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Folker Förtsch
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins
Crailsheim 1920–19431
Im November 2008 feierte der Crailsheimer Historische Verein sein 25-jähriges
Bestehen. Die Beschäftigung mit der Vereinsgeschichte öffnete den Blick auch
auf die Existenz eines bisher wenig bekannten und völlig unerforschten Vorgängervereins in den 1920er- bis 1940er-Jahren. Seine Entstehung und Entwicklung
sind das Thema dieses Beitrags.
I. Die Gründung des „Altertumsvereins für Stadt und Bezirk
Crailsheim“
Am 20. Sept. 1920 und den folgenden Tagen kursierte in den bürgerlichen Kreisen der Stadt Crailsheim ein Rundschreiben mit dem Betreff: Altertumsverein 2. Angekündigt wurde darin eine öffentliche Besprechung, in der die Gründung eben
eines solchen Altertumsvereins in Crailsheim erörtert und zu der die Freunde der
Abb. 1 (links): Zeitungsanzeige mit Einladung zur
Gründungsversammlung
des Altertumsvereins
Crailsheim. – Abb. 2
(rechts): Satzung des
Altertumsvereins Crailsheim, 1920.
Abbildungen: StadtACr.
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Erweiterte Fassung eines Vortrags beim Crailsheimer Historischen Verein am 27. April
2009 in der Aula des Albert-Schweitzer-Gymnasiums.
StadtACr 2/312: Rundschreiben vom 20. Sept. 1920.
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
Geschichte und die der engeren
Heimat im besonderen eingeladen
werden sollten. An die Leser des
Rundschreibens erging die Aufforderung:
Euer Hochwohlgeboren [sic!]
werden höflichst gebeten, Ihr Interesse an dem allgemein-idealen heimatlichen Gedanken durch gütige
Unterschrift, die zu nichts verpflichtet, freundlichst bekunden zu
wollen.
Erstunterzeichner des Rundschreibens war der Crailsheimer
Dekan Friedrich Hummel.
Die Resonanz auf diesen Vorstoß war durchaus positiv: Innerhalb weniger Tage unterzeichneten ca. 60 Personen, und schon
auf Donnerstag, den 7. Okt.
1920, wurde zur Gründung eines
Altertums-Vereins (für Stadt und
Oberamt) und eines Heimat-Museums in den Saal der Gaststätte
„Engel“ eingeladen (Abb. 1) 3.
Dieser 7. Okt. 1920 ist das
Gründungsdatum des „Altertumsvereins für Stadt und Bezirk Crailsheim“, wie
der offizielle Vereinsname lautete. Die an diesem Abend beratene und in der
zweiten Gründungsversammlung acht Tage später verabschiedete Satzung beschreibt den Zweck des Vereins mit folgenden Worten 4:
Seine Arbeit bezweckt die Auffindung, wissenschaftliche Bestimmung, geordnete
Erhaltung beziehungsweise Sammlung einheimischer Altertümer, die Förderung aller auf den Schutz der Denkmäler und Ähnliches hinzielenden Bestrebungen im Anschluss an die staatliche Denkmalspflege, sowie die Errichtung und Unterhaltung eines „Heimatmuseums“ in der Stadt Crailsheim (Abb. 2).
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StadtACr 2/312: Schreiben von Gustav Adolf Müller an Stadtschultheiß Fröhlich vom
29. Sept. 1920. – Fränkischer Grenzbote (FG) vom 1. und 6. Okt. 1920.
StadtACr 2/313: Vereinssatzung von 1920.
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Der Begriff „Altertümer“, der uns im Folgenden häufiger begegnen wird,
umfasste in diesem Gebrauch primär alle gegenständlichen, in zweiter Linie aber
auch die schriftlichen Zeugnisse, die aus alten Zeiten erhalten blieben. Darunter
fallen sowohl Bau- und Kunstwerke (unter Einschluss von Gefäßen, Waffen oder
Werkzeugen) als auch archäologische und schriftlich-bildliche „Nachrichten von
den staatlichen, religiösen und sozialen Einrichtungen, von dem öffentlichen
und privaten Leben“ früherer Generationen 5. Wie dies auch andernorts zumeist
der Fall war, so stand in Crailsheim die Sorge um die Erhaltung dieser Altertümer und ihre Sammlung 6 am Beginn der Entstehung des historischen Vereins.
Auf die enge Verbindung zwischen der Gründung des lokalen Altertumsvereins
und der Errichtung eines Museums wird noch einzugehen sein.
Auf der zweiten Versammlung am 15. Okt. 1920 wurden die satzungsmäßigen Vereinsorgane besetzt. Die Leitung des Vereins lag bei einem neunköpfigen
Ausschuss, der auf drei Jahre gewählt war. Die führenden Männer dieses Gründungsausschusses waren7:
– der geschäftsführende Vorstand, Dekan Friedrich Hummel,
– dessen Stellvertreter, Stadtschultheiß Friedrich Fröhlich,
– der Schatzmeister des Vereins, der Vorstand der Württembergischen Vereinsbank Crailsheim Max Huber 8, sowie
– der Konservator, Archivar und Schriftführer des Vereins, Dr. Gustav Adolf
Müller.
Weitere maximal 16 Personen konnten den neun Mitgliedern des Leitungsausschusses zugewählt werden. 1920 fanden sich darunter aus Crailsheim die Namen von Honoratioren wie Rechtsanwalt Max Dallinger, Konditor Georg Frank,
Fabrikant Fritz Lindner, die Gemeinderäte Fritz Leiberich und Albert Luippold,
Kaufmann David Stein, Stadtbaumeister Paul Stähle oder Forstmeister Eugen
Stochdorph. Insgesamt zehn Ausschussmitglieder stammten aus den Bezirksgemeinden, so die Pfarrer von Satteldorf und Ellrichshausen und die Schultheißen
von Honhardt und Unterdeufstetten. Auch Baron Hofer von Lobenstein aus Wildenstein gehörte dazu.
Das sind in Kurzform die äußeren Umstände der Gründung des Crailsheimer Altertumsvereins im Jahr 1920. Sie erklären noch nicht die Hintergründe
und Motivationen, die dazu führten, dass sich in diesem Jahr in Crailsheim Män5
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Meyers Konversations-Lexikon. Erster Band, Leipzig/Wien 1897, S. 444 f.
Wiederentdeckung der Geschichte. Die Anfänge der Geschichtsvereine, Ausstellung des
Hauptstaatsarchivs Stuttgart, Ausstellungsverzeichnis, Stuttgart 1993, S. 6.
StadtACr 2/312. – FG vom 16. Okt. 1920.
FG vom 20. Okt. 1920.
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ner – und einige wenige Frauen – zusammenfanden, um einen Verein zu gründen, der sich mit der Crailsheimer Geschichte beschäftigen sollte.
Ich möchte deshalb im Folgenden zunächst die Vorgeschichte der Vereinsgründung untersuchen. Ein zweiter Abschnitt behandelt die innere Entwicklung
des Vereins und seine Mitgliederstruktur, bevor es im dritten Teil um das Wirken
des Altertumsvereins nach außen, also um die Schwerpunkte seiner Vereinstätigkeit gehen soll. Abschließend beschäftigt sich ein vierter und letzter Teil mit der
Frage, ob und gegebenenfalls wie sich die Zäsur von 1933 im Vereinsleben bemerkbar machte, ehe der Verein in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs sein
recht kurzes Leben wieder aushauchte.
II. Vorgeschichte und Bedingungen der Vereinsgründung
Wenn man sich die Gründungsdaten benachbarter Geschichtsvereine ansieht,
wird deutlich, dass Crailsheim am Ende einer Kette von Vereinsgründungen in
seiner weiteren Umgebung steht: 1830 wurde der Historische Verein für Mittelfranken in Ansbach gegründet. Ihm folgten 1843 der Württembergische Geschichts- und Altertumsverein in Stuttgart (mit seinem Vorläufer, dem „Württembergischen Verein für Vaterlandskunde“, von 1822) 9 und 1847 der Historische Verein für Württembergisch Franken, der seinen Mittelpunkt zunächst in
Künzelsau, später in Schwäbisch Hall hatte.
1893 wurde der Historische Verein „Alt-Dinkelsbühl“ aus der Taufe gehoben
und 1904 der Geschichts- und Altertumsverein Ellwangen, der allerdings auf einen frühen Vorläuferverein in den Jahren von 1819 bis 1822 verweisen konnte 10.
Beim Blick auf die Bedingungen und Umstände der einzelnen Vereinsgründungen fallen gravierende Unterschiede ins Auge: So gingen die Vereine in Ansbach und Stuttgart auf direkte Initiativen der jeweiligen Landesherren zurück.
Am Anfang des Historischen Vereins für Mittelfranken stand beispielsweise
der Aufruf des bayerischen Königs Ludwig I. zur „Pflege des vaterländischen Be9
Hans-Martin Maurer: Gründung und Anfänge des württembergischen Altertumsvereins, in: Ders. (Hrsg.), Württemberg um 1840. Beiträge zum 150-jährigen Bestehen des
Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins, Stuttgart 1994, S. 117–134.
10 Die Auflistung könnte den Eindruck erwecken, als ginge die Bewegung der Vereinsgründungen von den größeren territorialen Einheiten zu den kleineren regionalen und lokalen Vereinen. Dies ist, wie schon das frühe Ellwanger Beispiel zeigt, nicht richtig. Vor der
Gründung des württembergischen Altertumsvereins 1843 (und des badischen Gegenstücks im gleichen Jahr) existierten im deutschen Südwesten lokale Geschichtsvereine etwa schon in Freiburg (1826), Sinsheim (1830), Rottweil (1831), Ulm (1841) oder im
Zabergau (1841). – Vgl. Wiederentdeckung der Geschichte (wie Anm. 6), S. 29/30.
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wusstseins“11. Die staatlich veranlasste und geförderte Gründung von ProvinzGeschichtsvereinen diente im Falle Bayerns ausdrücklich der Integration der im
Zuge der europäischen Neuordnung von 1810/15 neu gewonnenen Gebiete in
den größeren Gesamtstaat 12. Die Geschichtsvereine sollten dem gegenseitigen
Kennenlernen der verschiedenen Landesteile dienen und die Integration in den
bayerischen Staat „gerade dadurch erleichtert werden, dass ihnen die durch antiquarische Erinnerung politisch verharmloste Eigenart ihrer Vergangenheit gelassen wurde“ 13.
Bis heute lassen sich diese ursprüngliche Zielsetzung und die enge Verbindung mit amtlichen Stellen im Falle des Historischen Vereins für Mittelfranken
daran erkennen, dass traditionsgemäß der Regierungspräsident, also der regional
höchste Repräsentant des Staates, als Vorsitzender des Vereins fungiert.
Auch der Württembergische Verein für Vaterlandskunde wurde vom dortigen Monarchen gestiftet 14. In seiner Zielsetzung verbanden sich Grundlagenforschung im Bereich der Landes- und Ortsgeschichte, aber auch der Geographie,
der Wirtschaftskunde und der Naturwissenschaften mit der praktischen Nutzanwendung der gewonnenen Erkenntnisse. Ausdrücklich sollten dadurch die
„Vaterlandsliebe, der Gemeinsinn und das staatsbürgerliche Bewusstsein“ der
Bürger gestärkt, das „Zusammenwachsen der verschiedenen Landesteile“ gefördert und so zum „Entstehen eines einheitlichen ‚württembergischen Volkes‘“ beigetragen werden.
Aufgrund seiner Organisationsstruktur – die Mitglieder konnten nicht frei
beitreten, sondern wurden per Zuwahl bestimmt und mussten vom König bestätigt werden – bildete der Verein für Vaterlandskunde strukturell ein „elitäres,
geschlossenes Gremium“, dem die gewünschte Breitenwirkung versagt blieb. Um
dieses Manko zu beseitigen und den Bestrebungen für eine Belebung der Vaterlandskunde eine breitere Basis zu verschaffen, erfolgte 1843 schließlich die Gründung des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins.
Demgegenüber stand am Beginn des Historischen Vereins für Württembergisch Franken eine Initiative von Privatleuten, die neben den bereits bestehenden
schwäbischen Geschichtsvereinen eine vergleichbare Einrichtung für den nord11 Hermann Heimpel: Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland,
in: Historische Zeitschrift 189 (1959), S. 139–222, hier S. 201–203. – Vgl. auch Homepage Historischer Verein für Mittelfranken e.V. Geschichte des Vereins. Stand 2. April
2009.
12 Georg Kunz: Verortete Geschichte. Regionales Bewusstsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1998, S. 41/42.
13 Heimpel (wie Anm. 11), S. 197.
14 Maurer (wie Anm. 9), S. 118–123.
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östlichen Landesteil Württembergs wünschten15. Als sogenanntes „Neuwürttemberg“ war er während der Jahre 1803 bis 1810 nach und nach an Württemberg
gefallen. Es handelte sich um die Gebiete der heutigen Landkreise Schwäbisch
Hall, Künzelsau, Main-Tauber und (damals auch noch) Heilbronn.
Die Gründung des Historischen Vereins für Württembergisch Franken stellte sozusagen den Versuch der württembergischen Neuterritorien dar, ihre historisch-kulturelle Identität im größeren württembergischen Staatsverband zu bewahren oder neu zu begründen. Dabei umschloss das Gebiet durchaus sehr
unterschiedliche historische Einheiten, etwa die Grafschaft Hohenlohe, Limpurg, Deutschordensgebiete, die Reichsstadt Hall sowie Teile von BrandenburgAnsbachischem und Rothenburgischem Gebiet. Sie hatten niemals ein einheitliches Territorium gebildet, ließen sich aber naturräumlich als die Region an Tauber, Jagst und Kocher deutlich abgrenzen16.
In ähnlicher Weise wie in Württembergisch Franken war bei den Gründungen in Dinkelsbühl 17 und Ellwangen18 die Erinnerung an die frühere territoriale
Unabhängigkeit ausschlaggebend – allerdings jeweils bezogen auf kleinräumiglokale Territorien: einerseits das Gebiet der früheren Reichsstadt Dinkelsbühl,
andererseits das Gebiet der ehemaligen Fürstpropstei Ellwangen.
Im Falle Dinkelsbühls nahmen Überlegungen zur Förderung des Fremdenverkehrs bei der Vereinsgründung eine besondere Rolle ein19: Die Etablierung des
Vereins im Jahr 1893 lässt sich eine Reihe stellen mit zwei einschneidenden Weg15 Zur Geschichte des Historischen Vereins für Württembergisch Franken siehe Karl
Schumm: Historischer Verein für Württembergisch Franken im Ablauf der Jahrzehnte,
in: Der Haalquell 24 (1972), Nr. 8, S. 29–31. – Gerd Wunder: 125 Jahre Historischer
Verein für Württembergisch Franken 1847–1972, in: WFr 56 (1972), S. 153–155. –
Erich Maschke: Landesgeschichtsschreibung und Historische Vereine, in: WFr 58
(1974), S. 17–34. – Kuno Ulshöfer: Die Stadt Schwäbisch Hall und der Historische
Verein für Württembergisch Franken, in: Der Haalquell 24 (1972), Nr. 1, S. 1–4. –
(ast:) Über 1 100 Vereinsmitglieder sind eigentlich immer noch zu wenig. Der Historische Verein für Württembergisch Franken ist 140 Jahre alt geworden, Der Haalquell 39
(1987), Nr. 3, S. 9–11. – Vgl. auch Homepage Historischer Verein für Württembergisch
Franken. Geschichte des Vereins, Stand 2. April 2009.
16 Maschke (wie Anm. 15), S. 30/31.
17 Hermann Maier: Der Historische Verein in Dinkelsbühl. Ein Rückblick auf 100 Jahre
Vereinsgeschichte, in: Historischer Verein „Alt-Dinkelsbühl“-Jahrbuch 1991/93, S. 10–
39.
18 Immo Eberl: Heimatbewusstsein und Geschichtsforschung. 100 Jahre Geschichts- und
Altertumsverein Ellwangen e.V., in: EJb 39 (2001/03), S. 11–33.
19 Dankbar bin ich für die freundlichen Auskünfte des Vorsitzenden des Dinkelsbühler
Historischen Vereins, Jürgen Ludwig.
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marken bei der touristischen Entdeckung der Stadt: der Radtour Münchener
Kunststudenten im Jahr 1889 und der erstmaligen Aufführung des historischen
Festspiels der „Kinderzeche“ 1897.
Von allen genannten Beispielen unterschied sich die Situation in Crailsheim
deutlich: Die Stadt Crailsheim hatte nie ein eigenes souveränes Territorium besessen, an das die Gründung eines Geschichtsvereins hätte anknüpfen können.
Von der historischen Entwicklung her hätte Crailsheim sowohl beim Historischen Verein für Mittelfranken als auch bei Württembergisch Franken zugehörig
sein können.
Die längste Zeit seiner Geschichte hatte es zum Markgraftum BrandenburgAnsbach, dem nunmehrigen Mittelfranken, gehört. Aber die seit 1810 bestehende Staatsgrenze und die staatsbayerische Ausrichtung des Ansbacher Vereins vereitelten mögliche Anknüpfungspunkte. Auf der anderen Seite lag Crailsheim rein
topografisch im Zuständigkeitsbereich von Württembergisch Franken. Und in
der ersten Mitgliederliste dieses Vereins tauchen tatsächlich auch zwei Männer
aus dem Oberamt Crailsheim auf, nämlich der Oberamts-Aktuar Hager aus
Crailsheim und Pfarrer Mayer von Triensbach 20.
Warum bildete sich in Crailsheim dennoch ein eigener historischer Verein?
Es dürften vor allem zwei Gründe eine Rolle gespielt haben: Zum einen befand sich Crailsheim im Bereich von Württembergisch Franken in einer Randlage. Man fühlte sich offenkundig im bestehenden Verein, der seinen Schwerpunkt
eindeutig in Künzelsau und Hall hatte und immer noch hat, nicht ausreichend
repräsentiert. Der Altertumsverein Crailsheim gehört damit typologisch in die
Reihe der späten Neugründungen um 1900, die vor allem in „bisher unterrepräsentierten Teilräumen älterer Historischer Vereine“ entstanden 21.
Zum anderen besaß Crailsheim aufgrund seiner relativen Größe und seiner
nicht unbedeutenden Historie – man denke nur an seine Bedeutung als eine der
markgräflichen Haupt- und Residenzstädte – ein beachtliches Eigengewicht, das
nach einer eigenständigen Erforschung und Darstellung der Stadtgeschichte verlangte. Gerade auch die oben angedeutete spezifische Situation der Ortsgeschichte zwischen dem bayerischen Mittelfranken und Württembergisch Franken erforderte einen eigenen Träger der Überlieferung, der dieser ambivalenten
Ausrichtung gerecht werden konnte.
Beide Faktoren zusammen dürften dazu beigetragen haben, dass sich 1920
der Crailsheimer Altertumsverein als eigenständiger Verein etablierte. Der kon20 Zeitschrift des historischen Vereins für das württembergische Franken 1. Heft, 1847, Anhang Nr. 2, Verzeichniß der Mitglieder.
21 Kunz (wie Anm. 12), S. 71.
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Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
krete Weg dorthin soll im Folgenden in seinen einzelnen Schritten kurz skizziert
werden.
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Stadt Crailsheim immer
wieder und mit zunehmender Häufigkeit mit Fragen ihres historischen Erbes
auseinander zu setzen. Einige Bespiele sollen dies illustrieren:
1903 entwickelte sich eine Korrespondenz zwischen dem Stadtschultheißenamt Crailsheim unter Hugo Sachs, dem Stadtbauamt unter Leitung von Georg
Weick und dem Kirchengemeinderat in der Person von Stadtpfarrer Friedrich
Hummel über den Wert und die Unterbringung der im Zuge der Neugestaltung
des Kapellenplatzes abgenommenen Brunnenfigur des Kapellenbrunnens 22. In
diesem Zusammenhang tauchte erstmals die Erwägung auf, in Crailsheim ein
Museum einzurichten, in das Objekte wie die in Frage stehende Figur aufgenommen werden könnten. Als Domizil war dabei die Gottesackerkapelle auf dem
alten Friedhof im Gespräch.
Im März 1910 erreichte eine Anfrage des Königlichen Landesgewerbemuseums in Stuttgart das Crailsheimer Stadtschultheißenamt 23. Es ging um die ehemalige Fayencefabrik in Crailsheim. Das Landesgewerbemuseum plante eine
Ausstellung süddeutscher Fayencen und wünschte Informationen über den Forschungsstand zu der früheren Crailsheimer Produktion. Die Stadt fragte bei Dekan Hummel nach, der sich durch sein ausgesprochenes historisches Interesse zu
dieser Zeit allmählich den Ruf eines Stadthistorikers erwarb. Aber auch Hummel
musste konstatieren, dass in Crailsheim kaum Kenntnisse über diese wahrlich
nicht unbedeutende Einrichtung vorlägen.
Im gleichen Jahr 1910 ließ die Direktion der Königlichen Staatssammlung
vaterländischer Altertümer in Stuttgart der Stadt eine Mitteilung zukommen,
dass es in Köln zu einer Versteigerung mehrerer Crailsheimer Zunftzeichen kommen werde 24. Die Stadt lehnte ihrerseits einen Ankauf ab, leitete die Information
aber an den örtlichen Gewerbeverein weiter. Angeblich aufgrund des hohen Preises kam ein Erwerb der stadthistorisch bedeutsamen Gegenstände nicht zustande. Stadtschultheiß Hugo Sachs machte in einem Schreiben vom 19. Mai 1910
nach Stuttgart auf das eigentliche Manko aufmerksam: Bedauerlich ist die Nichterwerbung; allein in Städten wie hier, wo keine Altertumsvereine bestehen, fehlt in
der Regel das Interesse für derartige Sachen.
Das Defizit, welches durch das Fehlen eines Geschichtsvereins bestand, wurde also durchaus erkannt, vor allem da in den Folgejahren ähnliche Anfragen
22 StadtACr 2/312.
23 Ebenda.
24 Ebenda.
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immer wieder an die Stadtverwaltung gerichtet wurden, aber mangels einer Altertumssammlung
durchweg abschlägig beschieden
werden mussten 25. Es blieb dem
Nachfolger Hugo Sachs’, Friedrich
Fröhlich, vorbehalten, erste konkrete Schritte zum Aufbau einer
Sammlung sogenannter Altertümer zu ergreifen. Zur Unterstützung dieser Bemühungen erschien
die Etablierung eines historischen
Vereins, der sich der zu schaffenden Museumssammlung annehmen sollte, sinnvoll (Abb. 3).
Vom 24. Jan. 1912 datieren
zwei Schreiben Fröhlichs 26. Eines
war an die jenseits der württembergisch-bayerischen Grenze gelegene Nachbarstadt Feuchtwangen
gerichtet. Der Crailsheimer Stadtschultheiß fragte wegen eines Ka- Abb. 3: Stadtschultheiß Friedrich Fröhlich (Amtstalogs und eines möglichen Be- zeit 1911–1945).
suchs der dortigen Altertumssammlung an. Das zweite Schreiben ging an Prof. Dr. Eugen Gradmann, den württembergischen Landeskonservator, der darin um seine Ratschläge für die Einrichtung einer entsprechenden Sammlung auch in Crailsheim gebeten wurde.
Auch in seiner Stadtfeiertags-Ansprache 1912 wies Stadtschultheiß Fröhlich
erstmals öffentlich auf Überlegungen zur Gründung einer Altertumssammlung
in Crailsheim hin 27. Er begründete seine Initiative mit dem Ziel, den Fremden aus
25 Ein weiteres Beispiel ist die Anfrage von Prof. Dr. E. Hintze vom Kunstgewerbemuseum
Breslau vom 9. Mai 1914 bezüglich einer Ausstellung über deutsche Zinngießer. Die
Antwort des Stadtschultheißen lautete: Ein Altertumsmuseum befindet sich hier nicht. In
der Zinngießerei von Jakob Geier hier sind alte Zinngeräte Crailsheimer Herkunft wohl
noch zu sehen, das meiste aber ist durch Händlertätigkeit verschleppt worden.
26 StadtACr 2/312.
27 FG vom 15. Febr. 1912.
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Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
früheren Zeiten Sehenswertes bieten zu können. Im Mittelpunkt standen bei ihm
also zunächst Überlegungen des Fremdenverkehrs.
Am 1. Mai 1912 kam es zum gewünschten Besuch des Landeskonservators
Eugen Gradmann in Crailsheim 28. Bei der anberaumten Besprechung über die
Anlegung einer Museumssammlung zeigte sich der Experte zunächst eher skeptisch: Die Zeit zur Errichtung einer Sammlung sei schon sehr vorgeschritten. […]
Wenn auch manches sich beschaffen lasse, so halte er doch für ausgeschlossen, dass
Crailsheim es noch zu einer Sammlung bringe, wie sie in seinen Nachbarstädten Hall,
Ellwangen, Mergentheim, Feuchtwangen vorhanden sind.
Dennoch riet Gradmann dann aber doch zu, den Versuch nicht zu unterlassen,
dabei sich namentlich auch auf Schreinwerk & Trachten zu verlegen & die Sammlung nicht ausschließlich auf Altertümer zu beschränken, sondern eine NaturalienSammlung mit ihr zu verbinden.
In der Frage des Unterbringungsortes des Museums wandte sich Gradmann
gegen die Gottesackerkirche, die aus seiner Sicht zu wenig sicher wäre und als
Kirche erhalten bleiben sollte. Demgegenüber hielt er den alten Spital für den geeignetsten Ort der Sammlung.
In den Jahren vor und während des Ersten Weltkriegs trat ein weiteres Problem des bisherigen Umgangs mit Kulturgut in Crailsheim zunehmend ins öffentliche Bewusstsein: der Verkauf sogenannter Altertümer an auswärtige Sammlungen.
Ein Beispiel dafür war etwa die Abgabe der farbigen Glasfenster der Gottesackerkirche 1902 in die Sammlung der vaterländischen Altertümer und Kunstdenkmale in Stuttgart 29, dem heutigen Württembergischen Landesmuseum,
oder der Verkauf der Waffen über dem Wolffsteinschen Grabdenkmal in der Johanneskirche im gleichen Jahr.
Eine weitere Gefahr für die kultur- und stadtgeschichtlich bedeutsamen Objekte in Privatbesitz stellten die (Antiquitäten-)Händler dar, die sich für jeweils
einige Tage in der Stadt einmieteten und gegen ein entsprechendes Entgelt nach
„Altertümern“ Ausschau hielten und sie aufzukaufen suchten (Abb. 4).
1915 erschien im Fränkischen Grenzboten eine von Seiten der Stadt lancierte offizielle Warnung vor dem Verkauf von Altertumsgegenständen an auswärtige Händler 30: Es wäre bedauerlich, wenn das Wenige, was aus alter Zeit als Erinnerung an Denk- und Lebensweise und Arbeitstätigkeit unserer Vorfahren im Bezirk
28 StadtACr 2/312.
29 Dekanatsarchiv Crailsheim Reg.-Nr. 102. – StadtACr 2/312: Notiz Fröhlich vom 2. April
1912: Anfrage bezüglich des Besitzes einer in der Zeitschrift „Über Land und Meer“ abgebildeten Rundscheibe von Andreas Scherger aus der Gottesackerkapelle.
30 FG vom 23. Okt. 1915.
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Folker Förtsch
Abb. 4 (links): Anzeige eines Antiquitätenhändlers in der Crailsheimer
Lokalzeitung. – Abb. 5 (rechts):
Gustav Adolf Müller (1866–1928).
noch vorhanden ist, auch vollends
verschwinden würde. Wie wir
wissen, hat die Stadtgemeinde
Crailsheim seit einigen Jahren das
Bestreben, was von solchen Gegenständen noch zu retten ist, in eine
örtliche Sammlung aufzunehmen,
um sie so unseren Nachkommen
als Andenken und zur Belehrung
und Bildung zu erhalten.
Vor dem Verkauf sollten die
Altertümer der Stadt angeboten werden. Man pflegt damit Lokalgeschichte und
fördert eine Einrichtung, an der sich Kinder und Kindeskinder noch freuen.
Eine spezielle Gefahr für die noch bei der Stadt bzw. in Privathaushalten vorhandenen historischen Gegenstände bedeuteten auch die organisierten Ablieferungen und Beschlagnahmen von Metallobjekten während des Ersten Weltkriegs. Es war vor allem Dekan Hummel und dem jüdischen Geschäftsmann und
Gemeinderat Josua B. Stein zu verdanken, dass dabei Kunst- und Altertumsgegenstände rechtzeitig ausgeschieden und als Grundstock für eine zukünftige
städtische Altertumssammlung zurückbehalten wurden 31.
Die geschilderten Vorgänge belegen, dass die Forderung nach Erhaltung historischer Kulturgüter und der Wunsch nach ihrer musealen Sammlung und,
wenn möglich, Präsentation in Crailsheim durchaus schon vor 1920 virulent war.
Sicherlich darf man das öffentliche Interesse daran nicht überschätzen, aber die
Entwicklung bis 1918 zeigt, dass vor allem auch die Stadtverwaltung selbst auf
diesem Feld Handlungsbedarf sah. Insbesondere Stadtschultheiß Friedrich Fröh31 StadtACr 2/312.
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Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
lich hatte für die Fragen des kulturellen Erbes der Stadt ein stets
offenes Ort.
Entscheidend für die Realisierung einer Idee sind fast immer Personen, die die Initiative
ergreifen. Dies war auch im Falle des Crailsheimer Geschichtsvereins und seiner Altertumssammlung so. Zur entscheidenden Persönlichkeit wurde hier
vor allem ein Mann, der erst
nach Ende des Krieges überhaupt nach Crailsheim kam: Dr.
Gustav Adolf Müller, der Leiter
des Reformpädagogiums Crailsheim (Abb. 5) 32.
Müller wurde 1866 in Buch
in Baden geboren und hatte in
Tübingen und Freiburg Philologie, Literatur und Geschichte
(mit Schwerpunkt Archäologie)
studiert. Er war ein weit gereister
Mann, der unter anderem mehrere Italienfahrten hinter sich hatte. Sie hatten ihn vor allem nach Rom und Süditalien geführt, wo er – wie auch in Bayern und im Elsass – an archäologischen
Ausgrabungen teilgenommen hatte, so etwa in den Katakomben Roms oder in
Pompeji.
Nach seiner Heirat 1888 war Müller nach München übergesiedelt und hatte eine äußerst umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit begonnen. 1917 gründete er eine höhere private Reformschule mit Internat in Leutkirch. Wegen des
dort herrschenden Raummangels verlegte er die Schule 1919 nach Crailsheim,
wo sie mit nahezu 50 Schülern am 2. Mai 1919 als „Reformpädagogium Crailsheim“ im Spital eröffnet wurde (Abb. 6) 33.
32 Artikel „Müller, Gustav Adolf “, in: Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 10, 3. Aufl., Bern, Sp. 1466–1468.
33 StadtA Leutkirch, Bü 1565. – Der alte Spittel und seine Reformschule, in: Crailsheimer
Heimatpost 2 (1954), Nr. 4.
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Folker Förtsch
Abb. 6: Lehrer und Schüler des Reformpädagogiums Crailsheim.
Mit dem Beginn seiner Tätigkeit in Crailsheim setzte Schulleiter Müller in
einem Umfang Impulse im kulturellen Leben der Stadt, wie es sie bisher noch
nicht gegeben hatte: Angeboten wurden Sprachkurse und vor allem öffentliche
Vortragsreihen. Volkstümlich-wissenschaftliche Vorträge aus den Themenbereichen
Geschichte, Kunst, Literatur, einschließlich Dichterlesungen, aber auch Reiseberichte standen auf dem Programm. Veranstaltungsort der meist vor vollem Haus
stattfindenden Vorträge war in der Regel der Saal von Post-Faber in der Langen
Straße.
Im Rahmen dieser „Fabersaal-Vorträge“ fand am 1. Nov. 1919 auch ein erster Vortrag zur Crailsheimer Stadtgeschichte statt. Als Referenten hatte Müller
den Crailsheimer Dekan Friedrich Hummel gewinnen können. Sein Thema:
„Allerlei aus Crailsheims alten und neuen Tagen“. Friedrich Hummel trat seit Anfang des 20. Jahrhunderts regelmäßig mit historischen Vorträgen in Crailsheim
auf und galt, wie kein zweiter, als ausgewiesener Kenner der Stadtgeschichte. Seinem Fabersaal-Vortrag lauschten 400 (!) Zuhörer 34. Der große Erfolg führte dazu, dass Müller im darauf folgenden Halbjahr einen weiteren Hummel-Vortrag
zur Crailsheimer Geschichte in sein Programm aufnahm.
Gustav Adolf Müller verfügte aufgrund seiner zahlreichen Reisen und vielfältigen Forschungen persönlich über einen größeren Bestand an interessanten
historischen Objekten, so zum Beispiel über einen Münzenfund von der Halb34 FG vom 29. Okt. und 3. Nov. 1919.
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Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
insel Sinai oder über eine Handschriftensammlung u. a. mit Autographen von Johann Wolfgang von Goethe, Justinus Kerner oder Henrik Ibsen. Immer wieder
wies Müller darauf hin, dass er seine persönliche Sammlung auch als Anschauungslehrmittel wie als etwaige spätere Stiftung für eine (erstrebenswerte) Crailsheimer Altertumssammlung betrachtete 35.
Wo aber blieb die Beteiligung der Crailsheimer?
Die Initiativen Müllers wurden im Juli 1920 erstmals öffentlich von einem
Vertreter des Crailsheimer Bürgertums positiv aufgegriffen. Rechtsanwalt Max
Dallinger äußerte sich in einem Leserbrief des Fränkischen Grenzboten. Dort
heißt es 36:
Abb. 7: Max
Dallinger im Kreise
seiner Familie, ca.
1910.
Der Gedanke, in Crailsheim einen Altertumsverein zu gründen, schlummert
schon seit mehreren Jahren in hiesigen Kreisen und der Herr Direktor des Reformpädagogiums hat ihn gleich nach seiner Niederlassung hier mit Freuden aufgegriffen.
[…] Viele Altertümer und Andenken an Crailsheims Vergangenheit sind im Besitze
der hiesigen Bürgerschaft, die bei baldigem Zugriffe noch für den Verein und damit
für unsere Stadt zu retten wären. Dallinger verwies dabei auf das Vorbild Ellwangen. Er fuhr fort: Nachdem Herr Dr. Müller mit wertvollen Gaben die Reihe der
Schenker zu eröffnen gewillt ist, sollte mit der Gründung des Vereins nicht mehr allzu lange gezögert werden (Abb. 7).
35 FG vom 28. April und 13. Juli 1920.
36 FG vom 14. Juli 1920.
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Folker Förtsch
Am 31. Aug. 1920 veröffentlichte Gustav Adolf Müller schließlich einen
programmatischen Beitrag in der Lokalzeitung, in dem er insbesondere zur Rettung und Erhaltung vorgeschichtlicher Funde im Oberamt aufrief 37: Für die
wichtige Sache, das was von Denkmälern der Urzeit noch aufzusuchen, festzustellen,
statistisch aufzunehmen, museal zu retten wäre, sei es fünf Minuten vor 12 Uhr.
Müller wandte sich mit deutlichen Worten gegen den unrühmlichen kulturlosen Schlendrian in Crailsheim: […] vieles ist versäumt, manches vernachlässigt
und fast nichts getan worden, um die Spuren der Vorgeschichte und Denkmäler der
prähistorischen Zeit, die Reste der Urzeit unserer Heimat zu retten.
Und er endete mit einem eindringlichen Appell: Ich bin kein Crailsheimer
Kind und kannte vorher die Geschichte des Bodens noch nicht genau. Gerne stelle ich
Erfahrungen und Opferwillen in den Dienst der Vorgeschichte, die mir, ehe ich im
Krieg ausschließlich zur Schule übertrat, schönster und poesiereichster Beruf war. Als
„Fremdling“ hat es immer etwas Peinliches, die „Einheimischen“ aufzufordern, sich
doch ihrer Heimat etwas ernstlicher anzunehmen. […] Aber – der gebildete Fremde
misst nun einmal auch daran das Maß der Ortskultur und der gebildete Einheimische ärgert sich mit Recht, wenn nichts geschieht. Ein Altertumsverein ist für Crailsheim eine dringendere Notwendigkeit als manches Andere von nebensächlichen Dingen. Ein Heimatmuseum wäre ein Ehrenmal für die alte Stadt.
Dieser Aufsatz gab den letzten Anstoß zur Gründung des Crailsheimer Altertumsvereins. Wenige Tage später richtete Müller ein Schreiben an die Stadtverwaltung mit der Bitte, die Bestrebungen zur Gründung eines Altertumsvereins und Einrichtung einer entsprechenden Sammlung zu unterstützen – Hilfe,
die der Gemeinderat mit Beschluss vom 16. Sept. 1920 zusagte 38.
Vier Tage später kam jenes Rundschreiben in Umlauf, von dem oben die Rede war und das zur endgültigen Gründung des Vereins am 7. Okt. 1920 führte.
In der Gründungsversammlung ergriffen die maßgeblich Verantwortlichen das
Wort: Rechtsanwalt Dallinger, Direktor Gustav Adolf Müller, Dekan Hummel
und Stadtschultheiß Friedrich Fröhlich 39.
Müller, der eigentliche Motor der Vereinsgründung, übernahm auf eigenen
Wunsch als Konservator, Archivar und Schriftführer des Vereins die wissenschaftlich-museale Seite der Vereinsaufgaben. Nach seiner Auffassung musste die Vereinsleitung unbedingt in eigentlich Crailsheimer Händen bleiben 40.
37
38
39
40
48
FG vom 31. Aug. 1920.
StadtACr 2/312.
FG vom 8. Okt. 1920.
StadtACr 2/312: Schreiben Gustav Adolf Müllers an die Stadtverwaltung Crailsheim
vom 18. Sept. 1920.
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
Abb. 8: Der Crailsheimer Dekan und
Vorsitzende des Altertumsvereins
Friedrich Hummel.
Über die Person des Vorstands gab
es keine große Diskussion. Es konnte
nur Dekan Friedrich Hummel als der
besonders maßgebende Kenner der Ortsgeschichte sein 41. Sein Stellvertreter wurde Stadtschultheiß Friedrich Fröhlich –
ein neuerlicher Beleg für die enge Verknüpfung des Vereins mit den Verantwortlichen der Stadt (Abb. 8).
III. Vereinsentwicklung und Mitgliederstruktur
War das einladende September-Rundschreiben Dekan Hummels von 59 Crailsheimerinnen und Crailsheimern unterzeichnet worden 42, so traten am Gründungstag dem neuen Verein zunächst 50 Personen bei 43.
Die Mitgliederentwicklung nahm in der Folge einen zunächst stockenden
Verlauf: Anfang Dezember 1920 zählte man erst 58 Mitglieder 44, bevor in den
folgenden Wochen ein beachtlicher Mitgliederzuwachs zu verzeichnen war: Ende Januar 1921 überschritt die Mitgliederzahl des Vereins die Marke von 100 Personen 45 und stieg bis Mitte Februar auf 107 Mitglieder (Abb. 9) 46.
41 Ebenda: Schreiben Gustav Adolf Müllers an die Stadtverwaltung Crailsheim vom 8. Sept.
1920.
42 Ebenda.
43 FG vom 8. Okt. 1920.
44 FG vom 9. Dez. 1920.
45 FG vom 31. Jan. 1921.
46 StadtACr 2/312.
49
Folker Förtsch
Abb. 9:
Blanko-Mitgliedskarte
des Crailsheimer Altertumsvereins.
Aussagekräftige Zahlen liegen dann erst wieder aus den 1930er-Jahren vor.
So belief sich die Mitgliederstärke Anfang 1934 auf 134 Personen 47. Nach einem
kleinen Rückgang in den folgenden Monaten (Ende 1934: 127 Mitglieder, darunter neun Gemeinden) stieg die Zahl weiter kontinuierlich an: Ende 1935 waren es 157 Mitglieder (darunter elf Gemeinden) und Ende 1938 erreichte der Altertumsverein Crailsheim seinen Mitgliederhöchststand mit 167 Mitgliedern
(darunter elf Gemeinden). Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs sank die Zahl
leicht ab, hielt sich aber mit 155 Mitgliedern (darunter elf Gemeinden) Anfang
1942 und 153 Mitgliedern Anfang 1943 auf einem beachtlichen Niveau.
Interessant ist ein Blick auf einige Aspekte der Mitgliederstruktur des „Altertumsvereins für Stadt und Bezirk Crailsheim“. Als Grundlage soll eine Mitgliederliste von Anfang Februar 1921 dienen, die 107 Vereinsangehörige zum
großen Teil mit Beruf und Wohnort namentlich aufführt 48.
–
Wie schon der Vereinsname signalisierte, legten die Gründer Wert darauf,
dass nicht nur Bewohner der Stadt Crailsheim dem Verein beitraten, sondern
47 Dies und die folgenden Zahlen nach StadtACr 2/314: Angaben in den Berichten über
die jeweiligen Hauptversammlungen.
48 StadtACr 2/312: Die Liste ist nicht ausdrücklich datiert, muss aber im Zeitraum zwischen dem 31. Jan. – zu diesem Zeitpunkt überschritt der Verein nachweislich die 100-
50
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
–
–
–
auch Angehörige des umliegenden Bezirks. In diesem Bemühen waren sie
durchaus erfolgreich. Die Liste weist 21 Personen auf, die aus den Landgemeinden des Crailsheimer Umlands stammten – immerhin fast 20 Prozent
der Gesamtmitgliederzahl. Von ihrer beruflich-sozialen Zuordnung her handelte es sich vor allem um Schultheißen (5), Lehrer (5), Pfarrer (4) und Gutsbesitzer (4), also durchweg um Personen aus der dörflichen Oberschicht.
Unter den 107 Mitgliedern befanden sich drei Frauen. Es waren dies eine
Lehrerin Fräulein Fauck, die Internatsleiterin des Reformpädagogiums, Luise Lampmann, und ein Fräulein Dora Auspurg, über das nichts Näheres bekannt ist. Dies entsprach einem Frauenanteil von knapp drei Prozent. Bei
Fauck und Lampmann waren sicherlich ihre beruflichen Tätigkeiten für das
Interesse an einem Vereinsbeitritt ausschlaggebend. Alle drei Frauen stammten nicht aus alt eingesessenen Crailsheimer Familien, sondern waren nur
vorübergehend in Crailsheim ansässig. Aus den Crailsheimer bürgerlichen
Kreisen trat keine Frau dem Verein bei.
Zu den frühen Mitgliedern gehörten auch fünf Crailsheimer jüdischen Glaubens: der frühere Hauptlehrer Straus, der aktuelle Lehrer Wochenmark sowie die Kaufleute David Stein, Josua B. Stein und Adolf Stein. Ihr Anteil an
der Gesamtmitgliederzahl lag bei 4,7 Prozent und damit in etwa in Höhe des
jüdischen Bevölkerungsanteils in Crailsheim in diesen Jahren 49.
Blickt man auf die Berufsstruktur der Vereinsmitglieder, so dominierten ganz
eindeutig Crailsheimer Geschäftsleute und Handwerksmeister (32), gefolgt
von Beamten aus der Stadt- und Oberamtsverwaltung sowie von Bahn und
Post (20). An dritter Stelle lag der Berufsstand der Lehrer (15). Fast zwei
Drittel der Mitglieder gehörten diesen drei sozialen Gruppen an. Mit gehörigem Abstand folgten Pfarrer (7) und Ärzte bzw. Apotheker (6). Wie dies bereits bei anderen historischen Vereinen festgestellt wurde, so war auch der Altertumsverein Crailsheim eine Domäne des (Bildungs-)Bürgertums 50. Arbeiter oder Angehörige der unteren Schichten fehlten völlig 51.
Mitglieder-Marke – und dem 17. Febr. 1921 entstanden sein. An diesem Tag trat die
Stadt Crailsheim dem Verein bei. Sie ist auf der Liste aber noch nicht verzeichnet.
49 Genaue Zahlen liegen aus den Jahren 1910 und 1933 vor. Demnach sank der jüdische
Bevölkerungsanteil in Crailsheim in diesem Zeitraum von 5,3 auf 2,5 Prozent.
50 Maschke (wie Anm. 15), S. 23. – Klaus Pabst: Deutsche Geschichtsvereine vor dem
Ersten Weltkrieg, in: Geschichtsvereine. Entwicklungslinien und Perspektiven lokaler
und regionaler Geschichtsarbeit, Bergisch Gladbach 1990, S. 9–32, hier S. 27/28.
51 Einzige Ausnahme in der Crailsheimer Mitgliederliste könnte der Stationsdiener Krauss
sein. Auch wenn Stationsdiener bei der Bahn nicht selten als (Unter-)Beamte firmierten,
müssen ihre Lebensumstände zweifellos dem Unterschichtenmilieu zugerechnet werden.
51
Folker Förtsch
–
Interessant ist, dass auf der Unterschriftenliste des Rundschreibens von September 1920 mit den SPD-Gemeinderäten Franz Metz und Dina Barth noch
zwei Angehörige der Arbeiterbewegung ihr Interesse an der Gründung eines
Altertumsvereins bekundet hatten. In der Mitgliederliste fehlen beide. Die
soziale Exklusivität des bürgerlichen Vereins blieb unangefochten.
Mitglied im Verein konnten Privatpersonen, aber auch Gemeinden oder sonstige öffentliche Körperschaften werden 52. Die erste Bezirksgemeinde, die
dem Verein beitrat, war im Januar 1921 Waldtann 53, kurz darauf gefolgt von
Oberspeltach. Bei der Stadt Crailsheim dauerte es mit dem Beitritt bis Mitte Februar 1921 54.
Ein erster Höhepunkt der noch jungen Vereinsgeschichte war der Besuch des
Landeskonservators und Direktors der württembergischen Staatssammlungen,
Prof. Peter Gößler, in Crailsheim. Mit dem Vorstand des Altertumsvereins
tauschte er sich über die zukünftige Arbeit in Crailsheim aus, besichtigte die Kirchen der Innenstadt und gab eine Reihe wertvoller Anregungen 55.
Von Gustav Adolf Müller wurde Gößler überdies für Januar 1921 zu einer
öffentlichen Veranstaltung nach Crailsheim eingeladen. Titel des Vortrags: „Was
sagt uns die Heimat?“ 56
Wichtig für die Entwicklung des Vereins war die Aufforderung des Experten
aus Stuttgart, die Vereinsaufgaben auszuweiten und über das Sichern und Sammeln historischer Altertümer im engeren Sinne hinaus auch Themen der Naturund Volkskunde zu berücksichtigen 57. Ein solcher erweiterter Heimatverein, so
Gößler, sei auch dazu aufgerufen, einen Beitrag für die Erhaltung historischer
Stadtansichten und Straßenbilder zu leisten, Verschandelungen zu verhindern,
bei der Renovierung historisch bedeutsamer Gebäude mitzusprechen und sinnvolle Vorschläge für Straßenbenennungen einzureichen 58.
In Crailsheim fielen die Empfehlungen auf fruchtbaren Boden. Die zusätzlichen Aufgaben wurden in der Satzung festgeschrieben und der Verein erhielt
52 FG vom 20. Okt. 1920.
53 StadtACr 2/315.
54 StadtACr 2/312. – Die Reaktion Gustav Adolf Müllers auf den verspäteten Beitritt der
Stadt Crailsheim lässt sich einem Schreiben an Dekan Hummel vom 1. Febr. 1921 entnehmen: Übrigens: Wie trostlos! Die Stadt Crailsheim (!!) ist heute noch nicht Mitglied!! Da
giebt es kaum eine Entschuldigung! So etwas muss man im Deutschen Reiche erst suchen!
55 FG vom 26. Okt. 1920.
56 FG 15. und 29. Jan. 1921.
57 FG vom 29. und 31. Jan. 1921.
58 FG vom 26. Mai 1921.
52
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
den neuen, erweiterten Namen „Altertums- und Heimatverein für Stadt und Bezirk Crailsheim“ 59.
Die positive Vereinsentwicklung der ersten Monate wurde getrübt durch
interne Querelen, deren erstes Opfer der Direktor des Reformpädagogiums Gustav Adolf Müller war. In einem vertraulichen Schreiben an den Vereinsvorsitzenden Dekan Hummel vom 1. Febr. 1921 nennt Müller einige der Hintergründe:
Als Zugezogener sah er sich in Teilen der Crailsheimer Bürgerschaft einem
misstrauischen, ja ablehnenden Blick ausgesetzt. Er beschwerte sich über die in
der Presse erfolgte Verhöhnung als „Collector der Kultur“ in Crailsheim und sah dahinter Kreise am Werke, die ihm mit kleinstädtischem Neid und der Blasiertheit
der Alteingesessenen begegneten. Auch seine katholische Konfession sei Grund
dafür, dass er von einem Teil des Crailsheimer Bürgertums abgelehnt würde.
Unterschiedlich seien schließlich die Auffassungen über die Arbeit im Altertumsverein selbst: Es gebe dort, so Müller, eine Vereinsklique, die aus ihm einen
„Tanzverein“ machen wolle, wie sie es gewöhnt ist, aber ich lehne es ab, da mitzutun. Auch seien manche der Mitglieder und Verantwortlichen von seinem Arbeitstempo und seinen immer neuen Ideen überfordert.
Müller teilte Dekan Hummel seinen Rückzug aus dem Verein mit: Aber ich
will meine letzte Zeit auf eigenem Boden arbeiten, in meinen Vorträgen vor dankbaren Hörern, und will kein Gesellschaftsbettler, sondern ein stiller Gelehrter sein,
laut nur in der Arbeit fürs – Ganze. Darum gehe ich von allem, was mich in diese
ekelhaften „Vereinskliquen“ bringen kann. Das, so Müller weiter, schulde er seinem
Ansehen außerhalb Crailsheims und seiner Arbeit.
Müllers Reformpädogogium verließ Crailsheim im Sommer 1921. Die Enttäuschung des Schulleiters mag einer der Gründe gewesen sein. Sie war aber nicht
der einzige. Eine wichtige Rolle spielten auch neue gesetzliche Bestimmungen für
Privatschulen, die das Überleben dieser Anstalten immer schwieriger gestalteten.
Gustav Adolf Müller starb am 1. Sept. 1928 im Alter von 62 Jahren in Horb.
Der Rückzug des bisherigen „Vereinsmotors“ bedeutete für den jungen Verein einen herben Verlust. Im Spätsommer 1921, also bereits knapp ein Jahr nach
der Gründung, kam die satzungsmäßige Vereinsarbeit mit Ausschuss-Sitzungen,
Hauptversammlungen und öffentlichen Veranstaltungen völlig zum Erliegen.
Der Altertums- und Heimatverein verschwand aus dem öffentlichen Leben
Crailsheims.
Hinter den Kulissen waren es ausschließlich Dekan Hummel und Stadtschultheiß Fröhlich, die sporadisch an einer Vergrößerung des Sammlungsbe59 FG vom 22. Sept. 1921.
53
Folker Förtsch
standes und vor allem der erstmaligen Einrichtung
eines Museumszimmers arbeiteten. Davon unten
mehr.
Bezeichnend für die sehr bescheidene Rolle des
Vereins in diesen Jahren ist es auch, dass das wichtigste Crailsheimer Geschichtsprojekt der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts – die Herausgabe des
„Heimatbuchs Crailsheim“ im Verlag Robert Baier
– ohne irgendeine Erwähnung des Vereins zur
Durchführung kam. Zwar arbeiteten an dem Buch
zahlreiche bisherige Vereinsmitglieder mit, allen
voran natürlich Hauptautor Friedrich Hummel
und Herausgeber Johann Schumm. Der Verein
selbst trat jedoch an keiner Stelle in Erscheinung.
Über mehr als sechs Jahre war der Altertumsund Heimatverein von der Bildfläche verschwunden. Ein erstes Lebenszeichen gab es wieder im November 1927, als der zweite Vorsitzende, Stadtschultheiß Friedrich Fröhlich, in einem Rundschreiben darüber berichtete, dass zumindest in der
Stadt Crailsheim die Vereinsbeiträge für das laufende Jahr wieder eingezogen und davon wertvolle Neuerwerbungen beschafft worden waren 60.
Es dauerte dann noch einmal zwei Jahre, bevor
im Herbst 1929 das ordentliche Vereinsleben seine
Fortsetzung fand. Angesichts der langen Unterbrechung war teilweise sogar von einer Neugründung
des Vereins 61 die Rede.
Für den 7. Nov. 1929 wurde eine ordentliche
Ausschusssitzung mit den im Jahr 1920 gewählten
Mitgliedern, soweit sie noch vorhanden sind, einberufen. Die Sitzung sollte die erste Hauptversammlung nach acht Jahren vorbereiten, um dadurch dem Altertums- und Heimatverein wieder mehr Leben zu verschaffen und das Interesse an geschichtlich wertvollen Gegenständen sowie an ihrer Sammelstätte (Heimatmuseum)
zu heben 62.
60 StadtACr 2/312: Rundschreiben vom 29. Nov. 1927.
61 StadtACr 2/314: FG vom 19. Dez. 1929.
62 StadtACr 2/312: Schreiben von Friedrich Fröhlich an Dekan a. D. Friedrich Hummel
vom 31. Okt. 1929.
54
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
Abb. 10 (links oben): Bäckermeister Wilhelm Beck. – Abb. 11 (oben): Studienrat Isidor
Fischer bei einem Schulausflug, 1936. – Abb. 12 (links unten): Geheimrat Hans Sachs
(1874–1947).
Verbunden wurde diese Hauptversammlung mit einem Vortrag von Friedrich Hummel 63, der inzwischen als Crailsheimer Dekan in Ruhestand getreten
und nach Gaildorf verzogen war, der jedoch weiterhin die Funktion des ersten
Vorsitzenden ausfüllte. Seine Vorträge zu den Hauptversammlungen waren in
den Folgejahren sein wichtigster Beitrag zum Vereinsleben. Daneben gab er als
der ausgewiesene Kenner der Stadtgeschichte Gutachten über den Ankauf von
angebotenen Altertumsstücken für das Heimatmuseum ab. Die Geschäfte des
Vereins vor Ort in Crailsheim führte in erster Linie Stadtschultheiß Friedrich
Fröhlich.
Seit der Wiederbelebung 1929 waren neben Hummel und Fröhlich – dem
ersten und dem zweiten Vorsitzenden – aber auch einige neue Köpfe für den Verein aktiv. Sie bestimmten in den nächsten Jahren das Vereinsleben mit und sollen deshalb hier wenigstens namentlich Erwähnung finden:
Schatzmeister des Vereins war ab 1929 Oberlehrer Wilhelm Andrassy,
Schriftführer, Konservator und Archivar Hauptlehrer Emil Beck 64. Für die Sammeltätigkeit und historische Arbeit von besonderer Bedeutung waren in den Jah63 StadtACr 2/314: Hauptversammlung vom 11. Dez. 1929 mit dem Vortragsthema „Reisen und Einquartierungen in Crailsheim“.
64 Ebenda.
55
Folker Förtsch
ren nach 1929 auch Bäckermeister Wilhelm Beck und Studienrat Isidor Fischer.
Eine Aufwertung erfuhr der Verein durch die gelegentliche Mitarbeit von Geheimrat und Reichstagsabgeordneten Hans Sachs, den Sohn des früheren Stadtschultheißen Leonhard Sachs. Ansonsten begegnen einem viele Männer aus dem
Crailsheimer Bürgertum, die schon 1920/21 dabei waren, etwa Rechtsanwalt
Dallinger, Stadtbaumeister Stähle, Konditor Frank sen., Gerbermeister Fritz Leiberich oder der jüdische Kaufmann David Stein (Abb. 10–12).
Von 1929 bis in die Jahre des Zweiten Weltkriegs wurde die Vereinsarbeit
nun kontinuierlich fortgeführt. Jährlicher Höhepunkt – und zumeist auch die
einzige Vereinsveranstaltung des Jahres – war die Hauptversammlung, die gewöhnlich im Herbst stattfand.
IV. Vereinsaktivitäten
a) Lichtbild-Reihe „Crailsheim“
Noch in die Phase der allmählichen Konstituierung des Altertumsvereins Ende
1919/Anfang 1920 fällt ein Projekt, das maßgeblich von Gustav Adolf Müller in
seiner Funktion als Leiter des Reformpädagogiums initiiert und durchgeführt
wurde, das aber bereits ein wichtiges stadthistorisches Projekt im unmittelbaren
Vorfeld der Vereinsgründung darstellte und wegen seiner Bedeutung hier angeführt werden soll.
Ende 1919 gründete sich die Vereinigung „Schwäbisches Lichtbild“. Zweck
des Zusammenschlusses war es, durch Stiftung und Beschaffung von Lichtbildfolgen und hiezu passenden Vortragstexten überall die Liebe und die tiefere Kenntnis unseres Schwabenlandes zu wecken, indem „Lichtbildreihen“ über tunlichst viele Gegenden, Städte, Bezirke leihweise zur Verfügung gestellt werden sollen 65.
Das Reformpädagogium Crailsheim trat der Vereinigung sofort bei – mit
dem erklärten Willen, im Rahmen des Gesamtunternehmens auch eine Bilderserie über Crailsheim und seine Umgebung erarbeiten zu lassen: Eine Lichtbilderreihe „Jagsttal“ und besonders „Crailsheim“ ist sicher ein ebenso ideales wie praktisches Mittel, unserer geschichtlich bedeutsamen Stadt auch in geographischem und
wirtschaftlichem Sinne Besucher aus der Ferne zu werben. Motiv der Mitarbeit war
also vorrangig die Förderung des Fremdenverkehrs in Crailsheim.
Unterstützt durch finanzielle Beiträge der Stadt Crailsheim und einige private Spenden entstanden im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1920 in der Regie der Verlagsbuchhandlung Franz Bucher in Ellwangen die gewünschten Licht65 FG vom 29. Dez. 1919.
56
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
Abb. 13–18: Einzelne Ansichtskarten der Lichtbild-Reihe „Crailsheim“, 1921.
57
Folker Förtsch
bilder. Und am 5. Okt. 1920, zwei Tage vor der Gründung des Altertumsvereins,
wurde im Rahmen eines Fabersaal-Vortrags des Reformpädagogiums die Bilderreihe „Kunstdenkmäler aus dem Jagstgebiet“ präsentiert, die erste Aufnahmen
auch als Crailsheim beinhaltete.
Im Dezember 1920 waren die Arbeiten an der eigentlichen Lichtbildreihe
„Crailsheim“ abgeschlossen. Es handelte sich übrigens – gemeinsam mit Ellwangen und Heilbronn – um die erste in Württemberg überhaupt. Die Serie mit 36
Bildern konnte ab diesem Zeitpunkt über die Geschäftsstelle des württembergischen Fremdenverkehrsvereins ausgeliehen werden 66. Im Februar 1921 wurde sie
auch als Ansichtskarten-Reihe veröffentlicht (Abb. 13–18) 67.
Es entstand damit 1920 die erste zusammenhängende Bilderfolge über
Crailsheim, deren einzelne Motive bis heute eine wertvolle bildliche Quelle für
die alte Stadt geblieben sind. Ob sich die Gesamt-Bilderreihe irgendwo erhalten
66 FG vom 14. Dez. 1920.
67 FG vom 8. Febr. 1921.
58
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
hat, ist unklar. Einige der Aufnahmen sind als Postkarten aber im Stadtarchiv
überliefert.
b) Heimatmuseum Crailsheim
Von Beginn an stand die Gründung des Altertums- und Heimatvereins Crailsheim in engem Zusammenhang mit der Errichtung eines Heimatmuseums. Im
Prinzip war dies der zentrale Grund der Vereinsgründung.
Bereits im September 1920 veröffentlichte Gustav Adolf Müller in der Lokalzeitung einen längeren Aufsatz mit dem Titel Ein „Heimatmuseum“ – Zur Aufklärung 68. Daraus soll der entscheidende Abschnitt hier zitiert werden:
Wie schon die Bezeichnung sagt, wollen diese Sammlungen sich mehr oder minder auf die Grenzen der engeren Heimat beschränken, wollen sie deren Vorgeschichte
und Geschichte in den auffindbaren äußeren Spuren zur Anschauung bringen und
alles, was zur Kulturgeschichte der Heimat gehört und einen Wert für diese Anschauung besitzt, vor der Vernichtung retten und übersichtlich ordnen.
68 FG vom 24. Sept. 1920.
59
Folker Förtsch
Heimatgeschichte anschaulich machen und historisch wertvolle Objekte sichern, inventarisieren und präsentieren – das sind die Zielsetzungen, die Müller
hier formuliert und die man so auch heute noch als zentrale Aufgaben eines Museums unterschreiben könnte.
Und so wurden bereits zwei Wochen nach Gründung des Vereins alle Einwohner von Stadt und Oberamt Crailsheim aufgerufen, dem Verein, sei es als Geschenk, sei es als Leihgabe, zur gelegentlichen Ausstellung geeignete Stücke zu überlassen 69. Der Erfolg dieses und der folgenden Aufrufe war durchaus beachtlich.
Bei der ersten Hauptversammlung des Vereins im Dezember 1920 konnten bereits die ersten privaten Stiftungen präsentiert werden 70. Es handelte sich um eine Reihe von alten Dokumenten („Patenbriefe“, Meisterbrief, Quartierzettel
etc.), die Kaufmann Hugo Blum an den Verein gegeben hatte, um Münzen, die
Wilhelm Fach beisteuerte, um einen Waffenfund von der Schönebürg, der von
Herrn Vorholzer kam, und um den Horlandplan von Regierungsrat Graf. Dieser
erste Crailsheimer Stadtplan war auch das inhaltliche Hauptthema des Abends.
Teilweise mehrfach wöchentlich wurde in den kommenden Monaten in der
Presse von Stiftungen und Geschenken an den Altertums- und Heimatverein berichtet: Historische Urkunden und Manuskripte, Münzen, Waffen, Karten und
Drucke kamen so in den Besitz des Vereins.
Die Flut der Gaben nahm ein derartiges Ausmaß an, dass bereits Mitte Januar ein „Ersuchen“ in den Fränkischen Grenzboten eingestellt werden musste,
nicht etwa jedes „alte Buch“ für geeignet zu Museumszwecken zu halten und oft wertloseste Dinge von mächtigem Umfang in gutem Glauben herbeizuschaffen 71.
Weitere Altertümer, darunter erste Fayencen, der prunkvolle Homannsche
Weltatlas von 1711 oder Versteinerungen aus dem Muschelkalksteinbruch bei
der Gaismühle, wurden angekauft 72.
Auch von Seiten der Stadt erhielt der Verein leihweise in größerem Umfang
Altertumsgegenstände, vor allem aus dem Besitz des früheren Spitals. Zusätzlich
wurde ihm im März 1921 unentgeltlich ein Zimmer im Rathaus überlassen, um
dort die gestifteten Exponate unterbringen zu können 73. Es handelte sich um ein
hohes Zimmer im ersten Stock des Rathausturms, in dem zuvor das Stadtbauamt
seine Büros gehabt hatte.
In diesem Raum ordnete Vereinsvorstand Dekan Hummel in den kommenden Monaten das bisher Beigebrachte und richtete das Zimmer als Präsentations69
70
71
72
73
60
FG vom 11. Nov. 1920.
FG vom 20. Dez. 1920.
FG vom 15. Jan. 1921.
StadtACr 2/312 und 2/315.
StadtACr 2/312. – FG vom 3. Mai 1921.
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
Abb. 19: Informationszettel
zum Besuch des Heimatmuseums Crailsheim, 1931.
raum der Sammlung ein.
Am 21. Juli 1922 war der
Gemeinderat erstmals zur
Besichtigung des „Altertums- und Heimatmuseums Crailsheim“ eingeladen 74. Es war dies der erste
Museumsraum in Crailsheim überhaupt, und er
markiert damit den Anfangspunkt der Geschichte
des Crailsheimer Museums.
Was in diesem Museumsraum gezeigt wurde,
wie viele Besucher er anlockte, wissen wir nicht. Es existieren keine Unterlagen
darüber – und wie der Altertums- und Heimatverein versank auch das erste
Crailsheimer Museum von 1921 bis 1927/29 in einen Dornröschenschlaf.
Die Hauptaktivität des Vereins nach seiner Wiederbelebung Ende der
1920er-Jahre blieb das Heimatmuseum. Nachdem das bisherige Museumszimmer 1927 wegen eines Abortumbaus im Rathaus hatte geräumt werden müssen,
waren dem Verein für seine Sammlung von der Stadt drei Räume im Erdgeschoss
des vorderen Spitalgebäudes zur Verfügung gestellt worden 75. Ende 1928 wurde
der Museumsbereich um zwei zusätzliche Räume erweitert 76.
Allerdings musste die Sammlung dort erst wieder eingeräumt und die Präsentation der Exponate entsprechend vorbereitet werden. Es war eine der ersten
74 StadtACr 2/312.
75 Ebenda: Gemeinderats-Beschluss vom 29. Dez. 1927.
76 Ebenda: Gemeinderats-Beschluss vom 21. Febr. 1929.
61
Folker Förtsch
Aufgaben des wieder belebten Altertums- und Heimatvereins, für eine schnelle
Eröffnung der neuen Museumsräume zu sorgen. Am 22. Dez. 1929 war es soweit: In Anwesenheit des Gemeinderates wurde die Museumssammlung der Öffentlichkeit erstmals im neuen Domizil vorgestellt 77.
Die Zugangsmöglichkeiten und die Betreuung des Museumsbestandes wurden nun sehr viel professioneller organisiert, als dies beim Museumszimmer im
Rathaus der Fall war. Es gab erstmals geregelte Öffnungszeiten, und eine eigene
Museumswärterin, Frau Krauter, wurde angestellt 78. Auch Anreize zum Besuch
des Museums – wie zum Vereinsbeitritt – wurden geschaffen: So durften Schulklassen aus Gemeinden, die dem Verein beigetreten waren, das Museum im Rahmen des heimatgeschichtlichen Unterrichts kostenfrei besuchen (Abb. 19) 79.
Der Ausbau der Sammlung bildete einen weiteren Schwerpunkt der Vereinsarbeit in diesen Jahren: Spektakulärstes Projekt in diesem Zusammenhang war
1928 der Ankauf von über 100 Crailsheimer Fayencen von dem Händler Paul
Heiland in Potsdam 80. Um den Kaufpreis von 2 000 Reichsmark aufbringen zu
können, organisierten Stadtschultheiß Fröhlich und Vereinsvorstand Hummel in
Crailsheim eine Spendenaktion, deren Sammellisten noch heute im Stadtarchiv
vorliegen. Die Bemühungen waren tatsächlich von Erfolg gekrönt: Nach ihrer
vertraglich zugesicherten Präsentation in der großen Ansbacher Fayence-Ausstellung von 1928 kamen die Exponate nach Crailsheim und bilden den Grundstock
der heutigen Fayence-Abteilung im Stadtmuseum.
c) Vereinsausfahrten
In den frühen 1930er-Jahren taucht in der Chronik des Altertums- und Heimatvereins Crailsheim eine neue Veranstaltungsform auf. 1931 und 1932 führte
der Verein erstmals Ausfahrten zu für die Crailsheimer Stadtgeschichte relevanten Orten durch. Sie führten einmal nach Gnadental, zum anderen nach Ansbach 81.
Im Mittelpunkt der Exkursion nach Gnadental stand natürlich das Grab der
Gräfin Adelheid, der angeblichen „Wohltäterin“ Crailsheims, deren Gedenktag
eine der Wurzeln des Stadtfeiertags darstellt. Bei der Hauptversammlung für das
Jahr 1930, die aus terminlichen Gründen in den Januar 1931 gelegt worden war,
hatte Dekan i. R. Hummel bereits angeregt, ob nicht der im früheren Kloster Gna77
78
79
80
81
62
Ebenda.
Ebenda.
FG vom 3. Dez. 1929.
StadtACr 2/312.
StadtACr 2/313.
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
dental befindliche Grabstein der Gräfin Adelheid für Crailsheim erworben werden
möge 82. Diese Initiative blieb (erwartungsgemäß) ohne Erfolg.
Die zweite Exkursion am 19. Juni 1932 war vor allem von Hans Sachs organisiert worden. Mehr als 200 Teilnehmer fuhren gemeinsam mit der Bahn nach
Ansbach, der früheren Haupt- und Residenzstadt des fränkischen Markgraftums
Brandenburg-Ansbach, von der aus über annähernd 400 Jahre auch die Geschicke Crailsheims mitbestimmt worden waren.
V. Der Crailsheimer Altertums- und Heimatverein
im „Dritten Reich“
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 ergab sich für
den Crailsheimer Altertums- und Heimatverein zunächst keine Änderung in der
inneren und äußeren Vereinstätigkeit. Im Gegensatz zu anderen Vereinen unterblieb vorerst ein Akt der Gleichschaltung von außen. Er war auch nicht nötig,
denn der Verein fand sich problemlos auf dem Boden des „neuen Deutschland“
wieder 83. Man erwartete sich durch die neue Staatsführung eine Aufwertung des
Heimatgedankens und so gab Vereinsvorsitzender Friedrich Hummel bei der
Hauptversammlung im Februar 1934 der […] Hoffnung Ausdruck, dass der heutige Staat und die Partei auch auf dem Gebiet der Heimatkunde die Führung übernehmen werden 84.
Um die Einbindung in den nationalsozialistischen Staat zu dokumentieren,
wurden im Februar 1934 drei führende Crailsheimer NS-Vertreter in den Vereinsausschuss zugewählt: zum einen Ortsgruppenleiter Eugen Kübler, dann der
lokale Organisationsleiter der NSDAP, Robert Engelhardt, und schließlich der
Organisationsleiter des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“, Studienassessor
Baur 85.
Erst im November 1935 erfolgte im Verein eine Satzungsrevision, die den geänderten Bedingungen im „Dritten Reich“ auch formal Rechnung trug 86 : Die
82 StadtACr 2/314: Hauptversammlung vom 24. Jan. 1931.
83 Allgemein Klaus Pabst: Thesen zur Entwicklung der historischen Vereine in Deutschland in der Zeit des Dritten Reiches, in: Geschichtsvereine. Entwicklungslinien und Perspektiven lokaler und regionaler Geschichtsarbeit, Bergisch Gladbach 1990, S. 33–40,
hier S. 36: „Diese betont nationale Haltung und ihre vorwiegend bürgerlich-konservative Mitgliederstruktur bewahrte die meisten Vereine nach der ‚Machtergreifung‘ noch eine Zeit lang vor direkten Eingriffen des NS-Staates oder der NSDAP.“
84 StadtACr 2/314: Hauptversammlung vom 26. Febr. 1934.
85 StadtACr 2/313: Kübler musste allerdings wegen Arbeitsüberlastung ablehnen.
86 Ebenda: Satzung vom 16. Nov. 1935.
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Folker Förtsch
neuen Statuten sollten der Herstellung einer engeren
Beziehung mit der Partei dienen 87, wovon sich die
Verantwortlichen eine stärkere Unterstützung der
Belange des Vereins versprachen. Eingeführt wurden mit der neuen Satzung offiziell das „Führerprinzip“ – der erste Vorstand Friedrich Hummel
führte jetzt den Titel Vereinsführer – und der sogenannte Arierparagraph, nach dem nur Personen arischer Abstammung Mitglieder des Vereins werden
konnten.
Der einzige jüdische Crailsheimer, der seit der
Vereinsgründung 1920 im Ausschuss gesessen war,
David Stein, war zu diesem Zeitpunkt schon nicht
mehr aktiv. Vermutlich war er wie andere jüdische
Mitglieder kurz nach der sog. „Machtergreifung“
1933 aus dem Verein gedrängt worden. Stein, der
Abb. 20: David Stein (in der
Uniform der Crailsheimer
zahlreiche wertvolle Gegenstände in die MuseumsFeuerwehr), ca. 1930.
sammlung gestiftet hatte, starb übrigens am 26.
Sept. 1942 an den Erschießungsgruben des Vernichtungslagers Maly Trostinec in Weißrussland (Abb. 20).
Mit der neuen Satzung wurde auch eine striktere Aufgabenverteilung im Verein durchgeführt. Es wurden sieben Abteilungen ins Leben gerufen, die die bisherige Vereinstätigkeit noch einmal ausweiteten 88. Es waren dies:
– Heimatgeschichte (Verantwortlich: Isidor Fischer)
– Bau- und Kunstdenkmäler (Wilhelm Frank)
– Volkstum (Rektor Karl Döttinger)
– Boden und Landschaft (Apotheker Robert Blezinger)
– Pflanzen- und Tierwelt (Studien-Assessor Baur)
– Schrifttum (Pfarrer Georg Lenckner) und
– Heimatmuseum (Hauptlehrer Emil Beck)
Der Verein trug künftig den Namen „Heimatverein Crailsheim“.
Auch in den äußeren Beziehungen ergab sich Mitte der 1930er-Jahre eine
nicht unwesentliche Änderung: In der Hauptversammlung vom 25. Nov. 1934
wurde der Beitritt zum Historischen Verein für Württembergisch Franken beschlossen 89. Die Entscheidung war bis zuletzt umstritten. Man hatte bisher aus
87 StadtACr 2/314: Hauptversammlung vom 16. Nov. 1935.
88 Ebenda.
89 StadtACr 2/312, 2/313 und vor allem 2/314: Hauptversammlung vom 25. Nov. 1934.
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Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
finanziellen Gründen von dem Anschluss an einen
größeren Verband […] Abstand genommen. Und etwa Friedrich Fröhlich hätte es lieber gesehen,
wenn statt des Beitritts zum Historischen Verein
für Württembergisch Franken unsere Einwohner
unseren eigenen Verein mehr noch als seither durch
ihre Mitgliedschaft unterstützen würden 90. Es gab
jedoch eine starke Gruppe um Isidor Fischer, die
den Beitritt letztlich mit Erfolg betrieb.
Hauptsorgenkind des Vereins blieb das Heimatmuseum, dessen Unterbringung in den Räumen des vorderen Spitals als unzulänglich betrachtet wurde. Hinzu kam, dass der Verein bei
der Nutzung der ohnehin beengten Räumlichkeiten mit den Ansprüchen der Hitlerjugend konkurrieren musste. Die Situation führte sogar zu Abb. 21: Wilhelm Frank.
Reibereien zwischen verschiedenen NS-Dienststellen. Im Dezember 1935 sandte das NS-Gaukulturamt in Stuttgart einen deutlichen Brief an
die NSDAP-Kreisleitung in Crailsheim 91:
Die Museumsverhältnisse in Crailsheim sind untragbar. Dazu höre ich, dass auch
die noch verbleibenden Räume von der HJ beansprucht werden. Es ist dies absolut ein
unmögliches Ding. Ich bitte den Herrn Kreisleiter um Vorschläge, wie das Crailsheimer Museum untergebracht werden kann. Sollte sich keine andere Möglichkeit ergeben, so darf an die bisherigen Räume nicht gerührt werden. Entweder leistet sich eine Stadt ein Heimatmuseum und bringt dasselbe dann ordnungsmäßig unter oder
aber sie verzichtet darauf. Im letzteren Fall würde ich empfehlen, dass die betreffenden Gegenstände einem anderen Museum zur Verfügung gestellt werden, das bereit
ist, dieselben würdig zu behandeln. Der Fall Crailsheim ist der schlimmste Fall im
ganzen Land und ich bitte den Herrn Kreisleiter, sich der Sache anzunehmen.
Geprüft wurde zeitweilig, die Museumssammlung im Freitagschen Haus am
Schlossplatz unterzubringen 92. Dieses angeblich schönste Haus Crailsheims war zu
diesem Zeitpunkt in einem schlechten baulichen Zustand und seine Sanierung
war unerlässlich. Die Idee, die Restaurierung des Gebäudes mit einer zukünftigen Nutzung als Museum zu verknüpfen, wurde aus Kostengründen aber schnell
fallen gelassen.
90 StadtACr 2/314: Hauptversammlung vom 25. Nov. 1934.
91 StadtACr 2/312: Schreiben vom 7. Dez. 1935.
92 StadtACr 2/312.
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Verantwortlich für die Museumssammlung war seit März 1937 übrigens
Wilhelm Frank 93. Sein offizieller Titel lautete Verwalter des Heimatmuseums
(Abb. 21).
Der Verein begleitete in diesen Jahren auch die archäologischen Ausgrabungen in der Umgebung Crailsheims, so im Weilersholz bei Triensbach, auf dem
Burgberg, wo die Vereinsmitglieder 1935 die Gelegenheit hatten, die Grabarbeiten zu besichtigten, und am Schlossbuck in Oberspeltach 94.
Eine besondere „Aufgabe“ stellte sich den Vereinsverantwortlichen ab Anfang 1939. Nach der Reichspogromnacht im November des Vorjahres verließen
viele Crailsheimer jüdische Familien Deutschland und versuchten wenigstens ihr
Leben vor der zunehmenden Repression des NS-Staates in Sicherheit zu bringen.
In dieser Situation versuchte der Verein, Altertumsgegenstände aus jüdischem Besitz für seine Sammlung zu sichern 95. Vor allem handelte es sich um Objekte aus Zinn, die der Verein in großem Stil den jüdischen Familien abkaufte –
insgesamt deutlich über 150 Gegenstände allein aus diesem Material. Um den
Großankauf für die Museumssammlung bewerkstelligen zu können, gewährte
die Stadt dem Verein im Mai 1939 einen zinsfreien Vorschuss von 700 RM, der
im Juli 1940 noch einmal um 400 RM aufgestockt wurde 96. Inwieweit die gezahlten Preise dem tatsächlichen Wert der Objekte entsprachen, bleibt noch zu
prüfen.
Der Verein scheute aber auch nicht davor zurück, sich an den Versteigerungen jüdischen Besitzes in Crailsheim zu beteiligen, nachdem die rechtmäßigen
Besitzer deportiert worden waren 97: Er erwarb auf diesem Wege beispielsweise im
Februar 1942 eine Rokoko-Kommode aus dem Besitz von Louis Mezger aus der
Gartenstraße, der im Dezember 1941 nach Riga deportiert worden war und im
Dezember 1944 im Lager Kaufering den Tod fand.
In den Jahren des Zweiten Weltkrieges lässt sich in den Versammlungen des
Vereins eine auffällige verbale Radikalisierung und Militarisierung feststellen.
Der Heimatverein ordnete sich nahtlos ein in die „Heimatfront“ und sah seine
Aufgabe vor allem in der Ausgabe von Durchhalteparolen. In der Mitgliederversammlung vom Januar 1943 stößt man beispielsweise auf die Propagandafloskeln
vom gigantischen Schicksalskampf oder die Verherrlichung unserer tapferen Soldaten, die als die tüchtigsten Heimatpfleger unserer Zeit gepriesen wurden 98. Weiter
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StadtACr 2/313.
StadtACr 2/312.
Ebenda und 2/315.
StadtACr 2/312.
StadtACr 2/314: Mitgliederversammlung vom 17. Jan. 1943.
Ebenda.
Die Geschichte des Heimat- und Altertumsvereins Crailsheim 1920–1943
heißt es dort: Ohne ihren heldenmütigen Einsatz, ohne ihre Entbehrungen, ohne ihre mit Blut und Leben erfochtenen unvergleichlichen Siege, wäre es uns heute nicht
möglich, auf heimatlichem Boden das Werk für die Heimat zu heben und zu fördern.
Wenn uns die heiß geliebte Heimat geblieben ist, so danken wir dies vor allem auch
einem Feldherrn, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat, aber den wir erleben dürfen, Adolf Hitler.
Die Mitgliederversammlung fand statt in den letzten Tagen des Endkampfes
der 6. Armee in Stalingrad.
Im September 1942 wurde der Verein Mitglied des NS-Volkskulturwerks 99.
Sein zentrales Anliegen sollte nun nicht mehr die Erforschung und Sicherung des
kulturellen Erbes Crailsheims sein, sondern die Hauptaufgabe [liegt] künftig im
kulturellen Einsatz für die NSDAP, ihre Gliederungen und Verbände. Schon vor
dem eigentlichen Ende des Vereins stellte dies einen bemerkenswerten Akt der
Selbstaufgabe dar.
Das letzte Lebenszeichen des Crailsheimer Altertums- und Heimatvereins
datiert vom 17. Jan. 1943. Es handelte sich um die oben schon zitierte Mitgliederversammlung. Danach beendete der Heimatverein Crailsheim seine Tätigkeit.
Nachspiel
Am 29. Mai 1952 stellte die Innenrevision der Kreissparkasse Crailsheim fest,
dass das alte Konto des Vereins noch ein Guthaben von 56,29 DM aufwies 100.
Der Heimatverein Crailsheim wurde offiziell nie aufgelöst, so dass dieses Geld an
den 1983 gegründeten Crailsheimer Historischen Verein als dem, wenn auch
nicht rechtlichen, so doch ideellen Nachfolger ausbezahlt wurde.
99 StadtACr 2/313: Hohenloher Zeitung vom 16. Jan. 1943.
100 StadtACr 2/312.
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