Stille Tage in Paris
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Stille Tage in Paris
19. O KT O B E R 2 014 W E LT A M S O N N TAG BAYERN 7 NR. 42 Stille Tage in Paris Der Münchner Fotograf Christopher Thomas widmete seinen neuesten Zyklus der französischen Hauptstadt. Es sind Bilder von kontemplativer Ruhe C © CHRISTOPHER THOMAS / COURTESY afés sind Orte der Begegnung. Menschen kommen und gehen. Umso mehr verstört das Bild des legendären Cafés „Les Deux Magots“. Der einstige Treffpunkt der Pariser Existenzialisten um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir – menschenleer. Dabei scheinen die ordentlich arrangierten Stühle nur auf Menschen zu warten. Auch am Zeitungskiosk nebenan ist nicht ein Passant zu sehen, der noch schnell eine Tageszeitung ersteht, bevor er abtaucht in die Métro. VON BARBARA REITTER-WELTER Die Menschenleere ist es, gepaart mit einer antiquiert wirkenden SchwarzWeiß-Farbgebung, die die großformatigen Aufnahme von Christopher Thomas auszeichnen. Wie aus der Zeit gefallen wirkt seine neue Serie „Paris im Licht“, die derzeit in Blanca Bernheimers Galerie „Fine Art Photography“ gezeigt werden. Thomas nimmt den Betrachter mit auf einen Spaziergang durch die Stadt, auf dem man sich den pittoresken Plätzen, den berühmten Sehenswürdigkeiten so gemächlich nähert, als befinde man sich im letzten Jahrhundert. Christopher Thomas’ Arbeitsprozess ist ungewöhnlich. Und das in mehrfacher Hinsicht. Nähert er sich seinen Motiven doch mit der Langsamkeit eines Flaneurs, der immer wieder lange stehen bleibt und genau auf jedes Detail achtet. Umso erstaunlicher angesichts Thomas’ zweitem beruflichem Standbein, der Werbefotografie, mit der er seine Karriere begann. Hier muss es schnell gehen, denn Zeit ist Geld. Mit großen Kampagnen für bekannte Autohersteller machte er sich in Deutschland einen Namen, schon bald nachdem er in München das Handwerk an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie erlernt hatte. Es folgten FotoReportagen für Zeitschriften wie „Geo“, den „Stern“, „Merian“ und andere. Viele Fotostrecken von Christopher Thomas wurden international ausgezeichnet. In den letzten Jahren beschäftigte sich der 1961 in München geborene Künstler aber verstärkt mit eigenen Projekten, besonders drei Bilderserien mit Städteporträts. Den melancholisch umflorten Zyklus „Münchner Elegien“ widmete er seiner Heimatstadt; es folgte die Serie „New York Sleeps“ und die in zahlreichen Museen gezeigten Impressionen von „Venedig. Die Unsichtbare“. Nach den Oberammergauer Passionsspielen 2010 publizierte Christopher Thomas eine Reihe äußerst eindrucksvolle Porträts der Laiendarsteller, in ih- KULTUR SPITZEN HERMANN WEISS Die Guten und die Bösen F ür Ehrungen wie diese hatte man früher den Pfeil mit der Aufschrift „repressive Toleranz“ im Köcher. Und natürlich ist die Auszeichnung der Münchner „Schickeria“, jenen zwischen offener Gewaltbereitschaft und bemerkenswerter politischer Sensibilität schwankenden Hardcorefans des FC Bayern München, mit dem Julius-Hirsch-Preis auch ein Versuch. Es geht darum, die Ultras auf die „richtige“ Seite zu ziehen. Der Louvre mit seiner mittlerweile weltbekannten gläsernen Pyramide aus dem Jahr 2014. Die lange Belichtungszeit lässt Menschen verschwinden rer matten Farbigkeit von altmeisterlicher Anmutung, die später im Bayerischen Nationalmuseum ausgestellt und, wie auch viele Stadtserien, als Bildband im Prestel-Verlag publiziert wurden. Nun also Paris. Der überwältigende ästhetische Effekt dieser Aufnahmen beruht auf mehreren Faktoren. So sucht Christopher Thomas, wie er erzählt, erst einmal in der Stadt wie ein LocationScout die schönsten Ecken. Übrigens auf dem Motorrad; ausgestattet mit Block und Smartphone als optischer Gedächtnisstütze erfährt sich Thomas die Objekte seiner Begierde. Der eigentlich kreative Prozess jedoch bedient sich der Kunst einer Langsamkeit, die in der Hektik der Großstadt längst ausgestorben scheint. Arbeitet der Werbemann Thomas bei seinen Aufträgen stets mit der fortschrittlichsten Sonnenaufgang in Paris. Das Bild des Palais de Chaillot entstand 2013 „Diese Schickeria kann nicht ernsthaft mit Gewalt liebäugeln“, umwarb TV-Kommentator und Laudator Marcel Reif beim Festakt die Fans. „Wir wollen mit euch etwas voranbringen und verbessern“, beschwor sie DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach: „Aber dazu gehört von euch ein klares Bekenntnis gegen jede Art von Gewalt.“ Dass ausgerechnet die Münchner „Schickeria“ den vom Deutschen Fußball-Verband gestifteten Preis bekam, ging spürbar nicht ohne Verrenkungen. Denn: Man muss sich dafür um „Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit“ verdient gemacht haben – etwas, was man den Ultras nicht ohne Weiteres bescheinigen kann. Die „Schickeria“ hat bekanntlich eine Vorliebe für Randale, wie (zum Beispiel) die routinemäßigen Ausschreitungen bei den Lokalderbys gegen den TSV 1860 zeigen. Das ist die eine, hässliche Seite der Ultras. Aber da ist eben auch ihr unmissverständliches Eintreten gegen Nazis, Faschismus und Rassismus. Stadion-Choreografien wie die vom 9. November 2013 („75 Jahre Technik und benutzt die neuesten Digitalkameras, so schleppt er bei seinen Stadt-Impressionen in altmodischer Manier schweres Equipment mit sich: Großbildkameras mit Schwarz-Weiß-Filmen von Polaroid, die bereits vor Jahren vom Markt verschwunden sind. Thomas deckte sich rechtzeitig mit einem großen Vorrat ein. Dass Filme im Lauf der Zeit an Qualität verlieren und „Fehler“ produzieren, gehört zur Bildästhetik. In den frühen Morgenstunden, an Sonn- oder Feiertagen, wenn die Stadt noch schläft, oder gegen Sonnenuntergang postiert sich Thomas mit seinem Stativ am ausgewählten Ort. Oft wartet er stundenlang auf den richtigen Moment. Die extrem lange Belichtungszeit lässt Fußgänger oder Autos, die immer wieder einmal durchs Bild huschen, wie durch Zauberhand verschwinden. Ein aufwendiges Prozedere, das viel Geduld erfordert. Doch die Ergebnisse sind grandios. Thomas’ Bilder sind keine Momentaufnahmen, wie man sie von vielen Chronisten der Stadt kennt. Thomas erzeugt magische Momente von extremer Ruhe und kontemplativer Intensität. Über allen Motiven liegt ein Schleier, der diesen Effekt noch verstärkt. Touristen, Verkehrschaos, Bausünden, FastFood-Ketten sucht man vergeblich. Geduld braucht es auch, um die handwerkliche Perfektion der Aufnahmen wie gewünscht zu erreichen. Denn nach der Entwicklung des empfindlichen Materials müssen die Negative zur Fixierung stundenlang in ein Natriumsulfitbad gelegt werden. Letztlich ein Verfahren aus den Anfängen der Fotografie, doch es führt nicht nur zur differenzierten Wie- nach den Novemberpogromen – nichts und niemand ist vergessen“) gibt es nur in München. Und auch ein Biopic wie das über den Bayern-Präsidenen Kurt Landauer (1884–1961), das letzte Woche im Fernsehen erstausgestrahlt wurde, hätte es ohne die „Schickeria“ und ihre Freunde vom „Club Nr. 12“ nie gegeben, wie es im Abspann des Filmes heißt. Landauer gilt als Erfinder des FC Bayern. Er führte den Verein 1932 zur ersten Deutschen Meisterschaft, dann kamen die Nazis, dann der Holocaust: „Ein bayerischer Jude, der seine ganze Familie verliert, nach München zurückkehrt und den Verein wieder aufbaut – das ist ,Schindlers Liste‘ in Bayerisch“, sagt Regisseur Hans Steinbichler. Trotzdem geriet Landauer in Vergessenheit. Bis die Bayern-Ultras damit anfingen, T-Shirts mit seinem Konterfei zu tragen und die jüdischen Wurzeln ihres Vereins voller Stolz nach außen zu tragen. Das ist toll. Und es ist (auch) einen Julius-Hirsch-Preis wert. Der Autor ist Kulturredakteur der „Welt“-Gruppe Bayern dergabe der Strukturen, sondern auch zu einer ganzen Skala tonaler Nuancen zwischen Schwarz und Grau. Durch die Abzüge, Pigmentdrucke auf handgeschöpftem Büttenpapier, verstärkt sich der Ein- druck, es handele sich um alte Aufnahmen aus einer Dunkelkammer des vorletzten Jahrhunderts. Christopher Thomas hat mit seinen Arbeiten eine Schule des Sehens ge- schaffen, denn er führt einen durch alle historische Epochen. Immer wieder hat man das Gefühl, Neues zu entdecken. Nichts lenkt den Betrachter ab, Hektik und Lärm, die die jährlich 27 Millionen Paris-Besucher produzieren, sind eliminiert. Das schafft eindrucksvolle Erlebnisse. Selbst tausendmal gesehene Monumente überraschen mit ungewöhnlichen Perspektiven: der Eiffelturm vor regennassem Plattenmuster, der halb verschattete Pont-Neuf, die technische Eleganz des Gare du Nord, der Arc de Triomphe, der wie ein Solitär im Halbdunkel steht, der Louvre mit seiner transparenten Pyramide im Innenhof. Durch die Beleuchtung entfalten die Bauwerke ihre architektonischen Strukturen, lassen aber auch Details klar hervortreten. Christopher Thomas lenkt den Blick aber auch auf leere Stühle in den Parks mit ihren akkurat beschnittenen Bäumen, auf Skulpturen im Tuileriengarten, das alte Karussell im Jardin du Luxembourg, das durch Rilkes Gedichtzeile „Und dann und wann ein weißer Elefant“ berühmt wurde. Er verwandelt sogar den Zuckerbäckerbau von Sacré-Coeur in ein Kunstgebilde, hält geschlossene Boulangerien und die geschlossenen Kästen der Bouquinisten am Seine-Kai fest. Die wenigen mittelalterlich verschlungenen Gässchen werden ebenso lebendig wie die großen Boulevards, die der Stadtplaner und Baumeister Baron Haussmann Mitte des 19. Jahrhunderts anlegen ließ. Thomas führt uns zurück in die Zeit Daguerres, des Erfinders des neuen Mediums. Er war der erste in einer langen Reihe von Lichtbildnern, die fasziniert von der Bausubstanz, aber auch dem betörenden Licht und dem Leben der Stadt zu fotografischen Zeitzeugen wurden. Wie heute Christopher Thomas mit seinen Sehnsuchtsbildern. „Christopher Thomas, Paris im Licht“, Galerie Bernheimer Fine Art Photography, bis 15.November, Katalog Prestel Verlag 39,95 Euro ANZEIGE Passt sich genau Ihrem Bedarf an: Das Strompaket von VERBUND. 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Die Werbefotografie hat sich in eine Richtung entwickelt, die sehr wenig damit zu tun hat, wie Fotografie ursprünglich war. Weil Sie nicht der Herr über das Motiv sind? Ich beschwere mich nicht, wir werden ja gut bezahlt. Aber auf dem Set haben wir ein Wohn- Ausstellung im Stadtmuseum und plötzlich interessierten sich auch Galeristen für diese Bilder. Meine Agentin hat die New York Bilder mit auf die Art Basel Miami genommen und meinem jetzigen New Yorker Galeristen gezeigt. Und der hat gesagt: „Das ist der romantischste Blick auf die Stadt seit Edward Steichen und Alfred Stieglitz.“ Ihre Bilder werden seit ein paar Jahren international gesammelt. Ja, das Interesse ist sehr groß. Mittlerweile hat sich bei mir deswegen die Gewichtung in der Arbeit verschoben. Ich habe zwei Studios in München und ein Team, das die Werbeaufträge fortführt. Und ich konzentriere mich immer mehr auf die Kunst. Wie erzeugen Sie denn diese Magie der Vergangenheit? Es gab bei Polaroid zwei Schwarz-Weiß-Filme für Großbild und Mittelformat, die ein Entwicklerpack mit Positiv und Negativ haben. Wir haben den Film in der Werbung genutzt, damit man sich besser abstimmen kann mit dem Kunden und dem Artdirector. Ich fand es aber schade, dass man nur das Positiv angeschaut hat und das Negativ weggeschmissen wurde. Und dann habe ich diesen Film getestet, so begann das Projekt. INTERVIEW mit Christopher Thomas Der 53-Jährige Fotojournalist und Werbefotograf erhielt für sein Buch über die Passionsspiele Oberammergau den Deutschen Design Award mobil stehen, in dem ein oder zwei Operatoren am Computer sitzen. Ich fotografiere das Auto in lauter Einzelteilen, Grill, Scheinwerfer, Felgen. Manchmal bestehen die späteren Fotos aus 50 Teilen. Einen Oneshot gibt es überhaupt nicht mehr in der Autowerbung, aber auch nicht mehr in der Kosmetik oder Mode. Dagegen ist ja eigentlich nichts zu sagen, aber mir fehlt halt das Haptische, das Negativ. Ich habe die Fotografie ja nicht digital erlernt, sondern noch mit Film und Dunkelkammer. Und so wurden Sie Künstler im Nebenberuf. Klar, die Schwarz-Weiß-Aufnahmen waren nur mein Hobby. Eine Motivation für mich waren auch meine Hamburger Kollegen aus der Werbung, die immer Scherze über die „Bussistadt“ München machten. Ich wollte ihnen ein anderes Bild der Stadt zeigen. Dann hat das „SZ“-Magazin einige Fotos abgedruckt, Lothar Schirmer hat ein Buch aus dem MünchenProjekt gemacht, es gab die Und dann heißt es warten: Christopher Thomas belichtet seine Motive bis zu 20 Minuten lang. Foto: Christoph Adler Mittlerweile gibt es Ihre Aufnahmen von Venedig und nun auch von Paris. Mit welcher Kamera fotografieren Sie? Ich habe ganz früher mit einer Sinar gearbeitet dann bin ich auf eine Linhof Laufbodenkamera umgestiegen, und die wurden mir alle beide während der Aufnahmen in Paris gestohlen. Wie das? Ich war in Paris mit dem Roller unterwegs und ich habe die Kameras hinten im Kasten gehabt. Dann bin ich kurz zur Seine herunter, um mir einen bestimmten Blickwinkel anzuschauen und als ich nach wenigen Minuten zurückkam, waren die Kameras schon weg. Ich habe mir dann schnell neue besorgen müssen und das Projekt noch fertiggestellt. Wie schafft man es, diese eigentlich überlaufenen Plätze Ein Karussell vor der Kirche Sacre Coeur. So kennt kein Tourist den Arc de Triomphe: Doch wenn Autos kamen, unterbrach Christopher Thomas die Langzeitbelichtung. so menschenleer zu fotografieren? Erstens bin ich ja schon sehr früh morgens unterwegs und zweitens sind die Belichtungszeiten extrem lang – bis zu 20 Minuten. Wenn dann also einer durch das Bild läuft, ist er ohnehin nicht zu sehen. Ein Belichtungsmesser hilft Ihnen bei diesen Extremen aber nicht. Nein, das ist alles Intuition. Ich habe bei jedem Motiv im Dunkeln angefangen und mich in die Helligkeit hinein gearbeitet. Manchmal musste ich auch mehrere Male an einen Ort, weil die ersten Versuche nicht gut genug waren. Ich denke, ich habe so rund 20 Negative pro Motiv verbraucht. Und wenn man bedenkt, dass die schon lange nicht mehr produziert werden und eine Schachtel mit 20 Stück für rund 200 Dollar gehandelt wird, dann bin ich schnell bei 20 000 Euro Kosten für die Parisaufnahmen - nur für die Negative... Kann man beim heutigen Stand der Digitalfotografie diese Bilder nicht auch hinbekommen, wenn man sie auf altmodisch trimmt? Man bekommt das vielleicht sogar besser hin, aber darum geht es mir ja nicht. Ich habe manchmal in Gästebüchern meiner Ausstellungen gelesen, dass Menschen die Bilder schön fanden, aber mit vorwarfen, sie mit Fotoshop optimiert zu haben. Blödsinn. Das wäre wesentlich einfacher! Mir geht es darum, diesen langsamen, mühseligen Prozess darzustellen, die handwerklich klassi- Die Eingangspyramide im Vorhof des Louvre. sche Technik. Das passt ja auch zum Motiv. Aber auch Sie kommen nicht ganz ohne die Digitaltechnik aus. Das stimmt. Ursprünglich habe ich klassische SilbergelatineAbzüge gemacht, die haben leider nicht den Detailreichtum, als wenn man das Negativ scannt. Ich wollte aber größere Prints machen, damit man die Details alle sieht. Nun printen wir die Abzüge auf Aquarellpapier, auf dem man eigentlich nicht drucken kann. Aber wir haben eine Beschichtung entwickelt, so dass die Farbe darauf stehen bleibt. Für mich ist wichtig, dass ich das Material auch sehe, der Rand zeigt die unterschiedliche Größe von Positiv und Negativ und die Spuren der Chemie. Fotos: Thomas/ Prestel Diese Art zu fotografieren hat wahrscheinlich einen stark meditativen Charakter? Unbedingt, das ist wie Angeln oder Pilzesuchen. Ich habe an diesen touristischen Plätzen sehr lange gestanden und die Menschen beobachtet, wie sie ihre Selfies machen. Sie springen raus aus dem Bus, machen ein Selfie und weg sind sie. Die haben eigentlich gar nicht gesehen, was da hinter ihnen ist. Es wird heute einfach wahnsinnig viel fotografiert und sehr wenig gesehen. Volker Isfort Die Ausstellung „Paris im Licht“ läuft noch bis zum 15. November in der Galerie Bernheimer, Brienner Straße 7, das Buch ist im Prestel Verlag erschienen (160 Seiten, 80 s/w Abbildungen, 39,95) Christopher Thomas überprüft die Polaroids. d kunst 1 2 Der Fotograf CHRISTOPHER THOMAS ist ein Meister der Polaroid-Kunst. Blanca Bernheimer zeigt in ihrer Münchner Galerie seine großartigen Paris-Aufnahmen 3 STADTANSICHTEN 1 „Impression“ 2 „Palais de Chaillot“ Saint-Jacques II“ 4 „Rue des Rosiers“ 5 Positiv und Negativ des Polaroid-Films 55 sind so groß, dass man keine Lupe braucht, um zu sehen, ob das gewünschte Ergebnis erzielt wurde 3 „Tour 5 92 ∙ MADAME ∙ Oktober 2014 4 FOTOS: Christopher Thomas/Courtesy of Bernheimer Fine Art Photography; Christoph Adler (I) Ruhestädte durchs Bild läuft, dann sieht man ihn nicht wegen der ungeas Pariser Licht ist legendär. wöhnlich langen Belichtungszeiten. Christopher Thomas zeigt Man muss kein Fotograf das Paris, das jeder Besucher auch gerne erleben würde, aber sein, um jene Momente zu kaum einer sieht: ein Paris ohne Touristen. „Ich stehe für meine lieben, in denen die Seine, Aufnahmen ein bis sechs Stunden an einer Stelle, etwa auf der der Himmel und die ArchiPlace de la Concorde. Da war es besonders schwierig, die richtektur des Stadtplaners Batige Perspektive zu finden, weil sie sehr groß und leer ist, von ron Haussmann in einem dem extremen Verkehr einmal abgesehen.“ Über „Selfie“-Knipflirrenden Grau verschwimser, die sich ziellos um ihre eigene Achse drehen und ihm wohl men. Aber natürlich ist diese nicht nur hier begegnet sind, lächelt er: „Ich denke, die sehen Faszination auch den Fotoüberhaupt nichts.“ Bevor Christopher Thomas sich mit seinem grafen nicht entgangen, wohl keine Stadt der Welt haben sie so schweren Kamera-Equipment vor Ort platziert, hat er die Stadt intensiv in den Fokus genommen wie Paris. Nun hat auch der zigmal auf dem Motorrad durchquert – ohne Ausrüstung. 53-jährige Münchner Christopher Thomas, der sich zunächst als iPhone und Notizbücher dienen als Erinnerungshilfe. Auf dem Werbefotograf für Auto-Kampagnen einen Namen gemacht hat, Rücksitz in Paris meist dabei Paris-Kennerin, Kuratorin und in der Nachfolge von Charles Marville und Eugène Atget seine Muse Ira Stehmann. Im Katalog („Paris im Licht“, Prestel Verungewöhnliche und höchst persönliche Vision der französischen lag, 39,95 Euro) beschreibt sie das gemeinsame Projekt so: „Sein Metropole in eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen überfotografisches Liebesgedicht ist ein ‚visuelles setzt. Zuvor hatte er schon seine Heimatstadt Gegengift zum Rummel‘ der Metropole und („Münchner Elegien“), New York („New York zugleich ein Schleier, der sich vor die nüchSleeps“) und Venedig („Venedig. Die Unsichtterne Realität von Fast-Food-Restaurants, Verbare“) in großformatigen Polaroid-Serien – kehrschaos und architektonischen Bausünden die später zu teils preisgekrönten Büchern der Moderne schiebt.“ wurden – abgelichtet. Die Frage nach dem ersten Fotoapparat, wie „Paris“, erzählt Christopher Thomas in seialso alles anfing, bringt eine eher nicht erwarnem Münchner Atelier, „war keine Liebe auf tete Antwort von Christopher Thomas: „Den den ersten Blick.“ Er fand die Stadt immer zu habe ich als Sechsjähriger zusammen mit eng, zu voll, zu anstrengend. Sein Projekt war einem Freund auf einem Jahrmarkt aus einer so etwas wie der Versuch einer Annäherung Losbude geklaut.“ Eine Plastiklinse hatte der aller anfänglichen Skepsis zum Trotz. Er wollte Apparat, erinnert er sich noch genau, man die „Struktur hinter dem Pariser Chaos“ entkonnte je nach Licht Sonne oder Wolken eindecken, man könnte wohl auch sagen, für sich stellen und für die Entfernung zwischen Berselbst Klarheit gewinnen. Und jene Essenz der gen, Baum oder Person wählen. Das war die Stadt finden, die man – nicht nur, aber auch – wie Früher Der Fotograf Initialzündung, später schenkte ihm die Pawegen der 87 Millionen Touristen pro Jahr Christopher Thomas nimmt sich Zeit mit seiner Großbildkamera tentante einen besseren Apparat, und mit 16, leicht aus dem Auge verliert. Christopher als Austauschschüler in den USA, gewann er Thomas’ schon bei den anderen Städteporträts auch der Dunkelkammer Spaß ab. Später lernte er das Fotograerprobte Methode ist einfach und kompliziert zugleich und hat fie-Handwerk an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotogranichts mit dem raschen Einfangen des „Moment décisif“ – des fie. Neben der Werbung fotografierte er, bevor er sich vermehrt „entscheidenden Moments“ – eines Fotoreporters wie Henri seinen eigenen Projekten widmete, Reportagen und anderes für Cartier-Bresson gemeinsam. Christopher Thomas arbeitet mit „Geo“, „Stern“, das „SZ-Magazin“ und MADAME. Pläne für einer Großbildkamera und einem Schwarz-Weiß-Film vom Typ die Zukunft hat er auch schon: Mit dem letzten übrig gebliebe55 von Polaroid, den es heute nicht mehr gibt. Das Filmmaterinen Polaroid-Material möchte der Reduktionskünstler bald ein al, von dem er sich noch einen großen Vorrat gesichert hatte, menschenleeres Deutschland zeigen, wie es noch keiner gesehen der nun allerdings bald aufgebraucht sein wird, löst sich langhat. Man darf gespannt sein. rüdger von Naso sam auf, solarisiert – und gibt den Abzügen eine ganz eigene, vom Zufall diktierte Note. Christopher Thomas will eine Form von Zeitlosigkeit, menschenleere Abstraktion. Deshalb fotogranäher dran Die Galerie Bernheimer Fine Art Photography (bernhei fiert er vorwiegend in den frühen Morgenstunden, wenn noch mer.com) zeigt unter dem Titel „Paris im Licht“ Christopher Thomas’ niemand auf den Straßen oder in den Parks unterwegs ist, oder Paris-Fotos (2.10.–15.11.) und in Luzern Arbeiten aus allen vier Städteporträts des Kamerakünstlers: „City Portraits“ (28.9.–8.11.). kurz vor Sonnenuntergang. Und wenn doch einmal ein Passant Oktober 2014 ∙ MADAME ∙ 93 ISSN 1868-6508 ZKZ 67820 September/Oktober/November Quartal IV / 2014 D: 9,50 EUR A: 9,50 EUR CH: 16 CHF Foto: Christopher Thomas www.fineartprinter.de fotografieren . drucken. publizieren 04/2014 PORTFOLIO: Das stille Paris von Christopher Thomas PHOTOKINA-AKTION: Activate your Megapixels. Print! PENTAX 645Z: Einstieg in die Qualitätsklasse Portfolio Christopher Thomas »Louvre I« MÜNCHEN, NEW YORK, VENEDIG UND NUN PARIS Die Orte der Sehnsucht in pulsierenden Städten sind in unserem Unterbewusstsein verankert. Ein Blick genügt, und wir fühlen uns wie bei einem Städteurlaub. N'est-ce pas? 56 fine art printer »Pont des Arts II« fine art printer 57 Portfolio Christopher Thomas »DIE MÜNCHNER ELEGIEN 2005 WAREN DER ERFOLGREICHE AUFTAKT FÜR DAS KÜNSTLERISCHE KONZEPT.« S ind Sie Frühaufsteher und in Venedig, München, New York oder Paris zu Hause? Sollten Sie zwischen Morgengrauen und einsetzendem Berufsverkehr einen Fotografen mit Stativ und Großformat-Kamera samt Polaroid-Rückteil beobachtet haben, könnte es Christopher Thomas gewesen sein. Der 53-jährige Künstler aus München arbeitete bis um die Jahrtausendwende vorwiegend als Werbefotograf. Doch die ausschließliche Abarbeitung der Vorgaben durch die Auftraggeber in Industrie und Agentur genügten Thomas irgendwann nicht mehr. Thomas: »Ich hatte mir nach meiner Ausbildung in der Bayerischen Staatslehranstalt in München geschworen, dass ich mir einen Ausgleich zur Werbefotografie suche, wenn es sinnvoll sein sollte. Und nach einem anstrengenden Shooting für einen Autohersteller wachte ich in einem chinesischen Hotel auf und wusste – Christopher, Du musst zusätzlich etwas anderes tun, wenn Du weiter Freude an der Fotografie haben willst.« Die Sinnkrise um die 40 hatte jedoch etwas Gutes: Freude suchend schlich sich Thomas frühmorgens um vier Uhr durch seine Münchner Heimatstadt und brachte Fotos mit nach Hau- 58 se, die immer mehr Freunden gefielen. Bekannte vom Magazin der Süddeutschen Zeitung publizierten erste Aufnahmen von der menschenleeren und deshalb perfekt aufgeräumt wirkenden bayerischen Landeshauptstadt. Christopher Thomas fand Gefallen daran, das noch schlafende München mit der Kamera zu entdecken. Die erste Ausstellung unter dem Titel »Münchner Elegien« 2005 im Münchner Fotomuseum ließ erkennen, dass Thomas ein erfolgreiches Konzept umsetzt. Auf der Aufnahmeseite der Polaroid-Film vom Typ 55 und das Auge eines Profis, der sich der Qualität der 4x5-Zoll-Großformat-Kamera bedient. Auf der anderen Seite überzeugte die hochwertige Präsentation der großformatigen Pigmentdrucke in gewaltigen Rahmen von 100 mal 135 cm auf Canson-Arches mit Büttenrand, die der Münchner Druckspezialist Tilman von Mengershausen zu Papier brachte. Spätestens nach den »Münchner Elegien« zeichnete es sich ab, dass zu Christopher Thomas’ künftigen fotografischen Arbeiten insbesondere diese betörend schönen Stadtansichten gehören werden. Plötzlich war alles ganz logisch, ein Konzept war entstan- fine art printer »Arc de Triomphe« fine art printer 59 Portfolio Christopher Thomas »Place de la Bastille« 60 fine art printer Paris auf sterbendem Polaroid-Film. Die auffälligen Blasen sind Zeichen der Selbstzersetzung der inzwischen weit überlagerten Polaroid-Filme den, ohne dass danach gesucht worden wäre: Morgendliche Stadtansichten, menschenleer und reduziert auf die von den Menschen geschaffenen Strukturen, formalverstärkt durch die Klarheit von Schwarzweiß und überstrahlt von der besonderen Aura des Polaroid-Sofortbildes. Venedig, die Heimatstadt München, die pulsierende Metropole New York und Europas Kulturmetropole Paris wurden regelmäßig in den Morgenstunden fotografiert und als Ausstellung präsentiert. Zur Realisierung wohnte Christopher Thomas einige Monate lang in Venedig, dann in New York und anschließend zog es ihn nach Paris. Die dabei entstandenen Bilder sind immer in Schwarzweiß und immer auf Polaroid. Überhaupt diese Liebe zum monochromen Polaroid-Material. Sie ging so weit, dass auch die aktuellen Paris-Aufnahmen im Jahr 2013/14 noch auf Polaroid-Filmen entstanden, obwohl dieses seit nunmehr sechs Jahren nicht mehr gefertigt wird. Thomas: »Klar hatte ich mir einen beachtlichen Vorrat an Filmen angelegt, doch nun zersetzt sich das Polaroid-Material schon in der Verpackung, trotz Kühlschranklagerung. Ich fotografiere auf sterbendem Material, auch das wurde Teil des Konzeptes. fine art printer Da funktioniert die Filmchemie teils nicht mehr perfekt, da gibt es Blasen in der Schicht – die Filme sind definitiv am Ende, doch für die geradezu zeitlosen Aufnahmen ist dies kein Hindernis.« Die aktuelle Paris-Produktion von Christopher Thomas erscheint als Buch beim Münchner Prestel Verlag. In der Münchener Galerie Bernheimer sind die Bilder vom 2. Oktober bis zum 15. November zu sehen. Paris im Licht. Photographien von Christopher Thomas. Herausgegeben von Ira Stehmann mit einem Vorwort von Valerie Giscard d’Estaing. 160 Seiten, 84 Abbildungen, Hardcover, Leinen, Format 30 x 28 cm ISBN: 978-3-79-13-4679-3 Galerie Bernheimer, 2.10. bis 15.11. 2014 Brienner Str. 7 D-80333 München www.bernheimer.com 61 Portfolio Christopher Thomas »Place Dauphine« 62 fine art printer »Moulin Rouge« fine art printer 63