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Gleichbehandlung schafft auch künftig keine Gleichbehandlung
Gesetzlich normierte Diskriminierung von Flüchtlingen
Vortragsmanuskript von Martin Link u. Astid Willer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
für die Ringvorlesung am 17.10.2007 in der FHS Kiel.
Das auch aus den Kreisen der Flüchtlingssolidarität sehnlichst erwartete
Antidiskriminierungsgesetz – jetzt heißt es Gleichbehandlungsgesetz – ist seit über
einem Jahr in Kraft. Hinsichtlich der Ausgrenzung der bleiberechtsungesicherten
Flüchtlinge sorgte ein breiter Konsens zwischen EU-Kommission, Bundesregierung
und Teilen der Opposition dafür, dass das neue Gesetz bestehende normierte
Ungleichbehandlungen von bleiberechtsungesicherten, politisch,
aufenthaltsrechtlich wie gesellschaftlich nur geduldeten Menschen, nicht
beseitigen kann. Wer also hoffte, das Gleichbehandlungsgesetz würde
insbesondere die gegen Flüchtlinge intendierten „gesetzlich normierte
Diskriminierungstatbestände" beseitigen, wurde erwartungsgemäß enttäuscht.
Flüchtlingspolitik ist Ausgrenzungspolitik
[FOLIE Globale Migration]
Schon heute leben 10 Mio. Kriegsflüchtlinge im Exil und 25 Mio. Binnenvertriebene fern
ihrer Heimat. Außerdem werden ca. 190 Mio. Menschen, die anderen Orts eine
Überlebenschance suchen, von Statistikern und interessierter Politik als
„ArbeitsmigrantInnen“ oder „WanderarbeiterInnen“ diskreditiert. Bis 2025 kalkulieren
Fachleute allein in Afrika noch weitere 135 Mio., die sich in Folge fortschreitender
Globalisierung ruinierter heimischer Märkte auf den Fluchtweg begeben. Greenpeace und
renommierte Umweltwissenschaftler rechnen darüber hinaus bis 2050 mit weltweit 150
Mio. Klimaflüchtlingen.
Doch anstatt seine Möglichkeiten der Flüchtlingsaufnahme weiter zu entwickeln, reagiert
Europa auf diese Entwicklung durch filigrane Abschottungsmaßnahmen.
Deren Kennzeichen sind:
[FOLIE Foto Mittelmeer]
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Prozesse gegen Schiffsbesatzungen, die Flüchtlinge aus Seenot retten,
bezahlte exteritoriale Internierungen in EU-Anrainerstaaten,
rechtswidrige Deportationen durch EU-Mitgliedstaaten,
schußwaffenbewährte Aufrüstung der EU-Grenzanlagen,
eine jährlich zunehmende Zahl von Menschen, die ihre enttäuschten Hoffnungen
auf unseren Schutz mit dem Leben bezahlen (2006: geschätz bis zu 30.000)
und nicht zuletzt ein konzertiertes Bemühen um die weitergehende Entkernung des
Asylrechts und des Flüchtlingsschutzes in Europa.
Das kommentiert Reinhard Marx, renommierter Staatsrechtler aus Frankfurt/Main wie
folgt:
Die erforderliche Legitimation für diesen aus menschenrechtlicher Sicht höchst
fragwürdigen europäischen Abwehrprozess verschafften und verschaffen sich die
Mitgliedstaaten weiterhin durch eine gezielte Stigmatisierung Schutz suchender
Flüchtlinge als illegale Einwanderer.
Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Notwendigkeit, nach den Einreisemotiven
irregulär einreisender Personen zu forschen und schutzbedürftigen Personen
internationalen Schutz zu gewähren, ist...nahezu erstickt worden. Heute ist Asylrecht
und Flüchtlingsschutz in den politischen Konzeptionen der Regierungen in Europa
und insbesondere in Deutschland ohne Bedeutung.
Dass Menschen vor politischer Unterdrückung, bürgerkriegsartigen Bedrohungen und
wahllos ausgeübter Gewalt weiterhin ihre Herkunftsländer verlassen müssen und
unverändert auf den Schutz der Aufnahmeländer angewiesen sind, ist angesichts
dieser offensiv hervor gebrachten internationalen, politischen Rahmenbedingungen
aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden.
[FOLIE Schutz & Asyl in Zahlen]
Kein Wunder also, dass trotz weltweit eskalierender Fluchtgründe die Zahl der
Asylanträge stark rückläufig ist. Im Jahr 2006 wurden europaweit nur 190.000, in
Deutschland 21.029 Erstanträge erfasst. Allein im Vergleich zum Vorjahr (28.914)
bedeutet dies einen Rückgang um 27,3 %.
Das hinterlässt auch in Schleswig-Holstein Spuren. Hinter den Deichen leben derzeit
weniger als 3.000 geduldete Flüchtlinge. Nur 792 Asylerst- und Asylfolgeanträge wurden
2006 gestellt – nicht einmal 5% werden anerkannt. Was die Zahlen verschweigen: Nicht
wenige bleiben aus Angst heimlich in der sog. Illegalität. Bundesweit zig-Tausenden von
der Asylstatistik unbeachteten Flüchtlingen, die sich in Schleswig-Holstein schon heimisch
wähnten, wird derweil von Amts wegen qua Widerrufverfahren die Rechtssicherheit
wieder entzogen.
Flüchtlinge gehören angesichts einer behördlichen Asylanerkennungsquote von
inzwischen 0,8% und einer gerichtlichen von noch einmal ca. 4% offensichtlich nicht zu
denen, die als dauerhaft Einwandernde verstanden werden. Sie sind keine
integrationspolitische Zielgruppe. Mehr noch: Ihre Integration ist nicht nur unerwünscht,
sondern soll unbedingt verhindert werden.
[FOLIE Zitat IM Stegner]
Flüchtlinge sind eben wie Innenminister Dr. Ralf Stegner es pauschal feststellt, keine
Menschen, „die dauerhaft zu uns kommen“. Seines Erachtens heißt
Integrationsförderung „denen, die dauerhaft hier bleiben“ klare Regelungen und
Perspektiven zu geben. Gleichzeitig müssten „ebenso klare Verfahren für diejenigen
gelten, die hier nicht auf Dauer leben werden. Denn letztlich ist es humaner, Menschen
ohne Bleibeperspektive schnellstmöglich dazu zu bewegen, freiwillig nach Hause zu
reisen, als ihnen jahrelang falsche Hoffnungen zu machen“ (Dr. Ralf Stegner,
Neumünster, 19.4.2006). Dass die Politik den Menschen gute statt falscher Hoffnungen
machen könnte, kommt dem Minister indes nicht in den Sinn.
Der Minister liefert damit den Begründungshintergrund dafür, dass für Flüchtlinge im
Asylverfahren vom Gesetzgeber ausdrücklich keine Integrationsmaßnahmen vorgesehen
sind. Dies hat sich auch mit der der neuen Zuwanderungs- und Integrationsdiskussion
nicht geändert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass zum vieldiskutierten
Integrationsgipfel im Sommer 2006 keine Flüchtlingslobbyorganisationen eingeladen
waren.
[FOLIE Aufenthaltserlaubnis]
Dass Asylsuchende nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland erhalten, ist mit Blick
auf die Asylanerkennungszahlen offensichtlich. Dennoch erhalten außerhalb des Asyls
nicht wenige Personen eine Aufenthaltserlaubnis durch subsidiären Schutz z.B. aus
humanitären Gründen, wegen Nichtbehandelbarkeit einer Krankheit, Foltergefahr,
Staatenlosigkeit, Bürgerkriegssituation im Herkunftsland etc. oder durch seltene
humanitär begründete amtliche Ermessensentscheidungen bzw. durch eine
Härtefallkommission.
[FOLIE Duldung]
Ein weiterer Personenkreis erhält einen Abschiebeschutz in Form einer Duldung, die
allerdings kein Aufenthaltsrecht sondern nur die „Aussetzung der Abschiebung“ z.B. nach
abgelehntem Asylverfahren bedeutet. Gleichwohl lebt ein Großteil viele Jahre lang mit
einer solchen Duldung in Deutschland, da eine Abschiebung oder Ausreise faktisch nicht
möglich ist: z.B. wird die Behörde sie als Staatenlose nicht los, es fehlen
Reisedokumente, die Rückkehr ist allenfalls freiwillig zumutbar, der (unterstellte)
Herkunftsstaat verweigert die Einreise oder kein Pilot traut sich, dorthin zu fliegen.
Ein Zustand, der jahrelang daueren kann. Bundesweit gibt es über 200 000 Geduldete, in
Schleswig-Holstein knapp 3.000. Ein Großteil lebt länger als 5 Jahre in Deutschland. Und
schließlich ist zu bedenken, dass auch die Asylverfahren z.T. viele Jahre dauern. 5-10
Jahre Aufenthalt im laufenden noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren sind nach
unseren Erfahrungen keine Seltenheit.
In den Jahren des ungesicherten Aufenthalts im Zustand der Integrationsverweigerung
findet dennoch Verwurzelung statt, werden trotz allem Kontakte geknüpft, Kinder geboren
oder sie wachsen hier auf und kennen ihre sogenannte „Heimat“ nur von Fotos.
Normierte Diskriminierungen sind Instrumente der Flüchtlingsabwehr
Die Jahre des Asylverfahrens oder der Duldung sind wertvolle Zeit, die angesichts
zahlreicher ausgrenzender Sondergesetze für die gesellschaftliche Integration und die
persönliche Weiterentwicklung der betroffenen Flüchtlinge ungenutzt bleibt. Diese im
weiteren näher ausgeführten normierten Diskriminierungen werden auch durch das AGG
nicht angetastet.
Sie stehen aber selbst einer nachhaltigen Reintegration und Existenzsicherung im Falle
einer unvermeidlichen oder gewollten Rückkehr oder Weiterwanderung entgegen.
Insbesondere für Kinder und Jugendliche, die hier aufwachsen oder gar geboren werden
und denen allenfalls ein Schulbesuch bis zur Ende der Schulpflicht möglich ist, bedeutet
diese Form der Desintegrationspolitik die Unmöglichkeit eine Zukunftsperspektive zu
entwickeln
Die Produkte legislativer Fantasie und administrativen Engagements behindern die
Bewegungsfreiheit, unterlaufen den nachhaltigen Arbeitsmarktzugang, speisen mit
Sachleistungen ab oder verteilen Chancen auf Bleiberecht unberechenbar willkürlich.
Was heißt das konkret?
Diskriminierung der Bewegungsfreiheit
[FOLIE Residenzpflicht]
Neu einreisende Flüchtlinge werden zunächst einer sog. Erstaufnahmeeinrichtung (EAE)
zugeführt. Gem. AsylverfG sind sie hier bis zu drei Monate in der anschließenden
„Zentralen Gemeinschaftsunterkunft“ des jeweiligen Bundeslandes weitere mindestens 6
Monate „wohnverpflichtet“. Sie unterliegen der Residenzpflicht: Das Stadtgebiet zu
verlassen ist ihnen nur auf einen bewilligten Antrag hin erlaubt. Verstöße werden bestraft.
Die Landesunterkünfte für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein befinden sich in der
Vorwerker-Kaserne in Lübeck und in der Scholz-Kaserne in Neumünster. Im Frühjahr
2006 verfügte der Kieler Innenminister, dass Flüchtlinge aus 10 Herkunftsländern, bei
denen mit Blick auf die Anerkennungsquoten keine Aussicht auf ein erfolgreiches
Asylverfahren bestünden, nicht mehr wie vordem in die Kreise und kreisfreien Städte
umverteilt werden. Das trifft seitdem regelmäßig Flüchtlinge aus der Türkei, Pakistan, Sri
Lanka, Georgien, Algerien, Armenien, aus der Russischen Föderation (inkl.
Tschetschenien!), Serbien, Montenegro und Indien.
Die Betroffenen bleiben unbefristet über die i.d.R. gesetzlich vorgesehenen neun Monate
in den Kasernen „wohnverpflichtet“. Die psychische Belastung, interne Spannungen und
die soziale Ausgrenzung in den Kasernenlagern sind hoch. Die sog. Betreuungsverbände
in den Lagern haben die Aufgabe, die Leute sauber und satt zu halten und die Einhaltung
der Hausordnung durchzusetzen. Eine auf soziale Kontakte mit Einheimischen oder auf
Förderung der Integration orientierte Begleitung ist vertraglich nicht vorgesehen.
In den Lagern unterliegen AsylbewerberInnen einem Arbeitsverbot. Gleichzeitig sind sie
nach dem AsylbLG lediglich Sachleistungs-berechtigt: d.h. sie erhalten Kost & Logi,
Gesundheitsnotversorgung und 10 EUR Taschengeld/Woche. Von diesen Barmitteln
müssen sie ihren Bedarf an ÖPNV, Rechtshilfe, kulturspezifischen Lebensmitteln, ggf.
Rauchwaren, Porto, Telefon, Schulmaterial etc finanzieren.
Asylbewerber unterliegen während der zentralen Lagerunterbringung einer täglichen
Meldepflicht und werden bei Verstoß mit Entzug des Taschengeldes bestraft. Die Kinder
werden jahrgangsübergreifend in einer Mini-Lagerschule unterrichtet = alphabetisiert. Eine
Einschulung in Regelschulen geschieht nur im Ausnahmefall. Die BewohnerInnen dürfen
nicht selbst kochen, sondern werden von einer Großküche zwangsversorgt, die wenig
Rücksicht auf individuelle oder kulturelle Essgewohnheiten nimmt. Arbeitsgelegenheiten in
Küche und Reinigung gibt es nur manchmal und nur auf 1-Euro-Basis. Regelmäßig
werden die BewohnerInnen zu sog. „Gesprächen“ mit dem Landesamt für
Ausländerangelegenheiten vorgeladen, die dazu dienen, ihnen die freiwillige Rückkehr
nahezulegen bzw. sie im Falle „fehlender Mitwirkung“ mit Sanktionen zu bedrohen.
[FOLIE Foto Kaserne NMS]
Protestaktionen der BewohnerInnen der Scholz-Kaserne im Frühjahr 2007 –
insbesondere mit z.T. jahrelangen Verweilzeiten begründet – kamen nicht überraschend.
Das Innenministerium gab inzwischen bekannt, dass die Kaserne in Lübeck geschlossen
werden soll. Doch anstatt die Menschen verstärkt in die Obhut der Kreise und Gemeinden
umzuverteilen, hat das Innenministerium im September 2007 angekündigt, mittelfristig
sämtliche Flüchtlinge in die Scholz-Kaserne in Neumünster – die zu einem
„Kompetenzzentrum für Rückkehr“ mutieren soll – zuzuweisen. Diese Fortführung der
Unterbringung in zentralen Lagern wird von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen
entschieden abgelehnt.
Allerdings unterliegen auch dezentral umverteilte und noch bleiberechtsungesicherte
Flüchtlinge der Residenzpflicht in dem ihnen zugewiesenen Aufenthaltsbereich des
Kreises bzw. der kreisfreien Stadt. Wer Glück hat, kommt nach Kiel oder Flensburg, wer
Pech hat, kommt z.B. in eine Unterkunft wie Stohl im Kreis Rendsburg-Eckernförde oder
Köhn im Kreis Plön. Dort leben sie hinter den Knicks weit ab von Infrastruktur wie
Geschäften, Kindergarten, Schulen, Sportvereinen etc. und mit schlechter
Verkehrsanbindung. Gerade im ländlichen Raum kommt es bei dezenral Untergebrachten
regelmäßig zu Situation tatsächlicher und selbst empfundener Isolation.
Zum Beispiel James.
Der afrikanische Flüchtling ist einem Dorf im Kreis Segeberg zugewiesen. Er
besucht von Zeit zu Zeit den Gottesdienst einer afrikanischen Gemeinde in
Hamburg. Hier nimmt er am muttersprachlichen Gottesdienst teil, trifft Landsleute
und versucht Nachrichten über die Situation in seiner Heimat zu recherchieren.
James nutzt die Besuche in der Großstadt zum Einkauf kulturspezifischer
Lebensmittel, die er in dem ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereich nicht erhalten
kann. James darf den ihm gem. AsylVfG zugewiesenen Aufenthaltsbereich, das
Kreisgebiet nicht ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde verlassen. Für jeden
Gottesdienstbesuch müsste er dort eine Reisegenehmigung beantragen. Die
Behörde hat diese Genehmigung mehrfach abgelehnt, weil am Besuch des
Gottesdienstes der afrikanischen Gemeinde in Hamburg kein dringendes
öffentliches Interesse besteht, keine zwingenden Gründe es erfordern und - mit
Verweis auf Gottesdienstangebote lokaler Kirchengemeinden - die Versagung der
Erlaubnis keine unbillige Härte bedeute. (vgl. § 58.1 AsylVfG). Bei Verstoß wird
James wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt. Im Wiederholungsfall macht er
sich einer Straftat schuldig. Verurteilungen werden kumuliert gerechnet und stehen
ggf. einer Bleiberechtsverfestigung entgegen.
Diskriminierungstatbestand:
James A. und alle anderen Flüchtlinge, die noch über kein endgültiges Bleiberecht
verfügen, unterliegt mit der sog. Residenzpflicht einer rechtlichen Norm mit dem
Ziel nachhaltiger Marginalisierung per Einschränkung und Kontrolle der
Bewegungsfreiheit. Die Residenzpflicht erfüllt keinerlei materiell rechtlichen Zweck
im Interesse Dritter oder der Bundesrepublik Deutschland. Im Gegenteil ist
festzustellen, dass die Residenzpflicht infolge ihrer integrationsbehindernden
Wirkung die Abhängigkeit Betroffener von Leistungen der öffentlichen Hand
verstärkt und somit der Gesetzgeber vermeidbare Kosten verantwortet. Die im
Zuge der Sanktionierung von Verstößen einher gehende Kriminalisierung wird
dabei vom Staat billigend in Kauf genommen. Gegen die Residenzpflicht kann
außer aufenthaltsbeschränkten Nichtdeutschen kein anderer hierzulande
aufhältiger Mensch verstoßen. Die Gruppe der Betroffenen ist administrativ
determiniert.
Inzwischen werden durch ausländerbehördliche Entscheidungen auch immer mehr GFKFlüchtlinge mit einer Residenzpflicht in Bundesländern, Kreisen oder Gemeinden belegt.
[FOLIE Zitat UNHCR]
„Nach Auffassung von UNHCR ist die Praxis der Einschränkungen der Wohnsitzfreiheit
sowohl bei Flüchtlingen als auch bei subsidiär geschützten Personen mit dem Völker- und
Europarecht nicht vereinbar.“ sagt dazu im Juli dieses Jahres der Berliner Vertreter des
Hochkommissars für Flüchtlinge der Vereinten Nationen und verweist u.a. auf die
Freizügigkeitsgebote der Genfer Flüchtlingskonvention oder der EU-Qualifikationsrichtlinie
sowie auf das Diskriminierungsverbot der EMRK.
Diskriminierung durch Ausbildungs- und Arbeitsverbot
[FOLIE Ausbildung & Arbeit]
In Kapitel 3 des Zuwanderungsgesetzes ist erstmalig die Förderung von Integration
gesetzlich festgeschrieben. Inhaltlich beschränken sich die vorgesehenen Maßnahmen
auf Integrationssprachkurse, einen 30stündigen Orientierungskurs und die
Migrationserstberatung (MEB). Außerdem ist der Personenkreis beschränkt auf
diejenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben und deren Aufenthalt auf Dauer angelegt
ist. Damit sind nicht nur AsylbwerberInnen und Geduldete von der Teilnahme
ausgeschlossen, sondern auch Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25,5
AufenthG die meist nur für 6 Monate erteilt wird.
Für AsylbewerberInnen und Geduldete hat sich in Schleswig-Holstein die Situation in
Hinblick auf Sprachkurse seit In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes noch
verschlechtert. Bis dahin hat das Land Schleswig-Holstein auch Mittel für die Förderung
von Sprachkursen für AsylbewerberInnen zur Verfügung gestellt. Diese wurden anlässlich
der neu eingeführten Bundesförderung für die Integrationskurse gestrichen. Damit fallen
AsylbewerberInnen ganz aus der Sprachförderung raus. Einigen privaten Initiativen ist es
zu verdanken, dass es überhaupt noch kostenlose Angebote für sie gibt.
Für junge ggf hier aufgewachsene AsylbewerberInnen und Geduldete bedeutet dies auch,
dass nach dem Besuch und erfolgreichem Abschluss der Regelschule keine Ausbildung
im dualen System möglich ist, da auch hier eine Arbeitserlaubnis nach dem
Nachrangigkeitsprinzip erforderlich ist.
Ebenso hatten sämtliche EmpfängerInnen von Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungs-gesetz ausdrücklich keinen Anspruch auf die nach SGB II
vorgesehenen beruflichen Fördermaßnahmen. (z.B. SGBII §7,1 Nr. 4). Das hat sich mit
dem Inkrafttreten des 2. Änderungsgesetzes zum ZuwG allerdings zugunsten von über
vier Jahre Geduldeten jetzt geändert.
Das Asylverfahrensgesetz legt in § 61 für AsylbewerberInnen im ersten Jahr nach
Antragstellung ein generelles Arbeitsverbot fest.
Danach unterliegen Flüchtlinge entsprechend §§ 39 – 42 Aufenthaltsgesetz und der
Beschäftigungsverfahrensverordnung ebenso wie Geduldete aber auch Personen mit
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25,4 und 25,5 AufenthG dem Nachrangigkeitsprinzip
beim Zugang zum Arbeitsmarkt. D.h. anhand von einem konkret vorliegenden
Arbeitsangebot wird bei der Ausländerbehörde ein Antrag auf Arbeitserlaubnis gestellt.
Von der Agentur für Arbeit wird dann geprüft, ob Deutsche oder andere Bevorrechtigte für
den Arbeitsplatz zur Verfügung stehen. Ist dies der Fall gibt sie keine Zustimmung und die
Ausländerbehörde darf keine Erlaubnis erteilen. Es reicht dabei auch die allgemeine
Prüfung der Arbeitsmarktlage. Auch der Wunsch des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin
ausdrücklich den/die AntragstellerIn einstellen zu wollen hilft hier nicht, es sei denn
besondere für den Arbeitsplatz relevante Kenntnisse unterscheiden den/die BetreffendeN
von anderen Arbeitssuchenden.
Verschärft wirkt sich dieses Nachrangigkeitsprinzip seit In-Kraft-Treten der HartzReformen aus, da nunmehr jede Tätigkeit für alle Arbeitssuchenden zumutbar ist und
damit auch für Hilfstätigkeiten rein rechnerisch ausreichend deutsche und andere
Bevorrechigte zur Verfügung stehen. Selbst wenn sich konkret niemand für die Stelle
findet wird einer Arbeitsaufnahme nicht zugestimmt. Dies kommt im Ergebnis einem
faktischen Arbeitsverbot gleich
Zudem dauert durch die Antragstellung über die Ausländerbehörde und das der
Bescheidung vorausgehende Konsultationsverfahren mit der Agentur für Arbeit die
Bearbeitung teilweise Monate, so dass der/die ArbeitgeberIn sich dann von selbst
anderweitig umsieht.
Durch die rechtliche Ausgrenzung von Bildung und Arbeit wird das Klischee der
„Arbeitscheuen Asylanten“, die „dem Steuerzahler auf der Tasche liegen“ gepflegt, und
damit kalkuliert zur gesellschaftlichen Diskriminierung beigetragen.
Tatsächlich sind Flüchtlinge hochmotiviert und bringen zahlreiche Kompetenzen mit, die
allerdings durch die erzwungene Untätigkeit zu verkümmern drohen. Dies möchte ich an
den Erfahrungen verdeutlichen, die an den Maßnahmen zur Qualifizierung von
Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthalt im Rahmen des EU-Programmes EQUAL in
Schleswig-Holstein teilnahmen (www.frsh.de/perspective/):
65% der KursteilnehmerInnen haben eine mehr als 10jährige Schulausbildung
mitgebracht.
55% haben eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen.
60% verfügen über im Herkunftsland erworbene berufliche Erfahrungen.
80% sprechen mehr als eine andere Sprache.
Das heißt, dass hier Ressourcen vorhanden sind, die ungenutzt bleiben und vor dem
Hintergrund der Rechtslage Menschen in Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen
halten, während gleichzeitig mit halbherzigen Greencard- und Ausnahmeregelungen
ausländische Fachkräfte angeworben werden.
Die fehlende Teilhabe führt zu Segregation, Kriminalität, Ghettobildung und
gesellschaftlichen Konflikten. Sie führt auch zu unnötigen Kosten und ist besonders in
Hinblick auf hier aufgewachsene Kinder und Jugendliche zutiefst inhuman.
Zum Beispiel Ahmed A.
Er ist Flüchtling aus der Türkei. Er lebt seit fast 4 Jahren in Deutschland und ist
gem. §60a AufenthG wegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse geduldet. Seit
zwei Jahren ist er bei einem Gastronomiebetrieb als fahrender Verkäufer von
Lebensmittelfertigprodukten beschäftigt. Die Arbeitserlaubnis hat er bekommen,
weil das Arbeitsamt keinen deutschen oder aus anderen Gründen Bevorrechtigten
auf die zu besetzende Arbeitsstelle vermitteln konnte.
Vor zwei Jahren ist zum Unwillen der deutschen Behörden seine Ehefrau mit
einem Sohn aus der Türkei eigenständig nachgereist. Die Frau ist inzwischen
schwanger. Ahmed A. beantragt bei Inkrafttreten des ZuwGes eine
Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörde versagt die Verlängerung der
Zustimmung zur Erteilung einer weiteren Arbeitserlaubnis (§§39, 42 AufenthG).
Weiterhin lehnt sie die beantragte Aufenthaltserlaubnis mit Verweis auf nunmehr
nicht mehr bestehende Unabhängigkeit der Familie von Leistungen der öffentlichen
Hand ab und droht der Familie - ohne diese durchsetzen zu können - die
Abschiebung an. Die Anrufung der Härtefallkommission (§ 23a AufenthG) bleibt
erfolglos, obwohl der Arbeitgeber eine umgehende Wiedereinstellung bei
unbefristetem 100% Arbeitsvertrag zugesagt hat. Die Arbeitsverwaltung war nicht
in der Lage, dem Arbeitgeber einen anderen Arbeitssuchenden für die durch
Ausländeramtshandeln vakant gewordene Arbeitsstelle zu vermitteln.
Diskriminierungstatbestand:
Ahmed A. ist Opfer einer gesetzlich und ermessensamtlich betriebenen sozialen
Marginalisierung. Ziel des Versagens der Arbeitserlaubnis ist die Verhinderung der
Aufenthaltsverfestigung. Die in Ausübung des Ermessens geschehene
Verweigerung der Arbeitserlaubnis durch die Bundesagentur für Arbeit entspricht
nicht den Bedarfen des Arbeitsmarktes und macht die Familie
versorgungsbedürftig. Die Verweigerung der Arbeitserlaubnis trifft inzwischen ohne
Berücksichtigung von Arbeitsmarktbedarfen regelmäßig Personen, die eine
Aufenthaltsverfestigung betreiben. Die Anwendung dieses
Arbeitsmarktinstrumentes gegenüber Betroffenen geschieht durch die unheilige
Allianz von Gesetz und im Ergebnis diskriminierend wirkendem
Verwaltungsermessen.
[FOLIE Ausnahmen 2. ZuwGÄG]
Das 2. ZuwGÄG schafft nun allerdings im Zuge einer seit August geltenden
„Gesetzlichen Altfallregelung“ für solche Personen, die am 1. Juli 2007 - als Familie seit 6
und als Erwachsene seit 8 Jahren - in Deutschland leben, die Möglichkeit eines bis Ende
2009 befristeten freien Arbeitsmarktzugangs. Diese Regelung ist allerdings mit so vielen
Ausschlussklauseln beschwert, dass nur eine Minderheit – geschätzt werden 15 bis 25%
der Geduldeten damit eine Zukunftschance erhalten. Die von Verbänden, Kirchen, Teilen
der Politik sowie Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen geforderten kürzeren
Aufenthaltsfristen, eine Entschlackung der Ausschlusskriterien und eine rondierende
Gesetzesregelung statt der Stichtagsbindung wurde vom Bundestag abgelehnt. Eine
Verlängerung des Unzustands von massenweise im Marginalisierungszustand der
„Kettenduldung“ Lebenden damit festgeschrieben.
Diskriminierung durch sozialrechtliche Sachleistungen
Im Asylbewerberleistungsgesetz (§3 und §4) ist ausdrücklich festgelegt, dass
AsylbewerberInnen und Geduldete mindestens 4 Jahre lang geringere Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts bekommen als Deutsche. Das heißt sie erhalten weniger
als für eine/einen Deutschen als notwendig für ein menschenwürdiges Leben erachtet
wird.
Zur Zeit sind das 224 Euro zzgl. Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
gegenüber den bei Sozialhilfeberechtigten üblichen 345 Euro zzgl. Wohnungsmiete.
[FOLIE Asylbewerberleistungsgesetz]
Diese um z. Zt. 35% (nach altem Sozialhilferecht waren es 20%) geringeren Leistungen
sollen darüber hinaus vorrangig als Sachleistungen erbracht werden. Das bedeutet:
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und in einigen Kreisen und Gemeinden nach
wie vor Einkaufsgutscheine oder Essenspakete. Die Folge sind alltägliche
Diskriminierungserfahrungen.
Dennoch wird die Sachleistungspraxis in einigen Kreisen und insbesondere (wie o.g.) in
den landeszentralen Lagern nach wie vor als Sanktionsmittel eingesetzt, wenn den
Betroffenen z.B. unterstellt wird, dass sie nicht ausreichend an der Passbeschaffung zur
freiwilligen oder erzwungenen Ausreise mitwirken. Wobei es keine Definition gibt, wann
denn die gesetzliche Mitwirkungspflicht erfüllt ist. Den Behörden steht auch die
Möglichkeit der Kürzung der ohnehin schon reduzierten Leistungen frei, in manchen
Fällen werden die Leistungen bis auf Null gestrichen, um die Betroffenen zur Mitwirkung
zu zwingen.
Die Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz beinhalten auch eingeschänkte
medizinische Versorgung. Gezahlt wird nur bei akuten Beschwerden, Behandlung
chronischer Erkrankungen gehört nicht dazu, auch nicht Zahnersatz. Hierdurch werden
nachhaltige gesundheitliche Schäden der Betroffenen und für die öffentliche Hand
unnötige Folgekosten in Kauf genommen. Der Grundsatz der Prävention gilt für
Asylsuchende nicht.
Zum Beispiel Caya C..
Sie ist Asylantragstellerin und erhält keine Arbeitserlaubnis. Sie erhält
Unterhaltsleistungen nach dem AsylbLG in Form von Sachleistungen. Zur
Versorgung mit Lebensmitteln des täglichen Bedarfs bekommt Caya C. kein Geld
ausgezahlt, sondern muss sich wöchentlich einer Gruppe von Flüchtlingen
anschließen, die durch eine kommunale Angestellte in einen lokalen Supermarkt
zum "betreuten Einkaufen" begleitet wird. Diese "Betreuung" umfasst die
Bezahlung, aber auch eine Überwachung der Auswahl der zu erwerbenden
Produkte in Qualität und Quantität. In der Öffentlichkeit werden die Flüchtlinge
durch diese auffällige und regelmäßige Praxis als aufwändig durch die öffentliche
Hand zu alimentierende Gruppe wahrgenommen. Nicht transparent wird den
Beobachtern dabei, dass der Sachleistungsbezug ermessensrechtlich durch die
Verwaltung erzwungen und der dabei betriebene besondere finanzielle und
administrative Mehraufwand hier politisch gewollt ist. Landesweit haben fast alle
Kreise die Leistungspraxis bei dezentraler Unterbringung (gem. §3 (2) AsylbLG)
auf Erteilung unbarer Leistungen in Form von Schecks oder ganz auf
Bargeldleistungen umgestellt.
Diskriminierungstatbestand:
Regelmäßiges Verwaltungshandeln betreibt hier bewusst eine öffentliche
Stigmatisierung von Flüchtlingen als Sozialschmarotzer und
Verwaltungskostenverursacher. Dieses Verwaltungshandeln ist vom Gesetz
gedeckt. Neben dem Tatbestand der öffentlichen Diskriminierung einer festen
Minderheit agiert die Verwaltung auf diesem Wege regelmäßig gegen den
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel.
Diskriminierung durch die Härtefallkommission
[FOLIE Härtefallkommission]
Für „Ausreisepflichtige“, die sich seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen mit einem
legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland aufgehalten haben, gibt es ein „Gnadenrecht“.
Die „Härtefallkommission“ kann, wenn sie von Betroffenen angerufen wird, beim
Innenminister einen Antrag auf Bleiberecht für einzelne Personen oder Familien stellen.
Die Bedingung ist, dass alle sonstigen ausländerrechtlichen Verfahren (zum Beispiel ein
Asylverfahren) erfolglos beendet sind und die Betroffenen die Länge des Asylverfahrens
nicht selbst verschuldet haben. Die höchsten Chancen haben Flüchtlinge, die sog.
„Integrationsleistungen“ nachweisen können, wie das Bemühen um Arbeit, Leistungen in
der Schule oder das Erlernen der deutschen Sprache. Volljährige Kinder müssen einen
eigenen Antrag stellen, wodurch Familien getrennt werden können. Der Innenminister ist
allerdings nicht an die positive Empfehlung der Kommission gebunden und entscheidet
bisweilen auch trotzdem negativ.
2006 haben bei insgesamt 26 Herkunftsländern 21 Personen aus Serbien-Montenegro
die HFK angerufen, 17 aus der Türkei, 13 aus Pakistan, 11 aus Afghanistan. 55% wurden
abgelehnt, 19% erledigten sich anders oder waren am Jahresende noch nicht
entschieden und 26% endeten positiv. „Positiv“ bedeutet allerdings nicht in allen Fällen ein
Bleiberecht, sondern kann auch nur einen mittelfristigen Aufschub meinen.
Der §23a AufenthG ist die gesetzliche Grundlage für die Länder, die eine
Härtefallkommission einrichten wollen. Dort können zur Ausreise Verpflichtete die Prüfung
aus ihrer Sicht bestehender humanitärer Härten erwirken, die gegen die Ausreise bzw.
Abschiebung sprechen. Die oberste Landesbehörde – d.h. der Innenminister - darf gem.
§23a eine Aufenthaltserlaubnis allerdings nur erteilen, „wenn eine von der
Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission darum
ersucht.“ Die Einrichtung solcher HFKn wie auch deren qualitative Ausgestaltung ist den
Ländern allerdings freigestellt. Im Ergebnis dessen herrscht rechtspolitischer Wildwuchs.
Während in Schleswig-Holstein auch VertreterInnen von NGOn, selbst des
Flüchtlingsrates, in der HFK vertreten sind, regeln das in Bayern und Hamburg
Abgeordnete auf Grundlage der Fraktionsdisziplin. Betroffene humanitäre Härtefälle
unterliegen im Ergebnis der willkürlich heterogenen Länderpraxis. Dies und die auch
vollständig unterschiedliche Qualität der Härtefallkommissionen, ihrer Verfahrenskriterien
und Entscheidungspraktiken beseitigt für die Betroffenen im Ergebnis des
Verteilungsschlüssels in die Länder vollständig die Chancengleichheit. Unterschiedliche
Mitglieder ein und derselben Familie mit den gleichen Fluchtgründen oder
Rückkehrgefährdungen können über die HFK im einen Bundesland eine
Aufenthaltserlaubnis erhalten und im anderen eine Ausweisungsverfügung.
Diskrindunierungstatbestand:
Die rechtliche Diskriminierung besteht in diesem Falle, weil nicht für alle
Betroffenen in jedem Bundesland ein gleichqualifizierter Zugang zur
Rechtsanwendung besteht. Das in §23a AufenthG angelegte „Gnadenrecht“ wird
damit nur nach dem Zufallsprinzip des EASY-Computer-Verteilprogramms bzw.
nach dem politischen Willen der Einrichtung und qualitativen Ausgestaltung einer
Härtefallkommission in den Ländern zugänglich oder nicht zugänglich sein.
Diskriminierung durch Widerruf und Einbürgerungsverweigerung
[FOLIE Widerruf]
Zu den Voraussetzungen für eine diskriminierungsfreie gesellschaftliche Teilhabe und
damit Integration gehört ganz wesentlich Rechtssicherheit. Die haben AsylbwerberInnen
und Geduldete nicht, aber auch Flüchtlinge mit noch nicht verfestigten
Aufenthaltserlaubnissen bangen jedes Mal zum Ablauf der Frist um die Verlängerung.
Nun sollte man meinen, anerkannte Flüchtlinge wären endlich der Rechtsunsicherheit
entkommen und könnten sich auf ihren Alltag und ihre Zukunft in der deutschen
Gesellschaft einrichten und einlassen.
Die aktuelle Verwaltungspraxis steht dem allerdings entgegen und kann sich auch dabei
auf gesetzliche Regeln berufen:
Seit einiger Zeit werden Asylberechtigte aus Afghanistan, Irak und der Türkei mit
Widerrufsverfahren überzogen. § 73 des Asylverfahrensgesetzes sieht vor, dass der
Flüchtlingsstatus widerrufen werden kann, wenn die Situation, die die Flucht begründet
hat, nicht mehr existiert. Also – die Taliban sind in Afghanistan nicht mehr an der Macht,
d.h. die Flucht vor ihrem Regime ist nicht mehr relevant, Saddam Hussein ist gestürzt,
also verfolgt er auch niemanden mehr, die Türkei passt sich den Anforderungen Europas
an, also gibt es auch für KurdInnen keine Fluchtgründe mehr.
Ein solches Widerrufverfahren führt nicht in jedem Fall zur Aufenthaltsbeendigung, da sich
häufig bei einem langjährigen Aufenthalt noch andere aufenthaltsbegründende Aspekte
ergeben. Außerdem halten diese Verfahren nicht immer der gerichtlichen Prüfung stand.
Im Fall der rechtskräftigkeit liegt die Aufenthaltserlaubnisverlängerung jedoch im
Ermessen der Ausländerbehörde.
Allein 40.000 Widerrufverfahren sind seit 2004 gegen Iraker betrieben worden. Sie tragen
zur massiven Verunsicherung derjenigen bei, die glaubten hier eine neue Heimat
gefunden zu haben und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligten, Unternehmen
gründeten, Arbeitsplätze schufen und Steuern zahlen.
Gleichzeitig geht die Zahl der Einbürgerungen zurück. Sprachtests und von den
betroffenen als Gesinnungstests verstandene Überprüfungen ihrer Motivation
signalisieren Misstrauen und schrecken ab. Darüber hinaus werden zur Zeit zunehmend
Einbürgerungsanträge von Flüchtlingen abgelehnt, die sich im Herkunftsland und ggf noch
im Exil bezogen auf ihr Herkunftsland politisch betätigt haben, was ja der Grund für ihre
Asylberechtigung war. Die Anerkennung als politischer Flüchtling kehrt sich nun
unerwartet gegen sie. Für die Betroffenen ist das häufig ein Schock und er wirft sie zurück
in die Rolle des ungebetenen Gastes, der eigentlich nicht erwünscht ist, von dem aber
dennoch Integrationsleistungen erwartet werden.
Fazit:
[FOLIE Forderungen]
Das Gleichbehandlungsgesetz wird offenbar bestehende, in Intension und Wirkung
diskriminierende Gesetze auch künftig nicht infrage stellen. Bleibt es also auch künftiger
Rechtsunkulturstandard in Deutschland, dass insbesondere Flüchtlinge hierzulande auf
Grundlage normierter Ungleichbehandlungstatbestände in Chancenlosigkeit und
psychischem Elend gehalten werden?
Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein begrüßt die in der Öffentlichkeit und auch bei
Legislative und Teilen der Exekutive zunehmende Erkenntnis, dass Deutschland etwas für
die Teilhabe an und das Zusammenleben in der deutschen Gesellschaft tun muss.
Langsam setzt sich offenbar auch die Erkenntnis durch, dass Integration und Teilhabe
nicht nur auf den Bereich Sprache und Bildung einzuengen sind. Soziale und rechtliche
Gleichbehandlung gehören untrennbar dazu.
Ein tatsächlicher Paradigmenwechsel muss das berücksichtigen und sich auf alle hier
lebenden Menschen beziehen unabhängig davon, wie lange ihr Aufenthalt hier
voraussichtlich dauert. Flüchtlinge dürfen davon nicht ausgeschlossen sein.
Voraussetzung für die Forderung von Integrationsleistungen an MigrantInnen und
Flüchtlinge sind Rechte und Rechtssicherheit.
Deshalb gehört zu einer ernstgemeinten Integrationspolitik u.a.
•
die Abschaffung diskriminierender und segregierender Sondergesetze für Flüchtlinge
wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die Residenzpflicht, die Lagerunterbringung.
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der Zugang zu Integrationsmaßnahmen auch für Flüchtlinge während ihres gesamten
Aufenthalts.
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Rechtssicherheit durch ein regelmäßiges Bleiberecht für langjährig Geduldete.
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Verzicht auf Widerrufverfahren für anerkannte Flüchtlinge.
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Erleichterung der Einbürgerung
•
die Aufrechterhaltung eines kompetenten Beratungsangebots und die öffentliche
Förderung von Integrationsfördermaßnahmen für Asylsuchende und Geduldete.
Vielen Dank