Max Ort – Ein Nürnberger Präzisionsuhrmacher und die Bamberger

Transcription

Max Ort – Ein Nürnberger Präzisionsuhrmacher und die Bamberger
Anzeigen im Nürnberger Adressbuch
von 1880 und 1882
Max Ort, 1893,
im Alter von 45 Jahren
MAX ORT
Ein Nürnberger Präzisionsuhrmacher
und die Bamberger Sternwarte
Text: Klaus Pöhlmann
Vorbemerkung
Ein Präzisionsregulator, sig. Max Ort
Nachf. Harrer, war es, welcher mich
zum ersten Mal mit diesem Namen
konfrontierte und diese Recherche
auslöste. Durch den Anruf eines
Nürnberger Uhren- und Juweliergeschäftes aufmerksam gemacht, nahm
ich diesen in Augenschein. Er hing in
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einem Nürnberger Modegeschäft in
der Königstraße und jetzt in einem
Geschäft in Bamberg, Grüner Markt
7. In einem massiven, verglasten
Eisengehäuse ist er, versehen mit
einem Regulatorzifferblatt, schwerer
Pendellinse, an der Wand angebracht.
Die Abb. 1–4 zeigen die beeindruckende Uhr. Das Regulatorziffer-
blatt, sign. mit M. Ort, Nachfolger
Harrer imponiert, dazu natürlich die
starken Messingplatinen, die sorgfältige gearbeitete Pendelaufhängung und
nicht zuletzt das Riefler-Pendel mit
der Nr. 175, DRP 100870 (Invar-Kompensationspendel), lt. H. Dittrich ca.
1906–1908 hergestellt. Da mir bis dato
der/die Namen unbekannt waren, das
Klassik Uhren 1/2009
Max Ort
Werk jedoch beeindruckte, begann
ich mit den Nachforschungen über
den Uhrmacher Max Ort, Nürnberg.
Max, Matthäus Ort,
Lebensdaten und Hinweise
in der Uhrenliteratur
Im 2007 erschienenen, 4-bändigen
Grieb`schen Nürnberger KünstlerKlassik Uhren 1/2009
Lexikon finden wir unter dem Uhrmacher namens Ort einen Hinweis
auf ein Buch von einem Gerlach a.d.J.
1930. Im Archiv der Stadt Nürnberg
finde ich ihn und wir lesen darin:
M. ORT NACHF., KARL HARRER, NÜRNBERG,
UHRMACHERMEISTER, KÖNIGSTR. 77/79
Max Ort gründete 1869 mit ganz bescheidenen Anfängen in der Engelhardsgasse eine
Uhrmacherei mit Gehäusemacherei. Eine Parterrewohnung in der Irrerstraße diente weiter
unter sehr niedrigen Ansprüchen dem Unterhalt. Eine Taschenuhrschlüsselfabrikation, mit
einem Kompagnon mit viel Mühe und Ausdauer betrieben, sollte die leider immer wieder fehlenden Mittel hervorbringen. Durch lange
Krankheit ganz zurückgekommen, wurde Herr
Max Ort wieder Gehilfe in dem Uhrengeschäft
Schneider im ehemaligen Gewerbemuseum in
der Königstraße an der Museumsbrücke. Endlich glückte der Versuch, ein eigenes Geschäft
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Max Ort
zu haben, in der Adlerstraße. Es folgte im Hause des Drechslermeisters Meinicke, Königstraße 10, wieder ganz klein ein Laden, dann
etwas vergrößert ein solcher in der Spitalgasse. Weiter war Königstraße 21, die jetzige
Bank, eine Stätte fleißigen Schaffens. Dort
fabrizierte Ort mit einem jungen Nachwuchs
zuerst feine Taschenuhren in Gold und später
als Spezialität feinste astronomische Pendeluhren, in luftverdünntem Raum gehend, und mit
der Luft feinregulierte Einzelstücke. Diese
Uhren sind heute noch in den verschiedenen
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Sternwarten in Betrieb. Diese Fabrikation
brachte der Firma 3 goldene, 2 silberne und
zwei bronzene Medaillen ein. 1900 starb M.
Ort, nachdem er 26 Jahre lang Ladeninhaber
in der Königstraße gewesen war.
Der jetzige Inhaber war zuerst 3 Jahre, von
1890–1893, als erster Gehilfe im Geschäft,
dann zur weiteren Ausbildung 3 Jahre im Inund Ausland, sodann wiederum von 1896 bis
zum Tode Orts, als erster Gehilfe und
Geschäftsführer im Geschäft, nach vorhandenen Zeugnissen hervorragend an der Anferti-
gung von Taschenuhren und den obengenannten astronomischen Pendeluhren beteiligt.
Seit 1901 betreibt Karl Harrer als geprüfter Uhrmachermeister (1903 mit Note 1 ausgezeichnet)
das Uhren- und Verkaufsgeschäft mit eigener
Reparaturwerkstätte im Sinne seines Vorfahren.
Seit 1909 befindet sich das gleiche Geschäft,
bedeutend vergrößert, wie Aufnahmen zeigen,
in der Königstraße 79, bei der Marthakirche. Im
Gerlach zeigt ein kleines Foto eine SchaufensterAnsicht des Geschäftes mit einer großen Reklame für „Alpina Uhren“.
Klassik Uhren 1/2009
Über seine Tätigkeit als Uhrmacher und die vielen erlittenen Rückschläge wird der Leser umfangreich
informiert – bis hin zu seinem Nachfolger Karl Harrer.
Was erfahren wir aber über sein
„Uhren“-Leben? So gut wie nichts. Wo
hat er gelernt, wann wurde er Meister,
usw.? Die Formulierung im Gerlach:
„wurde M. Ort wieder Gehilfe im
Uhrengeschäft Schneider“ läßt vermuten, daß er früher evtl. dort gelernt hat.
Aber, es ist zwar im Adreßbuch von
1863 ein Uhrmachermeister Georg
Schneider im Distrikt I – würde passen
– verzeichnet, nicht mehr jedoch 1870.
Und die Quellen für 1871–1875 stehen
z.Zt. wegen laufender Restaurationsarbeiten nicht zur Verfügung.
Weitere Recherchen im Nürnberger Stadtarchiv brachten mich Schritt
für Schritt weiter. In den Adressbüchern der Jahrgänge 1876, 1879 und
1897 finden wir Hinweise (Abb.) über
die Lage seiner Geschäfte, wie im Gerlach (s.o.) beschrieben. Im Anzeigenteil dieser Bücher konnte ich auch 2
Anzeigen in Bezug auf sein Geschäft
in der Königstr. 21/88 (s. Abb.) finden.
Zu seinen Wohnadressen wäre
noch anzumerken: Von 1878–1883
wohnte er Unterer Bergauerplatz 6,
gleichzeitig seine Geschäftsadresse
bis 1879 (Hausbesitzer: Johann Hutzelmeyer,
Rothschmieddrechsler),
dann 1884/5 Hintere Insel Schütt Nr.
12 , 1886/7 Am Sand 4 und ab 1888
Vordere Insel Schütt 5/Erdgeschoß.
Weiter gibt es im Archiv einsehbare
Vereinsregister! Da wird doch bei der
„Freiwilligen Feuerwehr des Turnvereins Nürnberg“ ein Uhrmachermeister Max M. Ort im Jahr 1893 für
25-jährige Dienstzeit – zuletzt als
Kommandant – geehrt. Und: Oh Wunder, rückseitig finden wir auf dem
Dokument Daten und, auf einem
separaten Blatt, ein Foto!
Geboren wurde er am 20. Juli 1848.
Bereits mit 18 der Feuerwehr beigetreten brachte er es als 41-jähriger
1889 zum Kommandant (bis 1893). Er
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starb zu jung, 52-jährig, bereits am 23.
Juni 1900. Er soll, exakte Quellen fehlen, schwer erkrankt gewesen sein.
Die Archive der Evangelischen LK
(Nürnberg) und der Katholischen Kirche (Bamberg), dazu intensive
Recherchen eines Mitarbeiters des
Archivs der Stadt Nürnberg ermöglichten es schließlich einen Stammbaum (siehe Abb.) zu erstellen. Max
Ort stammt somit aus einfachen, bürgerlichen Verhältnissen und nicht, wie
so oft in solchen Fällen, aus einer
„Uhrmacherdynastie“.
Was berichtet nun die Fachliteratur über diesen wenig bekannten Uhrmacher? Im „Abeler“ lesen wir unter
M. Ort: Nürnberg, gest. 23.6.1900;
Arbeiten: 1 Jahr-Standregulator m.
Sekundenpendel, 6-Monat-Regulator,
Hängeuhren, Ta.-Uhrwerke, Normaluhren der Sternwarte Bamberg. Im
„Uhrenlexikon“ von K.-H.Schmid
erfahren wir dazu weiter, daß Ort
besonders die Entwicklung der
Taschenuhren besonders am Herzen
gelegen sei, er aber mit der Konkurrenz aus der Schweiz nicht hat mithalten können und sich deshalb besonders mit dem Bau von Großuhren
beschäftigt habe.
In der DUZ vom 1.5.1883 lesen
wir, daß der „geschätzte Fachkollege
M. Ort/Nürnberg“ neben einem 1 Jahr
gehenden Standregulator mit Sekundenpendel und Sekunde aus der Mitte
einen weiteren mit einem 6 Monate
gehenden Werk und Sekundenpendel
– ohne Sekunde aus der Mitte – ausstellte. Dazu zwei sog. Hängeuhren
mit Spindelgang und 8-Tage Schlagwerk. Besonders interessant ist der
Hinweis auf zwei selbstgefertige
Taschenuhren, eine mit Ankerwerk
und Bügelaufzug, die andere, noch
nicht ganz vollendet, mit ¼- und Std.Selbstschlag. Dies alles war der Jury
eine Silbermedaille wert.
In Nr. 24 der DUZ beschreibt 1888
Max Ort selbst seine „Normaluhr für
die neue Sternwarte zu Bamberg“.
Hier dürfte es sich höchstwahrschein-
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Max Ort
lich um die im nachfolgenden Kapitel
„Präzisionsregulatoren“ beschriebene
Ort V gehandelt haben.
Er hatte dazu seine, seit 4 Jahren
gehende, mit Quecksilberkompensation versehene, Normaluhr seiner
Werkstatt weiter verbessert. Die
„Bauzeit“ der Uhr habe übrigens 11
Monate betragen.
In der LUZ vom 15.4.1894 werden
eine hängende und eine stehende
astronomische Pendeluhr, jeweils mit
Quecksilberkompensation und elektrischem Aufzug, ausführlich beschrieben.
In der AJU von 1896 berichtet L.
Schneider über die Ausstellung der
Uhrenindustrie in Rahmen der Landesausstellung 1896 in Nürnberg. Er
geht dabei ausführlich auf drei astronomische Pendeluhren von Max
M(atthäus). Ort ein. U.a. wird weiter
festgehalten, daß diese Uhren bezüglich Gangenauigkeit bzw. -abweichung den ebenfalls ausgestellten Präzisionsuhren
von
Riefler
als
gleichwertig anzusehen seien! Bereits
damals schienen die Riefler´schen
Uhren schon das Maß aller (Uhren-)
Dinge zu sein.
In meinem besitz befindet sich eine
(Abb. ) offene, goldene DamenTaschenuhr. Sie ist auf dem Zifferblatt
und der Cuvette signiert, das Werk ist
aber, bei nur 1250 Exemplaren, ein
Zylinderwerk, Werk-Nr. 2782 5(?),
Geh. Nr. 39837; Cal. 51(Alt?), 13-lg.
(1887/8) von IWC. Weiter ist den Quellen zu entnehmen, daß er auf Ausstellungen Taschenuhren, auch eigner
Konstruktion, präsentierte. Ein Beleg
dafür befindet sich im Privatbesitz.
Dazu die abgebildete Herrentaschenuhr, deren Werk sich sicher nach Glashütte (siehe Abb. ), möglicherweise zu
Lange&Söhne, zurückverfolgen läßt.
Es bestätigte mir nämlich Reinhard Reichel, Uhrenmuseum Glashütte, daß die Firma Max Ort als Konzessionär von Lange&Söhne geführt
wurde (nicht jedoch sein Nachfolger
Harrer). Ein loses Werk, auf dem
Zifferblatt sign. Ort/Nachf., in der
Bauweise System Glashütte, auf der
Zifferblatt-Platine sign. Max Isely/
Bienne, beweist, daß auch Karl Harrer, zumindest noch in den 20er Jahren des 20.Jh., gute Taschenuhren
unter seinem Namen anbot.
Die Ort`schen Taschenuhren
Geschichte der
Bamberger Sternwarte
Trotz vieler Anfragen bei mir bekannten Sammlern, ist es mir – bis jetzt –
nicht gelungen eine originale Taschenuhr aus der Werkstatt Ort zu erwerben.
38 Klassik Uhren 1/2009
Nur wenige wissen heute, daß seit
Ende des 19.Jh. in Bamberg eine der,
zur damaligen Zeit modernsten Stern-
warte existierte. Sie arbeitet noch heute, sie ist Teil der Universität ErlangenNürnberg. Nur beschäftigt sie sich
nicht mehr mit Stern- bzw. Kometenforschung, sondern bildet heute Studenten an zwei (neueren) Teleskopen
mit moderner Instrumentierung aus.
Die Forschungsschwerpunkte liegen
u.a. auf dem Gebiet der Stellarastronomie (bodengebundene Beobachtungen hauptsächlich an der Europäischen Südsternwarte in Chile) und der
Röntgenastronomie (Beoachtungen
mittels Weltraumobservatorium, d.h.
Röntgenteleskope auf Satelliten, z.B.
XMM-Newton der ESA).
Dr. Karl Remeis, Jurist und wohlhabender Bamberger Bürger, er starb
nur 45-jährig am 28. Mai 1882, vermachte sein ganzes Vermögen testamentarisch seiner Heimatstadt Bamberg. Er verfügte, daß von dem Geld
eine Sternwarte zu errichten sei und
seine Villa zu einem Café umgebaut
werden müsse (heute: Café Villa
Remeis am Michelsberg). Dazu verlangte er, daß der einzusetzende
Direktor von der Naturwissenschaftlichen Fakultät in München vorzuschlagen sei (und somit nicht vom Bamberger Lyceum). Auflagen, welche den
Bamberger Stadtrat nicht gerade
begeisterten.
In Form einer Stiftung wurden seine Forderungen umgesetzt. Wie
kommt ein Jurist zur Astronomie?
Klassik Uhren 1/2009 38
Bereits mit 35 Jahren schied er aus
dem Staatsdienst, er war zuletzt
Assessor am Bezirksgericht, aus und
seine Reisen führten ihn dann in den
Balkan, Orient und Italien. In Rom
pflegte er, seinen Neigungen entsprechend, intensive Kontakte zu den dortige Astronomen.
Im Laufe der Jahre hatte er sich
dann in Bamberg eine kleine, aber feine Privatsternwarte mit den damals
modernsten Instrumenten eingerichtet. Leider ließ ihn eine langwierige
Krankheit, der er schließlich erlag,
nicht seinen Traum endgültig vollenden. Seine Gedanken zur Astronomie
legte er wie folgt dar:
„Die Astronomie ist die Wissenschaft, welche dem Menschen zur richtigen Erkenntnis seiner selbst und seiner Stellung im Universum verhilft,
zugleich aber auch in die Lage ver-
setzt, die ewigen Gesetze des Alls zu
finden, den Schöpfungsgedanken
nachzudenken und so in sich selbst
einen göttlichen Funken zu fühlen “
Noch zu Lebzeiten, etwa um 1878,
begann der leidenschaftliche HobbyAstronom Dr. Karl Remeis wegen seiner Idee mit dem Stadtmagistrat der
Stadt Bamberg (Akt.Z 8430) Kontakt
aufzunehmen. Nicht einfach war es,
das passende Grundstück zu finden.
Nach seinem Tode ging es dann doch
rasch voran. Sogar die Presse (Nürnberger Kurier vom 10.7.1882, der Kosmopolit, Wien, vom 10.1.1883 u.a.)
berichteten von den Plänen der Stadt
Bamberg. Die Suche nach einem
geeigneten Direktor waren nicht verborgen geblieben. Gespräche mit
Prof. Dr. Hugo von Seeliger, Sternwarte München oder Prof. Dr. Bruns,
Sternwarte Leipzig hatten stattgefun-
den. 1886 einigte man sich schließlich
auf den von Seeliger vorgeschlagenen
35-jährigen Dr. Ernst Hartwig. Erst
Assistent an der Sternwarte Straßburg, dann als Observator an der
Sternwarte
in
Dorpat
(heute
Tartu/Estland), wo er viele Auszeichnungen erhielt, wurde er erster Direktor der neuen Bamberger Sternwarte.
Vorgesehenes Gehalt waren die 4%
Zinsen eines angelegten Betrages von
80.000 Reichsmark, d.h. 3200/anno,
dazu freie Wohnung. Er selbst beriet
sich mit Prof. Seeliger über die notwendige Erstausstattung.
Technische Ausstattung der
Sternwarte zur Zeit Max Orts
Die bisherigen Instrumente von Dr.
Remeis waren ebenfalls Teil des für
die Errichtung der Sternwarte vorgesehenen Vermögens. Insgesamt
Max Ort
Die Ort´schen
Präzisionspendeluhren
400.000 Reichsmark betrug der
Nachlass, wovon der Erblasser
70.000,– allein für die Beschaffung
weiterer Instrumente verfügte. Aus
der Inventarliste der Sternwarte vom
14.4.1886, (alles in Sütterlinschrift
niedergeschrieben), geht hervor, daß
nachstehende Instrumente vorhanden waren:
Linsenfernrohr
(Schröder)
Kometensucher,
6-zöllig,
Heliometer, 7-zöllig
Passageinstrument
Sucher Nr. 1
Sucher Nr. 2
Fadenmikrometer
des Refraktors
Pendeluhr
Niveauprüfer
50.000,–
(Schätzwert)
Wert nicht
angegeben
34.000,–
4860,–
1530,–
800,–
3500,–
1500,–
300,–
RM
RM
"
"
"
"
"
"
Lieferfirmen für die Ausstattung
waren u.a. die Firmen Repsold/Hamburg bzw. Merz/München. Bedauerlicherweise geht aus der Inventarliste
nicht hervor, um welche Uhr es sich
hier handelte. Da von den heute noch
existierenden 3 astronomischen Präzisions-Uhren Max Ort V (1888), Max
Ort VI (1891) bzw. Anton Ziegler
(1907), die älteste Ort`sche Uhr ist
1888 datiert , darf man wohl annehmen, daß es sich möglicherweise um
eine Max Ort III oder IV gehandelt
hat. Denn A. Ziegler ist nach den bisherigen Erkenntnissen erst später in
Erscheinung getreten. Über den Verbleib der Uhr in der Inventarliste von
1886 konnte nichts in Erfahrung
gebracht werden, leider.
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Um noch einmal auf den ersten Kontakt mit einem Präzisionsregulator
zurückzukommen, war mir doch
schnell bewußt geworden, daß diese
zwar imponierende Uhr mit denen
von Ort bis Ende des 19.Jh. selbst hergestellten Uhren, nicht viel gemeinsam hatte. Deshalb auch vorab eine
Beurteilung von Dir. Dr. Ernst Hartwig, mitgeteilt im Rahmen seines
Referates über „Zeitinstrumente“ auf
der 65. Versammlung deutscher
Naturforscher 1886 in Nürnberg:
Die Normaluhr Ort (höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um
die bereits erwähnte Ort V) hält er für
eine mit am besten, wissenschaftlich
untersuchten Pendeluhr. Weiter: Die in
einem Kartennetz eingetragenen täglichen Gänge* über den Zeitraum der
ersten fünf Vierteljahre nach der Temperatur als Funktion des Mittels der
Angaben vom oberen und unteren
Thermometer und als Funktion des
Unterschiedes zwischen beiden ergab
eine Gangformel, durch welche die
beobachteten täglichen Gänge mit
einem mittleren Fehler von +/- 0,050
Sekunden dargestellt werden.
*Im weitgehend vollständigen
Archiv der Sternwarte sind noch alle
Bücher über die Gang-Beobachtungen
(bis ca.1996) einsehbar.
Welche Verbesserungen zur Optimierung der Ganggenauigkeit dieser
begnadete Uhrmacher vornahm, lassen sich nur erahnen bzw. nur unvollständig aus den vorliegenden Unterlagen wiedergeben.
Ob er von Anfang an, d.h. beginnend mit der Ort Nr. I, Pendel mit
Quecksilberkompensation verwendete
ist unwahrscheinlich. In den Beschreibungen der Präzisions- und Hängeuhren der DUZ vom 1.5.1883 werden
jedenfalls derartige Pendel oder elektrischer Aufzug nicht erwähnt. Hinsichtlich praktischer (=mechanischer)
Verbesserungen lesen wir jedoch bei
der Beschreibung des Werkes des Jahresläufers folgendes:
...eigene Ideen des Ausstellers, welche wir nicht unerwähnt lassen wollen.
Die Zapfen des Übersetzungs- und
Minutenrades lagern in rücken außerhalb der Platinen. Der Minutentrieb ist
durchbohrt, wie bei Taschenuhren, und
in ihm lagert der vordere Zapfen des
Sekundentriebes. Vermögens dieser
Einrichtung hat die Uhr ein gewöhnliches Zeigerwerk, wodurch die große
Reibung des Viertelrohres, die bei der
sonst üblichen Bauart dieser Werke mit
Sekunde aus der Mitte stattfindet, in
Wegfall kommt. Die Uhr hat einen vortrefflich ausgeführten Stiftengang und
wird mittels einer endlosen Schnur aufgezogen. Platinen und Brücken sind
gekörnt und vergoldet und die Räder
schön flach poliert usw.
Später heißt es in der LUZ vom
15.9.1894 bei der Beschreibung einer
astronomischen Pendeluhr (a.d. Jahr
1892?) mit Quecksilberkompensation:
„Steigrad und Anker bewegen sich in
eingeschraubten Rubin- und Saphirlöchern. Die Ankerklauen des Grahamganges sind mit Steinen versehen.
Das Zifferblatt hat 24-stündige Einteilung, die Sekunden- und Sundenkreise sind exzentrisch“. (Dazu Anmerkung: Sekunden oben, Stunden
unten.). Er tat also im Prinzip alles,
was aus seiner Sicht handwerklich
umzusetzen war.
Die Beeinflussung der Gangenauigkeit solcher Uhren durch Temperatur- und Luftdruckschwankungen
beschäftigten ihn weiter in hohem
Maße. Für die Kompensation von
Temperatur-Einflüssen
hielt
er
Quecksilber für am Besten geeignet.
Aber der mögliche Einfluß von Luftdruckschwankungen auf die gewünschte Präzision einer solchen Uhr
auf Dauer ließen ihn weitere Experimente durchführen. Er hat, um diese
auszuschalten, als „Gehäuse“ für
seine astronomischen Pendeluhren
Glaszylinder, luftdicht abgeschlossen,
verwendet. In langwierigen VersuchsKlassik Uhren 1/2009
reihen stellte er fest, daß ein Sekundenpendel bei der Verdünnung des
Luftdruckes um 40 mm, d.h. 20 mm in
jedem Schenkel des im Inneren angebrachten Barometers, eine Beschleunigung der Schwingungen des Pendels
um eine Sek./Tag ergibt! Durch Einlassen von „getrockneter Luft“, liese
sich der Gang der Uhr wieder präzise
einregulieren.
Während die ersten Uhren Ort´s
noch von Hand aufgezogen werden
mußten, hat er später den elektrischen
Aufzug bevorzugt. Er hielt das Betreten des Uhrenraumes zum Zweck des
Aufziehens, wegen der dabei entstehenden
möglichen Temperaturschwankungen, für nachteilig. Andererseits hielt er den Einsatz von
Elektriziät dafür zwar für besser, aber
wegen der möglichen Schwankungen
– wir reden hier von den 80er und
90er Jahren des 19.Jh. – ebenfalls
noch nicht für optimal. Über die Konstruktion seiner „elektrischen Aufzüge für Uhren“ soll an dieser Stelle
nicht weiter berichtet werden. Deren
Prinzip ist u.a. in Skizzen und
Beschreibungen der angeführten
Literatur ausführlichst beschrieben.
In den Aufzeichnungen des Bamberger Archivs wird von den Uhren
Ort V,VI,VII und VIII berichtet. Die
Abbildungen stellen jeweils die Nr. V
und VI dar. Über den Verbleib der
anderen konnte nichts in Erfahrung
gebracht werden. Im Kapitel „Zeitdienst“ (Zinner, Die Remeis-Sternwarte zu Bamberg – siehe Quellen) wird
Klassik Uhren 1/2009
ausgesagt, daß die Pendeluhr Ort VII
bereits 1900 nach Bamberg gebracht,
aber erst 1905 aus dem Nachlaß von M.
Ort erworben wurde. Sie sei von
Anton Ziegler zu seiner Nr. I mit
Nickelstahlpendel und Strasserscher
Hemmung umgebaut worden.
Später noch dazu auf Handaufzug
umgestellt. Um hierüber exakte Aussagen machen zu können, Vergleiche
anzustellen bzw. die Unklarheiten zu
beseitigen und vor allem interessante
technische Besonderheiten aufzuzeigen, müßten die Uhren Ort V und VI
bzw. Ziegler I zerlegt und gleichzeitig
restauriert werden.
Persönlich erfüllt es einen Sammler mit Wehmut, wenn er solch historisch wertvolle Objekte nicht in Funktion sieht. Ein alter Uhrmacherspruch
sagt: „Eine Uhr welche steht, die
stirbt“. Es ist schade, daß die Stiftung
nicht genügend Geld zur Verfügung
stellen kann, um die Uhren zu restau-
DANKSAGUNG
Herrn Prof. Dr. Ulrich Heber und seinen Mitarbeitern, Sternwarte der Universität ErlangenNürnberg, gebührt an dieser Stelle besonderer
Dank. Bereitwillig wurde mehrmals eine Besichtigung und Erlaubnis zum Fotografieren erteilt
bzw. Einsichtnahme in das Archiv gewährt. Den
Herren Dr. B. Huber (Leiter der Bibliothek der
Deut. Gesellschaft für Chronometrie e.V.), Erich
Bauernschmid, Gerhard Obelt (Mitglieder des
AK-Franken der DGC) für die durchgeführten
fotografischen Arbeiten, z.T. in der Sternwarte,
UM Robert Molina für das Fotografieren der
IWC-Uhr und Herrn B. Scharschmid für die
Überlassung der Fotos der Ortschen HerrenTaschenuhr.
rieren. Bis vor ca. 10 Jahren wurden
diese noch „ehrenamtlich“ gewartet.
Schade, schade!
QUELLEN:
• Bauernschmidt E.; Mitglied der DGC,
Arbeitskreis Franken; für Fotos
• Dittrich, H.; Informationen zu RieflerPendel
• Erzbischöfliches Archiv, Bamberg; Korrespondenz
• Evang. Landeskirche; Archiv in Nürnberg;
Korrespondenz
• Heber, U.; Prof.; Univ.-Sternwarte ErlangenNürnberg; Persönliche Informationen und
Archiv der Sternwarte:
–Inventarlisten
–Korrespondenz Direktor Hartwig
mit Max Ort
–Sammlungen der Universität
Erlangen-Nürnberg
–Kontrolldaten der astronomischen
Uhren der Sternwarte
• Huber, B. Dr.; Leiter der Uhrenbibliothek der
DGC e.V.; Kopien, PC-Arbeiten u. Informationen, Literatur
• Meis, R.; IWC-Uhren
• Molina, R.; Uhrmachermeister; Fotos
• Obelt, G.; Mitglied der DGC, Arbeitskreis
Franken; für Fotos
• Pritchard; Swiss Timepiece-Makers
1775-1975
• Reichel, R.; Leiter Uhrenmuseum Glashütte;
Persönliche Informationen
• Scharschmidt, B.; Kopien, Persönliche Informationen, Fotos
• Schmid, K.-H.; Lexikon der Deutsche Uhrenindustrie 1850–1980
• Tölke/King; International Watch Comp.
(IWC)
• Zinner, E.: Die Remeis Sternwarte zu Bamberg 1889 – 1939, Kapitel Zeitdienst
• Zottmann, J.; Archiv der Stadt Nürnberg
• DUZ (Deutsche Uhrmacherzeitung)
1.5.1883, und 1888, No. 24
• LUZ (Leipziger Uhrmacherzeitung, vorm.
Handels-Zeitung für die gesamte Uhren-Industrie) 15.8.1894; S.22-24
• AJU (Allgem. Journal für Uhrmacher); 1896;
S.503-504
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