein wenig kooperative Einstellung der Niederlande nicht nachvollziehbar. 125 5.3.3.5. Die Organisation der polizeilichen und justiziellen Rechtshilfe im IRC Die gegenseitige Gewährung internationaler (polizeilicher und justizieller) Rechtshilfe stellt noch immer eine sehr wichtige Form der Zusammenarbeit in der Euregio MaasRhein dar. Dies kann man nicht nur an den großen Ermittlungsverfahren festmachen, die in den vergangenen Jahren, auch dank der Bemühungen des BES, in den verschiedenen Landesteilen erfolgreich abgeschlossen wurden. Dies ergibt sich auch aus einer immer größer werdenden Zahl von ein- und ausgehenden, überwiegend administrativ geprägten Rechtshilfeersuchen beim internationalen Zentrum für Rechtshilfe IRC, das in Form eines joint venture im EPICC untergebracht ist und vom BES und der Leitung der Polizei Limburg-Zuid angesteuert wird. 2007 wurden vom IRC insgesamt 3.483 polizeiliche Rechtshilfeersuchen bearbeitet, die insgesamt 11.445 Teilanträge beinhalteten. Von Januar bis August 2008 waren es 6.079 Ersuchen und 10.670 so genannte Teilanträge von Rechsthilfeersuchen. Es ergibt sich also ein enormer Anstieg der Zahl der Ersuchen und der Teilanträge. Bei den justiziellen Rechtshilfeersuchen handelt es sich 2007 um 3.297 Ersuchen, für 2008 (bis 13. Juli) liegt die Zahl bei 1.483 Ersuchen. An Teilanträgen waren es 6.469 in 2007 bzw. 4.775 in 2008 (bis 13. Juli). Für dieses Jahr scheinen sich weniger Ersuchen zu ergeben als im Jahr 2007, was jedoch nicht für die Zahl der Teilanträge gilt.119 Die Zahlen werden in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach immer weiter steigen, erst recht, wenn die Pläne der deutschen Seite in die Tat umgesetzt werden, den strafrechtlichen Rechtshilfeverkehr im gesamten Grenzgebet mit den Niederlanden so oft wie möglich über das IRC in Heerlen laufen zu lassen. Ferner ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass nicht nur die Gesamtzahl der polizeilichen und justiziellen Rechtshilfeersuchen steigt, sondern auch die Schwere dieser Ersuchen zunimmt. Geht es zurzeit noch vor allem um informativ geprägte Rechtshilfeersuchen, so gehen inzwischen auch immer mehr Rechtshilfeersuchen ein, bei denen wie bereits erwähnt um operative Unterstützung gebeten wird. Dies kann auch aus dem Inhalt der Teilanträge abgeleitet werden: Neben einer Vielzahl von (Teil-) Fragen wurde in den Jahren 2007 / 2008 auch eine beträchtliche Zahl eher operativer Anfragen eingereicht, z.B. zu Vernehmungen von Zeugen und Tatverdächtigen und zur Durchführung von Durchsuchungen und der Beschlagnahme von Gegenständen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei Vereinbarungen zu Schwerpunktsetzung, Ablaufplanung und Bearbeitungsfristen von Rechtshilfeersuchen getroffen wurden. Im konkreten Fall nimmt ein Mitarbeiter des BES Kontakt mit den ersuchenden Staatsanwälten und Polizeibeamten im Ausland auf, um die juristische Umsetzbarkeit und die praktische Durchführung eines Ersuchens zu besprechen. Auf diese Weise versucht man, der Unzufriedenheit im 119 126 Mitteilung vom 19.8.2008 von L. Wassercordt, Büroleiter EPICC. Ausland über die Behandlung von Rechtshilfeersuchen durch die (niederländische) Polizei und Justiz in der Euregio so weit wie möglich entgegenzuwirken. Diese Entwicklungen bestärken natürlich die beteiligten Behörden in der Euregio in ihren Überlegungen, dass das IRC Heerlen, das augenblicklich noch Teil des IRC-Zuid mit Sitz in Eindhoven ist, selbstständig werden und den Status eines eigenständigen IRC erhalten müsse. Ein IRC, das offenkundig ein so wichtiges administratives und operatives Bindeglied bei der Entwicklung einer organisatorischen Ausgestaltung darstellt, um die strafrechtliche, polizeiliche und justizielle Zusam menarbeit in der Euregio Maas-Rhein weiter zu intensivieren und zu vereinfachen, verdient in ihren Augen einen gesonderten Status. Dies würde nicht nur den zeitlichen Ablauf vieler Rechtshilfeersuchen erheblich verkürzen, da sie dann nicht mehr über Eindhoven nach Heerlen geschickt werden müssten, sondern auch die Einbindung und Beschleunigung ihrer Durchführung im Rahmen der gesamten strafrechtlichen Zusammenarbeit in diesem Grenzgebiet fördern. Die Tatsache, dass eine Vielzahl von Ersuchen von Mitarbeitern anderer niederländischer, aber auch deutscher und belgischer Polizeikorps stammt, nur weil sie den Weg über das EPICC/IRC dem über andere IRCs vorziehen, und diese Ersuchen somit keinen direkten Bezug zur strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Euregio Maas-Rhein haben, ändert im Übrigen nichts an den Argumenten zu Gunsten einer Verselbstständigung dieses IRC. Fraglich ist vielmehr, ob die allgemeine Organisation der Abwicklung von Rechtshilfeersuchen in den Niederlanden und den sie um gebenden Ländern überhaupt noch zeitgemäß ist. 5.3.4. Die neuen, aber umstrittenen Initiativen Zurzeit sind zwei Initiativen im Gespräch, um die strafrechtliche Bekämpfung von grenzüberschreitender schwerer (organisierter) Kriminalität allgemein – also nicht nur die (grenzüberschreitende) Produktion, den Handel und Vertrieb von bzw. mit Betäubungsmitteln im großen Maßstab betreffend – zu verbessern und zu verstärken. Diese Initiativen sind beide niederländischen Ursprungs. Sie sind zwar voneinander zu unterscheiden, voneinander zu trennen sind sie aber nicht. Die eine betrifft die mögliche Gründung einer euregionalen Kriminalpolizei, die andere die länder übergreifenden Einrichtung von Eurocrime. Wenn es nach den Initiatoren von Eurocrime geht, könnte die euregionale Kriminalpolizei irgendwann eine Abteilung von Eurocrime werden. 5.3.4.1. Auf dem Weg zu einer euregionalen Kriminalpolizei? Der Korpsleiter der Polizei Limburg-Zuid, Velings, trat im Sommer 2007 mit der Bitte an C. Fijnaut und D. Van Daele heran um eine Stellungnahme zur Gründung einer euregionalen Kriminalpolizei (Euregionale Recherche / ER). In ihrem im November 2007 127 vorgestellten Gutachten kommen die beiden Experten zu der Auffassung, dass vieles dafürspreche. So könne das gemeinschaftliche strafrechtliche Vorgehen gegen die grenzüberschreitende Kriminalität unmittelbar weiter gestärkt werden und es könne auf diesem Weg mittelbar ein entscheidender Beitrag zum administrativen Vorgehen gegen diese Probleme in der Euregio Maas-Rhein geleistet werden. Ihrer Meinung nach bieten die bereits erwähnten Polizei- und Rechtshilfeabkommen ausreichende Grundlagen für die Gründung einer solchen Kriminalpolizei. Ob es dazu kommt, hänge jedoch davon ab, wie eine solche Kriminalpolizei organisiert wird und wie die Ausübung der justiziellen Gewalt über ihr Vorgehen gewährleistet wird.120 Ihr konkreter Vorschlag lautete, ein Team mit zunächst einmal 36 qualifizierten belgischen, niederländischen und deutschen Kriminalbeamten zu bilden, das aber später aufgestockt werden kann. Lediglich die Leitung und Unterstützung dieser Kriminalpolizei müsse an einem festen Standort angesiedelt sein, vorzugsweise am jetzigen Standort des EPICC, des IRC und des BES. Die Kriminalbeamten selbst könnten von ihren jeweiligen Arbeitsplätzen in der Euregio aus (den jeweiligen Korps oder Dienststellen) den Stellen zuarbeiten, bei denen die Ermittlungen tatsächlich stattfinden. Selbstverständlich müsse dieses Team auch die besonderen Einheiten in Anspruch nehmen können, die in der Euregio zur Verfügung stehen: das JHT, ein Überwachungsteam und ein Verhaftungsteam. Daneben müsse auf verschiedene Weise Sorge dafür getragen werden, dass die ER gute Beziehungen zu den Kriminalpolizeien und den Kriminalbeamten bei den Polizeikorps in der Euregio unterhalte. Die Lenkung dieses Teams solle den Staatsanwälten beim BES und den Leitern der Kriminalpolizeien in der Euregio anvertraut werden. In konkreten Strafsachen solle die Leitung den Staatsanwälten der Staatsanwaltschaft bzw. dem Unter suchungsrichter obliegen, bei denen diese Verfahren anhängig sind. Die beteiligten Kriminalbeamten gehen nur auf dem Staatsgebiet ihres Herkunftslandes ihren Zuständigkeiten selbstständig nach. Anderenfalls leisten sie den Teamkollegen, die in den anderen Landesteilen zuständig sind, lediglich Amtshilfe. In der betreffenden Stellungnahme wurden auch die Alternativen zu einer ER untersucht. Es werden dabei sehr wohl die positiven Seiten eines gemeinschaftlichen Ermittlungsteams anerkannt, dessen Gründung nach Artikel 13 des EU-Rechts hilfeübereinkommens möglich sei. Empfohlen wird auch, Teile der betreffenden Regelung in eine multinationale Vereinbarung zu übernehmen, die die Grundlage für eine ER bilden solle. Die alleinige Einrichtung eines solchen gemeinschaftlichen Ermittlungsteams wird für die Euregio nicht für sinnvoll gehalten. Solch ein Team habe jedenfalls nach Maßgabe des genannten Übereinkommens immer einen „adhoc“-Charakter und sei grundsätzlich für die Lösung eines spezifischen Problems 120 C. Fijnaut und D. Van Daele, De oprichting van een gemeenschappelijke recherche in de Euregio Maas-Rijn, Tilburg- Leuven, 2007. 128 innerhalb eines begrenzten Zeitraums gedacht.121 Eine solche Konzeption sei daher für die Einrichtung einer dauerhaften und strukturellen Zusammenarbeit bei der grenzübergreifenden Fahndung nicht geeignet. Das heiße aber nicht, dass nicht auch im Rahmen einer ER nach dem Konzept eines gemeinschaftlichen Ermittlungsteams operiert werden könne, wenn dies für das Vorgehen gegen ein bestimmtes Problem sinnvoll sei. Dasselbe gelte nach Meinung der Verfasser für erprobte Verfahren, nach denen Polizeibeamte und Staatsanwälte auf der Grundlage einer Vereinbarung bzw. eines allgemeinen Rechtshilfeersuchens grenzüberschreitend zusammenarbeiten, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Auf niederländischer Seite der Euregio kann dieser Vorschlag verständ licherweise weitgehend mit breiter Zustimmung rechnen, geht es hier doch bis zu einem gewissen Grad um die Wiederbelebung des BGC/EOT, wie es anfänglich an gelegt war. Auf belgischer und deutscher Seite der Euregio reagierte man jedoch sowohl seitens der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft viel weniger von diesem Vorschlag angetan. Vereinzelt kann man ihm aber dennoch etwas abgewinnen: Ein solches Team biete Polizei und Justiz jedenfalls vor allem durch eine Verbesserung des Infor mationsaustauschs die Möglichkeit, beherzt und schlagkräftig auf die Krimi nalitätsprobleme in der Euregio zu reagieren. Viele der Gesprächspartner auf diesen Seiten der Grenze gaben jedoch an, dass der Vorschlag aus unterschiedlichen Gründen zumindest in absehbarer Zeit keine Zustimmung finden könne und werde. In erster Linie ist man der Meinung, dass zunächst die Möglichkeiten der bestehenden Initiativen voll ausgeschöpft werden sollten, um das gesteckte Ziel zu erreichen, bevor mit neuen Initiativen begonnen werden könne. Aus ihrer Sicht soll das heißen, dass mit Hilfe von Rechtshilfeersuchen, gemeinsamen Ermittlungsteams, dem BES, dem EPICC usw. mehr erreicht werden könne, als dies bislang versucht wurde. Darin liegt auch der Vorwurf an die Adresse der niederländischen Polizei (auch außerhalb der Euregio Maas-Rhein), dass sie sich noch immer nicht in ausreichendem Maße für eine angemessene Behandlung operativ geprägter Rechtshilfeersuchen einsetze, die wichtige Strafsachen in Belgien und Deutschland betreffen. Solange dies nicht konsequent geschehe, wolle man keine weiteren Schritte für eine Zusammen arbeit unternehmen. Zweitens fragt man sich, was genau die Zielsetzung einer ER sei. Wenn diese eine wirksamere Bekämpfung der Belästigungen auf niederländischer Seite der Grenze bedeute, wolle man sich dafür sicher nicht zusätzlich engagieren. Eine solche Zielsetzung diene nicht den Interessen der anderen Partner in der Euregio. 121 Bezüglich der Gründung eines solchen Teams vgl. die (niederländische) Aanwijzing internationale gemeenschappelijke onderzoeksteams vom 1.6.2004 der Generalstaatsanwaltschaft und auch den (belgischen) Gemeenschappelijke omzendbrief van de minister van Justitie en het college van procureurs-generaal betreffende de internationale rechtshulp in strafzaken vom 10.2.2005. 129 Gesprächsbedarf bestehe längerfristig für den Bereich der strafrechtlichen Bekämp fung krimineller Gruppierungen, die grenzüberschreitend operieren. Hieran anknüpfend wird gelegentlich vorgebracht, dass dies wahrscheinlich eine weitere personelle Verstärkung der Kriminalpolizei bei der Polizei Limburg-Zuid erfordere und dass sie für die Bekämpfung des Drogenhandels in großem Maßstab speziali sierter und zentralisierter werden müsse. Drittens ist man deshalb nicht unmittelbar geneigt, diese Initiative zu unterstützen, weil sie ohne vorherige Beratungen präsentiert wurde. Man wisse daher eigentlich gar nicht so recht, was sie genau beinhalte, und hatte sicher nicht aus reichend Gelegenheit, die Konsequenzen für die eigene Organisation zu analysieren. Hier und da wurde bezweifelt, ob das Konzept einer ER überhaupt mit den Einrichtungen von Polizei und Justiz im eigenen Land zu vereinbaren sei. Schließlich wurde auch noch vorgebracht, dass eine Kriminalpolizei mit beispielsweise 60 Mann nicht wirklich viel sei im Verhältnis zu den großen Kriminalitätsproblemen, die die Euregio belasteten. Diese Probleme seien nicht nur zahlenmäßig groß, sondern aus dem Blickwinkel der Fahndung auch komplex. Zu denken sei dabei beispielsweise an die Drugsrunner, die manchmal in einer Nacht in niederländischer, marokkanischer und französischer Sprache fünfzig und mehr Verhandlungsgespräche führen. Alle diese Gespräche müssten abgehört werden. Dazu seien nicht nur viele Einsatzkräfte der Polizei, sondern auch zahlreiche Dolmetscher erforderlich. Es sei mit anderen Worten viel eher angezeigt, so jedenfalls die Argumentation, alle verfügbaren Kriminalbeamten entsprechend den Wünschen und Erfordernissen nach guter Absprache untereinander einzusetzen. Dies sei auf deutscher und niederländischer Seite viel einfacher zu erreichen als auf der belgischen, weil sie in den beiden erstgenannten Landesteilen letzten Endes ein und demselben Polizeikorps angehörten. Mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften könne hier viel flexibler vorgegangen werden. 5.3.4.2. Auf dem Weg zu Eurocrime? Im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Gründung einer ER haben die Staatsanwaltschaften in Maastricht und Roermond zusammen mit der Polizei Limburg-Zuid im Laufe des Jahres 2007 einen Vorschlag entwickelt, die polizeilichen und justiziellen Kräfte, also die NeBeDeAgPol, das BES, die regulären Beratungen der Staatsanwälte, das EPICC, das BGC/EOT und zukünftig vielleicht eine ER und ein IRC, in der Euregio Maas-Rhein in einem festeren Zusammenschluss, Eurocrime (EC), zu bündeln. Das Ziel dieses Projekts ist ein wirksameres (schnelleres und gezielteres) Vorgehen gegen schwere (organisierte) Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein. Dies solle insbesondere durch die umfassende Nutzung der vielen Möglichkeiten geschehen, die die jüngsten Polizei- und Rechtshilfeübereinkommen 130 diesbezüglich bieten.122 Ganz konkret bedeutet das, dass alle zuvor genannten Formen von Beratungen und tatsächlicher Zusammenarbeit an einem einzigen Standort zusammengebracht werden sollen. Diese Arbeitsgemeinschaft soll den Namen „Eurocrime“ erhalten und von einer begleitenden Kommission angesteuert werden, die sich aus den Spitzen von Polizei und Staatsanwaltschaft in der Euregio zusammensetzt. Die örtlichen Behörden sollen im Hinblick auf das administrative Vorgehen gegen wichtige Probleme der Kriminalität ebenfalls aufgefordert werden, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Im diesbezüglichen Vorschlag wird erläutert, dass eine solche Konstruktion: - den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten in großem Maße fördern und auch die Erstellung einer Analyse des euregionalen Kriminalitätsbildes erheblich erleichtern würde; - ermöglichen würde, mit Hilfe eines Kompetenzteams aus Staatsanwälten und Leitern der Kriminalpolizeien gemeinschaftlich über die schwerpunktmäßige Ver teilung der verfügbaren Fahndungskapazitäten auf die anhängigen Ermittlungs verfahren zu entscheiden; - die Grundlage für den Aufbau eines Wissens- und Expertisezentrums bilden würde, das nicht nur der Bekämpfung der schweren (organisierten) Kriminalität in der Euregio sehr zugute kommen würde, sondern sich auch zu einer nationalen und internationalen Drehscheibe der grenzüberschreitenden polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der Europäischen Union weiterentwickeln könnte. Auch diese Initiative wurde von den justiziellen Behörden in den Nachbarländern mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Leiter einiger Staatsanwaltschaften begrüßen diese Idee ohne großen Kommentar. Andere bringen sowohl Zustimmung als auch Ablehnung deutlicher zum Ausdruck. Deutsche und auch belgische Staatsanwälte sind der Idee zugeneigt, auf der die EC beruht. In den vergangenen Jahren wurden zwar ihrer Aussage nach große Fortschritte erzielt, aber es sei wichtig, diesen Weg fortzusetzen. Wo dies erforderlich ist, sei eine weitere Bündelung der Kräfte geboten. Vielleicht ginge die Gründung einer ER jedoch einen Schritt zu weit, aber es spreche nichts dagegen, sich konkreter vor Augen zu führen, was genau Eurocrime für die Praxis bedeuten könne. Und das umso weniger, weil man auf nationaler Ebene händeringend nach Lösungen für die großen Probleme der Kriminalität in einem Grenzgebiet wie dem der Euregio Maas-Rhein suche. Sie sprechen sich dafür aus, den Vorschlag wenigstens auf seinen praktischen Wert hin zu überprüfen. 122 Staatsanwaltschaft Maastricht und Roermond, Polizei Limburg-Zuid, Visiedocument euregionale samenwerking 131 Limburg, 2007. Dem steht gegenüber, dass sowohl auf deutscher als auch auf belgischer Seite einige Staatsanwälte vorbrachten, dass der Aufbau einer EC nicht so recht in die institutionellen Verhältnisse in den beteiligten Ländern passe: Wer übt im Allgemeinen und in konkreten Strafsachen die Gewalt aus? Ist nicht die Verselbstständigung bzw. Isolation einer solchen Einheit zu befürchten? Geht ihre Gründung nicht auf Kosten des Vorgehens gegen die Probleme auf lokaler Ebene oder in anderen Teilen des Landes? Andererseits wird von ihrer Seite auch die große Notwendigkeit einer EC bezweifelt. Mit der Einrichtung des BES sei ihrer Meinung nach bereits ein enormer Fortschritt erzielt worden. Eine EC sei mit anderen Worten vielleicht etwas für die ferne Zukunft. Warum solle nicht öfter und effektiver von den traditionellen Möglichkeiten der gegenseitigen Rechtshilfe Gebrauch gemacht werden? Warum solle nicht mit der Konzeption der JITs experimentiert werden? Auf diese Weise sei man nicht nur in der Lage, die gegenseitigen Strukturen besser kennen zu lernen, sondern könne man auch eine Vertrauensbasis schaffen, die zukünftig weitere Schritte möglich macht. Ferner ist aus diesen Kreisen zu hören, dass die Bildung einer EC den Mangel an Polizeikapazitäten auf der niederländischen Seite als das größte Problem auch nicht löse, um den eher operativen Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland auf angemessene Weise zu entsprechen. Weil die Mehrheit der Leiter der Staatsanwaltschaften befürwortete, den Vorschlag der Gründung einer EC wenigstens einer genaueren Prüfung zu unterziehen, wurde auf ihrer Versammlung vom 18. Juni 2008 entschieden, eine Arbeitsgruppe mit dieser Aufgabe zu betrauen. 5.4. Résumé Die obige Erörterung zeigt deutlich, wie sehr man in den vergangenen Jahren nicht nur in Maastricht, sondern in der gesamten Euregio Maas-Rhein mit der Drogen problematik gerungen hat und noch ringt. Diese Problematik wird mit Absicht nicht in diesem, sondern erst im folgenden Kapitel analysiert. Der Grund besteht darin, dass man sich so besser vor Augen führen kann, inwieweit die augenblickliche Politik in den einzelnen Teilen der Euregio an die Drogenprobleme angepasst werden kann oder muss, so wie sie sich gegenwärtig tatsächlich darstellen. Wie schwierig es dabei ist, diesen Problemen zu begegnen, zeigt sich überdeutlich in der mühseligen Entwicklung einer politischen Linie bezüglich der Coffeeshops in Maastricht. Man kann sie ohne Übertreibung einen verwaltungs behördlichen Leidensweg nennen, und ein Ende der Reise ist noch nicht in Sicht. Das Kernstück der Politik der Stadt ist natürlich die Verlegung der Coffeeshops an den Stadtrand. Im Hinblick auf eine Reduzierung der Belästigungen in der Innenstadt und den benachbarten Vierteln macht dieses Vorgehen auch Sinn, denn zweifellos wird bis zu einem gewissen Grad ein Teil des regulären Stroms der so genannten Drogen touristen in die Richtung der geplanten Coffeecorners gelenkt. Man darf jedoch nicht 132 erwarten, dass dies auch dem großen Problem der Drugsrunner ein Ende setzt, für die diese Touristen weiterhin eine leichte Beute sind beim Verkauf verschiedener Drogen in den Drogenhäusern in Maastricht selbst, aber auch in den Drogenhäusern, die es mittlerweile bereits in den stadtnahen Gemeinden bzw. entlang der Autobahn A2 / E25 bis in Richtung Luxemburg-Stadt gibt. Es ist zu begrüßen, dass Maastricht augen blicklich alles unternimmt, um in diesem Punkt mit allen beteiligten Gemeinden zu einer Verständigung über die Bedingungen zu gelangen, unter denen eine Umsiedlung möglich ist. Es geht tatsächlich nicht an, diese Gemeinden einseitig mit einem Teil der erheblichen Belästigungen zu konfrontieren, die durch die Drogenprobleme in Maastricht verursacht werden. Diese Bedingungen sollten zweifellos Bestandteil eines allgemeinen Handlungskonzepts für die Drogenprobleme in der Euregio Maas-Rhein sein. Nicht nur, weil die Umsiedlung einer Reihe von Coffeeshops an den Stadtrand nur eine der möglichen Maßnahmen bildet, um die große Belastung der Drogenproblematik für die Euregio zu erleichtern, sondern auch, weil eine Maßnahme wie diese nur unter einer Reihe von Bedingungen ihr Ziel erreichen kann. Daher sollte man meinen, dass die beteiligten Verwaltungen sich zumindest in groben Zügen über die Bedingungen und die anderen Maßnahmen einig werden müssen, bevor sie der Umsiedlung von einigen Coffeeshops zustimmen können. In Kapitel 7 werden die Umrisse für einen solchen Plan skizziert. Eine der Schwierigkeiten, die in diesem Plan im Hinblick auf Maastricht und diese eine Maßnahme überwunden werden müssen, betrifft das Screening der diesbezüglichen Konzessionsanträge. Die Stadt möchte in diesem Fall auf die Anwendung des BIBOB-Gesetzes verzichten. Diese Zusage an die Betreiber der Coffeeshops ist aus pragmatischen Gründen nachvollziehbar, aber eine solche Vereinbarung ist nur schwer mit dem Schutzzweck des BIBOB-Gesetzes oder den großen kriminellen Risiken zu vereinbaren, die dem Cannabissektor verschiedenen Untersuchungen zufolge offenkundig innewohnen. Die andere Schwierigkeit besteht darin, dass überhaupt nicht klar ist, ob die „Damokles-Politik“ bei den betreffenden Coffeeshops in ihrer vollen Härte und Bandbreite zur Anwendung kommen soll. Sollte dies nicht geschehen, kann daraus nur geschlossen werden, dass die Glaubwürdigkeit der niederländischen CoffeeshopPolitik vollständig verloren geht, die als bedeutsamste Ausprägung der Duldungs politik ohnehin nicht allzu glaubwürdig ist. Wenn noch nicht einmal die Spielregeln dieser Duldungspolitik durchgesetzt werden, entwickelt sich die gesamte nieder ländische Drogenpolitik zu einer Farce. Und dies nicht nur aus der Sicht des Auslands, denn auch in den Augen der niederländischen Bevölkerung ist sie dann in keiner Weise mehr nachvollziehbar. Dieser Rückschluss ist im Licht der Argumente zu sehen, die die Gemeinde zur Rechtfertigung der Umsiedlung der Coffeeshops anführt. Erstens ist es überhaupt die Frage, ob die niederländische Coffeeshop-Politik das Erfolgsmodell ist, von dem in 133 den Schriften der Gemeinde die Rede ist. Zum Vergleich dienen die diesbezüglichen Ausführungen in (der Schlussfolgerung zu) Kapitel 4. Zweitens wird einfach nur behauptet, dass die Schließung der Coffeeshops zu einem unbeherrschbaren Netzwerk von illegalen Verkaufsstellen führen werde. Es ist einerseits die Frage, ob man sie allesamt schließen müsste. Geht diese Schwarzweißmalerei nicht völlig an so einem komplexen Problem vorbei? Andererseits ist noch die Frage, ob tatsächlich ein so großes „Vertriebsnetzwerk im Untergrund“ entstehen wird, denn viele Drogen touristen aus dem Ausland können ohne große Schwierigkeiten ihre Bedürfnisse nach sämtlichen Drogen auch im eigenen Land befriedigen. Warum soll Maastricht, also Zuid-Limburg, noch länger gewillt sein, als eines der wichtigsten Verkaufszentren in Nordwesteuropa zu fungieren? Darüber hinaus sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass bereits jetzt ein beträchtliches illegales Vertriebsnetzwerk in Maastricht und anderswo in Zuid-Limburg besteht. Zusammengerechnet geht es dabei um mindestens 150 Drogenhäuser, von denen sich ungefähr 50 in Maastricht befinden. Bemerkenswert ist ferner, dass es bis vor kurzem keine kohärente und konsistente Drogenpolitik auf der Ebene der Euregio Maas-Rhein gab. Dabei ist die Drogenproblematik in den drei Landesteilen dieser Euregio gewaltig, und keiner dieser Landesteile ist in der Lage, sie aus eigener Kraft auch nur halbwegs zu lösen. Wie bereits erwähnt, ist das Fehlen einer solchen Politik wahrscheinlich die Folge des Fehlens einer gemeinsamen Behörde, die überblickt, wie sich eine so komplexe Problematik entwickelt, und die rechtzeitig Vorschläge für eine wirksame Kontrolle dieser Problematik unterbreitet, die von allen Beteiligten akzeptiert werden können. Ergänzend ist hier zu betonen, dass das niederländische „Dreieck“ kürzlich zu Recht jedenfalls für Zuid-Limburg die Initiative für die Ausarbeitung und Umsetzung einer ausgewogenen Politik ergriffen hat. Dennoch ist an dieser Stelle zweierlei anzumerken. Erstens kann dieser Politikplan auf euregionaler Ebene nur zum Tragen kommen, wenn er mit den öffentlichen Verwaltungen der beiden anderen Landesteile abgestimmt und in einen euregionalen Politikplan integriert wird, von dem oben bereits die Rede war. Das unterstreicht die Notwendigkeit, auf der Ebene der Euregio Maas-Rhein so schnell wie möglich ein Forum zu schaffen, auf dem die administrativen, justiziellen und polizeilichen Behörden, die in dieser Euregio die Verantwortung für ein angemessenes Vorgehen gegen drogenbedingte Kriminalität tragen, die Grund züge einer Drogenpolitik in gegenseitiger Beratung entwerfen können und müssen, die an die sich stellenden Drogenprobleme anknüpft. Im letzten Kapitel wird dargestellt, wie ein solches Forum organisiert werden könnte. Zweitens müsste die Entwicklung einer solchen regionalen Politik eigentlich in Plänen und Projekten wurzeln, die die „Hotspots“ in der Region betreffen. So würden Maastricht und Lüttich gut daran tun, nach dem Vorbild der „Operatie Hartslag“ in Heerlen eine zusammenhängende Projektorganisation aufzubauen, um gegen die Drogenproblematik in der Stadt kohärenter, konsistenter, transparenter und teilweise 134 auch gezielter vorzugehen. Bei letzterem ist zum Beispiel an die Einrichtung eines flexiblen Einsatzteams wie in Heerlen zu denken. Gleichwohl kann in diesem Zusammenhang die Frage gestellt werden, ob zwischen den Städten bzw. den Landesteilen der Euregio bei der Prävention von Drogensucht und der Betreuung von Drogenabhängigen nicht viel intensiver zusammengearbeitet werden könnte. Sollte am Ende kein Weg zu finden sein, Drogenprävention bei Jugendlichen in der Euregio in viel größerer Gemeinsamkeit zu betreiben und die Betreuungskapazitäten in dieser Region auch für die Abhängigen aus den anderen Landesteilen unter Vorbehalt zu öffnen? Alle obigen Ausführungen sollen insgesamt natürlich nicht schmälern, was in den vergangenen Jahren in der Euregio Maas-Rhein zur Förderung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit erreicht wurde. Es stellt ganz im Gegenteil eine große Leistung dar, dass in einer administrativ und politisch so komplexen Region von den betreffenden polizeilichen, justiziellen und administrativen Stellen verschiedene Formen der Zusammenarbeit aus eigener Kraft zu Stande gebracht wurden, die als Beispiel für eine solche Zusammenarbeit in anderen verstädterten Grenzgebieten der Europäischen Union dienen können. Hier ist in erster Linie natürlich auf das EPICC und das BES zu verweisen. An zweiter Stelle gilt das selbstverständlich auch für die JHTs und das IRC. Wie schwierig es jedoch ist, in einer Region, in der die erheblichen Probleme grenzüberschreitender Kriminalität geradezu nach einer Verstärkung der Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Verwaltung schreien, dieser auch konkrete Gestalt zu verleihen, zeigte sich vor einigen Jahren bereits bei der missglückten Einrichtung eines EOT. Aktuell stehen wiederum zwei Vorschläge – die Gründung einer ER und einer EC – zur Debatte, um weitere Fortschritte auf diesem Gebiet zu machen. Es liegt auf der Hand, dass diese Vorschläge von der Mehrheit der Gesprächspartner nicht ohne weiteres akzeptiert oder verworfen werden: Dafür ist das Thema zu wichtig, aber auch zu heikel. Daher war es ein weiser Entschluss der Leiter der Staatsanwaltschaften in den drei Landesteilen, diese Vorschläge von einer Arbeitsgruppe detaillierter untersuchen zu lassen. Ob diese Vorschläge, eventuell in verbesserter Form, zu be grüßen sind oder auch nicht, darf keine Frage sein, die in erster Linie von den gefestigten Interessen bzw. Auffassungen der bestehenden Einrichtungen, Dienststellen und Behörden bestimmt wird, sondern soll ganz im Gegenteil vor allem von einer Einschätzung der Schwere der Drogenproblematik in der Region abhängen. Denn der springende Punkt wird letztendlich sein, ob der Lösungsansatz, den diese Vorschläge verkörpern, im Verhältnis zum Ernst der Problematik steht? Daher wenden wir uns im nächsten Kapitel der drogenbedingten Kriminalität zu, wie sie uns in den Gesprächen am runden Tisch und den zu Rate gezogenen Unterlagen begegnet ist. Bevor wir dies tun, möchten wir aber an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Polizei Limburg-Zuid entgegen der in den anderen Landesteilen oft geäußerten Meinung in den vergangenen Jahren sehr wohl in den Aufbau einer 135 leistungsstarken Kriminalpolizei auf regionaler Ebene investiert hat. Darum sollten „die Nachbarn“ nicht allzu besorgt sein, dass sie z.B. bei einer Teilnahme an einer ER de facto für die Defizite in den Fahndungskapazitäten auf niederländischer Seite geradestehen müssten. Das BGC/EOT kann augenblicklich als ein starker Partner für die anderen Kriminalpolizeien in der Euregio angesehen werden. Daran anschließend ist im Übrigen die Frage zu stellen, ob es nicht notwendig ist, dass auch im belgischen Landesteil eine schlagkräftige euregionale Kriminalpolizeigruppe zu bilden sein wird aus den Kriminalpolizeien der Bezirkspolizeikorps und aus den justiziellen Abteilungen der föderalen Polizei in den Gerichtsbezirken. Die große Uneinigkeit, die gegenwärtig in den Provinzen Limburg und Lüttich im Bereich der Kriminalpolizei und genauso auf Ebene der Staatsanwaltschaften und Untersuchungsrichter besteht, erleichtert es auch den Kriminalpolizeien in den Niederlanden und in Deutschland nicht immer, hier Partner zu finden, die ausreichend stark, spezialisiert und erfahren genug sind, um an größeren Strafsachen in gemeinsamer Absprache zu arbeiten. 136 6. Die Euregio Maas-Rhein: eine Darstellung der drogenbedingten Kriminalität 6.1. Einleitung Während im vorherigen Kapitel die politischen Versuche einer Bewältigung der Drogenproblematik in der Euregio Maas-Rhein erörtert wurden, ist nun die drogenbedingte Kriminalität selbst näher aufzuzeigen. Es ist jedenfalls zwangsläufig so, dass das Verhältnis zwischen den beiden – der geführten Politik und dieser Problematik – den Ausgangspunkt für das Handlungskonzept bilden sollte, das im folgenden Kapitel vorgestellt wird. Dabei wird nicht übersehen, dass die betreffende Politik und die in Frage stehenden Probleme wie von selbst miteinander verflochten sind. Wer jedoch nachvollziehen möchte, was es in der Euregio mit dem Thema Drogen auf sich hat, muss diese beiden Seiten zwangsläufig voneinander unterscheiden. Im Folgenden beleuchten wir zuerst die Vielschichtigkeit der Drogen problematik in der Euregio. Diese Erörterung ist nicht nur deshalb notwendig, um der Komplexität dieser Problematik in der Praxis gerecht zu werden. Sie erfolgt auch, um angemessene Vorschläge für die zu verfolgende Politik formulieren zu können. Diese Vorschläge sollten diese Komplexität widerspiegeln. Anschließend wird kurz auf die Natur der Problematik eingegangen, wie sie sich in den Kriminalstatistiken der drei betreffenden Länder darstellt. Auch wenn es fast selbstverständlich erscheint, ist an dieser Stelle nochmals hervorzuheben, dass die genannten Zahlen eher etwas über den Einsatz von Polizei und Justiz zur Bekämpfung des Problems als über dessen tatsächlichen Umfang und seine Entwicklung aussagen. In diesem Sinn und nicht als Gradmesser für die Drogenproblematik in der Euregio sind die nachfolgenden Zahlen daher auch zu verstehen. An dritter und vierter Stelle werden zwei Aspekte der Probleme angesprochen, die in der Auseinandersetzung über die Drogenproblematik in der Euregio und die zu führende Politik immer wieder große Beachtung finden. Zum einen geht es dabei um die Produktion von Nederwiet in Verbindung mit den sog. Growshops und den Coffeeshops und zum anderen um die Produktion von synthetischen Drogen und den diesbezüglichen Handel. Für beide Fälle wird das Wesen und – sehr zurückhaltend formuliert – der Umfang dieser beiden Teilaspekte umrissen. Die vorliegenden Daten zur Zahl der entdeckten Labore und Plantagen sind dabei natürlich auch hier als das zu sehen, was sie letztendlich nur sind: strafrechtliche Momentaufnahmen eines viel größeren Problems. Fünftens wird eine Frage behandelt, die in den vergangenen Jahren stets ganz oben auf der Tagesordnung stand: das Problem der Drugsrunner und der Drogenhäuser in der Euregio. Um eine genaue Vorstellung von diesem Problem zu vermitteln, beginnt die Darstellung mit einer kurzen Beschreibung seiner Entstehungsgeschichte auf der 137 Verkehrsachse Lille-Rotterdam-Lille. All dem ist hinzuzufügen, dass bei einer Beschreibung drogenbedingter Kriminalität in der Euregio zwangsläufig von der Situation in den drei einzelnen Landesteilen auszugehen ist. Der Grund dafür ist, dass von den Polizeibehörden bis auf den heutigen Tag keine integrierte Analyse dieser Kriminalität erstellt wurde und eine solche unmöglich im Rahmen dieser Untersuchung erstellt werden kann. Es findet noch nicht einmal ein systematischer Informationsaustausch über Drugsrunner statt, die in den drei Landesteilen identifiziert oder festgenommen wurden. Trotzdem wird natürlich der grenzüberschreitende Charakter dieser Kriminalität jeweils so weit wie möglich beleuchtet. Ergänzend hierzu ist zum Schluss noch darauf hinzuweisen, dass im Folgenden die Aufmerksamkeit vor allem der Situation auf niederländischer und belgischer Seite der Grenze gewidmet wird und die deutsche Seite daher etwas vernachlässigt wird. Diese Unterscheidung trägt der Tatsache Rechnung, dass sich die Probleme in den beiden erstgenannten Landesteilen aus verschiedenen Gründen viel größer darstellen als dies im deutsch-niederländischen Grenzgebiet der Fall ist. 6.2. Ein komplexes und vielschichtiges Problem Ginge es bei der Drogenproblematik, insbesondere der drogenbedingten Kriminalität, um einfache Fragen, wären sie alle schon lange beantwortet. Es sagt in gewisser Weise bereits genug über ihre Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit aus, dass dies gerade nicht so ist. Genau aus diesem Grund ist es aber von Bedeutung, diese Komplexität hier möglichst verständlich zu erläutern. Vor allem als Folge der Strafbewehrung von Drogenproduktion und Drogenhandel ergibt sich hier zunächst die paradoxe Situation, dass diese Probleme einerseits für jedermann klar sichtbar sind und sich dennoch andererseits einer direkten Wahrnehmung entziehen. Coffeeshops, Growshops, Drogenhäuser, Drugsrunner und Drogentouristen bilden gleichsam die im Prinzip sichtbare Oberfläche der Drogenproblematik. Marihuanaplantagen, Labore für die Produktion synthetischer Drogen, die Einfuhr, Durchfuhr, Ausfuhr von Heroin, Kokain, Haschisch, Ecstacypillen usw. sowie der diesbezügliche Kleinhandel verbergen sich grundsätzlich unter der Oberfläche dieser Problematik. Im Grenzbereich zwischen diesen beiden „Welten“ tummeln sich nicht nur ganze Netzwerke mehr oder weniger großer Drogenhändler, sondern auch zum Beispiel Rohstofflieferanten für die Drogenproduktion sowie Eigentümer, Vermieter und Verkäufer von Räumlichkeiten, in denen Drogen hergestellt, versteckt und (eventuell geduldet) vertrieben werden, Personen und Unternehmen, die juristische Dienstleistungen erbringen, Makler, 138 Finanzdienstleister und Spediteure.123 Die sichtbare Oberfläche der Drogenprobleme und der diesbezügliche Teil dieses Grenzbereichs könnten relativ leicht mit einem ausreichenden Rüstzeug vergleichsweise einfacher Mittel unter Kontrolle gehalten werden. Um einen Einblick in den Bereich unter der undurchsichtigen Oberfläche und den damit verbundenen Grenzbereich zu erhalten, sind einschneidende „endoskopische Eingriffe“ in Form von oft aufwändigen strafrechtlichen Ermittlungen erforderlich. Wer die Drogenprobleme in ihrer Gesamtheit beherrschbar halten will, muss daher versuchen, diese Probleme sowohl oberhalb als auch unterhalb der Oberfläche und im Grenzbereich zu reduzieren. Zweitens nimmt die Komplexität dieser Frage noch schärfere Züge an, wenn Drogenprobleme wie die in der Euregio Maas-Rhein einem wirtschaftlichen Wechsel spiel von Angebot und Nachfrage in einem an sich illegalen Markt unterliegen. Auf der einen Seite des Marktes sind (mehr oder weniger süchtige oder abhängige) Drogenkonsumenten jeder Couleur aktiv, und auf der anderen Seite ist eine Reihe von Produzenten und (Klein)Händlern auf Pfaden unterwegs, die von Plantagen und Laboren auf anderen Kontinenten, aber auch in der eigenen Region, bis in die Straßen von Lüttich, Heerlen, Aachen, Tongeren und Maastricht führen. Hinzu kommt noch, dass alle Beteiligten auf die ein oder andere Weise ein mehr oder weniger großes Interesse daran haben, dass dieser illegale Markt bei möglichst geringen Kosten reibungslos funktioniert. Eine wirkliche Verkleinerung oder Störung eines solchen Marktes erfordert somit auch eine Vielzahl von Maßnahmen. Sie reichen von Bemühungen zur Entwöhnung und Unterstützung (abhängiger) Konsumenten in der Euregio bis hin zu verschiedenen einschneidenden Maßnahmen in Bezug auf Produzenten und Zwischenhändler in fernen und benachbarten Ländern. Die Durchsetzung einer Politik, die all diese Vorhaben beinhaltet, erfordert äußerst kohärente und konsistente Anstrengungen vieler Länder, Institutionen und Behörden. Drittens führt uns diese letzte Feststellung mitten in die Drogenproblematik der Euregio Maas-Rhein, nämlich hin zu der Tatsache, dass die Grenzen diese drei beteiligten Länder der Region nicht nur geographisch trennen, sondern sie auch in institutioneller Hinsicht spalten. Die Folge ist, dass diese Grenzen Konsumenten, Händler und Produzenten wie von selbst vor einem effektiven (grenzüberschreitenden) Vorgehen der jeweiligen Behörden schützen. Dies wird sich sicher so lange nicht ändern, wie diese Behörden sich nicht auf eine geeignete Politik, auf Prioritäten, die dabei vorrangig zu beachten sind, auf die geeigneten Mittel, die eingesetzt werden können, um diese Schwerpunkte in die Tat umzusetzen und auf Formen einer wechselseitigen Zusammenarbeit einigen können. Aber selbst wenn sie sich darüber 123 Eine der aktuellsten und wichtigsten Studien zur Organisation und Arbeitsweise der Netzwerke von Drogenschmugglern ist die von S. Decker und M. Townsend Chapman, Drug smugglers on drug smuggling; lessons from the inside, Philadelphia, Temple University Press, 2008. 139 einig sind, bieten die Landesgrenzen den Konsumenten, Händlern und Produzenten noch immer die Möglichkeit, ihre Risiken erheblich zu verringern, indem sie ihre Aktivitäten über diese Grenzen hinaus entfalten und sich auf diese Weise der Strafverfolgung besser entziehen können. Somit erfordert eine angemessene Bewältigung der Probleme auch dann noch große Anstrengungen seitens der betreffenden Behörden. Viertens ist zu betonen, dass selbst dann, wenn die Behörden diese Anstrengungen leisten können, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilproblemen und ihren Lösungen nicht vernachlässigt werden dürfen. Dies ist vor allem eine Folge der Tatsache, dass Drogenhandel und Drogenkonsum zwar eng miteinander verflochten sind, die Produktion der unterschiedlichen Formen von Drogen selbst aber noch oft an völlig verschiedenen Orten in der Welt stattfindet. Kokain stammt hauptsächlich aus Südamerika, Heroin vor allem aus Afghanistan, synthetische Drogen unter anderem aus Mitteleuropa und Nordamerika usw. Händler bieten immer häufiger unterschiedliche Arten von Drogen an, weil auch die Konsumenten immer mehr verschiedene Drogen abnehmen und umgekehrt. Polymorpher Drogenkonsum schafft Anreize für einen polymorphen Drogenhandel. Daneben wird diesem polymorphen Drogenhandel durch bloße wirtschaftliche Erwägungen Vorschub geleistet, z.B. einer Optimierung der Transportkosten. Ein Beispiel dafür sind die kriminellen türkischen Organisationen, die über die Balkanroute Heroin nach Westeuropa bringen und auf dem Rückweg synthetische Drogen transportieren. Deshalb kann man in den Drogenhäusern an der Schnittstelle von Produktion und Konsum sozusagen je nach persönlichem Geschmack alles finden. Die politische Konsequenz daraus ist, dass es in einer Euregio wie der Euregio Maas-Rhein nicht viel Sinn macht, Stück für Stück nach Lösungen für Teilprobleme zu suchen. Es ist stets zu überprüfen, welche Rückwirkungen diese Lösungen auf andere Teilprobleme und wiederum deren bestehende oder ins Auge gefasste Lösungen entfalten werden. Eine angemessene Drogenpolitik sollte daher in sich so kohärent wie möglich sein, d.h. den Zusammenhang zwischen Teilproblemen und ihren Lösungen widerspiegeln. Dazu hier ein Beispiel zur Verdeutlichung. Die meisten der zahlreichen Drogentouristen, die täglich aus dem Ausland nach Maastricht und Umgebung fahren, kommen hierher zum Erwerb von Cannabis in einem oder mehreren der geduldeten Coffeeshops oder zum Erwerb von anderen Drogen in einem der ungefähr 50 Drogenhäuser der Stadt bzw. bei einem der Dealer, der von seiner Wohnung aus oder per Mobiltelefon operiert, sei es auch nur wegen des Mindestalters (18 Jahre), das für die Coffeeshops gilt. Diese Touristen bilden jedenfalls zusammen betrachtet einen enormen Strom potenzieller und sehr gut erkennbarer Interessenten für unterschiedlichste Drogensorten. Sie sind daher eine leichte Beute für die Drugsrunner, die sie in „ihre“ Häuser locken oder nötigen möchten. Wer mit dem Blick auf die Bekämpfung der Belästigungen, die von Drogentouristen ausgehen, einen oder mehrere Coffeeshops an den Stadtrand verlegt, leistet sicherlich einen 140 Beitrag zur Lösung dieses Problems, aber beispielsweise noch lange nicht für das Problem der Drugsrunner und der Drogenhäuser in der Stadt selbst. 6.3. Die Strafverfolgung in der Euregio 6.3.1. Auf niederländischer Seite Betrachtet man den niederländischen Teil der Euregio, zeigen die Zahlen der Staatsanwaltschaft des Bezirks Maastricht, dass das Strafrecht hier in einem größeren Maßstab Anwendung findet, als man das vielleicht in den anderen Landesteilen und im übrigen Ausland vermuten würde.124 2005 wurden 2039, 2006 1.815, 2007 2.126 und im Jahr 2008 (bis August) 1.288 Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen das Opiumwet aufgenommen. Hierbei ist wichtig festzustellen, dass es in der (knappen) Mehrheit der Fälle auch tatsächlich zu einer Verurteilung kam: im Jahr 2005 in 1.153 Fällen, 2006 in 1.137 Fällen, 2007 in 1.084 Fällen und im Jahr 2008 bis jetzt in 203 Fällen. Was in den anderen Fällen geschah, konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht genau ermittelt werden. Wahrscheinlich beschränkt man sich hier in einer Reihe von Fällen auf einen Vergleich, andere Strafverfahren laufen noch. Betrachtet man dabei den Wohnsitz der Tatverdächtigen, fällt auf, dass die breite Mehrheit in Zuid-Limburg wohnhaft ist. Ein kleiner Teil von ihnen wohnt in Städten wie Gouda, Den Haag und Rotterdam. In ihrem Fall könnte es sich um Drugsrunner handeln. Nur selten geht es um einen Tatverdächtigen, der in Belgien oder Deutschland wohnt. Wie dies kommt, ist ebenfalls näher zu untersuchen. Zählungen seitens der Polizei ergeben, dass die registrierte Drogenkriminalität seit 1999 in Bezug auf die Produktion von, den Handel mit und den Besitz von weichen und harten Drogen bis zum Jahr 2007 um 40% zugenommen hat. Die Spitze bildet das Jahr 2004 mit 2.283 registrierten Straftaten. Die Zahl der ermittelten Straftaten im Zusammenhang mit dem Handel mit harten und weichen Drogen ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen: von 208 im Jahr 1999 bis auf 129 in 2006, bzw. von 125 im Jahr 1999 bis auf 66 in 2006. 2006 wurden allerdings insgesamt – über alle Drogendelikte gerechnet – 1.501 Tatverdächtige bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, 666 wegen Delikten mit harten Drogen und 824 in Bezug auf weiche Drogen. 1999 waren es 815 bzw. 395 Tatverdächtige. Schlüsselt man die registrierten Straftaten nach Gemeinden auf, wird ersichtlich, dass in Maastricht durchweg die meisten Straftaten festgestellt wurden (481 im Jahr 2005 und 551 in 2006) und in wechselnder Reihenfolge Heerlen (340 bzw. 551), Kerkrade (340 bzw. 263) und Sittard-Geleen (349 und 212) dahinter folgen. Zum Schluss kann auf eine Analyse verwiesen werden, die die Polizei Limburg- 124 141 Die betreffenden Daten wurden uns von der Staatsanwaltschaft Maastricht zurVerfügung gestellt. Zuid und die Staatsanwaltschaft Maastricht zur Kriminalität von jugendlichen (0 bis 18 Jahre) und jungen erwachsenen Tatverdächtigen (18 bis 25 Jahre) für das Jahr 2007 erstellt haben. Diese Analyse zeigt unter anderem, dass sich nur 5% (75) aller bekannten Tatverdächtigen im Bereich der Vermögensdelikte (insgesamt: 5.845) auch mit Delikten im Bereich des Drogenhandels strafbar machten, während dieser prozentuale Anteil in der Gruppe der jungen erwachsenen Täter 34% (541 Personen)125 beträgt. 6.3.2. Auf belgischer Seite Die Kriminalitätsstatistiken der Polizei für die Provinzen Limburg und Lüttich zeigen, dass im belgischen Teil der Euregio in den vergangenen Jahren intensiv wegen verschiedener Verstöße gegen Bestimmungen des Drogenrechts ermittelt wurde. So wurden in der Provinz Limburg in den Jahren 2005, 2006 und 2007 jeweils 2.238, 2.636 und 2.874 Strafanzeigen wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln gestellt und 1.526, 1.353 bzw. 1.324 Strafanzeigen wegen Ein- oder Ausfuhr und Produktion von Betäubungsmitteln und wegen des diesbezüglichen Handels. Für die Provinz Lüttich geht es in diesen Jahren um 1.557, 2.352 und 2.703 Strafanzeigen wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln und um 1.733, 1.762 und 1.359 Strafanzeigen wegen der Ein- und Ausfuhr und der Produktion von Betäubungsmitteln und dem Handel mit Betäubungsmitteln. Darüber hinaus wurden in beiden Provinzen auch noch Strafanzeigen wegen des Konsums von Betäubungsmitteln aufgenommen. In der Provinz Limburg handelte es sich dabei im Jahr 2007 um 807 und in der Provinz Lüttich um 913 Strafanzeigen.126 Betrachtet man für den Zeitraum 2005-2007 das strafrechtliche Vorgehen in den fünf Gerichtsbezirken auf belgischer Seite der Euregio, ist festzustellen, dass in diesen Jahren insgesamt 6.702 ermittelte Straftaten die Ein- und Ausfuhr, 544 die Produktion, 2.483 den Verkauf, 4.141 den Konsum und 11.107 den Besitz von Drogen betrafen. Erwartungsgemäß unterscheiden sich diese Zahlen je nach Bezirk erheblich. Bei der Ein- und Ausfuhr von Drogen wurden im Bezirk Lüttich in diesem Zeitraum 3.156 Straftaten, im Bezirk Tongeren 2.445, in Hasselt 648, in Verviers 340 und im Bezirk Eupen 113 Straftaten ermittelt. Offenbar spielt in diesem Punkt nicht nur die verfügbare Kapazität von Polizei und Justiz, sondern auch die Lage in der Euregio eine entscheidende Rolle. Dies geht auch aus den Daten der an der Grenze bei Lanaken durchgeführten Grenzkontrollen hervor. Es hat sich herausgestellt, dass sich ein beachtlicher grenzüberschreitender Drogenerwerb bzw. ein (kleiner) Drogenhandel ausbreitet. 2005 wurden hier 43 Grenzkontrollmaßnahmen durchgeführt, bei denen 560 125 G. Schmeits und P. Teekamp, Criminaliteitsbeeldanalyse – jeugd – kerndeel 2007, Maastricht, 2008. 126 Föderale Polizei-CGOP, Politiële criminaliteitsstatistieken, 2000-2007, Brüssel, 2008. 142 Fahrzeuge und 1057 Insassen kontrolliert wurden. 262 von ihnen waren im Besitz von Drogen. 2007 wurden 21 Kontrollaktionen unternommen (325 Pkw und 587 Insassen), die ergaben, dass 123 Personen im Besitz von Drogen waren. Die Kontrollen von Linienbussen ergeben Zahlen in derselben Größenordnung. Es erstaunt nicht, dass es beim örtlichen Drogenhandel in Lanaken (dabei vor allem den unter Jugendlichen, im Umfeld von Schulen, auf Partys oder in Diskotheken) auch vornehmlich um Drogen geht, die in Maastricht erworben wurden.127 Auch für die Produktion von Drogen ergeben sich zwischen den Bezirken je nach Lage in der Euregio große Unterschiede. Wurden im genannten Zeitraum im Bezirk Tongeren 274 Straftaten in diesem Zusammenhang festgestellt, waren es im Bezirk Hasselt 147, in Lüttich 85, in Verviers 32 und im Bezirk Eupen nur 6 Straftaten. Ebenso groß sind die Unterschiede für den vorliegenden Zeitraum beim Besitz von Drogen: im Bezirk Lüttich wurden 4.828 Straftaten ermittelt, in Tongeren 3.074, in Hasselt 2.538, im Bezirk Verviers 577 und in Eupen 90. Diese Zahlen zeigen, dass neben den beiden oben genannten Faktoren auch die Einwohnerzahl der Bezirke, u.U. zuzüglich der Zahl der Besucher und Durchreisenden, Einfluss auf das Ausmaß der ermittelten Verstöße gegen drogenrechtliche Bestimmungen haben. Im Anschluss hieran bietet es sich an, näher auf die jeweilige Staatsangehörig keit der Tatverdächtigen einzugehen. Die Gesamtzahl der Tatverdächtigen in Bezug auf Drogenstraftaten beträgt in diesem Zeitraum 82.377 für ganz (!) Belgien. Bei 69.475 dieser Tatverdächtigen ist die Staatsangehörigkeit bekannt. Die große Mehrheit von ihnen hat ihren festen Wohnsitz in Belgien (61.027 oder 87,8%). Die Anzahl der Täter mit einem festen Wohnsitz in Frankreich liegt bei 6.589 (9,5%), in Deutschland bei 168 (0,2%) und in Luxemburg bei 332 (0,5%). Untersucht man anschließend, in welchen Bezirken diese Ausländer 2007 festgenommen wurden, dann liegt der Bezirk Lüttich nicht ganz überraschend mit 1.078 Festnahmen deutlich vorne, gefolgt vom Bezirk Tongeren (248), Kortrijk (186), Neufchâteau (175), Doornik (160), Arlon (154) und den Bezirken Gent und Marche-en-Famenne (beide 115). Auch wegen der Tatsache, dass die weitaus meisten Tatverdächtigen französische Staatsbürger sind, zeigen diese Zahlen, dass diese Festnahmen vor allem auf den beiden großen „Drogenachsen“ zwischen Frankreich und den Niederlanden erfolgt sind: die eine von Zuid-Limburg über die E25/Lüttich/Namur ins östliche Nordfrankreich (Thionville, Metz usw.) und die andere von Noord-Brabant/Zuid-Holland über die E17/Antwerpen/Gent/Kortrijk ins westliche Nordfrankreich (Lille, Tourcoing usw.). Anhand dieser Feststellungen wird deutlich, dass neben kleinen oder größeren Polizeikorps auch die Abteilungen des Zolls die erwähnten Festnahmen von Ausländern entlang dieser beiden Routen durchführen, die auf diesen Strecken eingesetzt werden. So wurden im Zeitraum 2005-2007 im Bezirk Tongeren 294 von den insgesamt 675 127 143 Diese Daten sind Arbeitsblättern zu einem Vortrag bei der zonalen Polizei Lanaken entnommen. Tatverdächtigen vom Zoll festgenommen. Für die Polizeikorps ergibt sich automatisch, dass die großen zonalen Korps, wie die von Gent (159) und Lüttich (25), einen mehr oder weniger bedeutenden Anteil an der Zahl der Festnahmen in diesen Jahren hatten. Bemerkenswerter ist allerdings die Zahl der Festnahmen durch die kleinen Korps an der Staatsgrenze zu Zuid-Limburg. So nahm die zonale Polizei in Voeren in diesem Zeitraum 240 ausländische Tatverdächtige fest, die Polizei in Bilzen 73 und die Polizei in Lanaken 56. Die zonale Polizei Basse-Meuse war für die Rekordzahl von 457 (!) Festnahmen verantwortlich. Ferner spielen in diesem Zusammenhang auch die Einheiten der föderalen Polizei eine große Rolle, die für die Aufsicht über die überregionalen Straßen zuständig sind. So nahm die Einheit in Lüttich in diesem Zeitraum 162 und die Einheit in Oost-Vlaanderen 116 Tatverdächtige in Gewahrsam. Diese Zahlen verdeutlichen ganz allgemein, dass die belgische Seite strafrechtlich immer noch relativ konsequent gegen den Besitz von Drogen und den Kleinhandel mit Drogen vorgeht und dass die kleinen zonalen Polizeikorps an der niederländischen Grenze offenkundig alles unternehmen, um die negativen Folgen des grenzüberschreitenden Drogenkonsums und des (kleinen) grenzüberschreitenden Drogenhandels für die Einwohner ihrer Gemeinden auf ein Mindestmaß zu beschränken. Dies wird auch aus einer genaueren Analyse der Drogenproblematik in der belgischen Provinz Limburg auf kommunaler Ebene deutlich. Dieser ist zu entnehmen, dass im Zeitraum 2005-2007 zum Beispiel in der Gemeinde Maaseik 39 niederländische Täter festgenommen wurden, in Lanaken 209, in Voeren 9, in Bilzen 17, in Bocholt 24, in Bree und Dilsen-Stokkem je 20 und in der Gemeinde Maasmechelen 21 Täter.128 Im Übrigen lassen diese Zahlen zu den Festnahmen auch eindeutig erkennen, dass Belgien im Bereich des (kleinen) Drogenhandels nicht nur Durchgangsstation zwischen den Niederlanden und Frankreich ist, sondern auch selbst viele Konsumenten und Kleinhändler zählt. Insofern bestätigt dies andere Untersuchungen der vergangenen Jahre.129 6.3.3. Auf deutscher Seite Betrachtet man den deutschen Teil der Euregio, zeigt sich erwartungsgemäß, dass das Strafrecht auch auf der Ebene der Euregio Maas-Rhein in beachtlichem Umfang zur Anwendung kommt, nicht nur, um von der Einfuhr von Drogen, sondern auch vor Kleinhandel abzuschrecken. So ermittelte das Polizeipräsidium Aachen im Jahr 2006 laut Landeskriminalamt in 3.540 Fällen von Drogendelikten, 2007 waren es 2.695. Im 128 Föderale Polizei Tongeren und Hasselt, Drugs in Belgisch Limburg 2005-2007, 2008. 129 Obige Daten sind einem Bericht entnommen, der von der föderalen Polizei speziell für diese Untersuchung erstellt worden ist. 144 Polizeipräsidium Geilenkirchen behandelte man 637 bzw. 612 Delikte. Es überrascht dabei nicht, dass die Mehrheit dieser Delikte aufgeklärt wird, denn es geht hier um Kontrolldelikte, bei denen der Täter in der Regel auf frischer Tat ertappt wird. Aus den gleichen Gründen sagen die genannten Zahlen der Verstöße nichts über den wirklichen Umfang der Drogenprobleme im Zuständigkeitsbereich dieser beiden Polizeipräsidien aus. Sie besagen aber viel über die unternommenen Anstrengungen zur Durchsetzung der Drogengesetze. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass 2006 beim Polizeipräsidium Aachen 3.545 Tatverdächtige gegenüber 2.587 im Jahr 2007 festgenommen wurden. Beim Polizeipräsidium Geilenkirchen ging es dabei um 601 bzw. 565 Tatverdächtige.130 Eine Reihe dieser Personen wurde tatsächlich länger inhaftiert. So befanden sich am 15. August 2008 219 Personen in Aachen in Untersuchungshaft, 88 davon in Verbindung mit Verstößen gegen Drogenbestimmungen. Sechs von ihnen hatten die niederländische Staatsbürgerschaft.131 Hinsichtlich der Arten und Mengen beschlagnahmter Drogen handelte es sich 2007 im deutschen Teil der Euregio Maas-Rhein beispielsweise um 350 kg Amphetamin, 79.480 Ecstacypillen, 5 kg Heroin, 1 kg Kokain, 60 kg Haschisch und 129 kg Marihuana. Diese Zahlen zeigen im Übrigen, dass mit Abstand die meisten Personen, die hier wegen Drogendelikten festgenommen wurden, Kleindealer und große Konsumenten sind. Ebensowenig erstaunt es, dass sehr viele Festnahmen in einer Verbindung zu den Niederlanden stehen. Das niederländische Grenzgebiet ist auch für die deutschen Drogentouristen the place to be. Dem ist hinzuzufügen, dass die Zahl der Drogendelikte im deutschen Teil der Euregio Maas-Rhein nicht nennenswert höher liegt als in anderen Teilen von Nordrhein-Westfalen. Wenn dies überhaupt der Fall ist, liegt das vor allem daran, dass hier – häufiger als anderswo in diesem Bundesland – Tatverdächtige festgenommen werden, die aus anderen Teilen der Bundesrepublik als dem deutschen Landesteil der Euregio Maas-Rhein stammen.132 6.4. Der Marihuanaanbau und die Coffeeshops 6.4.1. Auf niederländischer Seite In früheren Untersuchungen zur grenzüberschreitenden Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein wurde bereits festgestellt, dass der Marihuanaanbau im niederländischen 130 Landeskriminalamt Düsseldorf, 2008. Nordrhein-Westfalen, Rauschgiftkriminalität; Lagebild Nordrhein-Westfalen 2007, 131 Brief des Oberstaatsanwalts A. Vedder vom 18.8.2008. 132 Mitteilung S. Kleine, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen vom 11.7.2008. 145 Landesteil einen großen Aufschwung erlebt hat. Im Jahr 2002 wurden 460 Plantagen von der Polizei entdeckt. Darüber hinaus war bei dieser Gelegenheit zu beobachten, dass der Anbau nicht mehr nur in Wohnungen, Schuppen oder Wohnwagen, sondern immer öfter auch in großem Maßstab (mit mehreren Tausend Pflanzen) in Gewerberäumen erfolgt. Es zeigte sich mit anderen Worten, dass der Anbau im Begriff war, professioneller zu werden. Dies ist keineswegs erstaunlich angesichts der Tatsache, dass sich immer öfter kriminelle Gruppen im Marihuanaanbau betätigt haben. Sie suchen die Standorte aus, richten nötigenfalls die Anbauflächen ein und kümmern sich um den Absatz. Es gilt als gesichert, dass sie sich dabei häufig eines Strohmanns bedienen. Es wurde damals auch schon festgestellt, dass sie an der Einrichtung von kleinen und großen Plantagen auf belgischem Staatsgebiet unter anderem beteiligt waren, um ihre Risiken weiter zu minimieren.133 Diese Erkenntnisse wurden in einer aktuellen Untersuchung zum Marihuanaanbau im gesamten Süden der Niederlande bestätigt.134 Diese Unter suchung zeigt, dass für die Organisation des gewerbsmäßigen Marihuanaanbaus zwischen vier Varianten unterschieden werden kann: Es gibt selbstständige Züchter, die in ihrer Wohnung zwischen 100 und 1.000 Pflanzen anbauen, Züchter, die in größerem Maßstab operieren und (gemietete) Gewerberäume für den Anbau von mehr als 1.000 Pflanzen nutzen, Züchter, die ihre Pflanzen auf die Wohnungen von fünf bis zehn Bekannten in ihrem sozialen Netzwerk verteilen, und schließlich kriminelle Gruppen, die häufig nicht nur große Anbaustätten betreiben, sondern auch im großen Maßstab Hanfprodukte ankaufen und damit Handel treiben. Diese Gruppierungen, deren Schlüsselfiguren ihre „Karriere“ in der Schwerkriminalität begonnen haben, verfügen normalerweise über einen oder mehrere Growshops oder weniger auffällige Kleinbetriebe für den Ankauf. Ihre Produkte werden teilweise in großem Maßstab exportiert, wobei 100 bis 200 kg pro Woche keine ungewöhnlichen Mengen sind, teilweise aber auch an Coffeeshops verkauft. Diese Gruppierungen bedienen jedoch ihre ausländischen Abnehmer nicht nur auf diesem (geduldeten) Weg. Wie auch jetzt wieder festzustellen war, sind sie besonders in Belgien in großem Umfang an Anlage und Betrieb von Plantagen beteiligt. Eine Rolle hierbei spielt nicht nur die Mini mierung des Risikos, entdeckt zu werden. Sicherlich genauso entscheidend ist, dass viele Niederländer ihren Wohnsitz in den vergangenen Jahren auf die belgische Seite der Grenze verlegt haben und somit einfacher als früher Standorte für den Marihuanaanbau erwerben können. Daran anknüpfend ist ferner auf eine Untersuchung zu verweisen, die im Jahr 2004 von J. Snippe, B. Bieleman u.a. über den Cannabissektor in den Niederlanden und 133 T. Spapens und C. Fijnaut, Criminaliteit en rechtshandhaving in de Euregio Maas-Rijn, Antwerpen, Intersentia, 2005, S. 146-147. 134 A. Spapens, H. van de Bunt u.a., De wereld achter de wietteelt, ’s-Gravenhage, WODC, 2007. 146 besonders über die Betreiber der Coffeeshops durchgeführt wurde.135 Dieser Sektor mit einem geschätzten Gesamtumsatz zwischen 211 und 283 Millionen Euro im betreffenden Jahr bei einem Durchschnittsumsatz von 278.000 bis 372.000 Euro pro Coffeeshop wird von Kleinbetrieben dominiert. Die meisten Unternehmen sind Einzelfirmen, die von den Eigentümern mit ein oder zwei Mitarbeitern geführt werden. Insgesamt waren damals ungefähr 2.500 Menschen in den Coffeeshops (und 800 in den Grow- und Smartshops) beschäftigt. Der Strafregisterauszug der jeweiligen Cannabisunternehmer zeigt, dass sie sich im Allgemeinen wenig um die gesetzlichen Vorschriften in den Niederlanden gekümmert haben. Viele Unternehmer in der Cannabisbranche in Amsterdam (78%) und Venlo (83%) waren jedenfalls zu dieser Zeit vorbestraft. Dabei ging es verhältnismäßig häufig um Drogendelikte (sowohl im Bereich von weichen wie auch harten Drogen), aber auch um schwere Gewaltstraftaten, verbotenen Waffenbesitz, Vermögens- und Verkehrsdelikte. Die Zahlen zur Situation in Utrecht und Enschede wiesen in dieselbe Richtung. Die betreffenden Unternehmer halten sich trotzdem generell besser an die vereinbarten Regeln als in der Vergangenheit, unter anderem aus Angst vor einer Schließung ihrer Shops. Sie haben mit anderen Worten viel zu verlieren, was aber nicht ausschließt, dass eine Reihe von ihnen mit den im Marihuanaanbau tätigen krimi nellen Gruppen an der Hintertür Geschäfte betreibt oder mit Blick auf den Umsatz sogar betreiben muss. Die Autoren legen darüber hinaus mit einiger Bestimmtheit nahe, dass unter anderem in Venlo auch die illegalen Verkaufsstellen, also die Drogenhäuser, von denselben Gruppierungen beliefert werden. Dies würde erklären, warum sich trotz der Schließung einer Reihe von Häusern und der Festnahme von vielen Straßendealern und Drugsrunnern ein Teil des (nicht geduldeten) Drogen handels in dieser Stadt einfach fortsetzt: „Gegen die treibenden Kräfte hinter dem illegalen Handel mit weichen Drogen in Venlo wird damit nur unzureichend vorgegangen.“ In Zuid-Limburg zumindest wurde in einem Fall ermittelt, dass der Betreiber eines Coffeeshops sich im Shop selbst brav an die Regeln hielt, aber vor seiner Tür einfach harte Drogen verkauft hat. Es gibt in diesem Zusammenhang daher keinen Platz für Naivität: Coffeeshops können faktisch als geduldete Drogenhäuser fungieren. Im Zeitraum von 2007 bis (August) 2008 wurden in Zuid-Limburg, größten teils übrigens auf Ersuchen bzw. mit Hilfe der Polizeibehörden im belgischen bzw. deutschen Teil der Euregio,ungefähr zehn größere strafrechtliche Ermittlungsverfahren im Drogensektor eingeleitet. Darüber hinaus laufen noch einige große Verfahren. Die Zahl liegt also höher, als manch einer im In- und Ausland vermuten würde. Dennoch ist auch für diese Region festzustellen, dass wie in Noord-Limburg und dem Rest der Niederlande die Fahndung nach kriminellen Gruppen, die umfassend am 135 147 J. Snippe, B. Bieleman u.a., Preventieve doorlichting cannabissector c.a., Rotterdam, Intraval, 2004. Marihuanaanbau beteiligt sind, keine (allzu große) Priorität hatte. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass von den 18 kriminellen Vereinigungen, die ständig in der Euregio tätig sind, 11 in großem Maße an der Produktion von Haschisch und Nederwiet und dem diesbezüglichen Handel beteiligt sind. Das bedeutet mit anderen Worten, dass eine gezielte strafrechtliche Bekämpfung der kriminellen Gruppen, die in dieser Grenzregion (auch) an der Drogenproduktion und dem Drogenhandel beteiligt sind, eine große Aufgabe darstellt. Dies gilt umso mehr, als in internen Berichten nochmals darauf verwiesen wird, dass ungefähr die Hälfte der Personen, die an den Growshops und Coffeeshops in der Region beteiligt sind, auch eine Strafregistereintragung besonders im Bereich von Gewaltdelikten haben. Die Zahl der registrierten Growshops in Zuid-Limburg lag in den Jahren 2000-2005 bei durchschnittlich 105. Von den dort tätigen Personen waren 78% vorbestraft, nicht nur in Verbindung mit Drogenkriminalität, sondern auch im Bereich der Waffen- und Umweltgesetzgebung. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2007 wurden 14 Growshops geschlossen. Im Jahr 2007 zählte Zuid-Limburg noch 46 Growshops. Die Gesamtzahl der Coffeeshops in der gesamten Region beträgt gegenwärtig ungefähr 40, davon 14 in Maastricht (13 tatsächlich in Betrieb). In den vergangenen Jahren haben Behörden in Zuid-Limburg auch aufgrund von Hanfvereinbarungen, von denen oben eine näher behandelt wurde, eine beachtliche Zahl von Marihuanaplantagen vor allem in Miet- und Eigentumswohnungen ausgehoben. Hierbei ging es im Jahr 2003 um 595 Fälle, 2004 um 831, 2005 um 555, 2006 um 430, im Jahr 2007 um 403 und im Jahr 2008 (bis jetzt) um 250 Fälle. Zwischen 1999 und 2007 wurden insgesamt 2.900 Plantagen in Zuid-Limburg aufgelöst. Aus den Zahlen für 2007 und 2008 geht deutlich hervor, dass es dabei um eine große Zahl von Pflanzen ging. Im Jahr 2007 wurden mehr als 100.000 Pflanzen, einige Zehntausend Pflanzenspitzen und 90 kg Hanf beschlagnahmt. Von Januar bis Juli 2008 handelte es sich um ungefähr 60.000 Pflanzen, einige Zehntausend Pflanzenspitzen und 42 kg Hanf.136 Im Übrigen zeigen diese Zahlen unmissverständlich, dass die Polizei LimburgZuid dem Problem der Marihuanaplantagen seit 2004 immer weniger Aufmerksamkeit gewidmet hat. Dies gilt nicht nur für die Polizei, sondern offenbar auch für die Stromversorgungsunternehmen. War (auch) ihnen, genau wie den Wohnungsbau genossenschaften, das Problem des Marihuanaanbaus weniger wichtig, als es die Hanfvereinbarungen nahelegen? Oder haben auch sie das Problem, aus welchen Gründen auch immer, aus den Augen verloren? Nach Ansicht von Insidern ist das Problem selbst in den vergangenen Jahren jedoch bestimmt nicht kleiner geworden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Plantagen zwar kreuz und quer über ZuidLimburg verteilt liegen, dass man sie aber selbstverständlich vor allem in (bestimmten Teilen der) größeren Gemeinden antrifft. 2007 wurden in Maastricht 60 Plantagen 136 148 Daten des Polizeistabs Limburg-Zuid vom 14.9.2008. ausgehoben, im Jahr 2008 (bis einschließlich August) waren es 31, in Heerlen ging es 2007 um 114 Plantagen und 2008 (bis einschließlich August) um 62 und in SittardGeleen um 57 Plantagen in 2007 und 2008 (bis einschließlich August) um 36. In den kleineren Gemeinden geht es normalerweise um einige wenige Plantagen pro Jahr, in Beek z.B. nur um 7 im Jahr 2007, 13 waren es in Brunssum, 5 in Onderbanken und eine in Nuth. In Meerssen wurde 2007 keine einzige Plantage ausgehoben. Sowohl in den Städten als auch in den kleineren Gemeinden wird die große Mehrheit der Plantagen in Wohnhäusern eingerichtet. Dabei muss man jedoch davon ausgehen, dass die ausgehobenen Plantagen nur einen Bruchteil der Gesamtzahl ausmachen, die sich in den Wohnungen in Zuid-Limburg befinden. Unsere Gesprächspartner haben nämlich mehrfach darauf hingewiesen, dass hier und da in der Region vermutlich ganze Nachbarschaften und somit ganze vorwiegend sozial schwache Bevölkerungsgruppen am Marihuanaanbau mit allen damit verbundenen Konsequenzen beteiligt sind. Zu diesen Folgen gehört zuallererst der Aufschwung eines wirklich illegalen Wirtschaftszweigs. Diese Drogenwirtschaft macht es dann noch schwieriger, als es ohnehin schon ist, den betreffenden Bewohnern und auch ihren Kindern in der Zukunft zu einem regulären Erwerbsleben und einer ordentlichen Existenz zu verhelfen. Außerdem birgt dies große Gefahren für die Sicherheit und die Lebensqualität in den Vierteln, die Teil der sozialen und materiellen Infrastruktur dieses Wirtschaftszweiges geworden sind. Die Tatsache, dass viele dieser Plantagen in kleinerem Maßstab in Bekanntenkreisen angelegt werden, darf im Übrigen keines wegs zu der Schlussfolgerung führen, dass es sich hier etwa in krimineller Hinsicht um ein relativ unschuldiges Phänomen handelt. Häufig sind es nämlich professionell operierende kriminelle Gruppen, die die materiellen Rahmenbedingungen für diese Plantagen schaffen und darüber hinaus in jeder Hinsicht den größten Nutzen daraus ziehen. In Wahrheit werden sozial schwache Gruppen in diesem illegalen Drogenbusiness von den beteiligten kriminellen Gruppen regelrecht ausgebeutet.137 Neben den Folgen des groß angelegten bzw. intensiven Marihuanaanbaus für die Lebensqualität in Stadtvierteln der größeren Städte und der kleineren Gemeinden in Zuid-Limburg gibt es auch noch das Problem der mangelnden Lebensqualität in der Nachbarschaft zu den Coffeeshops. Die Gemeinde Maastricht hat kürzlich zur Frage der Belästigungen, die von diesen Shops in der Stadt ausgehen, eine so genannte Nullmessung (Erhebung der Ausgangssituation) durchführen lassen. Aus dieser Untersuchung geht hervor, dass die Bewohner in der Umgebung dieser Shops umfangreiche Belästigungen in Form von Vermögensdelikten, Drogen belästigungen und Störungen der öffentlichen Ordnung erleben. Ihr subjektives Unsicherheitsempfinden ist dementsprechend auch höher. 52% der Anwohner im Zentrum geben an, dass der Konsum von weichen Drogen auf offener Straße oft 137 149 Daten des Polizeistabs Limburg-Zuid vom 18.9.2008. vorkommt (29% in Terneuzen) und 41% von ihnen (in Terneuzen 23%) berichten davon, dass es in ihrer Nachbarschaft häufig zu Drogenbelästigungen kommt. 25% von ihnen erleben das als eine persönliche Einschränkung durch die Coffeeshops in ihrer Nähe, z.B. besonders in Form von Verkehrsstaus und Parkplatzproblemen. Bei dieser Untersuchung stellt sich natürlich die Frage, ob nicht ein Teil dieser Belästigungen den Drogenhäusern, die in der Nähe der Coffeeshops eröffnet wurden, und den in ihrem Umfeld agierenden Drugsrunnern zuzuschreiben ist. Im Übrigen beklagen die Bürgermeister in Zuid-Limburg besonders in diesem Zusammenhang die geringe Präsenz der regulären Polizei in diesen Vierteln. Sie loben zwar die Professionalität der Polizei Limburg-Zuid, sind aber der Auffassung, dass die Gemeinden, teils aufgrund der zu geringen Personaldecke der Korps, teils wegen des über die Gemeindegrenzen hinaus gehenden Einsatzes bei Problemen wie der Bekämpfung des Drogenhandels, in viel zu geringem Maße davon profitieren. Die Folge ist, dass sie in den vergangenen Jahren unter anderem durch Einstellung von außerordentlichen Ermittlungsbeamten wieder eine Art Gemeindepolizei haben einrichten müssen, um der administrativen Rechtswahrung ein wirksames Instrument an die Hand geben zu können. Dieselben Klagen hört man von den Bürgermeistern auf der belgischen Seite der Grenze. Auch in ihren Augen leiden die örtlichen Aufgaben der Polizei erheblich unter der anhaltenden und zunehmenden Drogenproblematik. 6.4.2. Auf belgischer Seite Die Bekämpfung des Marihuanaanbaus in Belgien hatte bis vor kurzem keine Priorität im Bereich der nationalen Sicherheit.138 Dennoch widmeten Polizei und Justiz diesem Bereich in den vergangenen Jahren erhebliche Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil man gegen den Marihuanaanbau mit Repressionen präventiv vorgehen und die beteiligten kriminellen Organisationen tatsächlich bekämpfen möchte, sondern auch im Hinblick auf die Wahrung der (Brand-)Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung. Dies ist allerdings nicht immer eine leichte Aufgabe. Abgesehen von den begrenzten Kapazitäten der Polizei, die dazu auf der Ebene der Gemeinden und der Bezirke zur Verfügung stehen, spielen dabei auch andere Probleme eine Rolle. Hier ist unter anderem die Tatsache zu nennen, dass es keine Vereinbarungen zu einer Zusammenarbeit mit Stromversorgungsunternehmen oder Netzbetreibern gibt, dass Immobilienhändler keine Mitarbeit bei der Ermittlung von verdächtigem Verhalten leisten und so gut wie nie mitteilen, wenn in Wohnungen Schäden infolge eines Marihuanaanbaus auftreten, dass ein Informationsaustausch zwischen den Niederlanden und Belgien auf diesem Gebiet nur schleppend vorankommt und Staatsanwälte die grenzüberschreitende Dimension bei 138 150 Föderale Polizei-DGJ/DJP/Drugs, Overzicht problematiek cannabisplantages in België, Brüssel, vom 20.7.2008. strafrechtlichen Ermittlungen oft als „ein Handicap oder Hindernis“ erleben, und dass zwar hier und da auf regionaler Ebene eine gewisse Koordination der Polizeibehörden erfolgt, dass aber von einer zentral gesteuerten nationalen Koordination oder Perspektive beziehungsweise von einem gezielten Informationsaustausch keine Rede sein kann. Ergänzend zu den Informationen, die zuvor bereits für ganz Belgien präsentiert wurden, ist hier besonders aus einigen nördlichen Bezirken zu berichten, die in den vergangenen Jahren von Cannabisplantagen geradezu „überschwemmt“ wurden (auch wenn es hier um viel geringere Zahlen als in vergleichbaren niederländischen Bezirken geht). So wurden 2007 im Bezirk Tongeren 101 kleine und größere Plantagen ausgehoben, 50 im Bezirk Antwerpen, 47 im Bezirk Turnhout und 33 im Bezirk Hasselt. Wie bereits erwähnt, gibt es bei vielen dieser Plantagen eine niederländische Beteiligung. Warum die niederländischen Organisatoren nach Belgien ausweichen, hat nach Ansicht der Autoren der vorliegenden Übersicht eine Reihe von Ursachen. Die wichtigsten Gründe sind: - die Verschärfung der Politik in den Niederlanden, auch durch die Anwendung der Politik der „gerüsteten Verwaltung“ (gewapend bestuur). - die Tatsache, dass beide Länder aneinandergrenzen und es kein Sprachproblem untereinander gibt. - die große Zahl der Niederländer, die im nördlichen Belgien wohnhaft ist; dies hat zur Folge, dass die niederländischen Organisatoren der Cannabisplantagen nicht auffallen. - das im Vergleich zu den Niederlanden relativ große Angebot an Wohnungen und Gewerberäumen. - möglicherweise auch die gewalttätigen Konflikte der Züchter von Nederwiet in den Niederlanden. Eine Reihe von ihnen sucht dabei ein sichereres Auskommen in Belgien.139 Ferner fällt auf, dass die Cannabisplantagen im Allgemeinen sehr verstreut angelegt werden und die Zahl der Growshops in Belgien deutlich niedriger liegt als die in den Niederlanden (nur 8 gegenüber geschätzten 375), was wiederum darauf hinweist, dass ein Großteil des benötigten Materials immer noch in den Niederlanden eingekauft wird. 2007 wurde in Belgisch Limburg eine kriminelle Organisation zerschlagen, die beinahe prototypisch für alle obigen Ausführungen ist. Sie hatte mit Hilfe von Strohmännern verschiedene Plantagen in dieser Provinz angelegt. Rohstoffe und Materialien wurden in niederländischen Growshops erworben und die Ernte wurde an 139 Letzteres wird von der Staatsanwaltschaft in Antwerpen geäußert. Vgl. das Interview mit einem der beteiligten Staatsanwälte in Het Belang van Limburg vom 9./10.8.2008. 151 niederländische Coffeeshops veräußert. Der erzielte Gewinn wurde wieder auf belgischem Staatsgebiet gewaschen bzw. investiert. Letzteres ist im Übrigen nicht ungewöhnlich. Eine kürzlich erstellte Analyse aller Studien zur Geldwäsche im Zeitraum 2003-2006 in der Provinz Limburg verdeutlicht, dass es in 34 (27,6%) der 123 Vorgänge um das Waschen von Drogengeldern ging, dass von den insgesamt 377 Tätern 133 in den Niederlanden geboren waren und dass von den 103 Tätern mit einem Wohnsitz im Ausland nicht weniger als 65 in den Niederlanden ansässig waren.140 Gutachten zur Situation in der Provinz und im Bezirk Lüttich lassen vermuten, dass auch hier regelmäßig immer mehr relativ kleine Marihuanaplantagen angelegt werden und jedenfalls mehr Marihuanaplantagen in Betrieb sind, als tatsächlich entdeckt werden. Sie werden auch hier an den verschiedensten Orten angelegt: in Wohnhäusern, anderen Baulichkeiten, Appartements, Wohnbooten usw. Die föderale Polizei warnt übrigens ausdrücklich davor, die Zahl der Plantagen könne in Zukunft noch erheblich zunehmen, weil es im Lütticher Raum noch eine ganze Reihe von Standorten gebe, die sich ausgezeichnet für diese illegale gewerbliche Betätigung eigneten. Ferner ist auch hier festzustellen, dass die Plantagen von den Niederlanden aus angelegt werden und dass auch die Ernte wieder dorthin gelangt. Letzteres soll im Übrigen nicht bedeuten, dass im Lütticher Raum nur Cannabis aus den Niederlanden konsumiert wird, das von Drogentouristen und Drugsrunnern eingeführt wird. Teilweise ist das sicherlich der Fall. Tatsache ist jedoch auch, dass von marokkanischen kriminellen Gruppen Haschisch aus Marokko über Spanien und Frankreich nach Lüttich transportiert wird und von hier aus von ihnen vertrieben wird. Teilweise geht dabei der Handel auch weiter in andere Teile von Europa.141 6.4.3. Auf deutscher Seite Auf der deutschen Seite der Euregio Maas-Rhein nahm seit 2002 die Zahl der Marihuanaplantagen stark zu. Die Entwicklung ging von 2 Plantagen 2003 hin zu 19 im Jahr 2004; 34 waren es 2005, 31 im Jahr 2006 und 24 im Jahr 2007. Der 2007 zu verzeichnende Rückgang wird von der deutschen Regierung einigen besonderen präventiven und repressiven Aktionen zugeschrieben, die die deutschen Polizei behörden und der Zoll in den Jahren 2006-2007 gegen die Plantagen durchgeführt haben. 140 Föderale Polizei Tongeren und Hasselt, Drugs in Belgisch Limburg, 2005-2007, 2008. 141 Police fédérale, Plan d’action 2008; phénomène prioritaire repris dans le plan national de sécurité 2008-2011; traffic de stupéfiants, Lüttich, 2007, und Ch. Baumans u.a., Analyse de la sécurité dans l’arrondissement de Liège en 2007, Police fédérale, Arrondissement de Liège, 2008. 152 Eine eher euregionale Erklärung dafür könnte sein, dass der Anstieg der Plantagenzahl im Zeitraum 2004-2006 auch eine Folge des erhöhten Drucks war, mit dem sich die Polizei Limburg-Zuid bis einschließlich 2005 diesem Phänomen gewidmet hat, und dass ihr Rückgang im Jahr 2007 auch eine Folge der niedrigeren Priorität ist, mit der diese Polizei das Problem seit 2005 behandelt. Wie auch immer wurden in der Region Aachen 2006 insgesamt 11 Plantagen entdeckt, darunter eine kleine und 10 groß bzw. professionell angelegte Plantagen. 2007 handelte es sich insgesamt um 10, davon 5 (sehr) kleine und 5 eher professionell angelegte.142 Ansonsten besteht bei den deutschen Behörden kein Zweifel darüber, dass das Phänomen der Marihuanaplantagen von den Niederlanden aus in Deutschland importiert wurde.143 Anfangs war die Führung der Plantagen entsprechend ganz in niederländischer Hand. In den vergangenen Jahren nahm allerdings die Beteiligung von Deutschen zu. 6.5. Produktion und Vertrieb von synthetischen Drogen 6.5.1. Auf niederländischer Seite In der bereits zitierten Studie von Spapens und Fijnaut aus dem Jahr 2005 über die grenzüberschreitende Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein wird auch der Produktion von synthetischen Drogen die nötige Aufmerksamkeit eingeräumt.144 In dieser Studie wird u.a. darauf hingewiesen, dass 2002 von der niederländischen Polizei 43 Labore ausgehoben wurden; 5 dieser Labore standen in Zuid-Limburg. Dass die beteiligten niederländischen kriminellen Gruppen die Grenze mit Belgien und Deutschland nutzen, um ihr Risiko, entdeckt zu werden, zu verringern, zeigte sich einige Zeit später sehr deutlich. 2004 wurde in Maasmechelen ein Labor mit sieben Tablettiermaschinen und 400.000 Ecstacypillen entdeckt, das aus dem Hintergrund von einer niederländischen kriminellen Gruppe geleitet wurde, die kurz danach der niederländischen Polizei ins Netz ging. Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass vor einigen Wochen in Maasmechelen und As Hausdurchsuchungen vorgenommen wurden und eine Verhaftung im Rahmen internationaler Ermittlungen über die Produktion und Einfuhr von 4,4 Tonnen Ecstacypillen (schätzungsweise 13 bis 15 Millionen Pillen) in Australien erfolgte. Die Pillen waren in Dosen versteckt, in denen normalerweise italienische Tomaten eingemacht werden. Diese merkwürdige Ladung flog am 28. Juni 2007 im australischen Melbourne auf. 142 Bericht der Polizei Aachen vom 5.8.2008. 143 Die Daten sind einem Bericht des Landeskriminalamtes Düsseldorf vom 11.7.2008 entnommen. 144 Siehe unter anderem S. 146-155. 153 Medienberichten zufolge stehen die betreffenden Limburger übrigens in direkter Verbindung zur N´dranghetta, dem kalabrischen Zweig der italienischen Mafia. Sollte das tatsächlich so sein, unterstreicht dies klar und deutlich den organisierten Charakter der Produktion synthetischer Drogen.145 Von Spapens und Fijnaut wurde diese Verbindung damals nicht festgestellt. Sie gelangten allerdings wohl zu dem Schluss, dass die Produktion von synthetischen Drogen vorwiegend in Händen niederländischer krimineller Gruppen liegt, die in Bezug auf ihre Aktivitäten in Belgien und Deutschland auf Dienstleister und Hilfskräfte aus der Region zurückgreifen können. So können sie so weit wie möglich im Hintergrund bleiben. Weil auch diese ausländischen Handlanger gewöhnlich schweigen, ist es meist nicht leicht, die Produktion der synthetischen Drogen auf strafrechtlichem Weg ein zudämmen. Der vielleicht geringe Langzeiteffekt der Art und Weise, in der gewöhnlich strafrechtlich in die Produktion von synthetischen Drogen eingegriffen wird, kommt auch in der eingehenden Studie von Spapens über die Folgen der Ermittlungstätigkeiten für die Organisation und die Abschirmung der Ecstacyproduktion und des Ecstacyhandels in den Niederlanden zur Sprache.146 Kurzfristig ist es allerdings wohl möglich, durch strafrechtliche Ermittlungen, sofern diese von Teams durchgeführt werden, die über hinreichende Mitarbeiter und genügend Zeit verfügen, kriminelle Organisationen zu zerschlagen, die an diesen illegalen Geschäften beteiligt sind. Seine Nachforschungen ergaben außerdem, dass auf jeden Fall in den Jahren 1996 bis 2004 ein umfangreiches und gut funktionierendes kriminelles Netzwerk von Personen und Unternehmen im Süden der Niederlande existierte (und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dieses Netz inzwischen verschwunden ist), das sich die Hintermänner zu Nutze machen können, um kriminelle Gruppen zu bilden, die immer wieder an der Produktion von Ecstacytabletten beteiligt sind. Die erfolgreiche Produktion und der Handel von/mit diesen Pillen sind ziemlich komplex und müssen hier nicht näher behandelt werden. An dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es hierbei um ein höchst internationales Geschäft geht. Dies erklärt jedenfalls, weshalb wichtige strafrechtliche Ermittlungen in den Niederlanden auf der Grundlage von ausländischen Rechtshilfeersuchen eingeleitet werden beziehungsweise dank solcher Ersuchen erfolgreich abgeschlossen werden konnten. In verschiedenen Fällen kamen diese Rechtshilfeersuchen aus Belgien und Deutschland. Letzteres ist alleine schon angesichts der oben genannten Maasmecheler Fälle nicht weiter erstaunlich. Die Polizei in Zuid-Limburg hat übrigens festgestellt, dass sich elf der oben 145 Siehe Het Belang van Limburg, 9./10.8.2008. 146 T. Spapens, Interactie tussen criminaliteit en opsporing; de gevolgen van opsporingsactiviteiten voor de organisatie en afscherming van xtc-productie en –handel in Nederland, Antwerpen, Intersentia, 2006. 154 genannten achtzehn kriminellen Vereinigungen in der Euregio bzw. Regio mit der Herstellung von synthetischen Drogen und acht mit dem diesbezüglichen Handel befassen. 2007 wurde in Zuid-Limburg ein Labor ausgehoben und 2008 bislang zwei.147 6.5.2. Auf belgischer Seite In Bezug auf Belgien ergibt sich aus einer aktuellen Übersicht der Labore, die im Zeitraum 2002 bis 2007 ausgehoben wurden, dass wie im Falle des Cannabisanbaus hauptsächlich in den nördlichen Bezirken (Antwerpen, Turnhout, Hasselt und Tongeren) Dutzende dieser Labore angetroffen wurden. Und natürlich nicht nur die Labore selbst, sondern auch die Stellen, an denen der Abfall abgelagert wurde.148 Eine nähere Analyse der Daten über die Produktion synthetischer Drogen in Belgisch Limburg zeigt, dass im Gerichtsbezirk Hasselt im Zeitraum 2005-2007 insgesamt 146 Straftaten im Zusammenhang mit der Produktion von synthetischen Drogen aufgedeckt wurden und im Bezirk Tongeren 303. Das ergibt eine Gesamtzahl von 449 entdeckten Straftaten in diesen Jahren in der Provinz Belgisch Limburg. Geht es speziell um Drogenlabore, wurden 2005 im Bezirk Tongeren drei Verfahren eröffnet, 2006 ein Verfahren und 2007 fünf Verfahren; im Bezirk Hasselt ging es 2006 um zwei Labore und 2007 um drei Labore. Diese Zahlen verleiten nicht zuletzt angesichts des Umfangs der Müll ablagerung zweifellos zu einer Unterschätzung der Größenordnung, in der in dieser Region synthetische Drogen hergestellt werden. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass seit 2004 mehr und mehr Labore im Hinterland von Belgien und an der belgischen Küste entstehen. Aber auch hier ist wieder direkt anzumerken, dass auch in diesen Fällen meistens Verbindungen mit Tätern aus den Niederlanden oder dem niederländisch-belgischen Grenzgebiet bestehen. Die einheimischen niederländischen kriminellen Gruppen spielen mit anderen Worten noch immer eine dominante Rolle bei dieser Form der Drogenproduktion.149 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass laut den Gutachten der föderalen Polizei in den vergangenen Jahren keine Labore in Lüttich und Umgebung entdeckt wurden.150 147 Mitteilung des Stabs der Polizei Limburg-Zuid, 14.9.2008. 148 Föderale Polizei/DJP/Drogen, Ontmantelde labo’s en afvaldumpingen in de periode 2002-2007, Brüssel, 2008. 149 Föderale Polizei Tongeren und Hasselt, Drugs in Belgisch Limburg 2005-2007, 2008. 150 Police Fédérale, Plan d’action 2008; phénomène prioritaire repris dans le plan national de sécurité 2008-201 ; traffic de stupéfiants, Liège, 2007. 155 6.5.3. Auf deutscher Seite Auf dieser Seite der niederländisch-deutschen Grenze, die die Euregio durchschneidet, gibt es laut Polizeiangaben kein unmittelbares großes Problem. Im Dezember 2007 wurden in Aachen bei der Räumung einer großen Cannabisplantage Gegenstände gefunden, die Hinweise auf die Herstellung von Amphetamin gaben. In diesem Fall wurde das Labor nicht in Aachen entdeckt, sondern in Kevelaer.151 6.6. Drogenkonsumenten, Drogenhäuser und Drugsrunner Das Phänomen der Drugsrunner, die von Dealern dafür bezahlt werden, dass sie Drogentouristen zum Beispiel zu Drogenhäusern führen, in denen alle Arten von Drogen zum Kauf angeboten werden, ist vor allem im niederländisch-belgischen Grenzgebiet nicht neu. In den neunziger Jahren manifestierte sich dieses Problem besonders gravierend auch auf der Achse Rotterdam-Lille infolge des Drucks, den die Rotterdamer Polizei 1995 mit der Operation Victor auf den unerlaubten Verkauf von Drogen in und im Umfeld von bestimmten Vierteln in Rotterdam ausübte. Es zeigte sich, dass ungefähr 1.150 Drugsrunner marokkanischer Herkunft in diesem Gebiet aktiv waren. Viele von ihnen hörten unter dem Druck der polizeilichen Maßnahmen damit auf, aber bei 300 von ihnen zeigten die getroffenen Maßnahmen nur wenig oder gar keine Wirkung. Vor allem Mitglieder dieses harten Kerns verlegten die Bevorratung der nordfranzösischen Drogentouristen auf belgisches Staatsgebiet. Anfang 2000 entstanden hier zwei Routen: die westliche Route (sog. Hazeldonk- oder E17-Route) und eine östliche Route über Lüttich. Wir beschränken uns hier auf die erstgenannte Route. Von dieser Route kann gesagt werden, dass seit 2000 immer mehr französische Drogentouristen nicht nur in Antwerpen, Gent und Kortrijk sondern auch in Bergen auftauchen. Sie werden wie in Rotterdam von den Drogenhäusern aus bevorratet. Diese Häuser werden oft von maghrebinischen Dealern benutzt, die sich illegal im Land aufhalten. Auch hier locken Drugsrunner die Touristen zu diesen Gebäuden. Hierbei ist festzustellen, dass in letzter Zeit auch immer mehr örtliche Abnehmer in den Drogenhäusern angetroffen werden. Dies deutet an sich bereits auf eine gewisse Etablierung des Phänomens in den betroffenen Städten hin. Das sehr strenge Vorgehen vor allem der zonalen Polizeikorps, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, hat im Allgemeinen nicht so viel bewirkt. Die Probleme wurden zwar etwas verlagert und haben auch etwas abgenommen, sind aber gewiss nicht verschwunden. Die Erklärung hierfür ist wohl in dem Umstand zu 151 Landeskriminalamt Düsseldorf, Rauschgiftkriminalität; Lagebild Nordrhein-Westfalen 2007, Düsseldorf, 2007, S. 8. 156 suchen, dass die kriminellen Organisationen, die die Infrastruktur der Drogenhäuser und die Runner-Netzwerke überwachen, so solide in den niederländischen Städten verankert sind, die als ihre Ausgangsbasis fungieren, dass sie auch große Verluste einstecken können. Mit anderen Worten: Sie können Verluste ohne weiteres mit den Gewinnen aus ihren illegalen Aktivitäten kompensieren. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass sie über ein gutes Anpassungsvermögen verfügen. Als die Polizei in Gent und anderen Städten immer effektiver gegen Drogenhäuser vorging, blühte der Straßenhandel mit Drogen auf. Nachdem es in vielen Vierteln von Antwerpen infolge der Bauarbeiten an dem Verkehrsring schwieriger geworden war, französische Drogentouristen zu bedienen, zogen sich die Dealer in ein paar Viertel zurück, die für diese Touristen weiterhin relativ gut erreichbar waren. Die Arbeiten an dem Verkehrsring waren noch nicht abgeschlossen, da schossen überall in der Stadt die Drogenhäuser wie Pilze aus dem Boden und wurde ganz Antwerpen wieder ein wichtiges Bevorratungszentrum für die französischen Drogentouristen. Fraglich ist auch, wie es geschehen konnte, dass seit rund zwei Jahren die lokale Nachfrage nach Drogen in den Städten entlang der E17 mehr und mehr von den Drogenhäusern aus befriedigt wird. Diese Vermischung der zwei Märkte hat erhebliche Folgen. Eine der wichtigsten Konsequenzen für die Zukunft ist, dass in diesen Städten das Dealernetz immer mehr Wurzeln schlägt und hier auch immer dichter wird. Dem steht gegenüber, dass es immer schwieriger wird, Drogenhäuser für die spezialisierte lokale Kriminalpolizei lange verborgen zu halten. Die Folge ist, dass sich der Drogenhandel immer mehr von festen Gebäuden in der Stadt zu den Parkplätzen entlang der E17 verlagert. Die Drugsrunner fungieren in diesem sehr mobilen Handel als Kuriere. Entlang der E25, also an der Autobahn zwischen Maastricht und Lüttich, zeigt sich momentan die gleiche Verlagerung. Die belgische Polizei hat nicht so viele Erkenntnisse über die kriminellen Organisationen, die den Drogenhandel entlang der E17 in Händen halten. Dennoch besteht in Polizeikreisen der Eindruck, dass die heutigen Vertriebsnetze entlang der E17 und der E25 von einigen wenigen niederländisch-marokkanischen Familien aufgebaut wurden, die von der Randstad Holland aus operieren. Diese Familien kontrollieren angeblich über diese Netzwerke nicht nur den Vertrieb von Cannabis (einschl. marokkanischem Haschisch), sondern fungieren auch als Verteiler von Heroin, das von türkischen Gruppen importiert wird, und von Kokain, das aus Südamerika eingeführt wird. Sie sollen daher auch verantwortlich sein für die Anmietung bzw. den Ankauf von immer wieder neuen Drogenhäusern und für die Rekrutierung von Runnern und Dealern. Der Umstand, dass zumindest auf der E17-Route ziemlich viele Personen, die sich illegal im Land aufhalten, im Vertrieb auf Straßen- und Hausniveau aktiv sind, wirft außerdem die Frage auf, inwieweit diese Familien nicht auch mit 157 kriminellen Organisationen kooperieren, die am Menschenhandel beteiligt sind.152 6.6.1. Auf niederländischer Seite Auf niederländischer Seite hat man auch eine ziemlich deutliche Meinung über (niederländisch‑)marokkanische kriminelle Gruppen, Organisationen, Vereinigungen oder Familien, die von der Randstad aus den Vertrieb aller Arten von Drogen über Drugsrunner und Drogenhäuser in der Euregio steuern sollen.153 Hier hat die Polizei auf jeden Fall festgestellt, dass die marokkanischen Dealergruppen, die in allen großen limburgischen Städten aktiv sind, eng verbunden sind mit kriminellen Organisationen im Westen der Niederlande, vor allem in Rotterdam und Utrecht. Ihr Drogenhandel in Zuid-Limburg und Umgebung wird demnach auch offenbar von diesen und anderen großen Gemeinden in der Randstad aus organisiert. Praktisch gesehen bedeutet dies, dass Drogen in der Randstad zu Partien verarbeitet, gestreckt oder gepresst werden (Heroin wird mit so genannten „Heroin pressen“, die ganz einfach bei örtlichen Konstruktionsbetrieben in Auftrag gegeben werden, gepresst), so dass sie für den örtlichen Handel geeignet sind. Daneben geschieht dies heute aber auch in „Pressen“ in Zuid-Limburg. Diese Partien werden wöchentlich mit mehreren Kilos zugleich nach Zuid-Limburg gebracht und hier in Drogenhäusern (stashes) versteckt. Die Anführer der marokkanischen Organisationen führen im Allgemeinen ein eher unauffälliges Leben in Städten wie Rotterdam und Utrecht, verfügen aber in Marokko über erheblichen Immobilienbesitz. Die politische Konsequenz der Feststellung, dass das Problem drogenbedingter Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein weit über die Grenzen dieser Regio hinaus reicht, muss natürlich lauten, dass gut koordinierte (inter‑)nationale Fahndungs maßnahmen (in den Niederlanden, in Belgien und zwischen den Niederlanden und Belgien) erforderlich sind, um dieses Problem einzudämmen. Alleine von der Kriminalpolizei bei der Polizei Limburg-Zuid kann dies unmöglich erwartet werden, ebenso wenig von den Kriminalpolizeibehörden im belgischen oder deutschen Landesteil. Außerdem hat die Polizei Limburg-Zuid über eigene Ermittlungs- und 152 Diese Aussagen basieren vor allem auf B. De Ruyver, T. Surmont u.a., „Dealpanden; een hardnekkig en dynamisch fenomeen“, in B. De Ruyver und T. Surmont (Hrsg.), Grensoverschrijdend drugstoerisme; nieuwe uitdagingen voor de Euregio’s, Antwerpen, Maklu, 2007, S. 16-52, und B. De Ruyver, „Drugs in de Lage Landen; de Belgische kant van het verhaal“, Justitiële Verkenningen, 2006, Nr. 1, S. 135-145. Siehe dazu auch E. van der Torre und S. Gerz, Drugstoeristen en kooplieden; een onderzoek naar Franse drugstoeristen, Marokkaanse drugsrunners en het beheer van dealpanden in Rotterdam, Leiden, COT, 1996. 153 Die folgenden Angaben wurden größtenteils einem umfangreichen Bericht vom 20.3.2008 entnommen, der für die Führung der Polizei Limburg-Zuid bestimmt war. 158 Aufklärungsmaßnahmen feststellen können, dass 16 der 18 kriminellen Vereinigungen in der Regio sich auch mit der Produktion und dem (grenzüberschreitenden) Handel von/mit harten Drogen befassen; von diesen Vereinigungen sind 8 vor allem aktiv im Bereich des Handels mit Kokain und 6 im Handel mit Heroin. 11 dieser 18 Organi sationen sind, wie oben bereits angesprochen, an der Produktion und dem (grenzüberschreitenden) Handel von/mit synthetischen Drogen beteiligt. Darüber hinaus befassen sich ebenfalls 11 mit der Produktion und dem (grenzüberschreitenden) Handel von/mit Nederwiet; 9 davon verfügen über eine oder mehrere Plantagen. Inwieweit diese kriminellen Vereinigungen mit kriminellen Gruppen in der Randstad verzahnt sind bzw. geschäftliche Beziehungen mit diesen Gruppen unterhalten, ist nicht deutlich. Einige kriminelle Organisationen scheinen den marokkanischen Drogennetzwerken nicht anzugehören, die in der Euregio aktiv sind. Wie dem auch sei – die Polizei hat vor allem durch Zutun des Nomen-Teams und des Joint Hit Teams-Oost einen ganz guten Einblick in die Funktionsweise des Netzwerks der marokkanischen Runner und Dealer auf der Ebene der Euregio bekommen. Diese stammen oft aus den Utrechter und Rotterdamer Problemvierteln, wo sie in Teestuben und an hangplekken, eigens für Jugendliche von den Gemeinden eingerichteten Treffpunkten im Freien, rekrutiert werden. Die Runner, die mit schnellen Autos auf den Durchgangsstraßen auf die Jagd nach Drogentouristen gehen, werden von der Polizei umschrieben als „unsensibel für die Stellung und Autorität der Polizei, sie kennen keine Gewissensbisse, suchen nach Herausforderungen und Konfrontation, suchen ihre Grenzen, gehen keinem Streit aus dem Weg und sind oft süchtig“. Sie betreiben sogar Gegenobservationen gegenüber der Polizei, um den Machtkampf mit der Polizei auf der Straße gewinnen zu können. In diesem Machtkampf werden Geschwindigkeiten bis 200 oder 210 Stundenkilometer nicht gescheut, um sich einer Polizeikontrolle zu entziehen. Wer also die Runner ausschalten will, muss ein ganzes Arsenal an Mitteln einsetzen: Lockfahrzeuge, Observationsgruppen, Fest nahmeeinheiten, Kripogruppen etc. (im Zeitraum Juni 2007 bis Juni 2008 wurden 752 Runner kontrolliert und wurden 89 Runner festgenommen). Wenn diese Runner erfolgreich sind, können sie zu lokalen Drogendealern aufsteigen, die gewöhnlich viel Geld und Luxusautos besitzen. Unter dieser Kategorie der mobilen Runner stehen die Runner, die am Bahnhof und in Nähe der Coffeeshops in Maastricht versuchen müssen, Kunden auszumachen. Übrigens beobachtet die Polizei in Maastricht auch regelmäßig Drugsrunner belgischer Herkunft. Marokkanische Drogendealer arbeiten gerne von Drogenhäusern aus (nach Vereinbarung) mit festen Kunden oder mit neuen Kunden, die von Drugsrunnern angeworben werden; die Runner werden manchmal auch eingesetzt, um an gut erkennbaren Stellen an der Autobahn oder an Plätzen in Nähe der Autobahn feste Abnehmer mit Drogen zu versorgen oder Bestellungen bei festen Kunden im Ausland abzuliefern. Dass die Runner neue Kunden für die Dealer vorzugsweise aus dem ständigen Strom von Drogentouristen gewinnen wollen, der jeden Tag, jede Woche, 159 jeden Monat und jedes Jahr nach Zuid-Limburg und vor allem nach Maastricht fließt, wurde oben bereits eingehend dargestellt und ist im Übrigen auch ganz logisch: Dieser Touristenstrom bildet von Natur aus eine attraktive Gruppe potenzieller Kunden. Daher können Drogendealer und Drugsrunner in Maastricht auch ziemlich viel Geld verdienen: ein Drogendealer 10.000 bis 12.000 Euro pro Tag (zumindest an guten Tagen, etwa an Wochenenden, an Tagen, an denen – gerade auch im Ausland – Sozialhilfeleistungen ausgezahlt werden, an Feiertagen), ein Drugsrunner rund 2.000 Euro pro Monat. Dies erklärt auch, warum Runner zu so waghalsigen, aggressiven und manchmal gewalttätigen Methoden greifen, um Kunden notfalls auch mit Waffen gewalt (vier Schießereien in einem Jahr) zu ihren Dealern zu lotsen. Die Autos, mit denen sie fahren, stehen oft auf Namen von Dritten oder werden von Dritten gemietet; sie sind oft nicht versichert und auch nicht technisch geprüft. Die Beschlagnahme dieser Fahrzeuge bringt daher auch nicht viel ein (im Zeitraum Juni 2007 bis Juni 2008 wurden 390 Fahrzeuge kontrolliert und wurden 59 Fahrzeuge beschlagnahmt). Gewöhnlich arbeitet ein Dealer mit 4-5 Runnern; sie bilden sozusagen eine Zelle. In Maastricht sind gut 50 Zellen aktiv. Die Zahl der „aktiven“ Drogenhäuser in der Stadt liegt daher auch bei ca. 50. In der gesamten Regio geht es um rund 150 Drogenhäuser. Diese liegen, lässt man Maastricht außer Acht, vor allem in der Gegend von Heerlen und Hoensbroek, Sittard-Geleen, Kerkrade und Kaalheide, Simpelveld und Vaals sowie vor der deutschen Grenze bei Aachen. Damit wird auch deutlich, dass die Drogen problematik in Zuid-Limburg wirklich nicht nur ein Problem von Maastricht ist. Auch in den anderen großen Gemeinden wird man mit dem Problem der Drugsrunner und Drogenhäuser konfrontiert. Das Wort „Drogentouristen“ sollte hier übrigens nicht falsch verstanden werden. Nicht zuletzt im Fall von belgischen und französischen Käufern von harten Drogen handelt es sich oft um problematische Konsumenten, die manchmal hunderte Kilometer fahren, um in Maastricht Drogen kaufen zu können, und zwar sowohl in den Coffeeshops als auch in Drogenhäusern. Kauften solche Kunden – und diese sind in der Mehrheit – in der Vergangenheit nur einige Gramm, werden heute bei Kontrollen gewöhnlich 40 bis 100 Gramm harte Drogen gefunden. Manchmal aber auch einige hundert bis tausend Gramm, verborgen im Körper oder versteckt an präparierten Stellen in Autos. Dies weist darauf hin, dass die betreffenden „Touristen“ einen Teil dieser Drogen in Belgien oder Frankreich weiterverkaufen, unter Umständen auch, um ihren eigenen Bedarf finanzieren zu können. In Maastricht kostet 1 Gramm Heroin 10 Euro und 1 Gramm Kokain 20-25 Euro, in Frankreich muss laut Angaben der festgenommenen „Touristen“ vier mal so viel dafür bezahlt werden. Diese führen übrigens auch oft synthetische Drogen mit sich. Auch von den Drogenhäusern sollte man sich besser keine romantische Vorstellung machen. Diese Gebäude werden oft von Strohmännern gemietet oder zumindest unter deren Namen angemietet. Hierbei geht es manchmal um limburgische Freundinnen der Dealer oder Runner, manchmal auch um ortsansässige Drogen 160 abhängige oder andere Personen, auf die hier nicht näher einzugehen ist. Viel Mühe kostet sie dies nicht, weil die Eigentümer sich oft nicht darum kümmern, was für Mieter sie bekommen, oder weil sie die Vermietung ihrer Räumlichkeiten Unter nehmen übertragen haben. Dealer nutzen für gewöhnlich mehrere Häuser; ein Haus oder mehrere Häuser werden dabei nur für die Lagerung von Drogen benutzt. Bei Hausdurchsuchungen (43 im Zeitraum von Juni 2007 bis Juni 2008) werden in jedem Drogenhaus allerlei Arten von Drogen angetroffen, Waagen, Pressen, Geld und regelmäßig auch Schusswaffen. Und dies manchmal in großen Mengen, einmal sogar fünfzig Kilo Heroin. Die Runner können in diesen Häusern übernachten (manchmal mieten sie in kleinen Gruppen auch Hotelzimmer) und sorgen dann wieder für Belästigungen der Nachbarschaft. Viele diese Häuser sind nach einiger Zeit völlig marode. Die Einschüchterung von Hauseigentümern ist übrigens keine Ausnahme, ebenso wenig wie die Übernahme von Gaststätten oder Hotels und Überfälle auf andere Runner und Dealer. Manchmal erhalten Runner von ihrem Dealer den Auftrag, in safehouses anderer Händler einzubrechen, um sie abhängiger von sich zu machen. Mittlerweile sind wohl in jedem Viertel von Maastricht marokkanische Runner und Dealer in Drogenhäusern und deren Nähe aktiv. Und nicht nur in Maastricht, sondern auch in den belgischen Grenzgemeinden, vor allem Lanaken, Bilzen und Lüttich. Manchmal arbeiten sie auch in einer Art Schichtbetrieb, um vor allem französische Drogentouristen abfangen zu können. Dass dies möglich ist, liegt schlichtweg an dem Umstand, dass sie so viele sind. Gab es im April 2007 noch 270 registrierte Dealer und Runner, war im April 2008 ihre Zahl auf gut 500 gestiegen. Und ihre Zahl nimmt Tag für Tag zu, auch um die Polizei in die Irre zu führen. Der zunehmende Druck auf die Drogenhäuser führt im Übrigen dazu, dass sich der Handel in gewissem Umfang von den Drogenhäusern zu den „mobilen Dealern“ verlagert. Das bedeutet, dass die Drogen an festen Orten zu den Kunden gebracht werden oder dass der Dealer die Kunden von seinem Auto aus mit den Drogen beliefert. Festzustellen ist auch eine Verlagerung und Verbreitung von Drogenhäusern nach bzw. in Gemeinden außerhalb Maastrichts (z.B. Valkenburg, Meerssen und Gronsveld). Es steht letztlich außer Frage, dass sich der geduldete und unerlaubte Vertrieb von Drogen in Zuid-Limburg zum größten Teil an ausländische Konsumenten richtet. Wie groß die Zahl der niederländischen Drogenkonsumenten in dieser Regio ist, die sich regelmäßig in Coffeeshops und Drogenhäusern mit Drogen versorgt, wurde allerdings nie untersucht. Deshalb kann an dieser Stelle nichts zu der Frage gesagt werden, ob zum Beispiel ihre Zahl in dieser Regio höher liegt als in anderen Regios in den Niederlanden und ob dies, falls das so sein sollte, etwas mit dem großen und niedrigschwelligen Angebot aller Arten von Drogen zu tun hat. Es gibt allerdings einige Daten über die Zahlen der niederländischen Konsumenten, zu denen auch Rauschgiftsüchtige zählen, die sich in Limburg und vor allem in Zuid-Limburg bei der Suchthilfe gemeldet haben oder die wegen ihres problematischen Drogenkonsums bei den betroffenen Einrichtungen in Behandlung sind. 161 Beim limburgischen Beratungsbüro für Alkohol und Drogen CAD waren für die gesamte Provinz Limburg im Zeitraum 1998-2007 jedes Jahr immer mehr Kunden eingetragen. Betrug ihre Zahl 1998 noch 1.713, lag sie 2003 bei 2.154 und 2007 bei 2.589. Dieser kontinuierliche Anstieg wird nicht nur durch die zunehmende Zahl an Kunden verursacht, die Probleme mit dem Konsum von Opiaten haben (von 395 im Jahr 1998 auf 517 in 2007), sondern auch durch die steigende Zahl von Problemkonsumenten von Stimulantien (von 289 im Jahr 1998 auf 458 im Jahr 2007) und von Cannabis (von 373 im Jahr 1998 auf 548 im Jahr 2007).154 Die Mondriaan Zorggroep, die vor allem in Zuid-Limburg aktiv ist, regis trierte 2007 2.391 Patienten. 931 von ihnen hatten ein primäres Problem mit Alkohol, aber 701 ein Problem mit Heroin, 179 mit Kokain, 201 mit Cannabis und 80 mit Amphetamin.155 6.6.2. Auf belgischer Seite Auf belgischer Seite der Grenze besteht durch die große Zahl der Bezirke und vor allem der großen Zahl (kleiner) Gemeinden kein so guter Überblick der Problematik der Drugsrunner und Drogenhäuser wie auf der niederländischen Seite. Es besteht aber kein Zweifel, dass ein Teil der (vorwiegend marokkanischen) Drugsrunner, die in Maastricht operieren, nicht nur in Richtung Lüttich aktiv sind, sondern auch in Richtung Lanaken, und hier insbesondere in Smeermaas und Veldwezelt. Einige von ihnen versuchen, neue Kunden auf der Straße anzulocken, ein anderer Teil versucht, seine bekannten Kunden von Wohnungen aus zu bedienen, die oft über Freunde in diesen Gemeinden bzw. Dörfern angemietet werden. Schätzungsweise sind alleine in Lanaken 70 Drugsrunner aktiv, von denen 30 in der Gemeinde selbst wohnen. Sie sind sehr aggressiv im Verkehr und auch gefährlich und sorgen in vielerlei Hinsicht für erhebliche Belästigungen. Die Verdienstmöglichkeiten liegen bei 2.000 Euro monatlich einschließlich Auto, Mobiltelefon und Auf enthaltskosten. Je mehr Mobiltelefone ein Runner hat, desto wichtiger ist er in dem Netzwerk. Untersuchungen haben ergeben, dass die in diesen Gemeinden aktiven Runner zu Netzwerken gehören, die bis nach Rotterdam reichen. Marokkanische Drugsrunner („rabatteurs“) sind tatsächlich auch in Lüttich und in anderen Gemeinden entlang der E25 bis hin nach Luxemburg kein unbekanntes Phänomen mehr. In vielen Fällen stammen diese Runner aus den Niederlanden. Einige von ihnen sind inzwischen in Lüttich mehr und mehr als Drogendealer tätig. Sie kommen über die Niederlande (Maastricht) nicht nur an Haschisch und Nederwiet, 154 Die Zahlen stammen aus einem Bericht, der von einem Beamten der Gemeinde Maastricht zur Verfügung gestellt wurde. 155 Mondriaan Zorggroep, Sparte Suchthilfe, Kerncijfers 2007 (Broschüre Saai is anders). 162 sondern vor allem über Amsterdam, Rotterdam und Breda auch an Kokain und Heroin. Hierbei werden alle denkbaren Schmuggelmethoden eingesetzt, um den belgischniederländischen Grenzkontrollen zu entgehen, zum Beispiel durch die Einschaltung von gut gekleideten älteren Herren oder gepflegten älteren Damen als „Mulis“. Außerdem spielt bei der Belieferung von Lüttich mit Kokain neben dem Hafen von Antwerpen auch der Flughafen von Bierset eine wichtige Rolle, und zwar speziell die Paketdienste, die an diesem Flughafen aktiv sind. Übrigens sind nicht nur die niederländischen Drugsrunner und -dealer wichtige operationelle Dreh- und Angelpunkte beim Vertrieb von Drogen in Lüttich, sondern auch schon viel länger ansässige kriminelle Gruppen nordafrikanischen Ursprungs. In vielen Fällen geht es bei ihrem Kleinhandel nicht um ein paar Gramm Cannabis, sondern um hunderte Gramm bis hin zu halben und ganzen Kilos. Dieser Handel wird sowohl von Drogenhäusern (Wohnungen, Gaststätten etc.) in der Stadt aus betrieben als auch aus gemieteten oder geleasten Autos heraus auf Parkplätzen entlang der Autobahnen. Die ursprünglich aus Lüttich stammenden kriminellen Gruppen schmuggeln auch in relativ großem Stil verschiedene Drogen nach Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Italien. Im Übrigen ist es in manchen Gerichtsbezirken gar nicht so leicht, eine Verurteilung von festgenommenen Drugsrunner zu erwirken. Im Bezirk Tongeren war dies bis Anfang 2008 sogar noch nie gelungen. Die in manchen Fällen beschlagnahmten Fahrzeuge, Handys und Gelder mussten daher auch zurückgegeben werden. In einigen Fällen wurde festgestellt, dass der Eigentumsanspruch an Gegenständen verwirkt worden ist, weil die Eigentümer nicht ausfindig gemacht werden konnten. Im Bezirk Lüttich hatte man bis zu diesem Zeitpunkt gemischte Erfahrungen mit der Verfolgung einiger Drugsrunner gemacht. In den zwei Fällen, die bis zu dieser Zeit anhängig gemacht worden waren, erfolgte in einem Fall eine Verurteilung und in der anderen Sache ein Freispruch. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Prokurator des Königs in Lüttich in einem Rundbrief vom 7. Februar 2008 mitgeteilt hat, wie auf das Phänomen der Drugsrunner zu reagieren sei. Dies beweist einmal mehr, dass dieses Phänomen inzwischen erhebliche Proportionen annimmt.156 In dem Rundbrief wird übrigens nicht nur auf das offensive und aggressive Verhalten der Runner auch gegenüber Polizisten eingegangen, sondern auch auf die Schwierigkeiten, strafrechtlich gegen sie vorzugehen, weil sie oft keine Drogen oder nur sehr kleine Drogenmengen mit sich führen. Angesichts dieser Darstellung darf nicht vergessen werden, dass die Stadt Lüttich mit einer hohen Zahl an Kokain- und Heroinabhängigen zu kämpfen hat. In den verfügbaren Gutachten wird ihre Zahl auf mindestens 3.900 und höchstens 5.000 Abhängige geschätzt. Wenn man bedenkt, wie viel Heroin (1.500 bis 2.400 Personen 156 163 Ein Exemplar dieses Rundbriefs wurde uns bei der Staatsanwaltschaft von Lüttich vorgelegt. minimal 0,5 Gramm) und Kokain (2.400 bis 3.600 Personen ebenfalls minimal 0,5 Gramm) sie täglich benötigen, ist leicht auszurechnen, dass auf Jahresbasis – und diese Schätzungen sind noch eher niedrig – zwischen 292 Kilo und 438 Kilo Heroin in die Stadt gelangen müssen und zwischen 438 Kilo und 1.314 Kilo Kokain. Dies erklärt natürlich nicht nur, dass der Drogenhandel in (Richtung) Lüttich sehr umfangreich ist, sondern auch, dass ziemlich viel „kleine“ Kriminalität in der Stadt diesen Massen von Abhängigen zuzuschreiben ist. Nicht ohne Grund werden Vorbereitungen für ein Experiment mit kontrollierter Heroinabgabe an 200 Süchtige getroffen. Dies ist aber nicht die einzige Anstrengung, die die Stadt unternimmt, um das große Problem der Drogensucht zu lösen. So gibt es zahlreiche Einrichtungen auf sozialem, psychia trischem und medizinisch-sozialem Gebiet, die auf verschiedene Weise diesen Drogenabhängigen Hilfe gewähren und sie betreuen. Die „Citadelle“ ist eine der wichtigsten Drehscheiben in diesem Netzwerk. 2003 wurde Observatoire liégeois des drogues errichtet.157 Übrigens fällt deutlich auf, dass in Gemeinden wie Genk die Abhängigkeit von harten Drogen hauptsächlich auf eine ältere Klientel eingefleischter Konsumenten beschränkt bleibt, während in etwas weiter entfernt gelegenen Gemeinden wie Tienen, Sint-Truiden und Diest Jugendliche in sehr großer Zahl wieder heroinsüchtig werden. Es machen Berichte die Runde, wonach es sich in diesen Gemeinden um viele hundert Jugendliche handeln soll, die zum Teil von türkischen und marokkanischen Dealern aus der Umgebung, zum Teil aber auch von verschiedenen Dealern aus Maastricht versorgt werden. 6.6.3. Auf deutscher Seite Es steht außer Frage, dass der deutsche Teil der Euregio Maas-Rhein ein wichtiges Gebiet für den Schmuggel und somit für den Vertrieb aller möglichen Arten von Drogen aus den Niederlanden darstellt. Viele Drogen, die auf diesem Wege eingeführt werden, sind nicht für den Genuss und den Kleinhandel in Aachen bestimmt, sondern für Konsumenten in ganz Deutschland. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, dass Aachen keine so große Population von schwerstabhängigen Drogenkonsumenten hat. Rund 350 bis 400 Drogenkonsumenten finden von Zeit zu Zeit den Weg zum Drogenkonsumraum. Der harte Kern von ihnen besteht schon seit Jahren aus etwa 50/60 bis 100/150 Personen. Um zu verhindern, dass dieses Problem größer wird, wurde ein Präventiver Rat mit 157 Siehe unter anderem das oben zitierte Gutachten der Police fédérale in Lüttich. Ferner sei auch verwiesen auf das Aktionsprogramm der Stadt Lüttich auf der Website im Hinblick auf die Bekämpfung der Drogensucht und der damit verbundenen Belästigungen (www.liege.be/projetdeville/action02.htm). Es handelt sich hier um Action prioritaire no. 2. 164 Vertretern von u.a. Polizei und Stadtverwaltung eingerichtet. Auch wird peinlich darauf geachtet, dass Drogenprobleme nicht eine Ver wahrlosung des Stadtzentrums zur Folge haben. 6.7. Résumé Im Résumé von Kapitel 3 wurde auf die besondere Rolle hingewiesen, die die Niederlande auf den Drogenmärkten Europas und der Welt innehaben. Die Niederlande sind nicht nur ein großer Produzent von Cannabis (Nederwiet) und synthetischen Drogen, sondern darüber hinaus auch ein großer Verteiler von Kokain, Heroin und Haschisch. Außerdem wurde in den Résumés der Kapitel 2 und 4 auf den eigenartigen Umstand hingewiesen, dass die Niederlande zwar in vielerlei Hinsicht dieselbe Drogenpolitik wie die umliegenden Länder anwenden, in einem Punkt aber eben anders denken, und zwar bei der Umsetzung ihrer Politik im Hinblick auf die Kleinkonsumenten von weichen Drogen. Hier dulden sie unter bestimmten Voraussetzungen die Einrichtung von Coffeeshops, in denen der Kleinkonsument relativ frei und sicher weiche Drogen von relativ guter Qualität kaufen kann. Ausgerechnet aber dieser Punkt, dieser eine Unterschied, hat große – man kann durchaus auch sagen – unverhältnismäßig große Folgen (gehabt). Dies führte nämlich dazu, dass so genannte Touristen aus den umliegenden Ländern in immer größerer Zahl die niederländischen Coffeeshops besucht haben, und hier natürlich vor allem diejenigen in den Grenzregionen. Zweitens hat dies wiederum gefördert, dass der zwar völlig illegale, aber dennoch lange Jahre mehr oder weniger geduldete Anbau von Nederwiet in immer größerem Stil organisiert wurde, um der wachsenden Nachfrage entsprechen zu können. Dabei ist dieser Anbau im Laufe dieser Entwicklungen zu einem erheblichen Teil in die Hände von kriminellen Gruppen gelangt. So wurde eines der erklärten Ziele der niederländischen Drogenpolitik in einem wichtigen Punkt völlig untergraben. Während die Coffeeshops ursprünglich dazu dienen sollten, den Kontakt zwischen einerseits harten Drogen und andererseits weichen Drogen (und damit den Kontakt zwischen schwerer Kriminalität und gewöhnlichen älteren Jugendlichen) zu verhindern, bilden einige dieser Shops heute gerade ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen beiden Welten: die „Vordertür“ ist in gewisser Weise zwar noch in Händen dieser Jugendlichen, aber die „Hintertür“ ist in erheblichem Maße bereits in Händen der schweren Kriminalität. Der andere bedeutende Bereich, in dem diese Zielsetzung nicht erreicht wurde, ist, dass sich auf diesen ständigen Strom ausländischer Drogentouristen in großem Stil Drugsrunner eingestellt haben, die diesen Touristen alle möglichen Drogen in den Häusern ihrer Dealer verkaufen wollen. So wurde auch über diese Häuser eine direkte Verbindung zwischen den Konsumenten weicher Drogen und den kriminellen Gruppen zu Stande gebracht, die im Vertrieb von weichen und harten 165 Drogen aktiv sind. Und da man davon ausgehen darf, dass auch nicht wenige niederländische Jugendliche diese Häuser besuchen, gilt die letzte Feststellung auch in ihrem Fall. Alleine deshalb schon muss man den Schluss ziehen, dass die Duldungspolitik – paradoxerweise – sich selbst ad absurdum geführt hat. Ein anderes wichtiges Argument betrifft dennoch die Art und Weise, in der die Zielsetzung der Trennung der Märkte (weiche Drogen gegenüber harten Drogen) ausgestaltet wurde; denn auch diese Strategie hat, ebenfalls paradoxerweise, die Duldungspolitik untergraben. Der freie (illegale) Markt hat jedenfalls dankbar Gebrauch gemacht von den Einschränkungen, die den Coffeeshops im Rahmen dieser Politik auferlegt wurden, z.B. kein Verkauf an Minderjährige, kein Verkauf von anderen Drogen als Cannabis und kein Verkauf außerhalb bestimmter Öffnungszeiten. Nicht wenige niederländische Gemeinden, auch einige wichtige Grenzgemeinden, haben sich sogar bewusst dafür entschieden, überhaupt keine Coffeeshops zuzulassen. Die vorhersehbare Folge war, dass die großen Lücken im Drogenangebot von nichtgeduldeten Verkäufern von Cannabis (und anderen Drogen) geschlossen wurden, die diese Drogen in ihrer Wohnung, hinter der Ladentheke ihres Geschäfts oder über ihre Handynummer verkauft haben. Die Studie von Korf u.a. hat außerdem gezeigt, dass in Gemeinden mit geduldeten Coffeeshops die nicht-geduldeten Verkaufsstellen ungefähr 30% des Verkaufs von Cannabis in Händen haben. Je höher die Coffeeshopdichte (Coffeeshop pro Einwohner), desto größer ist der Anteil dieser Shops beim lokalen Verkauf. Letzteres ist auch der Fall in Maastricht, einer Gemeinde, die wie größere Städte (z.B. Amsterdam und Rotterdam) über eine hohe Coffeeshopdichte verfügt. Umgekehrt gilt diese Regel allerdings nicht. Korf u.a. haben nämlich festgestellt, dass die Konsumenten in Gemeinden ohne Coffeeshops oder mit einer niedrigen Coffeeshopdichte am häufigsten irgendwo anders einkaufen. Für das ganze Land hat man errechnet, dass es einige Tausend nicht-geduldeter Anbieter von Cannabis gibt, wobei die vier großen Städte und die Gemeinden ohne Coffeeshops außer Betracht gelassen wurden. Insgesamt genommen bilden diese Anbieter eine Schattenwirtschaft, deren Aus wirkungen nicht zu unterschätzen sind. Die Straßendealer, die oft gerade an Minderjährige Drogen verkaufen, sind selbst auch oft minderjährig.158 Aber wie dem auch sei: Die Situation in Zuid-Limburg steht in besonderer Weise Modell für die Lage, in der sich die Niederlande insgesamt inzwischen befinden. Auf der einen Seite handelt es sich um ein erlesenes Gebiet für die Produktion von synthetischen Drogen und Nederwiet, auf der anderen Seite geht es um ein Gebiet, von dem aus in großem Stil nicht nur diese Drogen, sondern auch Haschisch, Kokain und Heroin vertrieben werden. Hinzu kommt, dass – wie in Polizeikreisen schon eher 158 Siehe den Beitrag von D. Korf u.a. über „Cannabis zonder coffeeshops“ in der mehrfach zitierten Studie von B. De Ruyver und T. Surmont über grenzüberschreitenden Drogentourismus. 166 festgestellt wurde – die Zwangslage, in die Zuid-Limburg geraten ist, nicht nur zurückzuführen ist auf die niederländische Drogenpolitik im Allgemeinen, auf den einen großen Unterschied zwischen dieser Politik und der Drogenpolitik der umliegenden Länder und natürlich auch nicht auf die Lage von Zuid-Limburg an einer Schnittstelle von Wegen, deren Entstehung bis in die Römerzeit zurückreicht, sondern dass diese Zwangslage auch eine Folge eines Mangels an politischem Handeln sowohl auf der Ebene dieser niederländischen Regio als auch auf der Ebene der Euregio MaasRhein insgesamt ist. Dies war jedenfalls eine der Schlussfolgerungen im 5. Kapitel. Um bestimmen zu können, in welchem Maße und auf welche Weise dieser Mangel wettgemacht werden kann und muss, ist eine allgemeine Beurteilung der Schwere der gegenwärtigen Drogenprobleme und insbesondere der Probleme drogenbedingter Kriminalität in dieser Euregio erforderlich. Ohne Übertreibung kann festgestellt werden, dass diese Probleme in verschiedener Hinsicht besonders schwerwiegend sind. Einige Gesprächspartner sprachen sogar von einer regelrechten Notlage. Erstens kann auf die vielschichtigen Probleme verwiesen werden, die vor allem auf der niederländischen und belgischen Seite der Grenze mit dem geduldeten Vertrieb von weichen Drogen sowie dem nicht-geduldeten, illegalen Vertrieb aller möglichen Drogen einhergehen; vom letztgenannten Umstand zeugen insbesondere ganz deutlich die zahlreichen Drugsrunner und die vielen Drogenhäuser. Damit gehen natürlich auch die Probleme der Drogensucht einher, wie diese vor allem in einer Stadt wie Lüttich offen zu Tage treten, die aber auch in anderen großen und kleinen Gemeinden nicht zu unterschätzen sind. Zweitens ist auf die erheblichen Probleme hinzuweisen, die durch die Drogenproduktion verursacht werden. Hierbei kann man natürlich nicht die Produktion von synthetischen Drogen außer Betracht lassen, aber sicher auch nicht die Produktion von Nederwiet. Die Art und Weise, in der ein erheblicher Teil des Hanfanbaus durch kriminelle Gruppen in den drei Landesteilen organisiert wird, ist an sich schon ein kriminelles Problem ersten Ranges, bildet vor allem aber auf der niederländischen Seite der Grenze darüber hinaus ein erhebliches Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung sozial schwächerer Gruppen und Wohnviertel, in denen diese Gruppen leben. Die Gefahr des Entstehens einer Unterschicht, die in eine illegale Drogenwirtschaft verstrickt wird, sollte nicht bagatellisiert werden. Drittens darf nicht übersehen werden, dass die kriminellen Gruppen, die viel Geld sowohl mit der Produktion von Drogen als auch mit dem Drogenverkauf verdienen, zweifellos versuchen werden, einen Teil der Gewinne in legale Wirtschaftsbereiche zu investieren, wodurch eine gewisse Kriminalisierung dieser Sektoren erfolgen wird. Im Zusammenhang damit sollte man weiterhin immer daran denken, dass Drogenproduktion und Drogenhandel in der Euregio Maas-Rhein nicht isoliert existieren, sondern immer mit anderen Formen der schweren Kriminalität einhergehen. Zu denken ist hierbei auf jeden Fall an Waffenhandel und vielleicht auch (aber das erfordert noch nähere Nachforschungen) an Menschenhandel. Besorgnis 167 erregend sind auch Berichte und Gerüchte über eine vereinzelt vorkommende systematische Erpressung im Hotel- und Gaststättengewerbe. Viertens ist zu betonen, dass die Problematik drogenbedingter Kriminalität nicht nur an sich ein erhebliches Problem ist, das die Euregio plagt, sondern auch ein ernstes Problem deshalb, weil es den betreffenden Behörden in den drei Landesteilen bislang nur unzureichend gelungen ist, innerhalb ihrer (immer begrenzten) Möglichkeiten die Bekämpfung dieses Problems so weit wie möglich gemeinsam zu organisieren. Gerade auch hierdurch ist die Lage jedenfalls in den vergangenen Jahren in gewissem Maße unkontrollierbarer geworden und haben Initiativen zur Linderung der Probleme, wie nicht zuletzt auch die Umsiedlung der Coffeeshops in Maastricht, in erster Linie unbeabsichtigt für mehr Zwietracht als Eintracht gesorgt. Und fünftens ist hier klar festzustellen, dass die manchmal erheblichen Meinungsverschiedenheiten über die Politik, die im Rahmen der Drogenproblematik geführt werden kann und muss, allmählich die Verwaltungsbeziehungen in der Euregio Maas-Rhein im Allgemeinen stark belasten und so auch den Weg zu einer gemeinsamen Politik auf anderen, für die Euregio sehr wichtigen Gebieten gegen wärtig behindern. Dies ist jedenfalls der Hauptgrund, weshalb der Vorstand dieser Euregio das Gutachten in Auftrag gegeben hat, das Ihnen nunmehr vorliegt. 168 7. Allgemeines Résumé: ein Handlungskonzept 7.1. Einleitung Oben wurde vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Europäischen Union und in den betreffenden Ländern einerseits ein detailliertes Bild von der Politik gezeichnet, die in der Euregio Maas-Rhein zur besseren Bekämpfung der Drogenproblematik betrieben wird, und andererseits auch ein detailliertes Bild drogenbedingter Kriminalität. Wer diese beiden Bilder einander gegenüberstellt, muss fast zwangs läufig zu dem Schluss gelangen, dass sie nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Es wurde zwar in den vergangenen Jahren auf der Ebene der Gemeinden und hier insbesondere auf der Ebene von Städten wie Heerlen, Maastricht und Lüttich, auf der Ebene der drei Landesteile und auch auf der Ebene der Euregio als solche alles mögliche unternommen, um die Drogenprobleme auf den einzelnen Ebenen zu meistern, aber trotzdem ist festzustellen, dass diese Anstrengungen bislang nicht ausgereicht haben, dieses Ziel zu erreichen. Dies wurde in den voran gegangenen Kapiteln hinreichend aufgezeigt. Es gibt noch immer eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Ernst der Drogenproblematik, nicht zuletzt auch auf dem Gebiet der drogenbedingten Kriminalität, und der Effizienz der betriebenen Drogenpolitik. Die Aufgabe liegt nunmehr darin, über ein Handlungskonzept ein Instru mentarium zu schaffen, mit dem diese Diskrepanz, diese Unverhältnismäßigkeit, so weit wie möglich reduziert werden kann. Für den Erfolg eines solchen Hand lungskonzepts müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. Zunächst muss es auf dem Gedanken basieren, dass nur eine organisatorisch und inhaltlich integrierte Politik, die die Drogenproblematik insgesamt erfasst, realistische Erfolgsaussichten hat. Zweitens muss sich ein solches Konzept auf die Euregio als Ganzes beziehen. Einzelinitiativen werden nicht hinreichend die beabsichtigten Wirkungen entfalten und werden dort, wo dies wohl der Fall ist, leicht zu einem Konfliktpunkt zwischen den betreffenden Parteien in den drei Landesteilen werden. Dieses Handlungskonzept kann als eine aktualisierte und demnach moderne Fassung des Schengen-Kompromisses angesehen werden, wie er in Kapitel 2 analysiert wurde. Auf der einen Seite beruht auch dieses Konzept auf dem Gedanken, dass die Parteien eine kollektive Verantwortung für die Kontrolle drogenbedingter Kriminalität tragen und dass sie in diesem Zusammenhang zur Erreichung ihrer Ziele einerseits gemeinsam handeln müssen, aber andererseits auch gemeinsam bestimmte Dinge unterlassen müssen. Die erste Forderung ergibt sich aus der Verpflichtung zum Tätigwerden, die die Schengen-Parteien übernommen haben. Die zweite Forderung liegt in der Vereinbarung, dass die negativen Auswirkungen, die die eigene Politik für 169 die Politik der anderen haben kann, so weit wie möglich bekämpft werden müssen. Diese Aussagen implizieren auch, dass sich das vorliegende Handlungskonzept nicht nur auf die Euregio Maas-Rhein und die einzelnen Landesteile beziehen kann, sondern notwendigerweise auch auf die betreffenden Länder als solche Bezug nimmt, auf die Niederlande, auf Belgien und Deutschland und in einiger Entfernung vor allem auch auf Frankreich sowie auf die Europäische Union, der diese Länder angehören. Dies ergibt sich von selbst aus dem Umstand, dass die in der Euregio mögliche Politik in hohem Maße bestimmt wird von der Politik, die die Mitgliedstaaten sowohl für sich als auch im europäischen Zusammenhang entwickelt haben. Ebenso selbstverständlich ist aber auch, dass ein Teil der Drogenprobleme, die diese Euregio plagen, in unterschiedlicher Weise mit den entsprechenden Problemen auf (inter)nationaler Ebene verbunden sind. Diesen einleitenden Anmerkungen entsprechend werden im Folgenden zunächst die Empfehlungen für eine Intensivierung der euregionalen Zusammen arbeit formuliert. Anschließend wird aufgezeigt, auf welche Weise die Politik für die drei Landesteile angepasst werden könnte und sollte. Danach wird für die Stärkung der Rolle der nationalen/zentralen Behörden in der euregionalen Drogenpolitik plädiert. Und zum Schluss wird angegeben, wie eine derartige Aktualisierung des Schengen-Kompromisses in eine Zukunftsperspektive passt, die zurzeit von Brüsseler Arbeitsgruppen für die Europäische Union ausgearbeitet wird. Dass sich nicht sämtliche dieser Empfehlungen in vollem Umfang und einzig und allein auf die Bekämpfung drogenbedingter Kriminalität beziehen können, spricht wohl für sich. Einige Maßnahmen haben nun einmal von sich aus eine breitere Funktion und sollen auch für andere wichtige euregionale Verbrechensprobleme einsetzbar sein, wie Frauenhandel, Umsatzsteuerbetrug und verschiedene Eigentumsdelikte unter Anwendung von Gewalt. 7.2. Intensivierung der euregionalen Zusammenarbeit Unsere Analyse der Drogenproblematik stellt überzeugend dar, dass die diesbezüglichen gemeinschaftlichen Probleme der drei Landesteile nur in Grenzen gehalten werden können, wenn sich alle drei gemeinsam dafür einsetzen. Dieser Einsatz müsste mit Kraft und mit Elan auf die Verwirklichung eines 5-Punkte-Programms gerichtet werden. 7.2.1. Die Bildung eines euregionalen Sicherheitsdreiecks Der erste Punkt betrifft die Bildung eines euregionalen Sicherheitsdreiecks. Dies bezüglich wurde bereits mehrfach festgestellt, dass die heutigen Probleme zum Teil auf das Fehlen eines Forums zurückzuführen sind, auf dem diese Probleme von allen betreffenden Verwaltungs-, Justiz- und Polizeibehörden rechtzeitig und effektiv 170 erörtert werden können, also ein euregionales Beratungsgremium. Angesichts der hier behandelten Probleme könnte dieses Beratungsgremium sehr treffend als euregionales Sicherheitsdreieck bezeichnet werden. Für die Zusammensetzung dieses Dreiecks kann auf die Beratungsstrukturen zurückgegriffen werden, wie sie in der Euregio bereits bestehen: das BES (Büro für euregionale Zusammenarbeit), die MAHHL-Gemeinden (Maastricht, Aachen, Hasselt, Heerlen, Lüttich) und die NeBeDeAgPol (Niederländisch-Belgisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft der Polizei). Da gerade auch die kleinen Gemeinden besonders stark mit der Drogenproblematik konfrontiert werden, liegt es auf der Hand, dass sie in der einen oder anderen Weise in die Beratungen im MAHHL-Zusammenhang einbezogen werden. Der Grundgedanke ist, dass durch jedes dieser Gremien eine näher zu bestimmende Zahl von Vertretern bezeichnet wird, die einen Sitz im euregionalen Sicherheitsdreieck erhalten. Der Vorsitz dieses Dreiecks kann in verschiedenen Varianten ein wechselnder Vorsitz sein (nach Land oder nach Amtsstellung). Dieses Sicherheitsdreieck erfüllt natürlich keine operationellen oder exekutiven Aufgaben. Sein Auftrag ist „nur“, Leitlinien der Politik im Hinblick auf die großen Probleme, die sich stellen, zu entwickeln. Zurzeit ist dies die Drogenpolitik. Ein anderes Mal kann es sich um Probleme im Bereich von Menschenhandel oder Einbrüchen unter Gewaltanwendung handeln. Es ist selbstverständlich, dass die Politik auf diesen Gebieten von Arbeitsgruppen vorbereitet werden kann, die sich aus Vertretern der betreffenden Einrichtungen und Behörden zusammensetzen. Diese Arbeitsgruppen müssten nach einiger Zeit auch überprüfen können, ob die aus gearbeiteten Konzepte einer Anpassung bedürfen oder nicht. Wichtig ist auch, dass dieses Dreieck seine Erkenntnisse über Probleme der Euregio einbringt, um Politiker auf nationaler Ebene nicht nur auf diese Probleme hinzuweisen, sondern ihnen auch Vorschläge für die Beseitigung von Defiziten in der bestehenden allgemeinen Politik zu unterbreiten. Und bei diesen Defiziten kann es sich sowohl um gesetzliche Regelungen handeln, die nicht mehr zeitgemäß sind, als auch um die unzureichende Besetzung von Polizeikorps oder die zu geringen Investitionen in die Tagesbetreuung von Rauschgiftabhängigen. Diese beratende Rolle bringt uns schließlich zu dem vielleicht wichtigsten Punkt, nämlich dass die Bildung eines derartigen euregionalen Sicherheitsdreiecks auf einem formellen Mandat beruhen muss und die tatsächliche Unterstützung der Minister der Justiz und des Inneren in den drei Ländern erhalten muss. Ohne dieses Mandat und ohne diese Unterstützung würde so ein Dreieck den Auftrag nicht erfüllen können. Die Unterstützung ist übrigens auch erforderlich, um für die Euregio einen ausreichenden Beistand durch nationale oder föderale Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften zu gewährleisten. 171 7.2.2. Der schrittweise Aufbau des Netzwerks JustPol-EMR Soll die Politik, die von dem euregionalen Sicherheitsdreieck in Grundzügen ausgearbeitet wird, in der Praxis erfolgreich sein, ist es außerordentlich wichtig, dass die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit straffer organisiert wird, als dies bislang der Fall ist. Weil der Vorschlag zur Gründung von Eurocrime alleine schon wegen der Namensgebung sehr umstritten ist, wird hier vorgeschlagen, im Geist von Eurocrime Schritt für Schritt ein Netzwerk JustPol-EMR zu bilden, das im Bereich der strafrechtlichen Rechtswahrung der euregionalen Kriminalpolitik, wie sie allgemein vom Sicherheitsdreieck formuliert wird, Form und Inhalt verleihen kann. Dies hat verschiedene Konsequenzen. Zunächst ist an eine weitere Stärkung des BES zu denken, das in den vergangenen Jahren als Dreh- und Angelpunkt in der Zusammenarbeit zwischen den Staatsanwaltschaften in den einzelnen Landesteilen fungierte. Die niederländische und die deutsche Seite haben inzwischen für eine adäquate personelle Besetzung gesorgt. Von belgischer Seite müsste ein erfahrener Staatsanwalt zu diesem Beratungsgremium abgeordnet werden. Dann bildet das BES einen stabilen Dreifuß und kann mit seiner Autorität in den drei Landesteilen die angemessene Abwicklung wichtiger Rechtshilfeersuchen, die Koordination von einschneidenden personen bezogenen strafrechtlichen Ermittlungen und die Ansteuerung von grenzüber schreitenden Ermittlungen in Bezug auf Geldwäsche sowie Finanzinvestitionen gewährleisten. Zweitens geht es um den Aufbau einer euregionalen Kriminalpolizei (Euregionale recherche / ER). Angesichts der heftigen Diskussionen zur Gründung einer solchen Kriminalpolizei gilt auch hier als Devise die stufenweise Umsetzung der Idee. Die Arbeitsgruppe Kriminalpolizeichefs (Werkgroep Recherchechefs / WR), die kürzlich im NeBeAgPol-Rahmen eingerichtet wurde, bildet einen hervorragenden neuen Ausgangspunkt für die dringend erforderliche Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit auf strafrechtlichem Gebiet. Wenn es dieser Arbeitsgruppe unter anderem auf Grund integrierter Analysen der Verbrechensprobleme in der Euregio und in enger Rücksprache mit dem BES gelingen sollte, konkrete Prioritäten in der grenzüberschreitenden Fahndung festzustellen (einschließlich der Zuweisung von Personen und Material), ist es tatsächlich nicht erforderlich, direkt den Sprung zu einer euregionalen Kriminalpolizei zu wagen. Dann ist es besser, dass zunächst mit allen möglichen Modalitäten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit experimentiert wird: Parallel- oder Spiegelermittlungen, allgemeine Rechtshilfeersuchen und gemein schaftliche Fahndungsteams, abhängig von dem zu bewältigenden Problem und dem Stand der strafrechtlichen Ermittlungen. Schlau geworden durch Erfahrung kann dann in einem späteren Stadium geprüft werden, ob es erwünscht oder erforderlich ist, mehr Einheit und mehr Effizienz zwischen den Kriminalpolizeien in der Euregio durch die Gründung einer euregionalen Kriminalpolizei zu schaffen. Diese müsste 172 auch dann übrigens nicht unbedingt aus einer selbstständigen Kriminalpolizeibehörde bestehen, sondern könnte sehr gut als Netzwerk spezialisierter Abteilungen und qualifizierter Mitarbeiter ausgestaltet werden, das um einen festen Kern von Führungskräften und Spezialisten herum gebildet wird. Übrigens täte die Arbeits gruppe gut daran, von Anfang an Vertreter der nationalen und föderalen Kriminalpolizeibehörden bzw. der Kriminalpolizei auf Bundeslandebene an ihrer Tätigkeit zu beteiligen. An dritter Stelle ist auch der weitere Ausbau des Euregionalen PolizeiInformations-Cooperations-Centrums (EPICC) von großem Interesse, nicht nur, um den täglichen Austausch von Informationen in der Euregio weiter zu fördern und zu erleichtern, sondern auch um die Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Polizeibehörden und damit den Zusammenhang in ihrem operationellen Auftreten zu erhöhen. Der Ausbau dieses Zentrums sollte einerseits in Form der Organisation einer permanenten Dienstleistung und demnach im Rahmen einer gewissen Erhöhung des Personalbestands erfolgen. Andererseits sollten dabei die Möglichkeiten verbessert werden, Analysen der immer zahlreicheren Berichte anzufertigen, die über das EPICC laufen. In engem Zusammenhang damit ist es notwendig, dem internationalen Rechtshilfezentrum (IRC), einer Art Zwillingsbruder des EPICC, einen selbstständigen Status innerhalb des nationalen niederländischen Netzwerks von Rechtshilfezentren zu verleihen. Nur mit diesem Status kann dieses Zentrum in adäquater Weise seiner Aufgabe in der – wie man es auch dreht und wendet – komplexen operationellen Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden und den Staatsanwaltschaften in der Euregio gerecht werden. Deshalb spricht es eigentlich für sich, dass das BES und die Arbeitsgruppe Kriminalpolizeichefs (WR) eng in die Arbeit des IRC eingebunden werden müssen. Viertens ist es naheliegend, auch die Joint Hit Teams (JHT) angesichts ihrer Aufgabenstellung im Netzwerk JustPol-EMR unterzubringen. Damit diese Teams optimal auf dem Gebiet der gesamten Euregio und möglicherweise noch darüber hinaus bis nach Südbelgien, Luxemburg und Frankreich tätig sein können (und das ist in gewisser Weise der Wunsch vieler Beteiligter), ist es allerdings unvermeidlich, dass Belgien, Luxemburg und auch Frankreich (stärker) in die JHTs investieren. Schließlich ist es auch ihre Aufgabe und liegt es auch in ihrem Interesse, die durch den Drogentourismus verursachten Probleme einzudämmen. In erster Linie betrifft es hier die Einstellung von mehr Polizisten. In zweiter Linie geht es auch um die Unter stützung durch Spezialkräfte bei gefahrvollen Aktionen oder Großeinsätzen. Fünftens müssten im JustPol-Rahmen große Anstrengungen im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung von Staatsanwälten, Polizisten, Untersuchungsrichtern usw. unternommen werden. So könnten diese Personen auch auf diesem Weg in die Lage versetzt werden, die Geschlossenheit zu entwickeln, die dringend erforderlich ist, um in adäquater und effektiver Weise in einer Vielzahl grenzüberschreitender Strafsachen miteinander zu kooperieren. 173 Da JustPol keine selbstständige Organisation, sondern eine euregionale Arbeitsgemeinschaft von Polizei und Justiz sein soll, liegt es nahe, dass die Ansteuerung dieses Netzwerks den Leitern der Staatsanwaltschaften und den Polizeichefs in der Euregio übertragen wird, die sich hierbei der Möglichkeiten des BES und der Arbeitsgruppe Kriminalpolizeichefs bedienen. 7.2.3. Die Ausarbeitung administrativer Maßnahmen In den vorangegangenen Kapiteln wurde hinreichend dargelegt, dass die Bewältigung von Verbrechensproblemen nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht, sondern auch auf administrativem Weg erfolgen sollte. Darum ist es von großer Bedeutung, dass im MAHHL-Zusammenhang eine Kommission gebildet wird, die sich mit den verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten einer Eindämmung der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio befasst. Selbstverständlich müssten auch die kleinen Gemeinden in der einen oder anderen Weise an der Arbeit dieser Kommission teilnehmen können (MAHHL-plus). Eine solche Kommission müsste ferner als Gegenstück und Gesprächspartner von JustPol fungieren und sich dabei vor allem auf zwei Aspekte richten. Erstens müsste von dieser Kommission geprüft werden, inwieweit – angesichts der Politik in Bezug auf die Kriminalität, die das euregionale Sicherheitsdreieck formuliert hat – die lokalen Verwaltungen auf Grund der kommunalen rechtlichen Vorschriften oder aber des nationalen bzw. föderalen Rechts oder der rechtlichen Regelungen auf Bundeslandebene über dieselben Möglichkeiten und Zuständigkeiten verfügen, um administrativ eingreifen zu können. Hierbei kann auch an die Möglichkeiten gedacht werden, Genehmigungsanträge zu screenen, Gebäude zu schließen oder bestimmten Personen Aufenthaltsverbote aufzuerlegen. Eine Arbeitsgruppe könnte im Wege einer vergleichenden Studie die aktuelle Situation aufzeigen und Empfehlungen – auch in Richtung der höheren Gesetzgeber – für mehr Einheitlichkeit in diesem Punkt zwischen den drei Landesteilen aussprechen. Zweitens müsste sich diese Kommission mit der Anwendung der Möglich keiten und Zuständigkeiten befassen, über die lokale Verwaltungen verfügen. Das heißt, dass sie sich für einen gewissen Dialog und die Koordination zwischen den lokalen Verwaltungen einsetzen sollten, wenn von dieser oder jenen Gemeinde tatsächlich von Befugnissen Gebrauch gemacht wird und dies weniger positive oder sogar regelrecht negative Auswirkungen für andere Gemeinden hat. Hierbei ist zum Beispiel zu denken an ein energisches Vorgehen gegen Hanfplantagen oder an die Verhängung von Aufenthaltsverboten. 7.2.4. Die Zusammenarbeit bei Prävention und Fürsorge Es hat sich gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen den drei Landesteilen auf dem 174 Gebiet der Prävention und Fürsorge verbessert werden kann und verbessert werden muss. Was die Prävention individueller Drogenprobleme betrifft, spricht nichts dagegen, die Aufklärung über Drogen und Drogenkonsum vor allem gegenüber Jugendlichen auch auf euregionalem Niveau zu organisieren. Dies ist durchaus logisch, wenn man bedenkt, wie stark sich der euregionale illegale Vertrieb von Drogen entwickelt. Diese Empfehlung drängt sich auch angesichts des Umstands auf, dass Jugendliche bequem die Landesgrenzen in der Euregio überschreiten, um einzu kaufen, abends auszugehen usw. Schulen, Sportvereine, spezialisierte soziale Ein richtungen müssten in diesem Punkt gemeinsam aktiv werden. Außerdem sollte über die Möglichkeiten nachgedacht werden, auch die Suchthilfe in gewissem Umfang auf ein euregionales Fundament zu stellen. In den vorangegangenen Kapiteln wurde beschrieben, wie große bzw. größere und kleinere Gemeinden in der Euregio mit manchmal sehr ernsten Suchtproblemen konfrontiert wurden und werden. Bislang versucht jeder Landesteil und jede Gemeinde, diese Probleme (weiterhin) aus eigener Kraft zu meistern. Die Frage ist allerdings, ob es nicht wünschenswert ist, die örtlich vorhandenen Möglichkeiten – natürlich unter bestimmten Voraussetzungen – auch in euregionalem Zusammenhang zur Verfügung zu stellen. Zu denken ist hierbei natürlich an die Beratung Abhängiger, aber auch an die Öffnung von Fürsorgeeinrichtungen mit Hilfe eines Systems von euregionalen Betreuungspässen. Übrigens bleibt der systematische Erfahrungsaustausch zwischen speziali sierten Betreuungsdiensten und Experten in der Euregio von großer Bedeutung. Der Umfang, in dem dies heute passiert, müsste allerdings erweitert werden. 7.2.5. Ein Appell an die Verantwortung von Berufsgruppen, Wirtschaftsunternehmen und Bürgern Organisierte Kriminalität ist immer in vielerlei Hinsicht in das so genannte normale gesellschaftliche Zusammenleben eingebunden. Deshalb kann die Bekämpfung dieser Kriminalität niemals nur die Aufgabe von Behörden und halb-öffentlichen Stellen sein. Bestimmte Berufsgruppen, Wirtschaftsunternehmen und auch einzelne Bürger tragen hier ebenso eine gewisse Verantwortung. Die Art der drogenbedingten Kriminalität in der Euregio bringt es nicht zuletzt mit sich, dass kriminelle Gruppen über Standorte (Firmengebäude, Wohnungen) verfügen können, um Drogen zu produzieren, zu verstecken oder zu verteilen. Dies bedeutet, dass von allen Personen, die an dem Ankauf, der Vermietung oder dem Verkauf solcher Räumlichkeiten beteiligt sind, erhöhte Wachsamkeit verlangt werden darf. Hierbei geht es unter anderem um Schätzgutachter, Makler, Wohnungsbaugenossenschaften und private Eigentümer, Banken und Notare. Diese Personen können nicht einerseits erhebliche Drogenprobleme in der Euregio 175 anprangern und andererseits so tun, als ob sie selbst mit der ganzen Entwicklung und der Bewältigung der Probleme nichts zu tun haben. Vielleicht müssten in diesem Punkt sogar mehr euregionale Beratungen seitens der einzelnen Berufsgruppen und Interessenorganisationen stattfinden. Diese könnten dann einerseits Erfahrungen über die Art und Weise austauschen, in der in der Euregio Gebäude zu kriminellen Zwecken gekauft, gemietet und genutzt werden. Andererseits können sie so voneinander lernen, was dagegen zu unternehmen ist. 7.3. Anpassung der Politik in den drei Landesteilen Wie in den vorangegangenen Abschnitten wird auch hier von den institutionellen Verhältnissen ausgegangen, die in den verschiedenen Landesteilen bestehen. Jede andere Vorgehensweise wäre wenig realistisch. Wichtiger zur Zeit ist auf jeden Fall zu erkennen, welche Möglichkeiten in den jeweiligen Landesteilen bestehen, um die Bewältigung der Drogenprobleme in der Weise zu verbessern und zu intensivieren, dass dies auch der gemeinsamen Bekämpfung dieser Probleme in der Euregio als Ganzes dient. 7.3.1. Empfehlungen für den niederländischen Landesteil 7.3.1.1. Einige Empfehlungen für die gesamte Regio In Bezug auf Zuid-Limburg liegt es erstens auf der Hand, eine energische Ausarbeitung und Ausführung der Politik zu befürworten, die vom Polizeidreieck im Frühjahr für diese Regio in verschiedenen Aktionsplänen beschrieben wurde, insbesondere in Form des Aktionsplans für Maastricht und des Projekts BorderlineS. Sowohl in strafrechtlicher als auch in administrativer Hinsicht umfassen diese weitgehend den Maßnahmen komplex, der erforderlich ist, um die drogenbedingte Kriminalität in der (Eu‑)Regio besser überwachen zu können. Sie können daher auch sehr gut als Bausteine für die allgemeine Politik dienen, die von einem euregionalen Sicherheitsdreieck zu formulieren ist. Als Ergänzung zu diesen Plänen wird allerdings empfohlen, dass die anderen großen Gemeinden in der Regio – Maastricht, Sittard-Geleen und Kerkrade – entsprechend dem Beispiel von Heerlen ebenfalls Projekte wie die Operation Hartslag entwickeln, um in einer einträchtigen, transparenten und effektiven Weise die Drogenprobleme auf ihrem Gebiet besser beherrschen zu können. Die Probleme sind auch dort groß genug dafür. Dies bedeutet nicht, dass neue Maßnahmen ergriffen werden müssen. Vielmehr sollten die bereits ergriffenen Maßnahmen mehr auf einander abgestimmt werden und, falls erforderlich, durch zusätzliche Maßnahmen verstärkt werden. Es gibt aber noch eine zweite zentrale Frage, die in diesen Plänen nicht 176 hinreichend zur Geltung kommt: die Organisation der Polizei Limburg-Zuid. Ihre Ausgestaltung erfordert eine weitere Anpassung an die Probleme der Kriminalität, insbesondere der drogenbedingten Kriminalität, wie diese sich in der (Eu‑)Regio darstellen. Es ist auf jeden Fall zu prüfen, innerhalb der Kriminalpolizeibehörde (centrale recherche) eine Betäubungsmittelabteilung zu installieren, die zumindest Bescheid weiß über alle Aktivitäten, die im Korps auf dem Gebiet der (Bekämpfung der) Drogenkriminalität und –belästigungen entwickelt werden, die mitverantwortlich ist für alle strafrechtlichen Ermittlungen auf diesem Gebiet und die nicht zuletzt deshalb als eine adäquate Ansprechstelle für die ausländischen Polizeibehörden und (über das BES) die ausländischen Staatsanwaltschaften dienen kann. Eine derartige Reorganisation führt dazu, dass außerdem geprüft werden müsste, ob die Stärke der Kriminalpolizei und die des Polizeikorps im Allgemeinen dem entspricht, was polizeilich in einem Gebiet wie der Euregio für eine systematische und gegebenenfalls grenzüberschreitende Bewältigung der Probleme im Zusammen hang mit der organisierten (Drogen‑)Kriminalität erforderlich ist, ohne dass die allgemeinen Polizeidienste in den Stadtvierteln und den Dörfern zu sehr darunter leiden. Daneben ist zu untersuchen, inwieweit das Landespolizeikorps (Korps Landelijke Politiediensten) über die nationale Kriminalpolizei und die überörtliche Kriminalpolizei und damit auch die nationale Staatsanwaltschaft strukturell an der Fahndung nach den kriminellen Gruppen beteiligt werden können, die von der Randstad aus den Drogenhandel in der Euregio ansteuern. Ihre Ermittlung ist inzwischen jedenfalls eine Aufgabe von nationaler Bedeutung und übersteigt sowieso die Leistungsfähigkeit und die Reichweite einer (spezialisierten) regionalen Kriminalpolizei. Der dritte wichtige Aspekt in diesem Teilbereich des Handlungskonzepts betrifft die „Hintertür“ der Coffeeshops. Es gibt gute Gründe, um unter Verweisung auf Artikel 126gg der niederländischen Strafprozessordnung (Wetboek van Strafvordering) kurzfristig über die zentrale Kriminalpolizei, die von der nationalen Kriminalpolizei und der überörtlichen Kriminalpolizei unterstützt wird, eine Aufklärungsfahndung einzuleiten nach Personen, die an der Einschleusung der weichen Drogen in die Coffeeshops in Zuid-Limburg beteiligt sind. Eine derartige Ermittlung ist ein wesentliches Element jedes Handlungskonzepts, das die Drogenproblematik in dieser Regio und in der Euregio als solche tatsächlich eindämmen soll. Wie in der betreffenden Aanwijzing der Generalstaatsanwaltschaft (college van procureurs-generaal) ausgeführt wird, bietet die Aufklärungsfahndung die Möglichkeit, die „Beeinflussung von bestimmten Bereichen im gesellschaftlichen Zusammenleben durch die organisierte Kriminalität“ zu untersuchen.159 Angesichts der Berichte über die Beteiligung einer Vielzahl krimineller Gruppen in ZuidLimburg an der Produktion, dem Handel und dem Vertrieb von bzw. mit Drogen 159 177 Der Text dieser „Aanwijzing“ ist zu finden in: http://archief.om.nl/bob/docs/12.htm bestehen wohl gute Gründe, diese näheren Ermittlungen aufzunehmen. 7.3.1.2. Die Umsiedlung von Coffeeshops in Maastricht Das heiße Eisen in diesem Zusammenhang ist natürlich die Umsiedlung einiger Coffeeshops seitens der Gemeinde Maastricht an den Rand der Stadt. Unsere Empfehlungen zu diesem Punkt lauten wie folgt. Erstens wäre es gut, wenn nur mit der Einrichtung von einem, höchstens zwei Coffeecornern begonnen würde; zu einem späteren Zeitpunkt kann dann geprüft werden, ob der ursprüngliche Plan in vollem Umfang durchgeführt werden kann. Die Auswahl der Standorte und die Voraussetzungen für eine Betriebsgenehmigung dieser Einrichtungen sollten in enger Rücksprache mit den belgischen und niederländischen Nachbargemeinden und nur mit deren Einverständnis festgelegt werden. Die strikte Anwendung des BIBOB-Gesetzes und der Damokles-Politik sollte Bestandteil dieser Voraussetzungen sein; diese Instrumente in diesem Fall nicht zu nutzen, würde auf eine grobe Missachtung der Duldungspolitik und damit auf einen weiteren Zerfall der Duldungspolitik hinauslaufen. Angesichts des Zeitrahmens, der im Résumé dieses Kapitels für die erste Phase in der Ausführung des Handlungskonzepts empfohlen wird, wäre es wünschenswert, dass der Gemeinderat von Maastricht vor dem 1. Juni 2009 eine Entscheidung über die Umsiedlung der Coffeeshops fassen könnte. Zweitens ist es ratsam, vor Einführung und Ausführung dieser einschnei denden Maßnahmen einen euregionalen Begleitausschuss einzurichten, der nicht nur für die Auswertung dieses umstrittenen „Experiments“ nach Verstreichen einiger Jahre verantwortlich ist, sondern der auch befugt ist, zwischenzeitlich die Entwicklung der Coffeecorner-Standorte und deren Einfluss auf die Entwicklung der Drogen problematik in der gesamten Euregio aus der Nähe zu verfolgen. Sie sollte dies bezüglich jederzeit gefragt und ungefragt gegenüber den zuständigen Stellen in den drei Ländern Empfehlungen abgeben können. Drittens ist zu betonen, dass diese Maßnahme nur in einem wichtigen Punkt unmittelbar die Drogenproblematik in Maastricht lindern kann und dass die Antwort auf die Frage, ob sich die diesbezüglich erwarteten positiven Auswirkungen auch tatsächlich ergeben werden, stark von den anderen Maßnahmen abhängt, die in dieser Gemeinde, in Zuid-Limburg und in (den beiden anderen Landesteilen in) der Euregio getroffen werden. Auch aus diesem Grund sollte sich der Stadtrat von Maastricht sehr für die Ausarbeitung und Ausführung der Politik einsetzen, die auf diesen anderen Ebenen befürwortet wird. Viertens sollte die Gemeinde Maastricht im Rahmen ihres strategischen politischen Ziels einer weiteren Reduzierung der Zahl der Coffeeshops näher untersuchen, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, Coffeeshops durch Abfindungszahlung auszulösen oder aber ihre Zahl durch Neufestsetzung der Bauleitplanung (z.B. Bestemmingsplannen) zu verringern. Eine weitere Reduzierung des 178 geduldeten Angebots kann sicherlich auch einen wichtigen Beitrag zu einer Herabsetzung der hohen Belästigungen leisten, die der Drogentourismus und die damit verbundenen Probleme heute verursachen. 7.3.2. Empfehlungen für den belgischen Landesteil In den vorigen Kapiteln ist deutlich geworden, dass nicht nur das niederländische Zuid-Limburg mit erheblichen Drogenproblemen kämpft, vor allem in Form der drogenbedingten Kriminalität, sondern auch der belgische Teil der Euregio. Die Probleme hier hängen in gewisser Weise sicherlich mit der Drogenproblematik und der Drogenpolitik in den Niederlanden zusammen, sind aber zum Teil auch autonomer Art. Nicht alle der in Lüttich konsumierten Drogen werden zum Beispiel aus Maastricht angeliefert. Ungeachtet des Ursprungs und der Dynamik der Drogenprobleme im belgischen Landesteil ist es auch hier von größter Bedeutung, dass wie in Zuid-Limburg ein regionaler Plan zur Bewältigung dieser Probleme erarbeitet wird. Angesichts der Unterschiede zwischen den Problemen in der Provinz Lüttich und in der Provinz Limburg (zum Beispiel das enorme Problem der Abhängigen in Lüttich, das seinesgleichen in keiner einzigen Gemeinde der Provinz Limburg hat) ist es vielleicht angezeigt, dass dieser Unterschied in diesem Plan berücksichtigt wird. Er sollte aber nicht zu stark hervorgehoben werden, denn Drugsrunner, die von den Niederlanden aus und speziell aus (der Umgebung von) Maastricht nach Belgien fahren, kümmern sich nicht um die Sprachgrenzen. Für die französischen und vielen belgischen Drogentouristen gilt dasselbe: Die Sprachgrenzen sind auch für sie irrelevant. Ansonsten ist es natürlich notwendig, dass die Verfasser dieses Plans Rücksprache halten mit den Bearbeitern der Pläne im niederländischen Landesteil und dass sie den Plan auf diese Weise in die Politik einfügen, die das euregionale Sicherheitsdreieck befürwortet. Dazu wurde bereits an einigen Stellen angegeben, welche Punkte in diesen Aktionsplan aufzunehmen sind. Abgesehen von einer tatsächlichen Beteiligung an euregionalen Initiativen, die schon auf den Weg gebracht wurden (eine größere Beteiligung am BES und an den JHTs), müsste in diesem Plan auch Raum geschaffen werden für Maßnahmen, die besonders die eigene Regio oder die eigene(n) Provinz(en) betreffen. Oben wurde bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine gemein schaftliche Kriminalpolizei aus den Kriminalpolizeibehörden bei den zonalen Korps und den justiziellen Abteilungen der föderalen Polizei zu bilden. Diese Kriminalpolizei ist erforderlich, um selbstständig oder zusammen mit den Kriminalpolizeibehörden aus anderen Teilen der Euregio eingehende strafrechtliche Ermittlungen über kriminelle Banden durchführen zu können, die auf belgischem Staatsgebiet an Produktion, Handel bzw. Vertrieb von/mit Drogen beteiligt sind. Daneben müsste 179 diese Kriminalpolizei vielleicht um zehn spezialisierte Polizeibeamte aus der justiziellen Säule der föderalen Polizei für Ermittlungen gegen kriminelle Banden verstärkt werden, deren illegale Aktivitäten weit über die Grenzen der Euregio hinausreichen und an vielen Stellen in Belgien, den Niederlanden, Frankreich oder Deutschland Auswirkungen zeigen. Dies bedeutet fast zwangsläufig, dass zumindest in solchen Fällen auch die föderale Staatsanwaltschaft tätig werden muss, um zusammen mit den örtlichen Staatsanwaltschaften den guten Verlauf der straf rechtlichen Ermittlungen zu gewährleisten, und zwar gerade auch derjenigen Ermittlungen, die einen grenzüberschreitenden Charakter haben. Die Art und Weise, in der die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die marodierenden Tätergruppen organisiert sind, kann hierbei als Beispiel dienen. Ergänzend dazu wird es erforderlich sein, vor allem die Stärke der kleineren zonalen Polizeikorps unter die Lupe zu nehmen und zu prüfen, in welchem Maße diese erhöht werden sollte, um die Probleme bewältigen zu können, die nicht nur durch die Erzeuger von Cannabis und synthetischen Drogen, sondern auch von den Drugs runnern und den Drogenhäusern verursacht werden. Vorläufige Schätzungen ergeben, dass es sich hierbei um eine Verstärkung um insgesamt rund 20 Polizisten handeln könnte. Deren Verteilung über die betreffenden zonalen Polizeikorps ist eine Frage näherer Beratungen. Außerdem müssten im Zusammenhang mit diesem regionalen Plan – wie bereits in Zuid-Limburg – Aktionspläne für jene Gemeinden bzw. Gerichtsbezirke geschaffen werden, die mit voller Wucht mit allen möglichen Drogenproblemen konfrontiert werden. An erster Stelle ist hierbei natürlich an die Gemeinde beziehungsweise den Bezirk Lüttich zu denken, aber mit Blick in die Zukunft ist auch zu denken an die Gemeinden Tongeren, Genk, Eupen und Hasselt beziehungsweise an die diesbezüglichen Gerichtsbezirke. Es sollte jedenfalls die Dynamik bei der Standortverlegung berücksichtigt werden, die in Gang gesetzt wird, wenn im niederländischen Zuid-Limburg die Drogenproblematik in größerem Stil und mit mehr Einsatz von Mitteln und Befugnissen strafrechtlich und administrativ bekämpft wird. Diese Dynamik könnte nämlich dazu führen, dass auch die eben genannten kleineren Gemeinden und Bezirke verstärkt mit schwereren Drogenproblemen konfrontiert werden, als dies gegenwärtig der Fall ist. Sowohl Lüttich als auch die anderen Gemeinden haben in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Gegenmaßnahmen im Hinblick auf die Drogenprobleme getroffen, mit denen sie konfrontiert werden. Dennoch könnte es für sie nützlich sein, sich die integrierte Bewältigung der erheblichen Drogenprobleme näher anzuschauen, wie sie in Heerlen und Venlo schon einige Jahre praktiziert wird und weiter oben näher beschrieben wurde. Schließlich müsste in einem Aktionsplan für den belgischen Teil der Euregio auch der nötige Raum für Empfehlungen gegenüber den kommunalen und föderalen Gesetzgebern geschaffen werden über die Einführung van Zuständigkeiten und die 180 Anwendung von Techniken und Verfahren, die bei einer zusammenhängenden euregionalen Bekämpfung möglicher Drogenprobleme unentbehrlich geworden sind. Auf Grund der Gespräche am runden Tisch kann hier auf eine ganze Reihe von Maßnahmen verwiesen werden: die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen Privatwohnungen schließen zu können, die eine wichtige Rolle beim Vertrieb von Betäubungsmitteln spielen, die Möglichkeiten, Drugsrunner verhaften zu können, auch wenn sie keine Betäubungsmittel in ihrem Besitz haben, der Einsatz von Lockvogelautos, um Drugsrunner „von der Straße“ holen zu können, die Einführung eines BIBOB-artigen Verfahrens, um Antragsteller von Genehmigungen in bestimmten Sektoren der Wirtschaft screenen zu können, ein vereinfachtes Verfahren, mit dem unmittelbar alle Pflanzen und Gegenstände vernichtet werden können, die in einer Hanfplantage oder in einem Drogenlabor vorgefunden werden, und der Abschluss von Hanfvereinbarungen, um Cannabisplantagen aufdecken und sicher räumen zu können. 7.3.3. Empfehlungen für den deutschen Teil der Euregio Die Einheit und die Spezialisierung in der Organisation von Polizei und Justiz auf der Ebene der Bundesländer hat in Nordrhein-Westfalen den großen Vorteil, dass es nicht nötig ist, allerlei komplizierte Konstruktionen zu entwickeln, um die Uneinigkeit in den eigenen Reihen über diese beiden Aspekte zu überwinden. Hinzu kommt, dass die Drogenproblematik im deutschen Teil der Euregio weniger ernst zu sein scheint als in den beiden anderen Landesteilen der Euregio. Dies gilt sowohl für die Zahl der Cannabisplantagen und Drogenlabore als auch für die Zahl der Rauschgift abhängigen. Dennoch wäre es wünschenswert, dass auch hier ein Aktionsplan entwickelt wird, wie er für den belgischen und den niederländischen Teil der Euregio entwickelt wurde. Dies ist einerseits wünschenswert im Hinblick auf den Zusammenhang in der Politik, die durch ein euregionales Sicherheitsdreieck erarbeitet wird und die in verschiedenen euregionalen Initiativen ihren Niederschlag finden wird. Dann könnte auch von deutscher Seite angegeben werden, welche Investitionen in diese Initiativen unter welchen Bedingungen erfolgen sollen. Andererseits ist die Erstellung eines solchen Plans mit Blick auf die unmittelbare und operationelle Zusammenarbeit mit den Behörden in den beiden anderen Landesteilen zu befürworten. In einem derartigen Plan sollte zunächst vor allem der Auslegung und praktischen Anwendung des Legalitäts- und des Opportunitätsprinzips bei der Ermittlung und Verfolgung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Welche Konsequenzen sind damit für die Praxis der Strafrechtspflege verbunden, insbesondere für die operationelle Zusammenarbeit mit der Polizei und Justiz im niederländischen und belgischen Teil der Euregio? Zweitens sollte in einem solchen Plan die Zusammenarbeit zwischen Polizeiund Justizbehörden einerseits und Verwaltungsbehörden andererseits zur Sprache 181 kommen: Inwieweit können sie und werden sie einander bei der strafrechtlichen bzw. administrativen Kontrolle der Drogenprobleme auf deutschem Staatsgebiet durch den Austausch von Informationen unterstützen? Drittens müsste in diesem Plan dargelegt werden, inwieweit ein Bedarf an Gesetzgebungsinitiativen besteht, um parallel zu den Niederlanden Genehmigungs anträge screenen zu können, Aufenthaltsverbote zu erlassen, Wohnungen zu schließen etc. Diese Optionen sind zurzeit vielleicht noch nicht dringend erforderlich. Aber wie auf der belgischen Seite der Grenze ist auch hier zu bedenken, dass eine Intensivierung der Drogenbekämpfung auf niederländischer Seite bestimmte Folgen für die deutsche Seite haben kann, deren angemessene Eindämmung gerade diese oder andere administrative Mittel erfordert. Schließlich müsste in einem derartigen Aktionsplan oder in einem Plan, der Bestandteil davon ist, besondere Aufmerksamkeit den Drogenproblemen in Aachen und der Art und Weise gewidmet werden, in der diese von den betreffenden Behörden so gut wie möglich auf gemeinsamer Grundlage bewältigt werden können. Es liegt auf der Hand, dass bei der Entwicklung eines solchen Plans der Stadt eng mit Heerlen zusammengearbeitet wird. Die Erfahrungen, die hier mit der Operation „Hartslag“ gewonnen wurden, können auch für Aachen sehr hilfreich sein. Die Einbeziehung dieser Erfahrungen in den Umgang mit Drogenproblemen in Aachen ist übrigens auch im Interesse der Gemeinde Heerlen selbst. Sollten diese Probleme in Aachen zunehmen oder aus dem Ruder laufen, würde dies in Heerlen sofort spürbar sein. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Städten ist auch auf diesem Gebiet von wesentlicher Bedeutung. 7.4. Stärkung der Rolle der nationalen/zentralen Behörden In den vorangegangenen Abschnitten wurde bereits mehrmals festgestellt, dass eine bessere Bekämpfung der Drogenproblematik in der Euregio nur mit Unterstützung der nationalen oder föderalen Behörden bzw. der Behörden auf Bundesländerebene möglich ist, dies vor allem in Person der Minister der Justiz und des Inneren. Dieser Punkt kam bereits bei dem Vorschlag zur Sprache, ein euregionales Sicherheitsdreieck zu schaffen, bei dem Vorschlag, die Polizeibehörden und speziell die Kriminalpolizeibehörden im belgischen und niederländischen Teil der Euregio zu verstärken, und bei dem Vorschlag, der sich auf die Erweiterung der Zuständigkeiten und Möglichkeiten bezog, auf administrativem Wege in die Produktion und den Vertrieb der verschiedenen Arten von Drogen und in die materielle Infrastruktur, die dazu aufgebaut wurde und wird, einzugreifen. Es gibt allerdings noch drei weitere Aspekte, die in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit verdienen. 182 7.4.1. Die Formulierung von bi- und trinationalen Projekten Der erste wichtige Aspekt, der näher zu beleuchten ist, betrifft die Notwendigkeit, auch auf Länderebene zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu intensivieren. Dass hierfür gute Gründe bestehen, wird nicht nur angezeigt durch die grenzüberschreitende Organisation der Drogenproduktion und des Drogenhandels, sondern auch durch viele andere Formen schwerer Kriminalität, bei der die Landesgrenzen eine wichtige Rolle spielen: Waffen- und Menschenhandel, Überfälle und Einbrüche, Umsatzsteuerbetrug etc. Die föderale Staatsanwaltschaft von Belgien, die nationale Staatsanwaltschaft in den Niederlanden und der Generalstaatsanwalt von Nordrhein-Westfalen sollten in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle spielen. Diese Form der binationalen und trinationalen Zusammenarbeit wurde in jüngerer Vergangenheit manches Mal ohne viel Erfolg zwischen den Niederlanden und Deutschland ausprobiert und wird zurzeit wieder zwischen Belgien und den Niederlanden erwogen. Diese Diskussion kann von Seiten der Euregio nur befürwortet werden, aber es darf natürlich nicht bei den Gesprächen bleiben. Es ist notwendig, dass auf der Grundlage von vergleichbaren bzw. integrierten Verbrechensanalysen von den Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizeibehörden auf nationaler und föderaler Ebene bzw. Bundeslandebene Aktionsprogramme erarbeitet werden, in deren Rahmen anschließend von Zeit zu Zeit tatsächliche Maßnahmen auf Projektbasis ergriffen werden. Das heißt, dass deutlich umschrieben wird, welches Ziel mit dem Projekt verfolgt wird, wie viele Mitarbeiter und welche Mittel innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens eingesetzt werden, auf welcher Rechtsgrundlage die Zusammenarbeit organisiert wird usw. Es ist übrigens gerade auch im Hinblick auf die Drogenproblematik wichtig, Frankreich an der Erstellung des Aktionsprogramms und den sich daraus ergebenden Projekten zu beteiligen. Ein großer Teil der Betäubungsmittel, die von Drogen touristen gekauft werden, verschwindet nach Frankreich. Und damit steht auch die Frage im Raum, was Frankreich zum Zweck der Eindämmung der Nachfrage nach Betäubungsmitteln im eigenen Land und zur Bekämpfung der Netzwerke, die unter anderem in den Niederlanden ein passendes Angebot für diese Nachfrage organisieren, unternimmt und unternehmen kann. 7.4.2. Der Erfahrungs- und Informationsaustausch Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Erfahrungs- und Informationsaustausch. Die niederländische Regierung hat wissen lassen, dass sie eine einheitliche Drogenpolitik für das gesamte Grenzgebiet befürwortet. Vieles spricht tatsächlich dafür, denn überall in diesem Gebiet tauchen jedenfalls dieselben oder ähnliche Probleme auf und muss 183 immer wieder nach Methoden und Mitteln gesucht werden, diese Probleme in angemessener Weise einzudämmen. Die Niederlande haben mittlerweile an einigen Orten ziemlich viel Erfahrungen damit gemacht: Terneuzen, Heerlen, Venlo, um nur die markantesten Gemeinden zu nennen. Diese Erfahrungen sollten genutzt werden, um zu der gewünschten Politik für das gesamte Grenzgebiet zu gelangen. Hierbei muss selbst verständlich sein, dass bei der Formulierung derartiger politischer Ziele sorgfältig zu berücksichtigen ist, was die Nachbarn dazu zu sagen haben. Sie sind nämlich ebenso beteiligte Partei einer solchen Politik wie die Niederlande selbst. Deshalb wäre es übrigens auch nicht falsch, wenn auch von ihrer Seite Vorschläge für eine solche Politik entwickelt würden. Im Rahmen einer derartigen Politik müsste vor allem der Austausch von best practices vorangetrieben werden. Oben wurde bereits auf die Möglichkeiten hin gewiesen, andere Gemeinden in der Euregio von den Erfahrungen profitieren zu lassen, die in Heerlen mit der Operation Hartslag gesammelt wurden. Aber dies ist natürlich nicht das einzige Beispiel. Wechselseitig könnten alle großen bzw. größeren Gemeinden in der Euregio in bestimmten Punkten voneinander lernen und sicherlich auch von anderen weiter entfernt gelegenen Gemeinden in den betreffenden Ländern. Darum wäre es gut, wenn die betreffenden nationalen oder föderalen Behörden bzw. die Behörden des Bundeslandes ein trilaterales Austauschprogramm für die verschiedenen Behörden in der Euregio ins Leben rufen würden. Empfohlen wird in diesem Zusammenhang die weitere Verstärkung der Ausund Weiterbildung von leitenden Beamten, Staatsanwälten und Polizeiangehörigen im Hinblick auf die Drogenpolitik in der Europäischen Union und in den am meisten betroffenen Mitgliedstaaten, auf die Entwicklung der Drogenproblematik in diesem Teil von Europa, auf die institutionellen Beziehungen zwischen Justiz, Verwaltung und Polizei in den Nachbarländern, auf die Umschreibung und Anwendung von einschneidenden strafprozessrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Befugnissen und dem tatsächlichen Verlauf der diesbezüglichen Verfahren usw. Großes Know-how in diesem Bereich ist kein überflüssiger Luxus, sondern eine sehr wichtige strategische Voraussetzung für eine wirksame und effektive grenzüberschreitende Zusammen arbeit zwischen den zuständigen Stellen. Und man sollte es nicht nur bei Lehrgängen belassen. Warum werden nicht flächendeckend Schnupperpraktika organisiert und Mitarbeiter vermehrt zu anderen Stellen entsandt, damit die Fachleute einen Einblick in die Vorgehensweise auf der anderen Seite der Grenze erhalten? Nur auf diese Weise können bestehende große Kenntnis- und Erfahrungslücken geschlossen werden. 7.4.3. Die Organisation gegenseitiger Rechtshilfe Im Anschluss an diesen zweiten Punkt ist noch ein dritter Punkt anzusprechen. Dieser 184 Punkt betrifft die Organisation der Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe in Strafsachen. Die Zeit der langen listes de chagrin mag vielleicht vorbei sein, die diesbezüglichen Probleme verdienen aber immer noch Aufmerksamkeit. Dies ist nicht nur auf der Ebene der Euregio so, sondern auch – gegebenenfalls in Verbindung mit Strafsachen in dieser Euregio – auf der Ebene der betreffenden Länder. Sicherlich dann, wenn man dem Vorschlag entsprechen würde, bi- oder trinationale Aktionsprogramme zu erarbeiten und diesbezügliche Projekte zu starten, ist es von größter Bedeutung, dass die Probleme in der gegenseitigen Rechtshilfe in Strafsachen so weit wie möglich reduziert werden. Dies erfordert in erster Linie, dass Einigkeit darüber erzielt wird, in welchen Fällen Rechtshilfe beantragt wird, wie diese Rechtshilfe beantragt wird und welche Art von Rechtshilfe erbeten wird. Erforderlich ist zweitens ein möglichst vorab vereinbarter Mechanismus für gegenseitige Konsultationen, wenn die erbetene Hilfe mehr oder weniger große operationelle Konsequenzen hat und nicht allen betreffenden Anträgen gleichzeitig stattgegeben werden kann. Und drittens ist es erforderlich, in der ein oder anderen Weise nachvollziehen zu können, wie die Ausführung von Rechtshilfeersuchen – gerade in wichtigen Strafsachen – tatsächlich verläuft. Weil die Gewährung strafrechtlicher Rechtshilfe in jedem der betreffenden Länder anders organisiert ist, kann hier nicht mit einem Federstrich angegeben werden, wie diese drei Voraussetzungen am besten geregelt werden. Es spricht allerdings vieles dafür, dass sich sowohl die Justizministerien als auch die Generalstaatsanwaltschaften und die Polizeichefs mit dieser Frage befassen sollten und beispielsweise über die nationalen oder föderalen Staatsanwaltschaften bzw. die Staatsanwaltschaft des Bundeslandes und die nationale oder föderale Kriminalpolizei beziehungsweise die Kriminalpolizei des Bundeslandes den erforderlichen Konsul tationsmechanismus ausgestalten. Es muss endlich Schluss sein mit der Situation, dass man meint, man könne jede Form der Rechtshilfe verlangen. Dies führt nur dazu, dass Frustration entsteht, wenn einem Ersuchen nicht sofort oder kurzfristig entsprochen wird. Dafür ist die Gewährung von Rechtshilfe einfach eine zu umfangreiche, zu komplexe und auch zu wichtige Frage geworden. 7.5. Einbindung in die Zukunft der Europäischen Union Schließlich ist in diesem Abriss über die Konturen eines Handlungskonzepts über die drogenbedingte Kriminalität in der Euregio Maas-Rhein auf die Rolle hinzuweisen, die die Europäische Union in diesem Zusammenhang spielen kann; umgekehrt aber auch auf die mögliche Rolle dieser Euregio innerhalb der Europäischen Union. Im Hinblick auf den ersten Punkt ist hier ausdrücklich festzustellen, dass es sinnvoll wäre, mehr als bislang üblich auch in der Euregio Europol und Eurojust bei der Planung und Ausführung großer grenzüberschreitender strafrechtlicher 185 Ermittlungen einzuschalten. Diese Stellen können nicht nur wertvolle Unterstützung bei der Sammlung und möglichen Auswertung von Informationen bieten, sondern auch bei der Koordination der Ermittlungen selbst. Nicht zuletzt in der Welt des internationalen Drogenhandels ist dies ein wichtiger Aspekt. In Bezug auf den zweiten Punkt bieten sich größere Möglichkeiten. Zunächst ist angezeigt, dass die Erfahrungen, die in der Euregio bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität gesammelt wurden und werden, in die Auswertung des Drogenaktionsplans 2005-2008 und der gesamten Drogenstrategie im Jahr 2012 einfließen. Es gibt jedenfalls nur wenige Regionen in der Europäischen Union, in denen sich die grenzüberschreitenden Drogenprobleme so manifest darstellen und in denen demnach die Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Zusammenhang mit deren Eindämmung so groß ist wie hier. Zweitens können die Kooperationsformen, die in der Euregio entwickelt wurden oder werden, beispielhaft sein für die Art und Weise, in der in anderen Grenzgebieten oder zwischen anderen Ländern die administrative, polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit im Bereich der Verbrechensprobleme organisiert werden kann. Zu denken ist hierbei natürlich auch an das euregionale Sicherheitsdreieck, JustPol und MAHHL-plus. Das BES, das EPICC, das IRC und die JHTs sind aber ebenso wichtig. Diese Möglichkeiten sollten übrigens in die Zukunftsperspektive einge bunden werden, die zurzeit von Future Groups für die polizeiliche, justizielle und administrative Zusammenarbeit in der Europäischen Union im Allgemeinen ausgearbeitet wird. In dem ersten umfangreichen Gutachten der Informal High Level Advisory Group on the Future of European Home Affairs Policy wird jedenfalls das convergence principle als eines der Hauptprinzipien genannt; demnach ist eine Verstärkung der bestehenden Verbindungen zwischen den Mitgliedstaaten anzustreben. Genau das ist es, was in der Euregio in den vergangenen Jahren mehr oder weniger erfolgreich versucht wurde und worum es in diesem Handlungskonzept vor allem geht. Außerdem betont die Future Group, dass überall in den Grenzgebieten nach einem bestimmten Modell Police and Customs Cooperation Centres geschaffen werden müssten. Die Initiativen, die in der Euregio ergriffen worden sind und zweifellos wieder aufgegriffen werden, müssten eine wichtige Rolle in der Diskussion über die weitere Ausgestaltung dieses Modells spielen.160 7.6. Zeitplan Die Umsetzung des Handlungskonzepts, das oben vorgestellt wurde, erfordert vor allem die Bereitschaft vieler Stellen in den drei Ländern, ein ernstes gemeinschaftliches 160 186 The Future Group, Freedom, security, privacy; european home affairs in an open world, Brussels, 2008. Problem wie das der Drogenproblematik in der Euregio Maas-Rhein in einvernehmlicher Weise besser bewältigen zu wollen. Die nunmehr vorliegende Frage ist die Frage nach der Art und Weise, in der dieses Handlungskonzept umgesetzt werden kann. Zunächst bedeutet dies, dass die Minister der Justiz und des Inneren von Belgien, Deutschland und den Niederlanden die allgemeine Verantwortung für dieses Handlungskonzept übernehmen müssen. Konkret heißt dies vor allem, dass sie den Vorstand der Euregio Maas-Rhein damit beauftragen müssten, seine Umsetzung in die Hand zu nehmen. Zweitens müsste der Vorstand der Euregio Maas-Rhein seinerseits möglichst kurzfristig die Führung und Vorstände der MAHHL-Gemeinden, des BES und der NeBeDeAgPol dazu aufrufen, gemeinsam ein euregionales Sicherheitsdreieck zu schaffen und Arbeitsgruppen einzurichten, die einerseits die Einrichtung von JustPolEMR und andererseits den Start von MAHHL-plus vorbereiten. Parallel dazu sollten Unterarbeitsgruppen eingerichtet werden, die Vorschläge für die Methoden ent wickeln sollten, nach denen das BES und Arbeitsgruppe Kriminalpolizeichefs WR, das EPICC und das IRC sowie die JHTs angepasst werden müssen und können, um die ihnen übertragenen Aufgaben optimal erfüllen zu können. Langfristig gesehen müsste es möglich sein, diese Schritte innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung dieses Gutachtens zu ergreifen – also vor dem 1. März 2009. Drittens müssten innerhalb von drei Monaten danach – also vor dem 1. Juni 2009 – die Leitlinien für die jeweiligen Landesteile und die diesbezüglichen Städte beziehungsweise Bezirke vorliegen. Anhand der bereits vorliegenden Studien und der bereits ergriffenen Initiativen müsste dies möglich sein. Die Schreibgruppen, die diese Aufgabe erhalten, können sofort nach der Veröffentlichung dieses Gutachtens mit der Arbeit beginnen. Viertens müssten diese Leitlinien im Sommer 2009 anschließend auf der Ebene des euregionalen Sicherheitsdreiecks miteinander ver- und abgeglichen werden. Dies wird einerseits dem endgültigen Inhalt der Pläne und damit der euregionalen Zusammenarbeit zugute kommen und wird andererseits den Input für die Politik auf dem Gebiet der Kriminalität liefern müssen, die das euregionale Sicherheitsdreieck im Bereich der Drogenkriminalität grundsätzlich führen will. Dieser Schritt kann vor dem 1. September 2009 abgeschlossen werden. Welche Schritte danach unternommen werden, hängt natürlich völlig von den zu entwickelnden Plänen ab, und ist heute nur schwer zu bestimmen. Um die Implementierung und Durchführung der Leitlinien zu optimieren, ist es allerdings notwendig, dass eine Begleitausschuss gebildet wird, der diese Prozesse ab dem 1. September 2009 aufmerksam verfolgt. In diesen Ausschuss sollten sowohl Mitglieder des Vorstands der Euregio und des euregionalen Sicherheitsdreiecks als auch Vertreter der Justiz- und Innenministerien in den drei Ländern entsandt werden. Der Ausschuss sollte jedes Jahr ein Gutachten anfertigen über die Fortschritte bei der Umsetzung der Pläne und über die Probleme, die sich hierbei ergeben, und zwar einschließlich der Lösungen, die am besten geeignet erscheinen. 187 Anlage Liste der Personen, die zu den Gesprächen am runden Tisch eingeladen wurden. Niederlande G.B.M. Leers Gemeente Maastricht Burgemeester A.M.G. Gresel Gemeente Heerlen Burgemeester G.J.M. Cox Gemeente Sittard-Geleen Burgemeester J.J.M. Som Gemeente Kerkrade Burgemeester M.H.E. Pelzer Gemeente Eijsden Burgemeester R.S.M.R. Offermanns Gemeente Meerssen Burgemeester M.J.I. Quint Gemeente Voerendaal wnd. Burgemeester A.R.B. van den Tillaar Gemeente Gulpen Burgemeester L.H.F.M. Janssen Gemeente Landgraaf Burgemeester H.G.G. Bogman Gemeente Simpelveld Burgemeester R.L.T. van Loo Gemeente Vaals Burgemeester A.M.J. Cremers Gemeente Beek Burgemeester M.J.A. Eurlings Gemeente Valkenburg a/d Geul Burgemeester H.J.G. van Beers Gemeente Margraten Burgemeester H.J.G. Brocken Gemeente Brunssum Burgemeester H.G. Vos Gemeente Nuth Burgemeester M.A.H. Clermonts-Aretz Gemeente Onderbanken Burgemeester A.C. Barske Gemeente Stein Burgemeester B.H.M. Link Gemeente Schinnen Burgemeester J.M. Penn-te Strake Arrondissementsparket Maastricht Hoofdofficier van Justitie C.F.J. Wiegant Arrondissementsparket Maastricht plv. Hoofdofficier van Justitie W.P.Th. van de Ven Arrondissementsparket Maastricht Officier van Justitie A.H.M. Dolmans Arrondissementsparket Maastricht Senior beleidsmedewerker F.W.J.M. Kooiman Politie Limburg-Zuid Districtschef J. Vroege Politie Limburg-Zuid Divisiechef DRR J.J. Lataster Politie Limburg-Zuid Chef JHT P.P.J. Huinen Politie Limburg-Zuid Projectleider Nomen W.P.M. van Haaren Politie Limburg-Zuid wnd. Korpschef L. Mennens Politie Limburg-Zuid Projectleider bestuur. aanpak F.H.M. Rovers Politie Limburg-Zuid Bestuurlijke aanpak L.A.C.M. Slegers Koninklijke Marechaussee Brigadecommandant L. Wassercordt Politie Limburg-Zuid Coördinator EPICC D. Colling Federale politie België Coördinator EPICC W. Schneider Polizei Aachen Coördinator EPICC 189 Belgien J. Wiertz Provincie Limburg Arrondissementscommissaris M. Geerits Provincie Limburg Verbindingsambtenaar M. Beckers Politie HAZODI Zone chef G. Willen Gemeente Lanaken Burgemeester M. Vos Gemeente Riemst Burgemeester H. Broers Gemeente Voeren Burgemeester J. Gabriels Stad Genk Burgemeester H. Reynders Stad Hasselt Burgemeester J. Creemers Stad Maaseik Burgemeester L. Peeters Stad Dilsen-Stokkem Burgemeester M. Vanhex CAD Limburg Hasselt Coördinator A. Stassen Province de Liège Commissaire W. Demeyer Ville de Liège Bourgmestre M. Neven Ville de Visé Bourgmestre C. Visart de Bocarmé Cour d’Appel de Liège Procureur général D. Reynders Parquet du Procureur du Roi de Liège Procureur du Roi C. Wilwerth Parquet du Procureur du Roi de Verviers Procureur du Roi R. Lennertz Staatsanwaltschaft Eupen Prokurator des Königs E. Keutgen Stadt Eupen Bürgermeister M. Grosch Gemeinde Kelmis Bürgermeister J. Delmulle Federaal Parket Federale Procureur E. Bisschop Federaal Parket Federale magistraat J. Andries Parquet de la cour d’appel de Liège Avocat général S. Guenter Hof van Beroep te Gent Advocaat-generaal I. Delbrouck Parket van de Procureur des Konings te Tongeren Procureur des Konings M. Rubens Parket van de Procureur des Konings te Hasselt Procureur des Konings H. Claessens Lokale politie Lanaken Korpschef D. Claes Politie Bilzen / Hoesselt / Riemst Zone chef F. Mulleners Politie GAOZ Zone chef J. Schepers Politie Maasmechelen Korpschef G. Geradts Politie Maasland Zone chef R. Vanderhoven Politie Voeren Korpschef P. Van Thielen Gerechtelijke politie DGJ P. Garlement Federale politie België Hoofd Centrale Dienst Drugs P. Debuysscher Federale politie Tongeren DirJud G. Drabbe Federale politie Tongeren DirCo L. Valkenborg Federale politie Hasselt DirJud M. Jacobs Federale politie Hasselt DirCo E. Sack Ambassade Koninkrijk België Verbindingsofficier d’arrondissement 190 L. Lamine Secretariaat Generaal Benelux Adviseur-generaal Benelux C. Beaupère Police Liège Chef de zone J.F. Adang Zone Basse-Meuse Chef de zone H. Schlenter Zone Weser-Göhl Chef de zone M. Goffard Zone Pays de Herve Chef de zone J.M. Claes Police fédérale Liège DirCo J. Chantry Police fédérale Liège DirJud A. Desenfants Police fédérale Eupen DirCo J. Hezel Police fédérale Eupen DirJud Deutschland J. Linden Stadt Aachen Oberbürgermeister S. Pusch Kreis Heinsberg Landrat A. Vedder Staatsanwaltschaft Aachen Leitender Oberstaatsanwalt L. Bernklau Staatsanwaltschaft Aachen Oberstaatsanwalt K. Oelze Polizei Aachen Polizeipräsident R. Baudiß Polizei Aachen Leitender Polizeidirektor H. Funken Polizei Aachen Polizeidirektor H. Lennartz Polizei Aachen Polizeidirektor H.J. Rademacher Polizei Heinsberg Leiter GS W. Hermanns Polizei Heinsberg Leiter Direktion Kriminalität W. Gatzke Landeskriminalamt NRW Direktor M. Röhrl Innenministerium NRW Polizeidirektor Referat 42 191 Impressum Herausgegeben von: Euregio Maas-Rhein Übersetzung Balance, Maastricht/Amsterdam Graphische Gestaltung Zuiderlicht, Maastricht Druck Andi Druk, Maastricht-Airport 192