Stille Tage in Paris
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Stille Tage in Paris
19. O KT O B E R 2 014 W E LT A M S O N N TAG BAYERN 7 NR. 42 Stille Tage in Paris Der Münchner Fotograf Christopher Thomas widmete seinen neuesten Zyklus der französischen Hauptstadt. Es sind Bilder von kontemplativer Ruhe C © CHRISTOPHER THOMAS / COURTESY afés sind Orte der Begegnung. Menschen kommen und gehen. Umso mehr verstört das Bild des legendären Cafés „Les Deux Magots“. Der einstige Treffpunkt der Pariser Existenzialisten um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir – menschenleer. Dabei scheinen die ordentlich arrangierten Stühle nur auf Menschen zu warten. Auch am Zeitungskiosk nebenan ist nicht ein Passant zu sehen, der noch schnell eine Tageszeitung ersteht, bevor er abtaucht in die Métro. VON BARBARA REITTER-WELTER Die Menschenleere ist es, gepaart mit einer antiquiert wirkenden SchwarzWeiß-Farbgebung, die die großformatigen Aufnahme von Christopher Thomas auszeichnen. Wie aus der Zeit gefallen wirkt seine neue Serie „Paris im Licht“, die derzeit in Blanca Bernheimers Galerie „Fine Art Photography“ gezeigt werden. Thomas nimmt den Betrachter mit auf einen Spaziergang durch die Stadt, auf dem man sich den pittoresken Plätzen, den berühmten Sehenswürdigkeiten so gemächlich nähert, als befinde man sich im letzten Jahrhundert. Christopher Thomas’ Arbeitsprozess ist ungewöhnlich. Und das in mehrfacher Hinsicht. Nähert er sich seinen Motiven doch mit der Langsamkeit eines Flaneurs, der immer wieder lange stehen bleibt und genau auf jedes Detail achtet. Umso erstaunlicher angesichts Thomas’ zweitem beruflichem Standbein, der Werbefotografie, mit der er seine Karriere begann. Hier muss es schnell gehen, denn Zeit ist Geld. Mit großen Kampagnen für bekannte Autohersteller machte er sich in Deutschland einen Namen, schon bald nachdem er in München das Handwerk an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie erlernt hatte. Es folgten FotoReportagen für Zeitschriften wie „Geo“, den „Stern“, „Merian“ und andere. Viele Fotostrecken von Christopher Thomas wurden international ausgezeichnet. In den letzten Jahren beschäftigte sich der 1961 in München geborene Künstler aber verstärkt mit eigenen Projekten, besonders drei Bilderserien mit Städteporträts. Den melancholisch umflorten Zyklus „Münchner Elegien“ widmete er seiner Heimatstadt; es folgte die Serie „New York Sleeps“ und die in zahlreichen Museen gezeigten Impressionen von „Venedig. Die Unsichtbare“. Nach den Oberammergauer Passionsspielen 2010 publizierte Christopher Thomas eine Reihe äußerst eindrucksvolle Porträts der Laiendarsteller, in ih- KULTUR SPITZEN HERMANN WEISS Die Guten und die Bösen F ür Ehrungen wie diese hatte man früher den Pfeil mit der Aufschrift „repressive Toleranz“ im Köcher. Und natürlich ist die Auszeichnung der Münchner „Schickeria“, jenen zwischen offener Gewaltbereitschaft und bemerkenswerter politischer Sensibilität schwankenden Hardcorefans des FC Bayern München, mit dem Julius-Hirsch-Preis auch ein Versuch. Es geht darum, die Ultras auf die „richtige“ Seite zu ziehen. Der Louvre mit seiner mittlerweile weltbekannten gläsernen Pyramide aus dem Jahr 2014. Die lange Belichtungszeit lässt Menschen verschwinden rer matten Farbigkeit von altmeisterlicher Anmutung, die später im Bayerischen Nationalmuseum ausgestellt und, wie auch viele Stadtserien, als Bildband im Prestel-Verlag publiziert wurden. Nun also Paris. Der überwältigende ästhetische Effekt dieser Aufnahmen beruht auf mehreren Faktoren. So sucht Christopher Thomas, wie er erzählt, erst einmal in der Stadt wie ein LocationScout die schönsten Ecken. Übrigens auf dem Motorrad; ausgestattet mit Block und Smartphone als optischer Gedächtnisstütze erfährt sich Thomas die Objekte seiner Begierde. Der eigentlich kreative Prozess jedoch bedient sich der Kunst einer Langsamkeit, die in der Hektik der Großstadt längst ausgestorben scheint. Arbeitet der Werbemann Thomas bei seinen Aufträgen stets mit der fortschrittlichsten Sonnenaufgang in Paris. Das Bild des Palais de Chaillot entstand 2013 „Diese Schickeria kann nicht ernsthaft mit Gewalt liebäugeln“, umwarb TV-Kommentator und Laudator Marcel Reif beim Festakt die Fans. „Wir wollen mit euch etwas voranbringen und verbessern“, beschwor sie DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach: „Aber dazu gehört von euch ein klares Bekenntnis gegen jede Art von Gewalt.“ Dass ausgerechnet die Münchner „Schickeria“ den vom Deutschen Fußball-Verband gestifteten Preis bekam, ging spürbar nicht ohne Verrenkungen. Denn: Man muss sich dafür um „Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit“ verdient gemacht haben – etwas, was man den Ultras nicht ohne Weiteres bescheinigen kann. Die „Schickeria“ hat bekanntlich eine Vorliebe für Randale, wie (zum Beispiel) die routinemäßigen Ausschreitungen bei den Lokalderbys gegen den TSV 1860 zeigen. Das ist die eine, hässliche Seite der Ultras. Aber da ist eben auch ihr unmissverständliches Eintreten gegen Nazis, Faschismus und Rassismus. Stadion-Choreografien wie die vom 9. November 2013 („75 Jahre Technik und benutzt die neuesten Digitalkameras, so schleppt er bei seinen Stadt-Impressionen in altmodischer Manier schweres Equipment mit sich: Großbildkameras mit Schwarz-Weiß-Filmen von Polaroid, die bereits vor Jahren vom Markt verschwunden sind. Thomas deckte sich rechtzeitig mit einem großen Vorrat ein. Dass Filme im Lauf der Zeit an Qualität verlieren und „Fehler“ produzieren, gehört zur Bildästhetik. In den frühen Morgenstunden, an Sonn- oder Feiertagen, wenn die Stadt noch schläft, oder gegen Sonnenuntergang postiert sich Thomas mit seinem Stativ am ausgewählten Ort. Oft wartet er stundenlang auf den richtigen Moment. Die extrem lange Belichtungszeit lässt Fußgänger oder Autos, die immer wieder einmal durchs Bild huschen, wie durch Zauberhand verschwinden. Ein aufwendiges Prozedere, das viel Geduld erfordert. Doch die Ergebnisse sind grandios. Thomas’ Bilder sind keine Momentaufnahmen, wie man sie von vielen Chronisten der Stadt kennt. Thomas erzeugt magische Momente von extremer Ruhe und kontemplativer Intensität. Über allen Motiven liegt ein Schleier, der diesen Effekt noch verstärkt. Touristen, Verkehrschaos, Bausünden, FastFood-Ketten sucht man vergeblich. Geduld braucht es auch, um die handwerkliche Perfektion der Aufnahmen wie gewünscht zu erreichen. Denn nach der Entwicklung des empfindlichen Materials müssen die Negative zur Fixierung stundenlang in ein Natriumsulfitbad gelegt werden. Letztlich ein Verfahren aus den Anfängen der Fotografie, doch es führt nicht nur zur differenzierten Wie- nach den Novemberpogromen – nichts und niemand ist vergessen“) gibt es nur in München. Und auch ein Biopic wie das über den Bayern-Präsidenen Kurt Landauer (1884–1961), das letzte Woche im Fernsehen erstausgestrahlt wurde, hätte es ohne die „Schickeria“ und ihre Freunde vom „Club Nr. 12“ nie gegeben, wie es im Abspann des Filmes heißt. Landauer gilt als Erfinder des FC Bayern. Er führte den Verein 1932 zur ersten Deutschen Meisterschaft, dann kamen die Nazis, dann der Holocaust: „Ein bayerischer Jude, der seine ganze Familie verliert, nach München zurückkehrt und den Verein wieder aufbaut – das ist ,Schindlers Liste‘ in Bayerisch“, sagt Regisseur Hans Steinbichler. Trotzdem geriet Landauer in Vergessenheit. Bis die Bayern-Ultras damit anfingen, T-Shirts mit seinem Konterfei zu tragen und die jüdischen Wurzeln ihres Vereins voller Stolz nach außen zu tragen. Das ist toll. Und es ist (auch) einen Julius-Hirsch-Preis wert. Der Autor ist Kulturredakteur der „Welt“-Gruppe Bayern dergabe der Strukturen, sondern auch zu einer ganzen Skala tonaler Nuancen zwischen Schwarz und Grau. Durch die Abzüge, Pigmentdrucke auf handgeschöpftem Büttenpapier, verstärkt sich der Ein- druck, es handele sich um alte Aufnahmen aus einer Dunkelkammer des vorletzten Jahrhunderts. Christopher Thomas hat mit seinen Arbeiten eine Schule des Sehens ge- schaffen, denn er führt einen durch alle historische Epochen. Immer wieder hat man das Gefühl, Neues zu entdecken. Nichts lenkt den Betrachter ab, Hektik und Lärm, die die jährlich 27 Millionen Paris-Besucher produzieren, sind eliminiert. Das schafft eindrucksvolle Erlebnisse. Selbst tausendmal gesehene Monumente überraschen mit ungewöhnlichen Perspektiven: der Eiffelturm vor regennassem Plattenmuster, der halb verschattete Pont-Neuf, die technische Eleganz des Gare du Nord, der Arc de Triomphe, der wie ein Solitär im Halbdunkel steht, der Louvre mit seiner transparenten Pyramide im Innenhof. Durch die Beleuchtung entfalten die Bauwerke ihre architektonischen Strukturen, lassen aber auch Details klar hervortreten. Christopher Thomas lenkt den Blick aber auch auf leere Stühle in den Parks mit ihren akkurat beschnittenen Bäumen, auf Skulpturen im Tuileriengarten, das alte Karussell im Jardin du Luxembourg, das durch Rilkes Gedichtzeile „Und dann und wann ein weißer Elefant“ berühmt wurde. Er verwandelt sogar den Zuckerbäckerbau von Sacré-Coeur in ein Kunstgebilde, hält geschlossene Boulangerien und die geschlossenen Kästen der Bouquinisten am Seine-Kai fest. Die wenigen mittelalterlich verschlungenen Gässchen werden ebenso lebendig wie die großen Boulevards, die der Stadtplaner und Baumeister Baron Haussmann Mitte des 19. Jahrhunderts anlegen ließ. Thomas führt uns zurück in die Zeit Daguerres, des Erfinders des neuen Mediums. Er war der erste in einer langen Reihe von Lichtbildnern, die fasziniert von der Bausubstanz, aber auch dem betörenden Licht und dem Leben der Stadt zu fotografischen Zeitzeugen wurden. Wie heute Christopher Thomas mit seinen Sehnsuchtsbildern. „Christopher Thomas, Paris im Licht“, Galerie Bernheimer Fine Art Photography, bis 15.November, Katalog Prestel Verlag 39,95 Euro ANZEIGE Passt sich genau Ihrem Bedarf an: Das Strompaket von VERBUND. Bis zu % 1W0as0 serkraft Wir versorgen Ihr Unternehmen mit einer Stromlösung, die genau zu Ihnen passt: 089 890 560 oder www.verbund.de