Das Glück schuldet mir noch etwas

Transcription

Das Glück schuldet mir noch etwas
magazine
INTERVIEW
FOTOS: MARKUS ULMER
„Das Glück schuldet
mir noch etwas“
Seit vielen Jahren
schon zählt Alessandro
Nesta zu den weltbesten Abwehrspielern.
Der 30-jährige Italiener
über die Weltmeisterschaft 2006, drei
verlorene Finalspiele,
sein abgeschiedenes
Leben und weshalb er
Ronaldinho, Ibrahimovic, Drogba und Eto’o
bewundert.
VON SERGIO DI CESARE
FIFA magazine: Der grosse Pelé
hat kürzlich gesagt: „Um ein Spiel
mit Sicherheit zu gewinnen, fehlt
der brasilianischen Mannschaft
ein einziger Fussballer: Alessandro
Nesta.“ Was sagen Sie dazu?
Alessandro Nesta: Ich danke
Pelé für diese Wertschätzung. Es ist
eines der schönsten Komplimente, das
ich je erhalten habe. Brasilien ist das
Nationalteam mit den meisten und
besten Individualisten. Ich denke da an
Ronaldinho, Adriano, Ronaldo und Kaka
– sie alle können ein Spiel bestimmen und
auch entscheiden. Trotz allem bleibt der
Fussball ein Mannschaftssport. Bei den
letzten beiden grossen Turnieren, der
Weltmeisterschaft 2002 und der EURO
2004, haben die Republik Korea, die
Türkei, Griechenland und die Tschechische Republik bewiesen, dass der
Teamgeist wichtiger sein kann als Ausnahmekönner. Dennoch bleibt Brasilien
einer der Titelfavoriten bei der WM 2006
in Deutschland.
Welche anderen Teams kommen
für den Titelgewinn in Frage?
Nesta: England. Ich kenne SvenGöran Eriksson gut, denn er war einst
bei Lazio Rom mein Trainer. Er ist
16
april 2006
ein erfahrener Coach, der weiss, wie
er die individuellen Fähigkeiten zu
einem erfolgreichen Mannschaftsspiel
verschmelzen kann. Zudem ist er ausgesprochen professionell. Er bereitet jedes
Spiel bis ins kleinste Detail vor. Hinzu
kommt, dass der englische Fussball seit
vielen Jahren nicht mehr so talentierte
Spieler wie David Beckham, Steven Gerrard, Frank Lampard und Wayne Rooney
hervorgebracht hat.
Und Italien?
Nesta: Zusammen mit Deutschland,
Argentinien und Frankreich befinden
wir uns auf einer tieferen Stufe, doch wir
können uns noch steigern. In der Qualifikation für die WM 2006 haben wir uns
stetig verbessert, besonders was den Teamgeist anbelangt, der in einem so intensiven
Turnier wie der WM eine Schlüsselfunktion einnimmt. Viele unserer Spieler
waren bereits bei der WM 2002 und
der EURO 2004 im Einsatz, wobei die
allgemeinen Leistungen dort niedriger als
erwartet waren. Wir sind Profis, wollen
eine Revanche, und vor allem könnte es
die letzte Weltmeisterschaft unserer Karriere sein. Ich werde in Deutschland zudem
mit einem besonderen Geist spielen. Bei
den letzten beiden Weltmeisterschaften
von 1998 und 2002 verpasste ich verletzungsbedingt die Spiele gegen Frankreich
und die Republik Korea.
Wie beurteilen Sie Italiens
Gruppengegner bei der WM in
Deutschland: die Tschechische
Republik, die USA und Ghana?
Nesta: Wir sind in eine sehr schwierige Gruppe geraten, vielleicht die schwierigste überhaupt. Italien war bei der
Endrundenauslosung vom vergangenen
Dezember in Leipzig zwar gesetzt, zwei
unserer Gegner, die Tschechische Republik und die USA, haben uns in der FIFAWeltrangliste inzwischen jedoch überholt.
Ghana seinerseits ist die afrikanische
Nationalmannschaft mit der steilsten
Erfolgskurve. Wir werden sicherlich nicht
das Risiko eingehen, unsere Gegner zu
unterschätzen. Nur wenige ihrer Spieler
sind in grossen europäischen Vereinen
tätig, deshalb werden sie wenig ermüdet
und voller Motivation zur WM kommen.
Die WM 2002 und die EURO 2004
haben hinreichend bewiesen, dass die traditionsreichsten Nationalmannschaften,
Italien, Deutschland, England, Frankreich und Spanien, den Nachteil hatten,
dass ihre besten Spieler nach einer langen
und kraftraubenden Saison mit den Klubs
psychisch und physisch ausgelaugt waren.
Ich schätze den Beschluss der FIFA daher
sehr, die nationalen Meisterschaften eine
Woche früher zu beenden und danach
den Spielern eine Woche völlige Ruhe
zu gönnen.
Mit Lazio, Milan und dem Nationalteam haben Sie bei allen
Finalspielen von internationalen
Wettbewerben, ausser der WM,
mitgespielt. Einige Spiele gingen
jedoch verloren, als sie bereits
gewonnen schienen …
Nesta: Gleich dreimal: das Endspiel
der EURO 2000 (wenige Sekunden
april 2006
17
magazine
INTERVIEW
vor Spielschluss lag Italien in Führung,
dann Ausgleich durch den Franzosen
Sylvain Wiltord in der 90. Minute
und schliesslich das „Golden Goal“
von David Trézéguet; Red.), dann der
Toyota Cup 2003 (Milan unterlag Boca
Juniors nach Elfmeterschiessen) und die
Champions League 2005 (Milan lag in
der ersten Halbzeit mit 3:0 in Führung,
letztlich siegte der FC Liverpool nach
Elfmeterschiessen; Red.). Ehrlich gesagt,
habe ich das Gefühl, dass mir das Glück
noch etwas schuldet. Ich bin über diese
Endspiele ein wenig verbittert. Ich merke
jedoch auch, wie in mir die Entschlossenheit wächst, es erneut zu versuchen
und zu kämpfen, um zu gewinnen. Ich
erachte jene Endspiele jedoch nicht nur
als negative Episoden und möchte daran
erinnern, dass man ein Finale erst erreichen muss, bevor man es verlieren kann.
Im modernen Fussball liegen Sieg und
Niederlage sehr nahe beieinander, oft ist
der Zufall ausschlaggebend, viel mehr als
ein effektiver Kräfteunterschied.
Sie gewähren höchst selten Interviews und schirmen Ihr Privatleben
ab wie wenige andere Fussballer.
Warum?
Nesta: Besonders in Italien ist der
Fussball immer im Brennpunkt des
öffentlichen Interesses, und dabei stehen
die Akteure oft, vielleicht zu oft, im
Vordergrund. Der Druck ist dabei riesig,
besonders in erfolgreichen Vereinen,
und um dem standzuhalten, muss man
sich schützen. Der beste Ort dafür sind
die eigenen vier Wände. Dort habe ich
das Glück, mich sehr wohl zu fühlen,
zusammen mit der Frau, in die ich seit
vielen Jahren verliebt bin. Für mich ist
es demzufolge sehr natürlich und einfach,
das Rampenlicht zu meiden. Es ist eine
18
april 2006
alessandro
nesta
„Ich muss mich
schützen, um
dem Druck
standzuhalten.“
Lebenseinstellung, eine Wertvorstellung,
die mich schon seit meiner Kindheit
begleitet. Ausserdem ist mein Zuhause der
ideale Ort, um meinen Leidenschaften zu
frönen: Film, Musik und gute Lektüre.
Als Römer und Aushängeschild
von Lazio waren Sie viele Jahre
ein bisschen der Gegenpol von
Francesco Totti, Römer und Aushängeschild der AS Roma. Wie ist
Ihre Beziehung?
Nesta: Als ich in Rom spielte,
herrschte schon eine starke Rivalität,
weniger zwischen uns als vielmehr zwischen unseren Fans und der Umgebung.
Wir waren beide Kapitäne von zwei
Vereinen, die um Titel kämpften, und da
war es nicht einfach, zwischen uns eine
grosse Freundschaft zu pflegen. Seitdem
ich hingegen für Milan spiele, hat sich
die Beziehung paradoxerweise vertieft,
besonders bei den Zusammenkünften
der Nationalmannschaft. Es verbindet
mich mit Totti die römische Herkunft,
die Zuneigung zu einer Stadt, der ich sehr
verbunden bleibe, weil sie meine Kindheit
stark geprägt hat. Meine besten Freunde
sind noch immer jene aus dem Viertel,
in dem ich geboren bin und das mich
dank des Fussballs auch als Mensch hat
wachsen lassen.
Arrigo Sacchi, Cesare Maldini,
Dino Zoff, Giovanni Trapattoni
und Marcello Lippi: Die letzten
Trainer der italienischen Nationalmannschaft haben für die Abwehr
immer auf Sie als Hauptperson
gesetzt.
Nesta: Von ihnen allen habe ich
sehr viel gelernt. Sie unterscheiden sich
zwar in ihrer taktischen Ideologie, doch
haben sie einen gemeinsamen Nenner: Als
aktive Fussballer sind sie alle Verteidiger
gewesen. Ihre Ratschläge waren während
meiner zehn Jahre im Nationalteam sehr
wertvoll und haben viel dazu beigetragen,
meine Leidenschaft für das Spiel in der
Nationalelf zu verstärken. Man kann
Geboren am: 19. März 1976 in Rom
Nationalität: Italiener
Position: Abwehr
Grösse: 187 cm
Gewicht: 79 kg
Vereine: 1993–2002: Lazio Rom. Seit 2002: AC
Milan
Erfolge: 1996: U-21-Europameister. 1998: italienischer Pokalsieger, Viertelfinale FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™. 1999: Gewinner des Europapokals
der Pokalsieger. 2000: italienischer Landesmeister,
italienischer Pokalsieger, Finalist EURO. 2002: Achtelfinale FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™. 2003:
Gewinner der UEFA Champions League, italienischer
Pokalsieger. 2004: italienischer Landesmeister,
Gruppenspiele EURO. 2005: Finalist UEFA Champions League. 73 A-Länderspiele für Italien.
Verschiedenes: Nesta wechselte 2002 für eine
Ablösesumme von 30,2 Millionen Euro von Lazio
zu Milan. Er gilt als einer der attraktivsten Fussballer
Italiens. Für Werbeauftritte mag sich der Frauenschwarm, der seit mehreren Jahren mit Gabriela
Pagnozzi verheiratet ist, aber nicht zur Verfügung
stellen; er meidet die Öffentlichkeit wenn immer
möglich. Dafür setzt er sich für humanitäre Hilfswerke ein, beispielsweise für UNICEF und für die
Adoption von armen Kindern in der ganzen Welt.
Stand: 10. Februar 2006
nicht in die Geschichte des Fussballs eingehen, ohne bei Europa- und Weltmeisterschaften eine bedeutende Rolle gespielt
zu haben. Die Tätigkeit im Verein dient
einem Spieler als Basis, doch im Herzen
der Menschen, auch der gegnerischen
Fans, erobert man nur einen Platz, wenn
man das eigene Land vertritt.
Haben oder hatten Sie ein Vorbild
als Verteidiger?
Nesta: In meiner Laufbahn bei Lazio,
Milan und der Nationalmannschaft hatte
ich das Glück, mit den Besten zu spielen:
Sinisa Mihajlovic, Fernando Couto, Billy
Costacurta, Paolo Maldini, Jaap Stam,
Ciro Ferrara, Fabio Cannavaro. Von
allen habe ich sehr viel gelernt; dabei
konnte ich sowohl als Spieler als auch
als Mensch wachsen. Der Argentinier
Antonio Chamot, mit dem ich bei Lazio
Fotos mit Symbolcharakter: Nesta ist meist vor dem
Gegenspieler am Ball.
begann, ist mir jedoch in besonderer
Erinnerung geblieben, vermutlich, weil
er mich in alle Geheimnisse dieser Position eingeweiht hat. Heute hege ich eine
grosse Bewunderung für den Engländer
John Terry vom FC Chelsea: Er ist nicht
nur in der eigenen, sondern auch in der
gegnerischen Platzhälfte ein guter Verteidiger. Er schiesst zahlreiche Tore, wofür
ich ihn am meisten beneide.
Zurück zur WM 2006: Welche
gegnerischen Stürmer fürchten Sie
am meisten?
Nesta: Ich habe grossen Respekt vor
allen, doch am meisten beeindrucken
mich Zlatan Ibrahimovic und Didier
Drogba. Sie sind die komplettesten
Angreifer der Gegenwart: grossartige
Technik, athletische Kraft, Dynamik und
Schnelligkeit. Sie können Tore auf jede
Art und in jeder Situation erzielen. Der
Kameruner Samuel Eto’o ist bei der WM
zwar nicht dabei, doch ihn bewundere
ich ebenfalls.
Welcher Spieler wird bei der WM
überragend sein?
Nesta: Ronaldinho. Er verkörpert
das Fussballspiel, wie es sein sollte: voller
Fantasie und Lebensfreude. Er schafft
es immer, das Unerwartete mit absoluter Natürlichkeit zu tun und auch die
schwierigsten Situationen in einfache
zu verwandeln. Es würde mich jedoch
nicht wundern, wenn zwei meiner
gegenwärtigen Kollegen bei Milan eine
herausragende Rolle spielen würden,
Kaka und Andriy Shevchenko. Unter
den jüngeren Spielern könnte die WM
in Deutschland dem Argentinier Lionel
Messi zum Druchbruch verhelfen.
„Ronaldinho verkörpert den Fussball, wie er
sein sollte: voller Fantasie und Lebensfreude.“
april 2006
19
magazine
SCHWEIZ
Alles andere als Zufall
Die Schweiz hat sich erstmals seit 1994 für eine Endrunde der FIFA
Fussball-Weltmeisterschaft™ qualifiziert. Der Erfolg ist ein Verdienst
von Trainer Jakob Kuhn – und eine Folge der konsequenten Nachwuchsförderung des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV).
VON GEORG HEITZ
D
ie Serie der Ungeschlagenheit dauerte 14 Spiele lang,
und als sie riss, war niemand traurig. Als die Schweizer Nationalmannschaft im November 2005
das Play-off-Rückspiel in der Türkei
im Rahmen der Qualifikation zur FIFA
Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland
2006™ mit 2:4 verlor, bedeutete dies
eine Niederlage der angenehmen Sorte.
Denn dank des 2:0-Heimsieges im Hinspiel stand die Schweiz als WM-Teilnehmer fest – erstmals seit 1994.
Um gegen die Türkei überhaupt um
einen Platz an der WM-Endrunde zu
spielen, war der zweite Rang nötig gewesen – in einer Gruppe, in der die
Leistungsträger mit Blick
nach vorne: Kapitän
Johann Vogel.
FOTOS: FOTO-NET/KURT SCHORRER
Legende
april 2006
21
magazine
SCHWEIZ
Schweiz gewiss nicht als Favorit gegolten
hatte. Gegen Frankreich erreichte die
Mannschaft zweimal ein Unentschieden, ebenso gegen die Republik Irland
und Israel, während Zypern und die Färöer je zweimal besiegt wurden.
Der populärste Schweizer
Gepriesen wurde nach der Qualifikation derjenige Mann, der auch in den
grössten Turbulenzen rund um die beiden Partien gegen die Türkei die Ruhe
bewahrt hatte: Nationaltrainer Jakob
Kuhn. Der 62-Jährige war einst der beste Spieler des Landes, mittlerweile hat
er es auch als Ausbilder zu Ruhm und
Anerkennung gebracht. Er ist einer, der
geschickt kommuniziert, der authentisch
wirkt und deswegen derzeit der vielleicht
populärste Schweizer überhaupt ist.
2001 wurde Kuhn vom U-21-Coach
zum Trainer der A-Nationalmannschaft
befördert, und seither hat er Erstaunliches geschafft. Er scheute sich nicht
davor, einen Routinier wie den langjährigen Kapitän Ciriaco Sforza auszumustern und dessen Kontrahenten und
Strategen Johann Vogel zum Nachfolger
zu küren. Kuhn klagte nicht, als sein berühmtester Stürmer, Stéphane Chapuisat, den Rücktritt aus dem Nationalteam
bekannt gab.
Der Trainer, den die Schweizer nur
„Köbi“ nennen, erneuerte beharrlich seine Mannschaft und setzte dabei vorwiegend auf jugendliches Personal, das er
von seiner früheren Tätigkeit her kannte
(er war von 1996 bis 1998 verantwortlich für die U-18). Ein Tranquillo Barnetta, der als grösstes Talent des Schweizer Fussballs gilt, ist gerade 20 Jahre alt,
ebenso wie Valon Behrami, Torschütze
im Hinspiel gegen die Türkei. Barnetta
steht beim deutschen Bundesligisten Bayer Leverkusen unter Vertrag, Behrami
bei Lazio Rom.
„Baumeister“ Hasler
Die Schweiz hat sich in den letzten
15 Jahren zum Fussball-Exportland entwickelt. Gegenwärtig sind 60 Spieler
im Ausland engagiert (siehe Kasten).
„Mehr drin als
das Achtelfinale“
Alexander Frei war mit sieben Treffern der beste Torschütze der
Schweiz in der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft
Deutschland 2006™. Im Interview blickt der 26-jährige Stürmer von
Stade Rennes zurück – und formuliert seine Ziele für die Endrunde.
FIFA magazine: Kam für Sie die
WM-Qualifikation der Schweiz
überraschend oder war sie logisch?
Alexander Frei: Sie war nicht zu erwarten. Aber man durfte im Vorfeld davon
ausgehen, dass die Schweiz guten Fussball
zeigt und sich damit auf die EURO 2008 im
eigenen Land und in Österreich vorbereitet.
Die Teilnahme an der Endrunde in Deutschland haben wir uns verdient, weil wir uns
in einer starken Gruppe durchsetzten. Der
22
april 2006
Schweizer Fussball hat einen Schritt vorwärts
gemacht.
Was zeichnet die Mannschaft
denn aus?
Frei: Wir haben einen Teamgeist, der funktioniert. Wir tragen unsere Probleme nicht
via Medien aus. Zudem sind wir ziemlich
unbekümmert aufgetreten, denn es standen
immer drei bis vier jüngere Spieler in der
Startaufstellung, die den Erfolgsdruck nicht
Von links nach rechts: Spieler Valon Behrami,
SFV-Direktor Hansruedi Hasler, Nationaltrainer
Jakob „Köbi“ Kuhn.
Die neue Generation ist selbstbewusst,
unbekümmert, spielstark und taktisch
hervorragend geschult. Dass Kuhn die
Qualifikation zur WM 2006 mit einem
Team gelang, in dem nur Torwart Pascal
Zuberbühler über 30 Jahre alt ist, ist alles
andere als Zufall. Denn seit 1995 setzte
der Schweizerische Fussballverband
(SFV) mit finanzieller Unterstützung
der Grossbank Credit Suisse akribisch
ein
Nachwuchsförderungsprogramm
um, das die Basis des Erfolges bildet. Der
so extrem empfanden. Und diese jüngeren Kadermitglieder bewiesen über acht,
zehn Partien, dass sie auf dem erforderlichen Niveau mithalten können.
Welchen Anteil hat Trainer Jakob
Kuhn am Erfolg?
Frei: Er war nicht nur an der WM-Qualifikation massgeblich beteiligt, sondern
am gesamten Aufbau des Schweizer
Fussballs in den vergangenen Jahren. Er
hatte Erfolg mit der U-21-Nationalmannschaft, danach führte er uns an die EURO
2004 und an die WM 2006. Kuhn war
selbst ein grosser Spieler, und nun ist er
auch ein grosser Trainer. Er scheute sich
nicht davor, knifflige personelle Entscheidungen zu treffen. Sein Geheimnis ist die
ausserordentliche Art, wie er Menschen
führt.
Die Ausbildung von Nachwuchstalenten beim Schweizerischen
Fussballverband gilt als vorbild-
Verband erntet nun, was er vor mehr als
zehn Jahren säte.
Der Mann, der das Konzept erarbeitete und hartnäckig umsetzte, heisst
Hansruedi Hasler. Der Direktor der
Technischen Abteilung des SFV wird
von Kuhn gerne als „Baumeister“ des
Aufschwungs bezeichnet. „Es macht
mich stolz, dass die Ausbildungsarbeit so
sehr gewürdigt wird“, sagt Hasler. Das
Kompliment dürfe aber nicht nur an
den Verband gehen, sondern auch an die
lich. Wie haben Sie dies selbst
erlebt?
Frei: Ich bin kein typisches Beispiel. Denn
als ich meine Lehrabschlussprüfungen
absolvierte, verzichtete ich eine zeitlang
darauf, in den Nachwuchsmannschaften
zu spielen. Ich stieg erst bei der U-21
wieder ein. Aber: Ich habe mitbekommen, dass sehr gute Trainer am Werk
sind. Ein kleines Land wie die Schweiz
muss talentierte Jugendspieler fördern.
Was bedeutet die WM 2006 für
Sie?
Frei: Das wird einer der absoluten Höhepunkte in meiner Karriere. Die Teilnahme
an einer WM steht für immer in meinem
Lebenslauf, das kann mir niemand mehr
nehmen. Ich betrachte die WM nicht als
Schaufenster, sondern als ein Ereignis, das
man einfach geniessen muss.
Welche Rolle wird die Schweiz
beim Turnier einnehmen? Ist sie
Vereine, die sich selbst ein Ausbildungssystem aufzwangen. Und schliesslich sei
es ein Vorteil, in der Person von Kuhn
jemanden auf dem Posten des Nationaltrainers zu wissen, der „unsere Ideen von
Anfang an unterstützte.“
Multikulturell
Eckpfeiler des Programms sind die
Anstellung von professionellen Trainern
im Nachwuchsbereich und eine klare
Spielphilosophie. Diese wiederum be-
in ihrer Gruppe Aussenseiter
oder Favorit?
Frei: Eine Mannschaft, die bis zu den
Play-offs gegen die Türkei in 14 Spielen
nie verlor, steht unter einem gewissen
Druck. Erfolge steigern die Erwartungen
der Leute immer. Wir werden ein Spiel
nach dem anderen nehmen, aber man
darf davon ausgehen, dass das Schweizer
Team mit Herz und Enthusiasmus zur
Sache gehen wird. Wir sind in unserer
Entwicklung noch nicht am Ende, die
beste Schweizer Mannschaft wird 2008
an der EURO im eigenen Land am Start
sein. Dennoch reisen wir mit Ambitionen
nach Deutschland. Es liegt mehr drin als
das Achtelfinale.
Werden Sie in Deutschland auch
Ihre Trikotsammlung erweitern?
Frei: Ich tausche oft mit meinen Gegenspielern und gebe die Shirts dann meinem
Bruder weiter. Aber ich gehe nicht zur
ghe
WM, um Trikots zu sammeln. april 2006
23
magazine
SCHWEIZ
„Wir sind in unserer Entwicklung
noch nicht am Ende.“
Alex Frei, Stade Rennes
Schweizer Talente mit ausländischen Wurzeln:
der „Italiener“ Tranquillo Barnetta (Nr. 7) und der
„Kolumbianer“ Johan Vonlanthen (rechts, rotweisses Dress).
60 Schweizer
im Ausland
Gegenwärtig (Stand: 2. Februar 2006) verdienen
60 Schweizer ihren Lebensunterhalt als Fussballer im Ausland.
18 Spieler der A-Nationalmannschaft: Valon Behrami (Lazio Rom,
Italien), Ricardo Cabanas (1. FC Köln, Deutschland), Philipp Degen (Borussia
Dortmund, Deutschland), Stéphane Grichting (AJ Auxerre, Frankreich), Ludovic
Magnin (VfB Stuttgart, Deutschland), Philippe Senderos (FC Arsenal, England),
Christoph Spycher (Eintracht Frankfurt, Deutschland), Tranquillo Barnetta
(Bayer Leverkusen, Deutschland), Alex Frei (Stade Rennes, Frankreich), Daniel
Gygax (OSC Lille, Frankreich), Benjamin Huggel (Eintracht Frankfurt), Johann
Lonfat (FC Sochaux, Frankreich), Mauro Lustrinelli (Sparta Prag, Tschechische
Republik), Patrick Müller (Lyon, Frankreich), Marco Streller (1. FC Köln), Johann
Vogel (AC Milan, Italien), Johan Vonlanthen (NAC Breda, Niederlande), Raphael
Wicky (Hamburger SV, Deutschland).
10 Spieler der U-21-Auswahl: Diego Benaglio (CD Nacional, Portugal),
Arnaud Bühler (FC Sochaux), Ferhat Cökmüs (Trabzonspor, Türkei), Stefan
Lichtsteiner (OSC Lille), Alain Rochat (Stade Rennes), Davide Chiumiento (Le
Mans, Frankreich), Marco Padalino (Piacenza, Italien), Cédric Tsimba (Sturm
Graz, Österreich), Fabrizio Zambrella (Brescia, Italien), Reto Ziegler (Wigan
Athletic, England).
32 weitere Spieler: Guilherme Afonso (Twente Enschede, Niederlande),
Gaetano Berardi (Brescia, Italien), Remo Buess (Queensland Roar, Australien),
Albert Bunjaku (FC Paderborn, Deutschland), Mario Cantaluppi (1. FC Nürnberg, Deutschland), Fabio Celestini (Getafe, Spanien), Johan Djourou (FC
Arsenal), Angelo Dorsa (Brescia), Slavisa Dugic (Salernitana, Italien), Jonas Elmer
(FC Chelsea, England), Mario Eggimann (Karlsruher SC, Deutschland), Bernt
Haas (Bastia, Frankreich), Stéphane Henchoz (Wigan Athletic), Stephan Keller
(RKC Waalwijk, Niederlande), Adnan Jasari (Ferencvaros Budapest, Ungarn),
Oumar Kondé (Hibernian Edinburgh, Schottland), Ivan Knez (FC Augsburg,
Deutschland), Jean-Pierre La Placa (Allianssi, Finnland, derzeit suspendiert),
Steven Lang (FC Nantes, Frankreich), Feliciano Magro (Djurgarden Stockholm,
Schweden), Remo Meyer (1860 München, Deutschland), Raphaël Mollet (SC
Freiburg, Deutschland), Bruno Mota (Sampdoria Genua, Italien), Blaise N’Kufo
(Twente Enschede, Niederlande), Frédéric Page (Greuter Fürth, Deutschland),
David Pallas (VfL Bochum, Deutschland), Daniel Pavlovic (SC Freiburg), Lionel
Pizzinat (Hellas Verona, Italien), Davide Redzepi (FC Modena, Italien), David
Sesa (Lanciano, Italien), Ciriaco Sforza (1. FC Kaiserslautern, Deutschland),
Rijat Shala (Salernitana).
Quelle:
Rotweiss (das offizielle Magazin des Schweizerischen Fussballverbandes)
24
april 2006
inhaltet ein „konstruktives, offensives
und gepflegtes Passspiel“, wie Hasler
erläutert, „mit besonderem Augenmerk
auf dem ‚ersten Ball‘, dem auslösenden
Zuspiel aus der eigenen Abwehrzone
heraus.“ Wichtig sei es, dass die Philosophie einheitlich angewandt werde.
Hasler: „Man kann auf unterschiedliche
Arten erfolgreich spielen, aber man muss
sich auf einen Weg festlegen und diesen
Stil dann beherrschen.“ Geleitet wird die
Ausbildung auch vom Grundsatz, dass
man Stärken der Spieler fördert statt
Schwächen auszumerzen versucht.
Hasler führte bei den jüngsten Jugendspielern den Fünfer-Fussball ein,
um den einzelnen Spielern viele Ballkontakte zu verschaffen. Die Talente werden
in der Schweiz vom Verband immer früher erfasst, bereits nehmen Elfjährige an
Lehrgängen teil. Hasler setzt periodisch
Schwerpunkte; momentan wird in den
Fortbildungskursen für Trainer der Fokus auf die Verbesserung der Schnelligkeit gerichtet.
Zahlreiche Spieler der A-Nationalmannschaft haben ausländische Wurzeln. „Wir sind eine multikulturelle
Gesellschaft“, hält Hasler fest. 20 Prozent der Bevölkerung stammen aus dem
Ausland, im Fussball liegt der Anteil von
Nicht-Schweizern bei 40 Prozent, „und
in den Nachwuchsauswahlen gar bei
50 bis 60 Prozent.“
Die meisten dieser jungen Fussballer
stammen aus fussballverrückten Ländern. Barnettas Vorfahren kommen aus
Italien, Behramis Eltern aus dem Kosovo. Die Familie von Mittelfeldspieler
Ricardo Cabanas ist genauso spanischen
Ursprungs wie der Vater von Verteidiger
Philippe Senderos, Hakan und Murat
Yakin, die beiden zuletzt dauerverletzten Teamstützen, kamen als Söhne türkischer Einwanderer in der Schweiz auf
die Welt; Johan Vonlanthen, gleichermassen launischer wie technisch versierter Angreifer, emigrierte mit seiner
Familie einst aus Kolumbien. All diese
Einflüsse macht sich der SFV zunutze.
Frühe Auslandtransfers
Der exzellente Ruf der Schweizer Talente führt dazu, dass die herausragenden
Spieler die heimische Liga oft schon im
Teenageralter verlassen. Diese Tatsache
bereitet Hasler nicht nur Freude. Für
seinen Geschmack wechseln die Talente
mitunter zu früh ins Ausland. Die „Super League“, wie die höchste Schweizer
Spielklasse genannt wird, werde oft unterschätzt. Hasler: „Sie weist bestimmt
ein höheres Niveau auf als beispielsweise
die italienische Nachwuchsmeisterschaft
oder die deutsche Regionalliga.“ Hasler
vertritt die Haltung, ein Spieler müsse
sich zuerst in der Super League durchsetzen, ehe er den Schritt über die Grenzen
wage. „Dass die besten Spieler ins Aus-
land gehen, ist wunderbar, die Frage ist
nur, wann sie dies tun.“
Die Erfolge des Schweizer Nachwuchsförderungskonzeptes – 2002 gewann die U-17 den Europameistertitel,
die U-21 stand im selben Jahr im Halbfinale des kontinentalen Wettbewerbes
und qualifizierte sich 2004 abermals für
die EM-Endrunde, und im vergangenen
Jahr nahm die Schweiz erstmals in der
Geschichte an einer FIFA JuniorenWeltmeisterschaft teil – haben die
Aufmerksamkeit externer Beobachter
hervorgerufen. Kürzlich kamen 30 japanische Trainer auf eine Arbeitsvisite in
die Schweiz, um das Programm zu studieren, und Hasler stellte seine Ideen auf
Kongressen der UEFA vor. Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) lud ihn zu
Referaten ein, was für einen Schweizer
eine Ehre bedeutet, weil sich der grosse,
fussballerisch bewunderte und gefürchtete Nachbar womöglich Teile des Konzeptes abkupfert.
Trotz der riesigen Resonanz und
trotz allen Lobes sieht Hasler noch einige Verbesserungsmöglichkeiten. Die
Schweizer Mannschaften sind für seinen
Geschmack zu wenig effizient. Ursache
dafür sei, dass nach wie vor viel zu we-
nig individuell trainiert werde. „Schon
vor Jahren hat man ein spezifisches Torhütertraining eingeführt, aber Stürmer
und Verteidiger absolvieren fast immer
dieselben Übungen; das kann doch von
den unterschiedlichen Spielpositionen
her nicht sein.“ Vor drei Jahren hat er
Massnahmen eingeleitet, um diesen
Missstand zu beheben.
Hasler weiss, dass der Fussball aus
Zyklen besteht, dass die Erfolgswelle
dereinst wieder abebben kann: „Wir unterliegen dem Gesetz der beschränkten
Anzahl Spieler.“ Deutschland zum
Beispiel verfüge über 30 Mal so viele
Fussballer wie die Schweiz mit ihren
200 000 Aktiven. Deshalb wird er weiter
unermüdlich und innovativ seine Anliegen umsetzen, um die beschränkten
Ressourcen auszuschöpfen.
Im Juni wird Hasler mit Kuhn und
dessen Team bei der WM – notabene der
bereits achten Endrundenteilnahme der
Schweiz – in Deutschland mitfiebern.
Natürlich erhofft sich der Direktor dabei
das Erreichen des Achtelfinales. Noch
wichtiger allerdings sind ihm drei „gute,
konstruktive, offensive Auftritte“ in den
Gruppenspielen. Getreu seinen eigenen
Leitsätzen.
april 2006
25
magazine
Lionel Messi
Ein Juwel für
150 Millionen Euro
Mit dem 18-jährigen Lionel Messi vom FC Barcelona
strahlt ein neuer Stern am spanischen und argentinischen Fussballfirmament, der bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006™ noch
heller leuchten dürfte.
VON PACO AGUILAR
S
chon seit Monaten schwärmen
Ronaldinho und Deco vom
Fussballwunder Messi, der für
sein Alter erstaunlich abgeklärt sei und
sich im Fussballtennis eins gegen eins
einzig ab und an Ronaldinho geschlagen geben müsse. Grosses Lob aus dem
Mund der beiden Stars des FC Barcelona, das sich der argentinische Angreifer
mit seiner Leistung bei der FIFA Junioren-Weltmeisterschaft
Niederlande
2005 aber mehr als verdient hat. Mit
seinen glanzvollen Auftritten in der argentini-schen Auswahl sandte das Nachwuchstalent eine klare Botschaft an den
FC Barcelona: Mit seinem Dasein in der
2. Mannschaft war er alles andere als zufrieden. Denn trotz seines furiosen Einstands in der Primera División ein Jahr
zuvor gegen Albacete, bei dem ihm auf
Anhieb ein Tor gelang, musste Messi als
Nicht-EU-Bürger fortan mit der Segunda B (dritte Liga) Vorlieb nehmen.
Nach der überragenden Leistung
und seiner Wahl zum besten Spieler der
Weltmeisterschaft wurde Messi beim
Blaugrana-Pokal von Frank Rijkaard für
das Spiel gegen Juventus aufgeboten.
Der Jungstar sollte es ihm mit einem
grossartigen Auftritt danken, der selbst
Fussballkenner Fabio Capello verblüffte: „Während einiger Minuten wähnte
ich Diego Armando Maradona auf dem
Platz. Einen erfahrenen Verteidiger wie
Fabio Cannavaro so auszuspielen, das
konnte bislang nur einer. Ich habe noch
nie einen Fussballer in Messis Alter gesehen, der mit dem Ball so schnell und so
virtuos umzugehen vermag.“
Capello war so begeistert, dass er Luciano Moggi, dem Manager von Juventus Turin, zur Verpflichtung des Talents
riet, zumal Messi für einen Spottpreis
zu haben war. Auf lächerliche 450 000
Euro war die Transfersumme in Messis
Vertrag festgeschrieben – kein Wunder
also, waren neben der „Alten Dame“
auch Inter Mailand und Real Madrid
hinter dem Wunderstürmer her. Für den
FC Barcelona höchste Zeit zu reagieren,
wollte er den Argentinier nicht verlieren.
Allein Barças Kontingent für Nicht-EUSpieler war bereits erschöpft. Doch mit
einem kleinen Kunstgriff, sprich Messis
Einbürgerung, liess sich auch diese Hürde überwinden.
Barça-Präsident Joan Laporta wollte
nichts anbrennen lassen und schloss mit
dem 18-jährigen Doppelbürger gleich
einen Vertrag bis 2014 ab, in dem die
Transfersumme auf sage und schreibe
150 Millionen Euro festgeschrieben
wurde.
Das Debüt in der argentinischen ANationalmannschaft liess in der Folge
nicht lange auf sich warten. Am 17. August 2005 kam Messi wie einst Diego
Armando Maradona gegen Ungarn zu
seinem ersten Länderspielauftritt, der
mit einem ungerechtfertigten Feldverweis aber unglücklich endete.
Nach der verpatzten Vorstellung im
Freundschaftsspiel in Budapest bekam
Messi im WM-Qualifikationsspiel gegen
Peru ein weitere Chance, die er prompt
nutzte. Selbst Trainer José Pekerman war
voll des Lobes: „Leo ist ein Wunder, ein
echtes Juwel, das können Sie mir glauben.“ Leo war eine Inspiration für die
ganze Mannschaft um einen Román
Riquelme in Höchstform. „Leo ist ein
ganz besonderer Spieler, der Argentinien
noch viel Freude bereiten wird“, meinte
José Pekerman nach Messis erstem Einsatz über 90 Minuten.
Voll des Lobes
Román Riquelme, der bei Villarreal
(Spanien) unter Vertrag steht, sagt Messi
ebenfalls eine grosse Zukunft voraus: „Er
wird zweifellos ein ganz Grosser des Fussballs werden. Doch man muss ihm Zeit
lassen. Nur wenn man ihn nicht unter
Druck setzt, wird er sein Potenzial wirklich ausschöpfen.“
Diego Armando Maradona, der Messi in seine erfolgreiche Fernsehshow
„La noche del 10“ nach Buenos Aires
eingeladen hatte, ging gar noch einen
Schritt weiter: „Messi und Ronaldinho
sind die besten Fussballer der Welt. Das
ist mein voller Ernst. Leo ist die Zukunft des argentinischen Fussballs. Ich
hoffe, dass er bei der Weltmeisterschaft
2006 Stammspieler sein wird.“ Und
weiter: „Leo Messi ist mir sehr ähnlich.
Er wird weder besser noch schlechter
werden als ich, sondern einfach seinen
Weg machen. Er wird es weit bringen,
da er das Zeug zum Champion hat und
Verantwortung übernimmt. Wie er den
Ball annimmt, ist traumhaft.“ Lob hin
oder her, für Messi ist und bleibt Maradona der Grösste: „Vor mir liegt noch
viel Arbeit, bis ich einem Vergleich mit
fOTO: IMAGO
26
april 2006
april 2006
27
magazine
Lionel Messi
ihm auch nur annähernd standhalten
kann.“ Noch ist der Respekt vor dem
grossen Idol, der legendären argentinischen Nummer 10, gross, wie Leos
Antwort auf Maradonas Frage „Wie
geht’s?“ zeigt: „Ich zittere
am ganzen Körper.“
Hristo Stoitschkow, einer
der Barça-
Stars unter
Johan Cruyff
und
Europas
Fussballer des Jahres 1994, hält Messi
ebenfalls für einen der
kommenden Stars, sofern ihm der
erforderliche Freiraum und vor
allem genug Zeit gegeben wird.
„Messis Erfolgsrezept ist seine
Unbekümmertheit. Er spielt frei
von der Leber weg, egal ob in
der Champions League gegen Juventus oder in der Meisterschaft.
Wichtig ist, dass man ihm diese
Spielfreude lässt und ihn zu nichts
zwingt. Die Probleme der Mannschaft und der älteren Spieler zu lö-
1890 - 22 footballers use net for first time.
Lionel
messi
2006 - Millions of fans use net billions of times.
20 million fans visited the Yahoo! hosted 2002 FIFAworldcup.com site 2.4 billion times.
We’re ready for more, are you?
Geboren am: 24. Juni 1987 in Santa
Fe (Argentinien)
Nationalität: Argentinier
Grösse: 169 cm
Gewicht: 67 kg
Position: Stürmer
Vereine: 1995–2000: Newell’s Old Boys
(Argentinien). Seit 1995: FC Barcelona
Erfolge: Gewinn der FIFA Junioren-Weltmeisterschaft Niederlande 2005, Auszeichnung als erfolgreichster Torschütze
und bester Spieler des Turniers. Spanischer
Landesmeister 2005. Am 1. März 2005 im
Meisterschaftsspiel gegen Albacete gelang
ihm das erste Tor für die erste Mannschaft.
Mit 17 Jahren, 10 Monaten und 7 Tagen
war er zudem der jüngste Spieler, der je bei
den Barça-Profis gespielt hat.
Stand: 28. Februar 2006
sen, ist nicht Aufgabe eines 18-Jährigen“,
so der bulgarische Nationaltrainer.
Der schwedische Starstürmer Henrik
Larsson hält ebenfalls viel von seinem
Mitspieler beim FC Barcelona: „So jung
und schon so talentiert, das ist selten.
Messi hat bewiesen, dass er trotz starker
Konkurrenz in die erste Mannschaft von
Barça und in das argentinische Nationalteam gehört. Trotz seiner geringen Grösse
ist Leo kräftig. Er spielt ohne Furcht und
ist nur schwer vom Ball zu trennen.“
Trainer Frank Rijkaard baut Messi behutsam auf, indem er ihn im Wechsel mit
dem französischen Nationalspieler Ludovic Giuly einsetzt. Der Niederländer
weiss um die grossen Qualitäten seines
Schützlings: „Messi ist ein Ass. Genau
darum ist er bei Barça. Er ist unglaublich talentiert und weiss auf dem Platz im
Gegensatz zu vielen anderen genau, was
er will. Noch fehlt es ihm an der nötigen Konstanz, doch wir lassen ihm Zeit,
damit er sein Spiel entwickeln kann.“
Selbst Ludo Giuly, der mit ihm um einen
Stammplatz kämpft, lobt Leos besondere
Fähigkeiten und ist über die Rotation mit
Messi keineswegs unglücklich.
2 Freunde, 2 Vorbilder
Mit dem Portugiesen Deco und dem
Brasilianer Ronaldinho hat Messi in
Barcelona zwei prominente Förderer,
die dem Jungstar mit Rat und Tat zur
Messi neben Argentiniens
National­trainer José Pekerman.
FOTOS: IMAGO
april 2006
29
magazine
Lionel Messi
Seite stehen. Selbst als Chauffeure (Messi besitzt noch keinen Führerschein)
sind sich die beiden nicht zu schade.
„Mit jedem Training und jedem Spiel
wird Leo besser. Er ist unglaublich
schnell und könnte mit seiner Technik
gut und gerne als Brasilianer durchgehen“, scherzt Ronaldinho, der von der
fussballerischen Entwicklung des Argentiniers immer wieder aufs Neue überrascht ist. „Ich helfe ihm, so gut ich
kann. Er wird seinen Weg bei Barça und
mit Argentinien machen und spricht gar
schon davon, mir mit Argentinien den
WM-Titel abzuluchsen. Dieser Junge ist
ein richtiges Schlitzohr, das es noch weit
bringen wird.“
Nicht minder beeindruckt ist Deco,
der Messi gegen aussen abschirmt und
ihm in schwierigen Momenten beisteht,
so auch, als er beim FC Barcelona als
überzähliger Ausländer zur Untätigkeit
gezwungen war. „Auf dem Platz ist Leo
nicht wieder zu erkennen. Er weiss genau, was er mit dem Ball zu tun hat. Ob
alleine, im Zusammenspiel mit seinen
Messi ist oft nur
mit Foulspiel zu
stoppen.
FOTOS: AFP/KEYSTONE
Mitspielern oder als Vorbereiter: Es ist
einfach unglaublich, wie schnell er sich
bewegt“, staunt Deco.
Neben dem Rasen ist Messi überaus
bescheiden, scheu und zurückhaltend.
Ganz anders zusammen mit seinen Kumpels Ronaldinho und Deco, die ihn seiner argentinischen Heimat wegen gerne
aufziehen. Mit 18 Jahren ist Messi bereits
ein Superstar mit einer ausnehmend pro-
minenten Fangemeinde: Der populäre
argentinische Schauspieler Ricardo Darín
kam eigens ins Camp Nou, um Leo kennen zu lernen und ihn um sein Trikot
zu bitten. Joan Laportas Vergleich mit
Johan Cruyff und Diego Armando Maradona mag noch etwas hoch gegriffen
sein, doch Messi ist auf dem besten Weg,
den Fussballolymp zu erklimmen.
Familienmensch
Messis Dank an die Fans
für ihre Unterstützung.
Lionel „Leo” Messi ist auf den ersten
Blick ein ganz normaler Teenager, doch
auf den zweiten Blick ist er weit mehr.
Nach dem frühen Schulabgang wanderte er mangels Perspektiven zusammen mit seiner Familie nach Spanien
aus, wo er beim FC Barcelona professionelle Hilfe bei der Behandlung der bei
ihm festgestellten Wachstumsstörungen
fand. Der Vorzeigeklub scheute weder
Kosten noch Mühen, um Messi erfolgreich zu therapieren.
Während seine Mutter Celia, wie Leo
von Heimweh geplagt, mit seinen
beiden Geschwistern María Sol und
Matías nach Santa Fe zurückkehrte,
blieben Vater Jorge und Bruder Rodrigo
bei ihm. Für Leo keine einfache Situation, da er seine Mutter schwer vermisst.
Daran ändert auch die Webcam nichts,
dank der er seine Mutter täglich sehen
kann. Zu schwer wiegt der Verzicht auf
die mütterliche Kochkunst.
Viel Zeit verbringt Leo mit der Familie
seines Bruders Rodrigo. In seine beiden
kleinen Neffen Tomás und Agustín ist
er ganz vernarrt. Regelmässig lässt
er sie im Camp Nou zusammen mit
Ronaldinho und Deco fürs Familienalbum posieren.
Neben dem Fussballplatz sucht Messi
die Ruhe. Gross ausgehen mag er nicht.
Vielleicht ein bisschen fernsehen oder
Playstation spielen, wenn auch nicht
mehr so oft wie früher. Am liebsten
verbringt er seine Freizeit aber mit seiner
Familie und seinen Freunden zu Hause
bei einer Tasse Tee. Von sich selber sagt
Messi, dass er gerne ausschlafe und seit
Kindesbeinen an ein schlechter Verlierer
sei. Siegen lautet seit je seine Devise.
pag
april 2006
31