Entwicklungsperspektive der Jugendhilfe
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Entwicklungsperspektive der Jugendhilfe
Kapitel 8: Entwicklungsperspektiven der Jugendhilfe im Rahmen von Sozialpolitik Thema: Rechte von Kindern und Jugendlichen Martina Kriener/ Matthias Bartscher Rechte von Kindern und Jugendlichen als Herausforderung an die Jugendhilfe Die in der Kinderrechtsdebatte seit einigen Jahren geforderte Stärkung vorhandener und Schaffung neuer Rechte von Kindern sollen die Bedingungen des Aufwachsens für die „Schwächsten“ in der Gesellschaft verbessern. Viele Begleiterscheinungen des gesellschaftlichen Wandels, wie z.B. veränderte Familienformen, die prekäre ökonomische Situation vieler Familien, die ungleiche Stellung von Männern und Frauen, das unzulängliche Angebot ergänzender familialer Betreuungs- und Bildungsleistungen, die knapp gewordene Erwerbsarbeit und die städtebaulichen Veränderungen der Lebenswelt kumulieren in den Jahren der Kindheit. Vielfach wird das Verhältnis unserer Gesellschaft zu ihren Kindern mit Begriffen wie „Kinderfeindlichkeit“, „struktureller Rücksichtlosigkeit“ oder „kinderentwöhnter Gesellschaft“ beschrieben (BMFSFJ 1998). Darüber, dass wichtige Bedingungen des Aufwachsens unserer Kinder verbessert werden müssen, herrscht weitgehend Einigkeit. Die Debatte um die Kinderrechte, die durch die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 (in Deutschland 1992 ratifiziert) beträchtlich an Gewicht gewonnen hat, führte auch in der Jugendhilfe zu Diskussionen über die Sicherung und Förderung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Dass es hier einen anhaltenden Diskussionsbedarf gibt, machen immer von neuem feststellbare Spannungsfelder in der Jugendhilfe deutlich, z. B. um die Gewichtung zwischen Kinder- und Elternrechten, zwischen Schutz- und Autonomiebedürfnissen von Kindern oder im Hilfeverständnis zwischen Fürsorge und Lebensweltorientierung. Wenn diese Spannungsverhältnisse konstruktiv gelöst werden sollen, ist die Jugendhilfe stärker als bisher gefordert, die Rechte von Kindern wahrzunehmen und zu sichern, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres Aufgabenbereiches. Welche Herausforderungen und Perspektiven Kinderrechte für die Jugendhilfe bedeuten, dieser Frage wollen wir in dem vorliegenden Beitrag nachgehen. Im ersten Schritt werden wir einen Überblick über die Entwicklung der Rechte von Kindern und Jugendlichen geben, die eng an das jeweilige historische Verständnis von Kindheit gekoppelt ist. Auch heute hat die Vorstellung, was Kindheit gesellschaftlich ausmacht, Bedeutung für die unterschiedlichen fachlichen Positionen (1.). Im zweiten Schritt werden aktuelle Auseinandersetzungen in der Kinderrechtsdebatte in ihrer Bedeutung für die Jugendhilfe diskutiert (2.). Im letzten Schritt werden wir notwendige Schritte für die Weiterentwicklung von Kinderrechten, wie sie von zentralen Positionen formuliert werden, darstellen. Am wichtigsten erscheint uns, daß die Jugendhilfe den Paradigmenwechsel von der für- sorgenden Hilfe zur Gestaltung einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt ernsthaft vollzieht. Diese zentrale These werden wir an drei ausgewählten Beispielen konkretisieren (3.). 1. Kinderrechte, Kindheit und Kinderpolitik Die Entwicklung der Kinderrechte steht im Zusammenhang mit den sich entwickelnden Vorstellungen von Kindheit. Sie stellen die rechtliche Kristallisation von anthropologischen, pädagogischen und psychologischen Einsichten in einem jeweiligen historischgesellschaftlichen Kontext dar. Diese sind – auch historisch – nie eindeutig gewesen, vielmehr gab es in der Auffassung, was „Kindheit“ ausmacht, immer differerierende Auffassungen. Diese sind dann jeweils auch handlungsleitend für konkrete Kinderpolitik. 1.1. Die Entwicklung von Kinderrechten Historisch gesehen waren die Kinderrechte zunächst eine Frage des Kinderschutzes. Die radikale Verelendung der Kinder im beginnenden Industriezeitalter schuf das Bewußtsein von ihren leiblich-seelischen Bedürfnissen, von ihrem Recht auf ein kindliches Leben und von ihrer Schutzbedürftigkeit (Flitner 1987). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Gesetze für den Kinder-Arbeitsschutz (“Preussisches Regulativ“ 1839: Verbot der Arbeit von Kindern unter neun Jahren, Beschränkung der Arbeitszeit der neun – fünfzehnjährigen auf zehn Stunden täglich). Der Schutz von Kindern ist im Laufe der Zeit erweitert worden auf den Schutz vor Gewalt und Mißbrauch und umfasst heute auch den Schutz vor Vernachlässigung und den Schutz der seelischen Gesundheit (z.B. aktuell das Gesetz zur gewaltfreien Erziehung). Seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde deutlich, dass für die Entwicklung der Kinder über den Kinderschutz hinaus eine Förderung erforderlich war. Die Schulpflicht, im Sinn von Unterrichtspflicht 1717 in Preußen eingeführt, musste damals gegen die weit verbreitete Kinderarbeit durchgesetzt werden und verband die Schutzperspektive mit der Förderung im Sinne schulischer Bildung. Der Gedanke einer durchgreifenden Fördernotwendigkeit von Kindern setzte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch, z. B. mit der „Erfindung“ des Kindergartens. Im § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes wurde 1922 das „Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit“ verankert (BMFSJF 1998). Nach der Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (1991) heißt es heute: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 KJHG). Eine weitere Etappe der „Entdeckung“ kindlicher Rechte bezieht sich auf ihre Partizipation an sie betreffenden Fragen und Entscheidungen. Die reformpädagogische Bewegung forderte bereits zum Ausgang des 19. Jahrhunderts eine radikale Bezugnahme auf die Subjekthaftigkeit von Kindern und das Ernstnehmen ihrer Meinungs- und Willensäußerungen. Deren Bemühungen wurden durch den Nationalsozialismus ein Ende gesetzt. Erst in Folge der durch die studentischen Protestbewegungen ausgelösten Demokratisierungsbestrebungen und verstärkt durch das Internationale Jahr des Kindes (1979) erhielten auch eigenständige Beteiligungsrechte von Kindern Gewicht. Wichtige Stationen der Kinderrechtsentwicklung waren in den letzten 20 Jahren: • 1990: Kinder- und Jugendhilfegesetz mit dem für alle Aufgaben geltenden Grundsatz der „Beteiligung von Kindern“ (§ 8 KJHG) • 1992 deutsche Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention, die gleichermaßen Schutzrechte und Partizipationsrechte (freie Meinungsäußerung, rechtliches Gehör, Versammlungsfreiheit, Informationsfreiheit etc.) betont, • 1998: Kindschaftrechtsreform mit dem Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern (§ 1684 BGB), dem Recht auf Beteiligung bzgl. der Wahrnehmung der elterlichen Sorge (§ 17 KJHG) oder dem Recht auf eine/n VerfahrenspflegerIn zur Wahrnehmung der kindlichen Interessen (§ 50 FGG). • Die Änderung der Gemeindeordnungen in Schleswig-Holstein, Hessen und RheinlandPfalz und weiteren Bundesländern mit dem Auftrag an die Kommunen, Kinder und Jugendliche in geeigneter Weise an kommunalen Entscheidungen zu beteiligen. Insgesamt kann die Geschichte der Kinderrechte als eine kumulative Entwicklung gezeichnet werden, in der nach dem Recht auf Schutz (protection) und dem Recht auf Förderung (promotion) das Recht auf Beteiligung (participation) als dritte Säule kinderrechtlicher Bemühungen hinzu kam. 1.2 Gesellschaftliche Konstruktionen von Kindheit . Kinderrechte haben, das wurde in den vorausgegangenen Überlegungen deutlich, einen besonderen Status. Auf der einen Seite sind Kinder im Verhältnis zu Erwachsenen grundsätzlich gleichberechtigte und gleichwertige Menschen. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1968, dass Kinder „Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Grundgesetz“ sind (BverfG 24, 119, 144). Gleichzeitig sind Kinder in ihrem Aufwachsen und Selbständigwerden physisch und psychisch auf die Erwachsenen angewiesen und haben im Unterschied zu Erwachsenen ein Recht auf eine Entwicklungsphase. Entsprechend ist die Pflege und Erziehung das „natürliche Recht und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht der Eltern“, über deren Betätigung die staatliche Gemeinschaft wacht (§ 1 Abs. 2 KJHG). Die rechtliche Subjektstellung der Minderjährigen steht damit in einem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis zur Verantwortung der Eltern und des Staates für die Bedingungen des Aufwachsens von Mädchen und Jungen. Die Bewertung bzw. Interpretation dieses Spannungsverhältnisses prägt unterschiedliche Wahrnehmungsmuster von Kindheit sowie verschiedene Legitimationsmuster im Engagement für Kinderrechte. So wird schon die historische Entwicklung der Kindheit als exklusive Phase höchst unterschiedlich gesehen. Aries (1975, S. 562) bewertet die Geschichte der Kindheit als einen Prozess zunehmender Beherrschung und Objekthaftigkeit von Kindern. Nahmen im Mittelalter und der frühbürgerlichen Epoche Kinder eher unauffällig am Leben der Erwachsenen teil , sei durch die Familie und die Schule das Kind aus der Gesellschaft der Erwachsenen herausgerissen worden. „Die Besorgnis der Familie, der Kirche, der Moralisten und der Verwaltungsbeamten hat dem Kind die Freiheit genommen, deren es sich unter den Erwachsenen erfreute” (ebd.). Ganz anders interpretiert de Mause (1977, S.12) die Geschichte der Kindheit, nämlich als eine zunehmende Befreiung des Kindes: “Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen. Je weiter wir in die Geschichte zurück gehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, die Fürsorge für sie, und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell missbraucht werden.” Die Befreiung sieht de Mause in einem sich verändernden Erwachsenen-Kind-Verhältnis, in dem die Eltern zunehmend lernen, auf autoritäres Verhalten und Disziplinierung zu verzichten und Erziehung schließlich durch Beziehung zu ersetzen. Unterstreicht Aries die Subjekthaftigkeit und direkten Teilhaberechte von Kindern, knüpft de Mause die Realisierung der Kinderrechte deutlich an die Elternverantwortung. Die verstärkte Betonung und Forderung von Partizipation in der Kinderrechtsdebatte steht für einen neuen Blick auf Kindheit. Kinder werden dabei als eigenständige Subjekte gesehen, die sich von der Welt der Erwachsenen nicht durch einen „Entwicklungsrückstand“, sondern durch eine andere Gestalt ihrer Subjektivität unterscheiden, auch wenn sie zu den gesellschaftlichen Gruppen gehören, denen für die Äußerung ihrer Ansprüche (aufgrund ihrer Minderjährigkeit) kaum formale Verfahren zur Verfügung stehen. Erst die Wahrnehmung und Anerkennung die eigenständigen kulturellen Muster von Kindheit ermöglichen eine Kinderpolitik, die auf die Gleichwertigkeit von Kinder- und Erwachseneninteressen setzt. In einer solchen Perspektive werden Kinder nicht mehr nur unter dem Paradigma der Entwicklung zum Erwachsenen gesehen, sondern dieses wird ersetzt bzw. ergänzt durch das Paradigma der Differenz zum Erwachsenen (Honig/ Leu/ Nissen 1996). 1.3. Kindheitskonzepte als Basis für knder- und jugendpolitische Optionen Die aufgezeigten Positionen sind kennzeichnend für verschiedene Ansätze der Kinderpolitik. Hierzu unterscheidet Lüscher (1996) idealtypisch drei kinderpolitische Leitbilder: “Bemühung um Fürsorge und Anwaltschaft”, “Bemühung um Emanzipation” und “Bemühung um eine Ökologie menschlicher Entwicklung”. Der erste Ansatz betont die spezifischen Bedürfnisse nach Erziehung und Schutz von Kindern und unterstreicht entwicklungsbedingte Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen. Entsprechend liegen Schwerpunkte dieser kinderpolitischen Konzeption in der Forderung nach anwaltlicher Vertretung von Kinderinteressen z.B. durch Kinderanwälte, nach Lobbyarbeit für Kinder durch Kinderbüros und Ombudspersonen. Auch Forderungen nach Gestaltung einer kinderfreundlichen Umwelt und “Kinderverträglichkeitsprüfungen” lassen sich als Bestandteil dieses Leitbildes interpretieren. Das zweite Leitbild “Bemühung um Emanzipation” verweist auf die Subjekthaftigkeit von Kindern und darauf, dass die Rechte, Bedürfnisse und Wünsche von Kindern prinzipiell gleichrangig sind. Eine demokratische Gesellschaft muss daher Mädchen und Jungen Wege der Beteiligung und Mitentscheidung innerhalb und außerhalb parlamentarischer Verfahren eröffnen. Praktische Anknüpfungspunkte sind vor allem direkte Formen der Beteiligung von Jugendlichen in Schülergremien, Jugendparlamenten, als Mitglieder von Jugendhilfeausschüssen etc. aber auch Forderungen nach eigenen Antragsrechten oder besserer Absicherung von Kindern gegen Erwachseneninteressen folgen diesem Leitbild. Das dritte Leitbild “Bemühung um eine Ökologie menschlicher Entwicklung” zielt auf die Gleichwertigkeit von Kinder- und Erwachseneninteressen. Beteiligung ist nach diesem Konzept ohnehin Bestandteil jeder vernünftigen Erziehung, wobei “Vernunft” insbesondere meint, dem “natürlichen” Bestreben von Kindern nach Umwelt- und Selbstaneignung Raum zu geben. In diesem Modell – das auch im Zehnten Jugendbericht (1998) vertreten wird – bedeutet die Entwicklung von Kinderrechten, diese sowohl als Förderungsverpflichtung der Eltern und der staatlichen Gemeinschaft zu sehen, als auch Kindern die ihrem Alter angemessenen Selbstbestimmungs- und Beteiligungsrechte zu sichern. Politik für Kinder in diesem Sinne muss mit den aufgezeigten Spannungen umgehen. Gefahren bestehen zum einen in einer bevormundenden Haltung, die Kinder nicht ernst nimmt und ihnen den Respekt versagt, zum anderen in einer Überforderung der Kinder durch Abwälzung der Erwachsenenverantwortung (BMFSFJ 1998). An das sozialökologische Kinderpolitikmodell knüpfen damit alle jene Ansätze an, die auf kindgerechte Beteiligungsmodelle setzen und im Rahmen derer sich Erwachsene für die Belange von Kindern einsetzen, die Lebensverhältnisse mit Blick auf das Wohlergehen von Mädchen und Jungen analysieren und wirkungsvoll gestalten. 2. Aktuelle Diskussionen zur Umsetzung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe Die Kinderrechtsdebatte trifft in der Jugendhilfe auf eine Phase, in der diese den Paradigmawechsel weg von einer obrigkeitsstaatlichen Fürsorgeorientierung hin zu einer an den Bedürfnissen der AdressatInnen orientierten Sozialleistung zu realisieren suchtIn der Praxis der Jugendhilfe stellt das Spannungsverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen nach wie vor eine der zentralen Diskussionspunkte dar. Zudem stellt die Partizipationsprämisse neue Anforderungen an die pädagogische Arbeit mit Mädchen und Jungen. Und schließlich wird in den letzten Jahren verstärkt die Frage individueller Verantwortung aufgegriffen, die sich berechtigterweise auch für Kinder und Jugendliche stellt, wenn für ihre aktive Beteiligung an der Gestaltung ihrer Lebenswelt vernünftige Rahmenbedingungen gegeben sind. 2.1. Das Spannungsverhältnis zwischen Eltern- und Kinderrechten Sowohl die UN-Kinderrechtskonvention als auch das KJHG betonen nach wie vor die Schutzwürdigkeit und entwicklungsbezogene Förderungsnotwendigkeiten von Kindern und stellen damit nach wie vor im Wesentlichen Elternrechte dar (vgl. z.B. Borsche 1991, Münder 1999). Auch wenn bei der Verabschiedung des KJHG versucht wurde, die elternlastige Dominanz des ersten Entwurfes durch die Einfügung des § 8 auszugleichen, konnte „der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und Kindesrechten im Bereich der Jugendhilfe (...) nicht lösen“( Münder 1999: 7). Münder ist allerdings auch der Auffassung, daß der Ausgleich dieses Spannungsverhältnisses auf der Gesetzesebene überhaupt zu realisieren ist. Die völlige Gleichstellung von Kindern und Erwachsenen ist weder sachlich zu begründen noch praktisch durchzusetzen. Vielmehr wird die Aufgabe der nächsten Dekade darin bestehen, das Spannungsverhältnis auf verschiedenen Ebenen konstruktiv zu gestalten: dazu gehört die Berücksichtigung des Kindeswillens in konkreten Einzelentscheidungen in Gerichts- und Verwaltungsverfahren, sofern „Einsichtsfähigkeit“ vorliegt (vgl. Münder 1999: 11), die Schaffung weiterer Teilmündigkeiten für Kinder und Jugendliche analog zur kommunalen Wahlberechtigung von 16jährigen in einigen Bundesländern, die Formulierung von Antragsrechten für Jugendliche im KJHG entsprechend zum § 36 SBG I sowie die Umsetzung der gesetzlich formulierten Beteiligungsrechte im Alltag von Kindern und Jugendlichen. 2.2. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als Prämisse in der pädagogischen Beziehung Die durchgehende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Jugendhilfe, in der Schule und in kommunaler Politik ist auf der rechtlichen Ebene und in programmatischen Forderungen grundsätzlich abgesichert. Doch ist nach wie vor nicht davon auszugehen, daß die Jugendhilfe den Beteiligungsgedanken konsequent aufgegriffen und umgesetzt hat. Vielmehr werden zur Zeit eher die politischen Profilierungschancen genutzt, indem das Themenspektrum mit exemplarischen und befristeten Ansätzen abgedeckt wird (vgl. Bartscher 1998, Kap. 2). Es gibt vielfältige Ansätze und Methoden; dennoch „ist nach wie vor eine deutliche Diskrepanz zwischen öffentlichkeitswirksamer Darstellung und realer Verbreitung festzustellen (...)“ (BMFSfJ 1998: 154). Mit der Konkretisierung von Beteiligungsrechten ist eine Auseinandersetzung um das pädagogische Selbstverständnis von Erwachsenen notwendig. In der pädagogischen Tradition ist die Berücksichtigung von partizipatorischen Elementen über die konzeptionellen Ebene oder vereinzelte Modellprojekte selten hinausgekommen (vgl. Bartscher 1998: Kap. 6; Hoffstadt/Malmede 1995), vielmehr waren Schutz und Förderabsichten in der Regel dominierend. Während im Handeln aus Schutzmotiven und Förderzielen heraus immer die Gefahr besteht, Kinder und Jugendliche zu Objekten besserer oder wohlgemeinter Absichten zu machen (vgl. Gruschka 1988), bringt die Dimension der „participation“ eine größere Chance mit sich, Erziehung intersubjektiv zu praktizieren. Die Meinungen, Wünsche und Willensäußerungen von Kindern sind eigenwertig und können nicht unbegründet und nicht ohne reguläre Verfahren übergangen werden. Im Erziehungsalltag deutet sich dieser Trend seit längerem an: „Es gibt im Umgang von Erwachsenen mit Kindern eine Tendenz vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln. (...) Kinder dürfen heute umfassender mitreden und von den Erwachsenen Begründungen für ihre Gebote und Verbote einfordern“ (Wolf 2000: 7). Wolf macht allerdings berechtigterweise darauf aufmerksam, daß mit der Verlagerung auf eine Verhandlungsstrategie Machtunterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen nicht generell nivelliert, sondern tendenziell von den Kindern internalisiert werden. Es besteht die Gefahr, daß der äußere Erziehungsdruck über Gebühr auf die innere Gewissensebene der Kinder verlagert wird. Die Herausforderung zu einer stärkeren Integration von Beteiligungsstrukturen in pädagogisches Handeln stellt sich vordringlich in den pädagogischen Institutionen, die damit beispielhaft auch für einen anderen Umgang in Eltern-Kind-Beziehungen wirken können. Während Erzieher, Sozialpädagoginnen und Lehrer zwar die Verbesserung von Kinderrechten und ihre gesamtgesellschaftliche Beteiligung oftmals lautstark einklagen, läßt die erzieherische Praxis im Hinblick auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen noch sehr zu wünschen übrig. Beteiligung läßt sich nicht auf die Beziehungsebene reduzieren (nach dem Motto: Kinder werden im Kontakt mit Erzieher/innen ernstgenommen), vielmehr ist die Nutzung geeigneter Partizipationsmethoden und Schaffung praktikabler BeteiligungsInstitutionen in allen pädagogischen Zusammenhängen unabdingbar notwendig . 2.3 Beteiligung als Schaffung von Verantwortungsräumen Die Kinderrechte-Diskussion wird noch heute noch überwiegend so geführt, daß die Rechtsansprüche von Kindern und Jugendlichen in den jeweiligen Zusammenhängen als Mitsprache- und Beteiligungsrechte eingefordert werden. Die andere Seite – Übernahme von daraus resultierenden Verantwortlichkeiten – wird eher apologetisch einer konservativen Wertepädagogik zugerechnet und diskreditiert, die dieses Themenfeld bisher okkupiert, indem sie der Forderung nach Kinderrechten verkürzend entgegnet, Kinder sollten zunächst einmal lernen, Pflichten zu übernehmen (vgl. MAGS 1997). Der Begriff der „Pflicht“ suggeriert eher pseudoobjektive Werte und Normen, gegen die sich Kinder, Jugendliche und viele Erwachsene (mit Recht) auflehnen. Verantwortung meint in unserem Verständnis viel mehr die Bejahung und die Bereitschaft, für die Konsequenzen des eigenen Handelns und der eigenen Willensäußerungen einzustehen, sofern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dies ermöglichen, zulassen oder sogar begünstigen. Da es sich um Aushandlungsprozesse handelt, bei denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich als (zunehmend) gleichberechtigte Verhandlungspartner betrachten, ist daraus konsequent abzuleiten, daß es nicht darum gehen kann, Kindern und Jugendlichen Verantwortlichkeiten aufzubürden, mit denen Erwachsene sich entlasten wollen (vgl. auch BMFSFJ 1998: 144f.). Vielmehr sollten Kindern und Jugendlichen „verantwortungslose“ Spiel- und Lebensbereiche verbleiben. Doch eigentlich müsste klar sein, daß zu wachsenden Rechtsräumen und ihrer positiven Ausgestaltung essentiell dazu gehört, daß Kinder und Jugendliche in dem jeweils geschaffenen Rahmen Verantwortung übernehmen. Hierzu gibt es in der konkreten Lebenswelt vielfältige Ansätze und Möglichkeiten, und alle praktischen Erfahrungen zeigen, daß Kinder und Jugendliche unter geeigneten Bedingungen bereit sind, Veranwortung in hohem Maße zu übernehmen. Mit der konsequenten Beteiligung und der Übergabe von Verantwortung wird Jugendhilfe dem Anspruch gerecht, Kinder und Jugendliche als Subjekt ihrer Entwicklung zu verstehen. Mit dieser Perspektive wird ein positives Entwicklungspotential erkennbar, wenn ihnen Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit zuge’mut’et wird, denn Kinder und Jugendliche können sicher sehr viel mehr leisten und sehr vieles besser tun, als ihnen heute von den Erwachsenen zugetraut wird. Dazu ist vielleicht manchmal eine historische Betrachtungsweise hilfreich; wenn man bedenkt, was Kinder und Jugendliche in der Vergangenheit unter teilweise unmenschlichen und gewalttätigen Umständen zu leisten imstande waren, erscheint heute manche Stilblüte, die der Kinderschutzgedanke vor allem in der praktischen Erziehung treibt, als absurd. Daß die Frage der Verantwortlichkeit von Kindern und Jugendlichen in der Fachdiskussion bisher viel zu kurz kam, belegt auch der zehnte Kinder- und Jugendbericht: „Angesichts der Bedeutung, die die Bereitschaft und Fähigkeit der nachwachsenden Generation zur Übernahme von Verantwortung zukommt, ist es erstaunlich, wie wenig dieses Thema in den Wissenschaften, die sich mit der Entstehung von Handlungsfähigkeit beschäftigen, vorkommt“ (BMFSFJ 1998, S. 144f.). 3. Kinderrechte als Entwicklungsperspektiven für Jugendhilfe und Sozialpolitik In Bezug auf die rechtliche Stärkung von Kinderrechten ist ihre verfassungsrechtliche Verankerung, wie sie der Zehnte Kinder- und Jugendbericht (1998) und die National Coalition (1999) fordern, weiter zu verfolgen. Auch wenn die Aufnahme eines entsprechenden Passus in das deutsche Grundgesetz keine De-facto-Neuerung bringt, dient sie der symbolischen und nachdrücklichen Klarstellung der Tatsache, dass Grundrechte auch für Kinder und Jugendliche gelten und dass sie einen gleichwertigen gesellschaftlichen Status haben. Mit glei- chem Ziel wird die Aufnahme eines entsprechenden Passus in die europäische Grundrechtecharta angestrebt. Die konsequente Umsetzung dieser „Programmatik“ eines erweiterten Art. 6 des Grundgesetzes verlangt auch die Aufnahme des Rechtes der Kinder auf Erziehung in das Familienrecht, wodurch ebenfalls die Subjektstellung des Kindes verdeutlicht würde (BMFSFJ 1998). Zur Umsetzung der verbesserten Rechtsstellung von Kindern in Familien sollten, so wurde es auch in der Verbindung mit dem Gewaltverbot in der Erziehung klargestellt, die Beratungsangebote intensiviert werden. „Die Verstärkung des Leitbildes der elterlichen Verantwortung muß mit der Verbesserung durch praktische Hilfen verknüpft sein“ (BMFSFJ 1998, S. 174). Ebenfalls im Sinne der Eigengewichtung von Kindern ist es erforderlich, überall dort, wo Mädchen und Jungen von Leistungen und anderen Aufgaben der Jugendhilfe betroffen sind, sie auch in entsprechender Weise zu benennen. Dies gilt insbesondere für die Hilfen zur Erziehung, wo zudem Jugendlichen entsprechend dem § 36 SGB I1 ein eigenes Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung einräumen ist. (umfassend zur stärkeren rechtlichen Umsetzung der Kinderrechte BMFSFJ 1998/ National Coalition 1999) Die Entwicklung der Kinderrechte hat heute zu einem Stand geführt, bei dem es nun das dringlichste Anliegen ist, die rechtlichen Vorgaben und Orientierungen umzusetzen. Denn das Recht stellt kein umfassendes normatives System der Gesellschaft dar und ist somit kein Ersatz für Politik und Jugendhilfepraxis. Notwendig ist eine Kinderpolitik, die, um Kinderrechte umfassend zur Realisierung zu bringen, über das Ressort Kinder- und Jugendhilfe hinaus auch immer eine Querschnittsaufgabe hat, indem sie kinderbezogene Gesichtspunkte in anderen Politikbereichen wie z.B. der Stadtplanung, Verkehrs-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Kultur- und Gesundheitspolitik zur Geltung bringt. Für die Berücksichtigung der Interessen von Kindern gibt es bisher nur wenige und auf Teilbereiche beschränkte institutionalisierte Zuständigkeits- und Beteiligungsverfahren, obwohl Milenz (1981) schon Anfang der achtziger Jahre für die Jugendhilfe den Begriff der Einmischungsstrategie entwickelte. Folgend forderte auch der Achte Jugendbericht (BMJFFG 1990, S. 85) „zunächst sozialpolitische und kommunalpolitische Aktivitäten zur Gestaltung von Lebensverhältnissen, z.B. Hilfen und Unterstützung der Institutionen, die die heutigen Lebenslagen bestimmen, also der Familie, der Schule, des Arbeitsmarktes“, um frühzeitig die Entstehung von Problemsituationen zu vermeiden. Mit der Aufgabe der Schaffung und Erhaltung positiver Lebensbedingungen sowie einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt (§ 1 Abs. 3.4) hat die Querschnittspolitik für die Jugendhilfe grundsätzlich eine rechtliche Legitimation erhalten. Aus dem Begriff der „Umwelt“ leitet Merk (1995) die Notwendigkeit ab, Kinderfreundlichkeit nicht nur als Interessenwahrnehmung für die aktuelle Kindergeneration, sondern darüber hinaus auch als Wahrung der Interessen von zukünftigen Generationen von Kindern zu or1 § 36 Abs.1 SGB I „Wer das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hat, kann Anträge auf Sozial- ganisieren, was gerade in den Bereichen Rentenpolitik, Staatsverschuldung und Umweltpolitik von großer Relevanz ist. Die Reichweite dieses gesellschaftlichen Gestaltungsauftrages ist in weiten Bereichen der Jugendhilfe bisher noch nicht zur Kenntnis genommen worden, um so weniger die damit verbundenen Chancen für die Lebenswirklichkeit der Kinder in Familien, pädagogischen Einrichtungen und im öffentlichen Raum. Ein Schritt zur Realisierung des Anspruchs von Kinderpolitik als Querschnittspolitik ist der Art. 3 KRK, der die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls für Rechtsprechung und Verwaltungsakte vorschreibt. „Das gesamte gesetzgeberische Handeln in Bund, Ländern und Gemeinden muß eine Folgenabschätzung für die nachwachsende Generation vornehmen“ (National Coalition 1999: 6). Gerichte haben nach diesem Artikel in allen Kinder betreffende Entscheidungen ihr Ermessen unter Berücksichtigung des Kindeswohlvorrangs auszuüben. Öffentliche Verwaltungen sind gehalten, in allen Planungen und Entscheidungen transparent zu dokumentieren, in welcher Weise sie Kinderinteressen vorrangig berücksichtigt haben. Auch wenn die Prüfung des Kindeswohls nicht automatisch seine Berücksichtigung bedeutet, so wäre mit einer kontinuierlichen Auseinandersetzung um Kinderinteressen viel erreicht. Jugendhilfe erhält hier eine zweifache Aufgabe: Zum einen sollte sie die Umsetzung dieses weitreichenden staatlichen Auftrags einfordern, um Kinderfreundlichkeit strukturell durchzusetzen, und käme damit gleichzeitig ihrem Auftrag nach der Schaffung und Erhaltung einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt (§1 Abs. 3 KJHG) nach. Zum anderen wird sie in quasi gutachterlicher Funktion das entsprechende Fachwissen darüber zur Verfügung stellen müssen, wie das Kindeswohl in konkreten Entscheidungen aussieht. Die bis hier beschriebenen grundsätzlichen Überlegungen für eine Umorientierung der Jugendhilfe in eine stärker sozialpolitisch angelegte Strategie soll an drei Beispielen belegt werden: Beispiel 1: Armut von Kindern und Jugendlichen Im Jahr 1998 waren etwa insgesamt drei Millionen Personen auf Sozialhilfe angewiesen, darunter etwa eine Million Kinder und Jugendliche. Hinzu kommt eine etwa gleich große Gruppe, die mit ihrer Familie unterhalb der Sozialhilfegrenze lebt, aber aus verschiedenen Gründen ihren Sozialhilfeanspruch nicht realisiert. In 1998 lebt etwa jedes siebte Kind bzw. jeder siebte Jugendliche in einer Familie, die mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Eikommens auskommen muss und damit als „(einkommens-)arm“ bezeichnet wird (Hock u.a. 2000). Besonders armutsgefährdet sind Kinder, die bei Alleinerziehenden – fast ausschließlich Müttern - und in kinderreichen sowie in ausländischen Familien leben. Die unter 18-Jährigen weisen im Vergleich zu anderen Altersgruppen die höchste Armutsbetroffenheit auf. Schon zu Beginn der neunziger Jahre wurde deshalb der Begriff der „Infantilisierung der Armut“ geprägt. leistungen stellen und verfolgen sowie Sozialleistungen entgegennehmen. Mit den Kriterien Sozialhilfebezug oder Einkommensarmut werden Kinder „nur“ als Teilgruppe oder Mitbetroffene armer Familien erfasst. Um zu ergründen, wie sich Armut auf die Lebenswirklichkeit von Kindern auswirkt, ist ein mehrdimensionaler Lebenslagenansatz hilfreich, der Armut als Unterversorgung und Benachteiligung bezogen auf die gesamte Lebenssituation begreift. Entsprechend erweitern Hock u.a. (2000) in ihrer Studie zur Armut von Kindern und Jugendlichen den Aspekt der finanziellen Situation um vier zusätzliche Lebensbereiche: materielle Versorgung des Kindes (Grundversorgung, d.h. Wohnen, Nahrung, Kleidung, materielle Partizipationsmöglichkeiten), Versorgung im kulturellen Bereich (z.B. kognitive Entwicklung, sprachliche und kulturelle Kompetenzen, Bildung), Situation im sozialen Bereich (soziale Kontakte, soziale Kompetenzen) und psychische und physische Lage (Gesundheitszustand, körperliche Entwicklung). Die Ergebnisse zeigen bzgl. der Lebenslagen von Vorschulkindern, deren Armutsbetroffenheit am höchsten ist, dass mehr als jedes dritte arme2 Kind zu der Gruppe gehört, die in mehreren Lebensbereichen eingeschränkt sind (multiple Deprivation); dass ca. 40 % zu der Gruppe gehören, bei der in einigen wenigen Bereichen aktuell „Auffälligkeiten“ festzustellen sind (Benachteiligung), aber auch dass immerhin etwa ein Viertel der armen Kinder in keinem der zentralen Lebensbereiche Einschränkungen aufweist (Wohlergehen). Für das kindliche Wohlergehen begünstigend sind regelmäßige Aktivitäten in der Familie, gutes Familienklima, Deutschkenntnisse mindestens eines Elternteils (bei Migrantenkindern), keine Überschuldung und keine beengten Wohnverhältnisse. Insgesamt haben arme Kinder deutlich höhere Risiken bzgl. gesundheitlicher Einschränkungen, Beeinträchtigungen in der Sozialentwicklung, Vernachlässigung, geringerer Bildungschancen etc. Auf diesem Hintergrund kommt auch in der Bundesrepublik die UNKinderrechtskonvention zur Geltung: Mit Artikel 27 erkennen die Vertragsstaaten die Rechte jeden Kindes auf einen seinem Entwicklungsstand angemessenen Lebensstandard an. Kinderarmut fordert die Jugendhilfe und Sozialpolitik besonders heraus, Kinderrechte deutlicher als eigenständige Rechte abzusichern und mehrere Strategien zu verfolgen, die auf die Verbesserung der Lebenslagen der Kinder zielen. Diese müssen reichen von der Sicherung der materiellen Situation von Kindern (Festsetzung eines Existenzminimums für Kinder, Erhöhung des Kindergeldes), der Sicherung von Betreuungsmöglichkeiten (Verbesserung der Regelungen zum Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld für Mütter und Väter, Ausbau von Tageseinrichtungen, Zugang für alle Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus, Betreuungsdauer unabhängig von der Arbeitssituation der Eltern), Sicherung befriedigender Wohnsituationen (Stärkung unterversorgter Wohnviertel, Erhöhung der Wohngeldsätze), Sicherung von Bildungschancen (Bildungsauftrag der vorschulischen Einrichtungen, Qualifizierung der Grundschulen), über den Ausbau präventiver Angebote (Elternbildung und -beratung, Nach2 Die AutorInnen sprechen von Armut nur dann, wenn familiäre Armut vorliegt (Hock u.a. barschaftszentren, niedrigschwellige Beratungsmöglichkeiten) bis hin zu Hilfen im Einzelfall. (BMFSFJ 1998, AWO 2000) Gestaltung einer kinderfreundlichen städtischen Lebensumgebung als elementare Sozialisationsbedingung Es gibt mittlerweile hinreichende Belege für die Sozialisationsfunktion des städtischen Raumes. Die Qualität des städtischen Freiraums beeinflußt die motorische, soziale und intellektuelle Entwicklung von Kindern unabhängig von ihrer sozialen Situation (vgl. DegenZimmermann 1992; Schröder 1996). Sie hat Einfluß auf den Bedarf nach Betreuung und kulturellen Angeboten und korreliert mit zentralen Verhaltensweisen wie der Mediennutzung (vgl. Blinkert 1994). Die räumliche Lebensumgebung hat darüber hinaus eine eminente Bedeutung für die geschlechtsspezifische, auch politische Sozialisation (vgl. Bartscher 1998, Nissen 1997). Die Bundesregierung folgert daraus: „Die Entwicklung von Wohnen und Wohnumfeld ist als Teil einer generationen-, familien- und geschlechterbezogenen sozialen Strukturpolitik zu sehen“ BMFSFJ 1998: VIII). Diese Einsichten haben nicht zuletzt auf dem Hintergrund vorgenannter Überlegungen zu Aktivitäten städtischer Kinderbeauftragter, Kinderbüros und einer Reihe von Jugendämtern geführt, die wiederum an Traditionen der Kinder- und Jugendarbeit angeknüpft haben. Hier ist unter methodischen, strategischen und substantiellen Gesichtspunkten gezeigt worden, wie die räumliche Lebensumgebung von Kindern unter ihrer Einbeziehung positiv beeinflußt werden kann. Allerdings haben diese Ansätze innerhalb der Jugendhilfe nach wie vor eine randständige Position;es sind in den Kommunen, wenn überhaupt, jeweils wenige Personen bzw. Institutionen, die sich um die stadtraumbezogene Querschnittsaufgabe kümmern. Diese Arbeit bleibt wiederum auf wenige inhaltliche Bereiche beschränkt; erfolgreich wurden von Kindern und Jugendlichen v.a. die Gestaltung von Jugendtreffs und Jugendangeboten sowie die Umgestaltung von für Kinder und Jugendliche reservierte Freiflächen beeinflußt (vgl. DJI 1999, S. 73). Während der Bereich der Spielraumentwicklung mittlerweile sehr intensiv bearbeitet wird, fehlt eine Auseinandersetzung und frühzeitige Einmischung der Jugendhilfe in die Bereiche der Flächennutzungs- und Bauleitplanung, der Verkehrsplanung, der Straßenausbauplanung und der Freiflächenentwicklung. Als Umsetzungsperspektive ergeben sich folgende Möglichkeiten: 1. Die Einrichtung und strukturelle Absicherung von verwaltungsinternen Querschnittsstellen 2. Die Verknüpfung dieser Aufgabe mit der Jugendhilfeplanung 3. Die Integration des stadtraumbezogenen Denkens und Handelns in alle Arbeitsbereiche der Jugendhilfe. 2000) Eine Entwicklungschance besteht z.B. darin, daß sich pädagogische Institutionen verstärkt in die jeweiligen Planungen einmischen. Die konkreten Erfahrungen zeigen, daß Projekte zu den unterschiedlichen raumbezogenen Planungen und Gestaltungsprozessen interessante und lebendige Arbeitsinhalte darstellen können. Gleichzeitig ist die stärkere Gemeinwesenorientierung eine der uneingelösten Ansprüche relevanter Konzepte in Tageseinrichtungen, Jugendarbeit und Schule (z.B. Situationsansatz in Kitas, Projektarbeit oder das GÖSProgramm für Schulen in NRW). Beispiel 3: eigenständige Existenzsicherung Wenn es, wie Erikson gesagt hat, Menschen zwei elementare Dinge zu lernen haben, nämlich zu lieben und zu arbeiten, dann stellt sich für die Jugendhilfe die Aufgabe, sich weitergehend als bisher in die Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik einzumischen. Die ShellJugendstudie von 1997 zeigte deutlich, „daß von allen Problemen am stärksten die Probleme der Arbeitswelt die Jugend beschäftigen (...) (Jugendwerk 1997: 14). Viele Verhaltensprobleme, mit denen die Jugendhilfe sich beschäftigt, entstehen erst daraus, daß einem erheblichen Teil der Jugendlichen die Perspektive fehlt, an den erstrebenswerten materiellen Dingen dieser Gesellschaft mit einem realistischen Aufwand und mit legalen Strategien teilhaben zu können. Damit stellt sich für die Jugendhilfe die Notwendigkeit einer Einmischungsstrategie, die über Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe hinausgeht: 1. 2. Der achte Jugendbericht schreibt der Jugendhilfe darüber hinaus eine Anwaltsfunktion für Jugendliche zu, die Ausbildungsangebote nicht annehmen oder abbrechen: „Auf die Jugendhilfe wird ein verstärkter Bedarf zukommen, als Anwalt dieser Jugendlichen für deren Ausbildung zu sorgen“ (BMJFFG 1990: 130). Die gesellschaftspolitische Thematisierung der auseinanderklaffenden Einkommensschere (Einkommen, die sowohl auf der oberen als auch der unteren Seite der Skala zu einem immer geringeren Anteil durch Arbeit erworben werden) in Verbindung mit einem übermächtigen Medien- und Konsummarkt, der mit aggressiven Manipulationsstrategien agiert, und demJugendliche ausgesetzt sind, deren reale Chancen, hier mitzuhalten, minimal sind. Ziel einer solchen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung sollte sein, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angemessener zu gestalten. Integration des Themas „Entwicklung beruflicher Perspektiven und Beteiligung auf dem Arbeitsmarkt“ in alle Arbeitsbereiche der Jugendhilfe mit dem Ziel, notwendige Schlüsselqualifikationen ergänzend zu Schule, Ausbildung und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu vermitteln. Insbesondere Mobilität und soziale Qualifikationen werden auch jetzt schon angestrebt und könnten intensiviert und gezielter vermittelt werden. Zusammenfassung Die Kinderrechtsentwicklung leistet heute einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung der Jugendhilfe insgesamt. So birgt beispielsweise die konsequente Beteiligung von Kindern und Jugendlichen elementare Chancen: Wenn man den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen als ein Entstehungsort von Politik und als Umsetzungsebene von Kinderrechten betrachtet, so leistet ihre stärkere Beteiligung einen wichtigen zusätzlichen gesellschaftspolitischen Beitrag. Damit sind Aktivitäten zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in eine gesamtgesellschaftliche Demokratisierungsstrategie einzuordnen. 1. Allerdings darf nicht passieren, was in der Ökologiefrage vielfach zu Frust und Gleichgültigkeit geführt hat: Die Kinder sollen besser machen, was die Erwachsenen nicht (genügend) schaffen. Insofern ist vorgängige Voraussetzung eine Repolitisierung sozialer Arbeit insgesamt. Denn der gesellschaftspolitische Gestaltungsauftrag für die Jugendhilfe insgesamt kann nicht nur von ihren Spitzenfunktionären geleistet werden, vielmehr stellt sich diese Aufgabe für jede Sozialarbeiterin und für jeden Erzieher in seiner Arbeit vor Ort. Auch in der politikwissenschaftlichen Diskussion wird die Bedeutung der Arbeit in der „Lebenswelt“ gesehen: „So sind, beispielsweise, Vereinbarungen, die Eltern, Lehrer und Schüler als Betroffene für die Organisation des Schullebens treffen und an denen sie sich dann für die Koordination ihres Handelns verbindlich orientieren, durch und durch politisch, auch wenn sie weder durch das politische System gegangen noch rechtsförmlich fixiert worden sind.“ (Meyer 1994.: 215). Literatur: Apel, Peter; Pach, Reinhard (1997): Kinder planen mit. Stadtplanung unter Einbeziehung von Kindern, Unna Aries, P. (1975/1978): Geschichte der Kindheit. München Arnold, Thomas; Wüstendörfer, Werner (1994): Auf der Seite der Kinder. 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