5000 Meter tief bohren
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5000 Meter tief bohren
EE_26_27_Energien 05.06.2003 15:18 Uhr Seite 26 Geothermie 5000 Meter tief bohren Zwei Forschungsprojekte im tiefen Urgestein sollen der Geothermie in Europa zum Durchbruch verhelfen. Im elsässischen Soultz-sous-Forêts und in Bad Urach bei Stuttgart werden in diesem Jahr die entscheidenden Schritte eingeleitet, um 2004 zuverlässig elektrische Energie aus Erdwärme zu gewinnen. Zwei Arbeiter bei Wartungsarbeiten am Heissluftseparator (dient zu Testläufen) Bild:Wolfgang Huppertz / agenda Text: Klaus Sieg Der Weg nach Soultz-sous-Forêts geht durch die seichte Hügellandschaft des nördlichen Elsass. Vorbei an Dörfern mit schiefen Fachwerkhäuschen, an denen abgeblätterte Fensterläden hängen. Doch unter der Idylle geht es heiss her. Soultzsous-Forêts liegt im Herzen des Oberrheingrabens. Dicht unter der Erdoberfläche nimmt die Hitze im Gestein rasch zu, pro Kilometer in Richtung Erdmitte 40 Grad. Die Hitze entsteht durch aufsteigendes warmes Thermalwasser. «Wir liegen im Zentrum einer der grössten Wärmeanomalien Mitteleuropas» sagt Jörg Baumgärtner, Leiter des europäischen Forschungsprojektes Geothermie in Soultz. 5000 Meter Tiefe Seit Ende der 80er Jahre erforschen Jörg Baumgärtner und ein international besetztes Team die Möglichkeiten, diese Wärmeanomalie mittels Tiefenbohrungen zu nutzen. Finanziert wird das Vorhaben unter anderem mit Geldern aus Frank26 Erneuerbare Energien 3/2003 reich, Deutschland und der EU. Vor kurzem wurde der erfolgreiche Abschluss der zweiten Bohrung in rund 5000 Meter Tiefe vermeldet. Im Sommer soll eine dritte Bohrung gestartet und ab 2004 eine sechs Megawatt starke Pilotanlage für die Stromerzeugung schrittweise in Betrieb genommen werden. Im Inneren der Erde schlummert eine unerschöpfliche Energiequelle. Die saubere Energie steht rund um die Uhr zur Verfügung, unabhängig von Wind und Wetter. Weltweit zapfen Erdwärmekraftwerke dieses Reservoir an. Das bekannteste Beispiel ist Island: Der Grossteil der Gebäude auf der Insel der Geysire wird mit Wasser aus heissen Quellen beheizt. Über einen Wärmeaustauscher verdampft und durch eine Turbine geleitet, dient die Hitze des Wassers auch zur Stromerzeugung. Führend bei der Stromproduktion mittels Geothermie sind die USA, mit einem Viertel der weltweit installierten fast 8000 Megawatt. Länder wie Nicaragua, Mexiko oder Indonesien produzieren einen grossen Teil ihres Strombedarfs mittels Geo- thermie. Dagegen nehmen sich die in Europa gewonnenen 866 Megawatt vergleichsweise mager aus. Hot Dry Rock Heisswasservorkommen mit ausreichendem Volumen für die Stromerzeugung sind in Mitteleuropa selten. Um trotzdem Erdwärme nutzen zu können, wurde das Hot Dry Rock (HDR)-Verfahren entwickelt. Das Prinzip ist einfach: Durch eine Tiefenbohrung wird mit hohem Druck Wasser in die heissen Gesteinsschichten injiziert. Dadurch werden die im Gestein vorhandenen Risse und Klüfte ausgeweitet. So entsteht ein Wärmetauscher von einigen Kubikkilometern Ausdehnung. Das Wasser fliesst durch diesen riesigen Boiler zu einer zweiten Bohrung. So erwärmt, wird es hoch gepumpt und heizt in einem oberirdischen Wärmetauscher einen zweiten Kreislauf, in dem eine schnell verdampfende Flüssigkeit zirkuliert. Der so erzeugte Dampf treibt die Turbine zur Stromerzeugung an. Bevor das Wasser zurück in den unterirdischen Wärmetauscher geschickt wird, kann es über einen weiteren Kreislauf ein Fernwärmenetz heizen. 100 Liter pro Sekunde In Soultz wird eines der ersten Erdwärmekraftwerk der Welt seinen Betrieb aufnehmen, das Strom mit dem HDR-Verfahren produziert. «Durch die Wasserinjektion entfällt das Fündigkeitsrisiko, heisses Gestein gibt es fast überall», beschreibt Jörg Baumgärtner die Möglichkeiten, die das Verfahren für die Geothermie gerade in Mitteleuropa bietet. Für die 6 Megawatt-Pilotanlage in Soultz wird 200 Grad heisses Wasser mit 100 Litern pro Sekunde aus dem Erdinneren gefördert, für die folgende 25 Megawatt Anlage sind 400 Liter pro Sekunde nötig. Aus natürlichen Heisswasservorkommen könnten solche Mengen in Europa kaum gefördert werden. Das HDR-Verfahren ist jedoch aufwendig und heute noch teurer als konventioneller Strom. «Die Kosten liegen voraussichtlich in der Grös- EE_26_27_Energien 05.06.2003 15:18 Uhr Seite 27 Geothermie senordnung der Windenergie», schätzt Jörg Baumgärtner. Jeder Meter Tiefenbohrung kostet um die 1000 Euro, eine Bohrung in Soultz also rund 5 Millionen Euro. Sie dauert mehrere Monate. Technisch profitiert die Geothermie von den Erfahrungen bei der Gasund Erdölförderung. Nach Gas wird in Tiefen von über 6000 Metern gebohrt. In der Erdölförderung wurden in den letzten Jahren zuverlässige Verfahren zum horizontalen Bohren entwickelt. Mit dieser Technik konnte in Soultz so gebohrt werden, dass die beiden Bohrlöcher über der Erde nur sechs Meter von einander entfernt liegen. Erst in einer Tiefe von 2700 Metern schwenken die Bohrungen auseinander. In der Zieltiefe beträgt die Entfernung dann 600 Meter, genug Abstand für einen ausreichend grossen Wärmetauscher. Geringer Platzbedarf Diese Technik spart eine aufwendige Leitungsführung über der Erde und reduziert den Landschaftsverbrauch. «Das Kraftwerk wird nicht grösser sein, als die 350 Quadratmeter-Fläche, die wir zur Zeit für die Bohrungen benötigen», sagt Jörg Baumgärtner und zeigt auf die Beton-Plattform mit dem Bohrturm, der fast 60 Meter in den Himmel ragt. «Es tut sich etwas in Sachen Geothermie in Europa» Nach Abschluss der ersten Tiefenbohrung in Soultz, wurden 30 000 Kubikmeter Wasser injiziert. Gegen Ende der Pressung wurden fast 80 Liter Wasser pro Sekunde ins Gestein gepresst. Die Ausweitung der Risse und Klüfte erfolgt kalkulierbar in Nord Süd Richtung, da sie entlang der Spannung der Erdplatten verläuft, die von Süden nach Norden drücken. Mit Sonden wird die Ausweitung anhand der Bruchgeräusche kontrolliert, die durch das Auseinanderpressen des Gesteins ausgelöst werden. Kurz nach der Fertigstellung der zweiten Bohrung Ende letzen Jahres kam ein entscheidender Moment für das Team in Soultz: Es musste nachgewiesen werden, ob das Wasser wirklich zwischen den beiden Bohrungen zirkulieren kann. Dazu wurden ihm so genannte Tracer beigegeben, meist sind das Farbstoffe. «Die Kom- munikation zwischen den beiden Bohrungen funktioniert hervorragend», freut sich Jörg Baumgärtner. Auch in Bad Urach bei Stuttgart, dem zweiten Standort in Europa, an dem das HDR-Verfahren erforscht wird, musste erst nachgewiesen werden, dass sich die Risse und Klüfte im Untergrund ausreichend geöffnet haben. Nun wird im Sommer in dem Thermalkurort die zweite Bohrung gestartet, gefördert vom Zukunftsinvestitionsprogramm des deutschen Umweltministeriums. Nach der Wasserinjizierung in die zweite Bohrung im Herbst, soll 2004 mit dem Bau des Kraftwerkes begonnen werden, das in Modulen entsprechend der Bohrlöcher aufgestockt werden kann. Basel mit von der Partie Von den Forschungsprojekten in Soultz und Bad Urach wird das erste HDR-Kraftwerk in der Schweiz profitieren (siehe S. 28). Nachdem bei einer Sondierungsbohrung in 2755 Metern Tiefe Klüftungen mit günstigen Spannungsverhältnissen angetroffen wurden, soll noch vor Ablauf 2003 in Basel die erste Bohrung auf 5000 Meter abgetäuft werden. Zunächst wird ein Fernwärme- und Stromkraftwerk für die Versorgung von 5000 Haushalten entstehen, das schrittweise ausgebaut werden kann. Es tut sich also etwas in Sachen Geothermie in Europa. Obwohl die Förderung aus öffentlichen Mitteln bisher spärlich geflossen ist, wie Werner Bussmann bemängelt. «Dadurch ist sie heute erst auf dem Stand, wie die Windenergie vor zehn Jahren», so der Geschäftsführer der Geothermischen Vereinigung in Deutschland weiter. Durch die erfolgreiche Erprobung des HDR-Verfahrens, erwartet die Geothermische Vereinigung einen erheblichen Schub. Schliesslich ersetzt ein Megawatt installierte Leistung aus Geothermie 2,5 bis 3 aus Windkraft. Strom aus Erdwärme ist Grundlastenergie, geothermische Kraftwerke lassen sich ausserdem so schnell hochfahren, dass sie auch Spitzenlast bedienen können. Es ist also verwunderlich, dass die Geothermie so lange mit Akzeptanzproblemen kämpfen musste. In Soultz-sous-Forêts wird das Projekt jedenfalls wohl wollend verfolgt. «Die Leute hier sind es gewohnt, dass gebohrt wird», schmunzelt Jörg Baumgärtner. Schliesslich liegt in der Nähe der Forschungsanlage die älteste Erdölbohrung der Welt. Bereits 1813 wurde im Elsass nach dem schwarzen Gold gebohrt. Der darauf folgende Boom endete erst nach dem zweiten Weltkrieg. Bis heute zeugen Ölpumpen in vielen Gärten der Region von der Geschichte europäischer Erdölförderung. Der Bohrturm des künftigen Geothermie-Kraftwerkes hingegen weist in die Zukunft der Energieversorgung in Europa. Projekt Soultz-sous-Forêts in Zahlen Tiefe der Bohrungen: 5000 m Wassertemperatur: 200 °C Erste Ausbaustufe Fördermenge: 100 l/s Elektrische Leistung: 6 MW Zweite Ausbaustufe Fördermenge: 400 l/s Elektrische Leistung: 25 MW ● Blick von der Arbeitsplattform des Bohrturms auf das Bohrloch Bild:Wolfgang Huppertz / agenda Erneuerbare Energien 3/2003 27