Gereift zurückgekehrt - IHK Frankfurt am Main

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Gereift zurückgekehrt - IHK Frankfurt am Main
ges/bei4/F BEI4 2 - 27.09.2012 09:30:02 - irina.gabb
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Perspektiven
Gereift zurückgekehrt
BERUFSBILDUNGSEXPORT
Mobilitätsberater unterstützen Azubis und Betriebe, während der Ausbildung ins Ausland zu gehen
A
uf jeden Fall wieder!“ Das
ist das Fazit, auf das sich
Chef und Azubi unisono einigen, nachdem sie anderthalb
Stunden ein flammendes Plädoyer für das Auslandspraktikum
gehalten haben. Luis Brondtke
ist 23 und steht kurz vor dem
Abschluss seiner Ausbildung
zum Außenhandelskaufmann.
Michael Gay ist sein Chef und
Leiter von Jaques' Wein-Depot
in Kronberg. Dass Luis nach
dem Realschulabschluss hier
seine Lehre macht, stand früh
fest. Schließlich jobbte er, seit
er 16 war, einmal pro Woche im
Geschäft von Michael Gay und
machte sich als Packhilfe und
im Verkauf nützlich. Während
der Lehre wuchs bei dem jungen Mann der Wunsch, auch
einmal andernorts praktische
Erfahrungen zu sammeln, beispielsweise bei einem Auslandspraktikum. Bestärkt wurde er
dabei von Kristin Wilkens, die
als Mobilitätsberaterin der
Handwerkskammer FrankfurtRhein-Main Betriebe, Auszubildende und junge Fachkräfte bei
allen Fragen rund um den berufsbezogenen Auslandsaufenthalt unterstützt. Von ihr erfuhr
Luis Brondtke, welche finanziellen Fördermöglichkeiten es
gibt, um Zuschüsse zu den Reise- und Aufenthaltskosten sowie zur sprachlichen und interkulturellen Vorbereitung zu erhalten. Wilkens hätte ihm auch
bei der Wahl des passenden Unternehmens und der kompletten Organisation seines Auslandsaufenthaltes
geholfen.
Doch der junge Mann wollte es
auf eigene Faust und mit Hilfe
seines Chefs versuchen. „Wir
waren gemeinsam auf einer
großen Fachmesse für Wein und
sprachen zahlreiche Weingüter
an. Die Begeisterung, einen
Praktikanten zu nehmen, hielt
sich sehr in Grenzen“, erzählt
Michael Gay. Letztendlich war
es dann ein alter Kontakt von
lung, einmal praktische Erfahrung in der Weinbereitung zu
gewinnen und gleichzeitig sein
Italienisch aufzubessern, das
bis dato trotz italienischer Mutter nur ausreichend war, wie er
selbst sagt. Luis arbeitete nicht
nur im Weinberg, wo er lernte,
wie man Reben schneidet, sondern auch im Weinkeller und
wurde zudem noch in der Küche
und als Servicekraft eingesetzt,
denn das Weingut ist gleichzeitig auch ein Agritourismo-Betrieb, der Urlaubsgäste beherbergt. Zwar musste er teilweise
hart arbeiten, aber er hatte
Spaß und viel gelernt, so Luis.
„Ich durfte sogar zwei Weinproben durchführen. Die mit Gästen aus Irland fand auf Englisch
statt, die andere auf Deutsch.“
Sein Fachwissen über Wein hat
er enorm erweitert. Darüber
hinaus war der Kontakt mit
Kunden und Gästen hilfreich:
„Ich habe viele Menschen aus
unterschiedlichen Kulturen mit
verschiedenen Sprachen kennen gelernt und musste mit ihnen umgehen. Das hat mich bereichert und mein Selbstbewusstsein gestärkt.“
Beide Seiten profitieren
Während seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann arbeitete
Luis Brondtke auf einem italienischen Weingut in Chianti
IHK FRANKFURT
ihm in Italien, der zum Praktikum verhalf.
Mehr Selbstvertrauen
Zwischenzeitlich hatte Luis seinen Stipendiumsantrag gestellt, den Lebenslauf und ein
Motivationsschreiben an die
Organisation, die sein Stipendi-
um finanzieren sollte, geschickt, anschließend mit der
Ansprechpartnerin dort ein Telefonat geführt und die Zusage
erhalten. Kurze Zeit später
brach der 23-Jährige auf, um
die Sommerferien als Praktikant auf einem Weingut im Chianti zu verbringen. Damit ging
sein großer Wunsch in Erfül-
Auch wenn Michael Gay in den
sechs Wochen Ersatz für Luis
finden musste und dadurch zusätzliche Kosten hatte, so bereut
er keinen Augenblick, seinem
Azubi das Auslandspraktikum
ermöglicht zu haben. „Er ist als
reifere Persönlichkeit zurückgekehrt, hat einen anderen Führungsstil kennen gelernt, arbeitet noch motivierter und geht
selbstverständlicher mit unseren Kunden um. Ich würde auch
dem Nächsten, der hier eine
Lehre zum Außenhandelskaufmann oder zur Außenhandelskauffrau absolvieren möchte,
diese Möglichkeit bieten. Denn
beide Seiten profitieren davon,
fachlich und menschlich.“
Anerkennung für den einen, Ansporn für den anderen
Die Messe Frankfurt bietet Stipendienplätze für den europäischen Azubi-Austausch an
M
artina Hoß ist Auszubildende bei der Messe
Frankfurt. Nach dem Fachabitur begann sie eine Lehre zur
Veranstaltungskauffrau und erfuhr in ihrer Berufsschule von
der Möglichkeit, über ein Stipendium zum Praktikum ins
Ausland zu gehen. Begeistert
von der Idee, sprach sie mit ihrer Ausbilderin bei der Messe
Frankfurt, Yvonne Lüsser. „Wir
begrüßen es, wenn unsere Azubis ins Ausland wollen. Schließlich sammeln sie Erfahrungen,
verbessern nicht nur ihre
sprachlichen und fachlichen
Kompetenzen, sondern vor al-
lem auch die sozialen“, erzählt
Lüsser. Martina Hoß ging auf
die Suche nach einem Praktikumsplatz und wurde bei einem
englischen Vertriebspartner der
Messe Frankfurt fündig. Finanziert wurde ihr achtwöchiges
Praktikum über das EU-Programm Leonardo Da Vinci, für
das Martinas Berufsschule bereits Stipendienplätze beantragt hatte. In der Berufsschule
fand auch die sprachliche, kulturelle und organisatorische
Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt statt. Ihre Zeit in
England bleibt ihr bis heute in
bester Erinnerung: „Ich habe in
einem sehr netten Team gearbeitet, unterschiedliche Arbeitsbereiche kennen gelernt
und viel Englisch gesprochen.“
Eigene Stipendienplätze
Um noch mehr jungen Menschen Auslandserfahrung zu ermöglichen, bietet die Messe
Frankfurt erstmals drei eigene
Stipendienplätze über das Leonardo Da Vinci-Programm an.
Damit können jetzt auch Azubis
anderer Fachrichtungen, beispielsweise Bürokaufleute oder
Fachinformatiker für Systemintegration, zum Praktikum ins
Ausland gehen. Für die Messe ist
dieses Angebot ganz klar auch
ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen, die
Bewerber suchen. Yvonne Lüsser: „Als attraktiver Arbeitgeber
steigern wir unser Ansehen bei
jungen Leuten zusätzlich. Zudem dient die Initiative als Instrument der Anerkennung der
guten Leistungen unserer Azubis. Gleichzeitig schaffen wir einen weiteren Anreiz für die
nachkommenden Lehrlinge, motiviert zu arbeiten, um in den
Genuss eines Praktikums in Italien, Frankreich oder anderswo
zu kommen.“
Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat eine Initiative
zum Export beruflicher Bildung
vorgestellt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) werde beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eine
Zentralstelle für internationale
Berufsbildungskooperationen
einrichten. Damit reagiere es auf
die steigende Nachfrage aus dem
Ausland, so die Ministerin. Einige EU-Mitgliedstaaten, darunter
Portugal und Lettland, wünschten nach Angaben des BMBF einen Dialog mit Deutschland, der
ihre angestrebten Bildungsreformen begleiten soll. Das BIBB verfüge als Forschungseinrichtung
des Bundes über jahrzehntelange
Erfahrung auf diesem Gebiet und
habe daher die erforderliche
Kompetenz für zukünftige Kooperationen. Es unterhalte bereits rund 30 Forschungskooperationen mit Partnereinrichtungen weltweit, darunter in Spanien und den BRIC-Staaten. Des
Weiteren werde das BMBF gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag
(DIHK) und dem Zentralverband
des deutschen Handwerks (ZDH)
ein Konzept erarbeiten, um das
deutsche duale Ausbildungssystem verstärkt im Ausland zu integrieren. „Unser erfolgreiches
System der beruflichen Bildung
kann für viele Länder ein wichtiger Schlüssel zur Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit sein“,
erklärte Schavan.
BERUFSWAHL 2011
Von den 565.824 Jugendlichen,
die im Jahr 2011 einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben, entschieden sich 33.192 für
den Beruf Kaufmann/-frau im
Einzelhandel. Damit nimmt der
Beruf erneut die Spitzenposition
unter den populärsten Ausbildungsberufen ein, wie das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung berichtet. Es folgten
Verkäufer/-in, Bürokaufmann/frau, Kraftfahrzeugmechatroniker/-in und Industriekaufmann/-frau. Bereits seit sieben
Jahren zählen diese fünf Berufe
zu den beliebtesten. Zusammen
genommen bilden sie ein Fünftel
aller neu geschlossenen Ausbildungsverträge. Vor allem junge
Frauen entscheiden sich für eine
Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Dieser Beruf liegt bei
ihnen mit 8,1 Prozent auf dem
ersten Rang. Bei männlichen Jugendlichen steht der Beruf Kraftfahrzeugmechatroniker hoch im
Kurs und ist mit 5,8 Prozent der
am häufigsten gewählte. Neben
dem Geschlecht ist auch die
schulische Vorbildung ein Indikator für die Berufswahl. Während Jugendliche mit Hochschulzugangsberechtigung Berufe wie
Industriekaufmann/-frau oder
Bankkaufmann/-frau bevorzugen, entscheiden sich Jugendliche ohne Hauptschulabschluss
oft für eine Ausbildung als Verkäufer/-in oder Hauswirtschaftshelfer/-in.