Textauszug/Browse content

Transcription

Textauszug/Browse content
Erläuterungen
163
Vorbemerkung
Die Erläuterungen, die hier folgen, sind nicht das Ergebnis eigener Forschung, sondern nur das Ergebnis dessen,
was ich der Dante-Kommentarliteratur als unstreitig entnommen habe. In erster Linie diente die italienische
Ausgabe, die ich auch der Übersetzung zugrundegelegt habe, hrsg. von A. Chiari mit Anmerkungen von G.
Robuschi als Quelle1. Aus ihr ist auch der Text des Inhaltsverzeichnisses (S. V ff.) übersetzt.
Einige eigene Zutaten sind durch „Vb“. gekennzeichnet. Diese betreffen neben Zitaten aus Referenztexten der
Divina Commedia vor allem die Dante-Rezeption in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Die letzteren
werden zitiert als „T.M.“2.
Die Bezugnahmen auf die Divina Commedia in Thomas Manns Zauberberg sind zahlreich. Man kann – neben
zahlreichen anderen Interpretationsmustern! – das Davoser Sanatorium und sein Umfeld durchaus mit Dantes
„Inferno“ in Beziehung setzen, wenngleich solche Abgleichungen nie restlos aufgehen und die Interpretation
manches Fundstücks gewiß über die Intention des Autors hinausgeht. Immerhin wird Hofrat Behrens wiederholt ausdrücklich als „Minos“ oder – funktionell gleichwertig – als „Radamanthys“ bezeichnet (T.M., S. 273
[„Höllenrichter“], 539, 581, 618, 655 [„Schattenfürst“], 730, 868). Daß der Hofrat beim Hexensabbat am Ende des
ersten Teils des Romans einen „echten türkischen Fez, karminrot, mit schwarzer Troddel, die ihm über das Ohr
baumelt“ (T.M., S. 459), trägt, wird den Leser des Inferno an das Schwingen des Minos mit dem Schweif erinnern. Der „hinkende [pferdefüßige?] Concièrge“ des Sanatoriums wird früh (T.M., S. 15) eingeführt und hartnäckig in Erinnerung gerufen (T.M., S. 587, 592, 729, 852 f.). Die Insassen des Sanatoriums werden als „Schatten“
(T.M., S. 85) bezeichnet; und auch von Luzifer ist (T.M., S. 619) die Rede. In dem Bericht über eine Irrenanstalt
werden „dantische Szenen“ (T.M., S. 626) beschworen; Beatrice wird mehrfach (T.M., S. 223, 717, 811) erwähnt.
Über weitere ausführliche Bezugnahmen auf Einzelpunkte des Inferno s. die Hinweise zum 1. Gesang, V. 62,
123; 5. Gesang, V. 141 f., 15. Gesang, V. 30.
Der Zauberberg ist nicht das einzige Mann’sche Werk mit Verbindungen zur Divina Commedia und insbesondere zum Inferno. Im Roman „Doktor Faustus“, dem sogar die Anrufung von Muse und Genius (Inferno II. 7-9)
als Motto vorangestellt ist, sind die Bezugnahmen womöglich noch häufiger. Darüber hinaus kann man das
Grundmotiv des Romans geradezu als Gegenstück zur Divina Commedia lesen. Trifft die Interpretation zu, daß
das Verhältnis von Vergil zu Dante dasjenige des Geistes zur Seele ist, der Geist also die Seele durch die Hölle
und einen großen Teil des Büßerlandes leitet und ihr Mut zuspricht, so hat sich im Verhältnis von Adrian Leverkühn und Serenus Zeitblohm dieses Verhältnis umgekehrt: Der durch Zeitblohm repräsentierte Geist ist zum
hilflosen Vertreter klassischer Bildung herabgesunken, während die mit dem Teufel paktierende Seele Leverkühn mit kühner Zukunftsmusik „die 9. Symphonie zurücknehmen“ will, also alles das zerstören will, wofür
der Geist steht.
Für Juristen, vor allem für Strafrechtler, ist die negative Hierarchie der Höllenkreise und ihrer Insassen von besonderem Interesse. Hierüber läßt Dante den Virgil im 11. Gesang, Verse 22 ff., des Inferno eine regelrechte
Lehrstunde abhalten. Ein Vergleich mit heutigen strafrechtswissenschaftlichen Vorstellungen über die Wertskala der strafrechtlich geschützten Rechte bzw. Rechtsgüter (die sich in den gesetzlichen Strafmaßen niederschlägt) verdiente eine eigene Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann.
Erster Gesang
1
Von der in der Bibel genannten Lebensdauer von 70 Jahren ausgehend errechnet sich damit ein Alter
von 35 Jahren. Dante ist im Jahre 1265 geboren, es ist daher das Jahr 1300 gemeint. Zu dieser Zeit waren zwar die Kämpfe zwischen den Ghibellinen und Guelfen (Anhängern und Gegnern eines starken
Kaisertums) beendet, die Parteikämpfe aber setzten sich fort. Dantes Eltern gehörten den Guelfen, der
herrschenden Partei in Florenz, an. Später entwickelte sich aus einem Familienzwist in Pistoia der
Kampf der „Schwarzen und Weißen“. Als Dante nach anfänglicher Zurückhaltung für die Weißen Partei ergriff, führte dies zu seiner Verbannung aus Florenz.
1
2
Dante Alighieri: La Divina Commedia. Introduzione di A. Chiari. Note di G. Robuschi. 4a edizione. Milano (dicembre) 1965.
Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band III. Der Zauberberg. Roman. Frankfurt M. (Fischer-Taschenbuch
Verlag) 1990.
Canto primo
Erster Gesang
Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
chè la diritta via era smarita.
Gerad’ in uns’res Lebensweges Mitte
Erwachte ich in düstern Waldes Schatten;
Verlor’n der gerade Weg für weit’re Schritte.
3
Ah quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinnova la paura!
Ihn zu beschreiben will die Stimm’ ermatten,
So dunkel, wild und dicht war dieser Wald,
Daß kaum die Angst Erinn’rung will gestatten,
6
Tant’ è amara, che poco è più morte;
ma per trattar del ben ch’io vi trovai,
dirò dell’altre cose ch’i’ v’ho scorte.
So bitter fast wie Todes Allgewalt.
Doch um vom Heile, das ich dort gefunden,
Zu künden, wähl’ ich anderen Gehalt.
9
Io non so ben ridir com’io v’entrai,
tant’era pieno di sonno a quel punto
che la verace via abbandonai.
Wie ich hineingelangt, ist mir entschwunden,
Weil mir der Sinn vom Schlafe war umrankt,
Als ich den Weg verlor in jenen Stunden.
12
Ma poi ch’i’ fui al piè d’un colle giunto,
là dove terminava quella valle
che m’avea di paura il cor compunto,
Am Fuße eines Hügels angelangt,
Der dort die Länge dieses Tals beschloß,
Dem meine Seele ihre Angst verdankt’,
15
guardai in alto, e vidi le sue spalle
vestite già de’ raggi del pianeta
che mena dritto altrui per ogni calle.
Sah ich hinauf. Auf seinen Schultern sproß
Jenes Planeten Strahl, der Richtung schildert,
Woraus manch’ and’rer Weisung schon genoß.
18
Allor fu la paura un pocco queta
che nel lago del cor m’era durata
la notte ch’i’ passai con tanta pièta.
Da ward die Angst ein wenig abgemildert,
Die lastend auf des Herzens See geschwommen
In jener Nacht, von Träumen bang bebildert.
21
E come quei, che con lena affannata
uscito fuor del pelago alla riva,
si volge all’aqua perigliosa e guata;
Und wie der Meerentronnene, benommen
Den Blick wirft auf des Ozeanes Schäumen
Vom Ufer rückwärts, das er hat erklommen,
24
così l’animo mio, ch’ancor fuggiva,
si volse a retro a rimirar lo passo
che non lasciò già mai persona viva.
So wandte sich mein Geist aus sich’ren Räumen
Zurück, zu jenes Tales Wildnis tastend,
Das nie lebend’gen Ausbruch ließ erträumen.
27
Poi ch’èi posato un poco il corpo lasso,
ripresi via per la spiaggia diserta,
sì che ’l piè fermo sempre era ’l più basso.
Den müden Körper kurze Weile rastend
Saß ich; dann ging’s hinan die öde Strecke,
Den fest’ren Fuß zuunterst stets belastend.
30
Ed ecco, quasi al cominciar dell’erta,
una lonza leggiera e presta molto,
che di pel maculato era coverta;
Doch bald, gerad’ an einer Felsenecke
Ein schneller Leopard schreckt’ mich zurück;
Er stand vor mir mit reichem Fellgeflecke
33
e non mi si partìa d’innanzi al volto,
anzi impediva tanto il mio cammino,
ch’i’ fui per ritornar più volte volto.
Und ließ mich nicht mehr aus dem Katzenblick.
Ein Hemmnis war er meiner schweren Reise;
Allein der Rückweg schien der Rettung Glück.
36
Temp’ era del principio del mattino,
e ’l sol montava ’n su con quelle stelle
ch’eran con lui quando l’amor divino
Die Sonne meldete den Tag im Kreise
Der Sterne, welche schon emporgestiegen
Am Tag, als Gottesliebe, ewig weise,
39
13
14
Canto primo / Erster Gesang
mosse di prima quelle cose belle;
sè ch’a bene sperar m’era cagione
di quella fera alla gaetta pelle
Den Kosmos einst das Chaos ließ besiegen.
Schon wollten Morgenstund’ und Frühlingshelle
In trügerischer Sicherheit mich wiegen
42
l’ora del tempo e la dolce stagione;
ma non sì che paura non mi desse
la vista che m’apparve d’un leone.
Vor jenem wilden Tier im Pardelfelle,
Als jäh mein Blick, rückwärtig im Bewegen,
Eröffnet’ eines neuen Schreckens Quelle.
45
Questi parea che contra me venesse
con la test’alta e con rabbiosa fame,
sì che parea che l’aere ne temesse.
Ein Löwe schlich mir hohen Haupts entgegen.
Der Hunger quält’ ihn wild, daß selbst die Lüfte
Vor ihm in Furcht sich schienen zu bewegen.
48
Ed una lupa, che di tutte brame
sembrava carca nella sua magrezza,
e molte genti fè già viver grame,
Und eine Wölfin stand auf dem Geschlüfte.
Obwohl auf Knochen mager, schien sie trächtig
Von allen Lüsten, und ihr laut Gerüfte
51
questa mi porse tanto di gravezza
con la paura ch’uscìa di sua vista,
ch’io perdei la speranza dell’altezza.
Schreckt’ viele schon. Erneut ward in mir mächtig
Die bange Furcht vor ihrem wilden Blick.
Die Höhe ewig zu verfehlen, dächt ich.
54
E qual è quei che volentieri acquista,
e giugne ’l tempo che perder lo face,
che ’n tutt’i suoi pensier piange e s’attrista;
Und so wie der, dem günstig ist das Glück,
Den Vorteil gern ergreift, der ihm beschieden,
Doch Tränen weint, wenn herbe sein Geschick,
57
tal mi fece la bestia sanza pace,
che, venendomi incontro, a poco a poco
mi ripigneva là dove ’l sol tace.
So stahl die Bestie mir meinen Frieden,
Als sie mich, Schritt um Schritt den Pfad beengend,
60
Zur Tiefe zwang, die von der Sonn’ gemieden.
Mentre ch’i’ ruvinava in basso loco,
dinanzi agli occhi mi si fu offerto
chi per lungo silenzio parea fioco.
Am Fuß des Bergs sah ich, die Tritte zwängend,
Eine Gestalt, die mir erschien, als müßte
Nach langem Schweigen die Ermüdung, drängend, 63
Quando vidi costui nel gran diserto,
„Miserere di me“ gridai a lui,
„qual che tu sii, od ombra od uomo certo!“
Besiegen sie in hoffnungsloser Wüste.
„Ob du ein Mensch, ob aus den Schattenlanden,
Erbarm dich!“ rief ich von des Berges Küste.
Rispuosemi: „Non omo, omo già fui;
e li parenti miei furon lombardi,
mantovani per patrïa ambedui.
Er sprach: „Ich bin als Mensch nicht mehr vorhanden.
Es waren meine Eltern Langobaren.
69
In Mantua hat einst ihr Haus gestanden
Nacqui sub Julio, ancor che fosse tardi,
e vissi a Roma sotto ’l buono Augusto,
al tempo delli dei falsi e bugiardi.
Gebor’n noch unter Julius, dem Cäsaren,
Lebt ich in Rom, dess’ Götter, voller Lug,
Unter Augustus noch in Blüte waren.
72
Poeta fui, e cantai di quel giusto
figliuol d’Anchise che venne da Troia,
poi che ’l superbo Ilïòn fu combusto.
Als Dichter sang ich, wie Aeneas trug
Den Vater aus der rauchgeschwärzten Mauer
Des stolzen Troja, das Ulysses schlug.
75
Ma tu perchè ritorni a tanta noia?
perche non sali il dilettoso monte
ch’è principio e cagion di tutta gioia?“
Doch was treibt dich zurück in diese Schauer?
Warum erklimmst du nicht den Berg der Helle,
Der aller Freude Anfang ist und Dauer?“
78
66
Canto primo / Erster Gesang
15
„Or se’ tu quel e quella fonte
che spandi di parlar sì largo fiume?“
rispuos’io lui con vergognosa fronte.
„Bist du Virgil? Bist du die reiche Quelle,
Aus der der Rede Fluß so mächtig bricht?“
Rief ich schamrot in atemloser Schnelle,
81
„O delli altri poeti onore e lume,
vagliami ’l lungo studio e ’l grande amore
che m’ ha fatto cercar lo tuo volume.
„Oh du, der andren Dichter Ehr und Licht,
Die große Müh und Liebe mir vergelt’,
Die ich im Studium deines Werks verricht’.
84
Tu se’ lo mio maestro e ’l mio autore;
Tu se’ solo colui da cu’ io tolsi
lo bello stilo ch m’ha fatto onore.
Du bist mein Lehrer und mein Dichterheld,
Dir ganz alleine dank ich es, wenn Ehre
Die Welt dem Stile meines Werks vermeldt.
87
Vedi la bestia per cu’ io mi volsi:
aiutami da lei, famoso saggio,
ch’ella mi fa tremar le vene e i polsi.“
Berühmter Weiser, Hilfe mir gewähre!
Dies Tier, das Herz und Adern mir bedräut,
Es hat veranlaßt meines Weges Kehre“.
90
„A te convien tenere altro vïaggio“
rispuose poi che lagrimar mi vide,
„se vuo’ campar d’esto loco selvaggio:
„Anderen Weg zu gehn ist dir gebeut“,
Sprach er, als er gewahrte meine Tränen,
„Strebst du aus dieser Wildnis. Keinen Deut
93
chè questa bestia, per la qual tu gride,
non lascia altrui passar per la sua via,
ma tanto lo ’mpedisce che l’uccide;
Läßt dieses Tier, das dich gebracht zum Stöhnen,
Dich weiterziehen; nein, es sperrt die Straße,
Bis ihm dein Tod gestillt sein gierig Sehnen.
96
e ha natura sì malvagia e ria,
che mai non empie la bramosa voglia,
e dopo ’l pasto ha più fame che pria.
Denn bös’ und brünstig ist’s in solchem Maße,
Daß größ’re Gier im Magen und im Schlund
Ihm nach der Mahlzeit sitzt als vor dem Fraße.
99
Molti son li animali a cui s’ammoglia,
e più saranno ancora, infin che ’l Veltro
verrà, che la farà morir con doglia.
Mit vielen Tieren kopuliert es, und
Noch weiter wird es gierig dess’ begehren,
Bis es zur Strecke bringt der große Hund.
102
Questi non ciberà terra nè peltro,
ma sapïenza, amore e virtute,
e sua nazion sarà tra feltro e feltro.
Der wird sich nicht von Land und Sold ernähren,
Weil Weisheit, Lieb’ und Tugend ihm genügt;
Ein schlichtes Zelt der Mark wird ihn gebären
105
Di quella umile Italia fia salute
per cui morì la vergine Cammilla,
Eurialo e Turno e Niso di ferute.
Zum Heil Italiens, das darniederliegt,
Für das Cammilla hat den Tod ertragen,
Turnus, Nisus, Eurialus besiegt.
108
Questi la caccerà per ogni villa,
fin che l’avrà rimessa nello ’nferno,
là onde invidia prima dipartilla.
Er wird dies Tier durch alle Orte jagen,
Bis er zurück zur Hölle hat’s gehetzt,
Von wo der Neid es einst hinausgetragen.
111
Ond’io per lo tuo me’ penso e discerno
che tu mi segui, e io sarò tua guida,
e trarrotti di qui per luogo etterno,
Dir aber den Entschluß verkünd’ ich jetzt:
Du sollst mir folgen, und ich will dich leiten;
Ew’ge Gefilde sei’n als Ziel gesetzt.
114
ove udirai le disperate strida,
vedrai li antichi spiriti dolenti,
che la seconda morte ciascun grida;
Du wirst verzweifeltes Gestöhn durchschreiten,
Wirst alte Geister heftig bitten sehen,
Ein zweites Sterben ihnen zu bereiten.
117
16
Canto primo / Erster Gesang
e vederai color che son contenti
nel foco, perchè speran di venire
quando che sia alle beate genti.
Sodann wirst du am Kreis Zufried’ner stehen,
Welche im Läutrungsfeuer darauf bauen,
in die Gefilde Sel’ger einzugehen.
120
Alle qua’ poi se tu vorrai salire,
anima fia a ciò più di me degna:
con lei ti lascerò nel mio partire;
Willst du dann auch noch diese selber schauen,
Muß ich, der dich bis dahin hat geführt,
Dich würdigeren Händen anvertrauen,
123
chè quello imperador che là su regna,
perch’io fu’ ribellante alla sua legge,
non vuol che ’n sua città per me si vegna.
Der Kaiser, welcher oben hoch regiert,
Sperrt seine Stadt für den, den ich geleite,
Der gegen sein Gesetz hat rebelliert.
126
In tutte parti impera e quivi regge;
quivi è la sua città e l’alto seggio:
oh felice colui cu’ ivi elegge!“
Er herrschet in der ganzen Läng und Breite,
Wo seine Stadt ist und sein Sessel steht.
Glückselig der, dem jenes Tor sich weite!“
129
E io a lui: „Poeta, io ti richeggio
per quello Dio che tu non conoscesti,
acciò ch’io fugga questo male e peggio,
Drauf ich zu ihm: „Ich fleh’ dich an, Poet,
Bei jenem Gott, den du noch nicht gekannt,
Hilf mir zur Flucht aus diesem Tal der Nöt’!
132
che tu mi meni là dove or dicesti,
sì ch’ìo veggia la porta di san Pietro,
e color che tu fai cotanto mesti.“
Führ mich zur Stelle, die du mir genannt,
Daß ich gelange zu Sankt Peters Pforte,
Und jenen Traurigen im Höllenbrand“.
135
Allor si mosse, e io li tenni retro.
Da führt’ er mich hinweg von jenem Orte.
Canto secondo
Zweiter Gesang
Lo giorno se n’andava, e l’aere bruno
toglieva li animai che sono in terra
dalle fatiche loro; e io sol uno
Der Sonnentag ging hin im braunen Duste,
Befreiend alle Seelen in dem Kreise
Von ihrer Last. Nur ich allein, ich mußte
3
m’apparecchiava a sostener la guerra
sì del cammino e sì della pietate,
che ritrarrà la mente che non erra.
Zur Müh’ mich rüsten einer schweren Reise
Und eines Leidens, das, wie es gewesen,
Untrügliche Erinnerung jetzt erweise.
6
O muse, o alto ingegno, or m’aiutate,
o mente che scrivesti ciò ch’io vidi,
qui si parrà la tua nobilitate.
Musen und Genius, laßt im Geist mich lesen;
Erinnerung, die behält, was ich gesehen,
Zeig nun den Adel, welcher ist dein Wesen. –
9
Io cominciai: „Poeta che mi guidi,
guarda la mia virtù s’ell’ è possente,
prima ch’all’alto passo tu mi fidi.
„Dichter und Führer“, sprach ich, „vor dem Gehen
Prüf ’ meine Kraft, und sag, ob du mit Gründen
Den hohen Pfad mir zutraust zu bestehen.
12
Tu dici che di Silvïo il parente,
corruttibile ancora, ad immortale
secolo andò, e fu sensibilmente.
Du sagst zwar, daß Aeneas an den Schlünden
Der ew’gen Schatten einstens hat gesessen
Als Sterblicher von Fleisch und Blut. Doch finden
15
Però se l’avversario d’ogni male
cortese i fu, pensando l’alto effetto
ch’uscir dovea di lui e ’l chi e ’l quale,
Die Menschen mit Verstand es angemessen,
Wenn gnädig ER, des Bösen Feind, beschlossen,
Wegen der Taten, Kraft und Wirkung dessen,
18
non pare indegno ad omo d’intelletto;
ch’e’ fu dell’ alma Roma e di suo impero
nell’ empireo ciel per padre eletto:
Zu schonen ihn. Auch sollte einst, entsprossen
Aus seinem Stamm, Roms und des Reiches Macht
Ersteh’n nach Himmels Wunsch. Denn angestoßen
21
la quale e ’l quale, a voler dir lo vero,
fur stabilita per lo loco santo
u’ siede il successor del maggior Piero.
Durch seine Tat – die Wahrheit sei gesagt –
Ward auch die Gründung jener heilgen Zone,
Wo heut’ der Thron des Erben Petri wacht.
24
Per questa andata onde li dai tu vanto,
intese cose che furon cagione
di sua vittoria e del papale ammanto.
Die Wandrung – rühmst du – hab’ Anchises’ Sohne
Wissen vertraut gemacht, das später führte
27
Ihn hin zum Sieg und jenen hin zum Throne.
Andovvi poi lo Vas d’elezïone,
per recarne conforto a quella fede
ch’è principio alla via di salvazione.
Dann kam noch das Gefäß, das gottgekürte,
Um jenes Glaubens Kräfte dort zu gründen,
Der zu dem Pfade der Erlösung führte.
30
Ma io, perchè venirvi? O chi ’l concede?
Io non Enëa, io non Paulo sono:
me degno a ciò nè io nè altri crede.
Ich aber? Warum ich? Wer tat es künden?
Bin ich Aeneas oder Paul? Erwählt
Kann weder ich noch anderer mich finden.
33
Per che, se del venire io m’abbandono,
temo che la venuta non sia folle:
se’ savio; intendi me’ ch’ i’ non ragiono.“
Und weil auch vom Entschlusse fern mich hält
Die Furcht, als dumm zu gelten, oh begreife,
Weiser, wie schwer mir die Entscheidung fällt“.
36
E qual è quei che disvuol ciò che volle
e per novi pensier cangia proposta,
sì che dal cominciar tutto si tolle,
Und so, wie ein Entschluß verliert die Reife,
Wenn jene, die nicht woll’n, was sie erstreben,
Zulassen, daß sie Handlungsfurcht ergreife,
39
17
18
Canto secondo / Zweiter Gesang
tal mi fec’ io in quella oscura costa,
perchè, pensando, consumai la ’mpresa
che fu nel cominciar cotanto tosta.
So hatte den Entschluß mir eingegeben
Das finstre Tal. Doch als ich’s neu bedacht,
Fühlt’ ich mich vor dem Wagnis ängstlich beben.
42
„S’i’ ho ben la tua parola intesa“
rispuose del magnanimo quell’ombra,
„l’anima tua è da viltate offesa,
„Wenn richtig deine Worte ich eracht’“,
Erwiderte der großen Seele Bild,
„So fiel dein Geist in jener Zagheit Nacht,
45
la qual molte fïate l’omo ingombra
sì che d’onrata impresa lo rivolve,
come falso veder bestia quand’ombra.
Die oft den Menschen schwächt, so daß ihm gilt
Die ehrenvolle Tat nicht mehr als Pfand,
Wie wenn vor einem Schatten flieht das Wild.
48
Da questa tema acciò che tu ti solve,
dirotti perch’io venni e quel ch’io ’ntesi
nel primo punto che di te mi dolve.
Auf daß nun diese Furcht von dir gewandt,
Bericht ich dir, wie ich zuerst erglommen,
Und wie mich großes Mitleid an dich band.
51
Io era tra color che son sospesi,
e donna mi chiamò beata e bella,
tal che di comandare io la richiesi.
Bei jenen, welche nicht sind aufgenommen
Ins Paradies, rief eine selig-schöne Frau
Mich an. Ich bat, Befehle zu bekommen,
54
Lucevan li occhi suoi più che la stella;
e cominciommi a dir soave e piana,
con angelica voce, in sua favella:
Denn sternengleich vor dunklem Himmelsblau
Glänzte ihr Auge; und es sprach mit Trauern
Die süße Engelsstimme, sanft wie Tau:
57
‘O anima cortese mantovana,
di cui la fama ancor nel mondo dura,
e durerà quanto ’l mondo lontana,
‘Vornehme Seele du, aus Mantuas Mauern
Du, dessen Ruhm im Erdkreis ist verbreitet
Und diesen füllt, solang die Erd’ wird dauern:
60
l’amico mio, e non de la ventura,
nella diserta piaggia è impedito
sì nel cammin, che volt’è per paura;
Mein Freund, der nicht der Freund des Glücks ist, schreitet
An einem öden Hang und wird bedrängt
63
So sehr, daß er vor Sorge rückwärts gleitet.
e temo che non sia già sì smarrito,
ch’io mi sia tardi al soccorso levata,
per quel ch’ i’ ho di lui nel cielo udito.
Die Seele ist ihm, fürcht’ ich, so beengt,
Daß ich zu spät als Hilfe komm’, da oben
Im Himmel mir die Kunde ward geschenkt.
66
Or movi, e con la tua parola ornata
e con ciò c’ha mestieri al suo campare
l’aiuta, sì ch’i’ ne sia consolata.
Nun bringe du, die edle Stimm’ erhoben,
Ihm Hilfe, der du gleich ihm im Beruf,
Daß meine Sorge um ihn sei zerstoben.
69
I’ son Beatrice che ti faccio andare;
vegno del loco ove tornar disio;
amor mi mosse, che mi far parlare.
Gehst du, so folgst du Beatrices Ruf.
Zu meinem Platz ich jetzt zurück begehre:
Die Liebe war es, die mir Worte schuf.
72
Quando sarò dinanzi al signor mio,
di te mi loderò sovente a lui.’
Tacette allora, e poi comincia’ io:
Einst, wenn zu meinem Herren heim ich kehre,
Sei sicher, daß ich schwebend dort dich preis’.’
Da schwieg sie, und ich rief: ‘Der Frauen Ehre!
75
‘O donna di virtù, sola per cui
l’umana spezie eccede ogni contento
di quel ciel c’ha minor li cerchi sui,
Durch dich alleine übersteigt den Kreis
Des Himmels, der noch klein’re in der Mitte
Wölbend umfaßt, des Menschensinnes Fleiß.
78
Canto secondo / Zweiter Gesang
19
tanto m’aggrada il tuo comandamento,
che l’ubidir, se già fosse, m’è tardi;
più non t’è uo’ ch’aprirmi il tuo talento.
So glücklich bin ich über deine Bitte,
Daß, wär sie schon erfüllt, wär’s noch zu spät.
Mehr’ Worte braucht es nicht für meine Schritte.
81
Ma dimmi la cagion che non ti guardi
dello scender qua giuso in questo centro
dell’ampio loco ove tornar tu ardi.’
Doch sage mir den Grund noch, der dir rät,
Herab zu dieser Mitte dich zu wagen
Vom Ort, zu dem dein Blick so sehnend späht’.
84
‘Da che tu vuo’ saper cotanto a dentro,
dirotti brievemente’ mi rispose,
‘perch’io non temo di venir qua entro.
‘Da es dein Wunsch ist, will ich’s kurz dir sagen’
Sprach sie zu mir, ‘warum mich ohne Beben
Die Füße meinen Weg hierher getragen.
87
Temer si dee di sole quelle cose
c’hanno potenza di fare altrui male;
dell’altre no, chè non son paurose.
Zum Bangen wäre Anlaß nur gegeben,
Gäb’s eine Macht hier, die mir könnte schaden.
Nichts aber schafft mir sonst ein Furchterleben,
90
Io son fatta da Dio, sua mercè, tale,
che la vostra miseria non mi tange,
nè fiamma d’esto incendio non m’assale.
Da Gott mich so geschaffen hat in Gnaden,
Daß euer Elend mich nicht kann beschleichen,
Noch Feuerflammen sich an mir entladen.
93
Donna è gentil nel ciel, che si compiange
di questo impedimento ov’io ti mando,
sì che duro giudicio là su frange.
Die edle Himmelsfrau ließ sich erweichen
Vom Hindernis, zu welchem ich dich sende,
Daß sie ein mild’res Urteil wollt’ erreichen.
96
Questa chiese Lucia in suo dimando
e disse: – Or ha bisogno il tuo fedele
di te, ed io a te lo raccomando – .
Sie rief Lucia zu sich: „Deiner Hände
Bedarf dein Freund jetzt“, teilte sie ihr mit,
„Geh hin, und Hilfe, die er braucht, ihm spende“.
99
Lucia, nimica di ciascun crudele,
si mosse, e venne al loco dov’i’ era,
che mi sedea con l’antica Rachele.
Lucia, welche niemals Rohes litt,
Brach auf, und erst am Ort, den ich bewohn’,
Auch Sitz der Rahel, hemmte sie den Schritt.
102
Disse: – Beatrice, loda di Dio vera,
chè non soccorri quei che t’amò tanto,
ch’uscì per te della volgare schiera?
Sie sprach: „Beatrix, Schmuck in Gottes Kron’,
Willst du dem, der dich liebte, Hilf ’ versagen?
Der für dich tat Verzicht auf Pöbels Lohn?
105
non odi tu la pièta del suo pianto?
non vedi tu la morte che ’l combatte
su la fiumana ove ’l mar non ha vanto? – .
Hörst du denn nicht die Fülle seiner Klagen?
Siehst du denn nicht, daß ihn der Tod bedrängt
Auf jenem Fluß mit meeresgleichem Schlagen?“
108
Al mondo non fur mai persone ratte
a far lor pro o a fuggir lor danno,
com’ io, dopo cotai parole fatte,
Niemand ward je von Eifer so erfüllt,
Schaden zu meiden, Vorteil zu vermehren,
Wie ich, nachdem mir dieses ward enthüllt.
111
venni qua giù del mio beato scanno,
fidandomi nel tuo parlare onesto,
ch’onora te e quei ch’udito l’hanno.’
Ich kam zu dir herab aus hohen Sphären
Vertrauend auf der edlen Worte Macht,
Die dich und die, die sie vernehmen, ehren’.
114
Poscia che m’ebbe ragionato questo,
li occhi lucenti lacrimando volse;
per che mi fece del venir più presto,
Nachdem sie diese Kunde mir gebracht,
Wandt’ sie ihr Aug’, aus dem die Tränen rannen,
So daß ich schnell mich auf den Weg gemacht.
117
20
Canto secondo / Zweiter Gesang
e venni a te così com’ella volse;
d’innanzi a quella fiera ti levai
che del bel monte il corto andar ti tolse.
Ich kam zu dir, als jene ging von dannen,
Und jenes Untier, das dich nicht ließ gehen
Zum Berg des Heiles, konnte rasch ich bannen.
120
Dunque che è? perchè, perchè restai?
perchè tanta viltà nel cuore allette?
perchè ardire e franchezza non hai?
Was also gibt es? Warum bleibst du stehen?
Warum beherrschet Zagheit dein Gemüte?
Warum läßt du der Kühnheit Sturm nicht wehen?
123
poscia che tai tre donne benedette
curan di te ne la corte del cielo,
e ’l mio parlar tanto ben t’impromette?“
Da drei gebenedeite Frau’n voll Güte
Sich um dich mühen in des Himmels Mauern
Und ich dir im Bericht die Wahrheit biete?“
126
Quali i fioretti, dal notturno gelo
chinati e chiusi, poi che ’l sol li ’mbianca,
si drizzan tutti aperti in loro stelo,
Und wie die Blumen, die im Nachtfrost trauern,
Sich beugen und verschließen, doch dann wieder
Der neuen Sonn’ erblühn in Farbenschauern,
129
tal mi fec’io di ma virtute stanca,
e tanto buono ardire al cor mi corse,
ch’i’ cominciai come persona franca:
So schwebte bald zurück in meine Glieder,
Aus denen er dem kranken Geist entfleucht’,
Der Mut des freien Menschen zu mir nieder:
132
„Oh pietosa colei che mi soccorse!
e te cortese ch’ubidisti tosto
alle vere parole che ti porse!
„Oh Gnäd’ge, welche Hilfe mir gereicht!
Und Edler du, der ohne Widerstreben
Den wahren Worten willig sich geneigt,
135
Tu m’hai con disiderio il cor disposto
sì al venir con le parole tue,
ch’i’ son tornato nel primo proposto.
Du ließest so die Sehnsucht in mir beben,
Die ich sogleich bei deiner Rede hegte,
Daß ich dem ersten Wunsch bin neu ergeben.
138
Or va, ch’un sol volere è d’ambedue:
tu duca, tu segnore, e tu maestro.“
Così li dissi; e poi che mosso fue,
Auf also! Was sich in uns beiden regte,
Macht, Herr und Meister, mich nun nicht mehr bang“,
141
Sprach ich zu ihm, und als er sich bewegte,
entrai per lo cammino alto e silvestro.
Begann ich mit dem großen, schweren Gang.
Canto terzo
Dritter Gesang
Per me si va nella città dolente,
per me si va nell’etterno dolore,
per me si va tra la perduta gente.
Durch mich gelangt man zu des Leidens Gründen,
Durch mich geht man zum Ort der Schmerzenslaute
3
Derer, die ewig Opfer ihrer Sünden.
Giustizia mosse il mio alto fattore:
fecemi la divina potestate,
la somma sapïenza e ’l primo amore.
Gerechtigkeit bewegt’ ihn, der mich baute,
Mit mir will seine Macht er offenbaren.
Urlieb’ und höchste Weisheit mich erschaute.
6
Dinanzi a me non fur cose create
se non eterne, e io eterna duro.
Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate.
Vor mir war nichts Erschaff ’nes zu gewahren.
Fest werd’ ich ewig steh’n an diesem Orte.
Laß’, der du eintrittst, alle Hoffnung fahren.
9
Queste parole di colore oscuro
vid’ïo scritte al sommo d’una porta;
per ch’io „Maestro, il senso lor m’è duro.“
Kaum sah ich über jener Schreckenspforte
Die schwarze Schrift am Bogen, sprach ich leise:
„Hart scheint, oh Meister, mir der Sinn der Worte“.
12
Ed elli a me, come persona accorta:
„Qui si convien lasciare ogni sospetto;
ogni viltà convien che qui sia morta.
Und diese Antwort gab mir drauf der Weise:
„Hier sei nun jeder Zweifel überwunden,
Und jede Schwäche sterb’ in diesem Kreise.
15
Noi siam venuti al loco ov’io t’ho detto
che tu vedrai le genti dolorose
c’hanno perduto il ben dell’intelletto.“
Wir haben, wie ich dir verhieß, gefunden
Den finst’ren Ort, wo mit dem Schmerze ringen,
Die, denen der Erkenntnis Heil entschwunden“.
18
E poi che la sua mano alla mia pose
con lieto volto, ond’io mi confortai,
mi mise dentro alle segrete cose.
Drauf ließ er unsre Hände sich verschlingen,
Sein heit’rer Blick vermocht’ mich zu versöhnen.
So führt’ er mich zu den geheimen Dingen.
21
Quivi sospiri, pianti e alti guai
risonavan per l’aere sanza stelle,
per ch’io al cominciar ne lagrimai.
Den sternenlosen Raum durchdrang ein Stöhnen
Und solche Klag’ aus düst’rer Schatten Reihen,
Daß mir ins Auge drangen leise Tränen.
24
Diverse lingue, orribili favelle,
parole di dolore, accenti d’ira,
voci alte e fioche, e suon di man con elle
Vielsprachiges und grauenvolles Schreien,
Vermischt mit Schmerzenslauten, wutbegleitet,
Mit Händeschlagen und Vermaledeien,
27
facevano un tumulto, il qual s’aggira
sempre in quell’aura sanza tempo tinta,
come la rena quando turbo spira.
Erzeugte einen Lärm, der ausgebreitet
Zeitlos sich dehnte in den leeren Räumen
Wie Flugsand, den der Wirbelsturm durchgleitet.
30
E io, ch’avea d’error la testa cinta,
dissi: „Maestro, che è quel ch’i’ odo?
e che gent’è che par nel duol sì vinta?“
Ich sprach, den Schädel voll von Schreckensträumen:
„Meister, sag’ mir, was ist es, das ich höre?
Wer sind die Wesen, die im Schmerz sich bäumen?“ 33
Ed elli a me: „Questo misero modo
tengon l’anime triste di coloro
che visser sanza imfamia e sanza lodo.
Er sprach zu mir: „Dies sind die Elendschöre
Der trüben Seelen derer, die ihr Leben
Verbrachten ohne Schand’ und ohne Ehre.
36
Mischiate sono a quel cattivo coro
delli angeli che non furon ribelli
nè fur fedeli a Dio, ma per sè foro.
Mit ihnen sieh die laue Rotte beben
Von Engeln, welche weder aufbegehrten,
Noch treu dem Herrn, für sich nur, wollten leben.
39
21
22
Canto terzo / Dritter Gesang
Caccianli i ciel per non esser men belli,
nè lo profondo Inferno li riceve,
ch’alcuna gloria i rei avrebber d’elli.“
Verjagt vom Himmel, dem sie sich verwehrten,
Fallen sie auch nicht bis zum Höllengrunde,
Auf daß nicht andre eig’nen Ruhm vermehrten“.
42
E io: „Maestro, che è tanto greve
a lor, che lamentar li far sì forte?“
Rispuose: „Dicerolti molto breve.
Drauf ich: „Was ist’s, mein Meister, gib mir Kunde,
Was sie bejammern? Welche große Not?“
Er sprach: „Vernimm es kurz aus meinem Munde:
45
Questi non hanno speranza di morte,
e a lor cieca vita è tanto bassa,
che ’nvidïosi son d’ogni altra sorte.
Sie haben keine Hoffnung auf den Tod.
Neidisch macht sie ihr niedrig-ödes Leben
Auf jeden, dem sich and’res Schicksal bot.
48
Fama di loro il mondo esser non lassa,
misericordia e giustizia li sdegna:
non ragioniam di lor, ma guarda e passa.“
Die Welt ließ ihren früh’ren Ruhm entschweben.
Nicht Mitleid noch Gerechtigkeit sie sehen.
Sieh kurz nur hin. Wir woll’n uns fortbegeben!“
51
E io, che riguardai, vidi una insegna
che girando correva tanto ratta,
che d’ogni posa mi pareva indegna;
Und ich sah vor mir eine Fahne wehen,
Die aufgeregt im Kreise sich bewegte,
Als wollte jede Lage sie verschmähen.
54
e dietro le venìa sì lunga tratta
di gente ch’io non averei creduto
che morte tanta n’avesse disfatta.
Dahinter aber sah ich, wie sich regte
Ein mächt’ger Völkerstrom: Ich dachte nicht,
Daß je der Tod so viele schon erlegte.
57
Poscia ch’io v’ebbi alcun riconosciuto,
vidi e conobbi l’ombra di colui
che fece per viltà il gran rifiuto.
Darunter sah ich manch vertraut’ Gesicht,
Konnt’ jenes Mannes Schatten auch erspähen,
Der zaghaft hohen Amtes tat Verzicht.
60
Incontanente intesi e certo fui,
che questa era la setta de’ cattivi,
a Dio spiacenti ed a’ nemici sui.
Sogleich war ich mir sicher, dort zu sehen
Die trübe Gruppe derer, die der Herr
Und seine Feinde gleichermaß’ verschmähen.
63
Questi sciaurati, che mai non fur vivi,
erano ignudi e stimolati molto
da mosconi e da vespe ch’eran ivi.
Die Elenden, die lebten ohne Ehr’,
An ihren nackten Körpern Blutdurst stillte
Ein großes Wespen- und Moskito-Heer.
66
Elle rigavan lor di sangue il volto,
che, mischiato di lagrime, ai lor piedi
da fastidiosi vermi era ricolto.
Der Stiche Blut, das ihr Gesicht verhüllte,
Vermischt mit Tränen, rann zum Boden nieder,
Wo’s ekelhafter Würmer Bäuche füllte.
69
E poi ch’a riguardare oltre mi diedi,
vidi genti alla riva d’un gran fiume:
per ch’io dissi: „Maestro, or mi concedi
Als drauf mein Blick im Kreise schweifte wieder,
Konnt’ ich an einem Flußgestade schauen
Viel Volk; ich sprach: „Mein Meister und Gebieter,
72
ch’i’ sappia quali sono, e qual costume
le fa di traspassar parer sì pronte,
com’io discerno per lo fioco lume.“
Sag mir, warum sie sich am Ufer stauen.
Sie drängen sich nach schneller Überfahrt,
Wenn ich im Zwielicht meinem Blick darf trauen“.
75
Ed elli a me: „Le cose ti fier conte
quando noi fermerem li nostri passi
su la trista riviera d’Acheronte.“
Er sprach: „Dies alles wird dir offenbart,
Wenn wir mit uns’ren Füßen erst betreten
Des jammervollen Acheron Gestad’“.
78
Canto terzo / Dritter Gesang
23
Allor con li occhi vergognosi e bassi,
temendo no ’l mio dir li fosse grave,
infino al fiume del parlar mi trassi.
Da schaute ich zu Boden mit Erröten.
Aus Furcht, ich könnt ihn ungeduldig machen,
Zähmt ich der Fragen Drang, wie er gebeten.
81
Ed ecco verso noi venir per nave
un vecchio, bianco per antico pelo,
gridando: „Guai a voi, anime prave!
Zum Fluß gelangt, gewahrten wir am Nachen
Den Schiffer altersgrau: „Elende Seelen,
Verflucht seid ihr!“, so tönt’s aus seinem Rachen.
84
Non isperate mai veder lo cielo:
i’ vegno per menarvi all’altra riva
nelle tenebre etterne, in caldo e ’n gelo.
„Hier könnt ihr nicht mehr auf den Himmel zählen.
Ich bringe euch ins ew’ge Schattenland,
87
Wo Glut und Kälte jede Hoffnung stehlen.
E tu che se’ costì, anima viva,
pàrtiti da cotesti che son morti.“
Ma poi che vide ch’io non mi partiva,
Du, Menschenseel’, was suchst du hier am Strand?
Fort! Hebe dich hinweg von diesen Toten!“
Doch als er merkte, daß ich widerstand,
disse: „Per altra via, per altri porti
verrai a piaggia, non qui, per passare:
più lieve legno convien che ti porti.“
Sprach er: „Dir ist ein and’rer Weg geboten,
Ein and’res Tor mußt du zum Strand durchschreiten
Ein leicht’rer Kahn trägt dich durch diese Fluten“. 93
E ’l duca lui: „Caron, non ti crucciare:
vuolsi così colà dove si puote
ciò che si vuole, e più non dimandare.“
Mein Führer sagte: „Charon, laß das Streiten.
Er will’s, der alles, was er will, auch kann.
Willst du ihm etwa Fragen unterbreiten?“
96
Quinci fuor quete le lanose gote
al nocchier della livida palude,
che ’ntorno alli occhi avea di fiamme rote.
Da schloß die Lippen der behaarte Mann,
Der mit dem Boot den fahlen Sumpf durchmaß,
Und dessen Augen Feuersglut umrann.
99
Ma quell’anime, ch’eran lasse e nude,
cangiar colore e dibattìeno i denti,
ratto che ’nteser le parole crude:
Die Seelen aber, denen, nackt und blaß,
bebend, erbleichend, klappernd mit den Zähnen,
Der rauhen Worte Sinn ins Ohr sich fraß,
102
bestemmiavano Dio e lor parenti,
l’umana spezie, e ’l luogo e ’l tempo e ’l seme
di lor semenza e di lor nascimenti.
Sie fluchten Gott, den Menschen und auch denen,
Die sie erzeugt, sie fluchten Stund’ und Ort
105
Ihrer Geburt und Ursach’ ihrer Tränen.
Poi si raccolser tutte quante inseme,
forte piangendo, alla riva malvagia
ch’attende ciascun uom che Dio non teme.
Dann zogen weinend sie zusammen fort,
Zu dem verfluchten Strand, der an sich zieht
Jedweden, der nicht fürchtet Gottes Wort.
108
Caron dimonio, con occhi di bragia
loro accennando, tutti li raccoglie;
batte col remo qualunque s’adagia.
Charon, der Dämon, dessen Auge glüht,
Er treibt sie an, versammelt sie am Fluß,
Schlägt mit dem Ruder zu, wo’s nicht geschieht.
111
Come d’autunno si levan le foglie
l’una appresso dell’altra, fin che ’l ramo
vede alla terra tutte le sue spoglie,
Und wie die Blätter von des Herbstes Kuß
Berührt, eins nach dem andern erdwärts schweben,
114
Wo sie der kahle Baum betrauern muß,
similemente il man seme d’Adamo
gittansi di quel lito ad una ad una
per cenni, come augel per suo richiamo.
Also geschieht es auch den faulen Reben
An Adams Stock. Es treibt sie ohne Gnade
Zum Ufer hin, als würden sie’s erstreben.
90
117
24
Canto terzo / Dritter Gesang
Vers 97 – 120
Canto terzo / Dritter Gesang
25
Così sen vanno su per l’onda bruna,
ed avanti che sien di là discese,
anche di qua nuova schiera s’auna.
So überqueren sie das braune, fade
Gewässer. Und kaum, daß sie sind an Bord,
Versammeln sich die nächsten am Gestade.
120
„Figliuol mio,“ disse ’l maestro cortese,
„quelli che muoion nell’ira di Dio
tutti convegnon qui d’ogni paese;
„Mein Sohn“, so fuhr der güt’ge Meister fort,
„In Gottes Zorne schieden sie von hinnen.
Sie kommen her von jedem Erdenort
123
e pronti sono a trapassar lo rio,
chè la divina giustizia li sprona,
sì che la tema si volve in disio.
Und sind bereit, das Ufer zu gewinnen,
Weil göttliche Gerechtigkeit sie leitet.
So kann sich Sehnsucht aus der Furcht entspinnen.
126
Quinci non passa mai anima bona;
e però, se Caron di te si lagna,
ben puoi sapere omai che ’l suo dir sona.“
Noch keine gute Seel’ ward herbegleitet.
Drum sieh! Wenn Charon über dich erbittert,
So weißt du jetzt, was sein Getön bedeutet“.
129
Finito questo, la buia campagna
tremò sì forte, che dello spavento
la mente di sudore ancor mi bagna.
Da aber ward das Dämmerfeld erschüttert
Von einem Stoß, daß noch beim Rückwärtssehen
Mein Körper schwitzt und meine Seele zittert.
132
La terra lagrimosa diede vento,
che balenò una luce vermiglia
la qual mi vinse ciascun sentimento;
Aus tränenreichem Boden wuchs ein Wehen,
Ein Stürmen, das von Feuerlicht durchdrungen.
Da fühlte ich die Sinne mir vergehen.
135
e caddi come l’uom che ’l sonno piglia.
Ich fiel zu Boden, wie vom Schlaf bezwungen.
26
Canto
quarto
Vierter Gesang
Ruppemi l’alto sonno nella testa
un greve truono, sì ch’io mi riscossi
come persona ch’è per forza desta;
Aus tiefem Schlafe, der mein Haupt umschlungen,
Riß mich ein Donnerschlag. Ich fuhr zur Höhe
Wie einer, den man hat emporgezwungen.
3
e l’occhio riposato intorno mossi,
dritto levato, e fiso riguardai
per conoscer lo loco dov’io fossi.
Mit frischem Aug’ umspann’ ich meine Nähe.
Hoch aufgereckt, den Blick im Kreis gesandt
Erkenn’ ich jenen Platz, auf dem ich stehe.
6
Vero è che ’n su la proda mi trovai
della valle d’abisso dolorosa,
che truono accoglie d’infiniti guai.
Wahrhaftig! Ich befand mich an dem Rand
Der Schlucht, wo’s abwärts ging auf Schmerzenspfaden,
9
aus der sich grenzenloses Stöhnen wand.
Oscura e profonda era e nebulosa,
tanto che, per ficcar lo viso a fondo,
io non vi discernea alcuna cosa.
Sie war so finster, tief, voll Nebelschwaden,
Daß ich, obwohl mein Aug’ sich Mühe gab,
Kein Bild empfing aus tieferen Gestaden.
12
„Or discendiam qua giù nel cieco mondo“
cominciò il poeta tutto smorto:
„io sarò primo, e tu sarai secondo.“
„Jetzt steigen wir zur blinden Welt hinab“,
sprach mein Gefährte, dem erblaßt die Wangen,
„Du sollst mir folgen, und ich geh vorab“.
15
E io, che del color mi fui accorto,
dissi: „Come verrò, se tu paventi
che suoli al mio dubbiare esser conforto?“
Und ich, dem sein Erbleichen nicht entgangen,
Sprach: „Wie soll ich’s besteh’n, wenn Angst umnachtet
Dich, sonst mein Trost, wenn ich in Furcht befangen?“ 18
Ed elli a me: „L’angoscia delle genti
che son qua giù, nel viso mi dipigne
quella pietà che tu per tema senti.
Er sprach: „Die Not des Volkes, das hier schmachtet,
Hat mir die Farb’ aus dem Gesicht gelenkt.
Und Mitleid war’s, was du für Furcht erachtet.
21
Andiam, chè la via lunga ne sospigne.“
Così si mise e così mi fè intrare
nel primo cerchio che l’abisso cigne.
Auf denn! Ein langer Weg ist’s, der uns drängt!“
Er schritt voran, ich folgte, und wir gingen
Zum ersten Kreis, der jene Schlucht umfängt.
24
Quivi, secondo che per ascoltare,
non avea pianto mai che di sospiri,
che l’aura etterna facevan tremare.
Dort fühl’ ich einen Klang an’s Ohr mir dringen;
Nicht Klagen sind’s; nur leise Seufzer tönen,
Die diesen ew’gen Raum zum Zittern bringen.
27
Ciò avvenìa di duol sanza martìri
ch’avean le turbe, ch’eran molto grandi,
d’infanti e di femmine e di viri.
Schmerz ohne Marter wirkte dieses Stöhnen.
Ob Kind, ob Frau, ob Mann – an große Plagen
Mußt’ keiner sich in diesem Heer gewöhnen.
30
Lo buon maestro a me: „Tu non dimandi
che spiriti son questi che tu vedi?
Or vo’ che sappi, innanzi che più andi,
Der gute Meister sprach: „Willst du nicht fragen,
Welches die Geister sind in diesem Kreise?
Bevor du weitergehst, will ich’s dir sagen.
33
ch’ei non peccaro; e s’elli hanno mercedi,
non basta, perchè non ebber battesmo,
ch’è porta della fede che tu credi.
Von Sünden frei war ihre Lebensweise,
Doch konnte sie die Taufe nicht entsühnen,
Das Band der Gläub’gen auf der Lebensreise.
36
E se furon dinanzi al cristianesmo,
non adorar debitamente a Dio:
e di questi cotai son io medesmo.
Dem Christenglauben konnten sie nicht dienen,
Gott nicht verehren in der rechten Huld.
Drum sind sie hier, und ich gehör’ zu ihnen.
39
Canto quarto / Vierter Gesang
27
Per tai difetti, non per altro rio,
semo perduti, e sol di tanti offesi,
che sanza speme vivemo in disio.“
Ob dieser Mängel, nicht ob eig’ner Schuld
Sind wir verloren und hierher gekommen
Zu leben hier in ew’ger Ungeduld“.
Gran duol mi prese al cor, quando lo ’ntesi,
però che gente di molto valore
conobbi che ’n quel limbo eran sospesi.
Der Schmerz griff mir ans Herz, als ich’s vernommen,
Sah ich doch Menschen dort von hohem Range
45
In diesem Kreis der Hölle angekommen.
Dimmi, maestro mio, dimmi, segnore,“
comincia’ io per volere esser certo
di quella fede che vince ogni errore:
„Sag’ mir, mein Herr und Meister“, fragt’ ich bange,
Weil ich gern Sicherheit gewinnen wollte,
48
Daß Glaube über jedem Irrtum prange:
„uscicci mai alcuno, o per suo merto
o per altrui, che poi fosse beato?“
E quei, che ’ntese il mio parlar coperto,
„Gab es denn keinen, dem man Gnade zollte
Durch Opfertod, für eig’ne Lebensweise?“
Und er, dem sich der Rede Sinn entrollte,
51
rispuose: „Io era nuovo in questo stato,
quando ci vidi venire un possente,
con segno di vittoria coronato.
Sprach so: „Ich war noch neu in diesem Kreise,
Da ist ein Mächtiger hierher gekommen,
Das Haupt gekrönt auf eines Siegers Weise.
54
Trasseci l’ombra del primo parente,
d’Abèl suo figlio e quella di Noè,
di Moïsè legista e obediente;
Des Adams Schatten hat er mitgenommen,
Abel und Noah folgten seinem Schritt,
Auch Gottes Diener Moses ist entkommen,
57
Abraàm patriarca e Davìd re,
Israèl con lo padre e co’ suoi nati
e con Rachele, per cui tanto fè;
Abra’m und König David gingen mit,
Jakob mitsamt dem Vater und den Söhnen,
Rahel, für die er sieben Jahre stritt.
60
e altri molti, e feceli beati;
e vo’ che sappi che, dinanzi ad essi,
spiriti umani non eran salvati.“
Und viele and’re führt er weg mit jenen
Zur Seligkeit; jedoch an diesem Orte
Ward niemandem seither gestillt dies Sehnen“.
63
Non lasciavam l’andar perch’ei dicessi,
ma passavam la selva tuttavia,
la selva, dico, di spiriti spessi.
Wir gingen weiter während seiner Worte
Und fanden uns in eines Waldes Mitten:
Der Wald der Geister war’s, der uns umflorte.
66
Non era lunga ancor la nostra via
di qua dal sonno, quand’io vidi un foco
ch’emisperio di tenebre vincìa.
Noch waren wir erst kurze Zeit geschritten
Seit meinem Schlaf, als da ein Feuer war,
Durch das die tiefe Dämm’rung ward zerschnitten. 69
Di lungi v’eravamo ancora un poco,
ma non sì, ch’io non discernessi in parte
ch’orrevol gente possedea quel loco.
Noch waren wir dem Ziele nicht sehr nah,
Doch nah genug, daß ich zu wissen wähnt’,
Welch ehrumwob’ne Wesen ich dort sah.
72
„O tu ch’onori e scïenza ed arte,
questi chi son c’hanno contata onranza,
che dal modo delli altri li diparte?“
„Oh du, der Kunst und Wissenschaften kennt,
Wer sind sie? Was sind ihre großen Ehren?
Was ist es, das sie von den andren trennt?“
75
E quelli a me: „L’onrata nominanza
che di lor suona su nella tua vita,
grazia acquista nel ciel che sì li avanza.“
Die Antwort war: „Ihr Ruhm zu Land und Meeren
Bewegt’ den Himmel, weil sie so verehrt,
Ihnen aus Gnad hier Wohnstatt zu gewähren“.
78
42
28
Canto quarto / Vierter Gesang
Vers 52 – 61
Canto quarto / Vierter Gesang
29
Intanto voce fu per me udita:
„Onorate l’altissimo poeta:
l’ombra sua torna, ch’era dipartita.“
Derweil hatt’ eine Stimme ich gehört:
„Ehret des Dichterfürsten hohen Rang!
Sein Schatten, der entschwand, ist heimgekehrt“.
81
Poi che la voce fu restata e queta,
vidi quattro grand’ombre a noi venire:
sembianza avean nè trista nè lieta.
Kaum, daß entschwebte dieser Stimme Klang,
Sah ich vier große Schatten zu uns kehren.
Die Mienen weder Freud’ noch Klag’ umschwang.
84
Lo buon maestro cominciò a dire:
„Mira colui con quella spada in mano,
che vien dinanzi ai tre sì come sire.
Drob hörte ich den Führer mich belehren:
„Sieh diesen, der ein Schwert hält, näher an.
Er führt die anderen, die ihn verehren.
87
Quelli è Omero poeta sovrano;
l’altro è Orazio satiro che vène;
Ovidio è il terzo, e l’ultimo Lucano.
Es ist Homer, der aller Dichter Ahn’,
Und dies Horaz, der Meister der Satiren,
Ovid der dritte, und hier steht Lukan.
90
Però che ciascun meco sì convene
nel nome che sonò la voce sola,
fannomi onore, e di ciò fanno bene.“
Zwar jeden von uns große Namen zieren,
Doch rief die Stimme meinen ganz allein,
So ernt’ ich Ehren, wie sie mir gebühren“.
93
Così vidi adunar la bella scola,
di quel signor dell’altissimo canto
che sovra li altri com’aquila vola.
Da sah ich denn die Gruppe im Verein
Der Herren des Gesangs, die überflogen
Wie Adler and’re Vögel groß und klein.
96
Da ch’ebber ragionato insieme alquanto,
volsersi a me con salutevol cenno;
e ’l mio maestro sorrise di tanto:
Nachdem sie ein’ges unter sich erwogen,
Wandten sie sich an mich auf güt’ge Weise.
Mein Meister lächelnd hat den Mund verzogen.
99
e più d’onore ancora assai mi fenno,
ch’e’ sì mi fecer della loro schiera,
sì ch’io fui sesto fra cotanto senno.
Und mehr noch taten sie zu meinem Preise:
Sie machten mich zum Ihren auf der Stelle,
Daß ich der Sechste ward in ihrem Kreise.
102
Così andammo infino alla lumera,
parlando cose che ’l tacere è bello,
sì com’era ’l parlar colà dov’era.
So gingen wir denn zu des Lichtes Quelle,
Besprechend Dinge, die ich sehr genoß,
Jedoch verschweigen will an dieser Stelle.
105
Venimmo al piè d’un nobile castello,
sette volte cerchiato d’alte mura,
difeso intorno d’un bel fiumicello.
Zu Fuß gelangten wir zu einem Schloß.
Von sieben hohen Mauern war’s umfangen,
Die ringsumher ein schöner Bach umfloß,
108
Questo passammo come terra dura;
per sette porte intrai con questi savi:
giugnemmo in prato di fresca verdura.
Worüber wir mit trock’nem Fuß gegangen,
Der Tore sieben schlossen sich uns auf,
Dann sah’n wir eine Blumenwiese prangen.
111
Genti v’eran con occhi tardi e gravi,
di grande autorità ne’ lor sembianti:
parlavan rado, con voci soavi.
Und ich sah Menschen trüben Blicks zuhauf.
Es waren die, die einst im Ruhm sich sonnten;
Selten und leise tat ihr Mund sich auf.
114
Traemmoci così dall’un de’ canti,
in luogo aperto, luminoso ed alto,
sì che veder si potean tutti quanti.
Ein Lied zog uns zum Orte, wo sie wohnten,
Es war auf einer großen, off ’nen Stelle,
Wo alle wir zugleich erblicken konnten.
117
30
Canto quarto / Vierter Gesang
Colà diritto sopra ’l verde smalto,
mi fur mostrati li spiriti magni,
che del vedere in me stesso n’essalto.
Dort, gerade an der Auen grüner Helle
Nannte man mir viel’ großer Geister Namen;
Ihr Anblick war mir eine Freudenquelle.
120
I’ vidi Elettra con molti compagni,
tra’ quai conobbi Ettòr ed Enea,
Cesare armato con li occhi grifagni.
Elektra sah ich, und noch and’re kamen,
Darunter Hektor und Anchises’ Sohn,
Und Caesars Blicke jeden Mut benahmen.
123
Vidi Cammilla e la Pantasilea
dall’altra parte, e vidi ’l re Latino
che con Lavina sua figlia sedea.
Camilla und die große Amazon’
Zur and’ren Seit’; ich sah König Latin,
Lavinia, sein Kind, nicht weit davon.
126
Vidi quel Bruto che cacciò Tarquino,
Lucrezia, Julia, Marzïa e Corniglia;
e solo, in parte, vidi ’l Saladino.
Seh’n konnt ich Brutus, der vertrieb Tarquin,
Lucrezia, Julia, Marzia erspähen,
Cornelia auch, und abseits Saladin.
129
Poi ch’innalzai un poco più le ciglia,
vidi ’l maestro di color che sanno
seder tra filosofica famiglia.
Als er sein Haupt emporhebt, kann ich sehen
Den Einen, welcher alles Wissens Mehrer,
Um ihn herum viel’ Philosophen stehen.
132
Tutti lo miran, tutti onor li fanno:
quivi vid’io Socrate e Platone,
che ’nnanzi alli altri più presso li stanno;
Die großen Geister waren ihm Verehrer,
Platon und Sokrates in ihrer Mitt’
Standen am nächsten ihm als seine Lehrer.
135
Democrito, che ’l mondo a caso pone,
Dïogenès, Anassagora e Tale,
Empedoclès, Eraclito e Zenone;
Bei Anaxagoras stand Demokrit,
Diogenes und Thales waren da,
Zenon, Empedokles und Heraklit.
138
e vidi il buono accoglitor del quale,
Dïoscoride dico; e vidi Orfeo,
Tullio e Lino e Seneca morale;
Dioskorid, den Sammler, nahm ich wahr
Und Orpheus, dessen Lied die Furien regte,
Tullius, Linus und auch Seneca.
141
Euclide geomètra e Tolomeo,
Ippocràte, Avicenna e Galïeno,
Averroìs, che ’l gran comento feo.
Euklid und Ptolemäus ich entdeckte,
Hippokrat, Avicenna, Galien,
Averroes, der den Philosophen hegte.
144
Io non posso ritrar di tutti a pieno,
però che sì mi caccia il lungo tema,
che molte volte al fatto il dir vien meno.
Nicht alles schreib ich hin, was ich geseh’n,
Denn wollt’ ich alles treulich wiedergeben,
Würde aus Vielem Weniges entsteh’n.
147
La sesta compagnia in due si scema:
per altra via mi mena il savio duca,
fuor della queta, nell’aura che trema;
Nach an’drem Ziele will mein Führer streben.
Die Sechsergrupp’ in vier und zwei zerbricht.
Hinab geht’s, dahin, wo die Lüfte beben,
150
e vegno in parte ove non è che luca.
Hinunter zu den Räumen ohne Licht.