Valparaiso -ein Hafen am Ende der Welt
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Valparaiso -ein Hafen am Ende der Welt
Jlroc Äjtr&itimg WOCHENENDE 592/55 Sonntag, 20. Dezember 1970 Nr. 592 (Fernnusgabo Nr. 349) 55 Valparaiso - ein Hafen am Ende der Welt Bin Bericht von Hugo Loelsclwr (Text) und Willy Spiller (Foto) Santiago de Chile wurde einst die «Stndt dos heiligen Jakob vom Ende der Well» gemannt. Nimmt man die Karte zur Hand und zieht man die Linie von einum spanischer! Europa aus, versteht man, weshalb die Stadt zu einem solchen Beinamen kam. Hinter diesem Ende rd e Welt liegt ein anderes Weltende, aber dieses öffnet sich auf eine neue Welt, auf die andere Hälfte, auf die pazifische. Es ist der Hafen Valparaiso, der genauen Chronologie nach älter als Santiago de Chile. So sehr eine europa-zentrische Vorstellung diesen Hafen ans Ende der Welt verweist, so gibt es eine Geographie, die für ihn eine neue Rolle vorgesehen hat: rd e pazifische Raum. Die fernen Nachbarn würden Australien und Japan heißen, die pazifischen Inseln und der Ferne Osten. Sicher, dieses Thema kommt vorläufig nicht ohne Spekulation aus, aber es geht um eine Zukunft, was bis andie sich bereits abzuzeichnen beginnt. Allerdings hin Valparaiso ausgemacht hat, wurde durch seine Beziehungen zum atlantischen Raum und zu Europa bestimmt, sowohl was die Vorrangstellung wie was die Entthronung anbelangte, Solange es galt, den südamerikanischen Kontinent zu umschiffen, um auf die Pazifikseile zu gelangen, war Valparaiso der wichtigste Hafen im Südpazifik. Diese Vorrangstellung verlor Valparaiso, als der Panamakanal gebaut wurde. Aus der einstigen Vorrangstellung ist wohl auch zu erklären, weshalb sich dieser Hafen «Valparaiso» nennt «Paradiestal». Das bloße Auge käme nie auf eine solche Bezeichnung. Aber man muß an die Seeleute denken, die bei der Umschiffung Südamerikas die gefährliche Magalhüesstraße zu passieren hatlcni darnach mochte alles als Paradies vorkommen, auch die vier Kilometer breite Bucht, an der Valparaiso gebaut wurde eine Bucht, die nach Norden offen liegt und sich nur schwer gegen die Winter stürme wehrt; denn der Bau eines schützenden Hafendammes ist wegen des schnell abfallenden Meerbodens nicht möglich. Nein das Wort «paradiesisch» stellt sich nicht ein, Es sei denn: die Frauen sind so berühmt, daß alte Seeleute vor dem Lebensabend sich noch einmal auf ein Schiff anheuern lassen, das in dieser chilenischen Hafenstadt anlegt. Valparaiso nimmt zunächst durch seine geographische Lage ein: ein schmales Küstenstück, hinter dem gleich die Hügel ansteigen. Die Stadt wiederholt die Geographie des ganzen Landes: einen dünnen Küstenstrich zu besitzen, den die Berge limitieren. Die Topographie hatte für Valparaiso Konsequenzen. Die Stadt konnte sich nur den Hügeln entlang und über die achtzehn Bergrücken ausdehnen. Es sind denn auch die Häuser an diesen, Hügeln, die auffallen und das Gesamtbild bestimmen, Häuser, die angeklebt und aufgepfropft wirken; sie halten sich auf Strecken und Stelzen, Pfahlbauten in die Luft hinaus, von denen man sich fragt, wo wohl der Eingang sei, so drängen sie sich übereinander und verschachteln sie sich. Und um zu diesen Hügeln zu gelangen, wurde eine Reihe von Drahtseilbahnen gebaut, die mit ihren Schienen zwischen den Wellenlinien der Hügel und den Terrassenlinien der Häuser ihre dezidierten Schrägen setzen. Entsprechend dieser Topographie pflegt man von einer Oberund einer Unterstadt zu reden, und alle Reiseführer wiederholen die Behauptung. Aber eine solche Unterscheidung ist visuell schwer zu treffen. Natürlich liegen die Wohnquartiere oben und das Geschäftsvierlei unten um die Hafenanlagei aber diese -W o h n quartiere füllen nicht eine Oberstadt aus, sondern liegen auf einer Unzahl von Hügeln und bilden somit einen Kranz von Oberstädten und ermöglichen das Amphitheater von Lichtern, welche das Nachtbild dieses Hafens ausmachen, Eine der Zahnradbahnen, die das Stadtbild von Valparaiso prägen. In der Oberstadt liegen Wohnviertel, die stark mit dem «19.-Jahrhunderl-Prunki>; der City kontrastieren. Und es sind auch die Hügel, welche die «Miradores», die Aussichtsterrassen, offerieren und damit den Weit- und Rundblick auf Ein Andenken an Lord ,Cochrane einen der vielen Engländer, die das Schicksal der Stadt mitbestimmten. 56 56 Sonntag, 20. Dezember 1970 Nr. 592 (Fernausgabc Nr. 349) WQCHbNJiND.E Statt Ärf)er3etomß den Hafen und über die Bucht Der berühmteste Mlrador Ist zugleich ein historischer: von ihm sah General O'Higgins zu, wie die chilenischen Schiffe ausfuhren, um den Peruanern Im Kampf gegen die Spanier zu helfen, und rd e Mirador heißt heute nnch diesem O'Higgins, dem Holden rd e chilenischen Unabhängigkeit Noch immer bat der Blick auf den Hafen etwas Militärisches) in ihm liegen chilenische Kriegsschiffe. Zwar haben die Schiffe noch elnon zweiten Hafen, für den Winter, Coquimbo, das geschützter ist. Aber in Valparaiso befindet sich die Schule rd e Kriegsmarine, in olnom Gebäude, das ober nach Kloster als nach Kaserne aussieht. Valparaiso hat seine Konkurrenten Der Hafen von San Antonio hat sich in den letzten Jähren auf Kosten von Valparaiso vorgröOcrti es ist der Verschiffungshafen für das Kupfer aus den Minen «EI Tenlente». Nun führte Valparaiso stets eine merkwürdige Bilanz: drei Viertel des Importes kamen über diesen Hafen Ins Land, aber nur ein Zehntel der Ausfuhr wird hier verladen. Für den Export gibt es andere Häfen: für das Kupfer den schon erwiihnten San Antonio, für die Kohle Coronol und für Salpeter den nordchilcnischen Hafen Iquique, Valparaiso tritt ja auch kaum allein auf, Es wird gewöhnlich mit seiner Schwesterstadt Vifia del Mar genannt, einer Stadt, mit der es außer der Nachbarschaft nichts Gemeinsames hat, an der gleichen Küste gelegen, die sich beiden Städten verschieden darbietet. Vifia del Mar ist mondän; es besitzt B&destrände, die zu den berühmtesten und teuersten des Landes gehören. Und der Badeort ist zugleich der bedeutendste Konferenzorti er kommt immer wieder in der politischen Geographie Südamerikas vor. Schon in eine Palmenoase hineingebaut, hat Vifia del Mar seine Gartenanlagcn und Parke kultiviert, es konnte dies nicht zuletzt wegen eines Casinosi Roulette und Bakkarat sind für Vifia del Mdr, was die Docks für Valparaiso sind. Allerdings: Valparaiso Ist nicht nur Hafenstadt, es teilt sich mit Santiago in der Ausbildung, In Valparaiso hatten sowohl die staatliche wie die katholische Universität von Santiago de Chile einige Fakultäten untergebracht. Die bekannteste Hochschule aber ist die «Universidad Tecnica Federico Santa Monica», eine Stiftungsuniversität von imposantem Ausmaß, ein Unikum nicht nur für Chile. Aber neben Vifia del Mar wirkt Valparaiso, das mit seinen doppelt so groß ist, banalen es ist arbeitsamer 280 000 Einwohner n und lichtscheuer, unverfrorener und betriebsamer, bunter und lauter. Und es hat vor allem eine Mischung, wie man sie in keiner andern südamerikanischen Stadt antrifft; spanische Allüre mit englischem Understatement oder wildgewordener Puritanismus mit iberischer «desinvoltura». Die Engländer hatten ihren Teil bei der Unabhängigkeit geleistet, und sie n w a r e auch nach der Unabhängigkeit geblieben. Sie brachten nicht nur Versicherungen und Handelshäuser, son-. englische Bar, den five o' clock tea; und die Feuerdem auch die wehr trägt Immer noch die gleichen Helme wie jene von Liverpool, Es ist ein abenteuerndes England, das hier auf viktorianisch auftrat und nicht nur die Fassaden mitbestimmte. Keiner Epoche gehört die Stadt an; dazu Ist der Boden mit «inen Erdbeben zu unruhig. Den Spuren und der Assoziation lach aber sind alle Epochen und ihre menschlichen Typen da, die hier möglich waren: der Missionar und der Söldner, der Pirat und rd e Kontorist, der Sklavenhändler und der Schmuggler, der Abenteurer der Liebe und der Politik, der Held der Lastenträger und der Lyriker Rüben Dario, der als Zollbeamter gearbeitet hat. Diesem Valparaiso galt eine Fahrt an einem Vorfrühllngstag, der hier im späten August stattfinden kann. Ein Valparaiso Nebel, im der für Momente durchbrochen wird, Für Momente das Blau des pazifischen Himmels. Dann wieder Schwaden im Fächergeripp der Palmen. Die Steilstraßen ohne Konturen und die Hügel verschleiert. In der plötzlichen Sonne jedoch zeigen die Häuser ihre Popfarben, und ihre Luftwurzeln greifen nicht mehr ins Leere. Aber die Wolken schwafeln von neuem. Auf den historischen Denkmälern erfrieren die Figuren zum zweitenmal. Die Musik aus den Kellerkneipen zerschlägt sich. Und für eine Weile ein Marktplatz, der sich mit Selbstverständlichkeit sonnt. Aber der Hafen gehört den Möwen und die Möwen dem Windstoß, dazwischen ein einzelner Pelikan. Das gräßliche Heulen der Sirene neben dem Leuchtturm gibt ein Zeichen für die Orientierung; sie betrifft den Seemann nicht, der uns durch den Hafen rudert. Präparieren der Fische tür n d e Sonnlagsvcrkaul am Strand. Die historische Bedeutung der Stadt zeigt sich nicht xuletzl In ihren Denkmälern, die unter anderem an die Seeschlacht vom 18. Stau jw»- wichtigste Umschlagplatz Ueberholen der Schule im Hafen, der einst der an der pazillschen Küste Lalcinamerlkas war. Im Gegensalz zum Betrieb am Haien nimmt sich der Fischerhaien dieser Großstadt geradezu Idyllisch aus. Mai 1879 erinnern.