Urheberrecht : Eine Katastrophe für Schriftsteller

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Urheberrecht : Eine Katastrophe für Schriftsteller
Urheberrecht : Eine Katastrophe
Schriftsteller und Verleger
für
Die Urheberrechtsnovelle gefährdet die Vielfalt
der Verlagslandschaft. © dpa
Die Adventswochen sind ein Fest für Buchhändler
und Leser, es werden so viele Bücher gekauft wie
nie sonst im Jahr: Gut ausgestattete Klassiker in
neuen Übersetzungen, originelle Geschenkbücher,
politische Pamphlete, großformatige Bildbände,
profunde
Sachbücher
und
literarische
Überraschungserfolge wie Die Erfindung der
Roten Armee Fraktion durch einen manischdepressiven Teenager im Sommer 1969 des
diesjährigen Buchpreisträgers Frank Witzel.
Wenige Buchkäufer machen sich indes Gedanken
darüber, dass diese überwältigende Vielfalt an
Büchern nur entstehen kann, weil es rechtliche
Rahmenbedingungen gibt, die sie ermöglicht. Dazu
zählt der gebundene Ladenpreis, der Preiskämpfe
verhindert und dadurch die flächendeckende
Versorgung mit Büchern durch unabhängige, meist
inhabergeführte
Sortimentsbuchhandlungen
ermöglicht. Dazu zählt aber auch das bestehende
Urheberrecht. Die von Großkonzernen und
Akteuren wie Amazon durch willige Helfershelfer
in der EU immer wieder attackierte Preisbindung
und das Urheberrecht ermöglichten jahrzehntelang
das Entstehen und Blühen einer weltweit
einzigartigen Verlags- und Buchhandelslandschaft
– wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie.
Mit einer grob und fahrlässig gezimmerten
Urheberrechtsnovelle scheint es Justizminister
Heiko Maas nun darauf anzulegen, die Grundlage
dieses kulturellen Erfolgsmodells zu zerstören. Ich
kann wenig über die Interessen der Urheber und
deren Verwerter in der Film- oder Musikbranche
sagen, es kann auch sein, dass ein Buyout
journalistischer Texte den Interessen ihrer
Verfasser zuwiderläuft.
Mehr als ein Kollateralschaden
Andreas Rötzer, Jahrgang 1971, ist Verleger des
Verlags Matthes & Seitz Berlin, bei dem unter
anderem der in diesem Jahr mit dem Deutschen
Buchpreis ausgzeichnete Roman Frank Witzels
"Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch
einen manisch depressiven Teenager im Sommer
1969" erschienen ist. © Julia Vietinghoff
Allerdings ist sicher, dass die Folgen der
Urheberrechtsnovelle für Buchverleger und
Buchautoren mehr als ein verschmerzbarer
Kollateralschaden wären. Sie wären desaströs,
darüber sind sich die einig, die es betrifft. Es ist
sicherlich legitim, dass Autoren, Journalisten,
Übersetzer und Illustratoren für ihr Einkommen
streiten,
dabei
können
auch
alternative
Verwertungsmodelle diskutiert werden. Wenn
dabei allerdings das Urheberrecht als solches an
der Wurzel angegriffen wird, ist die Existenz der
Verlage bedroht. In einem von den Verlegern
Jonathan Beck (C.H. Beck) und Jonathan
Landgrebe (Suhrkamp) sowie der Agentin
Elisabeth Ruge initiierten offenen Brief wenden
sich auch eine Vielzahl von Autoren wie Sibylle
Lewitscharoff, Frank Witzel, Judith Schalansky,
Kristof Magnusson und Durs Grünbein gegen
einen Gesetzentwurf, der nicht einmal als
Gesprächsgrundlage taugt.
Worum geht es? Der Entwurf sieht eine
Ausstiegsoption für die Urheber nach fünf Jahren
vor. Bislang konnten Verleger und Autoren die
Vertragsdauer individuell festlegen, und für den
Fall, dass keine Dauer festgelegt wurde, galt die
Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des
Autors. Die ermöglichte den Verlagen, in
langfristige Projekte zu investieren, auf die
gemeinsame Zukunft zu wetten. Der Erfolg des
Verlags ist immer auch der Erfolg des Autors, der
Erfolg des Autors immer auch der des Verlags. Der
Verlag ist durch Lektorat an erster Stelle, dann
durch Programmarbeit, Themensetzung, Geben
von Impulsen, Schaffung von Kontexten,
Öffentlichkeitsarbeit,
Werbung,
Vertrieb,
Lesungsorganisation, Anbieten und Verkauf von
Auslandsrechten,
Nebenrechtsverwertung
wesentlich beteiligt.
Diese Arbeit, diese Investitionen in den Autor und
sein Werk sind aber auf Dauer angelegt, es braucht
mehr als fünf Jahre, um ein Werk, einen Autor
durchzusetzen, es gibt nicht wenige Beispiele, in
denen der Erfolg erst nach vielen Jahren
hartnäckiger Arbeit eintritt. Der Glaube daran ist
Verlagssache, während dieser Zeit ausbleibender
Anerkennung die Rechte des Autors zu schützen,
seine Aufgabe. Eine Ausstiegsklausel nach fünf
Jahren würde die Aussicht auf Rendite noch
unsicherer machen und damit die Kalkulation
wesentlich
verändern,
sie
bedeutet
die
Ökonomisierung eines auf Symbiose angelegten
Verhältnisses. Gleichzeitig würde sich ein Modell
ins Gegenteil verkehren, das neben einer
finanziellen Rendite eine nicht unerhebliche
kulturelle und damit gesellschaftliche Rendite
ermöglicht. Ab nun gälte: Wer schon Erfolg hat,
wird Öffentlichkeit bekommen, in den, der keinen
Erfolg hat, wird nicht mehr investiert. Noch
unbekannten
Stimmen
Öffentlichkeit
zu
verschaffen, aus meiner Sicht eine der zentralen
Aufgaben der Verlage, wird nicht mehr rational zu
rechtfertigen sein. Verlage werden nur noch
vermeintliche Bestseller verlegen, die sich schnell
amortisieren und sicher kalkulierbar sind.
Nur noch vermeintliche Bestseller
Um diesen Gesetzentwurf beurteilen zu können,
genügt ein Blick auf die Nutznießer desselben. Das
wären in diesem Fall Amazon und die
Konzernverlage, die nicht dafür bekannt sind,
Autoren aufzubauen und in sie zu investieren,
solange sie noch unbekannt sind. Sie könnten nun
den von anderen, meist kleineren Verlagen
ermöglichten Erfolg abschöpfen, die in eine ferne,
häufig nie eintretende Zukunft vertagte Rendite
würde
ihnen
genommen,
damit
die
Geschäftsgrundlage. Effekt wäre eine weitere
Oligopolisierung
und
eine
gleichzeitige
Verflachung der literarischen Produktion. Alle
Anstrengungen Monika Grütters' für eine
vielfältige Verlagsszene und einen starken
Unabhängigen
Buchhandel
würden
damit
konterkariert. Ebenso wie die großen Bemühungen
der Goethe Institute, deutsche Literatur ins
Ausland zu bringen – 2015 wurden beispielsweise
fast 130 Übersetzungen in diverse Sprachen
gefördert. Verfügen Verlage in Zukunft nur fünf
Jahre lang über die Rechte, dürfen sie diese auch
nur für diese Dauer anbieten. Für mögliche
Lizenznehmer ist dies absolut inakzeptabel,
Übersetzungsrechte erfolgreich anzubieten wäre
somit unmöglich.
Man muss sich nur die Verlags- und
Autorenlandschaft in Ländern wie Russland
ansehen, in denen Vertragslaufzeiten von fünf
Jahren üblich sind, um zu sehen, was passiert,
wenn das Hauen und Stechen um Autoren beginnt
und
von
dann
notwendig
kurzfristigen
Profiterwartungen geleitet wird. Ein vollkommen
unübersichtlicher Markt mit ungeschützten
Rechten ist das Ergebnis. Vielleicht ist es auch hier
kein Zufall, dass der Zustand der Demokratie in
diesen Ländern so ist, wie er ist. In dem Maße, wie
das Urheberrecht das Engagement für viele
verschiedene Stimmen im öffentlichen Diskurs
ermöglicht, lässt sich sagen: Es gibt einen
Zusammenhang zwischen Urheberrecht und
Demokratie.
Die Zeit, Dezember 2015
http://www.zeit.de/kultur/literatur/201512/urheberrecht-novelle-verlage-roetzer
Dürfen Kirchenangestellte streiken? Zumindest dürfen Angestellte in Kirchen streiken - wie hier beim Hamburger Einzelhandelsstreik 2007
Streit um das Streikverbot
Das Bundesarbeitsgericht entscheidet über kirchliches Tarifrecht
1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland bei den Kirchen und ihren Betrieben. In Bislang
sollen sie sich in paritätisch besetzten Kommissionen mit den Arbeitgebern auf Löhne und Gehälter
einvernehmlich verständigen. Ob dieses Streikverbot rechtens ist, darüber entscheidet heute das
Bundesarbeitsgericht.
Sarah Gevers: "Die christliche Nächstenliebe ist ein Teil dessen, was wir da machen, aber der Grund,
warum wir alle zur Arbeit gehen ist nicht der, dass wir unseren Dienst verrichten wollen aus christlicher
Nächstenliebe, sondern dass wir unserem gewählten Beruf für eine bestimmte Bezahlung nachgehen."
Gregor Thüsing: "Die Kirchen stellen an ihre Arbeitnehmer den Anspruch, dass sie nicht nur allein
Arbeitnehmer zum Verdienst des eigenen Unterhalts und dessen ihrer Lieben sind, sondern auch ein Stück
weit Arbeiter im Weinberg Christi."
Frank Bsirske: "Wir treffen auf einen Lohn- und Arbeitsbedingungsdschungel, wir treffen auf Leiharbeit,
wir treffen auf Lohndumping, und das sind Verhältnisse, die so nicht mehr akzeptabel sind."
1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland bei den Kirchen und ihren Wohlfahrtsbetrieben. Zum
Beispiel bei Diakonie und Caritas, in Krankenhäusern oder Altenheimen. Sie dürfen nicht streiken.
Genauso wenig dürfen die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter aussperren. Arbeitskämpfe seien in kirchlichen
Betrieben fehl am Platz, sagt Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der Evangelischen Kirche in
Deutschland:
"Die Erfüllung des Auftrags unseres Herrn ist nicht bestreikbar. Und wir haben ein Verfahren gefunden, das
Auseinandersetzungen in anderer Weise verbindlich löst."
In kirchlichen Betrieben gilt der sogenannte dritte Weg: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich in
paritätisch besetzten Kommissionen einvernehmlich auf Löhne und Gehälter verständigen. Kommt keine
Einigung zustande, entscheidet ein Schlichter. Dahinter steht die Idee der Dienstgemeinschaft, in der
Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam und aus Nächstenliebe den christlichen Auftrag erfüllen.
Doch ob der dritte Weg und damit das Streikverbot rechtens sind - darüber muss morgen das
Bundesarbeitsgericht entscheiden. Geklagt haben unter anderem einzelne Landesverbände der
evangelischen Diakonie, weil die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in ihren Betrieben zu Streiks
aufgerufen hatte. Denn die Gewerkschaften halten das Streikverbot für rechtswidrig.
Auch Sarah Gevers kann der Idee einer Dienstgemeinschaft wenig abgewinnen:"Auf jeden Fall gehe ich
arbeiten für Geld! Ganz bestimmt nicht fürs Himmelreich!"
Sarah Gevers ist Krankenschwester. Sie arbeitet im Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld-Bethel. Die
von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel sind seit 1867 ein Ort, an dem kranke, behinderte, alte und
pflegebedürftige Menschen im Mittelpunkt stehen - hier finden sie Hilfe, Heilung, vielleicht sogar ein
Zuhause. Mit seinen mittlerweile über die Republik verteilten Zentren und insgesamt 16.000 Mitarbeitern
gehört Bethel zu den größten diakonischen Einrichtungen in Europa.
Sarah Gevers: "Man ist Teil von diesem ganzen Ort, klar, man weiß, wo man hier ist, man hat diese
150jährige Geschichte, die das Ganze ja auch mit sich bringt. Aber letztlich ist es auch ein Arbeitsplatz wie
jeder andere. Man geht da morgens hin, man hat Schicht, man hat Feierabend."
Auch Sarah Gevers hat jetzt Feierabend. Das Radio-Interview soll auf einem nahegelegenen Waldweg
stattfinden, nicht in unmittelbarer Sichtweite ihrer Vorgesetzten. Hinter ihr liegt ein anstrengender Dienst
auf der Alkohol- und Suchtstation:
"Es ist wie überall: Es ist wenig Personal, es ist schlechte Besetzung, man wird oft angerufen, weil
Krankheitsausfälle sind. Ja, alles, was man so kennt: Überstunden, Mehrarbeit."
Dass sie als Angestellte eines diakonischen Betriebs nicht für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere
Löhne streiken darf, dass keine Gewerkschaft mit ihrem Arbeitgeber einen Tarifvertrag aushandeln kann das hält Sarah Gevers für falsch. Auch deshalb ist sie Mitglied bei Verdi. Und sie findet es gut, dass die
Dienstleistungsgewerkschaft 2009 in ihrem Krankenhaus und einigen anderen Betrieben der Diakonie zu
Streiks aufgerufen hat. Am Tag der Kundgebung hatte sie frei - sie musste ihre Arbeit also nicht
niederlegen, um dabei zu sein. Rund 100 Mitarbeiter gingen in Bielefeld auf die Straße, einige von ihnen
taten es tatsächlich während ihrer Arbeitszeit und widersetzten sich damit dem Streikverbot.
Sarah Gevers: "Es sind welche rausgegangen und haben sich getraut. Das hat uns alle dann doch auch stolz
gemacht."
Der Streik hat ein juristisches Nachspiel. Die betroffenen diakonischen Arbeitgeber klagten gegen Verdi.
Das Arbeitsgericht Bielefeld gab ihnen zunächst Recht. Doch in zweiter Instanz entschied das
Landesarbeitsgericht Hamm, ein prinzipielles Streikverbot gehe zu weit.
Die Kirche hat dieses Urteil wiederum angefochten - jetzt liegt der Fall beim Bundesarbeitsgericht. Parallel
dazu läuft ein zweites Verfahren, mit dem sich die Erfurter Richter morgen ebenfalls beschäftigen müssen hier geht es um die Zulässigkeit von Streiks im Bereich der Nordelbischen Kirche, zu denen die
Ärztegewerkschaft Marburger Bund aufgerufen hatte. Beide Verfahren werden aufmerksam beobachtet vor allem von der katholischen Kirche, denn auch in ihren Wohlfahrtsbetrieben gilt der dritte Weg.
Gewerkschaften wie Kirchen berufen sich auf das Grundgesetz. Die Kirchen führen Artikel 140 an: ihr
Selbstbestimmungsrecht, das aus der Weimarer Verfassung übernommen wurde und ihnen zubilligt, auch
ihre Arbeitsverhältnisse nach eigenen Regeln zu gestalten. Die Gewerkschaften hingegen argumentieren
mit Artikel neun des Grundgesetzes: Die Koalitionsfreiheit und das daraus abgeleitete Streikrecht seien
höher zu bewerten als das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, sagt Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Ein solches individuelles, persönliches Grundrecht hat Vorrang gegenüber Verfassungsrechten von
Körperschaften, die sich ja letztlich aus den persönlichen Grundrechten ableiten. Und das persönliche
Grundrecht auf Streik, das ist vorbehaltlos gewährt, ja sogar notstandsfest! Nicht einmal im Kriegsfall,
nicht einmal im Fall der Bedrohung der staatlichen Existenz der Bundesrepublik ist dieses Recht
eingeschränkt."
Allerdings gibt es beim Streikrecht schon in anderen Bereichen Ausnahmen - auch Beamte dürfen in
Deutschland nicht streiken. Und letztlich hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht
der Kirchen in der Vergangenheit immer wieder bestätigt:
"Die Gerichte haben es anerkannt, dass die Kirche bestimmt, was an Loyalität für ihre Mitarbeiter
erforderlich ist, was sie verlangen darf, um die Glaubwürdigkeit ihres Dienstes in der Öffentlichkeit
vermitteln zu können. Die Kirchen haben übereinstimmend entschieden, dass ein Streikrecht ihrer
Mitarbeiter mit ihrem Selbstverständnis nicht vereinbar wäre."
sagt Gregor Thüsing, Juraprofessor an der Universität Bonn, Experte auf dem Gebiet des Kirchenrechts und
ein erklärter Befürworter des dritten Wegs:
"Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass auch das Bundesarbeitsgericht weiterhin den Kirchen diese Freiheit
gewähren wird, nicht so sehr vielleicht, weil die Grundrechte der Kirche eine uneinnehmbare Bastion
wären, die eine andere Entscheidung verbieten würden. Sondern aus der vernünftigen Erkenntnis heraus,
dass die Kirchen mit ihren Mitarbeitern insgesamt sehr angemessen umgehen und dass ihr karitatives und
soziales Wirken nur dann für sie weiter sinnvoll ist, wenn sie tatsächlich mit ihren Mitarbeitern den Grund
ihres Tuns nicht in Frage stellen."
Ob die Kirchen mit ihren Mitarbeitern tatsächlich angemessen umgehen - darüber ist allerdings ein Streit
entbrannt. Seit einigen Jahren kritisieren Beschäftigte und Gewerkschaften unter anderem die Lohnpolitik
der kirchlichen Wohlfahrtsbetriebe und die zunehmenden Ausgründungen, also die Abspaltung einzelner
Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Küche in Servicegesellschaften.
Dabei war der dritte Weg lange Zeit nicht in Frage gestellt worden.
"Das hat so lange problemlos funktioniert, solange es so etwas wie einen Einheitstarif im Sozialsektor gab.
Das war damals der Bundesangestelltentarif, der galt für die gesamte Sozialbranche, die Kirchen haben den
mehr oder weniger übernommen."
So Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule RheinlandWestfalen-Lippe in Bochum. Jahrzehntelang habe das normative Konzept der Dienstgemeinschaft der
Arbeitsrealität in den kirchlichen Betrieben entsprochen.
*
Doch seit den 90er-Jahren herrscht in der Sozialbranche ein scharfer Wettbewerb. Die staatlichen Budgets
für Sozialleistungen sind knapp. Alle Sozialbetriebe, auch die kirchlichen, kämpften gleichermaßen um ihr
Überleben am Markt, sagt der Sozialwissenschaftler Norbert Wohlfahrt:
"Damit begann die Geschichte sozusagen der Zersplitterung der Tariflandschaft bis hin dazu, dass
erhebliche Teile der Belegschaften sich in Haustarifen befinden, die sich wechselseitig unterbieten. Es ist
eine vollkommene Durchflexibilisierung eines Marktes, der aber unter Kostendruck steht, und der diesen
Kostendruck an das Personal weitergibt."
Norbert Wohlfahrt ist Mit-Autor einer Studie über Leiharbeit und Ausgründungen in diakonischen
Betrieben, die die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Das Ergebnis: Um
zu sparen, hat die Diakonie Geschäftsbereiche wie Wäscherei oder Putzdienste flächendeckend in
Servicegesellschaften ausgegliedert. Das sind oft hundertprozentige Töchter der diakonischen
Einrichtungen, häufig sogar mit derselben Geschäftsführung. Die Löhne allerdings sind niedriger. Auch
Leiharbeit ist der Studie zufolge in diakonischen Betrieben gängige Praxis, selbst wenn ihre Bedeutung
zurückgeht.
300 Mitarbeitervertretungen wurden für die Studie befragt, die zwar nicht repräsentativ ist, nach Aussage
von Wohlfahrt aber einen guten Einblick in die Strukturen der diakonischen Arbeitswelt gibt. Sein Fazit:
Die Diakonie nutze den dritten Weg, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Norbert Wohlfahrt: "In einem sozialen Dienstleistungssektor, der nach Wettbewerbskriterien sortiert ist, in
dem auch Caritas und diakonische Geschäftsbetriebe - wie alle anderen sozialen Betriebe am Markt
agieren, dort versuchen, sich durchzusetzen, ihre Geschäftsteile zu vergrößern, in einer solchen Branche, in
der die Personalkosten ein entscheidender Faktor sind, um am Markt zu reüssieren, braucht es eine
ordnungspolitische Basis. Und die wird durch den dritten Weg torpediert."
Was die Sozialforscher ermittelt haben, das erlebt auch Sarah Gevers am Evangelischen Krankenhaus in
Bielefeld. Ausgründungen, Leiharbeit, schlechte Arbeitsbedingungen: All das kennt die Krankenschwester
aus ihrem Arbeitsalltag:
"Wir haben versucht, zu verhindern, dass die Küche, die Reinigung, die Physiotherapie ausgegliedert
werden, aber es ist uns in dem Punkt nicht gelungen. Es hat alle diese Ausgründungen gegeben. Und es gibt
jetzt insgesamt - ich weiß nicht wie viele - Tochterunternehmen, die jetzt andere Löhne zahlen und andere
Arbeitsbedingungen bieten, als das vorher für die Kollegen der Fall war."
Das sei doch eine merkwürdige Art, die christliche Dienstgemeinschaft zu definieren, sagt Sarah Gevers:
"Ich weiß nicht, warum ich, wenn ich mit dem Patienten spazieren gehe oder Medikamente austeile, Teil
der Dienstgemeinschaft sein darf, während die Frau, die den Mülleimer leert und die Frau, die das Essen
austeilt, nicht Teil dieser Dienstgemeinschaft sind. Aber so ist es."
Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sieht es anders. Ausgründungen seien gerechtfertigt, wenn es um
kirchenferne Tätigkeiten gehe:
"Wenn ich als Kirche einen Träger habe, der selber keinen spezifisch-kirchlichen Zweck erfüllt, dann
unterliegt der auch nicht dem kirchlichen Arbeitsrecht. Mit anderen Worten: Die Andechser Klosterbrauerei
zum Beispiel stellt Bier her. Da der Verzehr und die Produktion von Bier aber nicht spezifisch kirchliche
Aufgabe ist und auch nicht aus ihrem Selbstverständnis heraus geboren ist, würde niemand auf die Idee
kommen, von diesen Mitarbeitern hier besondere Loyalitätspflichten zu erwarten."
Der Soziologe Norbert Wohlfahrt und die Mitautoren der Studie kritisieren außerdem ein starkes
Machtgefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den diakonischen Betrieben. Nach Analyse der
Wissenschaftler sind die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretungen in Kirche und Diakonie
wesentlich schwächer als die von Betriebs- oder Personalräten. Entsprechend schlecht sei ihre Position in
den arbeitsrechtlichen Kommissionen, die Löhne und Gehälter aushandeln.
Auch die Krankenschwester Sarah Gevers fühlt sich nicht gut vertreten. Besonders ungerecht findet sie,
"dass die Arbeitgeberseite da Vollprofis hinschickt, die wahrscheinlich Jura und BWL studiert haben und
die sich in der Materie enorm gut auskennen, während die Arbeitnehmerseite halt ihre eigenen Vertreter
schickt. Das heißt: Basismitarbeiter, die bestimmt alle hervorragend weitergebildet sind. Aber das sind
Küster, Krankenpfleger und Techniker, die da sitzen, die das teilweise schon sehr lange machen, aber eben
Laien sind in dem was da verhandelt wird."
Norbert Wohlfahrt findet das besonders skandalös, weil sich die Arbeitgeberseite im Verband diakonischer
Dienstgeber organisiert hat und auf diese Weise ihre Interessen vertritt:
"Man muss ganz dezidiert sagen, dass gegenwärtig die Praktizierung des Dienstrechtes eigentlich nur dem
Zweck dient, die Gewerkschaften aus der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen herauszuhalten. Und jetzt
frage ich Sie: Wenn man die Gewerkschaften angesichts einer Landschaft, in der sich Arbeitgeberinteressen
direkt formieren, heraushalten will, wem dient dann sozusagen das Konzept der Dienstgemeinschaft?"
Die kirchlichen Arbeitgeber wollen die Vorwürfe der Gewerkschaften nicht auf sich sitzen lassen. Sie
konterten mit einer eigenen Studie. Vor einigen Wochen veröffentlichten das Diakonische Werk der EKD,
die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Verband Diakonischer Dienstgeber eine eigene
Mitarbeiterbefragung. Auch die Kirchenvertreter haben keine repräsentativen Ergebnisse. Immerhin basiert
ihre Studie aber auf einem wesentlich größeren Datensatz. Danach sind nur gut ein Prozent aller DiakonieBeschäftigten Zeitarbeiter, der Anteil ausgegliederter Servicegesellschaften liegt unter zehn Prozent.
Diese Ergebnisse sorgten für Erleichterung in der Diakonie. Jörg Kruttschnitt ist im Vorstand des
Diakonischen Werks, in dem auch die klagenden diakonischen Landesverbände organisiert sind:
"Diese Vermutungen, die durch die Hans-Böckler-Studie geäußert worden sind, können wir aufgrund
unserer Überlegungen nicht verifizieren. Wir haben festgestellt, dass es relativ wenig Ausgründungen sind,
dass die Tarifgebundenheit im Vergleich relativ hoch ist."
Nach Ansicht von Kruttschnitt ist die Studie ein weiterer Beleg dafür, dass der dritte Weg in kirchlichen
Betrieben nach wie vor geeignet ist:
"Man braucht das Streikrecht bei uns nicht. Das ist unsere Auffassung. In der Lohnfindung ist der dritte
Weg im Großen und Ganzen da, wo die gesamte tarifgebundene Branche sich auch bewegt. Die Ergebnisse,
die im dritten Weg erzielt werden, sind tendenziell im oberen Drittel des ganzen Feldes."
Tatsächlich sind die Lohnabschlüsse bei Kirche und Diakonie häufig besser für die Beschäftigten als die
Abschlüsse, die Verdi erzielt. Detlev Fey, Referent für Arbeitsrecht bei der EKD, rechnet vor:
"Nehmen wir die einfachsten beruflichen Tätigkeiten für ungelernte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne
dass ich damit eine Wertung dieser Tätigkeit verbinden möchte. Nach unseren Tarifen bekommt man dafür
in der Stunde um die 9 Euro, 100 Euro Kinderzulage für jedes Kind, eine hochwertige,
arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung, 26 Wochen Krankheitsleistungen vom Arbeitgeber.
Ich kenne keinen anderen Tarifvertrag in der freien Wirtschaft, der derartig hohe Leistungen bietet."
Die Vorwürfe der Gewerkschaften nehme er trotzdem ernst, sagt Detlev Fey. Tatsächlich gebe es einzelne
Einrichtungen, die das kirchliche Arbeitsrecht nicht einhielten:
"Das wird zu Recht kritisiert, es wird auch zu Recht kritisiert, dass wir vielleicht etwas zu spät begonnen
haben, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Seit einiger Zeit tun wir das, und das geht soweit, dass einige
Einrichtungen auch aus der Diakonie ausgeschlossen worden sind. Wir wollen, dass die kirchlichen
Gehälter bedient werden."
Grund für den heftigen Streit zwischen Verdi und der Diakonie dürfte auch sein, dass die Gewerkschaft in
der Sozialbranche nur wenige Mitglieder und damit kaum Einfluss hat. Auch deshalb kämpft Verdi so
energisch um das Tarifvertragsrecht in den großen kirchlichen Wohlfahrtsverbänden.
Dabei formulieren beide Seiten eigentlich das gleiche Ziel: einheitliche Löhne im gesamten Sozialsektor.
Detlev Fey: "Wenn es eine Flächenregelung gäbe, die für allgemeinverbindlich erklärt würde, für alle
Marktteilnehmer im Sozial- und Gesundheitswesen, für alle gemeinnützigen Einrichtungen, für alle
privaten Einrichtungen, wären wir dafür und sind bereit, uns daran zu beteiligen. Weil dann der Wettbewerb
nicht mehr über die Lohnkosten ausgeübt werden könnte, sondern über die Qualität. Und das ist genau das,
was wir uns wünschen."
Frank Bsirske: "Dann hoffe ich sehr, dass wir uns an einen Tisch setzen und wir gemeinsam, die
Diakonischen Werke und Verdi, über ein gemeinsames Tarifniveau verhandeln, ohne dass es dazu eines
Streiks bedarf."
Das Problem allerdings: Die Kirchen sind zwar bereit, mit den Gewerkschaften über einen Branchenlohn
zu verhandeln - sie wollen aber an ihrem, in der Verfassung verankerten Recht auf Selbstbestimmung
festhalten und den dritten Weg nicht aufgeben. Das wiederum kommt für Verdi nicht in Frage: Die
Gewerkschaft akzeptiert keine kirchlichen Sonderregelungen und kein Streikverbot - sie will vollwertige
Tarifvertragspartei sein.
Es ist unwahrscheinlich, dass der Streit mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Tisch ist. Im
Gegenteil. Die unterlegene Seite - egal ob Diakonie oder Verdi - wird vermutlich das
Bundesverfassungsgericht und möglicherweise auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
anrufen.
Die Krankenschwester Sarah Gevers hofft, dass die Richter den Gewerkschaften den Rücken stärken. Und
sie demnächst auch streiken darf. Das sei schließlich nichts Unchristliches:
"Ich glaube, dass es eigentlich etwas zutiefst Christliches ist, sich gegen Unrecht aufzulehnen. Also, wenn
Menschen ungerecht behandelt oder als Mitarbeiter schlecht gepflegt werden und sich dagegen wehren
möchten, weiß ich nicht, was Jesus Christus dazu gesagt hätte. Der hätte das vielleicht sogar ganz okay
gefunden!"
19.11.2012, Deutschlandfunk, Hintergrund Von Monika Dittrich
Zehn Jahre Kopftuch-Verbot in Baden-Württemberg Ein Stück Textil spaltet das Ländle
Das Kopftuch-Verbot in Baden-Württemberg hat eine Vorgeschichte: Das Stuttgarter Oberschulamt wollte die
Lehrerin Fereshta Ludin trotz bester Noten nicht einstellen, weil sie ein Kopftuch trägt. (picture alliance / dpa
/Stephanie Pilick)
Am 1. April 2004 entschied Baden-Württemberg als erstes Bundesland, das Kopftuch als Kleidungsstück aus den
Schulen zu verbannen. Treibende Kraft des Verbots: die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan. Nur der
Grüne Winfried Kretschmann stimmte mit seiner Partei dagegen.
Annette Schavan: "Das Kopftuch als ein auch politisches Symbol ist Teil einer Unterdrückungsgeschichte der Frau, kann für
eine Auslegung des Islam im Sinne des politischen Islamismus stehen, die mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung von
Mann und Frau nicht vereinbar ist."
Lale Akgün: "Wenn eine Beamtin sich ein Kopftuch umbindet, ist es so, als hätte sich der deutsche Staat ein Kopftuch
umgebunden, und deswegen geht das nicht."
Winfried Kretschmann: "Wer das Kopftuch als Teil eines religiösen Bekenntnisses verbietet, muss auch die Nonnentracht, die
Kippa, ja weiter auch das Kreuz am Revers des Geistlichen verbieten."
Claudia Roth: "Für mich kommt es nicht darauf an, was jemand auf dem Kopf hat, sondern was jemand im Kopf hat."
Atmo Landtagspräsident: " ... Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes. Wir kommen zur Schlussabstimmung."
Im baden-württembergischen Landtag geht es vor zehn Jahren - am 1. April 2004 - nach heftiger bundesweiter Debatte um
das Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen.
Atmo Landtagspräsident: " ... Gegenstimmen, Enthaltungen, dem Gesetz wurde mehrheitlich zugestimmt."
Damit ist Baden-Württemberg das erste Bundesland, das das Kopftuch verbannt. Die schwarz-gelbe Regierung in Stuttgart
wird dabei von großen Teilen der SPD-Opposition unterstützt. Treibende Kraft des Verbots: Die damalige Kultusministerin
Annette Schavan, CDU:
"Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland als ein Land gilt, international, in dem der politische Islamismus sich entfalten
kann."
Winfried Kretschmann: "Eine Minderheit oder Einzelperson, die dieses Kopftuch aus legitimen Gründen trägt, nämlich aus
religiösen, kann nicht in Kollektivhaftung für eine Mehrheit genommen werden, die dies politisch instrumentalisiert."
Nur Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 2004 noch grüner Fraktionsvorsitzender,
stimmt mit seiner Partei dagegen. Die Grünen hätten es lieber den Schulen überlassen, im Einzelfall zu entscheiden, ob eine
Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen darf. Das ist der SPD nicht geheuer. Der Abgeordnete Peter Wintruff:
"Der pädagogische Erziehungsauftrag und das Neutralitätsgebot, der Gleichheitsgrundsatz unseres Grundgesetzes und die
allgemeinen Menschenrechte fordern von uns, alles aus unseren Schulen herauszuhalten, was als Ausdruck von Intoleranz
und Frauenfeindlichkeit gewertet werden muss."
Das Prinzip der staatlichen Neutralität ist es, worauf sich die meisten Parlamentarier berufen. Danach sind Lehrern religiöse
Bekundungen gegenüber Schülern und Eltern untersagt, wenn sie eben diese Neutralität gefährden oder den Schulfrieden
stören. Wenn allerdings, so die Mehrheitsmeinung im Ländle, Lehrer Symbole christlich-abendländischer Kultur tragen, also
zum Beispiel ein Kreuz, verletze dies die Neutralität des Staates nicht. Dass sich das Land damit rechtlich auf dünnem Eis
bewegt, räumt Annette Schavan ein.
Annette Schavan (afp / Johannes Eisele)
"Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass unserem Verbot des Kopftuches für Lehrerinnen in der Schule ein hoch komplizierter
Abwägungsprozess zugrunde liegt. Deshalb sind wir uns auch bewusst, dass dies subjektiv als ein Eingriff in die
Glaubensfreiheit gewertet werden kann. Wir befinden uns auf einem schmalen Grat, der nicht alle Spannungen auflöst und
angreifbar ist."
Das Kopftuch-Verbot in Baden-Württemberg hat eine Vorgeschichte: Das Stuttgarter Oberschulamt will die Grund- und
Hauptschullehrerin Fereshta Ludin trotz bester Noten nicht einstellen, weil sie ein Kopftuch trägt. Die Deutsche afghanischer
Herkunft klagt erfolglos vor verschiedenen Verwaltungsgerichten. Dann reicht sie in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein.
Im September 2003 spricht das Bundesverfassungsgericht das Urteil und überlässt dem Gesetzgeber die Entscheidung:
Entweder er gestattet mehr religiöse Vielfalt in der Schule oder er stärkt die Neutralität und verbietet alle religiösen Symbole.
Dazu fehle allerdings in den Landesgesetzen die rechtliche Grundlage. Schulrecht ist Ländersache. Das Gericht spielt den
Ball also an das Parlament in Baden-Württemberg zurück. Der Klägerin Fereshta Ludin hat das am Ende nicht
weitergeholfen, im Gegenteil.
"Ich lebe mit der Tatsache, dass ich ein Berufsverbot erhalten habe, und ich versuche, das Beste daraus zu machen, aber, ja,
wenn ich dann eben die Situation insgesamt sehe, tut es sehr, sehr weh."
Mittlerweile unterrichtet Fereshta Ludin an einer privaten, muslimischen Grundschule in Berlin. Der Berliner Senat hat 2005
das Tragen religiöser Symbole in staatlichen Stellen grundsätzlich verboten. Sechs weitere Bundesländer haben ähnliche
Gesetze erlassen. Acht Länder, darunter vier ostdeutsche, verzichten auf Verbote. Fereshta Ludin kämpft weiter für ihre
Sache.
"Es gibt eine breite Masse von muslimischen Frauen, die sehr, sehr gebildet sind, die sehr gut Deutsch sprechen und sich sehr
dafür einsetzen, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein, und denen sollte man doch bitteschön, die Chance überhaupt geben."
Dass sie nach Karlsruhe gegangen ist, hat zwar nicht dazu geführt, dass sie an einer staatlichen Schule unterrichten darf, aber
es hat dennoch etwas bewirkt, meint Ludin.
"Es war wichtig, den Schritt zu machen, denn ohne diesen Schritt hätte es heute auch diese Debatte vielleicht gar nicht so
gegeben. Ich meine, dass man wirklich das auch als Chance sehen kann, einen positiven Diskurs über das ganze Thema zu
starten."
Der Diskurs über das umstrittene Textil wird auch nach zehn Jahren emotional geführt wie eh und je. Am badenwürttembergischen Kopftuch-Verbot, ausgelöst durch Ludins Klage und das anschließende Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, scheiden sich die Geister. Ernst-Wolfgang Böckenförde, früher Richter am BVG:
"Das hat noch nichts mit Fundamentalismus zu tun, dass eine Religion öffentlich gelebt wird. Von den Menschen dort zu
verlangen, dass alles das, was sie mitgebracht haben, was ihnen über Generationen sozusagen heilig war, dass sie das
wegwerfen, dann müssen wir uns fragen, ob wir nicht selbst totalitär werden."
Auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau schaltet sich 2004 in die Debatte ein.
"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht ein Symbol einer Religion – und das ist das Kopftuch jedenfalls auch –
verbieten, und dennoch glauben können, wir könnten alles andere beim Alten belassen."
"Das Bundesverfassungsgericht hat bestimmte Vorgaben gemacht, die die Landtage, die Kopftuchverbote verabschiedet
haben, nicht eingehalten haben. Das muss man ganz klar sagen",
meint Gabriele Boos-Niazy, Vorstandsvorsitzende des bundesweiten Aktionsbündnisses muslimischer Frauen.
"Die eine Vorgabe war, das Kopftuch darf nicht auf eine bestimmte Symbolik hin festgeschrieben werden, sondern man muss
die Vielfalt der Motivation sehen. Die andere Vorgabe war halt die Gleichbehandlung der Religionen, und auch das ist weder
in dem Gesetz von Baden-Württemberg noch in Nordrhein-Westfalen erfolgt, das ist nicht verfassungsgemäß."
Parallelen zum Kruzifix-Urteil von 1995
Viele fühlen sich in der Kopftuch-Debatte auch an eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1995
erinnert, die vor allem Bayern erregte: Das sogenannte Kruzifix-Urteil. Nach der Bayerischen Volksschulordnung sollte in
jedem Klassenzimmer entweder ein Kruzifix oder ein Kreuz hängen. Das Gericht erklärte diese Vorschrift für
verfassungswidrig. Der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber, CSU, wetterte daraufhin auf Parteitagen und
Kundgebungen:
"Kreuze gehören zu Bayern wie die Berge. Wer christliche Symbole aus der Öffentlichkeit verbannen will, trifft unsere
Kultur in ihrem Lebensnerv. Wer das Kreuz abnimmt, schafft nicht Neutralität, sondern Leere."
Für islamische Symbole will Stoiber das ein paar Jahre später jedoch nicht gelten lassen. 2003 sagt er in einer
Regierungserklärung, Deutschland sei kein klassisches Einwanderungsland. Wer hierher komme, müsse sich darauf
einstellen, in einer christlich-abendländischen Gesellschaft zu leben. Deshalb dürfe es im Freistaat auch keine Lehrerinnen
mit Kopftuch geben. Der bayerische Landtag folgt dem Beispiel Baden-Württembergs und beschließt das Verbot ebenfalls
2004.
Eine Podiumsdiskussion auf dem Campus der Universität Essen. Es geht um religiöse Vielfalt in der Wissenschaft, auch hier
ist das Kopftuch Thema. Mit dabei, die Bremer Pädagogik-Professorin Yasemin Karakasoglu, die für das
Bundesverfassungsgericht als Gutachterin im Fall der Lehrerin Fereshta Ludin tätig war. Ihre Bilanz nach zehn Jahren
Kopftuch-Verbot:
"Es hat eigentlich nicht zu dem geführt, was die Bundesverfassungsrichter damals eigentlich intendiert haben. Eigentlich war
es eine Aufforderung, sich damit aktiv im demokratischen Diskussionsprozess auseinanderzusetzen, stattdessen haben die
Länder alle einzeln nur auf den Impuls reagiert, ein Gesetz zu erlassen. Von daher würde ich sagen, hat uns das nicht
weitergebracht."
Lale Akgün: "Dieses Verbot hat uns nicht weitergebracht, hat uns aber auch nicht zurückgeworfen, die Entscheidung war
damals richtig. Es geht darum, dass ich als Elternteil sicher sein muss, dass mein Kind in der Schule von keiner Religion
indoktriniert wird."
Daher, so die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, die auch an der Podiumsdiskussion teilnimmt, müsse sich
eine Muslimin, die in den Staatsdienst will, an das Gebot der Neutralität halten.
"Da gibt es ganz einfach eine Lösung. Sie kann das Kopftuch abnehmen."
Viele Musliminnen sind dazu allerdings nicht bereit. Für sie hat das Kopftuch-Verbot weitreichende Konsequenzen. Nurhan
Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime:
"Es hat faktisch dazu geführt, dass auch die Bundesländer, wo es kein Verbot gibt, keine Frauen mit Kopftuch einstellen,
nicht nur in den Lehrerberufen, sondern allgemein im Öffentlichen Dienst. Und die private Wirtschaft hat sich das zum
Vorbild genommen und hat das übernommen. Sogar bei Schlecker gab es das Problem an der Kasse, also obwohl das da
überhaupt kein Problem sein sollte."
Gabriele Boos-Niazy:
"Es sind solche Kollateralschäden entstanden. Es fängt an mit Schülerinnen, die keinen Praktikumsplatz finden, ja, es geht
weiter über Studentinnen, dann über Krankenschwestern, Ärztinnen, Hebammen, und wir müssen leider halt feststellen, dass
sowohl die Frauen selbst als halt auch sehr viele Arbeitgeber keinerlei Ahnung von der Rechtslage überhaupt haben. Also die
haben keine Vorstellung davon, wie weit Religionsfreiheit geht, wie das AGG aussieht, sondern sie richten sich einfach nach
dem, was sie in der Zeitung lesen."
In das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, hat sich Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer
Frauen, mittlerweile eingearbeitet. Wissenschaftliche Studien zur Situation von Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt
gibt es in Deutschland bislang kaum. Die wenigen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gebündelt hat, zeigen aber:
Musliminnen haben grundsätzlich schlechte Karten bei der Jobsuche. Die taz-Redakteurin Heide Oestreich hat ein Buch über
den Kopftuch-Streit geschrieben und die berufliche Situation einiger muslimischer Lehrerinnen beobachtet.
"Mehrere haben jetzt eine Kinderpause eingelegt, sind jetzt in Elternzeit. Einige haben auch die Bundesländer gewechselt. Es
gibt ja nicht in allen Bundesländern dieses Verbot, einige sind an muslimische Privatschulen gegangen, und es gibt sogar
welche, die jetzt mit einer Perücke unterrichten."
Allerdings sieht Nurhan Soykan, Generalsekretärin vom Zentralrat der Muslime, erste Veränderungen.
"Wir haben von einigen Fällen gehört, wo jetzt junge Frauen mit Kopftuch auch in die öffentliche Verwaltung eingestellt
worden sind, wo es da auch Gerichtsurteile gegeben hat, und das sind gute Zeichen, die wir auch von der Justiz bekommen."
Kein Kopftuch-Verbot in der Verwaltung
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf entscheidet, eine Bewerberin mit Kopftuch darf als Beamtin in der Verwaltung arbeiten.
Anders als im Schuldienst gibt es dort kein Verbot.
Das Berliner Arbeitsgericht verurteilt einen Zahnarzt zu einer Entschädigungszahlung, weil er einer jungen Frau mit
Kopftuch keinen Ausbildungsplatz geben wollte.
Das Oberlandesgericht Celle ordnet an, eine private Arbeitsvermittlerin muss Entschädigung zahlen, weil sie eine Muslimin
wegen ihres Kopftuchs nicht weitervermittelt hat.
Christian Wulff: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Heide Oestreich: "Das Kopftuch-Verbot hat vor allen Dingen ein völliges Paradox in der Integrationspolitik hervorgerufen.
Also, wir hatten einen Bundespräsidenten, der hat gesagt, der Islam gehört zu Deutschland, aber, muss man dann sagen, das
Kopftuch nicht",
meint taz-Redakteurin Heide Oestreich. Das Kopftuch wird nicht nur als religiöses und politisches Symbol eingesetzt – es
geht bei der Debatte um das Stück Stoff vor allem um Integration. Immerhin gab es die Kopftuch tragende Berliner Rapperin
Sahira Awad, die aber inzwischen aus religiösen Gründen nicht mehr singt.
"Ich weiß nicht, warum die das bloß so mag, dasTuch in ihrem Haar. Zur Schau stellen. Ich versteh' das nich so ganz. Ich
erklär's Dir mal. Ja, nur mein Mann sieht mich ganz wie ich bin, weil er kann, nochmal, weil ich, ich, ich so will."
Kopftuch tragende Streetworkerinnen kümmern sich um Jugendliche, die sich ausgegrenzt fühlen. Saloua Mohammed aus
Bonn zum Beispiel, die im vergangenen Jahr mit dem Integrationspreis der Stadt ausgezeichnet worden ist. Die junge
Deutsche mit marokkanischen Wurzeln studiert noch und macht die Arbeit auf der Straße ehrenamtlich.
"Durch mein Kopftuch, kann sein, dass ich dann vielleicht ein vertrautes Gefühl ungewollt bei ihnen erwecke, weil sie ganz
genau wissen, eine Debatte fällt auf jeden Fall weg, ne, du Migrantenkind. Wenn ich sie dann zum Beispiel beim Kiffen sehe
oder beim Dealen, überfällt sie eine Scham, und es werden ganz viele vor allem von den Jungs rot im Gesicht und schämen
sich, und dann kommen die Antworten, nein, nein, komm lass uns hier weggehen, und das passt nicht zu Dir, und ich habe
Respekt vor dir, und über diese Schiene kommen wir dann auch ins Gespräch."
Es heißt, dass gerade junge muslimische Frauen das Kopftuch für sich entdecken. Saloua Mohammed:
"Kann sehr gut möglich sein, dass diese Antwort auch eine Art von Punk sein kann, ne, so nach dem Motto, die Antwort der
muslimischen Jugendlichen auf diese Ausgrenzung kann vielleicht das nähere Auseinandersetzen mit der Religion sein, muss
aber nicht. Es gibt natürlich Mädels, die dann sagen, ach, wir gehören sowieso nicht dazu, und jetzt möchte ich die so richtig
ärgern, und jetzt laufe ich genau mit dem Outfit rum, was die absolut nicht abhaben können."
"Das ist eben nicht ein Mode-Accessoire"
Die Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die ein Buch über einen zeitgemäßen Islam in
Deutschland geschrieben hat, kann keine einfachen Antworten geben, warum sich Frauen für ein Kopftuch entscheiden.
"Das ist eben nicht ein Mode-Accessoire, das man auf- und absetzt, sondern das ist schon eine Sache, die man ernst meint,
also ich glaube nicht, dass es einfach nur als Zeichen der Rebellion abgewertet werden kann, das ist schon noch mehr als das.
Also, ich glaube, die tragen das schon relativ selbstbewusst und auch aus Glaubensgründen."
Dass es bald mehr Sachlichkeit in der Debatte um das Kopftuch geben könnte, erwartet Lamya Kaddor nicht. Überall in
Europa herrsche zurzeit Furcht vor dem Islam und eine gewisse Hysterie, die manchmal sogar in Hass umschlage.
"60 Prozent der Westdeutschen und 80 Prozent der Ostdeutschen haben islamfeindliche Positionen und das ist, finde ich, als
Muslimin, die liberal ausgerichtet ist und der man das jetzt nicht direkt an der Nasenspitze ansieht, dass sie Muslimin ist,
trotzdem sehr besorgniserregend."
Andererseits sehen sich liberale Musliminnen, die auf die Unterdrückung der Frau in Teilen der muslimischen Gesellschaft
hinweisen, mit Schmähungen oder gar Morddrohungen radikaler Moslems konfrontiert. Necla Kelek, Sozialwissenschaftlerin
und Frauenrechtlerin, kritisiert den konservativen Islam.
"Ein acht-, neunjähriges Mädchen mit Kopftuch, das ist Körperverletzung, das ist Freiheitsberaubung für mich. Sie wird zu
einer Frau gemacht, die nicht zeigen darf, dass sie Haare besitzt oder einen Körper hat. Sie darf nicht schwimmen, sie darf
nicht turnen, sie darf nicht mit auf Klassenfahrt, dem wird sie entzogen, das heißt, dieser Gesellschaft wird sie entzogen, und
die Gesellschaft guckt zu und sagt, das ist deren Kultur."
Kelek lehnt die nicht-emanzipatorische Erziehung von Mädchen in streng islamischen Familien als "falsch verstandene
Toleranz" ab. Sie beklagt, dass konservative Muslime Frauen ohne Kopftuch nicht respektierten. Gegen falsche Toleranz hat
das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im September 2013 ein Zeichen gesetzt. Im sogenannten Burkini-Urteil heißt es: Es
ist muslimischen Schülerinnen zuzumuten, gemeinsam mit Jungen in den Schwimmunterricht zu gehen – zumal im
Ganzkörperanzug.
"Der Clash zwischen den Säkularen und den Fundamentalisten oder islamisch-geprägten Bevölkerungsschichten, die in der
Türkei ja auch jahrzehntelang gegeneinander standen, wird hier ein bisschen auch ausgetragen",
sagt Nurhan Soykan vom Zentralrat der Muslime. In der Türkei gilt das Kopftuch seit der Ära Atatürk als Affront gegen den
Laizismus. Doch das strikte Kopftuch-Verbot von einst ist nicht mehr. Ministerpräsident Erdogan hat es im Zuge der
Islamisierung sogar im türkischen Parlament aufgehoben. Doch das Land ist gespalten.
Frankreich, das Staat und Kirche ebenfalls scharf trennt, hat das Kopftuch 2004 in allen staatlichen Einrichtungen verboten,
seit 2010 auch die Burka, den Ganzkörperschleier. In den USA und in Großbritannien hingegen wird über solche Verbote
nicht nachgedacht. Dort könne man auf eine lange Antidiskriminierungskultur zurückblicken, meint Yasemin Karakasoglu
von der Universität Bremen.
"Darüber hinaus glaube ich, dass die Engländer insgesamt mit dem Thema Vielfalt doch noch auf eine etwas relaxtere Art
umgehen. Die haben auch kein so ethnisch-nationales Selbstverständnis, wie wir es in Deutschland entwickelt haben. Sie sind
ein Staat, der sehr viel mehr Freiraum lässt, zum Beispiel sich als Staatsbürger verstehen zu können, auch wenn man nicht
geborener Engländer oder Engländerin ist."
In Deutschland starten nun zwei Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen nach Fereshta Ludin, der Lehrerin aus BadenWürttemberg, einen neuen Versuch gegen das Kopftuch-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Verfahren sollen
noch in diesem Jahr entschieden werden.
Hintergrund – Deutschlandradio, 1. April 2014
Neues Kopftuchurteil: Eine Herausforderung für Schulen
Berufsverbände, die die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer vertreten, sehen die Aufhebung des
Kopftuchverbots durch das Karlsruher Gericht mit Skepsis
Nur wenn das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin den Schulfrieden stört, darf es verboten werden jedoch nicht mehr pauschal. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit ein Urteil
korrigiert, das 2003 die Republik gespalten hatte. Statt der Länder sollen nun die Schulen über ein Verbot
entscheiden.
Klasse 3B der Kurt Schumacher-Schule in Berlin-Kreuzberg. 17 Schülerinnen und Schüler arbeiten mit einem
Fachlehrer am Thema Sonnenfinsternis. Fast alle Kinder im Raum sind Muslime - wie ihr Klassenlehrer auch.
Samer Al Tayar ist an der Schule der einzige Pädagoge mit Migrationshintergrund. Eine weibliche Kollegin
gleichen Glaubens hat er nicht; was er sehr bedauert:
"Wir haben so viele Schüler mit Migrationshintergrund. Die finden das ganz normal. Man kann es auch einfach
so machen, Lehrerinnen mit Kopftuch in Neukölln oder Wedding oder Kreuzberg einzusetzen."
270 Schülerinnen und Schüler werden an der Kurt Schuhmache-Schule unterrichtet. Die große Mehrheit gehört
dem islamischen Glauben an. Mehr als die Hälfte davon besucht den islamischen Religionsunterricht, doch keine
zehn Schülerinnen tragen ein Kopftuch. Anders ihre Mütter, die meistens die Haare aus religiösen Gründen
bedecken.
Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst entschieden, dass auch einer Lehrerin an öffentlichen Schulen nicht
pauschal verboten werden darf, mit Kopftuch zu unterrichten. Schulleiter Lutz Geburtig findet das gut. An seiner
Kreuzberger Schule würde eine Lehrerin mit Kopftuch kaum auffallen, ist er sich sicher. Sein Lehrerkollegium
hat die Argumente für und gegen das Kopftuch bereits kontrovers diskutiert:
"Ich fände es ganz, ganz schade, wenn das Tragen eines Kopftuchs ein Einstellungshindernis ist. Ich akzeptiere
als Schulleiter, aber auch als Privatmann, dass muslimische Frauen damit ihre Religiosität bzw. einfach ihre
Lebenseinstellung auch ausdrücken wollen. Und das ist auch durchs Grundgesetz abgedeckt. Und deswegen ist
das auch in Ordnung und richtig."
Kritik an Aufhebung des Kopftuchverbots
Doch ganz so einfach geht es nicht. Die Berufsverbände, die die Interessen der Lehrerinnen und Lehrer vertreten,
sehen die Aufhebung des Kopftuchverbots durch das Karlsruher Gericht mit Skepsis und Sorge. Udo Beckmann
war lange Jahre selbst Lehrer in Dortmund, an einer Brennpunktschule mit vielen muslimischen Kindern. Heute
ist er Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in Berlin. Er befürchtet, dass eine Kopftuch
tragende Lehrerin muslimische Schülerinnen in der Auslegung des Glaubens beeinflussen könnte:
"Das Kopftuch ist aus meiner Sicht nicht religionsneutral. Von daher haben wir hier einen anderen Stellenwert.
Ich glaube, dass es eben wichtig ist, dass dieses Neutralitätsgebot eingehalten wird. Denn eine Lehrkraft ist eine
besondere Person – auch für die Schülerinnen und Schüler. Von daher kann ich es nicht damit abtun, dass
Kopftuchtragen natürlich möglich ist. Aber es hat hier einen besonderen Stellenwert auch mit dem religiösen
Hintergrund. Und vor diesen Hintergrund, denke ich, ist es nicht akzeptabel."
Nicht nur in Berlin sorgt die aktuelle Entscheidung für Diskussionen. Im Januar hatte das
Bundesverfassungsgericht entschieden; und Mitte März den Beschluss veröffentlicht.
"Im Zweifel für die Freiheit, auch für die Freiheit einer Lehrkraft, das Kopftuch tragen zu dürfen an der Schule."
So fasst Mathias Rohe das Urteil zusammen. Er ist Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in
Europa an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Zweifel. Das bedeutet:
"Es sei denn, es gibt hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Schulfriede gestört würde oder die
staatliche Neutralität in Gefahr kommt. Aber das ist die Ausnahme und nicht die Regel."
Trotz dieser Einschränkungen – die Entscheidung kam überraschend. Denn juristisch wird die Frage seit vielen
Jahren diskutiert. Und bisher hatte sich das Bundesverfassungsgericht weniger eindeutig positioniert.
Kopftuchstreit um Lehrerin in Baden-Württemberg
1998 hatte das Land Baden-Württemberg der Lehrerin Fereshta Ludin die Einstellung als Beamtin auf Probe
verwehrt. Wegen ihrer klaren Weigerung, im Schuldienst das Kopftuch abzulegen, fehle ihr die erforderliche
Eignung für das Amt, hieß es damals zur Begründung. Die in Saudi-Arabien und Deutschland aufgewachsene
junge Frau afghanischer Herkunft wehrte sich vor Gericht. Ihr Fall erregte Aufsehen – und spaltete die Republik.
Ab heute liegt ihre Autobiografie in den Buchhandlungen aus.
Fereshta Ludin scheiterte damals vor den Verwaltungsgerichten in zwei Instanzen. 2003, auf dem Kopf ein
himmelblaues Tuch, das Haare, Hals und Schultern überdeckte, trug sie ihren Fall den Richtern am
Bundesverfassungsgericht vor:
"Das Kopftuch ist ein Teil meiner religiösen Überzeugung und inzwischen meiner Glaubensidentität. Deswegen,
ich trage es nicht nur in der Schule, sondern allgemein in der Öffentlichkeit. Und ich denke, solange ich
niemanden dazu zwinge, es auch zu tun – wo ist darin ein Problem zu sehen?"
Damals, im Verhandlungssaal im Karlsruher Schlossbezirk, antwortete der Vertreter des Schulamtes, Stefan
Reip, in die zahlreichen Mikrofone:
"Wir sind der Auffassung, dass natürlich gerade von dem Kopftuch eine sehr starke Signalwirkung ausgeht. Das
heißt, es ist letztendlich unabhängig davon, welche Einstellung die Frau Ludin zu diesem Thema hat, wir haben
ihr nie unterstellt, dass sie missionieren will. Aber gleichwohl geht von dem Kopftuch eine objektiv werbende
Wirkung aus. Egal, ob sie das will oder nicht."
Ob das so ist, versuchten die Verfassungsrichter damals zu ergründen. Sie beauftragten Gutachter, befragten
Lehrerorganisationen. Das Ergebnis vor gut zehn Jahren: Gesicherte Erkenntnisse gibt es nicht. Und auch auf die
Frage, was das Kopftuch bedeutet – Zeichen des Glaubens, Anbindung an die Herkunftskultur, politisches
Symbol – fanden die Richter keine klare Antwort: Es sei also nicht möglich, als Außenstehender das Kopftuch
zum Beispiel allgemein zum politischen Symbol zu erklären. Und auch die Frage, ob der Islam das Tragen des
Kopftuchs verlangt, könne nicht abstrakt, ohne die religiösen Vorstellungen der Frau selbst, entschieden werden.
Die Karlsruher Richter hoben die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auf. Der Vorsitzende des Zweiten
Senats, Winfried Hassemer, beeilte sich aber, in der Verkündung zu erläutern: Ja, man habe die Entscheidungen
gegen Frau Ludin aufgehoben:
"Und so könnte es so aussehen, als habe die Beschwerdeführerin in der Sache obsiegt, als sei das
Bundesverfassungsgericht der Meinung, dass das Tragen eines Kopftuchs der Lehrerin im Schuldienst der
Verfassung entspricht. Das ist nicht so. Das sieht nur so aus. Wir haben die Entscheidungen der
Verwaltungsgerichte deshalb aufgehoben, weil wir der Meinung sind, dass nicht Behörden und Gerichte über die
Frage des Kopftuchs einer Lehrerin zu entschieden haben, sondern der demokratisch legitimierte Gesetzgeber."
Lehrerin Fereshta Ludin ist sehr erleichtert über das neue Kopftuchurteil.
Urteil von 2003 macht Kopftuch zur Ländersache
Und Schulrecht ist Landessache. Die Landesregierungen und Parlamente sollten sich also, so hofften die Richter,
in breiter öffentlicher Diskussion eine Meinung bilden, mit offenem - und möglicherweise unterschiedlichem
Ergebnis in den unterschiedlichen Bundesländern, je nach Tradition und Religiosität. Allerdings – ganz frei
sollten die Landesgesetzgeber nicht sein. Sie sollten nicht einfach das Kopftuch verbieten können, das unter
anderem Ausdruck der Persönlichkeit der Lehrerin ist. Stattdessen sollten sie entscheiden können, ob der
öffentliche Raum Schule mehr oder weniger Religion verträgt. Wobei dann Religion nicht nur den Islam meint.
Das Urteil, das Winfried Hassemer im Jahr 2003 vortrug, findet starke Gründe für die religiöse Offenheit in der
Schule und damit zum Beispiel für das Kopftuch – aber auch für Kreuz oder Kippa:
"Ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten könnte hier am Nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden.
Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen Überzeugung bedeuten, sondern böte die Chance zur Erkenntnis
und Verfestigung des eigenen Standpunkts und zu einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender
Ausgleich versteht."
Sympathien der Richter waren hörbar. Vorschreiben wollten sie damals die religiöse Offenheit nicht. Sie
gestanden zu, dass eine so verstandene Toleranz auch mit mehr Konflikten in der Schule verbunden sein kann.
"Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralität im schulischen Bereich eine strikte
und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere
Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um
Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vorn herein zu vermeiden."
Entweder - oder, lautete im Jahr 2003 also der Auftrag. Die Entscheidung über die Verbeamtung Fereshta Ludins
wurde vertagt. In Windeseile schrieb die damals schwarz-gelbe Landesregierung von Baden-Württemberg ein
Gesetz, das den Vorgaben aus Karlsruhe nicht folgte. Bis heute verbietet es unter anderem religiöse, politische
und weltanschauliche äußere Bekundungen der Lehrkraft, nimmt aber die Darstellung christlicher und
abendländischer Kulturwerte aus. Landes-Kultusministerin Annette Schavan, heute deutsche Botschafterin beim
Heiligen Stuhl in Rom, verteidigte damals die Regelung mit Argumenten, die die Verfassungsrichter bereits
abgelehnt hatten:
"Das Tragen des Kopftuches gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer Muslimin. Das ist unter anderem
daraus erkennbar, dass eine Mehrheit muslimischer Frauen weltweit kein Kopftuch trägt. Das Kopftuch wird
vielmehr in der innerislamischen Diskussion auch als Symbol für kulturelle Abgrenzung und damit als ein
politisches Symbol gewertet."
Im Ländle herrschte damals Einigkeit in der Frage, nur die Grünen scherten aus. Ein ähnliches Gesetz gab sich
Bayern, ein fast identisches Nordrhein-Westfalen. Andere Länder wie Niedersachsen oder Bremen fanden
neutrale Regelungen. Wieder andere verzichteten ganz auf Gesetzesänderungen. Erfahrungen mit
kopftuchtagenden Lehrerinnen sammelte vor allem Rheinland-Pfalz.
Kopftuchverbot als Eingriff in Religions- und Bekenntnisfreiheit
"Aus meiner Sicht hat das Ganze eigentlich mehr einen sozialpsychologischen Hintergrund als einen rechtlichen
Hintergrund."
So blickt Mathias Rohe heute auf die Gesetze der Länder:
"Ich habe den Eindruck, dass man 2003, in der Zeit der Ludin-Entscheidung, irgendwie demonstrieren wollte:
Wir verteidigen die abendländischen Werte. Das ist ja auch gut und richtig, aber meines Erachtens am falschen
Objekt. Man hat am Kopftuch sozusagen all das festgemacht, was man als bedrohlich angesehen hat an manchen
Haltungen des Islam. Und ich glaube, dieses Fehlverständnis ist jetzt korrigiert worden. Das hat, glaube ich, auch
Breitenwirkungen über das rein Rechtliche hinaus."
Die Korrektur der Verfassungsrichter im kürzlich veröffentlichten Beschluss lautet: Nun soll der
Landesgesetzgeber nicht mehr frei sein, zwischen mehr oder weniger Religion zu wählen, auch wenn er dabei
nicht einzelne Religionen diskriminiert oder bevorzugt. Die Richter – diesmal des anderen, des ersten Senats –
nennen das Kopftuchverbot einen schwerwiegenden Eingriff in die Religions- und Bekenntnisfreiheit der
Lehrerin – mindestens dann, wenn sie sich glaubhaft religiös verpflichtet fühlt, sich zu bedecken. Und die
Karlsruher Richter fügen hinzu:
Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit
als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis
zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen.
Trotzdem kann das Tuch verboten werden, wenn der Schulfriede gestört wird. Dafür sei es nicht nötig, dass die
Lehrerin selbst den Anlass setzt, dass sie etwa missioniert. Der Beschluss nennt das Beispiel:
Dies wäre etwa in einer Situation denkbar, in der - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die
Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer
Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen
Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und
Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte.
In solchen Situationen kann dem Neutralitätsgebot so Rechnung getragen werden, dass das Tuch verboten wird,
auch für ganze Bereiche, etwa Stadtteile. Für Mathias Rohe kommt darin ein bestimmtes Menschenbild zum
Ausdruck:
"Es ist das Menschenbild einer freiheitlichen Gesellschaft, die zwar wehrhaft ist - im Sinne von
verfassungsfeindliche Aktivitäten werden nicht geduldet, schon gar nicht im Staatsdienst. Die aber sagt: Wir
müssen konkrete Fakten auf dem Tisch haben, bevor wir die Freiheit von Menschen beschneiden."
Wann stört das Kopftuch den Schulfrieden?
Wobei sich für Juristen die Frage stellt, ob der Erste Senat so weit von der früheren, der Ludin-Entscheidung des
Zweiten, abweichen durfte? Eine Minderheit von Richtern zweifelte das im Beschluss selbst an. Der
Islamrechtsprofessor Rohe erklärt sich die neue Haltung des Gerichts auch damit, dass das Kopftuch inzwischen
normaler geworden ist, dass es – insbesondere aus Rheinland-Pfalz – Erfahrungen damit gibt.
Das ändert allerdings nichts daran, dass das Kopftuch vor allem die Schulen vor schwierige Herausforderungen
stellt. Denn wer entscheidet künftig, ob das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin den Schulfrieden stört? Wenn
sich beispielsweise ein alevitisches Kind, eine christliche Kollegin oder atheistische Eltern über das Tuch
beklagen. Diese Frage sollen die staatlichen Schulen künftig selbst beantworten. Udo Beckmann, der Vorsitzende
des Verbands Bildung und Erziehung, hält das für äußerst problematisch:
"Ich glaube, das ist kaum leistbar. Und hier schiebt man wieder Verantwortung an eine Stelle, die sie nicht tragen
kann. Von daher kann ich auch nicht die Euphorie der Schulministerin Löhrmann teilen, die dieses Urteil begrüßt
hat. Ich begrüße es nicht. Und ich denke, dass die Landesregierung in NRW zum Beispiel oder andere
Landesregierungen, wo das im Gesetz verankert ist, dafür sorgen müssen, dass Schulleitungen einen
rechtssicheren Handlungsrahmen bekommen. Also man kann sich nicht zurückziehen und sagen: Die
Schulleitung wird das schon irgendwie regeln."
Beckmann fordert die Bundesländer auf, ihre bestehenden Gesetze dem jüngsten Karlsruher Beschluss
anzupassen. Der Berliner Innensenator Frank Henkel lässt bereits eine Änderung prüfen. Denn nicht nur an der
Kurt Schumacher-Grundschule in Berlin-Kreuzberg ist der Rektor ratlos. Für Schulleiter Lutz Geburtig
widerspricht das Kopftuchverbot schon lange den gesellschaftlichen Realitäten. Er hofft auf eine
Verwaltungsvorschrift, in der dann auch geregelt ist, ob ein Schulleiter allein oder mit dem Kollegium oder sogar
mit den Elternvertretern über das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin entscheiden muss.
"Das finde ich eine relativ schwierige Sache. Und den Schulen wird da etwas aufgeladen, was sie eventuell gar
nicht leisten können. Zumal es sehr unterschiedliche Reaktionen, denke ich, einzelner Schulen geben wird,
sodass ich den Eindruck habe, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz unter die Räder kommen kann. Was heißt
das eigentlich, wenn die eine Schule das tut, die andere es aber lässt?"
Länder werden Gesetze ändern müssen
Klar ist: Die Länder, die bisher die Religionen ungleich behandelt haben, die also wie Baden-Württemberg und
Nordrhein-Westfalen Christentum und Abendland bessergestellt haben, werden ihre Gesetze ändern müssen –
alle werden mindestens in ihrer Einstellungspraxis die Maßstäbe aus Karlsruhe berücksichtigen müssen. Auch
Bayern erwähnt in seiner Vorschrift zum Erscheinungsbild der Lehrkräfte die christlich-abendländischen Werte.
Trotzdem hat das Kabinett im Freistaat bereits entschieden: Handlungsbedarf gebe es angeblich nicht. Der
Islamexperte Rohe aus Bayern:
"Ich würde mir allerdings wünschen – wir bilden ja auch in Bayern muslimische Religionslehreinnen aus, die
dann auch andere Fächer unterrichten, es gibt noch andere Standorte, die das auch tun – dass wir da keinen
Standortnachteil bekommen, weil eben junge Frauen verunsichert werden: Geht das nun in Bayern oder geht es
nicht? Während mit Sicherheit in Nordrhein-Westfalen und in anderen Ländern Gesetze kommen werden, die das
dann ohne weiteres ermöglichen. Das möge man vielleicht auch mit bedenken."
Ob die Frau, deren Name mit dem ersten Kopftuchurteil eng verbunden ist, jetzt an eine staatliche Schule in
Berlin oder ihrer alten Heimat Baden-Württemberg wechseln würde? Fereshta Ludin weiß es nicht. Das Urteil
vom 24. September 2003 aber hat ihr Leben verändert. In Baden-Württemberg wurde der heute 42-Jährigen
wegen ihres Kopftuches der Schuldienst verwehrt. Nun unterrichtet sie seit 15 Jahren an einer privaten
islamischen Grundschule in Berlin:
"Im Herzen habe ich immer daran geglaubt, dass das nicht das richtige Urteil sein kann, weil ich diese
Ungerechtigkeit enorm an mir selber gespürt habe, aber auch bei sehr vielen Betroffenen mitbekommen habe,
was das für sie bedeutet. Deswegen bin ich sehr, sehr froh und erleichtert, dass doch so eine mutige
Entscheidung letztendlich gekommen ist nach zwölf Jahren."
Ludin bindet ihr Kopftuch nicht streng unter dem Kinn. Sie trägt es wie einen Schal, den sie über den Kopf wirft.
Die Haare bedeckt sie mit einem Untertuch – immer farblich aufeinander abgestimmt: Entweder rosa und blau
oder weiß und braun.
Generalverdacht des Missionierung aufgehoben
Dass das Kopftuch von manchen per se als Gefahr eingestuft wird, fand sie schon immer absurd. Ihrer Ansicht
nach hebe der jüngste Karlsruher Beschluss vor allem den Generalverdacht auf, wonach kopftuchtragende
Lehrerinnen missionieren würden:
"Die Gefahr kann von jedem Lehrer ausstrahlen, wenn sie ihre politische Meinung vermitteln den Schülern, und
versuchen, sie auf ihre Art und Weise zu indoktrinieren."
Ludin sieht nun die Politik und die Medien in der Pflicht, zu einer Normalisierung der Debatte beizutragen. Die
Diskussion um das Kopftuch sei bisher einseitig geführt und auch vermittelt worden, kritisiert sie. Konkret sei
die Position der betroffenen Frauen ausgeblendet worden:
"Also sich mehr mit den Geschichten beschäftigen, die diese Betroffenen erlitten haben oder noch erleiden. Es
ist ja nicht so: Jetzt kam das Urteil, jetzt haben wir Ruhe, sondern diese Menschen haben Jahre lang unter
massiver Diskriminierung gelitten. Viele haben es auch nicht durchgehalten. Viele mussten sich umorientieren.
Vielen wurde ihr Selbstwertgefühl stark genommen. "
Weiterführende Information
Biografie
von
Fereshta
Ludin
(Deutschlandradio Kultur, Kompressor, 02.04.2015)
Die
Frau
hinter
der
Kopftuch-Debatte
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts - "Das Kopftuch steht nicht mehr unter Generalverdacht"
(Deutschlandradio Kultur, Religionen, 22.03.2015)
Überfälliges
Urteil
(Deutschlandfunk, DLF-Magazin, 19.03.2015)
Neuer
Streit
ums
Kopftuch
Kopftuch-Urteil
"Ich
verstehe
auch
die
ganzen
Jubelschreie
nicht"
(Deutschlandfunk, Interview mit der ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Lale Akgün, 14.03.2015)
Kopftuch-Debatte
(Deutschlandfunk, Kommentar, 13.03.2015)
Urteil
in
der
Kritik
Keine
(Deutschlandradio Kultur, Kommentar, 13.03.2015)
Generalsekretärin
des
Zentralrates
der
Muslime
(Deutschlandradio Kultur, Kompressor, 13.03.2015)
Verschwendete
Gefahr
-
Zeit
durch
Schulfrieden
das
auch
mit
Kopftuch
Kopftuch
Urteil
zum
Kopftuchverbot
"Wir
werden
jetzt
Konsequenzen
ziehen"
(Deutschlandfunk, Interview mit der SPD-Bildungsexpertin im NRW-Landtag, Renate Hendricks, 13.03.2015)
http://www.deutschlandfunk.de/verhandlung-zum-npd-verbot-karlsruhe-untererfolgsdruck.724.de.html?dram:article_id=347084
Verhandlung zum NPD-Verbot
Karlsruhe unter Erfolgsdruck
Drei Tage lang prüft das Bundesverfassungsgericht ab heute, ob die NPD nach den Maßgaben
des Grundgesetzes verfassungswidrig ist. Der Erfolgsdruck ist hoch. Schließlich war ein erster
Verbotsanlauf im Jahr 2003 in einem Fiasko geendet, weil bekannt wurde, dass der
Verfassungsschutz bis in die Parteispitze hinein Informanten hatte.
Von Gudula Geuther, Silke Hasselmann und Claudia van Laak
NPD-Aufmarsch im hessischen Friedberg. (pa/dpa/Roessler)
Jamel ist eine winzige Sackgassensiedlung in Ostseenähe - zwischen Wismar und
Grevesmühlen. Es ist berühmt-berüchtigt als Nazi-Dorf, denn dort stehen Wegweiser unter
anderem nach Braunau, Adolf Hitlers Geburtsstadt. Auf einer Garagenwand zwischen zwei
völkisch anmutenden Malereien prangt: "Dorfgemeinschaft Jamel - frei, sozial, national".
Dass hier überwiegend Neonazis und einige bekennende NPD-Mitglieder leben würden,
konnten Birgit Lohmeyer und ihr Mann nicht ahnen, als sie vor zwölf Jahren hierher zogen.
"Herr Krüger - so heißt der berüchtigte Rechtsextreme in diesem Dorf - hatte sich zwar ruhig
verhalten in den Vorjahren, bevor wir herzogen, hatte aber eine Parteikarriere in der NPD
angestrebt. Und das Dorf nach seinem Sinne umgestaltet. Er begann, Häuser aufzukaufen von
Menschen, die entweder wegziehen wollten, oder es standen einige Gebäude schon lange leer.
Die hat er gekauft und hat dort seine Gesinnungsgenossen einziehen lassen. Insofern - das hat
uns wirklich überrollt."
Die "Strategie der nationalen Dörfer" und der "Graswurzelarbeit" wurde Ende der 90er-Jahre
vom heutigen NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, entwickelt. Diese
Strategie ist in einigen Gegenden im dünn besiedelten, ländlich geprägten MecklenburgVorpommern aufgegangen. Auch in der zehn Kilometer von Jamel entfernten Kleinstadt
Grevesmühlen gebe es inzwischen NPD-Stammwähler, sagt der parteilose Stadtrat Lars
Prahler.
"Bei der letzten Kommunalwahl hat der Vertreter der NPD, der sich zur Wahl gestellt hat, drei
Prozent bekommen und ist in die Stadtvertretung eingezogen. Damit findet er Gehör in
diesem Gremium, was ich persönlich sehr bedauere. Aber es sind eben nur drei Prozent,
offensichtlich sind es 97 Prozent, die sie noch nicht erreicht haben und womöglich nie
erreichen werden."
Doch bei den beiden letzten Landtagswahlen stimmten in Grevesmühlen drei Mal so viele
Wähler für die NPD. Landesweit erreichte die rechtsextreme Partei 7,3 bzw. 6 Prozent der
Stimmen. Und so sitzen die Nationaldemokraten seit fast zehn Jahren im Schweriner Schloss ausgestattet mit allen politischen und finanziellen Privilegien einer Landtagsfraktion. Auch
deshalb initiierte das Land Mecklenburg-Vorpommern den zweiten Anlauf zu einem NPDVerbot. Morgen beginnt am Bundesverfassungsgericht eine dreitägige Verhandlung darüber.
Dann wollen die Bundesrichter womöglich auch genauer wissen, inwiefern das braune Dorf
Jamel oder das "Thinghaus" in Grevesmühlen die Verfassungswidrigkeit der NPD belegen.
Ort und Nazitreff sind ausdrücklich in dem überwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern
stammenden Beweismaterial erwähnt. Das "Thinghaus" in Grevesmühlen ist berüchtigt. Es
entstand vor sechs Jahren, nachdem das Abrissunternehmen des bereits erwähnten Sven
Krüger einem Betonwerk eine Teilfläche abgekauft hatte. Die Stadt konnte den
Grundstücksdeal nicht verhindern, erklärt der Bauamtsleiter Lars Prahler. Denn die Prüfung
des Vorkaufsrechtes ergab:
"… dass ein Unternehmen in einem Industriegebiet an ein anderes Unternehmen veräußert
hat, und dieses andere Unternehmen beschäftigt sich mit Abbruch. Insofern hatten wir keine
konkrete Handhabe davon auszugehen, dass dieser Kaufvertrag dazu führt, dass rechtsradikale
Machenschaften zukünftig dort stattfinden werden."
Tatsächlich darf der Staat nicht in Eigentumsgeschäfte eingreifen, nur weil die Beteiligten
unliebsamer Gesinnung sind. Anders wäre es, stünden verbotenen Parteien oder
Organisationen dahinter. Doch die rechtsextreme NPD ist bislang nicht verboten, und so
betreibt Landesverbandschef Stefan Köster in dem mit Stacheldraht und blickdichtem
Bretterzaun gesicherten "Thinghaus" sein steuerfinanziertes Wahlkreisbüro. Am Eingang zum
Gelände weht eine riesige Reichsflagge. Am Hausgiebel steht: "Heute sind wir tolerant,
morgen fremd im eigenen Land" – alles vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, wie
Gerichte entschieden haben. Was die NPD angeht, so meint Köster:
"Wir sind die Partei für das eigene Volk."
Der 42-Jährige glaubt, dass seine Partei und auch er persönlich im September diesen Jahres
zum dritten Mal in den Schweriner Landtag gewählt werden. Trotz der Konkurrenz durch die
rechtspopulistische AfD mit vorhergesagten 16 Prozent liegt die NPD in der jüngsten
Umfrage bei vier Prozent – also nur knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde.
Laut Köster kämpfe nur die NPD konsequent dafür, ganz im Sinne des Grundgesetzes
Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Gemeint sind die "Fremdbestimmung durch EURegeln und des großen Bruders USA" sowie vor allem "die Asylantenflut". Bei der
Verhandlung in Karlsruhe werde er als Vizevorsitzender seiner Bundespartei "entspannt" –
wie er sagt - anwesend sein.
Hoffen auf ein Ende der staatlichen Mitfinanzierung
"Es ist immer behauptet worden, dass wir gegen das Grundgesetz wären, dass wir andere
bedrohen usw. usf. Aber ich bin mir 100-Prozentig sicher, dass die Antragsteller dieses im
Verfahren nicht belegen werden können. Und wenn man sich die gesamte Beweisliste mal
wirklich inhaltlich vornimmt, dann wird man feststellen, dass da sehr viele Sachverhalte
drinstehen, wo eigentlich klar und deutlich wird, dass die NPD hier in MecklenburgVorpommern ihrem Auftrag nach Artikel 21 des Grundgesetzes nachkommt."
Das sieht Lorenz Caffier anders. Der seit 2006 amtierende Innenminister von MecklenburgVorpommern hat das zweite NPD-Verbotsverfahren maßgeblich in Gang gesetzt. Man wäre
nach einem Verbot nicht das teils menschenverachtende Gedankengut los, sagt der CDUPolitiker, doch zumindest müsste der Staat keine NPD-Aufmärsche mehr schützen. Zudem
würden der NPD und ihrem rechtsextremistisches Umfeld, das der Verfassungsschutz in
Mecklenburg-Vorpommern auf 1.400 Personen schätzt, die staatlichen Finanzquellen gekappt.
Der
Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU) (picture alliance / ZB Jens Büttner)
Der Schweriner Innenminister überzeugte den Bundesrat davon, einen zweiten Verbotsantrag
zu wagen. Im Jahr 2003 war der erste Anlauf schon im Ansatz gescheitert, weil der Staat über
seine V-Leute "zur Meinungsbildung innerhalb der NPD" beigetragen habe, urteilte damals
Karlsruhe. Diese V-Leute sind laut Caffier inzwischen abgeschaltet, so dass das
Bundesverfassungsgericht endlich eine Grundsatzentscheidung in der Sache treffen könne.
"Ich finde es ganz wichtig, dass wir eine Grundsatzentscheidung brauchen. Es ist dem Bürger
kaum vermittelbar, dass wir viele Steuergelder auch an die NPD zahlen, aber alle Demokraten
sich einig sind, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist."
Doch verfassungsfeindlich zu sein, reicht nicht für ein Verbot. Vor Gericht muss der Partei
nachgewiesen werden, dass sie auch verfassungswidrig agiert. Was, wenn das politisch
motivierte Wollen verfassungsrechtlich nicht reicht? Innenminister Lorenz Caffier:
"Der Prozess wird ja nicht von Politikern geführt, sondern von Prozessbevollmächtigten, die
entsprechend natürlich sehr wohl abwägen, was Sinn macht und was keinen Sinn macht. Und
deswegen bin ich mit meinen Länderkollegen guten Mutes, dass wir auf dem richtigen Weg
sind."
Einer dieser Prozessbevollmächtigten ist der Berliner Staatsrechtsprofessor Christoph
Möllers. Was genau muss er belegen in Karlsruhe? Wie alle anderen kann er da nur
Vermutungen anstellen:
"Wir haben immer gesagt: Wir halten die NPD für aggressiv-kämpferisch und deswegen für
verfassungswidrig. Aber darüber hinausgehend sehen wir in bestimmten Bereichen – und wir
haben das mit einem Gutachten versucht zu untermauern in Mecklenburg-Vorpommern -, dass
tatsächlich so etwas wie demokratisches Leben, wenn die NPD erst einmal eine bestimmte
Größe hat, schwer möglich ist. Weil die Leute einfach Angst haben vor ihr."
Der
Staatsrechtler Christoph Möllers (picture-alliance / dpa / Friso Gentsch)
Ein bloßes Zusatzargument soll das aber sein. Der Bundesrat glaubt, eine Wesensnähe der
NPD zur NSDAP belegen zu können. An sich, so glauben die rechtlichen Vertreter des
Bundesrates, soll das "aggressiv-kämpferische" genügen. Das Schlagwort stammt nicht aus
dem Grundgesetz. Es stammt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zwei
Mal hat es bisher Parteien verboten: 1953 die selbsterklärte NSDAP-Nachfolgepartei, die
Sozialistische Reichspartei. Und 1956 die KPD.
"Im Namen des Volkes! Erstens: Die Kommunistische Partei Deutschlands ist
verfassungswidrig. Zweitens: Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst."
Gerichtspräsident Josef Wintrich verkündete am 17. August 1956 das Ergebnis eines
fünfjährigen Verfahrens. Schon das zeigt, wie sehr die Richter damals um Maßstäbe rangen.
Das Grundgesetz selbst gibt dafür wenig her. In Artikel 21 Absatz 2 heißt es:
"Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den
Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Aus dem "darauf ausgehen" machte das Bundesverfassungsgericht die "aggressivkämpferische Grundhaltung". Die allerdings heute kaum weiterhilft, glaubt Maximilian Alter.
Der Frankfurter Jurist erforscht seit mehreren Jahren die Maßstäbe des Parteiverbots. In den
50er-Jahren, sagt er, hatte das Verfassungsgericht vieles noch nicht entwickelt, was heute zu
den Grundlagen seiner Rechtsprechung gehört: Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gehört
dazu. Und auch der hohe Wert der Freiheitsrechte - etwa der Meinungs- und der
Versammlungsfreiheit - für die Demokratie.
"Die gesamtpolitische Lage spielt durchaus eine Rolle"
Man kann aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf anderen Gebieten in
den vergangenen Jahren auch die Tendenz erkennen, dass man versucht, über eine
Gefahrenabwägung einen Ausgleich zwischen Freiheitsrechten und Sicherheitsinteressen zu
schaffen. Und insofern wird das Bundesverfassungsgericht auf jeden Fall auf dieses Merkmal
der Gefährlichkeit eingehen müssen. Gefährlichkeit – bedeutet das, die NPD muss nahe an der
Machtübernahme sein? Dann hätte das Verbotsverfahren keine Chance. Manche glauben das,
auch weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hohe Hürden aufgestellt hat. Und
seine Maßstäbe werden auch die Verfassungsrichter im Blick haben.
Tatsächlich ließen die Richter am Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zum Beispiel das
Verbot der türkischen Wohlfahrtspartei bestehen - gerade weil sie damals Regierungspartei
und damit potenziell gefährlich war. Nur, sagt Maximilian Alter: Das ist nur einer von
mehreren Begründungssträngen. In einem anderen Urteil bestätigten die Straßburger Richter
das Verbot der spanisch-baskischen Batasuna ganz unabhängig von Wahlerfolgen – weil
spanische Gerichte von einer Verbindung zur Terrororganisation ETA ausgehen durften.
Trotzdem – Maximilian Alter glaubt, "dass man zumindest eine irgendwie substanziierte
Gefahr braucht, dass eine Partei die Ziele, die sie sich vorgenommen hat und die demokratieund menschenrechtswidrig sein sollen, auch tatsächlich verwirklichen kann. Und diese Gefahr
sehe ich derzeit bei der NPD, die ja nur in einem Landtag vertreten ist, nicht."
Der Prozessvertreter Christoph Möllers sieht das anders. Er verweist auf kleinere
Entscheidungen der Straßburger Richter, die weniger bekannt seien. Dort hätten sich
rassistische Parteien regelmäßig nicht auf den Schutz der Menschenrechtskonvention berufen
können.
"Rassistische Parteien – und da gibt es eine Menge Beschlüsse dazu – sind halt etwas anderes
als sagen wir mal eine religiöse Partei. Sie haben von vornherein die Vermutung der
Schutzwürdigkeit einer demokratischen Partei nicht für sich und deshalb legt das Gericht da
einen anderen Maßstab an, der kein Verhältnismäßigkeitsmaßstab ist."
Die rassistische Grundhaltung der NPD glauben die Antragsteller durch viele Zitate belegen
zu können. Hinzu kommt eine neuere Entwicklung: Als sich die Angriffe auf
Flüchtlingsunterkünfte häuften, legte der Bundesrat auf Bitten des Gerichts mit einem
weiteren Gutachten nach. Wie konkret hier eine mögliche Verbindung zur NPD sein müsste,
um für das Verfahren relevant zu sein – auch das ist umstritten. Und die Richter müssten im
Zweifel – wie ein Strafgericht – Belege für eine solche NPD-Beteiligung finden.
Strafgerichten ist das bisher kaum gelungen. Klar allerdings ist, dass Parteiverbotsverfahren
nicht im luftleeren Raum stattfinden, sagt der Verbots-Fachmann Alter:
"Die politische Umgebung, die gesamtpolitische Lage spielt durchaus eine Rolle. Das ergibt
sich allein schon daraus, dass man in den 50er-Jahren anders über solche Parteiverbote
geurteilt hat – eben auch vor dem Hintergrund einer solchen Spannungslage. Es gab damals
noch viele ehemalige NSDAP-Mitglieder, die in die Zivilgesellschaft integriert werden
mussten. Es gab die Bedrohung von außen durch die Ostblock-Staaten. Das ist heute
weggefallen. Heute gibt es andere Bedrohungen. Und je nachdem wie schwer diese wiegen
und wie diese auf die Gesellschaft wirken, wird man selbstverständlich auch den Maßstab für
Parteiverbote anpassen müssen."
Er bleibt skeptisch. Die Verfassungsrichter halten ein Verbot offenbar zumindest nicht für
ausgeschlossen – sonst wären sie nicht ins Hauptverfahren mit seiner mündlichen
Verhandlung eingetreten, die bis Donnerstag dauert. Dort wird es zuerst um ganz andere
Fragen gehen: die umfangreichen Schriftsätze der NPD selbst handelten bisher fast
ausschließlich von der V-Leute-Problematik, an der ein früheres Verfahren 2003 gescheitert
war.
Das frühere Debakel ist wohl mit ein Grund, warum Bundesrat und Bundesregierung den
Antrag diese Mal nicht mittragen. Nur die Bundesländer haben sich bemüht, in vielfältigen
Erklärungen und Dokumenten zu belegen, dass ihre Anträge frei von V-Mann-Zitaten sind –
und dass keine V-Leute unter den Führungskadern in Bund und Ländern sitzen. Peter Richter,
der smarte und redegewandte NPD-Anwalt, hat für die Verhandlung den einen oder anderen
"Knaller" angekündigt – was immer das heißen mag. In der Sache – zur Frage, ob sie
verfassungsfeindlich oder gefährlich ist - hat sich die Partei dem Gericht gegenüber bisher mit
keinem Wort eingelassen. Anwalt Peter Richter betonte aber in einem Parteivideo:
"Wir können nachweisen, dass wir weder Gewalt anwenden noch zur Gewalt aufrufen,
sondern einfach nur eine andere politische Weltanschauung vertreten, die wir mit
demokratischen Mitteln durchsetzen wollen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas
in Karlsruhe verboten werden wird."
Doch seitdem der Bundesrat den Antrag auf Verbot der NPD gestellt hat, tritt die
rechtsextreme Partei deutlich zahmer auf. Die Wahl von Frank Franz zum Vorsitzenden kann
als Versuch gewertet werden, sich nach außen bürgerlicher zu geben als in den Jahren zuvor.
Der aus dem Saarland stammende Franz ist Inhaber einer kleinen Internetagentur, tritt gerne
im Jackett mit Einstecktuch auf und redet gemäßigter als seine Vorgänger Holger Apfel und
Udo Voigt. In einem Parteivideo beruft er sich auf die Grundrechte, die die NPD gerne
abschaffen würde, käme sie an die Macht.
Was könnte nach einem möglichen Verbot passieren?
"In diesem Verfahren wird es darum gehen, ob die Meinungsfreiheit in Deutschland faktisch
beseitigt wird oder nicht. Ich werde nicht nur als Parteivorsitzender für das Recht meiner
Partei, ich werde vor allem auch als Deutscher für meine Grundrechte, für die
Meinungsfreiheit streiten."
NPD-Chef Franz versucht, die bundesweit rund 5.400 Mitglieder – ihre Zahl ist zuletzt wieder
leicht angestiegen – zu beruhigen. Ob er die Partei zusammenhalten kann, ist ohnehin
fraglich. Ein Teil der gemäßigteren Mitglieder schielt in Richtung AfD, den radikalen Kräften
aus den Neonazi-Kameradschaften ist Parteichef Franz viel zu zahm. Was könnte nach einem
möglichen Verbot passieren? Dierk Borstel, Rechtsextremismus-Experte und Politologe an
der Fachhochschule Dortmund, spekuliert.
"Ein Teil in den Hochburgen wird wahrscheinlich eher zu den Kameradschaften gehen und
weiter die kommunale Verankerung vorantreiben. Es kann gut sein, dass dort, wo die NPD
jetzt schon schwach ist, viele Mitglieder aufgeben, das ist die Hoffnung, dass man da eine
zusätzliche Schwächung hat. Wir wissen aber auch aus bisherigen Verbotsverfahren, dass aus
einem Verbot immer auch eine Innovation erfolgt. Das hat man sehr oft gesehen."
Die Innovation, die Politologe Borstel meint, ist die Gründung von zwei rechtsextremistischen
Kleinstparteien vor einigen Jahren – "Die Rechte" und "Der dritte Weg". Beide sind ein
Auffangbecken für zuvor verbotene Neonazi-Kameradschaften. Der in der Szene bekannte
Rechtsextremist Christian Worch gründete 2012 "Die Rechte". Sie hat etwa 500 Mitglieder
und ist in erster Linie im Ruhrgebiet aktiv.
"Ey, das ist unser Staat! Unser Staat, unser Land, verstehste! Ihr seid alles Arschlöcher, scheiß
Islamisten! Deutschland, unser Land! Deutschland, unser Land!"
Köln, 26.Oktober 2014. Etwa 4.000 Neonazis und Hooligans randalieren, liefern sich eine
Straßenschlacht mit der Polizei. Sie nennen sich "HoGeSa" – Hooligans gegen Salafisten.
Auch "Die Rechte" hat im Vorfeld bundesweit zu dieser Demonstration aufgerufen. Nach dem
Verbot der Neonazi-Kameradschaft "Nationaler Widerstand Dortmund" traten deren führende
Köpfe in diese Partei ein. Alexander Häusler, Rechtsextremismus-Forscher an der
Fachhochschule Düsseldorf:
Alexan
der Häusler, Sozialwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der
Fachhochschule Düsseldorf (dpa picture alliance / Häusler)
"Eindeutig setzt sich diese Partei aus diesen Personen zusammen, die vorher auch führend
tätig gewesen sind in den neonazistischen Kameradschaften. Zum Teil auch verurteilte
Gewalttäter, die eben auch quasi unter dem Dach der Partei "Die Rechte" noch weiter diese
Aktivitäten fortgesetzt haben. Diese Leute machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre
Aktivitäten jetzt einfach nur fortführen unter einem neuen Dach, nämlich dieser Partei."
Die Vereinsverbote werden durch Parteimitgliedschaften umgangen - so sieht es auch der
Verfassungsschutz. Die Szene hat verstanden, dass Parteien rechtlich besser geschützt sind als
Vereine oder lose Verbindungen wie Neonazi-Kameradschaften. So profitieren die Neonazis
von einem Rechtsstaat, den sie gerne abschaffen würden.
"Die Rechte" und "Der dritte Weg" agieren als Auffangbecken für verbotene Kameradschaften
– ist es wahrscheinlich, dass diese beiden Kleinstparteien am äußersten rechten Rand
ihrerseits die Mitglieder und Funktionäre der vom Verbot bedrohten NPD aufnehmen? Der
Rechtsextremismus-Experte und taz-Redakteur Andreas Speit ist skeptisch.
"Das scheint sehr unwahrscheinlich zu sein, weil schlicht und einfach beide Parteien
entstanden sind in der bewussten Abgrenzung zur NPD. Da liegen unglaublich viele
persönliche Animositäten im Raum. Und man sieht das auch jetzt: Diejenigen, die sich dieser
Partei anschließen, kommen meistens aus dem radikalen freien Spektrum, den Autonomen
Nationalisten beispielsweise, oder sind enttäuschte NPDler. Also beides Gruppen, die der
NPD den Rücken gekehrt haben."
Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht beginnt morgen. Mit einer
schnellen Entscheidung des obersten deutschen Gerichts ist allerdings nicht zur rechnen.
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28.04.2012
Bei den Nürnberger Prozessen gab es zehn Verurteilungen und vier Freisprüchen gegen NS-Juristen. (Bild: AP Archiv)
Braune Juristen für den Rechtsstaat
Das Bundesjustizministerium stellt sich seiner Vergangenheit
Von Otto Langels
Viele NS-Juristen konnten ihre beruflichen Karrieren im Nachkriegsdeutschland problemlos
fortführen. Um die Fakten genau zu untersuchen, hat Justizministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger eine wissenschaftliche Kommission ins Leben gerufen.
"Es war damals nie die Situation, dass das Reichsjustizministerium ein Hort des Widerstands
gewesen ist in der NS-Zeit."
Sagt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Im Gegenteil, im Justizapparat
seien zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Juristen tätig gewesen, die in Verbrechen des NaziRegimes verwickelt waren, ihre Karrieren nach 1949 aber problemlos fortsetzen konnten. Um diese
Zusammenhänge genauer zu untersuchen, hat die Justizministerin Anfang des Jahres eine
wissenschaftliche Kommission berufen. In dieser Woche haben die Experten offiziell mit ihrer Arbeit
begonnen:
"Es geht um den Umgang des Justizministeriums mit seiner eigenen Vergangenheit in den 50er, 60er
bis zu den beginnenden 70er Jahren, das ist der Kernzeitpunkt, dem wir uns widmen werden. Das
Justizministerium war damals untergebracht in Bonn, in der sogenannten Rosenburg, und deswegen
wird dieses Projekt auch die Rosenburg genannt."
Erläutert der Marburger Strafrechtler Christoph Safferling den Auftrag. Zusammen mit dem Potsdamer
Historiker Manfred Görtemaker leitet er die Kommission:
"Die personellen Kontinuitäten und Brüche sind nur ein Teil unserer Arbeit. Weitere Teile werden sich
auf die tatsächliche Auswirkung dieser personellen Kontinuitäten auf das materielle Recht beziehen,
und das ist eigentlich der interessantere Teil, nämlich inwieweit tatsächlich diese personellen
Verstrickungen dann sich ausgewirkt haben auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik."
Mehr als 60 Jahre nach dem Untergang des NS-Regimes bedurfte es erst des Anstoßes durch die
bahnbrechende Studie über das Auswärtige Amt, um die Untersuchung zu beginnen. Womöglich
fürchtete man im Bundesministerium der Justiz, kurz BMJ, eine "Nestbeschmutzung". Bis Anfang des
Jahres durfte z. B. kein Außenstehender Einsicht in die Personalakten des Ministeriums nehmen, auch
nicht in Unterlagen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.
"Warum das vorher nicht erfolgt ist, kann ich Ihnen nicht beantworten, aber jetzt ist natürlich für die
Wissenschaftler der direkte Zugriff seit Beginn des Jahres gegeben."
Die Geschichte der Justiz im sogenannten Dritten Reich ist eine Geschichte fortschreitender
Pervertierung des Rechts: Ob bei den Morden der Röhm-Aktion oder bei der Verfolgung und
Ermordung von politischen Gegnern und rassischen Minderheiten: Richter, Staatsanwälte und
Angehörige des Reichsjustizministeriums waren willige Helfer des NS-Regimes. Statt Recht und
Gesetz zu verteidigen, ließ die Justiz die Demontage des Rechtsstaates zu und stellte sich in den
Dienst eines mörderischen Systems.
"Wir bekennen uns offen dazu…"
…erklärte Hans Frank, Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, im September 1933.
"…dass wir nationalsozialistischen Juristen in jedem Recht nur das Mittel zu dem Zweck sehen, einer
Nation die heldische Kraft zum Wettstreit auf dieser Erde sicherzustellen. (Beifall)"
Der Jurist Hans Frank, NSDAP- und SA-Mitglied der ersten Stunde, wurde 1946 im Nürnberger
Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Unter den NS-Juristen hinterließ Roland Freisler eine
noch größere Spur des Schreckens, als Staatssekretär im Reichsjustizministerium, vor allem aber als
Präsident des berüchtigten Volksgerichtshofes.
"Sie haben ja kein Gefühl für Wahrheit, Sie sind ja die Lüge selbst."
Roland Freisler im Prozess gegen Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, einen der Verschwörer
des 20. Juli 1944.
"Feines Früchtchen … ja, ja, ja, feines Früchtchen. Hätten Sie lieber die Knarre in die Hand
genommen, wären nicht auf dumme Gedanken gekommen. Und werden Sie hier nicht unverschämt,
mit Ihnen werden wir fertig."
Roland Freisler kam Anfang 1945 bei einem alliierten Bombenangriff ums Leben. Die Bilanz des
Volksgerichtshofes, den Freisler zu den "Panzertruppen der Rechtspflege" zählte: über 5200
Todesurteile. Noch gnadenloser waren die nationalsozialistischen Wehrmachtrichter. Sie verhängten
im Zweiten Weltkrieg 30.000 Todesurteile, 20.000 wurden vollstreckt. Zum Vergleich: Die westlichen
Alliierten ließen im selben Zeitraum 200 Militärangehörige hinrichten. Und im Ersten Weltkrieg
verhängte die deutsche Militärjustiz lediglich 150 Todesurteile, von denen nur ein Drittel vollstreckt
wurde. Der Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette:
"Kein einziger Wehrmachtrichter ist bestraft worden für seine Todesstrafen-Praxis. Es gab einzelne
Fälle, in denen Vorermittlungen und Ermittlungen angestellt worden sind, aber das alles ist
niedergeschlagen worden. Zu einer Verurteilung kam es in keinem einzigen Fall."
Großes Aufsehen erregten in den 1970er Jahren die Rechtfertigungsversuche des badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Hans Karl Filbinger. Als NS-Marinerichter hatte er noch kurz
vor Kriegsende die Todesstrafe für einen jungen Wehrmachtsdeserteur gefordert und später seine
verhängnisvolle Tätigkeit mit dem Satz verteidigt:
"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!"
Filbinger ging als "furchtbarer Jurist" in die Geschichte ein.
Unmittelbar
nach
dem
Ende
des
Zweiten
Weltkriegs
begannen
die Alliierten,
deutsche
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen. Als Erste mussten sich
Hauptschuldige wie Hermann Göring, Rudolf Hess, Albert Speer und Hans Frank vor dem
Internationalen Militärtribunal in Nürnberg verantworten. Es folgten zwölf weitere Verfahren vor
amerikanischen Militärgerichtshöfen, darunter als Fall III der Juristenprozess.
"This case is unusual … "
Der Hauptankläger, Brigadegeneral Telford Taylor, am 17. Februar 1947 bei der Eröffnung des
Prozesses.
"The temple … Der Tempel der Gerechtigkeit muss wieder geweiht werden. Das kann nicht im Nu
geschehen oder durch ein bloßes Ritual. Aber wir haben hier, glaube ich, eine besondere Gelegenheit
und große Verantwortung, dabei zu helfen, dieses Ziel zu erreichen."
Angeklagt waren hohe Beamte des Reichsjustizministeriums sowie mehrere Richter des
Volksgerichtshofes und der Sondergerichte, insgesamt 16 Personen. Der Prozess endete im
Dezember 1947 mit zehn Verurteilungen und vier Freisprüchen. Zwei Beschuldigte waren während
des Verfahrens verstorben, mehrere Angeklagte, darunter die Staatssekretäre Franz Schlegelberger
und Herbert Klemm, erhielten lebenslange Haftstrafen.
Im Urteil heißt es:
"Das Beweismaterial ergibt schlüssig, dass Schlegelberger und die anderen Angeklagten die
schmutzige Arbeit übernahmen, die die Staatsführer forderten, und das Justizministerium als ein
Werkzeug zur Vernichtung der jüdischen und polnischen Bevölkerung, zur Terrorisierung der
Einwohner der besetzten Gebiete und zur Ausrottung des politischen Widerstandes im Inland
benützten."
"Die höchste Strafe war die lebenslange Freiheitsstrafe."
Der Rechtswissenschaftler Christoph Safferling.
"Also schon interessant, dass die Juristen offensichtlich hier auch anders behandelt worden sind als
andere Berufsgruppen, beispielsweise die Ärzte. Im Ärzteprozess in Nürnberg gab es etliche
Todesurteile. Der Nürnberger Juristenprozess hat ja diesen Ausspruch geprägt, dass der Dolch des
Mörders unter der Robe des Juristen verborgen war. Und das ist, denke ich, ein ganz gutes Bild dafür,
was Juristen tatsächlich tun und wofür sie auch verantwortlich sind."
Unter deutschen Rechtsexperten stieß der Nürnberger Prozess jedoch auf Ablehnung. Sie werteten
das Verfahren als "Siegerjustiz" und "Rache am politischen Gegner". Der nordrhein-westfälische
Justizminister Artur Sträter erklärte im Juni 1947:
"In den Sondergerichten haben oft Männer gesessen, die unvorstellbares Leid verhindert haben. Der
deutsche Richter in seiner Gesamtheit ist im Dritten Reich intakt geblieben, er hat nicht vor Hitler
kapituliert."
Eine Ansicht, die erst mehr als vier Jahrzehnte später revidiert wurde, mit der Ausstellung "Justiz und
Nationalsozialismus", einer vom Bundesjustizministerium im Jahr 1989 erarbeiteten Materialsammlung
von 2000 Schriftstücken und Fotos. Die Dokumentation ist der erste ernsthafte Versuch aus den
Reihen
der
Justiz,
sich
mit
der
NS-Vergangenheit
kritisch
auseinanderzusetzen.
Das
Ausstellungskonzept erarbeitete Gerhard Fieberg, damals Mitarbeiter des BMJ, zuletzt Präsident des
Bonner Bundesamtes für Justiz. Bereits 1950, so Fieberg, wurden die ersten Verurteilten des
Nürnberger Juristenprozesses entlassen, der letzte kam 1956 frei.
"Auf deutschen Druck hin von den Amerikanern begnadigt; und dann in den 50er Jahren als freie
Leute in der Bundesrepublik lebten, dort entweder Pensionäre waren oder aber gut gehende Anwaltsund Notariatspraxen betrieben und von der bundesdeutschen Justiz nicht mehr vor Gericht gestellt
werden konnten."
Ohne frühere NSDAP-Mitglieder, so zeigte sich schon bald nach Kriegsende, kam die westdeutsche
Justiz nicht aus. Nur ein Drittel der Richter wurde entlassen, in der Sowjetischen Besatzungszone
bzw. DDR waren es dagegen 80 Prozent. Die radikale Entnazifizierung im Osten hatte jedoch fatale
Folgen, denn die neuen sogenannten Volksrichter fällten im Namen einer sozialistischen
Gesetzlichkeit zahllose Unrechtsurteile.
Im Westen hatten belastete Juristen hingegen kaum strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten.
Nicht ein Richter der Sondergerichte oder des Volksgerichtshofes wurde von bundesdeutschen
Gerichten rechtskräftig verurteilt. Die Justiz sprach sich selbst frei. Einer der wenigen, die dagegen
protestierten, war Reinhard Strecker. Als Student an der Freien Universität Berlin wollte er 1959
Unrechtsurteile aus der NS-Zeit veröffentlichen, mit Verweisen auf die bruchlosen Karrieren der
verantwortlichen Juristen nach 1945. Da ihm die Archive westdeutscher Gerichte verschlossen
blieben, fuhr er nach Warschau und Prag.
"Und dafür suchte ich Mitstreiter in der FU. Voll besetztes Auditorium Maximum: Und ich forderte auf,
bei mir mitzuarbeiten, und dann ergriff ein Dekan das Mikro und sagte, also, was ich da täte, das sei
das Letzte an nationaler Verworfenheit. In der Weimarer Zeit hätte man Leute wie mich ins Zuchthaus
gesteckt, und da gehörte ich auch hin."
Reinhard Strecker nahm zudem Hilfe aus Ost-Berlin an, was ihm in Zeiten des Kalten Krieges den
Vorwurf einbrachte, Propaganda für die DDR zu betreiben. Im November 1959 präsentierten Strecker
und seine Mitstreiter in Karlsruhe der Öffentlichkeit Dutzende Fälle. Die von Strecker organisierte
Ausstellung "Ungesühnte Nazijustiz" löste empörte Reaktionen aus. Politiker verstanden sie als
Generalangriff auf die Justiz, die SPD schloss einige beteiligte Studenten aus der Partei aus. Nur
Generalbundesanwalt Max Güde zeigte sich erschrocken angesichts des Materials. Immerhin führte
die große Resonanz der Ausstellung in den Medien zu einer politischen Debatte über den Umgang mit
NS-Juristen. Personelle Konsequenzen blieben jedoch aus. Der Anteil der Juristen, die schon im
Dritten Reich tätig gewesen waren, lag in den 1950er Jahren an den Landgerichten bei knapp 70
Prozent, an den Oberlandesgerichten bei fast 90 Prozent und am Bundesgerichtshof bei 75 Prozent.
Allerdings sagen die Zahlen allein noch nichts über das Verhalten des Einzelnen aus.
Begünstigt
wurde
die
Selbstentlastung
der
Justiz
von
verschiedenen
Amnestien
und
Verjährungsfristen. Der ehemalige Justizmister Thomas Dehler erklärte 1965 im Bundestag:
"Zu unserem Recht gehört auch, dass Schuld, dass jede Schuld verjährt."
"Und das hat in noch höherem Maße dazu beigetragen, dass hier natürlich ganze Personengruppen in
sehr, sehr großer Zahl von Strafverfolgung befreit wurden."
Der Historiker Manfred Görtemaker:
"Da das aber maßgeblich vom BMJ getragen wurde in der Gesetzgebung, ist natürlich die Frage
schon erlaubt und interessant, inwieweit das BMJ oder Personen im BMJ daran eben aktiv mitgewirkt
haben."
Die personellen Verbindungen zwischen Reichsjustiz- und Bundesjustizministerium muss die
Kommission erst noch im Einzelnen erforschen, doch Manfred Görtemaker und Christoph Safferling
können bereits heute auf einige bekannte Fälle verweisen.
"Es gibt ja erstaunliche Kontinuitäten, wenn Sie etwa an das Familienrecht denken oder an das
Strafrecht denken, das sind z.T. die gleichen Personen, die im Reichsjustizministerium für diese
Abteilung zuständig waren, für diese Referate, und dann auch wiederum Referatsleiter im BMJ
geworden sind. Und dass sie diesen Spagat hinbekommen haben, von der Justiz des Dritten Reiches
nahtlos in die Justiz der Bundesrepublik überzuwechseln, das ist aus heutiger Sicht kaum
nachvollziehbar, aber es hat offensichtlich funktioniert.
Maßfeller z. B. war ja im Reichssicherheitshauptamt unter Eichmann tätig und hat einen Kommentar
verfasst zum Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz 1936, also der hatte offensichtlich schon die
nationalsozialistische
Ideologie
soweit
verinnerlicht.
Er
war
dann
später
tatsächlich
im
Bundesjustizministerium auch in zivilrechtlichen Angelegenheiten, im Familienrecht wieder tätig, das
nimmt doch Wunder.
Oder
auch
Herr
Schafheutle
beispielsweise:
Schafheutle
war
im
Reichsjustizministerium
Abteilungsleiter für Strafrecht und hat diese Tätigkeit dann von November 1950 an auch im
Bundesjustizministerium wieder ausgefüllt. Als wäre nichts geschehen, hat er einfach in der gleichen
Position weiter gearbeitet und jetzt plötzlich ein demokratisches Strafrecht reformieren sollen.
Eduard Dreher war in den 40er Jahren für etliche Jahre in Innsbruck als Sonderstaatsanwalt tätig und
war dort auch verantwortlich für eine ganze Reihe von Todesurteilen. Und Eduard Dreher hat
schließlich in den 68er Jahren dafür gesorgt oder war mit dafür verantwortlich, dass die sogenannte
kalte Verjährung eingetreten ist, dass also NS-Täter, wegen Beihilfe zum Mord oder Beihilfe zum
Totschlag konnten sie nicht mehr verurteilt werden, weil die Beihilfe-Strafbarkeit dann bereits verjährt
war."
Angesichts zahlreicher "Altlasten" aus der NS-Zeit ist es erstaunlich, wie unproblematisch der Aufbau
des demokratischen Rechtsstaates in der Bundesrepublik verlief.
"Mein Eindruck ist, dass die Mitarbeiter im Justizapparat sich immer als Helfer gesehen haben, dass
sie sich haben instrumentalisieren lassen vom politischen Apparat, dass sie Fachleute waren und dass
sie sich dann in den Dienst des jeweiligen politischen Systems gestellt haben. Und das gilt für das
Dritte Reich genauso wie für die Bundesrepublik."
"Gestern Hitlers Blutrichter - heute Bonner Justiz-Elite" lautete der provozierende Titel einer OstBerliner Broschüre aus dem Jahr 1957. Gab es - ähnlich wie im Auswärtigen Amt - im BMJ ein
Netzwerk ehemaliger NS-Juristen, die sich in der Bundesrepublik wechselseitig protegierten?
Justizminiserin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
"Ich bin ja gerade sehr gespannt, wieweit gab es Verknüpfungen, Verwicklungen, wieweit ist aber auch
vielleicht versucht worden, Einfluss zu nehmen, dass weitere Kameraden aus früheren Zeiten dann im
damaligen Bundesjustizministerium wieder eingestellt und beschäftigt wurden. Ich denke, da wird es
Anhaltspunkte zu geben."
"Was man schon sehen kann, ist, dass beispielsweise aus den Landesjustizverwaltungen her
persönliche Bekanntschaften eine Rolle gespielt haben bei der Besetzung von Ministerialposten. Die
Rekrutierungspolitik insgesamt ist bislang im Grunde ein Buch mit sieben Siegeln. Da können wir noch
keine Aussage dazu treffen."
Dazu werden Christoph Safferling und Manfred Görtemaker in den Keller des BMJ hinabsteigen, wo
alle Personalakten des Ministeriums von 1949 bis heute liegen. Einen ersten Blick konnten sie bereits
in das Archiv werfen.
"Wir haben ein paar Akten uns angesehen, also so einfach willkürlich rein gegriffen und haben die
Akte von einem Herrn Dr. Marquardt gefunden, der auch später im Bereich des Zivilrechts und der
Rechtspflege Abteilungsleiter war. Und es hat sich herausgestellt, in seinem Personalblatt gleich vorne
dran stand, dass er Sturmbannführer der SA, also doch ein relativ hohes Tier schon in der SA war.
Der Eindruck bisher ist, dass diese Akten durchaus brisant sind, denn natürlich sind die Belastungen
aus der NS-Zeit z.T. sehr schwerwiegend, das ist aber bisher nur ein erster Eindruck. Wir können jetzt
daraus keine weitergehenden Schlussfolgerungen ziehen. Wir wissen vor allem nicht, ob das eben
flächendeckend der Fall ist oder ob das nur Einzelfälle sind."
In zwei bis drei Jahren will die Kommission die Ergebnisse ihrer Untersuchung vorlegen. Was erwartet
die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der Arbeit?
"Natürlich ist es am Spannendsten im Bereich des Strafrechts, Amnestie, Wiedereinführung der
Todesstrafe im Zusammenhang mit den Debatten über eine Wehrstrafgerichtsbarkeit, politisches
Strafrecht, das sind ja die ganz brisanten Fragen, aber auch Familienrecht, was ja auch von
Vorstellungen, Werten, Ideologien immer mit geprägt ist, ist glaube ich ein Bereich, wo ich auch hoffe,
dass es da Bewertungen gibt, wie weit möglicherweise mit den Vorstellungen, die man in der Zeit von
33 bis 45 in der NSDAP hatte, dann auch noch im Ministerium gearbeitet hat."
1 das Lied
http://daserste.ndr.de/extra3/sendungen/
Song-Erdowie-ErdowoErdogan,extra11036.html
2 das Schmähgedicht
http://www.deutschlandfunk.de/causaboehmermann-die-schmaehkritik-imganzen.1818.de.html?
dram:article_id=351122
Alle Welt diskutiert über einen Text - den kaum jemand im Ganzen kennt. Daher hat sich
der Deutschlandfunk entschlossen, die "Schmähkritik" von Jan Böhmermann und den
Kontext der Sendung zu dokumentieren. Als Video - und hier auch in einer Abschrift.
Die Abschrift der Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom
31.3.:
Jan Böhmermann: Meine Damen und Herren, willkommen in Deutschlands
Quatschsendung Nummer eins! Wir sinds. Wir haben mit Satire nichts am Hut.
Ralf Kabelka: Überhaupt nicht!
Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei "Extra 3" da gemacht haben, diese
dicken Bretter, die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.
Kabelka: Schaffen wir nicht!
Böhmermann: Und ich sage: Hut ab! Große Nummer!
Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die "heute-show", wie gut die ist!
Böhmermann: Die "heute-show", die finde ich richtig gut. Wenn ich in der
Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind
von der "heute-show", oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals
sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli! (Kusshand) Liebe Grüße! Riesenfan!
Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen.
Und Satire: "Extra 3" hat in dieser Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst - dafür erst
mal einen großen Applaus! Ja! Mit 'ner Supernummer. Und das muss man vielleicht
mal ... Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder
Quatschsendung, also wahrscheinlich auch diese. Vielleicht, liebe Türken, wenn Sie das
jetzt - (Sirenengeräusch) - wenn Sie das jetzt sehen: Vielleicht müssen wir ihnen da ganz
kurz was erklären: Was die Kollegen von "Extra 3" da gemacht haben, also inhaltlich
humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan
- das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit,
von der Meinungsfreiheit...
Kabelka: Artikel 5!
Böhmermann: Was?
Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.
Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung: Das darf man
hier. Da können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen
oder das muss irgendwie gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was
erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden
ist - von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen, glaub ich, mich erschießen
lassen wollte, glaube ich, wegen dieses komischen Songs, den wir gemacht haben. Und
jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit
geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden! Je suis
"Extra 3".
Kabelka: Sehr gut.
Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in
Mitteleuropa Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit – das eine
ist Satire und Kunst und Spaß - das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?
Kabelka: Schmähkritik.
Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist
Schmähkritik?
Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst,
ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen,
herabsetzt.
Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?
Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.
Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?
Kabelka: Das kann bestraft werden.
Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht
werden - aber erst hinterher, nicht vorher?
Kabelka: Erst hinterher.
Böhmermann: Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert - vielleicht erklären wir es an
einem praktischen Beispiel mal ganz kurz.
Kabelka: Ja, mach doch mal.
Böhmermann: Ich hab ein Gedicht, das heißt "Schmähkritik". Können wir vielleicht
dazu eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song haben? Und können wir
vielleicht ganz kurz nur die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? Sehr gut.
Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?
Kabelka: Darf man NICHT machen.
Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird, das wäre in Deutschland verboten.
Kabelka: Bin der Auffassung: das nicht.
Böhmermann: Okay. Das Gedicht heißt "Schmähkritik".
Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan, der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen schlägt
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken
und Minderheiten unterdrücken,
Böhmermann: Das wäre jetzt quasi 'ne Sache, die ...
Kabelka: Nee!
Kurden treten, Christen hauen
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heißts statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Böhmermann: (lacht über eine Keyboard-Arabeske der Band) Wie gesagt, das ist 'ne
Sache, da muss man ...
Kabelka: Das darf man NICHT machen.
Böhmermann: Das darf man nicht machen.
Kabelka: Nicht "Präsident" sagen.
Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.
Böhmermann: Und das dürfte man in Deutschland ...
Kabelka: Unter aller Kajüte!
Publikum applaudiert
Böhmermann: Ganz kurz. Hey! Hey! Hey!
Kabelka (wütend): Nicht klatschen!
Böhmermann: Dankeschön. Also, das ist jetzt 'ne Geschichte, was könnte da jetzt
passieren?
Kabelka: Unter Umständen nimmt man uns aus der Mediathek! Das kann jetzt
rausgeschnitten werden.
Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er
sich erst mal 'nen Anwalt suchen.
Kabelka: Ja, genau.
Böhmermann (blickt in die Kamera): Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren
Scherzanwalt, Dr. Christian Witz in Berlin, ist ein ganz Toller.
Kabelka: Der berät auch den Berliner Bürgermeister.
Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister, unser Scherzanwalt Dr.
Christian Witz?
Kabelka: Der macht einfach alles.
Böhmermann: Darf der das denn eigentlich?
Kabelka: Der macht Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister
Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz! Nehmen Sie sich 'nen Anwalt,
sagen Sie erst mal, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt Schmähkritik - und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung,
Unterlassungserklärung. Dann wird wahrscheinlich die Sendung, die das gemacht hat
oder der Sender wird dann sagen: Nö, das sehen wir anders, und dann geht man die
Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren... Wichtig ist: Sie müssen dafür
sorgen, dass es nicht im Internet landet. Ganz wichtig, dass die Ausschnitte nicht...
Kabelka: Aber das macht doch keiner!
Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen.
Kabelka: Man hat's in der Mediathek, normalerweise.
Böhmermann: Warum soll mans dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?
Kabelka: Ich glaub schon.
Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig. Ich fand's auch echt schön als Bürger der
Bundesrepublik Deutschland, dass in dieser Woche so ein großer Konsens auf einmal
herrschte nach Monaten des Streites, die Leute gegeneinander, die Gesellschaft gespalten,
und in dieser Woche haben wir Deutschen endlich mal wieder mit einer Stimme
gesprochen, wenn es gegen Despoten geht, die die Meinungsfreiheit auslegen, wie man
nur Meinungsfreiheit auslegt wenn man Despot oder Diktator ist. Erdogan oder auch in
Europa gibt es Victor Orban, Beata Szydlo von der PIS-Partei, die Ministerpräsidentin
von unserem tollen Nachbarland Polen, Marien Le Pen vom Front National, Pim Fortuyn
aus Holland, HC Strache von der FPÖ. Aus so autoritäre Nationalisten, Frauke Petry
natürlich. Alles Leute, wo man sich gewünscht hat, es müssten mehr Leute aufstehen.
Wladimir Putin, Donald Trump könnte der nächste amerikanische Präsident werden. Ich
finde es ganz tool, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind. Wer
Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.
3 das Gesetz
/"/"
15. April 2016, 13:04 Uhr
Schmähgedicht auf Erdogan
Bundesregierung lässt Strafverfahren gegen
Böhmermann zu
Auf Jan Böhmermann kommt ein Verfahren wegen möglicher Beleidigung des
türkischen Staatschefs Erdogan zu. Laut Kanzlerin Merkel hat die
Bundesregierung dem Verlangen Ankaras entsprochen. Der entscheidende Paragraf
103 soll jedoch bis 2018 abgeschafft werden.
Die Entscheidung ist gefallen: Die Bundesregierung hat auf Wunsch der Türkei den
deutschen Justizbehörden die Ermächtigung erteilt, ein Strafverfahren gegen den Satiriker
Jan Böhmermann wegen möglicher Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip
Erdogan einzuleiten. Das teilte Kanzlerin Angela Merkel in einer Erklärung mit.
"Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und
Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die
Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen", sagte Merkel. In Deutschland solle nicht die
Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben. Die Ermächtigung stelle keine
Vorverurteilung Böhmermanns dar.
Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB). Wer einen
ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder einer
Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre
Freiheitsentzug.
Merkel teilte jedoch auch mit, dass dieser Paragraf bis 2018 abgeschafft werde. Er sei
"für die Zukunft entbehrlich".
Merkels Erklärung im Video:
Die Kanzlerin bestätigte, dass es vor der Entscheidung in der Koalition Uneinigkeit
gegeben habe. Das hatte zuvor der SPIEGEL berichtet: Insbesondere das Kanzleramt und
das Auswärtige Amt hätten sich in den vergangenen Tagen nicht auf eine gemeinsame
Linie zu dem Begehren der türkischen Regierung einigen können. Es habe
"unterschiedliche Auffassungen" zwischen Union und SPD" zu dem Verlangen der
türkischen Regierung gegeben, sagte Merkel.
Kritik von SPD-Fraktionschef Oppermann
Unmittelbar nach Merkels Erklärung kritisierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann
die Entscheidung. "Ich halte die Entscheidung für falsch", teilte er über Twitter mit:
"Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne
Demokratie."
Merkel pochte in ihrer Erklärung auf das Grundrecht der Meinungs-, Presse- und
Kunstfreiheit und forderte dies auch von der Türkei ein. "Im Rechtsstaat ist die Justiz
unabhängig. In ihm gilt die Unschuldsvermutung."
Video: Erdogan vs. Böhmermann
In einem als Schmähkritik betitelten Gedicht hatte Böhmermann in seiner satirischen TVShow "Neo Magazin Royale" im ZDF über den türkischen Präsidenten gespottet. Er hatte
dabei deutlich gemacht, dass er dies bewusst tue, um die Grenzen von Presse-, Meinungsund Kunstfreiheit aufzuzeigen.
Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger hat angekündigt, notfalls durch alle
Instanzen zu gehen, damit Böhmermann bestraft werde.
Videochronik: Böhmermann vs. Erdogan
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, kritisiert die
Entscheidung der Bundesregierung. "Ich finde die Entscheidung falsch", sagte er der
"Berliner Zeitung". "Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht
zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet." Denn Erdogan habe ja
auch als Privatperson Strafantrag gestellt. Dabei hätte man es belassen sollen, sagte
Sofuoglu.
als/dpa/Reuters
URL:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-bundesregierung-laesststrafverfahren-zu-a-1087400.html
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Trotz Widerstands von Mitarbeitern: Böhmermann-Video bleibt im
ZDF-"Giftschrank" (14.04.2016)
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/boehmermann-video-bleibt-im-zdfgiftschrank-a-1087202.html
Streit mit der Türkei: Böhmermann gibt keine Unterlassungserklärung ab
(14.04.2016)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-gibt-keineunterlassungserklaerung-ab-a-1087093.html
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(13.04.2016)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-bundesregierunghat-bisher-nicht-entschieden-a-1086963.html
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Merkel in der Böhmermann-Affäre: Gedicht, gekuscht, gestrauchelt (12.04.2016)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/boehmermann-warum-merkel-ueberein-gedicht-stuerzen-koennte-a-1086553.html
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18. April 2016, 13:27 Uhr
Böhmermann-Eklat
Witz, komm raus!
Eine Kolumne von Jakob Augstein
Der Fall Böhmermann ist ein deutsches Lehrstück. Die Erkenntnisse lauten bis
jetzt: Merkel hat Recht. Erdogan hat Rechte. Und Böhmermann soll sich nicht so
anstellen.
Manchmal, ganz selten, kann einem die Kanzlerin leidtun. Dann erinnert sie an den
Feldherren aus "Asterix und die Goten": "Sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef!"
Sie hat die Eurokrise und das Flüchtlingschaos an der Hacke. Im Weißen Haus sitzt
vielleicht bald ein Irrer und aus London droht der Brexit . Als wäre das noch nicht genug,
musste Angela Merkel nun noch eine Hauptrolle in Böhmermanns Satire-Saga spielen.
Immerhin: als einzige hat sie ihre Sache gut gemacht. ( Lesen Sie hier die Titelgeschichte
zum Fall Böhmermann im aktuellen SPIEGEL ).
Auf einer Pressekonferenz hat die Kanzlerin am Freitag erklärt, dass die Bundesregierung
sich einer Eröffnung eines Verfahrens gegen Jan Böhmermann nach Paragraf 103 des
Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nicht in den Weg stellen werde .
Außerdem hat sie angekündigt, den Paragrafen danach so schnell wie möglich
aufzuheben . Ein Aufheulen ging durch das Land. Die "Welt" schrieb: "Kotau vor
Erdogan."
Und Sahra Wagenknecht schrieb: "Unerträglicher Kotau: Merkel kuscht vor türkischem
Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland". Von ganz rechts bis ganz
links haben viele Leute offenbar nicht verstanden, was geschehen ist. Merkel hat weder
Böhmermann noch die Pressefreiheit "geopfert". Sie hat die Sache an die Justiz
weitergegeben. Dort gehört sie hin.
Was hätte die Kanzlerin sonst machen sollen? Die Ermittlungen nach jenem unsinnigen
Paragraf 103 erst unterbinden - und den Paragrafen dann schnell abschaffen? Das wäre
ein tolles Beispiel für den vielbeschworenen Rechtsstaat gewesen, den wir den Türken
doch vorleben wollen.
Auch Jan Böhmermann könnte eigentlich zufrieden sein. Vor Gericht drohen ihm nicht
mehr als ein paar Tagessätze - aber zum Ausgleich gibt es ewigen Ruhm: als Heros der
Freiheit. Andere Leute müssen dafür bedeutend härtere Herausforderungen bestehen. In
der Türkei zum Beispiel. Als Böhmermann seinen Witz gemacht hat, lag sein Risiko bei
null. Dafür war sein Entsetzen, als der Sender, die Öffentlichkeit, die Politik reagierte,
umso größer. Jetzt ist er total erschöpft. Er hat erst einmal eine Auszeit genommen. Alles
setzt ihm sehr zu. Das ZDF hat vollstes Verständnis. Deutschland, deine Helden!
Aber der Öffentlichkeit ist das egal. In den Zeitungen und auf den Netzseiten haben sich
ganz viele Leute für Böhmermann eingesetzt.
Springer-Chef Mathias Döpfner hat ihm einen offenen Brief geschrieben: "Ich finde Ihr
Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht." Und in der "Zeit" gab es eine
Solidaritätsadresse, die von der SPIEGEL-ONLINE-Kolumnistin Sibylle Berg bis zum
Links-Griechen Varoufakis unheimlich viele Unterschriften ziert und in der es heißt: "Es
ist Aufgabe von Kunst und Satire, gesellschaftliche Grenzen immer wieder neu
auszuloten und öffentliche Diskurse zu entfachen."
Die Illustration eines Rechtsbruchs ist ein Rechtsbruch
Nur den Text, um den es geht, den findet man selten. Hin und wieder ein Zitat. Die
Deutsche Presse-Agentur (dpa) formulierte etwas verschämt, das Gedicht habe
"zahlreiche Formulierungen" enthalten, "die unter die Gürtellinie zielten". Kommt Leute.
Ihr seid für die Freiheit des Wortes, dann hört euch dieses freie Wort doch noch mal in
Ruhe an (in voller Länge hier dokumentiert auf SPIEGEL ONLINE ):
"Jeden Türken hört man flöten, die dumme Sau hat
Schrumpelklöten. Von Ankara bis Istanbul weiß jeder, dieser Mann ist
schwul, pervers, verlaust und zoophil, Recep Fritzl Priklopil. Sein
Kopf so leer wie seine Eier, der Star auf jeder Gang-Bang-Feier. Bis
der Schwanz beim Pinkeln brennt, das ist Recep Erdogan, der
türkische Präsident."
Vielfach wurde argumentiert, Böhmermanns Erdogan-Nummer sei schon deshalb
vertretbar, weil sie in eine distanzierende Anmoderation verpackt war. Der Moderator
denkt laut über die Grenzen des in Deutschland Erlaubten nach und bringt sein eigenes
Gedicht als Beispiel für einen Rechtsbruch. Doch auch der Rechtsbruch zum Zweck der
Illustration ist ein Rechtsbruch. Wenn man zu Anschauungszwecken an der Straßenecke
eine Oma niederschlägt, um das Gewaltverbot zu erläutern, war das dennoch
Körperverletzung.
Aber Böhmermanns Verleger Helge Malchow spricht in der "Süddeutschen Zeitung" von
"Kontext-Kommunikation", die sei "das Wesen moderner Kunst. In unserer
hochkomplexen Gesellschaft gibt es oft kein eigentliches Sprechen mehr. Man muss
immer den Kontext mitdenken".
Satire - kein Rechtsschutz für verbale Gewalt
Aha. Wenn also alles im richtigen Kontext steht, dann sind die Grenzen nach oben und
unten hin offen. Oder doch nicht? Vielleicht stört Böhmermanns Erdogan-Gedicht die
Deutschen nur deshalb so wenig, weil er sich einen muslimischen Staatschef zum Ziel
nimmt. Mit dem kann man es ja machen. Wie wäre es denn gewesen, wenn Böhmermann
lauter antisemitische Klischees benutzt hätte und nicht anti-muslimische?
In einem der wenigen nachdenklichen Texte, die über die Causa Böhmermann erschienen
sind, hat die Journalistin Caroline Fetscher geschrieben: "Jeder Antisemit und Neonazi
dürfte seine hate speech, derart gerahmt, öffentlich zur Satire nobilitieren. "Was jetzt
kommt, liebe Juden, das zu sagen, ist strafrechtlich relevant!", oder:
"Asylantenheime anzünden, nein, das ist verboten, man darf also nicht ..." Zynisch
zwinkernd würde der Neo-Satiriker beteuern: "Ich wollte doch nur auf lustige Weise
Gesetze erläutern."
Artikel 1 des Grundgesetzes handelt von der Würde des Menschen. Sie wiegt schwerer,
als das Recht auf dumme Witze. Erdogan kann noch so brutal und gefährlich sein. Der
Satire-Begriff ist kein Rechtsschutz für verbale Gewalt.
"Kunst kommt nun einmal nicht von Kotzen." Der Satz stand in der "Süddeutschen
Zeitung". Allerdings ist er schon älter, genau zwanzig Jahre. Damals hatte Christoph
Schlingensief zur Tötung von Helmut Kohl aufgerufen.
URL:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-witz-komm-rauskolumne-a-1087731.html
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Schmähgedicht über Erdogan: Wie es juristisch für Böhmermann weitergeht
(15.04.2016)
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